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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Düüwelsweer

    „Meenst du nich ok, dat du dat villicht `n bischn übertrieben hest?“ wollte Greg verärgert von dem Helden wissen, der gerade triefend nass an Bord der Murietta geklettert kam.
    „Nun … es ist etwas eskaliert…“
    „Wat bi Adanos is denn bloot passeert, dat dat to sowat keem?“ fragte der Piratenkapitän und wies auf die brennende Festung, die den dunklen Nachthimmel hell erleuchtete.
    „Tja…“
    Der Held kratzte sich am Hinterkopf.
    „Ich war gerade dabei Miguel zurück aufs Schiff zu schaffen, da lief ich einer Patrouille über den Weg. Da war so ein Ritter, der wollte irgendwelche Papiere von mir. Hab sowas nicht. War nach einem Gespräch mit mir recht angepisst.“
    „Wen wunnerts“, sagte Greg und rollte mit dem verbliebenen Auge.
    „Er brachte mich dann in die Festung zu seinem Vorgesetzten. Dummerweise hatte der mich erkannt. Gibt wohl mittlerweile einen Steckbrief von mir. Offenbar ist irgendeiner von den Leute aus der Taverne letztes Mal zu den Paladinen gerannt und hat mich dort verpfiffen. Der war stocksauer und drohte mir mit lebenslangem Kerker. Wenn in Khorinis das Gesetz ein Problem mit mir hatte, hab ich Lord Andre einfach ein paar Goldmünzen gezahlt und es hatte sich erledigt. Der Paladin hier ist aber richtig ausgerastet, als ich ihm Gold als Wiedergutmachung angeboten habe. Ich wollte mir aber auch nichts von ihm sagen lassen. Irgendwie ist es dann eskaliert. Mein Feuerregen hat ein paar Fässer mit diesem Schießpulver, angezündet und es gab ein paar Explosionen. Im allgemeinen Chaos bin ich dann vom Wehr ins Meer gesprungen und hergeschwommen, wollte nicht noch mehr töten, weil Skip meinte, das nehmen die einem hier echt übel."
    Er sah noch mal auf die brennende Festung und wog seinen Kopf leicht hin und her.
    "Naja... Schätze durch den Feuerregen könnten ein paar umgekommen sein."
    Greg grummelte etwas in seinen Bart was der Held nicht verstehen konnte und sagte dann laut zu ihm: "Maak doch nich so'n Spektakel! Dreih deck mal ümme op moine Seite."
    „Ich kann dich nicht verstehen. Was meinst du?“ fragte der Held verwundert.
    Der Kapitän rollte erneut entnervt mit seinem Auge und versuchte es mit weniger Dialekt zu erklären: „Sieh et doch mal vun miener Seite. Ik hab hier een ganzet Schipp unner miener Verantwortung. Da kann nich eenfach jeder maken wat er will.“
    „Aber es ist doch ein Piratenschiff“, hielt der Held dagegen.
    „Du bist so een Dickkopp“, sagte Greg zum Helden, der einfach nicht nachgeben wollte. „Ik mutt de gekaperte Ware doch ook irgendwo verkopen. Wi soll ik dat denn maken, wenn wi de Häven nich mehr anlopen können, weil überall nach uns gesucht wird? Jetz‘ fällt uns een Haven zum Verkopen wech, allet nur weil dene Zündschnur kürzer is als de jeder Kanone. Wir sind eene Crew. Jeder Stunk, den eener makt, fällt ook op alle annern zurück. Merk dir dat, verdammt nochmal!“
    „Aye.“
    Der Held ließ Greg stehen und ging zu den anderen Piraten, wo er geradezu euphorisch empfangen wurde.
    „Mensch, so was hat es bestimmt noch nie gegeben“, rief Bones aufgeregt und klopfte ihm auf die Schulter.
    „Davon wird man noch in Jahren sprechen“, sagte auch Bill und seine Augen glänzten.
    Auch Miguel und Manuel waren da und grinsten dümmlich. Wie sich herausstellte, hatte Manuel es nicht mehr ausgehalten und war auf die Suche nach seinem Bruder gegangen, der ihm dann auf halbem Weg entgegen getorkelt kam. Die Piraten machten, dass sie so schnell wie möglich von hier wegkamen.

    Die gute Stimmung an Bord der Murietta blieb nur so lange erhalten wie sie nicht verfolgt wurden.
    „Paladinschiff von achtern“, verkündete Bill aus dem Ausguck.
    „Seepaladine! De hebbt uns jüst noch fehlt. Aver nah dit Lichtfüer mutt ja so kamen“, grummelte Greg, der gerade aus seiner Kapitänskajüte trat.
    Eigentlich hatten sie ihre alte Route entlang der Küste von Adloka wieder befahren wollen, doch wegen der neuen Situation gab Greg nun Befehl auf die offene See zu steuern, damit sie nicht noch wohlmöglich von einem zweiten Schiff aus der östlichen Richtung abgefangen wurden. Morgan, der derzeit am Steuer stand, beeilte sich den neuen Befehlen nachzukommen.
    „Was sind denn Seepaladine?“ wollte Alejandro wissen.
    „Dat sin Paladine, de op See fahrn, is doch wohl klaar, oder nich?“ knurrte Greg, der wohl keine genauere Erklärung abgeben wollte.
    Jeder konnte deutlich sehen, dass er richtig miese Laune hatte. Alejandro sah Hilfe Suchend zu Skip, der sich erbarmte und es dem Jungen erklärte: „Seepaladine sind speziell für das Leben und den Kampf auf dem Meer geschulte Paladine. Als die Piraterie rund um Stahlstern noch ein ernstes Problem war, haben sie immer wieder vor den Küsten patrouilliert, daher versucht Greg sie jetzt auch auf der offenen See abzuhängen. Ich fürchte aber, das uns das keinen allzu großen Vorteil bringen wird, denn die sind vermutlich sogar besser in der Nautik, als die meisten von uns, außer unser Kapitän natürlich.“
    „Du meinst Seekarten lesen? Sowas sollte ich auch mal lernen“, meinte der Held, der gerade eine Klampe neu belegte, weil der veränderte Kurs dies erforderte.
    „Es geht bei der Nautik vor allem darum zu bestimmen wo man ist, wie schnell man fährt und darum einen sicheren Kurs zu bestimmen“, versuchte Skip vereinfacht zu erklären, während er selbst an einer Leine zog, um die Klüver für den Wendevorgang neu auszurichten.
    „Nich so veel snaken mehr anpacken!“ wies der Kapitän sie barsch zurecht.
    Es war ein kalter wolkenverhangener Tag und eine steife Brise aus dem Norden wehte, so dass die Piraten noch mehr froren. Die See war aufgeraut und die Wellen schlugen munter gegen das Schiff, das nun dem neuen Kurs nach Süden folgte. Die Murietta fuhr nun mit dem Wind im Rücken, doch nicht vollständig vor dem Wind, was wie ihnen Alligator Jack erklärte irgendetwas mit den Wind- und Wasserströmungen zu tun hatte. Sie fuhren also gerade noch so im abfallenden Wind, während die Paladine mit dem spitzeren Winkel und den Vorteilen der Strömungen nun eine bessere Fahrt machten.
    „Mir ist kalt“, jammerte Manuel.
    „Mir ist auch kalt“, stimmte sein Bruder zu, der im eisigen Wind bibberte. „Es ist viel zu kalt, um zu arbeiten. Mir fieren meine Flossen ab.“
    Greg, der gerade an ihnen vorbei zum Heck ging, knurrte nur: "Na denn hart weiderknojen, ihr Frostkötel. Arbeit is de dickste Jacke."
    Der Kapitän holte sein treues Fernrohr hervor, um sich das Schiff der Paladine genauer anzusehen.
    „Und?“ fragte der Held ungeduldig, der sich neben den Kapitän gestellt hatte.
    „Hest du nix to doon?“ knurrte der Kapitän.
    „Ist schon erledigt“, gab der Held zurück. „Ich will wissen womit wir es zu tun bekommen.“
    „Ik ook“, antwortete der Kapitän und knurrte noch etwas. „Verdammichnochemal, so een Shipp hab ik noch nie gesehen. Veel grötter as en Kraweel, aver dat is ok keen Hulk. Ann ehsten is dat noch ene Karacke.“
    Der Held verstand nichts von Schiffstypen und konnte daher nicht viel mit dem anfangen was sein Kapitän da von sich gab.
    „Sieht aus, as hett sich de Baumeester vun verscheeden Schippstypen dat Beste för‘n een Kriegsschipp rutsöcht. Dat Ding is sicher achtzig Meter lang un bet to‘n Toppmast sünd dat bestimmt mehr als sechzig Meter. Wattn Mordsding. Un wat für een Gewusel da op Deck is, da sünd op Anhieb mehr as tweehunnert Lüüd to sehn.“
    Bei diesen Worten wurden Bones und Morgan, die sich voller Interesse zu ihnen gesellt hatten, ganz bleich um die Nase und sie holten erschrocken Luft. Wenn Greg merkte was für eine Panik er mit seinen Worten schürte, ließ er sich nichts weiter anmerken. Vielleicht meinte er, dass Ehrlichkeit in diesem Moment der größte Motivator für seine Crew wäre.
    „Sieht na dree Decks mit Kanonen ut. Kann nu nich seggen as veel genau, aver seker över hunnert.“
    „Bei Adanos, über hundert Kanonen …“, entfuhr es Morgan, der sich an der Reling abstützen musste.
    „Da haben wir eindeutig den Falschen ans Bein gepisst“, knurrte Bones.
    Der Held wollte lieber gar nichts dazu sagen. Auch wenn er nicht viel von Schiffstypen verstand, er merkte, dass die Lage ernster nicht sein konnte.
    Zunächst holte das Paladinschiff weiter auf. Die Seepaladine hatten ihren Kurs schnell dem der Murietta angepasst, doch im Verlauf des Tages konnten die Piraten ihren Vorsprung beibehalten.
    Samuel versuchte beim Mitternachtsessen die gedrückte Stimmung an Bord mit einem starken Glühwein zu heben, doch selbst damit hatte er nur mäßigen Erfolg. Viele hatten Angst, dass die Seepaladine sie einholen und angreifen würden. Sie wären wohl Chancenlos. Der eine oder andere Pirat sah sich wohl schon am Strick baumeln. Hämische Sprüche über die brennende Paladinfestung wollte jetzt keiner mehr machen. Tatsächlich merkte der Held, dass viele der Piraten ihm die Schuld an ihrer misslichen Lage gaben, doch niemand sagte ihm offen seine Meinung ins Gesicht. Bones und Morgan, die ihn vor einigen Stunden noch gefeiert hatten, redeten hinter vorgehaltener Hand am anderen Ende des Tisches in grummelndem Ton miteinander und warfen immer wieder finstere Blicke zum Helden. Bisher wagte aber außer dem Kapitän noch keiner dem Helden offen Vorwürfe zu machen, denn mit einem Mann, der einen Feuerregen verursachen konnte, wollte sich so schnell niemand anlegen.

    Die nächsten zwei Tage setzten sie ihren schwierigen Weg fort. Das Paladinschiff blieb hinter ihnen wie ein Vorbote des Untergangs. Die Crew wurde mit der Zeit mürbe. Ohnehin schon übermüdet fand nun kaum noch jemand in den Schlaf. Missmutig schauten die Piraten aus dunklen Augenhöhlen immer wieder nach Achtern, so als hofften sie die Bedrohung würde wie durch ein Wunder von selbst verschwinden. Obwohl Samuel ihre Alkoholvorräte in Stahlstern aufgefüllt hatte, wurden sie durch die angespannte Lage sehr strapaziert. Greg musste hart durchgreifen, damit die Crew sich in ihrem elendigen Zustand nicht völlig besoff und ihnen die Lage so vollends entglitt. Ohnehin hatte das Schiff der Paladine schon weiter aufgeholt. Sie hatten wohl nicht mit Müdigkeit zu kämpfen. Der Kapitän vermutete nun, dass sicher vierhundert Mann an Bord waren und die Arbeit so mehr als optimal verteilt war. Sie konnten jetzt mehr Details ausmachen. Das Schiff hieß „Innos Strafe“ und hatte als Galionsfigur ein riesiges mit Goldfarbe bemaltes hölzernes Schwert. Drumherum befanden sich orangegoldene Flammen, natürlich ebenfalls aus Holz. Über den Decks mit den Kanonen war ein mit Goldfarbe gemalter Streifen. Zahlreiche Flaggen flatterten im Wind. Zu sehen war entweder das Wappen von Adloka, ein silbernes Innosschwert umringt von goldenen Flammen auf rotem Grund, oder Wimpel in den drei Farben Silber, Golden und Rot und auch die Mastkörbe waren in diesen Farben gestrichen. Die Segel waren von einem strahlenden Weiß, das fast schon in der Mittagssonne blendete.

    „Dat griest in“, sagte Greg am dritten Morgen der Verfolgung mit Blick auf die dicken Wolken die mit den neuen Windverhältnissen von Osten zu ihnen herüberwehten. „Versöökt wi den Storm to ümföhren. Neuer Kurs hart Südwest.“
    „Aber Käpt’n, das bringt uns näher an die Paladine“, sagte Bill nervös.
    „Wi versöken vör jem dörslippen. Dat gifft Düüwelsweer“, sagte Greg mit unheilschwangerer Stimme und sah zum mit dunklen Wolken verhangenen Himmel.
    „Was meint er? Also manchmal hab ich echt Probleme unseren Käpt‘n zu verstehen“, grummelte Miguel.
    „Es kommt ein furchtbares Unwetter, du Landratte“, erklärte Skip genervt und beeilte sich die neuen Anweisungen des Kapitäns schnellstmöglich zu befolgen.
    Bis zum Nachmittag behielten sie diesen neuen Kurs bei und kamen dem Seepaladinschiff gefährlich nah. Auch die hatten ihren Kurs geändert, kreuzten nun, da sie nicht direkt gegen den Wind fahren konnten und versuchten ihnen möglichst schnell den Weg abzuschneiden. Bang sahen die Piraten ihrem Untergang entgegen. Ausnahmslos alle Piraten waren an Deck. Bei der ernsten Lage konnte sowieso niemand schlafen.
    „Ich versuch es lieber in diesem verdammten Sturm, als gegen die Eisenmänner zu kämpfen“, rief Alligator Jack, der gerade eine Leine neu vertäute.
    Greg, der seinen gewohnten Platz am Steuer eingenommen hatte, musste ihm Recht geben und es war ihm deutlich anzusehen, dass selbst er verzweifelt war.
    „Leider ging mien Plan nich op. Wi kunnen nich an ihnen vörbi un de Storm is al to nau ran, üm em ümtoföhren. Verdammich! Gegen die Paladine hebbt wi keene Chance. Et bleebt uns keene annere Wahl, wi mütten durch den Sturm durch. Unsere eenzige Hoffnung is, dat de Paladine nich so mall sin uns zu folgen. Kann selbst nich glöven, dat ik diesen Befehl geve.“
    Die Mannschaft sah ihren Kapitän ernst an. Sie wussten sie mussten zwischen Pest und Cholera wählen und die meisten waren wohl wie Alligator Jack der Meinung, dass sie ihr Glück lieber im Sturm versuchen wollten. Sie wendeten die Murietta und sie merkten sofort wie der Wind an den Segeln zerrte. Mäßige Wellen mit langer ausgeprägter Form klatschten gegen das Schiff. Die dabei aufstiebende Gischt hinterließ einen frischen, salzigen Geruch. Überall auf dem Meer zeigten sich weiße Schaumköpfe. Ein Blick nach hinten sagte ihnen, dass ihnen das Paladinschiff noch folgte.
    „Abwettern! Bringt allet wat nich an Deck festgemacht is unner Deck!“ befahl Greg mit lauter Stimme, die gegen den stärker werdenden Wind ankämpfte.
    Während die Crew seinen Befehlen so rasch wie möglich nachging, zogen turmartige, mächtige dunkle Haufenwolken schnell über den Himmel. Es wurde überraschend dunkel, obwohl es mitten am Tag war. Der Wind ließ überraschenderweise kurz nach, doch etwas später frischte es deutlich auf, nur dass der Wind jetzt aus einer etwas anderen Richtung wehte. Das Schiff ächzte.
    „Richt de Segel nee ut! Vorwindkurs!“ schrie Greg während plötzlich die Wolken aufrissen und große Mengen Wasser auf sie herunterfiel.
    Während sie auch diesem Befehl nachgingen, hatte sich die See gewandelt. Hohe Wellenberge waren nun zu sehen. Die Kämme, von denen der Sturm nun Gischt abwehte, hatten nun schon eine beträchtliche Länge erreicht. Ein Donnern so tief und laut, dass es in ihren Körpern nachhalte, erscholl über ihren Köpfen. Es hörte sich so an, als würde in den Wolken eine riesige Burg explodieren. Es regnete unaufhörlich eiskaltes Wasser und die Gischt umströmte die Murietta.
    „Dat rummelt un plastert ja hier, als wenn uns Adanos ne neue Flut schicken will“, rief Greg und sah besorgt zum stürmischen Himmel. „Zieht de Leinen fest! Bringt mehr von dem Ballast zum Bug!“
    „Geht nicht Käpt’n, haben wir beim Schiffswrack gelassen“, erinnerte ihn der Held.
    „Verdammich! Watn Shiet!“
    Greg versuchte das Steuerrad gerade zu halten.
    „De Storm päckt üm. Lenzen vor Topp un Takel!“
    Die Mannschaft war dabei möglichst schnell die Befehle des Kapitäns auszuführen und die Segel einzuholen, doch der Sturm machte es ihnen wirklich schwer. Die großen Wellenberge hatten nun lange überbrechende Kämme. Die See war weiß vor Schaum, so als würde in ihr ein gigantisches Biest wüten und toben, doch das Meer selbst war dieses Ungeheuer. Die Stimmen der Männer gingen im lauten Donnern und dem stoßartigen Rollen der See unter. Die Wellen waren nun sehr hoch, doch die Murietta schaffte bisher jede Welle zu erklimmen, dann fiel sie allerdings jedes Mal in ein furchterregend tiefes Tal und die nächste Welle baute sich bedrohlich vor ihnen auf. Die Sicht der Männer war durch Gischt, Schaum und den allgegenwärtigen Regen sehr schlecht. Wie ein dichter Vorhang goss das Wasser aus den Wolken. Sie konnten nicht mal von einer Seite des Schiffes zur anderen sehen. Sie waren so nass, als wären sie ins tobende Meer gefallen, dass sie zu verschlucken drohte. Das Schiff schaukelte, als würde es versuchen sich auf einem bockenden Riesenbiest zu halten. Die erfahreneren Piraten konnten sich normalerweise leicht auf den Planken halten, doch bei diesem Seegang hatten selbst sie Probleme sich einigermaßen zielgerichtet über das gefährlich schiefe Deck zu bewegen. Besonders die neuen Seeräuber auf dem Schiff hatten es schwer. Sie stolperten und fielen mehr, als dass sie den anderen halfen und der Held musste zugeben, dass er trotz all seines Geschicks noch einiges zu lernen hatte. Sie packten die Seile und zurrten sie fest. Kaum waren sie fertig, riss ein Tau vorne, dass die Klüver festhielt. Die dreieckig geschnittenen Segel flatterten jetzt unkontrolliert im Wind und rissen das Schiff nun chaotisch herum, so dass es einen mächtigen Stoß gab und die Murietta sich kritisch zur Seite neigte.
    „Packt dat fest!“ hörten sie Greg rufen, doch durch den tosenden Sturm konnten sie ihn kaum verstehen.
    Die Krängung des Schiffs machte es selbst den erfahreneren Seeleuten schwer diesem Befehl nachzukommen. Bill bekam das Tau zu fassen, doch der Außenklüver klatschte ihm gegen das Gesicht und ließ ihn angeschlagen zurücktaumeln. Skip duckte sich geschickt unter die wild gewordenen Segel hindurch. Es sah aus, als vollführte er einen Tanz, immer auf der Jagd nach dem losgerissenen Tau, doch das fuhr heftig im Wind herum und er bekam es einfach nicht zu packen. Nun kamen auch Alligator Jack und der Held ihm zu Hilfe und es war, als würden sie versuchen eine wild gewordene Schlange zu schnappen, die verzweifelt zu entkommen versuchte. Endlich hatte Alligator Jack es zu packen bekommen, doch es riss ihn herum und der Wind wollte ihn über Bord schleudern. Skip und der Held packten ihn an den Schultern, um ihn zu stabilisieren. Ein wilder Ruck ging durch das Schiff, als eine besonders große Welle auf die Murietta traf, die nun gefährlich gierte.
    „Wir müssen uns beeilen, oder wir saufen ab“, brüllte Skip, der angestrengt keuchte bei dem Versuch das Tau festzuhalten.
    „Zieht!“ rief Alligator Jack und sie mussten sich mächtig anstrengen, um das Tau zu seinem alten Platz zu ziehen.
    Der Regen goss immer noch in Strömen herab und ihre Sicht verschwamm. Die Planken waren rutschig und der Held glitt aus. Nun mussten Alligator Jack und Skip das Tau ohne ihn halten. Selbst sie gerieten ins Stolpern, als sich das Schiff gegen eine neue Welle aufbäumte und das Tau entglitt ihren nassen und vor Kälte tauben Fingern. Die Crew schrie in Panik, als das Schiff zu kentern drohte, doch es war Bones, der nun vorsprang und das Tau zu fassen bekam. Der Held rappelte sich rasch wieder hoch und war zur Stelle, um ihm zu helfen das Tau zum Fockmast zu zerren und dort am alten angestammten Platz fest zu verzurren. Die Klüver wurden nun wieder festgemacht und mit einem heftigen Ruck riss sich die Murietta wieder in die Gerade. Die erfahreneren Piraten hatten das schon kommen sehen und sich festgehalten, doch Miguel, Manuel und den Helden legte es hart auf die Planken. Auch Alejandro hatte nicht damit gerechnet, doch er hatte das Pech zu nah an der Reling zu stehen, so dass er über Bord ging und in der aufstiebenden Gischt einer Welle, die am Schiff brach ins tobende Meer fiel. Der Held rannte aufgeregt zur Stelle wo er über Bord gegangen war.
    „Mann über Bord!“
    Alligator Jack war jetzt neben ihm und sah hoffnungslos in die tobende See.
    „Der ist fort. In diesem Chaos finden wir den nie wieder und bei dem Wellengang überlebt er keine fünf Minuten.“
    „Rede keinen Scheiß!“ rief der Held eisern.
    Alligator Jack riss die Augen auf und sah den Helden verwundert an.
    „Ich spring ihm jetzt nach. Renn du hinten ans Heck, schnapp dir die Harpune und schieß knapp neben mich und wenn ich das Seil ergriffen habe, dann ziehst du uns zurück!“
    Kaum hatte er das gesagt sprang der Held in die tobende See. Jack brüllte ihm noch was nach. Vermutlich, dass so ziemlich alles an diesem Plan beknackt war, doch der Held konnte ihn nicht mehr hören. Er tauchte in den kalten Ozean, doch da er durch den Regen ohnehin nass und heruntergekühlt war, war es von dieser Warte aus kaum ein Unterschied. Viel mehr fiel ins Gewicht, dass ihn die Wellen erbarmungslos hin und herschleuderten und ihm jede Orientierung nahmen. Es war duster wie in der Nacht und er wirkte einen Lichtzauber, um besser zu sehen. Er glaubte zu erkennen wo oben war und schwamm darauf zu. Er wollte gerade die Wasseroberfläche durchbrechen, doch da drückte ihn eine neue Welle unbarmherzig nach unten. Er konnte fast nichts sehen, nur Blasen und dunkles Wasser. Das Schiff war seinem Blick längst entschwunden. Es würde wirklich schwer werden Alejandro hier zu finden. Doch mit eisernem Willen schwamm der Held weiter und schaffte es endlich aufzutauchen und Atem zu holen. Es war, als wäre das Meer auf ihn wütend und schuppste ihn hin und her. Wieder wurde er unter Wasser gedrückt und jetzt sah er etwas helles vorne unter Wasser herumtreiben. Ein menschlicher Körper. Mit kräftigen Zügen schwamm der Held zu Alejandro und klemmte sich den Jungen unter den rechten Arm. Es war ein unglaublich schwerer Kampf gegen die Übermacht des Meeres, doch aufgeben kam für den Helden nicht infrage. Mit den drei freien Gliedmaßen paddelte er entschlossen so schnell es ihm möglich war zur Wasseroberfläche zurück. Er konnte das Schiff nicht sehen, doch plötzlich hörte er ein lautes Geräusch und etwas zerschnitt zwei Meter von ihm entfernt das Wasser. Die Harpune. Schnell tauchte der Held nach ihr und bekam sie mit dem linken Arm zu fassen. Es gab einen heftigen Ruck und sie wurden rabiat nach vorne gerissen und der Held fühlte einen heftigen Schmerz in seiner linken Schulter. Das Seil grub sich äußerst schmerzhaft tief in das Fleisch seiner linken Hand. Jetzt konnte er auch zwischen dem unaufhörlichen Regenguss die Murietta sehen. Alligator Jack und Skip standen hinten am Heck und taten ihr Möglichstes um sie zurück aufs Schiff zu holen. Der Held mühte sich sowohl die Harpune, als auch Alejandro nicht loszulassen, der immer noch bewusstlos war. Endlich zogen Skip und Alligator Jack sie aufs rettende Schiff, während der Rest der Crew noch hektisch dabei war die Murietta in diesem Sturm zu stabilisieren.
    „Wir mussten den Treibanker rausschmeißen, um langsamer zu werden!“ rief Alligator Jack ihnen zu.
    „Hätten wir eh gemacht“, meinte Skip. „Hätte nicht gedacht, dass wir dich da echt wieder rausfischen können.“
    „Tja hab ich gute Augen oder was?“ fragte Alligator Jack grinsend.
    „Nichts hast du gesehen, gar nichts, einfach irgendwo ins Blaue geschossen“, sagte Skip trocken.
    „Quatsch, das ist Talent, ich hab auf das Licht gezielt“, behauptete Alligator Jack.
    Der Held hustete und legte Alejandro auf die rutschigen und nassen Planken, wobei er ihn mit seiner unversehrten rechten Hand festhielt, damit er nicht wieder weggespült wurde.
    „Verdammt, er atmet nicht!“ rief Skip aufgeregt.
    „Hätte mich auch gewundert“, meinte Alligator Jack trübsinnig.
    „Mensch! Atme gefälligst!“ schrie Skip laut und knallte Alejandro links und rechts zwei Hiebe um die Ohren.
    Der junge Mann schreckte hoch und kotzte Wasser aufs Deck.
    „Bei Adanos, es geschehen doch noch Wunder!“ rief Alligator Jack überrascht.
    „Was … was ist los?“ fragte Alejandro verwirrt und sah sich völlig fertig um.
    Er versuchte aufzustehen, aber schwankte stark und legte sich lieber wieder auf die Planken. Er war ganz grau im Gesicht und seine Augen rollten.
    „Bist über Bord gegangen, Stint!“ kam es von Greg, der nun zu ihnen gekommen war. „Kannst vun Glück reden, dat deen Entertruppführer miene Anweisung op dich opzupassen wirklich wörtlich nimmt. Meine Fresse bist du een Waaghals, hett nie gedacht, dat eener so wahnsinnig is, in so eene tosende See zu springen.“
    „Ja … und dann kommt er auch noch zurück“, sagte Alligator Jack fassungslos.
    „Genuch gesnackt, zurück an de Arbeit! Wir sin noch nich ausm Sturm raus“, verkündete Greg und scheuchte sie wieder weiter. „Zieht dat Tauwerk fest! … Un du!“
    Greg, der selbst bei diesem Seegang und im strömenden Regen nur leicht mit seinem Schiff mitschwankte, so als wäre er dran festgewachsen, zeigte auf Alejandro, der ihn nur blass ansah und die Augen etwas weiter aufriss.
    „Du gehst unner Deck! Wi können et nich gebrauchen, dat du nochema verloren gehst un dat Redden von di wedder dree Männer bindet. Nur Scherereien hat man mit eenem Dösel wie dir.“
    Greg schüttelte missbilligend den Kopf und ging wieder zum Steuer, dass er kurzzeitig Henry überlassen hatte. Den scheuchte er auch gleich wieder zur Arbeit. Alejandro sah schwer mitgenommen aus. Er versuchte aufzustehen. Er war so wacklig, dass er gleich wieder auf die Planken sank.
    „Hoch mit dir, Junge!“ sagte der Held rabiat und hievte ihn mit seiner gesunden Hand grob auf die Füße.
    Dann schleifte er ihn halb zur Treppe und drückte ihn leicht nach unten. Alejandro sah tief beschämt und sorgenvoll zu den anderen Piraten, die gleich wieder an die Arbeit gingen und stolperte dann die Treppe hinunter unter Deck. Der Held arbeitete benachteiligt, da er nur noch mit seiner rechten Hand zupacken konnte. Sein linker Arm sperrte sich, da der Knochen aus der Gelenkpfanne gesprungen war, als die Harpune ihn nach vorne gerissen hatte. Der Held biss die Zähne zusammen und mühte sich mit den anderen von der Crew weiter ab. Die Piraten wussten nicht wie lange sie noch gegen den Sturm ankämpften. Die Zeit schien jede Bedeutung verloren zu haben. Jede Minute schien eine Ewigkeit zu sein. Endlich wurde es allmählich ruhiger und sie kamen wieder zu Atem.
    „Wir haben es bald geschafft“, verkündete Alligator Jack.
    Er sollte Recht behalten. Die See beruhigte sich weiter. Der Wind und auch der Regen ließen nach, bis es nur noch leicht nieselte. Miguel, Manuel, Garett, Bill und Owen brachen erschöpft japsend auf den Planken zusammen.
    „Schert euch unter Deck! Ihr sollt später die nächste Schicht übernehmen“, schnarrte Henry sie an.
    Miguel und Manuel sahen prüfend zu ihrem Vorgesetzten, der nickte und sie fügten sich dem Befehl.
    „Was ist mit dir? Du hast deinen linken Arm nicht mehr verwendet seit du aus dem Wasser gezogen wurdest“, bemerkte Henry.
    „Arm ausgerenkt“, erklärte der Held knapp.
    Skips Augen wurden groß.
    „Und das sagst du erst jetzt?“
    „Wir hatten zu tun“, erklärte der Held. „Aber wenn ihr mir mal kurz zur Hand gehen könntet...“
    „Klar“, erklärte sich Alligator Jack sofort bereit, den die Rettungsaktion des Helden mächtig beeindruckt hatte. „Gehen wir nach unten. Da legst du dich auf nen Tisch und dann haben wir das Ratzfatz wieder in Ordnung gebracht.“
    „Gut, dass du so optimistisch bist“, sagte Skip besorgt.
    „Klar, ich hab das schon mal gemacht. Bei Thommes“, erklärte Alligator Jack.
    „Aber Thommes musste später dieser Arm abgenommen werden, weil da irgendwas nicht gestimmt hat“, warf Skip ein.
    „Ach, das hatte nichts damit zu tun“, behauptete Alligator Jack.
    Sie gingen unter Deck, wo Miguel, Manuel, Bill und Owen bereits erschöpft in ihren Hängematten schliefen. Alejandro war aber wach und sah aufgeregt zu ihnen hin. Offenbar fürchtete er eine Bestrafung.
    „Was ist passiert?“ fragte er nervös.
    „Ach nichts weiter, er hat sich nur nen Arm ausgerenkt, als er dich gerettet hat“, erklärte Alligator Jack.
    Alejandro riss die Augen auf.
    „Wie hast du das eigentlich gemacht?“
    „Bin dir hinterher gesprungen“, sagte der Held leichthin.
    Die Augen des jungen Piraten traten fast aus ihren Höhlen.
    „Was?“ fragte er heiser, doch der Held hörte ihn wohl nicht, denn er redete einfach weiter.
    „Dann hat Jack eine Harpune abgeschossen, die hab ich dann gepackt und er hat uns zurückgeholt.“
    Beim Helden hörte es sich an, als wäre nichts weiter dabei gewesen, doch der junge Pirat konnte sich vorstellen wie unwahrscheinlich seine Rettung gewesen war.
    „Ja, und dabei ist das Gelenk rausgehüpft“, sagte Alligator Jack fast schon belustigt.
    „Adanos hett an euch beide wohl een Narren freten“, kam Gregs Stimme herunter geweht.
    Er ging die Treppen hinunter und musterte seine hier versammelten Männer.
    „Steht nich rum un snackt, umso schneller sien Arm wedder heil is, umso schneller kann er wieder mit anpacken“, sagte Greg mit der Absicht besonders hartherzig klingen zu wollen, doch er konnte den leicht besorgten Ausdruck nicht ganz aus seinem Gesicht verbannen. „Legt ihn da op‘n Tisch un legt los!“
    Der Held legte sich auf den Tisch und hob seinen Oberkörper leicht an, so wie Alligator Jack, ihn anwies.
    „Das wird doch bestimmt schrecklich wehtun, oder?“ fragte Alejandro besorgt.
    Er fühlte sich schuldig, denn immerhin hatte sein Vorgesetzter diese Verletzung, weil er ihn gerettet hatte.
    „Ach wat, dat ziept nur a bissl und denn is goot“, sagte Greg und klopfte dem Jungen auf die Schulter, um ihn zu beruhigen, doch dabei war es etwas kontraproduktiv, dass Alligator Jack fast schon fürsorglich den Helden fragte: „Willst du vielleicht etwas Rum gegen die Schmerzen?“
    „Jetzt halt mir keinen Vortrag! Klopp den Arm wieder ins Gelenk und fertig!“ sagte der Held ungeduldig.
    Alligator Jack legte den Ellenbogen des ausgekugelten Arms in einem neunzig Grad Winkel ab und zog dann am Oberarm des Helden, während er den Arm nach außen drehte. Es gab ein Knacken und der Held sog schmerzhaft Luft durch die Zähne, dann saß das Gelenk wieder in der Pfanne und er atmete auf. Die Schmerzen ließen deutlich nach.
    „Das wäre geschafft“, sagte Alligator Jack glücklich über den Erfolg.
    Der Held rotierte probeweise mit seinem verletzten Arm und ignorierte die aufkommenden Schmerzen.
    „Passt“, meinte er und kramte in seiner Tasche nach einem Heiltrank, damit auch die letzten Schäden und der tiefe Riss in seiner linken Hand abheilten.
    „Goot, denn zurück an de Arbeit!“ schnarrte Greg und stieg die Treppe aufs Deck hoch.
    „Gut gemacht“, sagte der Held zu Alligator Jack.
    „Kein Thema. Wir sind eine Crew. Wir halten zusammen. War ja‘n dolles Ding wie du den Kleinen da gerettet hast.“
    „Vielen Dank. Ich wäre ertrunken ohne dich“, sagte Alejandro eilig und stand rasch auf.
    Zu rasch, denn seine Füße wollten ihn noch nicht tragen und er stolperte und schwankte.
    „Leg dich zurück ins Bett und schlaf dich aus!“ wies der Held ihn an.
    Er selbst ging mit den übrigen Piraten zurück aufs Deck, um sich die Schäden, die der Sturm angerichtet hatte zu besehen und was zu reparieren war zu reparieren. Von dem Paladinschiff war nichts mehr zu sehen. Entweder hatten sie abgedreht, oder waren im Sturm untergegangen.

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    Eispfötchen ist offline

    Kleider machen Leute

    Die Piraten konnten von Glück reden, dass sie Greg als Kapitän hatten, denn der kannte sich wirklich in diesem Meer aus. Um die Murietta in Ruhe reparieren und sich selbst die nötige Pause zu verschaffen, lenkte der Kapitän das Schiff am nächsten Morgen über einen kleinen Umweg nach Südwesten auf eine Inselgruppe zu, die etwa doppelt so groß wie Khorinis war. Sie bestand aus drei Inseln. Die Große hatte sanft ansteigende Hügel am Rand und einem erloschenen Vulkan in der Mitte. Sie wand sich wie eine Klaue um die nördliche kleine und zerklüftete Insel herum. Die kleine Insel im Süden, war etwas größer als die nördliche und turmartige Felsen ragten von ihr auf. Die vielen Bäume, die dort standen waren mit einem leichten Schneeüberzug bedeckt. Der Winter war gekommen.
    „De grote Eilannen warrt Vulkaninsel nöömt“, erklärte Greg der Crew, auch wenn einige sich hier vermutlich schon auskannten. „De Vulkan is al siet hunnert Johren nich mehr utbroken, aver de Naam is bleven. De nöördliche Insel heet „der kleine Edelstein“ un de süüd „Eisenfelsen“. Inn Noorden warrt in de Minen verschedene Edelsteene geschürft, aver dat Eiland warrt besünners streng vun Palinen bewacht. De hebbt dar tallriek Burgen. Kommt keener rann. In den Eisenfelsen wurr fröher Eisen geschürft, aver de Minen wurden längst opgeben, weil dat meeste Eisen aus de Felsen gekratzt is. De Rest lohnt de Möh nich. Et leven kuum noch Minschen hier. Deshalb sünd wi hier op de süüd Laag vun de Eisenfelsen vor Anker gangen, so dat uns niemand vun de Hauptinsel söökt. Et gifft nur een lüüt Dörp im Nordwesten. Di Lüüd dor hebben aver keenen Grund hier bei uns vorbeizuschauen, also hoffe ik, dat wi unentdeckt blieven. Wi mütten wachsam sien. De Lüüd hier verehren Innos un wenn de Paladine nich im Dunerweer untergegangen sünd, sondern auch hierhergeschippert sünd un sich mit de Lüüd hier zusammentoon, denn sünd wi verratzt. Haut euch erstmal hin. Ik övernehm dee eerst Waak“, erklärte der Kapitän und von seiner Crew kam erschöpftes dankbares Seufzen.
    Die meisten konnten sich kaum noch auf den Beinen halten. Die Piraten legten sich in ihre Hängematten und schliefen den Schlaf der Erschöpften. Auch der Held musste zugeben, dass er Ruhe brauchte. Er war aber als erster wieder wach und kam am Mittag zurück an Deck wo ihn Greg gleich Reperaturarbeiten auftrug. Drei Spiere wurden im Sturm beschädigt und die Takelage hatte ordentlich was abbekommen. Nach und nach gesellten sich die anderen Piraten zu ihm und geschäftiges Treiben erfüllte die Murietta. Es gab nur kleine Gespräche, keine Gesänge, kein Lachen. Die Piraten waren noch zu erschöpft und die Anspannung der letzten Tage saß ihnen noch tief in den Knochen. Greg legte sich nun auch schlafen. Er sah furchtbar müde aus. Die Crew ging wieder in ihren üblichen Schichtbetrieb. Während sein Trupp nach dem Mitternachtsessen erneut in ihre Hängematten kroch, sprang der Held von Bord und schwamm zu den Felsen. Sie hinaufzuklettern war schwerer als gedacht, doch er sah es als Herausforderung. Er wollte sich diese Inselgruppe mal etwas genauer anschauen. So wie die anderen Piraten es erzählten, würden sie wohl noch einige Tage vor Anker bleiben, um sich auszuruhen und die Schäden zu beheben. Tatsächlich würde der Held ihnen nicht mal einen Vorwurf machen, wenn sie ohne ihn weitersegeln sollten. Er musste zugeben, dass er sie ganz schön in die Bredouille gebracht hatte. Der Sturm hatte etwas im Helden verändert. Er war vorher auch schon Teil der Crew gewesen, aber der Sturm hatte ihm gezeigt, dass es auf einem Schiff wirklich darauf ankam, dass man sich aufeinander verlassen konnte, dass man zusammenhalten musste, um zu überleben. Das war eine wichtige Erkenntnis für ihn, denn normalerweise verließ sich der Held nur auf sich selbst. Als er die Felsen erklommen hatte und ein wunderschönes verschneites Plateau vor sich sah, entschied er seine Kleidung zu wechseln. Sollte es wieder zu unvorhergesehenem Ärger kommen, sollten die Piraten nicht mit ihm in Verbindung gebracht werden und umgekehrt. Gregs Informationen zu dieser Insel waren von großem Wert. Der Held kramte seine myrtanische Paladinrüstung hervor. Sie passte nicht perfekt, denn wie so viele Rüstungen, die der Held besaß, war auch diese nicht für ihn angefertigt wurden. Wahrscheinlich hatte sie irgendeinem Paladin im zweiten Orkkrieg gehört und nach dessen Tod war sie an Roland gegangen, der dem Helden diese Rüstung schließlich verkauft hatte. Das Rapier tauschte er gegen Uriziel aus. Das passte wegen seinem Feuerzauber hervorragend zur Paladinrüstung und machte mächtig Eindruck. Er nahm sich vor etwas mehr auf sein Mundwerk zu achten. Normalerweise wählten Paladine ihre Worte mit etwas mehr bedacht, als er es tat und er wollte nicht, dass die Leute misstrauisch wurden.
    Der Weg über die Felsen war rau und nicht einfach zu gehen, doch das schreckte den Helden natürlich nicht. Vielmehr steigerte es seine Ungeduld und ließ ihn noch schneller laufen. Endlich gelangte er zu einem Wäldchen und dort auf einen Wildpfad und er kam schneller voran. Vorbei an imposanten Felsformationen ging er seinen Weg durch den vom Schnee verzuckerten Mischwald. Der Boden war durch den Frost zunächst fest, doch da der Schnee im Laufe des Mittags zu schmelzen begann, wurde es auch etwas rutschig. Er erreichte die andere Seite der kleinen Insel und erspähte in der Ferne eine stabile schwarze Steinbrücke. Die war sein neues Ziel, denn sie führte auf die Hauptinsel wo er sich mehr Abenteuer erhoffte. Nach einer guten Stunde hatte er sie erreicht und stellte fest, dass sie breiter war, als er zuerst angenommen hatte. Zwei Karren könnten nebeneinander über die Brücke gefahren werden. Spuren, die darauf hindeuteten, dass erst vor kurzem ein Wagen hier vorbeigekommen war gab es auf der anderen Seite und richtig, kaum eine halbe Stunde später fand er den großen Wagen, der erstaunlich stark stank und von zwei dicken Ochsen gezogen wurde. Im Moment hatten die Besitzer, die wohl Händler waren, aber alle Hände voll zu tun sie ruhig zu halten. Die beiden Tiere warfen in Panik die Köpfe hin und her und versuchten aus ihrem Geschirr auszubrechen. Der Karren drohte umzukippen und seine in Krügen gelagerte Ware auf dem Boden zu verteilen. Grund für den Wahn der Zugtiere waren zwei besonders furchterregend aussehende Laufvögel. Entfernt ähnelten Sie den Scavangern von Myrtana, doch diese beiden waren fast drei Meter groß. Ihre Füße endeten in entsetzlichen Klauen, die einen ungerüsteten Menschen wohl mit einem einzigen Tritt töten könnten und die großen scharfen hakenförmigen Schnäbel sahen aus, als könnten sie selbst gute Rüstungen durchdringen. Von vorn sahen sie fast schmal aus, doch von der Seite wurde man ihrer muskulösen Körper gewahr, wobei das eine Tier größer und schwerer aussah, aber weniger bunt war. Die langen Federn, die sich oben am Kopf sträubten, waren beige, während die des etwas kleineren Tieres in grellgelb erstrahlten. Die Augen, mit denen sie die Situation genau beobachteten waren ebenfalls hellgelb. Sie plusterten ihr Schwarzweißes Gefieder auf und spreizten die bunten Federn an ihrem Kopf drohend noch weiter ab. Dazu stießen sie ein für Vögel ungewöhnlich tiefes Geschrei aus, das durch Mark und Bein ging. Der Held beschleunigte seinen Schritt und als er näher kam, erkannte er in den beiden Menschen eine schmale brünette Frau mittleren Alters und einen schmächtigen braunhaarigen Jungen, der kaum älter als vierzehn sein konnte. Beide trugen keine Rüstungen, sondern nur einfach Arbeitskleidung und sie waren bis auf ein kleines Messer, das der Junge aus purer Verzweiflung sinnlos durch die Luft schwang, unbewaffnet. Die Vögel wurden noch gereizter und kamen noch näher, starteten einen Scheinangriff und teilten sich dann nach links und rechts auf. Der Held erkannte, dass sie den Wagen gleich von beiden Seiten angreifen würden. Er war noch zu weit entfernt, um die Biester mit dem Schwert angreifen zu können, daher wählte er seine Feuersturmrune und feuerte je einen Zauber auf die Vögel ab. Dieser Angriff kam für die Laufvögel völlig unerwartet. Sie kreischten und zuckten zurück und sahen sich dann brennend nach dem Aggressor um. Das größere Tier hatte ihn zuerst ausgemacht und rannte unter lautem Geschrei auf ihn zu. Es war erstaunlich schnell. Der Held fand gerade noch Zeit seine Rune wegzupacken und Uriziel von der Halterung an seinem Rücken zu holen. Schon schlug das große Tier mit einem weiten Hieb von oben mit seiner rechten Klaue aus. Der Held machte einen weiten Ausfallschritt und holte währenddessen selbst mit Uriziel aus. Mit Wucht schlug er die Klinge ins Fleisch des Vogels, doch der Held merkte, dass er nicht volle Leistung gebracht hatte und wunderte sich warum. Die Federn am weißen Bauch färbten sich blutrot. Durch Uriziels Magie wurde das Feuer neu angeheizt. Kreischend taumelte der Riesenvogel einen Moment und trampelte aufgeregt mit den Füßen, dann sauste der Kopf auf dem langen Hals vor, um nach ihm zu schnappen. Der Held wich rasch aus und hieb dem Tier den vorgestreckten Kopf ab. Ein heller Blutstrahl schoss aus dem Stumpf. Der Körper des Biests brach zusammen, doch dem Helden blieb keine Zeit aufzuatmen. Lautes Geschrei sagte ihm, dass das andere Tier ihm nach dem Leben trachtete. Es kam von der linken Seite und der Held spürte einen scharfen durchdringenden Schmerz, als der kräftige Schnabel seine Paladinrüstung durchschlug und bis zum Schulterknochen vordrang. Der Held gab ein kurzes von Schmerz und Ärger getriebenes Knurren von sich. Der Schnabel des Vogels öffnete sich und er setzte zu einem neuen Angriff an. Der Held wollte ihm mit einem eigenen Angriff zuvorkommen, doch seine malträtierte Schulter reagierte nicht mit der gewünschten Kraft, so dass der Angriff des Helden nur mit halber Leistung geführt wurde. Dennoch wich der Vogel zurück. Die scharfe Schneide und das sengende Feuer lehrten ihn Respekt vor seinem Gegner zu haben. Das Biest umkreiste und belauerte ihn jetzt. Der Held wartete nicht, bis es erneut angriff, sondern ging selbst in die Konfrontation über. Er rannte auf das Tier zu und schwang Uriziel von oben nach unten, so dass die meiste Kraft von seinem rechten Arm ausging. Obwohl der Laufvogel zurückzuckte, entkam er dem Angriff nicht. Sein weicher Bauch wurde aufgerissen und die blutigen Gedärme quollen heraus. Der Vogel gab einen letzten gequälten Schrei von sich und kippte dann in den mit Blut besprenkelten Schneematsch. Sofort steckte der Held Uriziel weg und führte einen Heilzauber aus. Probehalber rotierte er seinen linken Arm. Der Held merkte, dass er irgendwie eine Blockade hatte. Es war nichts Physisches. Er hatte keine Schmerzen in der Schulter und er war auch nicht eingeschränkt, da die Rüstung so weit aufgerissen war, dass das Metall nicht in sein Fleisch schnitt. Das Problem war wohl im Kopf. Unterbewusst wollte er wohl zu viel Anstrengung für seinen linken Arm vermeiden. Vielleicht, weil er fürchtete der Knochen könnte erneut aus dem Gelenk springen, oder er müsse den Arm zunächst schonen, auch wenn kein körperlicher Grund vorlag. So etwas war neu für den Helden, denn normalerweise nahm er auf sich selbst keine Rücksicht. Schonungslos ging er einfach davon aus, dass sein Körper schon durchhalten würde. Der Held nahm sich vor das zu beobachten. Er konnte es sich nicht leisten in einem Kampf zu unterliegen, nur weil er unterbewusst irgendwelche seltsamen Befindlichkeiten hegte. Er nahm sich vor die Rüstung in der nächsten Stadt reparieren zu lassen. Überhaupt wäre es gut so etwas selbst zu können. Warum hatte er sich das eigentlich noch nicht beibringen lassen?
    „Innos sei Dank! Gut, dass du in der Nähe warst“, hörte er eine erleichterte weibliche Stimme herüberwehen.
    Er sah sich um und erkannte die Händlerin, die drüben beim Wagen stand und ihm winkte. Der Held lief zu ihr und als er sich bis auf ein paar Schritte genähert hatte, fuhr sie fort: „Wenn du nicht gewesen wärst, hätten uns die Terrorvögel getötet, die Ochsen gefressen und unsere Ware noch gleich dazu.“
    „Terrorvögel? Verstehe“, sagte der Held.
    „Die kennst du wohl nicht?“ fragte der Junge erstaunt. „Aber die leben doch fast überall.“
    „Ich hab bisher nur kleinere Laufvögel gesehen und die sind für einen erfahrenen Kämpfer keine Herausforderung.“
    Die Mutter und der Sohn maßen ihn mit bewundernden Blicken.
    „Das war ein toller Kampf. Ich hab noch nie jemanden so mutig kämpfen sehn“, war der Junge schwer beeindruckt. „Bist du ein ausländischer Paladin? Unsere Paladine haben andere Rüstungen.“
    „Ja, ich bin nicht von hier. Bin immer unterwegs um anderen Leuten zu helfen“, drückte es der Held auf seine Weise aus.
    „Innos sei Dank, dass du dich für diesen abenteuerlichen Weg entschieden hast. Du bist gerade zur rechten Zeit gekommen. Vermutlich hat Innos dir ein Zeichen gegeben, dass wir dich hier brauchen.“
    „Ge-nau“, behauptete der Held gedehnt.
    „Die Terrorvögel wurden wohl vom Geruch unseres Wagens angelockt.“
    „Wo wir gerade davon reden … was stinkt hier so?“ fragte der Held und zog die Nase kraus.
    „Weil du uns gerettet hast, will ich das überhört haben“, sagte die Frau milde lächelnd. „Das ist die berühmte Fischspeise von Eisengrund. Seitdem die Bewohner meines Dorfes nicht mehr in der Mine arbeiten, sind wir ganz auf den Fischfang angewiesen. Wir sind berühmt für unseren vergorenen Fisch. Der lässt sich wunderbar als Proviant überallhin mitnehmen und schmeckt hervorragend zusammen mit Brot und Zwiebeln. Hier probiere mal!“
    Sie reichte ihm stolz einen irdenen Krug und öffnete die schwere Verriegelung. Obwohl der Held dachte, es würde ohnehin schon furchtbar stinken, wurde er jetzt eines Besseren belehrt. Ein intensiver Geruch nach in der prallen Sommersonne vergammelten Zombieleichen in einer Armeelatrine nach einer Dünnschisswelle drang ihm in die Nase. Skeptisch sah der Held ins Gefäß. Wage erkannte er dort zerkleinerte Fische in einer dunklen schleimigen Soße. Ein Blick ins hoffnungsvolle Gesicht der Frau verriet ihm, dass sie erwartete, dass er das aß.
    „Sicher, dass der nicht seit drei Monaten da drin ist?“ fragte der Held, um Zeit zu gewinnen.
    „Nein, nein. Im Frühjahr kommen die Heringe zum Laichen an unsere Küste. Dann fangen wir sie, weiden sie aus, legen sie in einen großen Bottich in Salzlake ein und lassen sie bis zum Winteranfang in Milchsäure gären. Dann ist der Reifungsprozess abgeschlossen und wir verpacken sie zum Verzehr in diese kleinen praktischen Tonkrüge. Das ist der beste Fisch der Vulkaninseln. Lass es dir schmecken.“
    Der Held überlegte. Es stank entsetzlich, aber wenn das so eine besondere Spezialität war, dann hatte dieser Fisch vielleicht irgendwelche positiven Auswirkungen, so wie es mit Theklas Eintopf war. Er holte tief Luft und kippte sich den Inhalt dann in den Hals. Er hatte schon alles Mögliche in sich hineingeschüttet und daher eine erstaunlich hohe Toleranzschwelle für alle möglichen Geschmäcker entwickelt. Von frisch bis angegammelt hatte er schon alles gegessen, aber so etwas Widerliches wie diesen Stinkefisch hatte er noch nie hinuntergeschlungen. Der Eisengrunder Gärfisch hatte eine schleimige unappetitliche Konsistenz und schmeckte extrem faulig. Selbst als er das letzte bisschen hinuntergewürgt hatte, blieben ein extrem intensiver Nachgeschmack und ein pelziger Belag auf seiner Zunge zurück. Immerhin war er nun um eine Erfahrung reicher, doch er nahm sich fest vor diesen Fisch nie wieder zu essen. Positive Auswirkungen bemerkte er nicht. Eher im Gegenteil. Sofort ging es ihm im Magen herum.
    „Oh, so wie du den hinuntergeschlungen hast, hat er dir ja richtig geschmeckt. Die meisten Fremden trauen sich nur einen kleinen Bissen zu nehmen, aber du hast ja gleich den ganzen Krug geleert. Ich hab noch nie gesehen, dass jemand bei dem Gärfisch so zulangt“, sagte die Händlerin erstaunt.
    Sie strahlte. Der Held versuchte keine Miene zu verziehen, obwohl sein Magen Anstalten machte alles wieder hochzuwürgen. Eisern kämpfte er mit purer Willensstärke dagegen an. Diesen Geschmack wollte er nicht noch einmal in seinem Mund haben.
    „Er hält sich praktisch ewig“, berichtete die Händlerin begeistert.
    Der Held dachte sich, dass was schon vergammelt war, wohl kaum noch schlechter werden konnte. Vermutlich machte selbst der Schimmel einen großen Bogen um das Zeug. Er überlegte, dass das hier vielleicht die Art war wie die hiesigen Bürger gegen den Adel rebellierten. Sie stellten eklige Fischgerichte her und karrten die dann in die Städte der feinen Herren, damit die am furchtbaren Gestank zu Grunde gingen.
    „Sowas hab ich wirklich noch nicht gegessen“, sagte der Held trocken und wechselte dann schnell das Thema. „Was ist mit den Terrorvögeln? Sollen wir die einfach liegen lassen, oder wollt ihr die auf dem Wagen zur nächsten Stadt mitnehmen? Das Fleisch lässt sich bestimmt gut verkaufen. Der eine ist sogar schon ausgeweidet.“
    Die Händlerin betrachtete die Terrorvögel eingehend.
    „Hm… ja gut. Sie haben aufgehört zu brennen. Das ist wichtig, nicht nur wegen dem Karren, die Gärfische explodieren manchmal, wenn sie zu starker Hitze ausgesetzt sind.“
    Der Held verbuchte das als wichtige Information.
    „Aber wie sollen wir sie auf den Wagen bekommen? Die sind bestimmt sehr schwer“, vermutete der Junge.
    Der Held sah zum nur halb gefüllten Wagen.
    „Ich hab einen Telekinesezauber. So kriegen wir die Biester auf den Wagen. Vorher sollten wir aber erstmal die Ware runterholen.“
    Da sie zu dritt waren ging das schnell. Staunend sahen die Händlerin und ihr Sohn dem Helden dann dabei zu wie er die beiden Terrorvögel mittels Telekinese auf den Wagen lud. Die Ochsen murrten laut, wegen dem Geruch der Vögel und wohl auch deren Gewicht. Der Held hatte das kleinere Tier aufs größere gepackt, so dass sie die Stinkefischtonkrüge drumherum aufstellen konnten. Allerdings reichte der Stauraum nicht ganz. Elf Gefäße fanden keinen Platz mehr. Prüfend sah die Händlerin nach wo sie die Krüge noch hinstellen könnten, doch es fand sich absolut kein Platz mehr. Lächelnd wandte sie sich zum Helden um und zeigte auf die restlichen Gefäße.
    „Hier. Nimm was du noch tragen kannst. Da dir unser Fischgericht so geschmeckt hat, sollst du noch etwas davon bekommen.“
    Der Held überlegte, ob er dieses Zeug wirklich mitnehmen sollte, doch dann dachte er sich, dass haben besser als brauchen war. Wer weiß, vielleicht griff mal eine übermächtige Orkarmee an. Dann könnten sie die vielleicht mit diesem widerwärtigen Fischgestank in die Flucht schlagen. Also nahm er die Gefäße an, prüfte ob sie auch fest verschlossen waren und steckte sie dann in seine magische Hosentasche.
    „Wie hast du das gemacht?“ fragte die Händlerin verwundert.
    „Magie“, begründete der Held knapp.
    Kurz fürchtete er, nun da er die Gefäße mit dem Stinkefisch in seiner Hosentasche herumtrug, würde er selbst die ganze Zeit bestialisch stinken, doch dem war nicht so. Es war wirklich pure Magie.
    „Könntest du uns zur nächsten Stadt begleiten? Nicht auszudenken, wenn wieder solche Scheusale angreifen würden“, sagte die Fischhändlerin bang.
    „Wie heißt denn die nächste Stadt?“ fragte der Held.
    „Hirschtal, benannt nach dem Fürst, der dort regiert“, erklärte die Frau.
    „Da gibt es doch bestimmt etwas für einen fahrenden Paladin zu tun“, vermutete der Held.
    „Bestimmt sogar.“
    „Dann komme ich mit.“
    Sie setzten ihren Weg gemeinsam fort. Die Ochsen muhten missmutig und mussten erst zum Weitergehen überredet werden.
    „Gibt es denn viele Bestien auf den Vulkaninseln?“ fragte der Held neugierig.
    „Zu viele“, meinte die Frau. „Zum Glück werden wir von den Paladinen beschützt, aber trotzdem werden Reisende hin und wieder angegriffen. Ich habe gehört am Rande des Vulkans soll sogar ein Drache hausen. Die Bauern berichten immer wieder davon wie er kommt, um ihre Schafe zu stehlen. Schafswurst und Wolle ist daher unbezahlbar geworden.“
    „Ein Drache? Gut. Ich werde in Hirschtal gleich nachfragen, ob es den noch gibt und dann losziehen, um gegen ihn zu kämpfen“, sagte der Held motiviert.
    Da hatte er sich erst neulich gewünscht mal wieder gegen einen Drachen zu kämpfen und nun wurde sein Wunsch wahr. Die beiden Begleiter des Helden sahen ihn ungläubig an, wagten aber nichts zu sagen.
    „Was gibt es denn über die Vulkaninseln zu wissen?“ fragte der Held, während sie gingen.
    „Oh … ich weiß nicht, was wohl für dich interessant wäre“, musste die Fischhändlerin zugeben.
    „Na bestimmt was militärisches“, mutmaßte der Junge. „Die Vulkaninseln sind zwar ein kleines Königreich, aber durch die Minen oben beim kleinen Edelstein, so heißt die nördliche Insel, geht es uns hier eigentlich ganz gut. König Jorrit kann sich eine große gut gerüstete Armee leisten, so dass wir kaum Überfälle von anderen Ländern oder Piraten fürchten müssen.“
    „Es herrscht sowieso Frieden. Hier hat es schon lange keine Kriege mehr gegeben“, fügte die Mutter hinzu. „Als meine Urgroßmutter ein kleines Mädchen war, gab es den letzten.“
    Der Held runzelte verwundert die Stirn, sagte aber nichts und hörte nur zu.
    „Unsere Hauptstadt ist Vulkanhammer“, fuhr die Händlerin fort. „Dort herrscht König Jorrit und dort steht auch die berühmte Schmiede wo aus Vulkanglas Waffen und Werkzeuge hergestellt werden.“
    „Was ist denn Vulkanglas?“ fragte der Held nun doch nach.
    „Oh, das ist ein Gestein, das man rund um den Vulkan finden kann“, erklärte die Mutter. „Ich kenn mich damit auch nicht so aus. Ich weiß nur, dass es verschiedene Arten gibt. Davon kenne ich aber nur Obsidian.“
    „Und was ist an diesen Vulkanglaswaffen so besonders?“ fragte der Held.
    „Sie sind sehr scharf und sehen besonders aus. Die königlichen Wachen und Soldaten tragen diese Waffen. Die Paladine aber nicht, weil sie meinen, dass schwarze Waffen für einen Diener Innos nicht angemessen wären“, erklärte die Händlerin.
    „Hört sich so an, als wären die Paladine hier nicht wirklich von den Waffen überzeugt“, mutmaßte der Held.
    „Ich weiß es nicht. Es heißt auf den Vulkaninseln hätten wir schon immer Vulkanglas benutzt, schon bevor es Eisenwaffen gab. Es ist Tradition. Ich hab gehört die Magier benutzen das Vulkanglas auch für irgendwas, aber ich weiß nicht für was“, sagte die Frau unsicher, weil sie nicht mehr darüber sagen konnte.
    Sie wechselte schnell das Thema.
    „In Hirschtal gibt es eine prächtige Innosstatue vor der Kirche. Sie sieht sehr beeindruckend aus. Die Paladine, aber auch die normalen Bürger der Stadt beten dort jeden Mittag, wenn die Sonne die goldene Statue in gleißendes Licht taucht.“
    Sie vermutete wohl, dass ihn als Paladin das interessierte, doch für ihn war das nicht wirklich von Bedeutung. Innosstatuen interessierten ihn lediglich aus dem Grund, weil er dort nach Zaubern fragen und positive Effekte gegen Gold eintauschen konnte.
    „Wie ist der Fürst von Hirschtal denn so?“ fragte der Held.
    „Oh … wir kennen ihn natürlich nicht persönlich“, sagte die Fischhändlerin in einem unterwürfigen Tonfall. „Wir haben ihn nur mal bei einer Militärparade gesehen. Ich denke, er herrscht mit strenger Hand, aber auch gerecht. Kriminelle werden eingesperrt, dann der Prozess gemacht und je nach Schwere ihrer Tat hingerichtet, oder zur Arbeit in den Minen verdonnert.“
    „Hm…“, machte der Held, während ihm ein wahnwitziger Plan durch den Kopf ging.
    Er könnte sich einsperren lassen und darauf hoffen in die Minen geschickt zu werden. Dann würde er sich die magische Hosentasche voll mit Edelsteinen schaufeln und ausbrechen. Es war aufregend diesen Plan zu schmieden, doch der Held wusste, dass er wohl kaum Erfolg hätte. Nicht nur, dass die Paladine nach Aussage von Greg diese Minen gut bewachten, so dass ein Ausbruch wohl sehr schwer wäre, die Piraten würden wohl kaum so lange warten, bis er seinen Plan umgesetzt hätte und wie käme er dann von diesen Inseln weg? Vielleicht setzten sie entgegen ihren Reparaturplänen auch jetzt gerade Segel, weil sie doch entdeckt wurden waren. Der Held konnte mit dieser Ungewissheit leben.
    Die Umgebung verriet dem Helden, dass sie sich einer größeren Stadt näherten. In der Ferne waren überall Höfe zu sehen und die Straße war ausgetreten. Schließlich kamen sie an drei Arbeitern vorbei. Hinter ihnen stand ein mit Feldsteinen beladener Wagen. Ein Arbeiter pflasterte damit die Straße und die anderen beiden sahen ihm zu und erzählten. In diesem Tempo würde die Straße wohl erst in einigen Jahren fertig werden. Doch der Held sah das nun wirklich nicht als sein Problem. Sicher ließe sich hieraus auch wieder eine Aufgabe ableiten, doch ihm stand nicht der Sinn nach drögen Tätigkeiten. Ihn dürstete es nach einem aufregenden Abenteuer. Ein Drache kam ihm da genau recht. Als sie an den Arbeitern vorbeizogen, tippte einer von ihnen seine Kameraden an und zeigte zum Wagen. Zuerst dachte der Held sie wunderten sich über den Gestank doch aus den Gesprächsfetzen hörte er heraus, dass sie sich über die toten Terrorvögel wunderten.
    Als die Stadt in Sicht kam, vermutete der Held, dass sie in etwa so groß war wie Vengard vor der Zerstörung durch die Orks. An der Stadtmauer hingen zwei verschiedene Wappen. Eines zeigte einen feuerspuckenden roten Vulkan auf orangenem Grund. Das andere einen goldenen Hirschkopf auf braunem Grund. Die Stadtmauer war etwa vier Meter hoch und es gab immer wieder kleine Türmchen, wo der Held Wachleute erkennen konnte. Die Stadttore wurden von Feuerrot gerüsteten Soldaten bewacht. Sie trugen Kurzschwerter, doch weil diese in Scheiden steckten, konnte der Held nicht sicher sagen, ob sie aus Vulkanglas waren. Während sie durch die Straßen der Stadt gingen, sah der Held sich aufmerksam um. Die Straßen waren gepflastert, die Stadt wirkte ordentlich und gepflegt. Die Häuser bestanden aus sorgsam behauenem grauem Stein und trugen rote Schindeln. Vom großen Markt der Stadt hatte man eine gute Übersicht über die wichtigsten Gebäude der Stadt. Linker Hand war die prunkvolle Residenz des Fürsten zu sehen. Ein mit Goldfarbe bemalter Eisenzaun umgab sie und sie wurde gut bewacht. Daneben stand das Rathaus und rechterhand an der Stadtmauer die Kaserne. Geradezu stand eine imposante Kirche, größer noch als die der Feuermagier von Khorinis. Auch sie war aus grauem Stein und um das große Doppelportal standen überlebensgroße Statuen von Feuermagiern in altertümlichen Roben. Der Kirche vorgelagert stand eine noch etwas größere goldene Statue. Der Held fragte sich, ob es sich einfach nur um Goldfarbe handelte, oder ob die Statue wirklich aus Gold war. Immerhin wurde sie von zwei Rittern bewacht, also könnte es wirklich echtes Gold sein. Da es bereits früher Nachmittag war und die große Innosanbetung wohl gerade vorüber war, fanden sich nur einige wenige Betende vor der Statue. Die meisten waren Bürger, unterschiedlichen Alters und Geschlechts, doch keiner trug schäbige Kleidung. Entweder war es Zufall, oder die armen Bewohner der Stadt beteten nicht, oder die Stadt sonnte sich wirklich im Wohlstand. Der Held drehte sich zu seinen Mitreisenden und erklärte ihren gemeinsamen Weg für beendet: „Ihr seid jetzt in Sicherheit. Gutes Gelingen beim Verkauf.“
    „Vielen Dank für deine große Hilfe“, bedankte sich die Fischhändlerin noch einmal und sah dem Helden dann nach, der zum Innosplatz hinüberlief.
    Der Held kniete sich vor die goldene Statue und fragte an, was für Zauber er hier von Innos lernen konnte. Wie sich herausstellte waren es die gleichen wir in Myrtana. Die alte Magie, die man direkt von den Göttern lernen konnte war also vermutlich überall gleich. Als der Held eingehender darüber nachdachte ergab das auch Sinn, denn die Götter scherten sich bestimmt nicht um Landesgrenzen. Der Held war etwas enttäuscht. Er hatte auf neue Zauber gehofft. Nun spendete er hundert Goldmünzen und fühlte sich wohler, was nach dem Stinkefisch zumindest eine kleine Verbesserung war.
    „Ich hab noch nie jemanden gesehen der gleich hundert Goldmünzen auf einmal spendet“, sagte einer der beiden Ritter, welche die Innosstatue bewachten.
    Der Held drehte sich zu ihm um und sagte: „Solltest du mal machen. Innos wird sich dafür erkenntlich zeigen.“
    Die Augen des Ritters wurden kurz groß, dann wurde er rosa im Gesicht und beeilte sich zu sagen: „Aber natürlich wird er das. Möge das strahlende Licht seiner Güte alle bescheinen, die seiner würdig sind.“
    Normalerweise hätte der Held jetzt gefragt, ob er damit meine, dass Innos nur zu denen gütig war, die ihm viel Geld spendeten, doch er konnte sich den Spruch gerade noch verkneifen.
    „Dir scheint es ja ganz gut zu gehen“, kam es jetzt vom zweiten Ritter. „Mein Name ist Gunterher und das ist Numenehr.“
    Er zeigte auf seinen Kameraden. Die beiden Ritter hatten eine kleine Pause für die Vorstellung ihres Gegenübers eingeräumt, doch als sie merkten, dass der Held sich seinerseits nicht vorstellen wollte, fragte Gunterher: „Eine Paladinrüstung wie deine habe ich noch nie gesehen. Warst du bei den Paladinen in Adloka?“
    Offenbar wussten die beiden Ritter nicht, wie die Rüstungen der adlokanischen Paladine aussahen, denn sie ähnelten denen der myrtanischen Paladine nur oberflächlich. Alle Paladinrüstungen, die der Held bisher gesehen hatte, waren prächtig und größtenteils grau, oder silbern, so dass sich die Sonne in ihr spiegeln konnte.
    „Ja, ich war bei ihnen“, beantwortete der Held lediglich die zweite Frage kryptisch.
    Gelogen hatte der Held ja nicht. Er war tatsächlich bei ihnen gewesen, doch nicht als Paladin, so wie es Gunterher eigentlich wissen wollte. Doch das hatte er ja nicht direkt gefragt.
    „Ich hab von einem Drachen gehört. Lebt der noch?“ wollte der Held von den beiden Rittern wissen.
    Gunterher seufzte geplagt und Numenehr erklärte aufgeregt: „Natürlich gibt es den noch. Das ist ein fürchterliches Biest. Das greift man nicht leichtfertig an. Ein Unterausschuss beschäftigt sich mit der Frage mit welcher Taktik wir das Scheusal zur Strecke bringen können.“
    „Und wie lange beschäftigt sich dieser Ausschuss schon damit?“ wollte der Held wissen.
    „Etwa drei Wochen.“
    „Ver-stehe“, kam es gedehnt vom Helden. „Könnt ihr mir den Weg zur Drachenhöhle beschreiben?“
    „Wieso?“ fragte Numenehr skeptisch.
    Wieder musste sich der Held einen Spruch verkneifen.
    „Ich will den Drachen erschlagen“, sagte der Held, der sich fragte welchen Grund seine Frage sonst haben sollte.
    „Du ganz allein? Das ist doch Wahnsinn. Wir haben Späher losgeschickt. Um die Höhle herum sind überall Brandschäden und der Drache sieht wirklich scheußlich aus, blutrot und mit langen Stacheln auf dem Rücken“, sagte Numenehr und hoffte so den Paladin von seinem gefährlichen Vorhaben abhalten zu können.
    „Das wird dann wohl ein spannender Kampf“, freute sich der Held. „Los! Nun sagt schon! Wie komme ich da hin?“
    „Bei Innos …“, stieß Gunterher aus. „Nun gut, wenn du unbedingt den Flammentod sterben willst … du gehst durch das nördliche Tor und hältst dich an die Straße, bis du zu einer Kreuzung kommst. Links geht es zu Vulkanhammer, rechts zum Hochplateu, aber du nimmst keinen der beiden Wege, sondern gehst geradeaus mitten in die Wildnis. Du wirst an einigen Bauernhöfen vorbeikommen. Dort werden die Schafe vom Drachen gefressen. Geh immer weiter den Hügel hinauf. Je weiter du kommst umso unwirtlicher wird die Gegend. Am Fuß des Vulkans hat die Bestie ihre Höhle.“
    „Gut. Kennt ihr einen guten Rüstungsschmied? Beim Kampf gegen zwei Terrorvögel hat meine Rüstung etwas abbekommen und muss repariert werden.“
    Die Augen der Ritter wurden riesig.
    „Du ganz allein hast gegen zwei Terrorvögel gekämpft?“ fragte Gunterher ungläubig.
    „Ja, dahinten liegen sie noch. Die Fischhändlerin verkauft sie gerade“, sagte der Held beiläufig und wies in die Richtung.
    Die Ritter reckten die Hälse und bekamen Stilaugen. Die Fischhändlerin gestikulierte am Stand eines schwabbeligen Lebensmittelverkäufers und feilschte. Ihr Sohn zeigte immer wieder aufgeregt auf die beiden Terrorvögel. Eine kleine Menschentraube hatte sich um den stinkenden Wagen versammelt, um zu gaffen.
    „Wo ist jetzt der Schmied?“ fragte der Held ungeduldig.
    Wortlos zeigte einer der Ritter in Richtung der Kaserne.

    Der Held betrat die Kaserne so selbstverständlich, dass die Wachen ihm nur verwundert nachsahen, statt ihn aufzuhalten. Die Paladinrüstung trug dann ihren Teil dazu bei, dass er nicht feindselig, sondern mit distanziertem Respekt behandelt wurde. Die Wachen und Soldaten gingen ihm eilig aus dem Weg. Die Ritter beobachteten ihn aufmerksam, aber nicht feindselig. Die Schmiede war leicht zu finden. Ein großer Mann mit dickem Bierbauch, aber kräftigen Armen schwang dort den Hammer. Ohne sich große Umstände zu machen, oder zu warten, bis der Mann seine derzeitige Arbeit verrichtet hatte, sprach der Held ihn an.
    „He du. Meine Rüstung ist beschädigt. Kannst du sie reparieren, oder mir zeigen wie ich das selbst erledigen kann?“
    „Wer quatscht mich da so scheel von der Seite an?“ murrte der Schmied und drehte sich zu ihm um. „Oh. Verzeihung“, setzte er rasch unterwürfig hinzu, als er die Paladinrüstung sah.
    Er ließ den Hammer sinken und riskierte so seinen derzeitigen Auftrag zu verhunzen. Der Schmied sah den Helden skeptisch an.
    „Kannst du denn schmieden?“ seinen Worten war zu entnehmen, dass er es untypisch fand, dass ein Paladin das konnte.
    „Klar kann ich. Sogar Erzwaffen, aber Rüstungen eben nicht. Wäre toll, wenn du mir das zeigen könntest. Heute noch wenns geht.“
    Der Schmied kratzte sich mit der linken Hand im Specknacken. Seine Mimik verriet, dass er nicht wusste wie er einem Paladin eine Abfuhr erteilen sollte.
    „Ich kann dir nicht an einem Tag das Rüstungsschmieden beibringen“, platzte es schließlich etwas hilflos aus ihm heraus.
    „Warum nicht?“ bohrte der Held nach.
    „Weil es nicht so einfach zu lernen ist. Es gibt viele Feinheiten. Du müsstest bei mir in die Lehre gehen. Und die Lehre dauert mindestens ein Jahr.“
    Der Held hob ungläubig eine Augenbraue.
    „Ist nicht dein Ernst.“
    Der sowieso schon verschwitzte Schmied schwitzte nun noch mehr.
    „Wenn du deinen Gesellenbrief dabei hast, der bestätigt, dass du bereits eine abgeschlossene Ausbildung als Waffenschmied durchlaufen hast, dann könnten wir die Lehre unter Umständen auf drei Monate verkürzen.“
    „Kommt gar nicht in Frage. Ich will heute noch einen Drachen töten und da soll die Rüstung in Ordnung sein.“
    Die Augen des Schmieds weiteten sich. Er warf die verhunzte Arbeit in einen Eimer und sagte dann: „Lass mich deine Rüstung mal sehen.“
    Der Held zog sich rasch aus und reichte dem Schmied die Rüstung. Nur noch in Unterbekleidung stand er da und zeigte auf den Riss in der Schulterpartie.
    „Siehst du hier. Da hat der Terrorvogel die Rüstung beschädigt.“
    „Der hat ja mächtig reingehauen“, brummte der Schmied. „Aber du bist in Ordnung?“
    In Erwartung eine schreckliche Wunde zu sehen, blickte der Schmied auf die linke Schulter des Helden.
    „Hab mich mit einem Heilzauber geheilt“, erklärte der Held, der sich nun, da er keine Rüstung trug sehr wachsam umsah.
    Er mochte es nicht ungerüstet herumzulaufen. Es war etwas ganz und gar ungewohntes und bisher war ihm das immer nur dann passiert, wenn er sich gerade in einer echt miesen Lage befand. So zum Beispiel als er gefangen und schließlich in die Barriere geworfen wurde, oder als Xardas ihn völlig abgemagert aus dem Schläfertempel herausteleportiert hatte. Natürlich könnte er eine der vielen anderen Rüstungen anlegen, die er in seiner Hosentasche herumtrug, doch das könnte bei den umstehenden Leuten vielleicht einen falschen Eindruck erwecken. Jetzt beobachteten ihn noch mehr Leute. Einige wirkten skeptisch, andere warfen ihm anerkennende Blicke für seinen durchtrainierten Körper zu. Um so eine Fitness zu erreichen, musste man sich mächtig ins Zeug legen, das wussten die anderen Krieger hier gut und viele wussten es zu würdigen, vielleicht auch gerade deshalb weil sie sich selbst nicht überwinden konnten derart motiviert zu trainieren. Während der Schmied arbeitete, schrieb der Held in sein Tagebuch. Es dauerte fast eine Stunde bis der Schmied die Rüstung repariert hatte und der Held zog sie gleich wieder an und verließ die Kaserne, um sich nun der Kirche zuzuwenden. Er vermutete, dass sich Feuermagier darin aufhielten und war gespannt zu erfahren, ob hier auch diese Magiekristalle verwendet wurden, so wie in Adloka.

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    Magiekristalle

    Als der Held am Innosplatz vorbeilief bemerkte er eine große Menschentraube, die sich hier versammelt hatte und ihm nun neugierige Blicke zuwarf. Der Held dachte sich, dass wohl das nächste Gebet anstand und betrat die Kirche. Die hohe Decke wurde von eleganten Bögen gehalten. Es gab hohe kunstvolle Buntglasfenster, die Innos umringt von Flammen zeigten. Das einfallende Licht wirkte durch die Farben warm. So wie in Khorinis gab es auch hier eine Art Thron, doch nur einen einzigen und nicht drei. Reihenweise Bänke standen in der Kirche, doch ob sie für die Gläubigen oder für die Novizen und Feuermagier gedacht waren, wusste der Held nicht. Vielleicht durften die Bürger ja nur zu besonderen Anlässen hereinkommen und mussten sonst draußen auf dem Innosplatz beten. Dafür sprach, dass gleich am Eingang ein Feuermagier stand, vielleicht um unliebsame Gäste abzufangen.
    „Hallo, ich bin der Feuermagier Joas. Bist du hier, um zu beten und den Segen Innos zu erfragen?“
    Dieser Feuermagier war kaum älter als er selbst. Seine braunen Haare sahen aus, als hätte ihm jemand einen Topf übergestülpt und dann alle darüber hinausragenden Haare abgeschnitten. Das Rot seiner Robe ähnelte der Farbe von Lava. Sie war nicht so reich verziert wie die des Feuermagiers aus Stahlstern, aber sie strahlte eine vergleichsweise schlichte Eleganz aus.
    „Das habe ich vorhin schon draußen auf dem Platz gemacht“, wiegelte der Held ab. „Ich bin hier um nach Magiekristallen zu fragen.“
    Die Augen des Magiers drückten Verblüffung aus.
    „Als Paladin solltest du beim Orden der Paladine in Vulkanhammer danach fragen. Ich habe hier ausschließlich Magiekristalle der Feuermagier.“
    „Hm…“, kam es vom Helden, denn er war sich unsicher was es genau mit den Magiekristallen auf sich hatte.
    Um das in Erfahrung zu bringen, wollte er den Magier erstmal darüber ins Bild setzen was er schon konnte. Vielleicht ließ sich daraus schlussfolgern, ob er die Magiekristalle auch anwenden könnte, oder ob er eine weitere Ausbildung brauchte.
    „Ich kann Runenmagie bis zum sechsten Kreis. Außerdem beherrsche ich die alte Magie. Kann ich mit diesem Vorwissen auch die Magiekristalle anwenden?“
    Alles an der Mimik des Feuermagiers verriet, dass er das nicht wusste, es so aber nicht direkt sagen wollte, um seine Unwissenheit nicht zu offenbaren.
    „Die alte Magie sagst du?“ fragte Joas vorsichtig nach.
    „Ja, die alte Magie, die wo man Innos um Macht fragt. Man sollte schon einiges gelesen haben, um damit etwas anfangen zu können.“
    Überraschung trat in die Augen des Feuermagiers.
    „Ach, du meinst die hohe Magie“, kam es ehrfürchtig vom Feuermagier. „Das wundert mich aber, dass du das kannst. Das liegt normalerweise weit über den Fähigkeiten eines Paladins. Nur die höchsten Magier wissen mit dieser Magie umzugehen.“
    Zunächst wunderte sich der Held darüber, doch dann fiel ihm ein, dass sich die Feuermagier aus Myrtana zunächst auch sehr schwer damit getan hatten. Bevor die Runenmagie außer Kraft gesetzt wurde, war die alte Magie fast vollständig in Vergessenheit geraten und erst als die Magier hilflos waren, begannen sie nachzuforschen. Doch selbst dann gestaltete sich das Studium der alten Magie für sie überraschend mühsam. Zumindest sah der Held es so. Nun, da die Runenmagie wiederhergestellt war, befassten sich nur noch die erfahreneren Magier in Myrtana mit ihr. Dazu gehörte nun auch Milten, der eifrig weiter forschte. Zumindest war das der letzte Stand des Helden. Er wusste ja nicht wie es ihm im Moment ging. Irgendwie erinnerte dieser Magier ihn leicht an Milten.
    „Die Magie der Runen ist doch aber auch schon sehr alt, oder?“ fragte Joas neugierig. „Hier werden schon seit über hundert Jahren keine Runen mehr verwendet. Hast du eine dabei? Lass mich doch mal sehen!“
    Der Held holte eine Lichtrune hervor, weil er davon noch zwei weitere hatte und es nicht weiter schlimm wäre, wenn dieser Feuermagier sie nicht mehr herausrücken wollte. Der Feuermagier nahm sie in die linke Hand und betrachtete sie eingehend. Dem Helden fiel auf, dass sie nicht in seiner Hand schwebte, so wie es normalerweise der Fall war, wenn man eine Rune benutzte. Nachdem er die Rune von allen Seiten betrachtet hatte, wirkte der Feuermagier unschlüssig. Er wollte wohl nicht fragen, wusste aber nicht wie er sonst weiterkommen sollte.
    „Und wie wendet man diese Rune an?“
    Der Held nahm die Rune zurück, ließ sie in seiner rechten Hand schweben und erklärte: „Ganz einfach, du konzentrierst dich, katalysierst die Magie und schon geht es los.“
    Er ließ ein weißes Licht über sich erstrahlen.
    „Hm…“ machte der Feuermagier und sein Mund presste sich zusammen.
    Er langte nach der Rune und versuchte es selbst noch einmal. Tatsächlich gelang es ihm dieses Mal die Rune anzuwenden. Auch über seinem Kopf schwebte jetzt ein gleißendes weißes Licht.
    „Stimmt, so schwer ist es dann doch nicht.“
    „Da ich dir weitergeholfen habe, kannst du mir nun bestimmt auch etwas zu den Magiekristallen verraten“, versuchte der Held den Feuermagier zu überreden.
    „Ganz so einfach wie mit den Runen ist es nicht. Jeder Zauber unterscheidet sich. Bei den Runen ist es doch so, dass man alle Runen aus einem Kreis anwenden kann, wenn man den gelernt hat, egal ob das nun Licht oder Feuerpfeil ist, oder?“
    „Genau“, stimmte der Held zu.
    „Nun, bei den Magiekristallen gibt es keine Kreise. Man muss jeden Zauber einzeln verstehen und lernen ihn anzuwenden.“
    „Zeig mir wie das geht!“ forderte der Held.
    Der Magier schürzte die Lippen und holte einen roten Magiekristall hervor. Er war kaum größer als ein kleiner Finger. Der Magier hielt den Kristall in der rechten Hand und tat dann irgendwas mit der Linken. Der Held hob eine Augenbraue. So wie es aussah wackelte der Feuermagier mit den Fingern und schien dann die Magie aus dem Kristall herauszuziehen, oder zu materialisieren. Das Abbild des Zaubers war nun in der linken Hand des Feuermagiers zu sehen, so wie es bei einer Rune auch der Fall wäre. Es war ein hellorangenes Licht. Der Magier entließ es in die Luft und das Licht weitete sich aus, wurde größer als das weiße Licht, das bereits über seinem Kopf schwebte, aber leuchtete weniger hell, dafür angenehm warm.
    „Und was ist jetzt der Unterschied zur Rune?“ wollte der Held wissen.
    „Ich weiß nicht ganz wie eine Rune funktioniert“, gab der Feuermagier tatsächlich zu. „Bei den Magiekristallen ist es so, dass man im Kristall eine magische Quelle schafft. Durch die Anwendung kann man die Quelle anzapfen und einen Zauber gewinnen.“
    „Das hört sich fast so an, als müsstest du jetzt erstmal warten, bis sich die Quelle wieder auffüllt“, schlussfolgerte der Held.
    Die Augen des Feuermaigers drückten Überraschung aus.
    „Das ist auch so. Jetzt sofort kann ich diesen Magiekristall nicht wieder nutzen. Ich müsste einen anderen Lichtmagiekristall verwenden. Je länger ich warte, umso kräftiger wird dann auch der Zauber. Hat sich die magische Quelle erst teilweise aufgefüllt, wird der Zauber manchmal sehr schwächlich, oder erfüllt nicht ganz die Erwartungen.“
    Der Held war leicht enttäuscht und das brachte er auch offen zur Sprache: „Das überzeugt mich jetzt nicht. Wieso sollte ich dann Magiekristalle verwenden, wenn Runen besser sind? Doch der Feuermagier in Stahlstern hat so getan, als wäre es besonders rückschrittlich Runen einzusetzen.“
    „Dann musst du bei den Runen nicht warten?“ fragte der Feuermagier aufgeregt.
    „Nein.“
    Der Held schüttelte entschieden den Kopf.
    „Interessant“, meinte Joas und der Held ahnte wie es in seinem Kopf arbeitete.
    „Aber wo sind dann jetzt die Vorteile dieser magischen Kristalle?“ bohrte der Held weiter nach. „Wenn ich einen Kreis der Magie gelernt habe, kann ich alle Runen dieses Kreises anwenden. Außerdem kann ich sie so oft einsetzen wie ich will, oder bis meine magische Kraft erschöpft ist. Von dem was du mir bisher von den magischen Kristallen erzählt hast sind die doch im Nachteil. Man muss jeden Zauber extra lernen und dann müssen die sich auch noch neu aufladen.“
    Der Feuermagier musste schmunzeln, weil sich der Paladin vor ihm so empörte. Vermutlich hatte er so ein Gespräch über Magie noch mit keinem Paladin geführt und der Held konnte sehen, dass er es geradezu genoss sich so über unterschiedliche Magiearten austauschen zu können.
    „Magiekristalle haben sehr wohl Vorteile.“
    Er setzte eine Pause und hielt den erschöpften Magiekristall in der rechten und die Lichtrune in der linken Hand.
    „Die Magiekristalle sind etwas kleiner und viel leichter als eine Rune, daher kann man sehr viele unterschiedliche Magiekristalle mit sich führen. Außerdem braucht man nicht so viel magische Kraft. Vorhin bei der Lichtrune habe ich gemerkt wie sie mich stark angestrengt hat. So als hätte ich einen Feuersturm verwendet. Daraus schließe ich, dass die höheren Runen sogar noch viel mehr magische Kraft benötigen.“
    Der Held sah nun verwundert aus. Wenn das was Joas sagte, stimmte, dann würde man tatsächlich einen enormen Vorteil mit den Magiekristallen haben. Der Held wollte alles daran setzen das selbst auszuprobieren. Aufmerksam hörte er Joas weiteren Ausführungen zu.
    „Ich weiß nicht wie Runen hergestellt werden, daher kann ich nicht wirklich sagen, ob es ein Vorteil ist, aber Magiekristalle lassen sich in großer Zahl herstellen.“
    „Und wie macht man das?“ wollte der Held gleich wissen.
    „Komm mit!“ sagte Joas aufgeregt.
    Ihm war der Eifer offen anzusehen und vielleicht dachte er daher gar nicht so genau darüber nach, ob er einem fremden Paladin solche Geheimnisse überhaupt anvertrauen durfte. Die beiden gingen durch die Kirche bis zu einer großen steinernen Vertiefung, groß genug, als das ein erwachsener Mensch bequem darin baden könnte. Sie war aber nicht im Boden, sondern befand sich auf einem Sockel, so dass man aufrechtstehend bequem damit hantieren konnte. Im Moment war das Steingefäß leer.
    „Das ist ein Magiebrunnen. Den nutzen wir um Magiekristalle zu erstellen. Zunächst brauchen wir die Rohlinge und für die brauchen wir Vulkanglas. Das gibt es in verschiedenen Farben. Schwarz, Rot und Blau. Leider ist das Schwarze das häufigste. Deshalb werden daraus auf den Vulkaninseln Waffen und Werkzeuge geschmiedet. Natürlich könnte man daraus auch Magiekristalle herstellen. Doch die schwarzen werden für Beliar Magie genutzt und daher sind sie für uns Feuermagier inakzeptabel.“
    „Ihr nutzt dann wohl die Roten und die Wassermagier die Blauen?“ vermutete der Held.
    „Exakt.“
    „Habt ihr hier auch so einen Hass auf die Wassermagier?“ wollte der Held wissen.
    Joas erschrak.
    „Was? Nein. Wir gehen uns für gewöhnlich nur aus dem Weg.“
    „Verstehe.“
    Eine drückende Stille breitete sich aus. Um sie zu durchbrechen fragte der Held: „Was passiert danach mit den Rohlingen?“
    „Wir schneiden sie zu. Wir möchten sie natürlich möglichst klein und handlich haben. Mit einem einzigen Ritual können so mehr als hundert Magiekristalle geschaffen werden. Dazu legen wir sie hier in den Magiebrunnen und füllen ihn mit Innos geweihtem Wasser auf. Nur die hohen Magier beherrschen die hohe Magie…“
    Joas verstummte.
    „Naja und du … aus irgendwelchen Gründen, also könntest du das vermutlich auch. Hm… ich finde es immer noch seltsam wie du zu dieser Magie kamst …“
    Er sah den Helden erwartungsvoll an, doch der erklärte nichts weiter, also setzte Joas seine Erklärung fort: „Die hohe Magie ist die reine Magie. Man braucht kein Hilfsmittel, um sie anzuwenden. Ein hoher Feuermagie wählt den Zauber, der in die Magiekristalle geleitet werden soll und dann wird er in dem magischen Ritual angewendet. Umso mehr Magier beim Ritual beteiligt sind und umso höher ihr magisches Wissen ist, umso mächtiger werden dann auch die Magiekristalle. Daher kann es große Unterschiede zwischen den Kristallen geben, selbst wenn sie die gleiche Art von Zauber bewirken.“
    „Das hört sich nicht gerade einfach an“, meinte der Held.
    „Dass es einfach ist habe ich nie behauptet“, entgegnete der Feuermagier. „Ich habe gesagt man kann viele Magiekristalle auf einmal herstellen.“
    Der Held fand das sehr komplex. Bei den Runen war es vollkommen egal wie mächtig der Magier bei der Erstellung war, so lange er verstand wie er einen Runentisch einsetzen sollte. Dass die Zauber bei den Magiekristallen so unterschiedlich ausfallen konnten war sehr wichtig zu wissen, denn sofort fiel dem Helden eine Frage ein: „Aber woher weiß man dann wie mächtig ein Zauber bei der Anwendung werden wird, wenn man den Magiekristall kaufen möchte?“
    Joas sah ihn aufmerksam an.
    „Bei uns werden Magiekristalle nie verkauft, sondern nur weitergegeben. Ritter und Paladine mit magischem Talent erhalten durch besondere Leistungen Magiekristalle. Bei uns Feuermagiern ist es ähnlich. Nur wer Erfolge erzielt, bekommt auch etwas dafür. Umso herausragender die Leistung, umso mächtiger der Zauber. Besonders mächtige Kristalle werden über Generationen hinweg weitergegeben, bis sie durch einen noch mächtigeren abgelöst werden.“
    „Aber wenn ihr doch so viele Magiekristalle herstellen könnt, warum macht ihr damit nicht haufenweise Gold?“ fragte der Held arglos.
    Joas schürzte missbilligend die Lippen.
    „Also von einem heiligen Streiter Innos hätte ich solche Worte nicht erwartet. Es geht doch nicht nur um Gold. Wir müssen doch sichergehen, dass diese Macht nicht in falsche Hände gerät. Wo kämen wir denn hin wenn Hinz und Kunz mit so großen Mächten hantieren?“
    „Aber wenn man es doch eh erst umständlich lernen muss …“, hielt der Held dagegen.
    „Trotzdem. Die Kristalle könnten ja auch jemanden in die Hände fallen, der sie ganz sicher nicht in die Finger bekommen sollte. Stellen wir uns mal vor, rein hypothetisch gesehen, du wärst gar kein Paladin, sondern ein Schuft, ein Schurke, oder vielleicht sogar ein Diener Beliars, ein Dämonenbeschwörer, der einen Paladin ermordet und seine Rüstung angelegt hat und ich würde dir einfach so unsere Magiekristalle gegen schnödes Geld verkaufen, dann hätte ich einen ganz schönen Bock geschossen. Du könntest unsere Magie dann gegen uns einsetzen.“
    Der Held kam nicht ins Schwitzen, oder wurde nervös. So leicht ließ er sich nicht aus der Ruhe bringen. Doch Joas hatte ihm aufgezeigt wo seine Grenze lag, daher fragte er nicht nach, was denn aber wäre, wenn so jemand einen Feuermagier töten würde, weil dann hätte derjenige die Kristalle ja auch.
    „Hm… ich werde nachher einen Feuerdrachen töten. Das gilt doch bestimmt als besondere Leistung, damit ich einen Magiekristall bekomme, oder?“ fragte der Held selbstsicher.
    Die Augen des Feuermagiers weiteten sich überrascht. Der Held verstand ja, dass ein Drache eine große Sache war, aber die Leute hier taten gerade so, als hätten sie nie erwartet, dass überhaupt einmal jemand etwas gegen diesen Drachen unternehmen wollte. Das musste ja ein Mordsbiest sein. Tatsächlich fachte das die Spannung des Helden auf die Auseinandersetzung immer weiter an. Sicher würde das ein nervenzerfetzender Kampf, bei dem er vielleicht gerade noch so dem Tod entging.
    „Bei Innos! Du allein? Bist du wahnsinnig?“
    „Nein, bin ich nicht. Das ist nicht der erste Drache gegen den ich kämpfe“, erklärte der Held leichthin.
    „Ich … äh … nun, dann … äh…“
    Joas versuchte seine Stimme wieder zu finden. Er rang nach Luft. Offenbar hatte er Mühe sich zu beherrschen. Er atmete ein paar Mal angestrengt ein und aus, um sich zu beruhigen und sagte dann: „Wenn das so ist, werde ich mit dir mitkommen. Ich habe noch nie gesehen wie jemand gegen einen leibhaftigen Drachen kämpft.“
    „Willst du etwa mitkämpfen?“ fragte der Held und schmunzelte, da er die Antwort schon ahnte.
    „Was? Ich? Ähm… ich denke, ich hätte dem Drachen nicht viel entgegenzusetzen.“
    Joas lief rosa im Gesicht an. Offenbar war es ihm peinlich, dass er zusehen, aber nicht mitkämpfen wollte.
    „Na gut, du darfst mitkommen, wenn ich dann einen gute Magiekristall bekommen, sollte ich den Drachen töten.“
    „Einverstanden. Ich sag nur schnell den anderen Feuermagiern Bescheid.“
    „Wo sind die denn eigentlich?“
    „Ach hier überall. Im Studierzimmer, in den Alchemielaboren, im Hof wo sie die Novizen beim Anbau der Kräuter beaufsichtigen.“
    „Ver-stehe“, kam es gedehnt vom Helden.
    Joas ging sofort los, offenbar ganz aufgeregt. Während der Held auf ihn wartete, sah er sich die Kirche eingehender an. Er fand, dass gerade die Buntglasfenster viel hermachten. In Myrtana war Glas seltener als Gold. Es war aufwendig herzustellen, der Transport war schwierig und dann ging es auch so schnell kaputt.
    Er hörte das Trappeln zahlreicher Füße und wandte sich um. Eine ganze Schar von Feuermagiern kam durch eine offene Pforte auf ihn zu. Er zählte acht.
    „Und du willst den Drachen wirklich erschlagen?“ fragte einer der älteren Feuermagier ganz aufgeregt.
    „Ja“, kam es knapp vom Helden.
    „Unglaublich“, sagte der höchste Feuermagier in prächtiger Robe mit heiserer Stimme.
    Er hatte nur noch schütteres Haar, fahle Haut und ungesund hervorquellende Augen.
    „Wollt ihr etwa alle mitkommen?“ fragte der Held.
    Sie nickten. Der Held stöhnte. Er hatte erwartet, dass Joas weggegangen war, um seinem Meister zu sagen, dass er die Kirche verließ und nicht, um gefühlt alle anderen Feuermagier herbeizuholen, damit die ihm auch hinterherlaufen konnten. Doch die Aussicht einen mächtigen Magiekristall zu bekommen lockte ihn.
    „Na gut, folgt mir!“

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    Tod dem Feuerdrachen

    Als sie die Kirche verließen, hatten sich noch mehr Bürger, Soldaten und Ritter auf dem Innosplatz zusammengefunden.
    „Was ist denn hier los? Das werden ja immer mehr“, sagte der Held verwundert, aber auch mit einer üblen Vorahnung.
    „Hast du denn noch jemandem gesagt, dass du den Drachen erschlagen willst?“ fragte Joas, der sich auch denken konnte was das sollte.
    „Klar, dem Schmied und diesen beiden Rittern da.“
    Der Held zeigte auf die beiden, die immer noch neben der Innosstatue standen. Sie diskutierten so laut mit vier Soldaten, dass er einige Wortfetzen aufschnappte: „Was heißt hier, nein? Wenn wir euch befehlen hier aufzupassen, dann habt ihr das zu tun!“, „Aber wir wollen auch beim Drachenkampf zusehen.“
    Offenbar fügte sich das Soldatenquartett, denn die beiden Ritter sahen dann doch noch zufrieden aus und suchten mit den Augen nun rasch nach der Gestalt des Helden. Der bewegte sich Richtung Nordtor und schon nach wenigen Metern merkte er, dass ihm mindestens vierzig Leute folgten. Genervt drehte er sich um und fragte: „Wollt ihr etwa alle mitkommen?“
    „Wann kann man schon mal einen Drachen sehen?“ fragte Gunterher.
    „Na immer. Ihr müsstet nur hingehen“, sagte der Held kaltschnäuzig.
    „Naja, aber das ist ja gefährlich“, meinte ein Bürger.
    „Und du scheinst dir deiner Sache sehr sicher“, sagte nun Numenehr.
    „Ja, du hast doch gesagt, dass du schon ein paar Drachen getötet hast“, sagte jetzt Joas.
    „Hab ich auch.“
    Der Held stöhnte.
    „Na schön, von mir aus könnt ihr alle mitkommen, aber wenn einer gefressen wird, ist das nicht mein Problem, klar? Ich konzentriere mich ganz auf den Kampf gegen den Drachen.“
    Einige nickten. Der Held drehte sich wieder um und verließ die Stadt, hinter ihm die Meute schaulustiger Leute. Die Stadtwachen sahen ihnen sehnsüchtig nach. Sie wären wohl am liebsten auch mitgekommen. Der Held gab sich keinen Illusionen hin. Von den Leuten hinter ihm würde ihn keiner im Kampf unterstützen, aber das wollte er auch gar nicht. Er wollte es ganz allein mit dem Drachen aufnehmen. Er hatte sich schon eine Strategie überlegt, doch nun, da er so viele Zuschauer hatte, würde er wohl keine Dämonen beschwören. Blitzschlag war aber auch sehr gut. Dass der ebenfalls zur Magie Beliars gehörte, hatte er ganz vergessen. Und natürlich hatte er Uriziel. Er war ganz heiß darauf das Schwert endlich mal gegen einen Drachen einsetzen zu können. Bisher hatte er es nur gegen einige Tiere, Orks, Untote, untote Orks und ein paar Dämonen geschwungen. Während sie der Straße folgten, dachte der Held auch über die Magiekristalle nach. Würde Joas ihm auch gleich zeigen wie er den erhaltenen Zauber einsetzen könnte? Nicht, dass er dann noch eine zeitraubende Lehre aufnehmen sollte, so wie der Schmied ihm das wegen der Rüstung angedroht hatte. Gesellenbrief. Pah! Was hatten sie hier alle mit ihrem Schreibzeug?
    Der Held war so sehr in Gedanken versunken, dass er etwas überrascht war, als er die Kreuzung erreichte. Er blieb stehen und sah sich die Schilder ganz genau an. So wie Gunterher gesagt hatte, ging es links nach Vulkanhammer und rechts zum Hochplateu. Er war in seiner üblichen Geschwindigkeit gelaufen und hatte gar nicht weiter auf seine Verfolger geachtet. Nun sah er sich nach ihnen um. Weit hinten konnte er die beiden Ritter Gunterher und Numenehr sehen und noch weiter hinten die Bürger und ganz weit hinten die Feuermagier. Der Held nutzte die Zeit, um sich ein paar Runen zurechtzulegen. Feuersturm, Eispfeil, Golem beschwören und große Wundheilung. Die Zauber der alten Magie hatte er jederzeit parat, da er für die keine Hilfsmittel benötigte. Als er Gunterher und Numenehr schnaufen hörte, setzte er seinen Weg fort, verließ den gepflasterten Weg und ging einen schmalen Pfad entlang.
    „He, warte doch mal!“ rief Gunterher, doch der Held achtete nicht auf ihn.
    Bisher war alles genauso gekommen wie die beiden Ritter ihm gesagt hatten. Er lief einen sanften, vom Schneematsch rutschigen Hügel hinauf und kam zu den Bauernhöfen. Die Bauern schauten verwundert zu ihm hin und als sie sahen, dass dem Helden ein ganzer Tross folgte, wurden sie richtig neugierig. Schlussendlich ließen sie ihre Arbeit liegen und folgten den vielen Menschen, denn wo so viele Leute liefen, da musste es richtig was zu gucken geben. Die Vegetation wurde spärlicher. Der Anstieg wurde schwerer und der Held wurde langsamer. Weniger, weil er erschöpft war, sondern, weil er sich geistig noch mal so richtig auf den Kampf gegen den Drachen vorbereiten wollte. Er ging alle Taktiken im Kopf noch einmal durch, und ließ dann probehalber seine Arme kreisen. Dabei bemerkte er, dass er den linken Arm leicht anders bewegte, als den rechten. Unterbewusst hatten die Anstrengungen der letzten Tage wohl Spuren hinterlassen. Der Held sagte sich, dass das zu gehen hatte und mit gedanklicher Gewalt brachte er seinen linken Arm dazu sich wieder genauso zu bewegen wie der rechte. Der Held nickte zufrieden. Wäre doch gelacht, wenn er sich von solcher Gefühlsduselei reinreden lassen würde.
    Die anderen Leute hatten nun etwas aufgeholt. Sie japsten und einige sahen furchtbar rot im Gesicht aus. Vermutlich waren sie solche entspannten Läufe über die Heide nicht gewohnt. Mit aufgeregt vor Vorfreude pochendem Herzen erklomm der Held das letzte Stück des Hügels und nun kam der Fuß des Vulkans in Sicht. Kaum hundert Meter trennten ihn vom Vulkangestein. Eine dunkle, große Höhle gähnte dort. Der Held ging noch einige Meter und blieb dann stehen, um sich eingehend umzusehen. Wo war der Drache? Eigentlich müsste er den doch sofort sehen, oder schlief er vielleicht in der Höhle? Sein Blick blieb bei einer roten Gestalt hängen. Sie lag auf einem großen Felsen und sonnte sich in den bescheidenen Strahlen der winterlichen Nachmittagssonne.
    Ungläubig starrte der Held das Wesen an und das starrte zurück.
    „Wollt ihr mich verarschen?“, platzte es aus dem Helden heraus. „Das ist doch nur ein Feuerwaran.“
    Er war ganz furchtbar enttäuscht. Wussten diese Leute denn nicht wie ein Drache aussah? Gut, ein Feuerwaran spuckte Feuer, so wie ein Drache auch, aber sonst hatten sie als Gemeinsamkeit nur noch, dass sie beide Reptilien waren. Entschlossen ging der Held weiter. Die Zuschauer blieben zurück. Sie trauten sich entweder nicht näher heran, oder sie konnten nicht mehr. Der eine oder andere stand nach vorne gebeugt da und versuchte wieder zu Atem zu kommen. Verpassen wollten sie jedoch nichts. Ganz aufgeregt sahen sie dem Helden nach. Der Feuerwaran beobachtete den Helden eingehend und als er fand, dass der Eindringling zu nahekam, stand er auf, kletterte vom Felsen herunter und stellte sich dem Helden in den Weg. Drohend fauchte er und schwang seinen Kopf hin und her. Den Helden imponierte das nicht. Er könnte diesen Kampf in die Länge ziehen, vielleicht würde er dann ein kleines bisschen spannend, doch dafür war er einfach zu enttäuscht. Kurzerhand wählte er seine Eispfeilrune aus, schoss diese dreimal auf den Feuerwaran ab, so dass der mit lautem Fauchen zusammenbrach und ging dann schnurstracks an ihm vorbei auf die Höhle zu. Vielleicht gab es ja doch einen Drachen und der lag da drin. Ja, so musste es sein. Die Höhle war zumindest groß genug. Der Held wirkte einen Lichtzauber, um sich in der Höhle besser umsehen zu können. Sie war aus schwarzem Stein und hier und da stieß er auf schwarzes Vulkanglas. Er ließ es erstmal liegen. Wenn hier doch ein Drache war, dann wollte er sich zunächst ganz auf den Kampf konzentrieren. Als er schon ein gutes Stück in die Höhle vorgedrungen war, hörte er aufgeregtes Getrappel und Gezappel. Helles Zischen ertönte und er sah kleine rote Körper, die sich eilig in enge Felsspalten flüchteten. Neugierig sah sich der Held das aus der Nähe an. Wie er erkannte, handelte es sich um kleine Feuerwarane. Das Tier draußen war wohl die Mutter gewesen, die nur ihre Brut hatte beschützen wollen.
    „Glaubt ja nicht, dass ich euch jetzt quer durchs Land schleppe und aufpäpple“, knurrte der Held, dem das Abenteuer mit den kleinen Schattenläufern gereicht hatte.
    Wie zur Antwort kam ein Fauchen aus einem Riss im Gestein. Der Held dachte nicht daran sie zu töten. Sie waren zu klein. Sie würden nicht die geringste Herausforderung sein und wie er in Myrtana gelernt hatte, war es wichtig, dass es Räuber und Beutetiere gab. Außerdem fand der Held, dass es den Leuten hier nur guttun konnte, wenn sie sich hin und wieder gegen irgendein Biest wehren mussten. Hätten die Bewohner hier schon mal einen echten Drachen gesehen, dann würden sie Feuerwarane sicher nicht für Drachen halten und so einen Blödsinn erzählen. Verärgert sah sich der Held weiter um. Einen Drachen gab es hier wirklich nicht. Den hätte er längst bemerkt. Er hielt auch nach drachenartig geformten Felsen Ausschau. Immerhin hatte Pedrakhan fast selbst wie ein Fels ausgesehen, aber nichts dergleichen war zu sehen. Nur schwarzes lebloses Vulkangestein. Einige abgefressene Schafsknochen waren zu sehen, mehr nicht. Das bei weitem interessanteste war das Vulkanglas in der Höhle. Der Held fand in der Nähe der Feuerwaranbruthöhle rotes Vulkanglas, hinten bei einer Quelle blaues und vorne beim Eingang schwarzes Vulkanglas. Von jeder Sorte packte er sich etwas in die Hosentasche und verließ die Höhle dann wieder. Dort draußen standen die Menschen mittlerweile dicht gedrängt rund um den Feuerwaran und bestaunten ihn. Der eine oder andere fasste ihn auch an, fuhr über die Schuppen und das seltsame mit Haut bespannte Segel auf dem Rücken.
    „Du hast ihn getötet“, sagte Joas fassungslos.
    „Ja, was dachtest du denn?“ fragte der Held sauer.
    Er war immer noch sehr enttäuscht.
    „Das ist kein Drache, nicht mal ein kleiner, sondern nur ein Feuerwaran“, setzte der Held hinzu.
    „Kein Drache?“ fragte Gunterher erstaunt.
    „Ich kann beschwören, der hat Feuer gespuckt“, sagte einer der Bauern eisern.
    „Das macht ihn noch nicht zum Drachen. Ja, das Feuer von Feuerwaranen ist gefährlich. Deshalb sollten sie am besten auch aus der Distanz erledigt werden, aber ein Drache ist ein ganz anderer Gegner“, erklärte der Held in scharfem Ton.
    Vielleicht dachte Numenehr, dass die Ritter sich zum Gespött gemacht hatten, weil sie sich nicht getraut hatten das Reptil anzugreifen, denn er gab ganz ehrlich zu: „Der hätte mich bestimmt verbrannt. Ich hätte ihn sicher nicht einfach so töten können.“
    „Tja, der eine kann, der andere nicht. Ich kann, du nicht“, sagte der Held trocken.
    Einige Menschen sahen ehrfürchtig zum Helden hoch, andere wirkten verlegen und wieder andere fast schon etwas enttäuscht, weil der Kampf so schnell vorbei war.
    „Was soll jetzt mit dem Feuerwaran geschehen? Kann ich ihn ihm die Trophäen abnehmen?“ fragte der Held ungeduldig.
    „Oh nein, den nehmen wir mit. Der wird ausgestopft und ausgestellt“, sagte Gunterher und mit „wir“, meinte er wohl die Soldaten, denn die sollten jetzt anrücken, eine Trage aus Birkenästen bauen und ihn so nach Hirschtal zurückbringen. Darauf würde der Held freilich nicht warten. Er wollte gerade gehen, doch er wurde von dem obersten Feuermagier aufgehalten, der fragte: „Du hast Eispfeil benutzt. Gleich drei Mal hintereinander. Das war eine Rune, oder?“
    Der Held nickte.
    „Dann kannst du auch Wassermagie einsetzen?“ fragte der alte Feuermagier, obwohl er es selbst gesehen hatte.
    „Ich kann alles“, sagte der Held kurz angebunden und ging davon, den Hügel wieder hinunter.
    Wut und Enttäuschung ließen ihn noch schneller gehen, als auf dem Weg hierher. Er war schon ein gutes Stück den Hang hinab gekommen, als er etwas aus dem Augenwinkel erblickte. Dort am Waldrand sah der Held im Schatten der Bäume einen großen Terrorvogel schlafen. Aus Frust, um den spannenden Kampf mit einem Drachen betrogen wurden zu sein, änderte er seinen Kurs und hielt auf das schlafende Tier zu. Die Anhänger, die ihm schon folgten, reagierten mit beunruhigtem Gerede und blieben zurück. Der Held wartete gar nicht darauf, dass das Tier ihm erst drohte. Er hielt geradewegs auf den Vogel zu, holte Uriziel von seinem Rücken und schlug zu. Der Terrorvogel hatte sich gerade erst erhoben und sah verwundert auf den kleinen Gegner vor sich. Schon hatte er den ersten Hieb kassiert und begann zu brennen. Das Tier kreischte und hieb dann mit seiner rechten Klaue aus. Mit einem hässlichen Knirschen schabten die Klauen über die Paladinrüstung, doch sie hatten nicht so viel Kraft wie der fürchterliche Schnabel, so dass die Rüstung zwar oberflächlich beschädigt, aber nicht durchdrungen werden konnte. Wütend holte der Held aus und trieb Uriziel mit Wucht tief ins Fleisch des Vogels, der daraufhin kreischend zusammenbrach. Umstandslos hackte der Held mit Uriziel grob ins Fleisch und holte einige große blutige Fleischbrocken heraus und steckte sie in die Tasche. Er hatte nicht die Geduld sich alles zu holen. Was nicht gleich zu bekommen war, ließ er liegen. Sollte es sich doch jemand anders holen. Kaum war er weg, kamen die anderen Menschen näher, zeigten auf den Terrorvogel und redeten aufgeregt.
    „Hast du gesehen, einfach so kalt gemacht hat er den“, „Ja, mit seinem Riesenschwert“, „der Wahnsinn!“, „Ein großer Krieger ist das, jawohl.“
    Der Held scherte sich nicht um das Gerede der Leute. Andere wären in den Lobeshymnen vielleicht aufgegangen, hätten sich gefreut, hätten sich feiern lassen. Doch dem Helden lag nichts daran. Er freute sich nicht, wenn die Leute ihn bejubelten, aber er schämte sich auch nicht, wenn die Leute ihn beschimpften. Er wurde dann höchstens wütend und zog sein Schwert, aber das war noch einmal etwas anderes.

    Zurück in Hirschtal suchte sich der Held zuerst eine Feuerstelle, um das Fleisch zu braten. Die fand er in der Kaserne. Dort gab es eine große Küche. Verwundert sahen ihn einige Küchenjungen und der Koch an.
    „Was machst du hier?“ fragte der Koch ruppig.
    „Wonach sieht‘s denn aus?“ gab der Held bissig zurück.
    Einer der älteren Küchenjungen wagte es seinem Chef zuzurufen: „Das ist ein Paladin! Lass ihn einfach, oder willst du, dass wir alle Ärger kriegen?“
    Der Koch schnaubte und widmete sich dann wieder seinen Aufgaben. Als der Held das erledigt hatte, trat er wieder auf den Markt. Die Schaulustigen kamen gerade zurück und verteilten sich. Gefühlt jeden den sie trafen erzählten sie was auf ihrem kleinen Abenteuer passiert war. Auch die Feuermagier blieben vor der Kirche stehen und informierten dort ihre zurückgebliebenen Kollegen, die aufgeregt auf sie gewartete hatten. Der Held wollte nicht länger warten und stieß zu ihnen.
    „Es war nur ein Feuerwaran, bekomme ich trotzdem einen Magiekristall?“
    Die Feuermagier tauschten einen Blick.
    „Ich … ähm… hatte ihm einen Magiekristall versprochen, wenn er den Drachen erschlägt“, sagte Joas und seine Nase wurde ganz rot.
    Der oberste Feuermagier schnaufte, aber sagte dann: „Na gut. Du bist zwar nicht von hier, aber du hast diesen Feuerwaran erledigt. Für dich scheint das keine große Sache gewesen zu sein, doch hier hat sich keiner getraut gegen das Biest zu kämpfen. Zur Belohnung darfst du zwischen folgenden Magiekristallen wählen: Feuerpfeil, Feuerball, Feuersturm, Wunden heilen, Krankheit heilen, Kälte trotzen, Feuerresistenz, Läuterfeuer und Waffe segnen.“
    Die meisten dieser Zauber kannte der Held bereits. Kälte trotzen, Feuerresistenz und Läuterfeuer jedoch noch nicht. Bei den ersten beiden konnte er sich schon denken wozu die gut waren. Doch beim dritten musste er nachfragen.
    „Was genau ist denn Läuterfeuer?“
    „Das Läuterfeuer ist ein reinigendes Feuer. Es kann Gegenstände von magischer Verunreinigung befreien. Wenn ein Beliar Zauber auf etwas liegt, kann man es mit diesem Zauber davon befreien. Von Paladinen wird es gerne gegen Untote eingesetzt“, erklärte der oberste Feuermagier.
    „Hört sich gut an, das nehme ich“, entschied der Held.
    Der oberste Feuermagier erklärte ihm wie er den Zauber einsetzen konnte. Der Held hörte aufmerksam zu und hatte den Zauber gelernt.
    „Auf dass du damit vielen Untoten Innos gerechten Zorn entgegenbringst und heilige Stätten in altem Glanz erstrahlen lässt“, sagte der oberste Feuermagier feierlich und übergab dem Helden einen kleinen im abendlichen Licht rot schimmernden Magiekristall.
    Der Held betrachtete den kleinen Kristall eingehend und ließ seine Gedanken kreisen. Joas hatte erzählt, dass ein hoher Feuermagier hohe Magie einsetzt, was für den Helden als alte Magie bekannt war, um die Magiekristalle zu erschaffen, doch Läuterfeuer, Kälte trotzen und Feuerresistenz kannte der Held gar nicht als alte Magie. Er konnte sie nicht bei Innos erfragen. Ihm fiel ein, dass er nicht alle Zauber, die er jetzt kannte gleich bei den Göttern hatte erfragen können. Zeitblase, Schlösser öffnen und Hagelsturm hatte er erst lernen können, als er die göttlichen Artefakte von Adanos im Auftrag von Xardas vernichtet hatte. Joas hatte erzählt, dass die Feuermagier und Paladine erst Magiekristalle erhalten, wenn sie besondere Leistungen erbringen. Vielleicht hielten es die Götter ähnlich? Erst wenn er sich als würdig erwies, oder den Göttern zu besonderen Diensten war, erlaubten sie ihm gewisse Zauber zu lernen. Vielleicht hatte Innos es einfach nicht als notwendig erachtet, dass er alle seine Zauber können sollte, oder er hielt es vielleicht sogar für gefährlich. Vielleicht wussten die Feuermagier mehr darüber. Ob sie es ihm erzählen würden? Er überlegte gerade wie er seine Frage formulieren sollte, damit sie ihm möglichst viel erzählten, da hörte er wie Gunterher scheppernd auf ihn zukam und ihn ansprach.
    „Fürst von Hirschtal hat von deiner Heldentat gehört und möchte dich sehen.“
    „Ist das so?“ fragte der Held skeptisch.
    „Ja, natürlich. Na los, der hat sicher eine Belohnung für dich.“
    Das ließ den Helden hellhörig werden und so folgte er dem Ritter. Sie hatten die Residenz fast erreicht, da hörte er etwas entfernt eine vertraute Stimme. Er drehte sich um und stöhnte innerlich. Alligator Jack, Bones, Morgan und Bill wurden von einem Trupp Ritter und Soldaten durch die Stadt und zur Kaserne geführt.
    „Was ist denn da los?“ wollte der Held von Gunterher wissen, denn er musste sich unwissend stellen, um keinen Verdacht zu erregen.
    „Ach, irgendwelches Gesocks, das von der Patrouille aufgegriffen wurde“, meinte der Ritter nur und verzog abschätzig das Gesicht.
    Es war erstaunlich. Der Held wurde von diesem Ritter so geschätzt, weil er eine Paladinrüstung trug. Wäre er ihm als Pirat begegnet, hätte er vermutlich eine völlig andere Meinung von ihm, selbst wenn er den Feuerwaran ebenfalls getötet hätte.

    Die Residenz des Fürsten war sehr prächtig eingerichtet. Das hochwertige Mobiliar war weiß bestrichen, wohl damit es noch edler aussah. Er selbst empfing den Helden in einem großen Saal, der mit dem Wappen seines Hauses geschmückt war. Ein goldener Hirschkopf im Profil auf braunem Grund. An der Decke hing ein goldener Kronleuchter und die Wände waren mit großen kitschigen Malereien bedeckt. Sie zeigten Leute, die sich an lauschigen Plätzchen in der Natur aufhielten und unterhielten. Komischerweise waren sie alle nackt und irgendwer spielte immer Musikinstrumente.
    In der Realität war zum Glück keiner nackt, denn der Fürst sah nicht gerade athletisch aus. Der Held konnte vielmehr erahnen, dass er dem Essen und Wein sehr zugetan war. Sein von einem fein gestutzten weißen Bart umrahmtes Gesicht lächelte ihm freundlich entgegen.
    „Ich habe schon von deinen Heldentaten gehört, reisender Paladin. Meine Ritter sind sehr beeindruckt. Du sollst dieses Biest mit drei magischen Angriffen niedergestreckt haben und mit deinem wunderbaren Schwert hast du wohl auch ganz allein einen furchterregenden Terrorvogel bezwungen.“
    „Ja“, sagte der Held einfach nur.
    „Ich hatte demjenigen, der den Feuerdrachen erschlägt die Hand meiner Tochter versprochen“, verkündete Fürst von Hirschtal vollmundig und zeigte auf die junge Frau, die neben ihm stand und die der Held bisher nicht groß beachtete hatte.
    Die Tochter des Fürsten war … nun … durch die Blume gesagt war sie der Löwenzahn unter den Rosen. Auch ihr Charakter wirkte, soweit der Held das mitbekommen hatte, unscheinbar. Die ganze Zeit stand sie nur still da, schaute auf den Boden und ließ nur dann und wann einen ehrfürchtigen Blick zum Helden huschen. Der Held versuchte sich möglichst nichts anmerken zu lassen, doch eine gehobene Augenbraue konnte er nicht vermeiden. Nicht nur, dass die Versprochene so gar nicht nach seinem Geschmack war, er wollte hier ganz sicher nicht sesshaft werden, daher steuerte er eilig dagegen: „Oh, das wusste ich nicht. Ich war gar nicht auf eine Belohnung aus. Ich wollte nur die Menschen vor dem Biest beschützen und letztendlich war es ja nur ein Feuerwaran, daher bin ich der Belohnung unwürdig.“
    „Ach, du bist zu bescheiden“, sagte der Fürst und öffnete wie zum Willkommensgruß die Arme. „Es war doch meine Schuld, dass ich nicht wusste, dass es kein Drache ist. Ich käme mir schäbig vor, jetzt einen Rückzieher zu machen. Du hast dich in Erwartung eines Drachen heldenhaft dem Kampf gestellt und dieser Feuerwaran hätte meinen Männern sicher ganz schön eingeheizt, da sie mit so einem Biest nicht umzugehen wissen. Daher finde ich, dass du die Vorgaben voll erfüllt hast. Bleib bei mir, als mein Schwiegersohn.“
    Langsam kam der Held ins Schwitzen. Er suchte nach einer Ausrede, die sich nicht nach einer solchen anhören würde und die zu einem strahlenden Paladin passte.
    „Aber ich bin ein fahrender Paladin. Wenn ich hierbleibe, dann könnte ich doch keinen Menschen in Not mehr helfen.“
    Mit dieser Formulierung war der Held sehr zufrieden. Zum einen hörte sich das nobel an, zum anderen hatte er nicht spezifiziert was das denn für Menschen waren, denen er da helfen wollte.
    „Aber du könntest doch auch den Menschen hier helfen“, versuchte der Fürst ihn zu überreden, da er merkte, wie ihm der Preishirsch durch die Lappen zu gehen drohte.
    „Wie ich gesehen habe wird deine Stadt von zahlreichen tüchtigen Rittern beschützt. Ich weiß sie daher in guten Händen.“
    „Es ehrt mich, dass du das sagt“, antwortete Fürst von Hirschtal und beinahe ärgerte er sich wohl über seine offenbar guten Männer. „Ach, du bist so ehrenhaft, nobel und bescheiden. Du trägst die Tugenden eines wahren Paladins in deinem Herzen.“
    Der Held fragte sich, ob er den falschen Weg gegangen war. Hätte er sich ungehobelt verhalten, hätte der Fürst ihn vielleicht schnell wieder loswerden wollen.
    „Nun, überleg es dir. Du bist von dem anstrengenden Tag sicher erschöpft und möchtest dich ausruhen. Meine beste Dienerin soll dich in unser vortrefflichstes Gästezimmer geleiten und dort mit allem versorgen, wonach dir der Sinn steht.“
    Die Dienerin, die nun hereinkam war bei weitem interessanter als die Tochter des Fürsten. Sie mochte ein paar Jahre jünger sein als der Held, steckte in einem schlichten, aber gut geschnittenen hellblauen Kleid und zwinkerte ihm aus Haselnussbraunen Augen keck zu. Sie führte ihn zum Gästezimmer, das wirklich großzügig war. Es gab ein bequem aussehendes Himmelbett, eine gemütliche Sitzecke und einen Tisch auf dem eine Schale mit Äpfeln stand. Außerdem gab es eine eigene Waschschüssel und Handtücher.
    „Du möchtest dich doch bestimmt frisch machen, oder?“
    Sie wartete gar nicht auf eine Antwort, sondern sagte gleich darauf: „Ich hole dir sofort heißes Wasser.“
    Die Tür schloss sich und der Held stand allein im Gästezimmer. Er nahm sich einen Apfel und während er aß überlegte er wie seine nächsten Schritte aussehen konnten. So wie er die Blicke der Dienerin einschätzte, hätte die wohl nichts gegen eine interessante Nacht im frisch aufgeschüttelten Himmelbett. Dem war der Held nicht abgeneigt, doch zwei Punkte störten ihn. Zum einen konnte es sein, dass er am nächsten Morgen noch lange im Bett liegen würde und dann wäre es nicht so leicht die sogenannte Belohnung von Fürst von Hirschtal auszuschlagen. Sicher, er könnte einfach ablehnen und gehen, aber ob der das so gefasst aufnehmen würde? Zum anderen könnte es morgen früh vielleicht schon zu spät sein. Er wusste nicht wobei die anderen Piraten aufgegriffen wurden und daher konnte er auch nicht sagen was ihnen blühte. Vermutlich wurden sie in eben diesem Moment fürchterlich gefoltert. Vielleicht flößten ihnen die Wachen diese widerlichen Gärfische ein, damit sie endlich auspackten.
    Die Tür öffnete sich leise und die hübsche Dienerin trat ein. Sie goss aus einer Kanne dampfend heißes Wasser in die Wanne und gewährte dem Helden dabei tiefe Einblicke in ihren Ausschnitt. Als sie sich langsam und elegant wieder aufrichtete, fragte sie mit honigsüßer Stimme: „Was kann ich noch für dich tun?“
    Sie lächelte ihn an. Der Held seufzte. Es war gar nicht so einfach zu sagen: „Im Moment nichts. Lass mich allein.“
    Sie sah etwas enttäuscht aus, sagte aber: „Wie du wünscht. Wenn du mich doch noch brauchst, läute einfach.“
    Sie zeigte auf eine Glocke, die mit einer Schnur verbunden war, die aus dem Zimmer führte. Sie verließ das Gästezimmer, aber nicht ohne ihm noch einen langen Blick von der Tür her zuzuwerfen. Der Held seufzte noch mal, als sie gegangen war und knurrte: „Verfluchter Alligator Jack. Wobei haben die sich nur erwischen lassen?“
    Er sah aus dem Fenster. Von hier aus hatte er einen guten Blick über die Kaserne. Ihm fiel auf, dass von der Kaserne Treppen die Mauer hinauf führten. Das ergab Sinn, denn immerhin sollten die Wachen schnell auf die Mauer kommen. Für ihn konnte das zum Vorteil werden. Immerhin wollte er seine Kameraden befreien, möglichst, ohne dass sie gesehen wurden. Er verließ das Gästezimmer und während er die Gänge des Gebäudes entlang ging, achtete er darauf von so wenigen Leuten wie möglich gesehen zu werden.
    „Na, noch ein abendlicher Rundgang?“ fragte ihn eine Wache gut gelaunt.
    „So ist es“, hielt der Held sich knapp.
    Ohne Umwege hielt er auf die Kaserne zu.
    „He du, wo sind die Gefangenen untergebracht?“ wollte er von einer Wache am Tor wissen.
    „Wieso willst du das wissen?“ wagte die Wache zu fragen.
    „Eh, weißt du nicht wer das ist?“ raunzte ihn sein Kamerad an. „Das ist der Held, der den Feuerwaran und die drei Terrorvögel getötet hat.“
    „Ja, schön, aber ich darf doch wohl trotzdem fragen warum er zu den Gefangenen will?“ knurrte die erste Wache zurück.
    „Ich will helfen dieses Gesindel zu verhören“, log der Held.
    „Na wenn das so ist... Du gehst hier über den Appellplatz, dann nach rechts, dort hinten die Treppe runter und schon bist du da.“
    Der Held hielt sich an die Anweisungen und kam so wenig später am Fuß der Treppe zu den Gefängniszellen. Dort waren in die Mauern mehrere Türen eingelassen. Es stand zwar nur eine Wache vor dem Gefängnistrakt, aber es war ein Ritter. Der Held erkannte ihn als Numenehr.
    „He, was machst du denn hier?“ fragte er. „Ich dachte du lässt es dir beim Fürsten gut gehen.“
    „Ich war noch nicht müde und möchte euch noch bei den Gefangenen helfen“, sagte der Held.
    „So? Was willst du denn machen?“ fragte Numenehr verwundert.
    „Na, die müssen doch bestimmt verhört werden. Oder haben die etwa schon gestanden? Ich bin echt gut. Bei mir packt jeder aus, das kannst du wissen.“
    Numenehr bekam wieder große Augen.
    „So? Hm… also wir haben sie aufgegriffen, als sie einen Hirsch gejagt haben.“
    „Und?“ wollte der Held wissen, weil er das nicht als Verbrechen erkannte.
    „Naja, alle Hirsche hier gehören Fürst von Hirschtal. Nur er darf sie jagen. Wenn es jemand anders tut, ist das Wilderei.“
    „Hm… Aber auf Terrorvögel und Feuerwarane bezieht sich dieses Verbot nicht, oder?“ fragte der Held und zwinkerte dem Ritter zu.
    Der lachte.
    „Nein, natürlich nicht. Das sind ja Bestien.“
    Er lachte noch ein bisschen und sagte dann wieder ernst: „Wir vermuten, dass das Piraten sind, aber bisher haben wir noch nichts aus ihnen herausbekommen können. Die wissen bestimmt warum. Auf Piraterie steht hier nämlich die Todesstrafe.“
    „Na, dann lass mich mal zu ihnen rein. Die werden schon reden.“
    „Aber mach keine Schweinerei, sonst müssen wir einen Bericht schreiben, der aussagt wie es dazu kam“, schärfte ihm Numenehr ein.
    „Mach dir keine Sorgen“, sagte der Held und wartete darauf, dass der Ritter ihm die Tür aufschloss.
    „Wenn du wieder raus willst, klopfst du dreimal. Ich muss wegen der Vorschriften hinter dir zuschließen.“
    Der Held trat in die Zelle ein. Es war sehr dunkel und er brauchte einen Moment, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Bevor er noch etwas sehen konnte, wurde er schon angesprungen. Fast wäre er umgerissen wurden, doch der Held verteilte ein paar saftige Ohrfeigen, damit sie von ihm abließen und knurrte: „Hört auf mit dem Scheiß! Ich bins doch!“
    Alligator Jack und sein Entertrupp hatten ihn offenbar zuerst nicht erkannt und ihn daher angegriffen. Jetzt hielten sie inne.
    „Bei Beliars Scheißhaus … du?“ fragte Bones verwundert.
    „Was zum Henker machst du denn hier?“ wollte nun Alligator Jack wissen.
    Der Held legte den Zeigefinger an die Lippen.
    „Leise. Die Wache draußen versucht sicher zu lauschen. Da war euer Angriff doch zu was gut. Ich hab ihm gesagt ich will euch verhören.“
    „Wo hast du diese scheiß glänzende Rüstung her?“ zischte Bones.
    „Erzähl ich euch ein andermal. Jetzt will ich euch hier rausholen. Wie seid ihr überhaupt hier reingekommen?“
    „Greg hat uns zur Jagd ausgeschickt. Du weißt, ich bin ein guter Jäger, doch Morgan war unachtsam und ist dem Hirsch blind nachgejagt, ohne zu sehen wo der überhaupt hinrennt.“
    „Aber wenn du ihn schon mit einem Schuss getötet hättest, dann wär der überhaupt nicht mehr gerannt!“ schimpfte Morgan.
    „Ruhe!“, mahnte der Held.
    Alligator Jack führte seine Erzählung leise flüsternd fort.
    „Jedenfalls hat eine Patrouille gesehen wie Morgan hinter dem Hirsch her ist und als wir anderen nachkamen haben die uns aufgegriffen. Waren zu viele …“
    „Ja und auch drei Ritter waren dabei“, setzte Bill hinzu.
    „Hätte nichts gebracht sich zu wehren“, meinte Alligator Jack.
    „Immerhin wären wir im Kampf gestorben und nicht am Strick“, meinte Bones.
    „Na da hätten wir ja was gekonnt“, meinte Bill. „Was ist dein Plan, wie kommen wir hier raus?“
    „Also ich tu jetzt so, als würde ich euch laut verhören. Dann geh ich raus und entferne mich, so dass der Typ denkt, dass ich nichts mit eurem Ausbruch zu tun habe. Ich werde ihn mit einem Schlafzauber ins Land der Träume schicken und dann kann Bill die Tür aufknacken.“
    „Sie haben mir meine Dietriche abgenommen“, murrte Bill.
    Der Held seufzte.
    „Was bist du denn für ein Dieb? Man hat doch immer ein paar Dietriche in einem extra Versteck.“
    „Glaub mir, die waren sehr gründlich“, sagte Bill und der Held konnte deutlich unterdrückte Wut und Scham aus seiner Stimme heraushören.
    „Hier nimm!“ flüsterte der Held und sie hörten wie etwas Metallisches auf dem Steinbogen aufschlug. „Wenn ihr draußen seid, schleicht ihr die Treppe rauf und dann immer geradeaus, da kommt ihr die Treppe zur Mauer hoch. Dort seilt ihr euch dann ab und seid verschwunden.“
    Der Held warf ihnen noch ein Seil aus seiner Hosentasche zu.
    „Hört sich ja einfach an“, meinte Alligator Jack.
    „Wenn ihr es nicht verbockt, ist es das auch“, sagte der Held optimistisch.
    „Und was machst du?“ wollte Bill wissen.
    „Ich versuche möglichst viele Wache abzulenken, so dass sie in ihrer Wachsamkeit nachlassen und ihr größere Chancen habt zu fliehen. Wir treffen uns dann auf dem Schiff.“
    Unvermittelt hörte der Held auf zu flüstern und brüllte laut: „Redet endlich ihr verlaustes Pack von Seehunden!“
    Die Piraten wussten was sie zu tun hatten, sie fingen laut an zu jammern und zu wimmern, so dass der Eindruck entstand, dass sie gerade übel gequält wurden. Als der Held der Meinung war, dass das nun genug Theater war, klopfte er dreimal laut an der Tür. Er hörte wie ein Schlüssel das Schloss aufschloss und die Tür knarrte. Die Nacht draußen kam ihm ungewöhnlich hell vor. Als er ins Freie trat, fragte Numenehr gespannt: „Und?“
    „Ich hab sie zum Reden gebracht. Das sind wirklich Piraten. Ein großes Schiff voller Paladine von Adloka, das „Innos Zorn“ heißt, hat das Schiff der Piraten hier ganz in der Nähe versenkt. Das sind die wenigen Überlebenden des Pirattenschiffes. Sie konnten sich hier an die Küste retten. Sie sagten, sie hätten den Hirsch nur angegriffen, weil sie am Verhungern wären.“
    „Soso, na das hilft ihnen jetzt auch nichts mehr. Morgen kommen sie an den Galgen. Gut gemacht. Wir könnten mehr Leute wie dich gebrauchen“, sagte Numenehr und freute sich.
    Er hatte die Erklärung des Helden offenbar geschluckt.
    „Reicht mir aber auch heute. Ich frag die anderen mal, ob sie noch was mit mir trinken“, sagte der Held und zwinkerte dem Ritter zu.
    „Und ich muss hier Wache stehen. Schade“, sagte Numenehr traurig.
    „Nächstes Mal vielleicht“, sagte der Held und ging die Treppe hinauf.
    Er verharrte auf dem nächsten Absatz, wartete einen Moment und sah sich wachsam um. Niemand zu sehen. Der Held wählte den Schlafzauber aus und belegte Numenehr damit. Der fing zuerst an zu gähnen und lehnte sich dann müde gegen die Mauer. Gut, dass er sich nicht gegen die Zellentür gelehnt hatte. Kaum fing der Ritter an zu schnarchen, konnte der Held hören wie sich Bill an der Tür zu schaffen machte. Das war für den Helden das Stichwort hier zu verschwinden. Auf dem Appellplatz traf er auf zwei Soldaten, die gerade in seine Richtung unterwegs waren.
    „Du bist doch der Paladin, der den Drachen getötet hat, oder?“ fragte der eine atemlos.
    „Feuerwaran, es war ein Feuerwaran“, verbesserte der Held. „Aber ja, den hab ich getötet. He wie wär‘s, wollen wir zur Feier des Tages ein paar Biere kippen?“ fragte der Held und lächelte schelmisch.
    „Hört sich gut an.“
    „Vielleicht hat ja noch jemand Lust? Umso mehr wir sind, umso lustiger wird’s“, meinte der Held locker.
    „Gute Idee, los Ingo hol mal alle zusammen!“, trug der eine Soldat seinem Kameraden diese Aufgabe auf.
    Der Held wusste nicht, ob wirklich alle Ritter, Wachen und Soldaten zusammengekommen waren, doch es waren recht viele. Sie waren fast vierzig Mann im Speisesaal. Das Bier floss in Strömen. Später kletterten sogar zwei der Stadtwachen auf einen der Tische und tanzten. Sie hatten wohl zu tief ins Glas geschaut.
    „Runter da, ihr Schlumpen!“ rief ein ebenfalls schon gut bedienter Ritter.
    „Haaha, Schlumpen, er hat Schlumpen gesagt“, kam es von Gunterher, der sich vor Lachen schüttelte.
    Der Held lachte und trank mit, doch er konnte das ungute Gefühl sich falsch entschieden zu haben nicht ganz abschütteln. Wenn er bei den Piraten geblieben wäre, hätte er gewusst, ob sie Hilfe brauchten, vielleicht war irgendetwas schief gegangen und sie saßen schon wieder in der Zelle. Andererseits wäre die Wahrscheinlichkeit, dass sie auffielen mit seiner reflektierenden Rüstung auch größer gewesen. Als er der Meinung war, er hätte jetzt lange genug gewartet, stand er auf und sagte leicht lallend: „So genug. Es war ein langer Tag und morgen wird sicher auch ein langer Tag.“
    „Ach komm, bleib doch noch“, sagte einer der Soldaten, der ihn und seine Kameraden in der letzten Stunde mit einigen Witzen unterhalten hatte.
    „Ich hatte meinen Spaß, aber Innos gefällt es nicht, wenn man zu sehr über die Stränge schlägt“, heuchelte der Held.
    „Recht hat er“, meinte da auch Gunterher. „Gehen wir jetzt besser alle wieder zu unserem Posten, oder ins Bett, je nachdem und beten wir morgen zu Innos, auf das er uns unsere frevelhaften Laster vergibt.“
    Die Soldaten und Wachen grölten noch einmal und dann löste sich die lustige Gesellschaft auf. Der Held beeilte sich fortzukommen. Tatsächlich kam er ohne große Schwierigkeiten aus der Stadt. Die Wachen am Tor sahen ihn nur an und fragten: „Wohin des Wegs?“ und er antwortete „Terrorvögel jagen“ und sie sagten nichts weiter.
    Zunächst war es einfach dem gepflasterten Weg zu folgen, doch als er über die Brücke auf die Eisenfelseninsel kam, wusste er nicht genau wie er gehen sollte. Der Held war leicht angetrunken und daher war es schwerer als vermutet den Weg in der Dunkelheit zu finden. Tatsächlich hatte er sich nicht weit genug östlich gehalten und stand schließlich in einer felsigen Sackgasse. Er musste erst ein Stück zurückgehen und dann um den Felsen herum, bis er auf den kleinen Wildpfad stieß, den er gestern gegangen war.
    Eigentlich war es nicht seine Art, doch nun fragte er sich doch, ob die Piraten wohl auf ihn gewartet hatten. Vielleicht dachten sie auch, er hätte sie aufgegeben und sich stattdessen den Paladinen angeschlossen. Vielleicht dachten sie, er hätte ihnen geholfen, damit sie ihn nicht vor seinen neuen Kollegen verrieten, oder aus dem Gefühl alter Kameradschaft heraus. Seine Schritte wurden schneller und so kam es, dass er einmal stürzte, weil es nicht die beste Idee war angetrunken im Dunkeln schroffe Felsen zu erklimmen. Stöhnend rappelte der Held sich wieder auf und versuchte es gleich noch mal. Endlich hatte er den Felsen erklettert und sah hinunter aufs dunkle Meer. Sein Herz tat einen kleinen Hüpfer, als er die Murietta dort unten vor Anker liegen sah. Sie waren noch da. Gut.
    Dann sah er nervös die schroffen Steinfelsen hinunter. Wie war er da eigentlich hochgekommen? Und wie sollte er da jetzt im Dunkeln runterkommen? Der Held zuckte mit den Schultern und sprang einfach die vierzig Meter hinunter. Es war gut, dass er nicht lange darüber nachgedacht hatte, denn sonst hätte er diese Wahnsinnstat vermutlich nicht gemacht. Als er auf dem Wasser aufschlug, war es ihm, als würde ihn ein wütender Terrorvogel treten. Kurz war er benommen, dann zog ihn die Rüstung unter Wasser. Er hatte ganz vergessen wir anstrengend es war in schwerer Rüstung zu schwimmen. Sicher wäre es schlauer gewesen schon oben auf den Klippen wieder seine Enterführerrüstung anzuziehen. Der Alkohol machte es schwer vernünftig zu sein und das war er ja ohnehin schon nicht. Angestrengt paddelte er zur Wasseroberfläche. Als er sie durchbrach, holte er tief Luft und japste etwas, dann kraulte er zur Strickleiter der Murietta hinüber und zog sich hinauf. Alejandro war gerade auf dem Weg an ihm vorbei. Er riss die Augen auf und ließ perplex den Stapel ordentlich aufgeschossener Leinen fallen, so dass sie unordentlich auf die Planken fielen.
    „Was zum …“
    „Was ist? Dachtet ihr, ich komm nicht wieder?“ fragte der Held, denn auch die anderen Piraten sahen ihn entgeistert an.
    „Wieso zum Henker trägst du eine Paladinrüstung?“ wollte Henry wissen.
    „Tarnung“, sagte der Held und zuckte mit den Schultern und schob noch nach: „Nachdem ich in Stahlstern so viel Ärger verursacht habe, dachte ich mir, es wär ganz gut, diesmal in anderen Klamotten unterwegs zu sein. Sind die anderen etwa noch nicht zurück?“
    „Alligator Jack un sien Trupp?“ fragte Greg.
    „Ja, genau“, sagte der Held und bekam ein ungutes Gefühl. „Ich hab sie doch gerade erst aus dem Knast geholt. Haben die sich schon wieder einbuchten lassen?“
    Er wollte sich umdrehen und wieder über Bord springen, doch Greg hielt ihn eisern am Arm fest, damit er nicht gleich wieder verschwand.
    „Momentchen mal. De wurrn eingelocht? Los, zier dich nich wie eene Diva un vertell uns lever wat mit ihnen passiert is.“
    „Waren wohl auf der Jagd, aber Hirsche darf man hier nicht jagen, daher wurden sie von einer Patrouille eingelocht. Ich hab sie rausgeholt, dachte ich zumindest.“
    Sollte er jetzt etwa noch mal zurück? Welche Chancen hatte er sie da noch einmal rauszuholen? Seine Gedanken rasten. Als er plätscherndes Wasser hörte, spitzte er die Ohren.
    „Verdammich, da sünd se endlich“, kam es von Greg, der hinunter ins dunkle Wasser spähte.
    Der Held tat es ihm nach und rief hinunter: „He, was hat denn da so lang gedauert? Ich bin doch erst viel später los als ihr.“
    „Haben uns verirrt“, knurrte Alligator Jack, während er die Strickleiter erklomm.
    „Hast ja eine Orientierung wie ne Schafswurst“, spottete der Held.
    „Es war dunkel wie im Trollarsch!“ schimpfte jetzt Bones.
    „Na du kennst dich ja aus“, stichelte der Held weiter.
    Er war wirklich erleichtert, dass Alligator Jacks Trupp es nun doch geschafft hatte.
    „Reiß nicht so das Maul auf“, murrte Bones.
    „Und wo hast du überhaupt diese Rüstung her? Im Knast dachten wir du wärst einer von denen, deswegen haben wir dich auch angegriffen“, kam es von Alligator Jack, der nun auf Deck stand.
    „Das möchte ich aber auch mal wissen“, murrte Morgan.
    „Kleider machen Leute. In Hirschtal haben sie mich so mit offenen Armen empfangen. Als Pirat hätten sie das sicher nicht getan. Außerdem konnte ich euch so leichter befreien. Gut, oder? Die Rüstung ist aus Myrtana“, setzte der Held hinzu.
    „Warst du etwa mal Paladin, oder was?“ fragte Henry misstrauisch.
    „Der und ein Paladin, willst mich wohl verkohlen?“ lachte Bill.
    So unwahrscheinlich fand der Held das nicht. Wer weiß, in einem anderen Leben wäre er vielleicht ein Paladin geworden. Doch er sagte: „Nein, war ich nicht. Ich hab diese Rüstung damals im Orkkrieg auf dem Festland von einem Paladin gekauft. Damals war es nicht so wichtig, ob man nun wirklich ein Paladin ist, oder nicht. Wichtiger war den Paladinen, dass man zusammen mit ihnen gegen die Orks kämpft und wenn man ordentlich Gold springen ließ, dann haben die einem auch ihre Rüstungen verkauft.“
    „Nicht zu fassen“, meinte Alligator Jack.
    „Köönt noch nützlich warrn“, meinte Greg.
    „Du hast also wirklich gegen die Orks gekämpft?“ fragte Alejandro staunend.
    „Klar“, meinte der Held nur.
    „Ook de swattste Koh gifft witte Melk. Naja, wie ook immer. Sünd jetzt all an Bord? Können wer los? Denn wenn dat stimmt wat ihr hier vertellt, denn sollten wi schnellstens de Biege maken. Anker ein! Segel setzen! Kurs südost!“ brüllte der Kapitän.

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Biete Gold und Pläne - fordere Kanonen

    Nach der Rettungsaktion des Helden war dieser im Ansehen der Crew offenbar wieder deutlich gestiegen. Die anderen Piraten sahen nun wohlwollen zum Helden und der eine oder andere nickte ihm zu, als er später zusammen mit den anderen zum Mitternachtsimbiss kam. Statt des Hirschfleischs gab es Terrorvogelfilets. Es war Muskelfleisch und daher etwas zäh, doch mit den Kräutern, die Samuel dran gab, schmeckte es hervorragend. Es war ein langer Tag und daher legte sich auch der Held in seine Hängematte und schlief rasch ein.
    Am nächsten Morgen prüfte er noch einmal seine Hosentasche. Alles noch da. Es war ihm langsam zum Ritual geworden. Der Diebstahl der Klaue Beliars saß tief. Heute trug er wieder seine Enterrüstung und sein Rapier. Das war auf einem Piratenschiff einfach praktischer. Während der Arbeit in den Wanten stellte er sich vor, wie es wohl wäre hier mit einer schweren Paladinrüstung herumzuklettern. Der Gedanke belustigte ihn. Schaffen würde er es aber bestimmt auch, da war sich der Held sicher. Während seiner Reparaturarbeit erhielt er überraschend Besuch von Alejandro.
    „Nanu? Du hier oben? Ich dachte du magst es nicht herumzuklettern?“ fragte der Held verwundert.
    „Wieso? Ich bin doch öfter mal im Krähennest und halte Ausschau“, entgegnete der Leichtmatrose.
    „Bestimmt weil du dort deine Ruhe hast“, sagte der Held und Alejandro fühlte sich wohl ertappt, denn sein Gesicht lief leicht rosa an.
    „Ich … nun… ist doch kein Verbrechen, oder?“ fragte Alejandro etwas hilflos.
    „Nein. Ist es nicht. Also was willst du jetzt hier? Willst du mir dabei helfen die Takelage zu reparieren? Ist ganz schön wacklig und immer wieder lösen sich Taue“, setzte der Held Alejandro ins Bild, der nun ganz schnell wieder seine Farbe verlor und ängstlich nach unten sah, was es nur noch schlimmer machte, denn immerhin befanden sie sich fast zwanzig Meter über dem Deck des Schiffes.
    „Ich dachte die anderen hätten das schon gemacht“, sagte Alejandro beunruhigt.
    „Da wir die Vulkaninseln vorzeitig verlassen mussten, sind die Arbeiten nicht ganz fertig geworden. Hier nimm mal diesen Fitt!“ sagte der Held und reichte dem verblüfften Alejandro ein aus Knochen gefertigtes Werkzeug von der Form eines fetten Nagels.
    Beinahe hätte Alejandro ihn fallen lassen. Er schrie, weil er glaubte ihn verloren zu haben, doch dann fischte er ihn mit der anderen Hand doch noch aus der Luft und hielt ihn danach erschrocken fest umklammert. Angestrengt atmete Alejandro tief durch. Er brauchte einen Moment um sich wieder zu fangen. Dann sah er skeptisch auf das Werkzeug in seiner Hand.
    „Das was? Was ist das?“
    „Ein Marlspieker“, erklärte der Held.
    „Das hilft mir nicht weiter“, sagte Alejandro leise. „Ich weiß nicht was ich damit machen soll.“
    „Ich hab doch gerade gesagt, einige Taue sind im Arsch. Wir müssen sie reparieren. Sieh mal hier. Ich hab Ersatz dabei. Das verspleißen wir jetzt mit den beschädigten Tauen und dazu brauchen wir den Marlspieker.“
    „Aber warum hat das dann verschiedene Namen?“ nörgelte Alejandro.
    „Weil Marlspieker der Oberbegriff ist. Fitt nennt man die Werkzeuge, die aus Knochen oder Hartholz sind und die großen Teile werden Tertsch genannt. Bei der Magie gibt es doch auch verschiedene Begriffe. Es gibt Feuermagie, Wassermagie und Beliarmagie, aber alles ist Magie.“
    Alejandro atmete noch einmal tief durch.
    „Ich wäre froh, wenn ich all dieses Zeug auch schon wüsste und es nicht erst lernen bräuchte.“
    „Aber wenn du es wissen willst, dann musst du es zunächst mal ja lernen, anders geht es nicht. Ich hab es auch erst lernen müssen. Henry hat mir das hier in meiner ersten Nacht an Bord der Murietta beigebracht.“
    Alejandros Augen wurden groß.
    „Du meinst, du bist hier nachts hochgeklettert und hast hier rumgewerkelt?“
    Der Held zuckte mit den Schultern.
    „Es muss eben gemacht werden.“
    Der Held zeigte nun auf ein Kuhhorn gefüllt mit Moleratfett und erklärte: „Ich hab den Fitt schon eingefettet. Wir können sofort loslegen. Sieh zu und lerne!“
    Der Held zückte einen zweiten Fitt und zeigte Alejandro wie die Ersatztaue aufgespleißt und mit den beschädigten verbunden werden sollten. Der Held hielt sich dabei nur mit den Füßen in der Takelage fest, denn die Hände brauchte er für die Arbeit. Ganz deutlich sah er das Unbehagen in den Augen des Jungen, der immer wieder nach unten sehen musste. Er malte sich bestimmt aus, wie er runterfallen und sich alle Knochen brechen würde, sollte er das selbst versuchen.
    „Na los! Mach mit!“ forderte der Held hart.
    Alejandro schluckte, atmete noch einmal tief durch und machte sich dann ans Werk. Obwohl es sehr kalt hier oben war, schwitzte er und als dann noch eine Böe ankam und sie etwas durchschüttelte ließ Alejandro das Tau, das er gerade bearbeitete, los und klammerte sich ängstlich an der Takelage fest. Der Held seufzte, sagte aber nichts, denn er wollte Alejandro nicht weiter entmutigen. Seiner Ansicht nach würde es noch etwas dauern, bis der Junge ein brauchbarer Seemann wurde. Um ihn abzulenken fragte der Held: „Wie läuft es mit deinem magischen Training?“
    Alejandro öffnete die Augen wieder, die er vor Schreck geschlossen hatte und sagte dann leise: „Ganz gut.“
    Er richtete sich in der Takelage wieder auf und fischte das beschädigte Tau aus der Luft, um weiterzuarbeiten. Mit festerer Stimme sagte er: „Ich hab die Bücher, die du mir gegeben hast erst angelesen. Leider ist nicht viel Zeit. Ich bin immer so fertig von der Arbeit, da falle ich meist gleich in meine Hängematte, aber das was ich gelesen habe, hört sich sehr interessant an. Ich hätte gerne mehr Zeit um mein Verständnis von der Magie zu vertiefen.“
    „Die Runen kannst du jetzt aber ohne Probleme anwenden, oder?“ bohrte der Held weiter nach.
    „Ja, besonders der Lichtzauber ist ganz einfach. Die meisten anderen wende ich aber nicht so oft an“, gab der Schiffsjunge zu.
    „In Ordnung, dann kannst du dich jetzt an den Runen des zweiten Kreises versuchen. Da sind einige Zauber dabei, die sicher nützlich für dich sind. Windfaust, Windhose, Schlaf, Eislanze und Eispfeil. Leider habe ich nicht noch mehr dabei. Wolf rufen wäre für dich sicher auch gut. Naja und Feuerball, aber diese Rune gebe ich dir mal, wenn wir nicht auf einem Schiff unterwegs sind.“
    Der Held machte Anstalten in seiner Hosentasche zu kramen, um ihm die anderen Runen zu geben.
    „Äh… könntest du mir die später aushändigen? Ich weiß sonst nicht wohin ich im Moment damit soll“, sagte Alejandro, der es schon so kommen sah, dass er hier in zwanzig Metern Höhe mit fünf Runen herumhantieren sollte.
    Der Held dachte kurz nach und sagte dann: „Stimmt.“
    Dann widmete er sich wieder dem Taue spleißen.
    „War es das?“ fragte der Schiffsjunge verwundert, weil nichts weiter kam.
    „Ja, was denn sonst noch? Ich könnte noch irgendwelche lauen Reden über die Götter schwingen, wenn du willst“, sagte der Held spöttisch.
    „Ich ähh… ich weiß nicht“, sagte Alejandro ratlos.
    So hatte er sich das wohl nicht vorgestellt.
    „Also schön. Tritt nun ein in den zweiten Kreis der Magie“, sagte der Held zumindest ein bisschen feierlich, denn er ahnte, dass Alejandro das so erwartete. „Möge Adanos über dich wachen und …“
    Der Held sog sich irgendwas aus den Fingern.
    „… mögest du die rechte Magie zur rechten Zeit anwenden.“
    Alejandro sah trotzdem etwas enttäuscht aus.
    „Weißt du, ich hatte es mir anders vorgestellt ein Magier zu sein. Mehr in Büchern lesen und lernen die Magie zu verstehen. Nicht nur das Anwenden. Ich will auch wissen warum das so funktioniert.“
    „Wozu?“ fragte der Held ehrlich verwundert.
    „Es interessiert mich eben“, sagte Alejandro ein ganz klein wenig bockig, weil es ihm unangenehm war sich rechtfertigen zu müssen.
    Einige Zeit arbeiteten sie schweigend, dann fragte der Junge: „Wie waren denn die Magier, denen du begegnet bist?“
    „Ganz unterschiedlich. Jeder Mensch ist eben anders. Viele Feuermagier, denen ich begegnet bin, sind aber auf ihren persönlichen Vorteil oder dem ihrer Kirche bedacht, während viele Wassermagier eher altruistisch veranlagt sind und die Schwarzmagier sind oft egoistisch.“
    Alejandro staunte einen Moment, weil er nicht gedacht hätte, dass der Held so schwere Wörter kannte.
    „Aber wie ich schon sagte. Jeder Mensch ist anders. Einer ist arrogant, der nächste ehrlich, ein anderer wieder verschlagen. Was willst du da genau hören?“, fragte der Held leicht genervt.
    „Ich … ich weiß nicht“, gab Alejandro zu. „Ich würde nur gerne wissen wie andere Magier so sind. Ich hab nur mal welche aus der Ferne gesehen, aber richtig kennen gelernt hab ich keinen, außer dir jetzt, aber … so wie dich hatte ich mir einen Magier irgendwie nicht vorgestellt.“
    Der Held sagte zunächst nichts weiter, denn er sah keine Frage oder Aufforderung das Gespräch zu vertiefen in Alejandros Worten.
    „Hast du Freunde, die Magier sind?“ bohrte Alejandro weiter.
    „Pass auf! Du vermurkst das Tau!“ wies ihn der Held darauf hin und zeigte auf das verhunzte Seil.
    „Tut mir Leid“, sagte Alejandro beschämt.
    „Wenn du dich nicht konzentrierst, wird das nichts!“ sagte der Held harsch.
    Alejandro ließ den Kopf hängen und werkelte stumm weiter. Er dachte, der Held würde nun gar nichts mehr sagen, doch nachdem der eine Weile seinen Gedanken nachgehangen hatte, antwortete er doch auf die Frage des Jungen.
    „Ich habe zwei Freunde in Myrtana, die magisch begabt sind. Milten ist sehr hilfsbereit und wissbegierig und hat es schon zu einem großartigen Feuermagier gebracht. Lester ist ein ganz entspannter Typ, der mit vielen Leuten gut auskommt. Er hat sich auf Psionikermagie spezialisiert.“
    „Was ist denn Psionikermagie?“ fragte Alejandro neugierig.
    „Das ist Magie, die andere oder die Umgebung um einen herum beeinflussen kann. Mit Telekinese kann man Dinge herumschweben lassen, mit anderen Zaubern kann man Leute freundlich stimmen, oder kontrollieren.“
    „Das hört sich sehr interessant, aber auch gefährlich an, wenn es in die falschen Hände gerät“, sagte Alejandro nachdenklich.
    Weil der Junge so lange in Gedanken war, dachte der Held schon, dass das Thema damit abgehakt wäre, doch dann fragte er doch noch: „Vermisst du deine Freunde?“
    Der Held seufzte. Er mochte solche persönlichen Fragen nicht.
    „Die kommen schon ohne mich zurecht.“
    „Aber du hast gesagt, dass es nicht gut um Myrtana steht. Hast du keine Angst, dass sie nicht mehr leben, wenn du zurückkehrst?“
    Der Held merkte einen Stich. Er wollte nicht daran denken wie es seinen Freunden im Moment ging.
    „Mach dir keine Sorgen. Alles wird gut“, sagte der Held, um auf Alejandros Frage zu antworten, aber ein bisschen auch, um sich selbst gut zuzureden.
    „Haben sie mit dir gegen die Orks gekämpft?“ fragte Alejandro aufgeregt.
    Der Held wusste, dass es der Junge nicht böse meinte. Er war einfach nur neugierig, doch er fing an ihn zu nerven.
    „Ja, sie haben geholfen die Orks aus Myrtana zu vertreiben und wenn sie damit klar kamen, dann kommen sie jetzt auch klar.“
    „Erzähl doch mal davon!“ ging Alejandro einen Schritt zu weit.
    „Konzentrier du dich lieber auf die Arbeit, du hast da schon wieder Mist gebaut!“ herrschte ihn der Held an. „Weniger quatschen, mehr aufpassen!“
    Alejandro seufzte und versuchte es ein drittes Mal. Sie redeten nicht mehr, bis der Held ein Schiff entdeckte und die Crew informierte, dass es Zeit für einen weiteren Überfall war. Das Schiff hatte zwei Masten und trug eine orangene Flagge mit einem roten Vulkan. Es war also wohl ein Handelsschiff von König Jorrit und passend dazu trug es den Namen Vulkanstein. Greg gab Befehl die Flagge von König Fion wehen zu lassen und wie gewohnt wechselten sie erst im letzten Moment auf die Piratenflagge. Der Überfall war in keiner Weise spektakulär. Sie holten das Schiff ein, schossen mit den Harpunen auf das Schiff, um es nicht mehr entkommen zu lassen und dann schwangen sich die Piraten hinüber. Die kleine Crew der Vulkanstein war offenbar vor Schreck erstarrt, denn sie machten keine Anstalten zu kämpfen. Sie winselten stattdessen um Gnade. Es gab zwar eine Handvoll Kämpfer an Bord, doch die streckten lieber die Waffen, nachdem der Held einen magischen Warnschoss vor ihre Füße abgegeben hatte. Offenbar hatte die Vulkanstein in Ogakhta ihre Waren verkauft, denn stattdessen transportierten sie nun Gold. Das kam Greg natürlich gerade recht, denn er brauchte noch Gold für die Bezahlung der Kanonen. Für die Piraten war es ein guter Tag. Für die Crew der Vulkanstein ein Albtraum. Sie hatten ihre Fahrt völlig umsonst gemacht und würden nun mit leeren Händen zu ihrer Heimatinsel zurücksegeln. Immerhin waren sie noch alle am Leben. Greg tötete nur dann, wenn die Besatzung Widerstand leistete.

    Einige Tage später kam die Insel Fischschwanz in Sicht. Sie benötigten wieder die Hilfe der Lotsen, um in den Hafen zu gelangen. Greg achtete darauf einen Liegeplatz zu bekommen, der sich möglichst nah an Merkassas Laden befand, damit die Kanonen später leichter verladen werden konnte. Dieses Mal würde er wohl nicht drumherumkommen einen Kran im Hafen zu bezahlen. Doch bevor sie zu Merkassa kamen, wurden sie von ihrem alten Gönner, dem Hafenmeister, begrüßt. Er war wieder mit zwei Wachen unterwegs.
    „Da seid ihr ja wieder. Ist alles gut gelaufen? Konntet ihr die Heiltränke in Stahlstern verkaufen?“ fragte er lächelnd, aber auch wachsam.
    „Moin, joa, allet goot över de Bühne gangen. Aver de Zoll is in disse Tied een Wucher.“
    „Lohnt es sich denn da überhaupt noch Heiltränke nach Adloka zu exportieren?“ fragte der Hafenmeister gewichtig.
    „Ne ne, nich wirklich, wi mutten allerhand annere Opträge annehmen. Steht allet hier im Fahrtenbook“, sagte Greg und reichte dem Hafenmeister das Fahrtenbuch.
    Der Kapitän wusste ganz genau, dass er es sich mit diesem Mann auf keinen Fall verscherzen durfte.
    „Hm… Erz von Stahlstern nach Hirschtal auf den Vulkaninseln geliefert, soso, das muss doch einiges wert gewesen sein.“
    „Joa“, log Greg, der das Erz natürlich nur erfunden hatte, damit es so aussah, als hätten sie ihr Gold auf legale Weise verdient. „Uns Schipp harr mächtig Deefgang vun all den Toog.“
    „Und Vulkanglas von den Vulkaninseln hierher. Hm… das möchte ich mir gerne mal ansehen“, sagte der Kapitän und ließ seinen Blick über das große Schiff schweifen, so dass er glücklicherweise nicht Gregs leicht nervösen Gesichtsausdruck sehen konnte.
    Der Held hatte das aber sehr wohl gemerkt, denn er beeilte sich etwas von dem Vulkanglas aus seiner Hosentasche zu kramen, das er in der Höhle der Feuerwarane aufgelesen hatte.
    „Hier, so sieht das aus“, sagte der Held und hielt es dem Hafenmeister unter die Nase.
    „Hm…“, machte der und betrachtete es eingehend, nahm es in die Hand, fuhr über die glatte Oberfläche der roten Kristalle, hielt einen blauen ins Licht und hielt sich einen schwarzen ganz dicht vors Gesicht, um sich die Maserung näher anzusehen.
    „Daraus werden Magiekristalle hergestellt, richtig?“
    „Genau“, antwortete der Held sofort.
    „Hm… dann werden unsere Wassermagier wohl daran interessiert sein. Oder an wen verkauft ihr die?“
    Greg und der Held tauschten einen Blick, so dass Greg sehen konnte, dass der Held warnend die Augen aufriss. Er dachte sich, wenn die Magier doch keine Kristalle zu sehen bekommen würden, würde diese Ungereimtheit sicher bald auffallen. Dieses Mal würden sie wohl länger in Sturmkapp vor Anker liegen und der Held hatte so langsam gelernt, dass es besser war sich bedeckt zu halten.
    „Wi hebbt noch keen direkte Köper. Dat weer keen Opdrag, wi hebbt bloot höfft irgendwie an Gold to kamen. De Vulkaninseln sünd för ehr Vulkanglas beropen un as du all seggt hest, de Magier bruukt dat. All Magier, överall, darüm dachten wi, dat warrt seker weer los, mit en anständig Gewinn versteiht sik dat. Vun irgendwat mutten wi ja ook leven.“
    „Dann sehe ich mir die Kisten doch mal an. Ihr habt doch nichts dagegen, oder?“
    Es war eigentlich keine Frage. Der Hafenmeister und seine Wachen gingen schon über die Planke. Die Mannschaft sah beunruhigt aus. Sie hatten keine Kisten mit Vulkanglas. Der Bluff drohte aufzufliegen. Der Held warf Greg einen vielsagenden Blick zu und beeilte sich dann vorzugehen, um ein Ass aus der Hosentasche zu ziehen.
    „Mien Crew maakt bloot gau de Ladeluke apen, so dat du di darmit nich afpliegen mutt“, schob Greg als Erklärung vor.
    Der Hafenmeister und seine Männer folgten dem Helden in einigem Abstand. Hinter ihm gingen mit unterdrückter Aufregung Greg und seine Crew. Die Piraten warfen sich ständig nervöse Blicke zu. Wenn der Hafenmeister keine Kisten mit Vulkanglas finden würde, dann würde er sich fragen warum die sonst im Bordbuch eingetragen waren und dann könnte er auf die Idee kommen, dass sie verlogene Piraten waren und er das Schiff mal ganz genau unter die Lupe nehmen sollte. Spätestens wenn er ins Krähennest kletterte und dort die Piratenfahne finden würde, wäre die Sache dann glasklar und sie würden ruckzuck von der Stadtwache umzingelt sein. Kaum waren der Hafenmeister und seine Männer die Treppe hinuntergestiegen, da hielten sie schlagartig inne.
    „Uhhhh…. was ist das für ein Geruch?“ fragte einer der Hafenwachen.
    „Stinkt ja bestialisch“, meinte die andere.
    „Liegt da ne vergammelte Seemannsleiche, oder was?“ fragte der Hafenmeister alarmiert.
    Für einen Moment dachte Greg wohl, dass der Held die Lage mal wieder verschlimmert hätte und beeilte sich hinterherzukommen. Auch ihm drang jetzt ein widerlicher Gestank nach verwester Leiche in die Nase.
    „Das ist die Spezialität von den Vulkaninseln. Eisengrunder Gärfisch“, informierte der Held sie und versuchte so zu klingen, als sollte man es gar nicht abwarten können davon zu probieren. „Hier, sieh mal.“
    Der Held hatte sich im dunklen Lagerraum vor die drei Männer gestellt und hielt ihnen einen der Tonkrüge mit dem Stinkefisch unter die Nase. Im geschlossenen Lagerraum stank es noch mal viel schlimmer als unter freiem Himmel und dann öffnete er auch noch den Verschluss. Es gab ein kurzes zischendes Geräusch von den üblen Dämpfen, die aus ihrem Gefängnis entwichen und der Gestank verschlimmerte sich noch einmal um ein Vielfaches. Elendiges Würgen kam von den beiden Wachen, die angestrengt versuchten ihre Mägen unter Kontrolle zu halten.
    „Das soll eine Spezialität sein?“ keuchte der Hafenmeister und hielt sich angestrengt die Nase zu.
    „Ja, hast du etwa noch nicht davon gehört? Der Gärfisch hält sich praktisch ewig. Ideal für eine lange Schiffsreise. Die Händlerin von Eisengrund hat mir ganz stolz berichtet, dass dieser Fisch ein dreiviertel Jahr in Salzlake und Milchsäure vor sich hin gärte. Hier, probier mal!“ sagte der Held, spießte einen der Gärfische auf einem Messer auf und hielt ihn dem Hafenmeister unter die zugehaltene Nase.
    Etwas von der schleimigen Soße tropfte hinunter auf den Boden. Der Hafenmeister sah hinunter und erwartete wohl schon halb, dass sie ein Loch ins Holz ätzte. Er machte keine Anstalten den Fisch anzunehmen. Er wich entsetzt zurück, so wie die beiden Wachen, die fluchtartig das Weite suchten. Einer der beiden konnte die Übelkeit nicht länger niederringen und kotzte die Rüstung seines Kameraden voll.
    „He…“, empörte sich der, musste dann bei dem Geruch, aber selbst brechen.
    „Gah dat dien Mann nich goot?“, fragte Greg scheinheilig.
    „Wir sind nur nicht an solche Gerüche gewöhnt. Habt ihr etwa noch mehr dieser Krüge auf Lager?“ fragte der Hafenmeister näselnd und würgte nun ebenfalls.
    Er kniff kurz die Augen zu und versuchte angestrengt nicht ebenfalls zu brechen.
    „Klar, sieh mal da!“, sagte der Held und zeigte auf die zehn anderen Krüge.
    „Meine Güte. Ihr Seebären müsst ja einen echt harten Magen haben, wenn ihr das die ganze Fahrt hierher ertragen musstet, das auch noch esst und dann auch noch bei Seegang“, sprach der Hafenmeister seinen Respekt aus. „Ich halt das nicht mehr länger hier drin aus. Mir reicht zu wissen wo die Kisten sind.“
    „Joa, da hinten“, meinte Greg lax und zeigte auf die Kisten, in denen das Fleisch des Riesenhais vor sich hin dörrte.
    „Gut, das reicht mir. Verziehen wir uns Jungs“, sagte der Hafenmeister, der mittlerweile ganz grün im Gesicht angelaufen war.
    Fluchtartig verließen die drei die Murietta.
    „Goot makt, Mann“, sagte Greg und klopfte dem Helden lobend auf die Schulter. „Sünd wi nochema davongekommen, dank dieset Stinkefischs. Kummt dat wirklich vun den Vulkaninseln?“
    „Ja, ich hab nicht gelogen, das ist dort wirklich eine Spezialität.“
    „Unfassbar, dat de dat dar freten. Rööm dat schnell weer weg, sonst verpest uns dat op ewig dat Schipp!“
    Greg schüttelte sich und ging dann die Treppe wieder hinauf. Im Vorbeigehen sagte er zu Miguel und Manuel: „Schrubbt hier allens sauber. Wenn wi trüggkamen, schall dat weer allens blitzblank rein wesen.“
    Die beiden alkoholkranken Piraten warfen sich einen unglücklichen Blick zu. Sie wagten aber nicht sich aufzulehnen und gingen los, um Wassereimer und Lappen zu holen, während der Held seine Geheimwaffe wieder in seiner Hosentasche verstaute. Er war zufrieden. Es hatte sich wirklich gelohnt dieses Geschenk der Fischhändlerin anzunehmen.

    Merkassa setzte sie darüber in Kenntnis, dass noch niemand für den Tod des Richters verhaftet wurde. Auch ihr Laden war von den Wachen komplett auf den Kopf gestellt wurden.
    „Wegen euch hatte ich ganz schön Scherereien. Natürlich hatte ich mich vorbereitet und alles beiseitegeschafft, was mich in die Bredouille hätte bringen können, aber es war dennoch ein Ärgernis. Ich hoffe sehr, ihr bringt mir die Baupläne“, knurrte die alte Matrone.
    „Natürlich hebbt wi ehr, oder glöövst du mi weer sonst hierherkamen? Ik stah to mien Woort“, behauptete Greg und überreichte Merkassa die Kanonenbaupläne aus Stahlstern, die Bill sich raffiniert unter den Nagel gerissen hatte.
    Merkassa riss ihm das Bündel aus den Händen und besah sich die Pläne begierig.
    „Interessant, äußerst interessant“, murmelte sie vor sich hin.
    Greg gab ihr die Zeit, die sie offensichtlich brauchte. Sie rollte die Pläne schließlich sorgfältig zusammen und verstaute sie in einer Schublade ihres Schreibtisches.
    „Gut, du hast dein Wort wirklich gehalten. Sieht ganz danach aus, als würde ich für dich eine Ausnahme machen Greg und ich komme doch mit einem Piraten ins Geschäft. Ich hoffe, du hast das Gold dabei, das wird teuer“, sagte sie und legte ihre Fingerspitzen aneinander.
    „Joa, de teihndusend Goldstücken heff ik darbi. Du erinnerst di daran, dat du seggt hest, dat du mi all Kanonen to'n Pries vun en verköfft wurrst, wenn ik di de Baupläne överleef“, knurrte Greg und beobachtete Merkassa mit seinem verbliebenen Auge wachsam.
    Die alte Frau schürzte die Lippen.
    „Ja, das habe ich. Dann bring die Zehntausend Goldstücke mal her!“
    „Haha, so nich. Nich mit mi. Bin doch nich op de Fischbrühe hergerudert. Du kannst di dat Gold op mien Schipp ankieken. Wenn ik dat herbringen schall, bevör ik de Kanonen krigg, denn schall ik ehr nienich sehn.“
    „So misstrauisch?“ fragte Merkassa und ihr Froschmaul verzog sich zu einem amüsierten Grinsen. „Na gut, ich gehe dann gleich mit euch aufs Schiff. Ich übergebe die Pläne noch heute meinem Kanonenbauer Loid, wenn ich das Gold gesehen habe. Er soll sich dann gleich an die Arbeit machen.“
    Sie nahm ihre zwei Leibwachen mit und folgte den Piraten auf die Murietta, die gleich vor ihrem Geschäft vor Anker lag. Greg ließ nur den Helden als Rückversicherung bei sich und schickte den Rest des Landungstrupps zurück an die Arbeit. Die Kanonenhändlerin besah sich das Schiff ganz genau, ließ sich Zeit damit alles auf sich wirken zu lassen.
    „Dieses Schiff war niemals für Kanonen vorgesehen. Wir müssen sie daher aufs Deck stellen“, informierte sie Greg, bevor sie sich an einen ihrer Leibwächter wandte und ihm auftrug: „Miss alles nötige aus und gib die Messungen später an Loid, damit er das beim Bau der Kanonen berücksichtigt! Stell auch sicher, dass die Planken stark genug sind, nicht dass hier was durchbricht! Alles schon gehabt.“
    Sie wirkte erfahren in dem was sie tat und obwohl sie diese Maßnahmen als Vertrauensvorschuss sah, ließ Greg sie keine Sekunde aus den Augen. Er wollte in keine Falle tappen. Zum Piratenkapitän sagte Merkassa nun: „Hast nur eine kleine Crew. Ist ja ein Wunder, dass ihr es überhaupt so weit geschafft habt. Lässt du diese armen Schweine den ganzen Tag schuften?“
    „Dat sünd allet harte Kerle hier, de können dat ab“, behauptete Greg.
    „Hm…“, machte Merkassa mit ihrer tiefen Stimme und sah in die ausgelaugten Gesichter von Gregs Mannschaft, von denen die meisten schon wieder mit Reparaturarbeiten beschäftigt waren. „Besser du holst dir noch Verstärkung. Wäre doch jammerschade, wenn ihr die neuen Kanonen dann habt, aber gleich von einem Konkurrenten versenkt werdet.“
    „Dat harr ik sowieso vör“, behauptete Greg und winkte dann Skip heran und trug ihm auf: „Klappere de Tavernen vun dat Havenveertel af un söök nah gooten Lüüd för uns Crew! Aver pass op, dat du nich an de falschen kummst, hörst du?“
    „Jawohl Käpt’n“, sagte Skip und machte sich sofort eifrig auf den Weg.
    Merkassa nickte zufrieden.
    „Hoffe nur er gerät nicht in die Fänge der Stadtwachen. Im Fall des toten Richters wurde immer noch kein Schuldiger gefunden und sie sind ganz besessen davon diesen Fall zu klären.“
    „Enn Grund mehr hier schnell weer de Biege to maken“, sagte Greg und warf Merkassa einen eindringlichen Blick zu.
    „Na dann zeig mir doch mal das Gold!“, kam Merkassa nun zum wesentlichen Teil.
    Sie gingen hinunter ins Lager, wo Miguel und Manuel besonders eifrig schrubbten als sie ihren Kapitän sahen.
    „Ihr hebbt dar en Fleck översehen!“ wies Greg sie hart darauf hin.
    Panikartig schrubbten die beiden Brüder, so dass die Lappen fast durchgerieben wurden.
    „Führst ja ein hartes Regiment“, meinte Merkassa und hielt sich dann die Nase zu. „Meine Güte, was für ein Gestank. Ich dachte Piraten scheißen ins Wasser und nicht in ihr Schiff.“
    „Is ook so. Disse Gestank hett uns den Moors redden. Hatt en beten Arger mit den Havenmeester un möss em mit dissen Gestank verdregen. Is son Stinkefisch vun de Vulkaninseln.“
    Greg führte sie und ihre verbliebene Leibwache zur Brig, wo er die Schätze aufbewahrte.
    „Du traust deiner Crew auch nicht weiter, als du eine Kanone werfen kannst, was? Sperrst dein Gold ein. Ein Pirat durch und durch“, meinte Merkassa.
    Greg sagte nichts dazu, sondern brummte nur. Er zog die Schlüssel hervor, es klapperte, als er aufschloss und die Tür öffnete. Mit zwei anderen kleineren Schlüsseln schloss er die beiden Truhen auf, die sie gestohlen hatten. Merkassa sah sehr zufrieden aus. Sie begutachtete den Fund und wühlte ein bisschen darin herum, was bei Greg ganz üble Zuckungen im Gesicht verursachte.
    „Sieht so aus, als könnte dir noch einiges übrig bleiben, wenn du die Kanonen bezahlt hast. Gehen wir in die Kapitänskajüte um die genauen Vertragsbedingungen auszuarbeiten.“
    „Goot“, sagte Greg knapp, schloss die Truhen und dann die Brigg wieder ab und führte die Kanonenhändlerin zu seiner Kapitänskajüte.
    Merkassas Leibwache und der Held mussten draußen bleiben. Zunächst schrieb der Held in seinem Tagebuch. Die Verhandlungen zogen sich in die Länge, denn als er nichts mehr zu schreiben wusste, kamen sie immer noch nicht heraus, weshalb der Held entschloss nicht länger sinnlos herumzustehen und sich Arbeit zu suchen. Greg würde zur Not sicher auch alleine mit der Leibwache fertig werden. Reparaturarbeiten gab es noch genug.
    Als Greg und Merkassa dann herauskamen, sah der Kapitän, dass der Held nicht am befohlenen Platz war, aber er grummelte nur, anstatt laut loszuschimpfen, vielleicht damit Merkassa nicht den Eindruck gewann die Mannschaft tat nicht genau das was er ihr auftrug.
    „Es ist eine Freude mit dir Geschäfte zu machen Greg. Ich freu mich schon auf das Gold und vergiss nicht deine Männer morgen früh um sechs zu meiner Kanonenfabrik zu schicken“, verabschiedete sich die dicke Frau, winkte dann ihren beiden Leibwächtern und verließ zusammen mit ihnen das Schiff.
    Als die anderen Piraten sie weggehen sahen, kamen sie zu ihrem Kapitän, um herauszufinden wie der Handel gelaufen war.
    „Das müssen ja knallharte Verhandlungen gewesen sein, so lange wie sich das hingezogen hat“, meinte Francis.
    „Kriegen wir die Kanonen jetzt wirklich?“ wollte Henry wissen.
    „Wie lief es Käpt’n?“ fragte Samuel gespannt.
    „Was meinte sie damit, dass du Männer zu ihrer Fabrik schickst?“ fragte Alligator Jack misstrauisch.
    „Klappe zu! Ohren gespitzt!“ herrschte Greg seine Männer an. „Nah teihn Verhandlungen heff ik dat endlich schafft! Wi kriggt tweeuntwintig Kanonen för teihndusend Goldstücken. Da staunt ihr wat? Soveel heff ik rutslaan köön. As dat en ganz neee Buernoort wesen warrt, bruukt hör Kanonenbauer en beten Tied, üm ehr to testen un dat is ok keen Lüttigkeit tweeuntwintig kanonen to boen. Se woll sik eerst mächtig Tiet mit de Utlevern laten, meen dat woll mindst achtteihn Daag dauern. Nu lett se de Fabrik rund üm de Klock lopen, so dat de Opdrag al na teihn Daag trech warrt. Wi mööt so schnell as mööglich wech un darmit dat allens funktionieren, heff ik ehr toseggt, dat acht vun uns Loid, den Kanonenbauer un sien Männicken ünner de Arme griepen. Francis, Morgan, Henry, Samuel, Bones, Brandon, Owen un du…“
    Greg zeigte auf den Helden.
    „…ihr warrt morgen fröh üm sess vör de Kanonenfabrik op de Matte stahn un ihr warrt eerst gahn, wenn de Nachtschicht kummt.“
    „Und wer soll die übernehmen?“ fragte Henry.
    „Dat maakt denn de Lüüd vun Merkassa. Außer een vun euch ännern troot sik to ook bin Kanonenbau helpen to könen“, sagte Greg und blickte prüfend in die Gesichter der Piraten, die er nicht genannt hatte.
    Keiner sah aus, als er wenn er freiwillig schuften wollte.
    „Ik heff dat mi doch dacht. Faulet Pack!“ schimpfte Greg.
    Die angesprochenen Piraten zogen die Köpfe ein, wagten aber nichts zu antworten.
    „Na hier warten ja ook noch genuch Opgaven an Bord. Dat gifft noch eenig to repareren. Un wenn ihr euch im Havenveertel rumtreibt, makt kenen Stunk. Ihr hebbt gehört wat Merkassa vertellt hat. Dee Stadtwachen sünd im Moment sehr wachsam. Wi könen et nich broken, dat de plötzlich bei uns op Deck stehen.“
    Damit durfte die Mannschaft erstmal abtreten. Sie redeten aufgeregt miteinander. Zweiundzwanzig Kanonen in zehn Tagen herstellen zu wollen war schon ein gewagter Zeitplan. Manche Piraten mussten weiterarbeiten, andere hatten ihren Teil für heute erledigt und verließen die Murietta, um sich etwas auf Land umzusehen. So auch der Held. Er hatte noch einen offenen Auftrag zu erledigen. Nach langem Suchen fand er ihn dann auch endlich: Erik.
    „He du, ich hab den Auftrag erledigt.“
    Erik sah ihn verwundert von oben bis unten an.
    „Äh… kennen wir uns?“ fragte der junge Mann verwundert.
    „Ja, na klar“, sagte der Held, der nicht verstand was das Problem war.
    Erik sah den Helden skeptisch an und fragte dann: „Was denn für ein Auftrag?“
    „Na, das Haarwuchsmittel“, half der Held ihm auf die Sprünge und tippte Erik keck gegen die fliehende Stirn.
    „Ah, du bist der Typ, der sich mal umhören wollte. Hatte ich schon ganz vergessen. Dachte nicht, dass du noch mal vorbeisehen würdest. Und? Hast du was gefunden?“
    „Klar. Hier.“
    Der Held reichte ihm den Trank den er von der Kräuterfrau von Kiesstrand bekommen hatte. Misstrauisch sah Erik auf den grünlichen Trank.
    „Was ist denn da drin?“
    „Steinkletten, Kronstöckel und Trollwurz. Du solltest ihn häufiger trinken, damit du auch wirklich Erfolg hast. Siehst nach einem schweren Fall aus.“
    „He!“ empörte sich Erik, doch dann ließ er den Kopf hängen. „Du hast ja Recht. Hast du denn mehr als nur diesen einen Trank dabei?“
    „Das nicht, aber ich hab das Rezept. Wir können ja mal den Alchemisten Rudolf fragen, ob er dir bei Bedarf mehr von dem Zeug zusammenbraut.“
    „Wen?“ fragte Erik irritiert.
    „Sag mal, du wohnst doch hier oder?“ fragte der Held verwundert.
    Erik nickte.
    „Und da kennst du den nicht?“
    Erik schüttelte den Kopf.
    „Komm ich bring dich hin“, sagte der Held und schüttelte nun ebenfalls den Kopf, allerdings weil er es nicht fassen konnte, dass Erik nicht mal Rudolf den Alchemisten von Sturmkapp kannte.
    Als sie die Straßen hochgingen, sah der Held wie Alejandro auf den Adanos Tempel zuhielt. Offenbar war der Junge wirklich sehr neugierig und wollte gern andere Wassermagier kennen lernen. Der Held hoffte, dass Alejandro sie nicht unversehens alle verraten würde. Im Moment hatte er aber anderes zu tun. Er öffnete die Tür zu Rudolfs Alchemistenladen und trat ein. Erik folgte ihm verwundert. Ganz offensichtlich war er noch nie in diesem Laden gewesen.
    „He du, ich hab hier einen Trank gegen Haarausfall, kannst du Erik helfen seine Haarpracht zurückzubekommen?“ fragte der Held kaum, dass er den Laden betreten hatte.
    Rudolf runzelte die hohe Stirn. So einen Trank könnte er auch ganz gut gebrauchen. Auf dem Kopf standen ein paar Büschel weiße Haare nach allen Richtungen ab, der Rest war kahl. Der alte Mann hatte schon nicht mehr alle Zähne. Er sah auch etwas dünn und kränklich aus. Alles zusammen ließ es den Helden etwas nachdenklich werden, ob dieser Mann wirklich der richtige für den Auftrag war.
    „Kommt drauf an“, meinte Rudolf mit knarzender Stimme. „Ist es denn einfach ein Trank gegen Haarausfall oder ein Haarwuchsmittel?“
    Der Held zuckte mit den Schultern.
    „Das kommt doch aufs selbe raus.“
    „Nein, kommt es nicht. Das eine stoppt den Haarausfall, das andere lässt die Haare neu wachsen“, erklärte Rudolf.
    Der Held kratzte sich im Genick.
    „Jetzt wo du es sagst, stimmt, das ist ein Unterschied. Ich weiß es nicht. Ich hab das Mittel von der Kräuterfrau aus Kiesstrand bekommen.“
    „Wo ist denn das?“ wollte der Alchemist skeptisch wissen.
    „Oben in Adloka“, gab der Held schwammig Auskunft.
    „Aha?“, sagte der Alchemist.
    Es hörte sich nach einer Frage an, doch der Held sagte nichts weiter dazu.
    „Trink den Trank doch einfach mal und wir werden ja sehen was passiert“, schlug der Held Erik vor.
    Bevor Erik das Gebräu hinunterstürzen konnte, hielt Rudolf ihn auf: „Einen Moment, bitte, lass mich vorher eine Probe nehmen.“
    Erik reichte Rudolf den grünlichen Trank und der maß einen Fingerhut voll ab und stellte ihn auf seinen Alchemietisch. Nachdem Erik das Fläschchen zurückbekommen hatte trank er die Flüssigkeit in einem Zug aus.
    „Und?“ fragte der Held.
    „Schmeckt scheußlich“, sagte Erik und verzog den Mund. „Wächst schon was?“
    Der Held und der Alchemist beäugten Erik gespannt. Nichts passierte.
    „Nein“, antwortete Rudolf. „Bisher noch nicht. Dann ist es wohl wirklich einfach nur ein Trank gegen Haarausfall.“
    „Vielleicht braucht es ein wenig Zeit“, vermutete der Held.
    „Möglich. Weißt du das Rezept?“ fragte Rudolf.
    „Ja, hab es dabei.“
    „Dann lass mich doch mal sehen!“ forderte der alte Alchemist begierig.
    „Und was krieg ich dafür?“ fragte der Held. „Zeig mir deine Ware!“
    „Ich hab ein breites Angebot.“
    Rudolf verkaufte verschiedene Heil- und Manatränke, Geschwindigkeitstränke und Tränke, die einen Zuwachs auf Zähigkeit, Stärke, Geschick und magische Kraft gaben. Gerade auf letztere war der Held ganz scharf.
    „In Adloka kommt ab und an ein Prüfer bei den Alchemisten vorbei, um zu sehen, ob die Tränke was taugen. Ist das hier auch so?“
    Rudolf seufzte.
    „Ja, das ist auch hier so. Wir müssen auch Gebühren an unsere Gilde bezahlen, aber immerhin wird man hier bezahlt, wenn man eine Ausbildung zum Alchemisten machen will. Wir verkaufen die Tränke überallhin, verstehst du? Das ist ein gutes Geschäft.“
    „Dann sollte dir dieser Haartrank ja ordentlich was wert sein, wenn du ihn dann überallhin verkaufen kannst“, sagte der Held und lächelte schelmisch.
    Offenbar fühlte sich Rudolf übertölpelt, denn er schaute erst erstaunt und dann wütend. Doch er sagte nichts, wohl weil er sich keine Blöße geben wollte.
    „Leute, ich glaube da wächst schon was!“ sagte Erik aufgeregt und sah auf eine glatt polierte spiegelnde Metallplatte, die an der Wand hing.
    Das Lächeln des Helden wurde breiter.
    „Ja, ja, was willst du dafür haben?“ fragte Rudolf gedehnt.
    „Zwei Extrakte des Geistes“, sagte der Held, der schon wusste was er damit anfangen wollte.
    „Zwei Stück?“, fragte Rudolf und ihm fielen fast die Augen aus dem Kopf. „Eins kostet Tausend Goldstücke.“
    „Aber überleg doch mal wie viele Tränke du mit dem Rezept herstellen kannst und wie viel Gewinn du damit machst“, machte der Held es ihm schmackhaft.
    Er wusste, dass er unverschämt war. Immerhin hatte er selbst nur sechzig Goldstücke für das Rezept bezahlt. Der Held hatte die Erfahrung gemacht, dass Dreistigkeit siegte. Wenn es nicht funktionierte, konnte er immer noch weniger dafür verlangen, oder etwas dazugeben. Rudolf schien indessen schwer mit sich zu ringen.
    „Sieh mal, die Haare sind jetzt schon fast fünf Zentimeter lang. Es ist wirklich ein Haarwuchstrank. Toll“, sagte Erik ganz begeistert.
    Der Held grinste breit. Er wusste schon warum er Erik hierher geschleift hatte. Dem alten Alchemisten entfleuchte ein weiterer Seufzer. Er schloss kurz die Augen und als er sie wieder öffnete, sah er zur Decke, dann murrte er: „Also gut. Her mit dem Rezept!“
    Der Held tauschte das Rezept gegen die zwei Extrakte des Geistes.
    „Auf gutes Gelingen“, verabschiedete er sich und ließ die beiden stehen.
    Auf dem Weg zum Schiff traf er auf Alejandro.
    „He, sag bloß du hast die Wassermagier mit deinen Fragen gelöchert“, begrüßte er ihn.
    Alejandro zuckte überrascht zusammen. Offenbar hatte er hier nicht mit dem Helden gerechnet.
    „Ich … äh … wollte mich nur etwas umsehen.“
    „Ja, klar“, sagte der Held und zwinkerte ihm zu.
    „Ich dachte mir, die können mir bestimmt mehr über Adanos erzählen.“
    „Du dachtest, oder haben sie es dann auch wirklich gemacht?“ neckte der Held ihn.
    „Oh ja, jetzt hab ich das Gefühl, ich weiß noch gar nichts“, sagte Alejandro und ließ den Kopf hängen.
    Der Held sah sich um. Sie standen mitten auf der Straße, doch die vorbeilaufenden Leute beachteten sie nicht weiter.
    „Hast du ihnen gesagt, dass du ebenfalls ein Wassermagier bist?“ wollte der Held wissen.
    Alejandro schüttelte den Kopf und zog dann die Schultern hoch.
    „Nein, das hab ich mich nicht getraut. Ich seh doch gar nicht wie ein Wassermagier aus.“
    „Weil du keine Robe hast? Ist doch egal, das sind nur Äußerlichkeiten. Wichtig ist das was du kannst“, sagte der Held und ihm war wohl gar nicht bewusst wie sehr Alejandro das aufbaute.
    Ein scheues Lächeln umspielte das Gesicht des Jungen.
    „Allerdings solltest du nicht gleich jedem auf die Nase binden, dass du ein Magier bist. Gerade Magier eines anderen Glaubens können etwas gegen einen haben. Und die Wassermagier hier könnten auch ziemlich unangenehme Fragen stellen. Ich hoffe du weißt, dass du vorsichtig sein musst? Wäre doch ziemlich blöd, wenn die herausfinden was wir auf der Murietta so machen. Greg hat schon genug Ärger am Hals.“
    Unversehens kullerte Alejandro sogar ein Lachen aus dem Mund.
    „Ja, wegen dir, weil du selbst nicht vorsichtig warst.“
    Der Held sah Alejandro verwundert an und der Junge hörte sofort auf zu Lachen und fürchtete zu weit gegangen zu sein. Der Held kratzte sich aber nur im Genick und sagte: „Tja, hast du wohl recht.“
    Er lachte nun auch und Alejandro freute sich keine reingehauen zu bekommen.
    „Hier sieh mal! Das habe ich gerade beim Alchemisten gegen ein Rezept eingetauscht.“
    Der Held holte die beiden Extrakte des Geistes hervor.
    „Was ist das?“ fragte Alejandro und nahm eins der Fläschchen genauer in Augenschein.
    „Extrakte des Geistes. Sie steigern dauerhaft die geistige Kraft. Ich dachte zur Feier deines Einstiegs in den zweiten Kreis der Magie wäre das doch ganz brauchbar.“
    „Wirklich?“ fragte Alejandro und seine Augen wurden ganz groß.
    „Klar. Los, stürz es gleich hinter!“ forderte der Held ihn auf.
    Alejandro trank den ersten Extrakt in einem Zug aus. Dann atmete er tief ein uns aus. Er zwinkerte mehrmals mit den Augen.
    „Wow, das haut ja voll rein.“
    „Gut, kipp gleich noch den zweiten hinterher“, sagte der Held grinsend und reichte ihm den zweiten Trank.
    Alejandro atmete noch mal tief durch und schluckte dann auch diesen Trank. Nachdem er auch den letzten Tropfen getrunken hatte, setzte er die Flasche ab und taumelte kurz. Er hielt sich an der Schulter des Helden fest und der ließ ihn gewähren.
    „Hui, das war glaube ich etwas zu viel auf einmal.“
    Das erinnerte den Helden daran, wie er damals im Tempel des Schläfers unzählige Tränke hintereinanderweg geschluckt hatte, die er alle bei irgendwelchen uralten Orkmumien gefunden hatte. Da war ihm auch ein wenig wundersam zumute gewesen.
    „Du gewöhnst dich schon bald an deine neue geistige Stärke. Du wirst sehen jetzt fliegen dir die Zauber fast schon wie von selbst aus der Hand.“
    „Ja!“ rief Alejandro aus vollem Hals und torkelte noch etwas.
    Vielleicht war etwas zu viel Alkohol im Trank zugesetzt gewesen, oder der Junge vertrug einfach nichts.
    „He ihr, seid wohl betrunken, was? Das wird hier auf offener Straße nicht gern gesehen“, hörten sie eine Stimme und drehten sich um.
    Es war die Stadtwache.
    „Nein, nein. Er hat nur einen magischen Trank geschluckt“, erklärte der Held und wedelte mit der leeren Flasche herum.
    „Soso, hm… wo ich dich gerade sehe. Du kommst mir bekannt vor. Du warst doch der Typ, der einen Termin beim Richter wollte, am Tag als der ermordet wurde.“
    Alejandro verzog das Gesicht. Offenbar wurde es ihm angst und bange.
    „Geh doch schon mal zum Schiff zurück“, sagte der Held leise zu ihm, denn er dachte sich, dass er ohne die verräterische Mimik des Jungen mehr Chancen hatte seinen Hals aus der Schlinge zu bekommen.
    Zur Wache sagte der Held: „Und du warst der Typ, der mir einen Termin im neuen Jahr angeboten hat. Ich erinnere mich. Nein, zum Richter wollte ich nicht. Sondern ins Rathaus. Wollte fragen was man machen muss um sich hier einer Gilde anzuschließen, aber wochenlang wollte ich nicht auf eine Auskunft warten.“
    Der Held log ohne rot zu werden. Das lag an der vielen Übung.
    „Hm… dazu hättest du nicht unbedingt ins Rathaus gemusst. Das hätten dir auch die Angehörigen der Gilde sagen können, in die du willst. In was für eine Gilde wolltest du denn?“ fragte die Wache skeptisch.
    Die Gedanken des Helden rasten. Doch er durfte sich nicht zu lange Zeit mit seiner Antwort lassen, denn sonst klang er unglaubwürdig.
    „Ich wollte in die Gilde der Alchemisten. Rudolf hab ich gefragt wie das hier so läuft und er meinte, anders als in Adloka muss man hier keine hohen Lehrgebühren bezahlen. Das ist natürlich gut, wenn man Lehrling werden will.“
    Die Wache kratzte sich verwundert am Kopf. Ganz offensichtlich hatte er sich über solche Dinge noch nie Gedanken gemacht.
    „Wer ist denn Rudolf?“
    „Wieso kennt den hier denn keiner?“ fragte der Held fast schon erbost und wies die Straße hinauf. „Sein Laden ist doch gleich da vorn.“
    „Oh, achso, naja, dann war das alles wohl nur ein Missverständnis. Dachte vielleicht du könntest der Typ sein, der den Richter auf dem Gewissen hat…“
    „Weil ich nach einer Gildenzugehörigkeit fragen wollte?“ fragte der Held und tat arglos. „Ich bin ja nicht mal ins Rathaus reingekommen, wie du weißt.“
    „He, ja, tut mir Leid, dass ich dich verdächtigt habe. Wir wissen einfach nicht mehr weiter, verstehst du?“
    Tatsächlich wirkte die Wache auf ihn sehr hilflos und innerlich freute den Helden das ungemein, denn so konnte er unbesorgt sein, dass sie je dahinterkamen, wer den Richter tatsächlich umgebracht hatte.
    „Verstehe, aber ich kann dir da auch nicht weiter helfen“, sagte der Held, drehte sich dann um und ging die Straße hinunter zum Hafenviertel.
    Offenbar hatte Skip mit seiner Suche Erfolg, denn vor der Murietta standen drei Männer, die der Held noch nicht kannte. Offenbar wollten sie anheuern, doch aus irgendwelchen Gründen sah Greg nicht sehr glücklich aus.
    „Wüsst nich, warum ik mich wedder mit euch abplagen sollte“, knurrte der Piratenkapitän sogar vergleichsweise verständlich.
    Wohl, damit es mit den Fremden zu keinen Missverständnissen kam.
    „Du weißt, dass ich magisch begabt bin“, sagte einer der Männer, mit kurzen Haaren, spitzen Gesicht und sehnigem Körper, der dunkle aber leichte Kleidung trug. „Und meine Kräfte sind sogar noch gewachsen.“
    Greg sagte zunächst nichts mehr, sondern musterte die drei nur eingehend. Offenbar fürchtete der Mann, der für die Fremden sprach, dass Greg sie abweisen würde, denn er sagte nun noch: „Kannst du es dir wirklich leisten uns wegzuschicken? Deine Männer sehen sehr müde aus. Willst du, dass sie vor Erschöpfung zusammenbrechen?“
    „Na komm Käpt’n, gib ihnen noch eine Chance“, sagte überraschend Skip.
    Greg warf ihm einen missbilligenden Blick zu und knurrte dann an die Fremden gewandt: „Na goot. Ihr helpt bi de Arbeit an de Kanonen mit. Wenn ihr doch ganz bruukbar seid, werde ik euch mitnehmen. Wenn ihr aver Stunk maakt, werfe ik euch den Haien zum Fraß vor.“
    „Das klingt fair“, meinte der Mann mit den schwarzen Klamotten und grinste finster.
    Der Held war nun herangekommen und folgte seinen neuen Schiffskameraden auf die Murietta. Er dachte sich, dass diese neue Entwicklung bestimmt interessant werden konnte.

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Die Sumpfkrautplantage

    Lester fand, dass sich der Winter in Varant bisher ganz gut aushalten ließ. Nachts wurde es kalt, aber tagsüber war es mild. Meistens hielt er sich in der großen Bucht auf, die Myrtana von Varant trennte. Dort am Rande Varants hatte er ein Stück westliche von Lago sein kleines Lager errichtet. Eine einfache Bretterbude diente ihm als Unterstand, aber es regnete fast nie und so brauchte er sie selten. Ohnehin schlief er viel lieber unter freiem Himmel auf einem Wolfsfell und sah sich vor dem Schlafen die Sterne an. Das Sumpfkraut wuchs hervorragend. Er hatte schon die ersten zwei Ernten eingefahren und trotzdem hatte das Kraut schon längst den angedachten Platz überschritten und war weiter das Ufer hochgewuchert. Robust und anspruchsarm wie es war, gedieh es hier ausgesprochen gut. Lester tat aber auch wirklich alles dafür. Mit viel Hingabe kümmerte er sich um die kleinen Pflanzen. Diese einfache Arbeit machte ihm Freude. Kein Stress, niemand, der ihn zu irgendetwas zwang oder ihm Schläge androhte. Er hatte es jetzt wirklich gut, wenn er es mit seiner Zeit in der Gefangenschaft bei den Orks verglich, als er im Tempel für sie graben sollte. Dennoch fehlte ihm etwas. Lester war ein geselliger Mann. Er hatte gern jemanden um sich, mit dem er reden konnte, oder der ihm das Gefühl gab einfach nicht ganz allein zu sein. Manchmal dachte er an die Zeit in der Barriere zurück. Er war sehr froh dort raus zu sein, aber jetzt vermisste er manchmal die Gemeinschaft des Sumpflagers. Mit den meisten Leuten war er dort gut ausgekommen und an seinem Stammplatz am Lagereingang hatte er auch immer mal wieder neue Leute kennen gelernt. Manchmal beschwor er Waldi den Wolf, wenn er neben der Arbeit nicht ganz allein sein wollte. Doch der Wolf war natürlich kein Ersatz und wenn er sich sehr einsam fühlte ließ er seine Sumpfkrautpflanzen tatsächlich auch mal einfach stehen und ging nach Lago, um dort mit Rasul zu reden. Ihm schien die Einsamkeit überhaupt nichts auszumachen, aber vielleicht lag das auch daran, dass er Bernd zum Reden hatte, der immer noch seinen Handelsladen hier betrieb. Bei Bernd konnte Lester was zu Trinken kaufen, aber was ihm fast noch viel wichtiger war, mit ihm reden. So war er sehr neugierig was der Kaufmann über Myrtana zu berichten hatte. Von Marlo, dem Wirt aus Kap Dun und Copper, der ihn begleitete, erfuhr Bernd immer ein paar Neuigkeiten. Im Moment sah die Lage wohl wirklich übel aus. Einige Männer in Kap Dun waren schon verhungert, andere waren krank, weil sie vor Hunger so geschwächt waren. Auch hier war die Hungersnot zu spüren. Bernd hatte nie etwas zu Essen im Angebot. Wenn dann war es eher noch Lester, der ihm und Rasul zur Begrüßung etwas zu Essen mitbrachte. In der Bucht hatte er in Ufernähe Reusen ausgelegt und bisher hatten sich jeden Tag ein paar Fische darin verfangen.
    „In Kap Dun machen sie es auch so“, sagte Bernd, als Lester ihm sagte wie er an seine Fische kam. „Aber mir ist das nichts. Ich kann nicht schwimmen und es gibt dort eine Strömung hab ich gehört. Ich will nicht ersaufen.“
    Bernd sah bang aus, als er über das Wasser redete. Als Lester Rasul auf den Fischfang ansprach, sah der nicht wirklich interessiert aus. Offenbar galt seine ganze Aufmerksamkeit den Sumpfkrautpflanzen und Essen war nur notwendiges Beiwerk. Tatsächlich hatte Lester ihn noch nie anders als halbverhungert gesehen. Seinen Fisch nahm Rasul trotzdem gerne an. Sie rauchten zusammen.
    „Wie läuft es mit deinem Kraut?“ fragte Rasul.
    „Wächst wie verrückt“, antwortete Lester fröhlich.
    „Das gleiche hier.“
    „Kann ich dir vielleicht irgendwie helfen?“ fragte Lester, weil er nicht schon wieder weggehen wollte.
    Rasul sah ihn verwundert und etwas misstrauisch an.
    „Nach dem was du mir erzählt hast, steht das halbe Ufer mit Sumpfkraut voll und da willst du mir bei meinem kleinen Stückchen hier noch helfen?“
    Lester wollte nicht, dass Rasul dachte, er würde irgendetwas im Schilde führen, also rückte er mit der Wahrheit heraus, auch wenn es ihm etwas unangenehm war es anzusprechen.
    „Weißt du, es ist recht einsam unten am Ufer.“
    „Das hat doch auch viel Schönes“, antwortete Rasul. „Niemand, der einen schlägt oder sogar umbringen will. Man hat seine Ruhe, kann sein Kraut rauchen, herrlich.“
    Lester lächelte etwas gequält.
    „Ja, das stimmt schon. Nur … damals in der Barriere, in der Bruderschaft, da hat es mir immer gefallen mit anderen zusammenzuarbeiten, die das Sumpfkraut zu schätzen wussten. Ich vermisse so ein bisschen dieses Gemeinschaftsgefühl.“
    Auch wenn Lester an und für sich ein offener und freundlicher Mann war, so fühlte er sich etwas unwohl seine innersten Gefühle einfach so preiszugeben, selbst wenn er mit Rasul nun schon öfter gesprochen hatte.
    „Kann ich mir denken“, sagte Rasul und lehnte sich auf seine Hacke. „Es ist immer schön, wenn andere die gleichen Interessen haben.“
    Er dachte wohl einen Moment nach, denn er sagte lange nichts. Lester sah sich derweil um und bemerkte, dass die Sumpfkrautpflanzen hier oben breiter, aber nicht so lang waren.
    „Na gut, auch wenn ich meine Ruhe schätze, habe ich nichts dagegen, wenn du etwas mit mir
    zusammenarbeitest. Schnapp dir eine Hacke und befreie das Stück da hinten von diesen komischen Flechten, die sich immer wieder ausbreiten!“
    Lester und Rasul arbeiteten bis zum frühen Abend zusammen. Lester gefiel das, aber Rasul wollte nicht viel reden. Auf Fragen antwortete er einsilbig und er stellte selbst fast nie welche, so dass kein wirkliches Gespräch zustande kommen wollte. Trotzdem gefiel es Lester mehr, als immer nur alleine seine Tage zu verbringen.
    „Wenn du willst, kann ich dir auch mal mein Sumpfkraut zeigen“, bot Lester seinem Kollegen an.
    Rasul sah etwas unschlüssig aus. Es interessierte ihn wohl schon, doch er sah unruhig auf seine Pflanzen.
    „Ach denen passiert schon nichts, du bist doch nicht lange weg“, meinte Lester.
    „Na gut“, stimmte Rasul widerwillig zu und er folgte Lester zum Ufer der Bucht.
    Sie gingen schweigend zusammen am Ufer entlang, bis Rasul Lesters Krautplantage sah und ihm ein „Donnerwetter!“ entfuhr.
    „Wächst echt gut“, sagte Lester ein wenig stolz.
    „Das kannst du aber laut sagen. Viel besser als bei mir, aber gut, mir reicht mein Stück da oben. Das schaffe ich zu bewirtschaften und das ist trotzdem viel mehr als ich jemals rauchen könnte. Was willst du mit all dem Sumpfkraut anstellen?“
    Lester zuckte mit den Schultern.
    „Weiß noch nicht genau. Erstmal ernten und haben. Vielleicht verkaufen, aber so wie ich das von Bernd gehört habe, hat im Moment eh kaum jemand Gold.“
    „Ich frag mich echt wo das alles hingekommen ist“, murmelte Rasul leise.
    „Was?“ fragte Lester nach, weil er Rasuls leises Gemurmel nicht ganz verstanden hatte.
    „Na, denk doch mal nach. Gold verschwindet doch nicht einfach. Man tauscht es doch. Also wenn alle wenig oder gar nichts davon haben, dann muss irgendwer doch richtig viel davon haben. Einen riesigen Berg.“
    „Hm… stimmt.“
    „Ich frag mich wer das ist. Vielleicht irgendwelche raffgierigen Assassinen. Naja, sollen sie an ihrem Gold ersticken. Gold kann man nicht rauchen.“
    „Stimmt“, wiederholte Lester, der sich freute, dass es mal ein Gespräch gab, doch über Gold wusste er nicht so viel zu sagen.
    Er dachte fieberhaft nach und sagte dann: „Vielleicht wird es mit dem Sumpfkrauthandel nächstes Jahr etwas.“
    Er wechselte das Thema: „Hast du bemerkt, dass die Pflanzen hier viel größer und biegsamer sind?“
    „Ja, auch viel grüner, aber nicht so breit. Bei mir sind die Stengel auch eher rau und hier glatt. Könnte dran liegen, dass ich mein Sumpfkraut nicht am Ufer pflanze.“
    „Oder es ist irgendeine Unterart. Ich habe dieses Sumpfkraut aus dem Sumpf im Minental.“
    „Wie hast du denn das gemacht? Das müsste doch auf der Überfahrt hierher längst verwelkt sein.“
    „Ach, ich hatte etwas Hilfe dabei“, sagte Lester ausweichend, weil er nicht wollte, dass jeder über die magische Hosentasche seines Freundes Bescheid wusste. „Wollen wir etwas ausprobieren? Ich geb dir ein paar von meinen Pflanzen und du mir von deinen und wir gucken mal wie sie sich in der gleichen Umgebung schlagen. Wenn die Tochterpflanzen von deinem Sumpfkraut hier auch so biegsam, groß und grün werden, dann wissen wir, dass es am Standort liegt, aber wenn sie so bleiben, dann ist es wirklich irgendeine Unterart oder so etwas.“
    „Hm…“, machte Rasul, der wohl nicht leichtfertig auch nur ein Pflänzchen hergab. „Na schön.“
    Erklärte er sich dann aber doch bereit.
    „Hier nimm diese hier, die sind besonders gut geraten“, sagte Lester und reichte ihm ein paar frisch ausgewachsene Pflanzen. „Ich werde morgen ein neues Stück Ufer abstecken und dort dann deine Pflanzen einbuddeln. Mal sehen was aus unserem Projekt wird.“

    Als Lester am nächsten Tag nach Lago kam, gab Rasul ihm wirklich einige seiner Pflanzen. Um Lesters Kraut hatte er sich bereits bestens gekümmert. Es war versorgt und stand am Rand des Feldes, wovon einige Pflanzen im Schatten eines dürren Dornenstrauchs standen. Zurück am Ufer pflanzte Lester Rasuls Sumpfkraut gleich ein. Sie bekamen leider nur morgens etwas Sonne ab, da der südlich aufragende Hang ab Mittag Schatten spendete. Doch Lester hatte für sie immerhin ein besonders schönes Plätzchen ausgesucht, weil er sich dachte, dass Rasuls Pflanzen eher an das Sonnenlicht gewöhnt waren, anders als das Kraut aus dem Minental.
    Am nächsten Morgen hatte Lester sich gerade erst von seinem Wolfsfell erhoben auf dem er die ersten MorgenkrautStengel geraucht hatte, da sah er jemanden von Lago her auf ihn zukommen. Es war ein dürrer Typ, den er nicht kannte. Außer einem ziemlich abgerissenen grauen Hemd und einem Lendenschurz trug er nur noch den Halsring und die Hand- und Beinfesseln eines Sklaven. Der Mann hatte kurzgeschorene Haare und wirkte noch recht jung, vielleicht war er erst Anfang zwanzig. Obwohl er sich vorsichtig umsah, wirkte er sehr zielstrebig. Lester wartete, bis er herangekommen war und begrüßte ihn dann freundlich.
    „Hallo. Wer bist du denn?“
    „Hallo, ich bin Kewen und war lange Sklave in Bakaresh. Ich konnte fliehen, aber jetzt weiß ich nicht wohin. Als ich hier in Lago vorbeikam, sagte mir ein Typ namens Rasul, dass du vielleicht hier jemanden gebrauchen kannst.“
    Er kam sehr schnell auf den Punkt und das erinnerte Lester an seinen Freund, der das Sumpfkraut in seiner Tasche übers Meer gebracht hatte. Lester lächelte den Fremden freundlich an und sagte: „Ruh dich erstmal aus. Hier, willst du einen Fisch?“
    Er reichte ihm einen großen Zackenbarsch, der beinahe eine seiner Reusen zerstört hätte. Der Sklave glotzte fassungslos auf den großen Fisch.
    „Du gibst mir dieses Essen einfach so?“
    „Hast wohl viel durchgemacht, was? Hier, ich mach ein Feuer, dann kannst du ihn braten.“
    Offenbar konnte Kewen seine Dankbarkeit gar nicht in Worte fassen.
    „Vielen Dank … ich kann ehrlich gesagt noch gar nicht fassen, dass ich jetzt frei bin und machen kann was ich will. Es hatte sich eine günstige Gelegenheit ergeben und ich hab sie einfach ergriffen. Jetzt weiß ich aber nicht wohin. Wenn du es erlaubst, würde ich gerne erstmal hierbleiben. Hier suchen die Assassinen bestimmt nicht nach mir.“
    Lester ahnte, dass dieser Mann ihm vielleicht noch Ärger bringen könnte. Wenn die Assassinen ihn wirklich suchten und ihn hier fanden, würden sie wohl nicht so glücklich sein, doch Lester wollte sich nicht über ungelegte Eier Gedanken machen. Stattdessen zündete er sich lieber einen weiteren Stengel an. Diesmal etwas stärkeres, einen Traumruf. Der war gut um die Nerven so richtig zu entspannen, aber noch nicht so stark, als dass er nicht mehr arbeiten könnte. Immerhin war er Sumpfkraut gewohnt. Während er dies tat, redete Kewen aufgeregt weiter. Offenbar hatte er mindestens genauso viel Redebedarf wie Lester.
    „Ich … weiß nur leider nicht sehr viel über dieses Kraut“, sagte der entflohene Sklave ehrlich und machte eine ausholende Handbewegung in Richtung der Sumpfkrautplantage. „Ich weiß nur, dass man es rauchen kann.“
    „Wenn du willst kann ich dir alles beibringen“, sagte Lester und setzte sich zu ihm ans Feuer, wo er nun ebenfalls einen Fisch aufspießte und über die Flammen hielt.
    „Gerne.“
    Auf Kewens Gesicht entstand etwas, dass Ähnlichkeit mit einem Lächeln hatte, offenbar fehlte es ihm einfach an Übung.
    „Sumpfkraut ist robust. Das wächst auch gut, ohne, dass man sich drum kümmert, aber wenn man es tut, dann wächst es wie verrückt. Siehst du?“ fing Lester an und zeigte auf die Pflanzen.
    Kewen nickte eifrig.
    „Ich hab dieses Sumpfkraut aus dem Sumpf im Minental mitgebracht.“
    Weil Kewens Stirn sich krauste und er offenbar keine Ahnung hatte wo das sein sollte, ergänzte Lester: „Das liegt auf der Insel Khorinis. Dieses Sumpfkraut wächst im Sumpf. Heißt ja schon so.“
    Lester lachte. Kewen war sich wohl unsicher, ob er mitlachen sollte, denn er grinste nur scheu.
    „Wenn es viel Wasser und Schatten hat, dann wächst es gut. Rasul oben hat auch Sumpfkraut. Das wächst aber in der prallen Sonne und hat gar nicht so viel Wasser. Wir haben gerade ein kleines Experiment laufen. Wir haben ein paar Pflanzen getauscht um zu sehen ob es am Standort liegt, oder ob es verschiedene Pflanzenarten sind. Nach dem Essen zeig ich dir wie man am besten die Erde auflockert, damit das Sumpfkraut seine Wurzeln besser ausbreiten kann.“
    Auch wenn Kewen zunächst nicht mehr viel von sich erzählte, war Lester froh, dass er nicht mehr allein war. Zusammen schmeckte der Fisch gleich besser. Nach dem Essen zeigte er ihm, so wie er es versprochen hatte, wie man sich am besten um das Sumpfkraut kümmerte. Heute legte Lester die Arbeit schon am späten Nachmittag nieder, denn er vermutete, dass Kewen nach seiner beschwerlichen Flucht Ruhe zu schätzen wusste.
    „Ruh dich aus. Du hast bestimmt viel durchgemacht.“
    Kewen nickte, dann sah er sich aufmerksam um. Die unausgesprochene Frage stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.
    „Kannst dich im Unterstand hinhauen. Ich schlaf eh lieber draußen und seh mir die Sterne an“, bot Lester gutherzig an.
    „Vielen Dank“, sagte Kewen.
    Während Lester auf dem Wolfsfell noch einige Grüne Novizen rauchte, hörte er Kewen wenig später schon leise schnarchen.

    Lester wachte auf, weil Kewen schrie. Erst dachte er, sie würden angegriffen, doch als er hochschreckte sah er, dass sein neuer Mitarbeiter sich auf seinem Schlafplatz im Unterstand hin und her wälzte. Er hatte wohl einen Albtraum. Lester lief zu ihm und rüttelte ihn, damit er sich nicht mehr quälte.
    „He, alles klar bei dir?“ fragte er.
    Kewen sah sich mit ängstlichen Augen um und richtete sich ruckartig auf. Kalter Schweiß rann über seinen Körper. Sein Atem ging heftig.
    „Ja, alles klar“, log er atemlos und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. „Ich hatte nur einen Albtraum. Hab geträumt die Assassinen hätten mich entdeckt und würden mich wieder einfangen.“
    Lester wirkte besorgt. Er wusste nicht wie wahrscheinlich es war, dass Kewens Befürchtungen eintraten.
    „Hier werden sie dich bestimmt nicht finden“, wollte Lester ihm Trost zusprechen.
    „Wirklich?“ fragte Kewen und sah die Zweifel in Lesters Augen.
    „Nun, ich weiß es nicht“, gab Lester zu. „Warst du ihnen denn besonders wichtig? Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich so viel Mühe machen im ganzen Land nach dir zu suchen.“
    „Wichtig war ich vielleicht nicht, aber es geht ihnen auch mehr um die Wirkung. Wenn die anderen Sklaven sehen, dass einer von ihnen abgehauen ist und nicht zurückgebracht wird, ermutigt sie das es selbst zu versuchen. Wenn der Sklave dagegen zurückgebracht und vor ihren Augen totgepeitscht wird, dann eher nicht.“
    Lester reichte ihm einen Grünen Novizen.
    „Willst du was? Das beruhigt die Nerven.“
    Kewen, der bisher nichts rauchen wollte, nahm den Stengel an und Lester reichte ihm Feuer, indem er eine Feuerpfeilrune bereithielt. Es reichte sie einfach nur hochzuhalten. Er musste sie noch nicht mal wirklich einsetzen. Lester nutzte diese Rune gerne, weil es so praktisch war, um sich die Stengel anzuzünden. Kewen nahm einen Zug und musste husten.
    „Nicht so hastig. Entspann dich“, riet ihm Lester.
    Kewen nahm seinen nächsten Zug vorsichtiger und atmete dann ganz tief durch. Er ließ sich an die Bretterwand hinter ihm sinken und schloss kurz die Augen. Noch einmal atmete er ganz tief durch.
    „Ah, das tut gut.“
    „Ja, nicht wahr?“
    Lester lächelte. Sie rauchten zusammen und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.
    „Kommst du aus Myrtana?“ fragte Kewen.
    Lester zuckte mit den Schultern.
    „Wie mans nimmt. Bin etwas herumgekommen. Wenn du es genau wissen willst, war ich mal ein Sträfling in der Minenkolonie von Khorinis.“
    Kewen sah ein wenig beunruhigt aus.
    „Weswegen haben sie dich da reingeworfen?“
    „Ach, nur ein kleines Missverständnis mit zwei Stadtwachen“, meinte Lester.
    „Hm…“
    Kewen sah nicht beruhigt aus. Lester fing von sich aus an, weiter zu reden, um dies zu ändern: „Alles in allem habe ich die Zeit da ganz gut überstanden. Ja gut, zuerst war es wirklich nicht einfach. Gefühlt jeder wollte mir an den Kragen und überall irgendwelche Viecher, die mich fressen wollten, aber nachdem ich mich der Bruderschaft des Schläfers angeschlossen hatte, lief es ganz gut. Dort habe ich gelernt wie man das Kraut züchtet und daraus Stengel herstellt. Anders als in den beiden anderen Lagern war es bei uns meist ruhig und entspannt. Mit den meisten kam ich ganz gut aus und wenn ich ehrlich bin, hat es auch ein wenig Spaß gemacht zusammen zu arbeiten. Es gab so ein Gemeinschaftsgefühl bei uns, verstehst du? Wir mochten alle das Sumpfkraut. Naja, manche waren vielleicht auch nur gekommen, weil sie sich bei uns nicht kaputtschinden mussten und sie ihre Ruhe vor den Banditen und Gardisten hatten, aber das war ja auch in Ordnung.“
    „Hört sich gar nicht mal so schlecht an. Unter einer Strafkolonie hatte ich mir irgendwie was Anderes vorgestellt“, gab Kewen zu.
    „Nun ja, es war nicht immer so, aber nachdem die Wachen entmachtet wurde, hatte sich viel geändert, aber das war lange bevor ich ins Minental kam.“
    Kewen nahm noch einen tiefen Zug und warf dann seinen aufgerauchten SumpfkrautStengel weg.
    „Herrlich, so lässt es sich wirklich aushalten. Ich glaube, ich bleibe für immer hier.“
    Lester lachte.
    „Nur nicht so voreilig. Vielleicht gefällt dir die Arbeit irgendwann nicht mehr.“
    „Besser als das was ich bisher gemacht habe ist es allemal.“
    Kewen schwieg einen Moment und sah zu Boden. Er seufzte leidend und hob dann mit seiner Erzählung an: „Ich war noch ein Kind als ich zum Sklaven wurde. Mein Vater war Händler. Regelmäßig pendelte er von Trelis nach Bakaresch um Waren zu kaufen und zu verkaufen. Ich weiß nicht genau was los war, vermutlich war ich noch zu jung um das alles zu verstehen, aber ich vermute, mein Vater muss irgendeinem wichtigen Assassinen ans Bein gepinkelt haben. Jedenfalls wurden wir auf dem Weg von Bakaresch nach Brago überfallen. Sie töteten meinen Vater, raubten die Waren und brachten die Arbeiter meines Vaters und mich nach Bakaresh wo wir als Sklaven verkauft wurden. Ein Assassine namens Sigmor hat mich gekauft. Hat nicht mal viel für mich bezahlt, aber mein Händler hat gekuscht. Sigmor ist ein mächtiger Schwarzmagier in Bakaresh und die anderen Assassinen buhlen darum in seinem Ansehen aufzusteigen. Ich vermute, er ist der Mann mit dem mein Vater sich angelegt hat. Er ließ mich die niedersten, entwürdigendsten Arbeiten verrichten. Wenn es ihm gefiel verweigerte er mir Tagelang das Nötigste. Essen, Schlafen, waschen, selbst Scheißen durfte ich nur gehen, wenn er es erlaubte. Ständig fand er etwas an mir und meiner Arbeit auszusetzen, selbst wenn ich alles richtig gemacht hatte nörgelte er herum. Wenn ich mal wirklich was falsch gemacht hatte, griff er gleich zur Peitsche. Und so hab ich die letzten zehn Jahre verbracht.“
    Kewen stierte mit leeren Augen in die Gegend. Lester suchte nach Worten, die ihn trösten könnten, doch er wusste nicht was er sagen sollte. Im Vergleich zu Kewen hatte er es in der Barriere wohl wirklich gut getroffen. Lester seufzte. Wo war da die Gerechtigkeit? Immerhin hatte er zwei Stadtwachen getötet, was rechtfertigte, dass er dafür bestraft wurde. Kewen dagegen hatte wohl nichts falsch gemacht und hatte zehn bitte Jahre durchleben müssen und war in Sklaverei aufgewachsen.
    „Das tut mir Leid für dich“, sagte Lester.
    Kewens Stirn furchte sich.
    „Wieso? Du kannst doch nichts dafür.“
    Offenbar kannte Kewen diese Redewendung nicht. Offenbar sagte man das bei den Assassinen nicht.
    „Ich war nur mal ein paar Tage Sklave. Die Orks hatten mich gefangen und ich musste für sie in einem Tempel buddeln. Ich hatte aber Glück und wurde nach ein paar Tagen befreit.“
    „Von wem?“, fragte Kewen und legte den Kopf schräg. „Vom Befreier?“
    Lester nickte. Er fand es komisch, wenn andere seinen Freund so nannten, aber im Prinzip hatte er diese Bezeichnung wohl verdient.
    Kewen seufzte schwer.
    „Ich wünschte er hätte auch alle Leute in Varant befreit.“
    „Wäre wohl nicht so einfach gegangen. Mora Sul und Bakaresh sind große Städte und er hätte sich wohl ganz allein mit allen anlegen müssen.“
    „In Ishtar hat er es doch aber auch gemacht“, sagte Kewen und klang ein bisschen bockig und enttäuscht.
    „Ja, naja … ich weiß auch nicht warum“, gab Lester zu.
    Er wollte nichts Falsches sagen. Kewen hatte viel durchgemacht und Lester konnte daher gut verstehen, dass er enttäuscht war, weil der Held nicht alle Sklaven in Varant befreit hatte.
    „Ich hab ihn ein paar Mal gesehen, weißt du“, sagte Kewen leise. „Er lief in Bakaresh herum. Ich hab mir so gewünscht, dass er gekommen wäre, um uns alle da rauszuholen.“
    Stumme Tränen rannen Kewen über die Wangen. Er zog Schutz suchend die Beine an und legte sein Gesicht auf die dürren Arme. Lester fühlte einen Kloß im Hals.
    „He, alles ist jetzt gut. Du bist jetzt frei.“
    „Aber die anderen nicht“, sagte Kewen mit erstickter Stimme.
    Er sah Lester schließlich mit tränenfeuchten Augen an und fragte: „Könntest du mich jetzt allein lassen? Ich brauche einen Moment für mich.“
    Lester sah ihn mitleidig an und sagte: „Ja, kein Problem. Lass es dir nicht zu viel im Kopf herumgehen. Ich lass dir noch etwas Sumpfkraut da, in Ordnung?“

    Lester erwachte, weil er Kewen reden hörte. Langsam setzte er sich auf und runzelte verschlafen die Stirn. Noch war er nicht ganz wach und überlegte lahm mit wem Kewen wohl reden mochte, immerhin waren sie hier doch ganz allein, oder? Dieser Gedankengang ließ Lesters Hirn langsam Betriebstemperatur erreichen. War etwa jemand in der Nacht dazu gestoßen? Was, wenn es jemand gefährliches war? Dieser Gedanke ließ ihn rasch aufstehen und in die Richtung gehen aus der er Kewens Stimme hörte. Er wunderte sich, weil niemand ihm antwortete. Lester bog um den Unterstand und bekam die Antworten auf seine Fragen. Vor einer Trauerweide stand Kewen und redete wild gestikulierend mit dem Baum.
    „Ich find‘s hier ganz nett weißt du? Lester ist in Ordnung. Wenn du willst kannst du auch hierbleiben. Was? Nein, kein Problem. Wir haben hier nichts gegen Leute, die ein bisschen anders sind. Mach dir keine Sorgen.“
    „Kewen, warum redest du mit einem Baum?“ fragte Lester belustigt und lehnte sich gegen den Unterstand.
    Ungelenk drehte sich Kewen zu ihm um und sagte mit vernebelten Blick: „Welcher Baum? Das ist Larry! Gut, er ist vielleicht etwas stämmig, aber er ist doch kein Baum.“
    „Ach, also nicht?“ fragte Lester belustigt. „Schüttel deinem Freund doch mal die Hand.“
    Kewens Stirn furchte sich. Er drehte sich wieder zur Weide und meinte: „Hörst du Larry? Lester glaubt, du wärst ein Baum.“
    Er hob eine Hand zum Mund und sprach nun mit gedämpfter Stimme weiter: „Unter uns. Ich glaube Lester mag sein Sumpfkraut etwas zu gerne. Weißt du was? Um ihm zu beweisen, dass du ein richtiger Mensch bist schütteln wir uns jetzt die Hände.“
    Kewen nahm einen Schwung herunterbaumelnder dürrer Äste in seine Hand und schüttelte sie, so dass die Blätter laut raschelten.
    „Oh tut mir leid, wenn ich deine langen Haare etwas gestreift habe, Larry“, entschuldigte sich Kewen.
    „Ja, okay, weiß auch nicht wie ich an deinen Worten zweifeln konnte“, sagte Lester und grinste.
    „Siehst du!“ sagte Kewen offensiv und vertiefte sich wieder in sein Gespräch mit dem Baum.
    Lester schüttelte belustigt den Kopf und wandte sich ab. Kewen hatte wohl etwas zu viel Sumpfkraut geraucht. Um nachzusehen was fehlte, ging Lester zu seinen Beständen, doch er konnte nicht feststellen, dass viel verschwunden war. Sollte Kewen etwa schon von ein paar Stengeln grüner Novize bekifft sein? Lester grübelte. Nun, Kewen war ein Sklave gewesen, vermutlich hatte er noch nicht viel Erfahrung mit irgendwelchen Genussmitteln gesammelt und er war halb verhungert, vielleicht schlugen die Eigenschaften des Krauts damit stärker durch. Lester zog selbst erst mal einen Grünen Novizen durch und fühlte sich dann für den neuen Arbeitstag bereit. Als erstes sah er nach dem Kraut. Er hatte das Gefühl, es war schon wieder gewachsen. Nur Rasuls Kraut mickerte vor sich hin. Die Blätter hingen schlaff hinunter und auch die Stengel sahen lasch aus. Lester fragte sich, was er dagegen tun könnte. Schließlich rupfte er rundherum wieder alles Unkraut heraus und prüfte den Boden. Ordentlich Wasser hatten die Pflanzen und locker war der Boden auch. Er hoffte, dass sich die Stengel wieder erholen würden. Dann watete Lester in die Bucht, um nachzusehen, ob sich in der Nacht Fische in den Reusen verfangen hatten. Tatsächlich hatte er Glück und entdeckte vier Fische. Eine Goldbrasse, ein Knurrhahn und zwei Seezungen. Er gab jedem eins mit seinem Streitschlichter auf den Kopf und packte sie dann unter den inzwischen reichlich angematschten Kiemen, um sie zum Ufer zu tragen. Verblüfft sah Lester, dass Kewen nicht allein war. Ein großer, starker Mann mit langen verfilzten Haaren, der vielleicht ein paar Jahre älter war als er selbst, stand neben Kewen und sah etwas misstrauisch aus. Kewen lächelte jedoch. Das gelang ihm jetzt schon besser. Fröhlich winkte er Lester zu und rief: „Gut, dass du gleich vier Fische gefangen hast. Larry hat ordentlich Kohldampf.“
    Lester blieb abrupt in der Brandung stehen. Hatte er da richtig gehört? Larry? Er verengte die Augen. War Larry jetzt eine Halluzination? Aber er hatte doch erst einen Grünen Novizen geraucht. Vielleicht war es auch anders als er gedacht hatte und er war heute Morgen derjenige mit den Halluzinationen gewesen. Er hätte den zweiten Schwarzen Novizen gestern Nacht wohl nicht auch noch rauchen sollen. Der Typ sah ihm jetzt jedenfalls sehr echt aus und deswegen ging er weiter auf die beiden Männer zu.
    „Lust auf ein frühes Mittagessen?“
    „Gerne“, sagte Kewen und strahlte.
    Larry sagte gar nichts, was Lester skeptisch werden ließ. Vielleicht war er ja doch gar nicht echt und er bildete ihn sich nur ein. Aber Kewen konnte ihn ja auch sehen. Vielleicht eine Massenhalluzination?
    Kewen war schon so emsig gewesen für Feuerholz zu sorgen, so dass Lester es jetzt leichter hatte. Er legte die toten Fische ins Gras, zog seine Feuerpfeilrune hervor und zündete damit den bereitgestellten Zunder an. Rasch prasselte ein munteres Feuer vor ihnen. Larry riss die Augen auf.
    „Du kannst ja Magie.“
    Lesters Augen weiteten sich auch für einen Moment. Larry war also wirklich echt, oder bildete er sich dessen Stimme auch nur ein? Er ging erstmal davon aus, dass er wirklich da war und antwortete deshalb bescheiden: „Ja, ein wenig. Bin im dritten Kreis.“
    „Das sagt mir nichts“, gab Larry zu.
    „Aber mir“, sagte Kewen. „Es bedeutet, dass Lester ein durchschnittlich erfahrener Magier ist.“
    Lester zuckte nur mit den Schultern.
    „Mir reicht es jedenfalls.“
    Lester setzte sich vor dem Feuer auf den Boden und begann die Fische zu schuppen.
    „Der rote Fisch sieht ja interessant aus“, sagte Kewen und Lester reichte ihm den Knurrhahn. „Danke.“
    „Und du?“ fragte Lester.
    „Wenn ich darf, würde ich gerne so einen platten Fisch nehmen“, sagte Larry schüchtern und strich sich die langen Haare hinter den Rücken, damit sie ihn nicht bei der Arbeit behinderten.
    Lester reichte ihm eine Seezunge.
    Eine Zeit lang saßen sie alle schweigend vor dem Feuer und bereiteten die Fische fürs Braten vor. Es war seltsam. Eigentlich hatte Lester sich lange jemanden zum Reden gewünscht, aber jetzt da er gleich mit zwei neuen Bekanntschaften Gespräche führen könnte, machte er sich vor allem Gedanken um seinen Geisteszustand. Auch die anderen beiden waren wohl tief in Gedanken versunken. Erst als drei Fische über dem Feuer hingen, begann Larry zu erzählen: „Ich bin wie Kewen bis vor kurzem ein Sklave gewesen. Ich und drei andere sollten für unseren Herrn einen Wagen ziehen. Er war ein Krämer und wollte nach Bakaresh. Auf halbem Weg wurden wir von Nomaden angegriffen. Während des allgemeinen Durcheinanders bin ich abgehauen. Ein paar Tage bin ich durch die Wüste geirrt, bis ich nach Lago kam. Dort hab ich so einen Typen gefragt, ob er mir die Fesseln abnehmen kann. Ich sah wohl sehr mitleidig aus, denn er hat es einfach so gemacht, ohne eine Gegenleistung zu wollen. Tja und dann hab ich nach Arbeit gefragt, denn ich dachte mir, ohne ein wenig Gold komme ich bestimmt nicht weit. So ein anderer Typ baut oben in Lago auch solches Kraut an, doch er wollte seine Ruhe und hat mich hier runter geschickt.“
    „Wenn du willst, kannst du mit uns zusammenarbeiten und wir teilen das Gold, das wir durch den Verkauf des Sumpfkrauts bekommen“, schlug Lester aufgeschlossen vor.
    „Hört sich gut an“, stimmte Larry zu.
    Etwas neidisch sah Kewen zu Larry. Nur vernarbte Haut zeugte noch von den Sklavenringen.
    „Ich will diese Scheiße auch loswerden. Nachher werde ich hochgehen und fragen, ob mich dieser Mann auch davon befreit. Wie heißt er denn?“
    Larry zuckte mit den Schultern.
    „Bestimmt war es Bernd. Der Händler“, vermutete Lester.
    Sie aßen schweigend ihre Fische. Lester hätte vielleicht auch etwas von sich erzählt, doch im Moment hing er immer noch seinen eigenen Gedanken nach. Er machte sich wirklich Sorgen. Hatte er es mit dem Sumpfkraut übertrieben? Was war denn nun wirklich heute Morgen los gewesen? Hatte Kewen einem Menschen oder einem Baum die Hand gereicht?
    Nach dem Essen verschwand Kewen nach Lago und kam später überglücklich ohne seine Sklavenringe zurück. Seine Haut war noch vernarbter als die von Larry. Vermutlich würde noch bis an sein Lebensende erkennbar sein, dass er einst ein Sklave gewesen war. Lester hoffte, dass die Assassinen ihn nicht mehr in die Finger bekommen würden.
    Gemächlich ging es zurück an die Arbeit. Lester erklärte Larry, bei dem er sich nun recht sicher war, dass er wirklich da war, was beim Anbau von Sumpfkraut wichtig war. Für Kewen war das auch noch mal eine gute Wiederholung. Larry nahm seinen ersten SumpfkrautStengel etwas zögerlich entgegen. Sie arbeiteten gemeinsam und legten immer wieder entspannte Rauchpausen ein. Larry wirkte recht verschlossen, doch Lester freute sich darüber wie Kewen immer mehr aufblühte. Am späten Nachmittag erklärte sich der junge Mann eifrig dazu bereit nach den Reusen zu sehen. Lester und Larry blieben am Ufer zurück und arbeiteten weiter, zuerst schweigend, doch dann ergriff Larry das Wort.
    „Du heißt doch wirklich Lester, oder?“
    Lester sah verwirrt aus.
    „Ja, wieso?“
    „Naja … ich heiße eigentlich Herbert, aber Kewen nennt mich aus irgendeinem Grund immer Larry.“
    Lester seufzte erleichtert und lächelte dann.
    „Den Göttern sei Dank. Ich dachte schon es geht los mit mir. Heute früh hat Kewen nämlich mit einem Baum geredet und ihn Larry genannt und als du dann da warst und er dich Larry genannt hat, dachte ich schon ich wäre derjenige gewesen, der Halluzinationen hat.“
    Während Larry, der eigentlich Herbert hieß, schockiert und irritiert aussah und dann langsam und unsicher zu seinem beinahe aufgerauchten Sumpfkrautstengel hinabblickte, griff Lester in die Tasche und zog einen Traumruf hervor. Er brauchte jetzt was Stärkeres.
    „Nun … Ich weiß nicht“, sagte Herbert verunsichert. „Ich hab dich ins Wasser laufen sehen und dann kam Kewen an und hat mich wie einen alten Freund begrüßt und mich eben Larry genannt. Hab mich schon gefragt wo ich hier gelandet bin.“
    „Stört es dich nicht, wenn er dich nicht mit deinem eigentlichen Namen anspricht?“ fragte Lester verwundert und nahm einen tiefen Zug.
    Herbert zuckte mit den Schultern.
    „Ach, im Grunde ist mir das egal. Es tut an sich schon gut überhaupt mal wieder mit Namen angesprochen zu werden. Mein Herr hat mich immer nur beschimpft. Sohn einer verlausten Ratte, Sohn einer feigen Fleischwanze und so weiter.“
    „Was ist mit den anderen Sklaven?“ fragte Lester neugierig.
    „Wir sahen uns nur bei der Arbeit und dann durften wir nicht reden“, erklärte Herbert.
    Lester nahm noch einen weiteren tiefen Zug von seinem Traumruf und atmete dann völlig entspannt aus.
    „Meinst du es ist gut so viel von dem Zeug zu rauchen?“ fragte Herbert unsicher, denn er dachte wohl noch an Lesters Worte mit den Halluzinationen.
    „Ach, der Kleine ist einfach nur nicht daran gewöhnt“, winkte Lester ab.
    „Aber du warst dir bis eben auch nicht ganz sicher, ob du sie noch alle hast“, gab Herbert zu bedenken.
    „Aber wie sich herausstellte, hab ich sie ja noch alle, also kann ich weiterrauchen“, entgegnete Lester uneinsichtig.
    „Aber, wenn du so weitermachst, ist es vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis sich das ändert“, sagte Herbert vorsichtig.
    „He, ich rauche schon seit ein paar Jahren Sumpfkraut und wirke ich auf dich irgendwie seltsam?“ fragte Lester.
    Herbert musterte ihn intensiv und sagte dann unentschieden: „Naja ich kenne dich erst seit heute. Wer weiß wie du früher warst.“
    „Mach dir nicht so viele Sorgen. Hier, nimm noch einen Stengel.“
    „Vielleicht später“, wiegelte Herbert ab.
    Sie hörten Wasser rauschen und wandten sich um. Kewen kam mit einer kaputten Reuse zu ihnen.
    „Eine der Reusen ist kaputt. Ich werde sie nachher reparieren. Sie war aber ein gutes Gefäß, denn in den anderen hatten sich ein paar Krabben versteckt. Guckt mal wie viele“, sagte Kewen aufgeregt und zeigte die Reuse vor, die an einer Seite ein großes Loch hatte.
    „Gute Ausbeute“, sagte Lester zufrieden.
    Glücklich saßen sie alle später ums Feuer herum und aßen die Krabben. Sie schmeckten köstlich.
    „Und wie hat dir der Tag heute gefallen, Herbert?“ fragte Lester gut gelaunt den Neuen, doch bevor der etwas antworten konnte, fragte Kewen irritiert: „Herbert? Wieso denn Herbert?“
    Herbert wurde rot und versuchte jeden Ärger zu vermeiden, indem er sagte: „Herbert ist mein zweiter Vorname, weißt du?“
    „Ach so“, kam es von Kewen.
    Er runzelte die Stirn und sagte dann: „Seltsame Mischung. Larry Herbert. Hm… naja, deine Eltern werden sich schon was dabei gedacht haben.“
    „Bestimmt“, sagte Herbert lächelnd und wandte sich dann Lester zu: „Ich denke, ich bleibe wirklich hier. Es hat mir gut gefallen und ihr Beiden seid lustig.“
    „Lustig, ja?“ sagte Lester und grinste. „Kennt jemand einen guten Witz?“
    „Ich hab einen von den Assassinen gehört“, sagte Herbert.
    „Schieß los!“ sagte Kewen fröhlich.
    „Also“, fing Herbert an. „In Myrtana geht ein Mann zum Metzger und sagt: „Ich möchte gerne zwei Beinscheiben vom Rind.“, „Haben wir nicht mehr“, antwortet der Metzger. „Dann nehm ich eben ein Filet“, „Ist auch aus“, „Dann eben einen Schinken“, „Gibt’s schon lange nicht mehr.“ Enttäuscht verlässt der Mann die Metzgerei und drinnen sagt der Metzger zu seinem Kollegen: „Was der Trottel für Wünsche hat…“, „Ja, aber ein bewundernswertes Gedächtnis hat er.““
    Herbert sah unsicher in die Runde. Keiner lachte.
    „Naja, jetzt wissen wir immerhin was die Assassinen für einen Humor haben“, sagte Lester etwas deprimiert.
    „Ich weiß auch einen. Bernd hat ihn mir erzählt, als er mich von den Eisenringen befreit hat. Er sagte, er habe den Witz von einem Typen aus Kap Dun gehört“, sagte Kewen und strahlte.
    „Na dann…“ kam es von Lester und er fragte sich, ob er sich freuen, oder gruseln sollte.
    „König Rhobar dem II. soll für seine großen Verdienste während seiner Amtszeit ein eigener Feiertag gewidmet werden. Manche finden das übertrieben, aber viele wissen erst jetzt zu schätzen, dass er der Bevölkerung über die Jahre immer mehr Verwandtschaft vom Hals geschafft hat, manche gingen in die Minen, andere in den Krieg und dann kam die Besatzungszeit.“
    Lester schloss die Augen und fragte: „Du bist sicher, dass das ein Witz ist?“
    „Bernd sagte, es sei schwarzer Humor.“
    „Was ist das?“ wollte Herbert wissen.
    Kewens Augen gingen leicht nach oben, im Versuch sich an den genauen Wortlaut zu erinnern.
    „Bernd sagte, schwarzer Humor ist wie Essen, die einen habens, die anderen nicht.“
    „Erinnere mich daran, dass Bernd nächstes mal keinen Fisch von mir bekommt, okay?“ sagte Lester verstimmt und zündete sich einen Grünen Novizen an.
    „Und dann sagte er noch: „Gestern standen wir noch am Abgrund, heute sind wir einen Schritt weiter …““, sinnierte Kewen.
    „Hör bloß auf“, sagte Lester genervt.
    Eigentlich war er ein optimistischer Mensch, der versuchte sich nicht allzu viele Gedanken zu machen, aber diese sogenannten Witze setzten ihm arg zu.
    „Ist ja gut“, sagte Kewen missmutig.
    Auch ihm hatten die Witze nicht gutgetan.
    „Hat denn keiner von euch etwas Positives zu sagen?“ fragte Lester.
    „He, wir waren bis vor kurzem noch Sklaven, was glaubst du was wir positives zu berichten hätten?“ murrte Herbert.
    „Weiß einer was vom Befreier?“ fragte Kewen aufgeregt. „Es hat mich immer aufgemuntert, wenn ich was von ihm gehört habe. Es heißt, er hätte den Wassermagiern geholfen Lago, Ben Erai und Braga zu befreien.“
    „Wie man’s nimmt“, sagte jetzt Herbert. „Immerhin lebt da jetzt kaum noch jemand. Ein paar Nomaden schauen ab und zu vorbei, aber ansonsten sind die Dörfer doch ausgestorben. In Lago leben ja auch nur Bernd und Rasul.“
    Kewen funkelte Herbert nun wütend an.
    „Willst du damit etwa sagen, er hätte die Sklaven nicht befreien sollen?“
    „Nein, das nicht, aber vielleicht wäre es auch anders gegangen. Versteh mich nicht falsch. Ich möchte auch, dass alle Sklaven befreit sind, es ist nur … wenn die Nomaden wenigstens in den Dörfern leben würden … doch das tun sie eben nicht. Irgendwie ist es doch Verschwendung von Menschenleben.“
    „Diese Aasgeier haben es nicht anders verdient“, keifte Kewen.
    „Ja, schon … irgendwie, aber vielleicht wäre es auch anders gegangen die Sklaven zu befreien und nicht alle Assassinen sind schlecht“, meinte Herbert bedächtig.
    „Vielleicht“, sagte Lester. „Ich kenn nicht so viele Assassinen.“
    „Ich hab jedenfalls gehört, dass er die Dörfer ganz allein befreit hat“, sagte Herbert nun und benutzte jetzt selbst das strittige Wort, um Kewen milde zu stimmen.
    Offenbar funktioniert es.
    „Und ich hab gehört, er hat sogar Ishtar ganz allein niedergemacht, könnt ihr euch das vorstellen?“
    Herbert schüttelte den Kopf. Lester nickte und schnippte seinen aufgerauchten SumpfkrautStengel ins Lagerfeuer.
    „Lester, sag doch auch mal was! Kennst du irgendwelche Geschichten über den Erlöser?“ fragte Kewen neugierig.
    Lester ließ sich Zeit mit einer Antwort und fischte einen neuen Stengel Sumpfkraut aus der Tasche und entzündete ihn am Lagerfeuer. Er nahm einen tiefen Zug und sagte dann: „Ich bin ihm zum ersten Mal im Sumpflager begegnet. Es war eins der drei Lager in der Minenkolonie.“
    „Sag bloß, er war auch mal ein Strafgefangener?“ fragte Kewen erstaunt und lehnte sich aufgeregt etwas vor, so dass er gefährlich nah an die Flammen des Lagerfeuers geriet.
    Lester nickte.
    „Ja, keine Ahnung warum er da reingeschmissen wurde, aber so wie ich ihn kenne, hatte er schon irgendwas auf dem Kerbholz. Er hat sich im Lager der Bruderschaft umgesehen und wollte alles Mögliche wissen und da ich für alle Neuen, die durchs Tor kamen der Ansprechpartner war, haben wir gequatscht.“
    „War er etwa auch bei der Bruderschaft?“ wollte Kewen aufgeregt wissen.
    Lester schüttelte den Kopf.
    „Nein. Zuerst war er im Alten Lager. Das war das erste Lager in der Barriere gewesen. Später gab es Ärger mit dem Anführer des Alten Lagers, Gomez und er wechselte ins Neue Lager über. Dort hatte Lee das Sagen.“
    „Der Lee, der jetzt über Myrtana herrscht?“ fragte Herbert verwundert.
    „Genau der.“
    Lester nahm noch einen tiefen Zug von seinem Sumpfkraut und ließ die beiden anderen wie auf heißen Kohlen sitzen.
    „Na los, spann uns nicht so auf die Folter, erzähl weiter!“ forderte Kewen aufgeregt.
    „Er war damals noch einfach irgendein Strafgefangener. Zuerst kam er fast jeden Tag zu uns ins Sumpflager und machte seine Runde. Holte von Fortuno Sumpfkraut ab und verkaufte es wohl im Neuen Lager, aber bald kam er dann nicht mehr regelmäßig. Hatte wohl genug Erz gesammelt. Das war die Währung in der Barriere. Unglaublich. Wenn ich heute darüber nachdenke, dass wir acht Erz für einen Stengel Sumpfkraut eingetauscht haben …“
    Kewen und Herbert tauschten einen verwunderten Blick.
    „Später sind wir zusammen auf Fokussteinjagt gewesen.“
    „Was denn für Fokussteine?“ fragte Kewen ungeduldig.
    „Die Fokussteine wurden früher wohl für die Erschaffung der magischen Barriere benutzt. Unser Spiritueller Führer Y‘Berion brauchte sie, damit wir in der Bruderschaft den Schläfer anrufen konnten.“
    „Was ist das denn?“ fragte Herbert skeptisch.
    „Wir dachten damals, er würde uns aus der Barriere herausholen. Wie sich herausstellte war es aber der Avatar Beliars. Dumm gelaufen.“
    Kewen und Herbert rissen die Augen auf und drängten Lester weiter zu erzählen. Sie saßen sehr lange am Feuer, denn eigentlich wollte Lester nicht so viel über seinen Freund erzählen, weil er irgendwie das Gefühl hatte, der hätte es nicht so gerne, doch Lester gefiel wie seine Erlebnisberichte den beiden ehemaligen Sklaven Hoffnung brachten. Und so erzählte Lester von ihren Abenteuern. Wie er den Helden halb verhungert im Tal neben Xardas Turm in Khorinis wiedergetroffen hatte und er ihm half in die Stadt zu kommen. Wie unheimlich und gefährlich es in Irdorath war und wie sie dort zusammen gegen die Orks kämpften. Er berichtete wie sie in Ardea landeten und die Stadt befreiten und die Esmeralda von Piraten gekapert wurde. Dann erzählte er wie er selbst in Gefangenschaft der Orks geriet und er zusammen mit dem Helden in den alten Tempel ging und aus seiner Sklaverei befreit wurde. Und weil sie ihn immer weiter drängten, erzählte er auch wie sie sich nach seinem Exil an einem Lagerfeuer wiedertrafen, ganz so wie sie hier jetzt auch saßen. Dieses kleine Detail brachte ein freudiges Leuchten in Kewens Gesicht, dass sich Lester nicht ganz erklären konnte. Vielleicht, weil es ihnen den Helden so näherbrachte, weil sie selbst jetzt auch gerade die angenehme Wärme eines schönen Feuers genossen. Lester erzählte wie sie zusammen mit ihren Freunden erst durch Nordmar und dann durch Varant gezogen waren und gegen die Orks gekämpft hatten, ihren Ärger mit den Assassinen und wie sie im Schläfertempel nach Uriziel gesucht hatten und Lester eingestehen musste einige verlockende Schalter betätigt zu haben, die ihnen Unglück brachten und schließlich erzählte er wie sie Uriziel endlich fanden und zum Festland zurückkehrten, wo Lee den Helden zum neuen König ernennen wollte, doch der nichts davon wissen wollte. Kewen und Herbert staunten und fieberten begeistert mit. Es war ihnen deutlich anzusehen, dass das die beste Geschichte war, die sie seit langem gehört hatten, wenn nicht sogar die beste ihres Lebens. Lester wusste von seinem Freund, dass er all die Verantwortung scheute, die das Schicksal für ihn bereithielt, doch er konnte nicht leugnen, dass er den Menschen Zuversicht brachte und dafür musste er nicht mal da sein. Es reichte schon von seinen Abenteuern zu erzählen. Sein Freund war zur Legende geworden.
    „Schade, dass er nicht der König von Myrtana werden will“, sagte Kewen traurig.
    „Ja, als König hätte er sicher die Macht die Sklaven aus Varant zu befreien auch ohne alle Assassinen niederzumetzeln“, stimmte Herbert zu. "Große Anführer sind nicht dogmatisch, sondern pragmatisch und willensstark."
    „Er mag all die Verantwortung nicht“, versuchte Lester die Beweggründe seines Freundes zu erklären.
    „Aber, wenn es doch so vielen helfen würde …“, meinte Kewen.
    „Tja …“, wusste Lester dazu nichts zu sagen und er wollte auch nichts mehr sagen.
    Er hatte schon ewig nicht mehr so viel geredet und jetzt fühlte sich sein Hals rau an und seine Stimme ganz dünn.
    „Danke, dass du uns das alles erzählt hast“, sagte Herbert ergriffen. „Du hast mir damit die Hoffnung gegeben, dass sich vielleicht doch noch alles zum Guten wendet. Nachdem was alles passiert ist, wird er die aktuelle Lage sicher auch in den Griff kriegen.“
    Kewen bekundete heftig nickend seine Zustimmung.
    „Es ist schön mal wieder jemanden zum Reden zu haben“, antwortete Lester. „Ich freue mich, dass ihr hier seid.“
    Zufrieden gingen sie schlafen. Während Herbert und Kewen im Unterstand schliefen, legte sich Lester lieber wieder draußen unter den Sternenhimmel aufs Wolfsfell. Er rauchte noch einen Traumruf und träumte dann von vergangenen Abenteuern.
    Geändert von Eispfötchen (03.08.2023 um 12:33 Uhr)

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    Wahlkampf

    Diego saß trotz des kalten Winterwindes auf einer Bank in der Nähe der neuen Kneipe von Kap Dun. Immerhin gab es keinen Schnee. Nicht einmal Frost. Kap Dun lag dafür vielleicht zu südlich, oder es war einfach noch nicht kalt genug. Die Stadt und die Menschen hier sahen verwahrlost aus. So wie Diego das hörte, hatten der Hunger und damit einhergehende Krankheiten den einen oder anderen Bürger bereits dahingerafft. Wenn es etwas zu essen gab, dann kam es fast immer aus dem Meer. Fisch, Krabben oder Muscheln wurden gefangen oder gesammelt. Doch der Fang reichte nicht aus, um jedes Maul in Kap Dun zu stopfen und so gab es oft rabiate Verteilungskämpfe. Diego hatte Angler gesehen, die Fische nach dem Fang sofort totschlugen und roh aßen, damit niemand sie ihnen wegnehmen konnte. Er selbst war auch schon recht abgemagert, doch zum Reisen war er noch kräftig genug.
    Eigentlich hatte Diego mit einem Boot rüber nach Varant fahren wollen, doch noch wartete er ab. Für seinen großen Plan war es ganz entscheidend, dass der Held König wurde und er wollte wissen wie die Bürger auf den Wahlkampf reagierten. Gegenüber, vor dem Hotel, hielt Lee eine Ansprache vor den Bürgern des Dorfes. Das war nicht ganz ohne Ironie. Der derzeitige König versuchte seine Untertanen davon zu überzeugen einen anderen Mann zum König zu wählen. So verrückt sich das anhörte, es sah so aus, als würde es tatsächlich funktionieren.
    „Ich brauche euch wohl nicht extra zu sagen wie schlimm es um Myrtana steht. Als König habe ich mein möglichstes getan, um eure Lage zu verbessern, doch ich denke, dass der Befreier Myrtanas als König noch viel mehr tun könnte. Er ist ein Mann mit Ideen. Ein Mann der Tat. Genau das was wir jetzt brauchen. Er hat uns bereits in der Vergangenheit den Weg gezeigt und wenn er zurückkommt, wird er das auch in der Zukunft tun.“
    Einige Bürger, die um ihn herum standen jubelten laut.
    „Er rettet uns!“ war sich Phil, ein ehemaliger Sklave, sicher.
    „Ja!“, rief Brenton, der vom Helden die Tierverwandlungstränke bekommen hatte. „Er hat uns ja auch Verwandlungstränke gegeben, damit wir unsere Felder pflügen können.“
    Norris, der Kap Dun leitete, stimmte laut in die Lobeshymnen ein: „Und das Wichtigste, er hat uns alle vor den Orks gerettet.“
    Lee nickte gewichtig mit dem Kopf. Das war genau das was er hören wollte.
    „Ja, er ist der Befreier, der ganz Myrtana aus den Klauen der Orks gerettet hat. Er ist der Bezwinger des Schläfers, eines Erzdämonen aus dem Minental. Die Druiden nennen ihn auch den Entscheider, weil seine Entscheidungen das Schicksal unserer Welt maßgeblich beeinflussen. Dann sollte er doch auch unser König sein, oder?“
    „Ja!“ kam es wieder aus vielen Kehlen gebrüllt.
    „Ich habe gehört, er ist auch ein Drachentöter“, kam es nun von Copper, der als Rebell gegen die Orks gekämpft hatte.
    „Ganz richtig. Heldenhaft hat er die großen Drachen niedergestreckt, die in Khorinis gewütet haben und ich bin mit ihm zum finsteren Irdorath gesegelt, wo uns wilde Orkhorden erwarteten und er sich gegen zwei weitere furchterregende Drachen stellte“, fing Lee an zu erzählen.
    Das war genau die Art von Wintergeschichte, auf die seine Zuhörer gehofft hatten. Alle warteten gespannt darauf was ihr Herrscher ihnen erzählen würde und der ließ sich wirklich nicht lumpen. Obwohl Diego selbst dabei gewesen war, staunte er über Lee’s Schilderung. Der König war ein guter Redner. In schillernden Farben erzählte er von ihren aufregenden Abenteuern auf Irdorath und er stellte immer wieder den Mut und die Kampfkraft des Helden heraus, der sich Todes verachtend den Orkhorden entgegenwarf.
    „Er ist hart wie Erz! Knietief watete er durch Orkleichen. All die Bemühungen des Feindes ihn von seinem Ziel abzubringen halfen ihnen nichts. Unbeugsam und ohne Angst stellte er sich jedem Kampf, bis er schließlich auch dem fürchterlichen untoten Drachen gegenüberstand. Mit mächtiger Magie zwang er die Bestie in die Knie und verhinderte so, dass die Drachen hierher fliegen, um die Truppen der Orks anzuführen. Nach seinem glorreichen Sieg ließ er Segel setzen, damit wir rasch nach Myrtana kamen wo wir sofort damit begannen gegen die Orks zu kämpfen. Den Rest kennt ihr alle. Ardea wurde zuerst befreit und auch in den folgenden Tagen und Wochen hat sich der Befreier nicht geschont und unerbittlich gekämpft, um allen Menschen in Myrtana die Freiheit zu schenken. Ich frage euch: Wer, wenn nicht er, sollte unser König sein?“
    Nach Lee‘s flammender Rede brandete Jubel auf. Es war ganz erstaunlich wie laut fast verhungerte Leute doch noch rufen konnten, wenn ihr Herz Feuer gefangen hatte.
    Diego lächelte in sich hinein. Bei diesen Männern musste er sich wohl keine Sorgen machen, dass sie Lord Hagen, oder Anog wählten. Lord Hagen, der nun an der Reihe war, sah beunruhigt aus. Ihm schwante wohl, dass es nicht leicht werden würde die aufgeheizte Menge für sich zu gewinnen. Lee machte ihm Platz und stellte sich an die Seite, um zu hören, was er zu sagen hatte.
    „Ja, es stimmt“, fing Lord Hagen mit lauter harter Stimme an. „Der Mann, den ihr hier bejubelt, hat Myrtana von den Orks befreit und er hat die Drachen getötet. Diese Geschichte mit dem Schläfer kann ich nicht bezeugen. Vielleicht ist sie wahr, vielleicht ist sie nur ein Märchen. Der Drachentöter mag ein guter Abenteurer sein, aber das macht ihn noch lange nicht zu einem guten König.“
    Die Menge wurde leise, murmelte etwas aufrührerisch, doch zwischendrin hörte man immer wieder jemanden zischen, der hören wollte, was der Paladin zu sagen hatte.
    „Auch wenn einige das vielleicht glauben, aber er ist ganz sicher kein Erwählter Innos. Die Drachen hat er mit dem verfluchten Schwert, Beliars Klaue, besiegt, einer Waffe, die Beliar persönlich erschaffen hat. Er hat zahlreiche Schandtaten begangen. Er hat den Ritter Keroloth ermordet. Wollt ihr wirklich einen Mörder zum König?“
    Vielstimmiges Gemurmel kam von der Menge, irgendwo von hinten rief Copper vorlaut: „Ja!“
    Lord Hagens Mund presste sich vor unterdrücktem Ärger zusammen.
    „Er hat gegen die Orks gekämpft, aber er hat ihnen im Minental auch einen großen Dienst erwiesen, als er das Tor der Burg für sie öffnete. So konnten sie ungehindert eindringen und mehrere treue Diener des Königs erschlagen.“
    „Das ist ja schrecklich“, war Josh zu hören, der ehemals aus Trelis stammte.
    Andere ließen sich dagegen nicht beirren. Marlo, der Wirt der neuen Taverne, sprach entschlossen: „Ich habe von Torlof gehört, dass es seine Idee war. Er diente in Khorinis unter Lees Kommando, wollte aber nur unter der Bedingung nach Irdorath segeln, dass der Befreier das Tor der Burg im Minental öffnet.“
    „Und wollt ihr wirklich einen König, der einfach so Befehle von dahergelaufenen Söldnern befolgt?“ fragte Lord Hagen laut.
    Lee verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Gesicht wurde todernst, doch er hielt sich zurück.
    „Er hat es getan, weil es getan werden musste!“ verteidigte der ehemalige Sklave Harek selbst diese schändliche Tat des Helden.
    „Ja, wir brauchen jemanden, der den Mumm hat auch schwierige Entscheidungen zu treffen. Jemanden mit Ideen, der uns Lösungen aufzeigt“, rief Phil.
    Lord Hagen war deutlich anzusehen, dass er sich zurückhalten musste, nicht laut loszuschimpfen. Im Wahlkampf wäre es äußerst fatal seine potentiellen Wähler anzugehen. Stattdessen wechselte der Paladin seine Strategie.
    „Und wo ist er nun? Hm? Einfach abgehauen ist er. Hat euch hier im Stich gelassen. Statt eines launischen Heiopeis, solltet ihr lieber mich wählen. Ich bin zuverlässig und standfest. Stark im Geist und fest im Glauben. Wählt mich zum König und Myrtana wird aus der Asche auferstehen, blühen und gedeihen. Recht und Ordnung werden wieder in Myrtana Einzug halten.“
    Auch wenn seine Absichten redlich waren, so waren seine Worte nicht wirklich das was die Bürger von Kap Dun hören wollten. Anstatt ihm zuzujubeln nörgelten sie und diskutierten, so dass Lord Hagen lauter sprechen musste, um sich weiterhin gehör zu verschaffen: „Ein König muss tapfer, edel und großmütig sein, aber auch weitsichtig und besonnen handeln. All diese Eigenschaften habe ich. Daher solltet ihr mich zum König wählen.“
    Lord Hagens Vortrag endete mit diesen Worten, doch es wollte kein Jubel aufkommen. Hier würde Lord Hagen wohl nicht viel Zuspruch bekommen, doch er sah entschlossen aus. Er würde es auch in den anderen Städten und Dörfern des Landes versuchen. Nun war Anog dran. Er sah etwas überfordert aus und die Menge erkannte das sofort. Kein gutes Zeichen. Endlich straffte sich der ehemalige Rebellenführer und sagte laut: „Ich kann nicht allen Worten von Lord Hagen zustimmen, doch wir müssen uns wirklich fragen was passiert, wenn der Befreier von Myrtana nicht zurückkehrt. Was passiert, wenn ihr ihn wählt, er aber gar nicht da ist? Wer soll dann über Myrtana herrschen? Wer vertritt eure Interessen?“
    Die vielen Fragen, die Anog in seine Rede eingebaut hatte, brachten die Leute zwar dazu nachdenklich zu werden, doch überzeugen konnten diese sie nicht. Offenbar hatte auch Anog das gemerkt, denn er schwenkte rasch um: „Vielleicht hat uns der Befreier nur deshalb verlassen, weil er möchte, dass wir unsere Leben selbst in die Hand nehmen. Wir können nicht immer erwarten, dass er uns aus der Patsche hilft. Es ist an der Zeit, dass WIR etwas tun. Der Befreier hat uns den Weg geebnet, doch jetzt sind wir gefragt. Wenn wir zusammenstehen, dann können wir auch die Hungersnot überwinden. Ich habe Erfahrungen als Anführer. Als die Orks Myrtana besetzt hatten, war ich einer der Rebellenführer. Ich kann organisieren. Ich kann leiten. Ich sage wir müssen uns als erstes um unsere Versorgung kümmern, bevor wir alles wieder aufbauen und an Recht und Ordnung denken können. Wir müssen alle zusammenarbeiten, um die Herausforderungen zu bestehen, die sich uns derzeit stellen.“
    Viel zu früh trat er ab und wie es aussah, hatte er nicht mal sich selbst so wirklich überzeugt. Doch Diego erkannte auch, dass er sich wohl vornahm beim nächsten Mal eine bessere Rede auszuarbeiten. Es gab verhalten Anerkennung für Anogs Worte, aber dabei blieb es auch. Die Leute wollten sich nicht selbst Gedanken machen, sie wollten klare Führung. Sie wollten, dass jemand anders ihre Probleme löst und sie sich nicht selbst darum kümmern mussten.
    Für Diego stand fest, dass Lee mit seiner emotionalen Rede heute die meisten Stimmen erobert hatte. Diego hatte seine Stimme bereits abgegeben, noch bevor er zu seiner kleinen Reise aufgebrochen war. Lee war sehr erfreut gewesen, als Diego ihm unumwunden erzählt hatte, dass er den Helden wählen wird. Diego und Lee hatten eine Abmachung. Diego hatte versprochen sich sozusagen als Wahlhelfer zu engagieren und möglichst viele Bewohner Myrtanas davon zu überzeugen den Helden zu wählen, während Lee sich im Gegenzug dazu bereit erklärt hatte Diegos wertvollen Besitz in der Schatzkammer von Vengard aufzubewahren, bis Diego in der Hauptstadt ein Haus hatte, dass diesen Namen auch wirklich verdiente. Diego wusste, Lee würde auch in den kommenden Städten alles geben, um weiter Stimmen für den Helden zu sammeln, der diesen Eifer wohl gar nicht schätzen würde. Diego widmete seine Konzentration jetzt wieder seinem großen Plan.
    In Montera hatte Diego sein Schuldbuch gut füllen können. Eine glückliche Fügung des Schicksals hatte dafür gesorgt, dass er in die Stadt kam, gerade nachdem Rod und Cypher dort aufgetaucht waren und Bisonfleisch zu Wucherpreisen anboten. Die beiden ehemaligen Drachenjäger sahen vergleichsweise gut genährt aus, weswegen Diego vermutete, dass sie wohl wussten wo es noch Bisons zu jagen gab. Die meisten Bewohner von Montera hatten nicht so viel Gold wie Cypher und Rod verlangten, aber sie wollten die Nahrung um jeden Preis in die Finger bekommen. Niemand gab sich den Illusionen hin es mit den beiden im Kampf aufnehmen zu können. Selbst die Stadtwache stand nur tatenlos herum, anstatt einzuschreiten. Diego bot den verzweifelten Menschen das Gold, dass sie brauchten, um das Fleisch kaufen zu können. Obwohl er laut und deutlich verkündete, er würde das Gold plus neun Prozent Zinsen eines Tages zurückfordern, umringten sie ihn wie einen Heilsbringer. Hier in Kap Dun war es nicht so einfach. Die meisten Menschen hatten zwar kein Gold, aber noch viel einschneidender war, dass es keine Nahrung gab, die sie mit Gold hätten kaufen können. Lediglich Marlo brauchte Geld, um seine Kneipe auch in Zukunft am Laufen zu halten. In Lago gab es hin und wieder Waren zu kaufen. Sumpfkraut und Fisch, wofür laut Marlo wohl Lester und ein Typ namens Rasul verantwortlich waren, aber hin und wieder gab es auch Schnaps, der von den Assassinen eingetauscht wurden war. Diego hatte sich vorgenommen Lester einen Besuch abzustatten, bevor er nach Mora Sul ging. Nun, da sich das Gemenge vor dem Hotel auflöste, erhob er sich und ging zu Marlo. Er hatte ausgehandelt zusammen mit ihm nach Varant zu fahren. Marlo wollte ohnehin nach Lago, um neue Waren zu kaufen, die er dank Diegos Kredit nun auch wieder bezahlen konnte. Zusammen ruderten sie durch die Bucht, wobei sie gut zu tun hatten, denn die Strömung wollte sie hinaus aufs Meer treiben. Angestrengt keuchend erklärte der Tavernenwirt, dass es auf der Rücktour dann leichter werden würde, weil die Strömung einen Richtung Osten trieb und man nur immer geradeaus rudern musste, um nach Kap Dun zurückzukommen. Je weiter sie sich dem Varanter Ufer näherten, umso mehr ließ die Strömung nach und es wurde nicht mehr so anstrengend. Sie spürten wie die Luft wärmer wurde, so als wäre hier schon Frühling. Endlich knirschte der Sand unter dem Holz des Bötchens und sie hatten es geschafft. Marlo wischte sich erstmal über die schweißnasse Stirn und atmete tief durch. Sie stiegen aus und schoben das Ruderboot aufs Ufer, damit es durch die Flut nicht fortgespült wurde. Hier gab es zwar keine starke Flut, doch auch nur ein wenig mehr Wasser, dass das Ruderboot anhob, konnte es mit der Strömung davon treiben lassen.
    Diego sah sich um und erkannte in der Ferne die ersten Sumpfkrautpflanzen.
    „Hier trennen sich unsere Wege“, sagte Diego knapp.
    Marlo nickte ihm zu, warf sich dann einen leeren Jutesack auf den Buckel und verzog sich hinauf nach Lago, während Diego am Ufer entlanglief und nach Lester Ausschau hielt. Allerdings traf er nicht auf Lester, sondern auf einen jungen Kerl, der kaum Muskeln auf der Hühnerbrust hatte und nur in Lumpen gekleidet war. Auffallend waren die vernarbten Stellen um Hals und Handgelenke. Diego hatte schnell erkannt, dass er einen ehemaligen Sklaven vor sich hatte. Als dieser Diego sah schrak er zusammen. Seine Augen wurden ganz groß und er zitterte am ganzen Leib.
    „Wer bist du?“ fragte er ängstlich. „Bist du … ein … ein Assassine?“
    Diego verengte die Augen und sagte dann ruhig: „Nein. Ich bin Diego, ein Freund von Lester. Er ist doch noch hier, oder?“
    Er konnte deutlich beobachten wie die Anspannung seines Gegenübers nachließ. Er atmete tief aus und die Angst legte sich ein wenig.
    „Ich weiß nicht, ob dir zu trauen ist. Woher kennst du Lester denn?“ forschte der junge Mann nach.
    Diego dachte sich, dass der Typ zwar ein Angsthase war, aber immerhin nicht auf den Kopf gefallen. Misstrauisch zu sein hatte oft eine lebensverlängernde Wirkung, besonders für Sklaven.
    „Wir saßen zusammen in einer Zelle. Später wurden wir mit zwei anderen in die Barriere geworfen. Seitdem sind wir befreundet“, erklärte Diego das mindeste was dieser Typ wissen musste.
    Diego wollte nicht, dass jeder alles über ihn wusste.
    „Und wie heißen die anderen beiden?“ forschte sein Gegenüber nach.
    Diese Fragerei ließ den alten Gauner entnervt ausatmen.
    „Milten und Gorn. Reicht das jetzt?“
    Der Hänfling nickte.
    „Gut, dann bist du wohl wirklich Diego. Lester hat von euren Abenteuern erzählt.“
    Diegos Stirn furchte sich.
    „Ach? Hat er das, ja?“ fragte er eine Spur gereizt.
    „Komm mit!“ sagte der junge Mann, drehte sich um und winkte, damit er ihm nachlief.
    Diego folgte ihm und nahm sich fest vor Lester gründlich den Kopf zu waschen. Es musste doch nicht gleich jeder alles erfahren. Bestimmt hatte er diesen Sklaven erst ein paar Tage gekannt und ihm gleich seine ganze Lebensgeschichte erzählt. Diegos Ansicht nach war Lester einfach zu offen und ehrlich.
    Sein alter Freund stand bis zu den Knöcheln im Matsch und machte sich am Boden zu schaffen, wohl um ihn aufzulockern, damit auch dort Sumpfkraut angepflanzt werden konnte. Diego musste zugeben, dass Lester ganz schön was auf die Beine gestellt hatte. Hier wuchs schon jetzt genug Sumpfkraut, um damit reich werden zu können.
    „War ja klar, dass ich dich mal wieder mit den Füßen im Schlamm treffe“, sagte Diego zur Begrüßung.
    Lester fuhr herum und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
    „Diego, schön dich zu sehen. Hätte nicht gedacht, dass du noch mal nach Varant kommst, nachdem was letztes Mal passiert ist.“
    „Meinst du das mit den Orks?“ fragte der ehemalige Sklave sofort.
    „Ja genau“, fing Lester an. „Hatte ich doch schon erzählt. Wir waren in Mora Sul, um Diego zu besuchen. Er hatte damals ganz schön Schwierigkeiten mit den Assassinen. Die wollten ihn nämlich kalt machen. Gut, dass wir gekommen sind, aber dann kam eine Horde Orks…“
    „Lester! Könntest du aufhören herumzutratschen?“ mahnte Diego.
    Lester sah Diego verwundert an.
    „Ich tratsche nicht, ich erzähle nur von unseren Abenteuern.“
    „Eben! Muss doch nicht gleich jeder unsere ganze Lebensgeschichte wissen.“
    „Die Geschichten sind aber spannend“, kam es von dem Sklaven, der sich in der Nähe von Lester offenbar mutiger fühlte.
    Diego warf ihm einen finsteren Blick zu, so dass der junge Kerl den Kopf einzog.
    „Diego, sei doch nicht gleich wieder so miesepetrig. Entspann dich mal!“ riet Lester.
    Ein weiterer Kerl, größer und älter als der andere, kam herbei, weil er gehört hatte, dass jemand neues aufgetaucht war. Auch ihm sah Diego sofort an, dass er mal ein Sklave gewesen war.
    „Das sind Kewen und Herb … äh … Larry“, erklärte Lester und zeigte auf die beiden ehemaligen Sklaven.
    Diego nahm Lester beiseite und flüsterte ihm zu: „Lass dich bloß in nichts hineinziehen. Es kann sehr ungesund sein sich mit entlaufenen Sklaven abzugeben. Wenn die Assassinen sie bei dir finden, werden sie dich todsicher angreifen, weil du ihnen Unterschlupf gewährt hast.“
    Seine Worte wischten Lesters Lächeln fort und er sah nun tatsächlich etwas beunruhigt aus. Er sah Diego lange an und sagte dann: „Hm… schätze du kennst dich da aus. Hast ja einige Zeit in Mora Sul gelebt. Woher weißt du denn, dass die beiden entlaufene Sklaven sind?“
    „Wer das nicht sieht läuft blind durch die Welt“, höhnte Diego.
    „Wer was nicht sieht?“ fragte Kewen, doch Diego antwortete nicht.
    Lester flüsterte nicht, offenbar wollte er, dass seine beiden Mitarbeiter alles mitbekamen.
    „Diese beiden haben schon genug durchleiden müssen. Sie haben es verdient in Frieden zu leben. Und hier können sie das. Wir verstehen uns und sie arbeiten gut mit.“
    „Und wenn die Assassinen euch aufspüren?“ fragte Diego, der sich nun auch keine Mühe mehr gab leise zu sprechen.
    „Dann kriegen sie meine Magie zu spüren“, sagte Lester entschlossen.
    Diego seufzte. Lester hatte sich da offenbar wirklich was in den Kopf gesetzt.
    „Oh, dann bist du jetzt der Held der Sklaven?“ fragte Diego höhnisch.
    Lesters Mund wurde sehr schmal. Er sah kurz zu Boden, doch dann wieder zu Diego. Er wirkte entschlossen.
    „Das vielleicht nicht, aber ich finde jeder hat es verdient in Freiheit zu leben.“
    „Ja, schön, sag das am besten den Assassinen, wenn sie hier vorbeikommen. Manche davon haben auch magische Fähigkeiten, falls du das vergessen hast“, sagte Diego hart.
    Er wollte seinen Freund aufrütteln, damit er sich die Sache nochmal durch den Kopf gehen ließ und nahm damit in Kauf, dass er ihn mit seinen Worten verletzte.
    „Du könntest uns ja helfen“, schlug Lester vor und ein keckes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht.
    „Nichts da! Ich setz mich doch nicht freiwillig in die heißen Kohlen“, stellte Diego gleich klar. „Ich hab sowieso schon eine gefährliche Reise vor mir.“
    „Willst du etwa zurück nach Mora Sul?“ fragte Lester neugierig.
    „Ja, genau.“
    „Und was willst du da?“ fragte Lester weiter.
    „Das sag ich dir nicht, weil du es dann nur wieder in der ganzen Weltgeschichte herumtratscht“, antwortete Diego rau.
    „Ach komm, jetzt sei doch nicht so“, versuchte Lester ihn zu überreden ihm doch von seinen Absichten zu erzählen.
    „Umso weniger Leute wissen, dass ich wieder in Varant bin, umso besser. Ich erledige meine Geschäfte und dann verschwinde ich so schnell wie möglich wieder“, erklärte Diego.
    „Ich kann dir bestimmt helfen“, bot Lester freimütig seine Hilfe an.
    „Und deine beiden neuen Freunde? Willst du sie dann hier allein lassen? Nein, lass mal. Ich muss sehr vorsichtig vorgehen und geduldig sein. Allein habe ich bessere Chancen ungesehen durch Varant zu kommen“, wehrte Diego ab.
    „Hm… na gut. Ist ja deine Sache“, antwortete Lester, der verstand, dass sein alter Freund in dieser Angelegenheit nicht mit sich reden ließ.
    Er sah enttäuscht aus, doch das änderte nichts an Diegos Entscheidung.
    „Wenn du meine Hilfe nicht willst, warum bist du dann hergekommen?“ fragte Lester und Diego hörte aus seiner Stimme heraus, dass er beleidigt war.
    „Wollte sehen was du hier so treibst. Dein Sumpfkraut wächst hervorragend. Das bringt dir sicher ordentlich Gold ein.“
    „Ich verkaufe es im Moment an Bernd und der verkauft es weiter an die Assassinen“, erklärte Lester.
    „Und die fragen sich nicht wo das herkommt?“ fragte Diego misstrauisch.
    Lester zuckte nur mit den Schultern. Ganz offensichtlich hatte er sich darüber noch überhaupt keine Gedanken gemacht.
    „Vermutlich denken die, das kommt von Rasul.“
    „Pass bloß auf, dass sie nicht mal hier runter gucken“, warnte Diego.
    „Hast du was Neues von unserem alten Freund gehört?“ wechselte Lester das Thema.
    „Nein. Ist immer noch irgendwo in der Welt unterwegs. Doch der hohe Rat von Vengard hat beschlossen, dass das Volk von Myrtana ihren nächsten König wählen darf. Ich komme gerade aus Kap Dun wo Lee, Lord Hagen und Anog ihre Wahlkampfreden gehalten haben.“
    Diese Nachricht haute Lester fast aus den Schuhen.
    „Eine Königswahl? Interessant.“
    „Dürfen wir da auch mitwählen?“ fragte Kewen aufgeregt.
    Diego strich sich über seinen schwarzen Schnurrbart.
    „Hm… ich weiß nicht. Eigentlich kommt ihr ja aus Varant.“
    „Nein, eigentlich nicht“, gab Kewen zurück. „Ich stamme aus Trelis.“
    „Und ich lebte mal in Geldern“, kam es von Larry.
    „Na dann, geht doch nach Trelis und gebt eure Stimme ab“, schlug Diego vor. „Zur Wintersonnenwende werden die Stimmen ausgezählt.“
    „Kann man jeden wählen?“ fragte Kewen aufgeregt.
    „Ja, jeden“, antwortete Diego.
    „Dann wähle ich den Befreier“, hatte sich der junge Mann schon entschieden.
    „Den habe ich auch gewählt“, sagte Diego ungewohnt offen, aber mit dem Hintergedanken, die anderen damit vielleicht beeinflussen zu können.
    „Ach? Letztes Mal war es dir doch noch egal“, sagte Lester und seine Stirn krauste sich.
    „Lee fühlt sich überfordert. Lord Hagen wähle ich bestimmt nicht und Anog als König ist ein schlechter Witz“, versuchte Diego eine schlüssige Erklärung aus dem Ärmel zu zaubern.
    Er wollte ganz sicher nicht auf seinen großen Plan zu sprechen kommen. Lester würde das einfach nicht verstehen.
    „Hmm … vielleicht wähle ich auch den Befreier“, sagte nun Larry nachdenklich. „Was ist mit dir Lester?“
    Lester stand einen Moment grübelnd da und sah in den Matsch wo einige kleine Setzlinge gen Himmel strebten.
    „Ich weiß nicht… Er hat mir gesagt, dass er kein König sein will. Ich möchte ihn nicht zu etwas zwingen, was er gar nicht will.“
    „Lester, auch wenn es dir und deinen neuen Freunden hier in der warmen Sonne von Varant mit ausreichend Fisch gut geht, in Myrtana sind die meisten Leute verzweifelt. Es sind schon einige verhungert. Alles was sie jetzt noch haben ist die Hoffnung, dass er als König wieder alles in Ordnung bringen wird“, versuchte Diego ihn zu überzeugen.
    „Aber was, wenn er gar nicht mehr zurückkommt?“ fragte Lester traurig.
    Diego kratzte sich am Hinterkopf und antwortete: „Tja … wir können nur hoffen, dass er es doch tut.“

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    Das Duell

    Gorn und Gabriel standen gerade in der Holzbaracke in Okara, um sich zu beraten, als sie von Lennard, der aufgeregt hereingestürmt kam, unterbrochen wurden.
    „Cypher und Rod haben ein Bison gejagt!“
    „Was?“ fragte Gabriel alarmiert. „Aber wir wären doch erst nächste Woche wieder dran.“
    Lennard schüttelte aufgebracht den Kopf.
    „Nein, nicht mehr. Wegen der beiden Arschgeigen dürfen wir die Bisons nun gar nicht mehr jagen. Wolf hat schon mit Inog von Silden gesprochen. Für die sieht es natürlich so aus, als hätten wir unser Wort gebrochen. Sie wollten Wolf nicht glauben, dass die beiden eigenmächtig gehandelt haben.“
    „Wo sind die beiden jetzt?“ fragte Gorn.
    „Ian, Raik, Linhard, Wolf und ich, wir haben sie geschnappt und hergebracht. Kommt mit!“
    Lennard führte Gorn und Gabriel nach draußen, wo Cypher und Rod am Eingang zur Senke im durchgeweichten Schlamm knieten. Sie waren von wütenden Söldnern umzingelt, die ihnen mit ihren Waffen drohten.
    „Wegen euch Vollpfosten werden wir den Winter jetzt nicht überstehen“, brüllte Gothard wütend.
    „Ihr Gierschlunde wolltet alles für euch!“ schimpfte Errol anklagend.
    „Gar nicht wahr“, behauptete Cypher. „Wir haben das Fleisch in der Bevölkerung verteilt. Wir fanden es nicht richtig, dass sie hungern müssen, während wir uns die Bäuche vollschlagen.“
    „Oh wie nobel“, höhnte Wolf und hob einen prall gefüllten Goldbeutel hoch. „Wie ich sehe haben die verzweifelten Menschen euch gut für das Fleisch bezahlt. Zu dumm, dass ihr uns damit jeden weiteren Zugang zur Bisonherde verbaut habt.“
    Cypher verstummte. Er wusste wohl nicht wie er sich herausreden sollte, doch sein Gesicht war wutverzerrt. Gorn und Gabriel tauschten einen Blick. Sie kannten sich so gut, dass sie sich auch ohne Worte verstanden.
    „Weil ihr unserer Gemeinschaft geschadet habt, werdet ihr ausgeschlossen. Sollt ihr allein zusehen wie ihr den Winter ohne Essen und Schlafplatz überleben wollt“, sagte Gorn hart.
    Sie nahmen Cypher und Rod alles Gold ab und warfen sie dann aus Okara raus.
    „Wir hätten sie umlegen sollen“, murrte Ian.
    „Hätten wir?“ fragte Gorn knurrig. „Sie tragen immerhin Drachenjägerrüstungen. Sind also gut gepanzert. Wäre gut möglich, dass sie den einen oder anderen von uns noch verletzt hätten, bevor wir sie kaltgemacht hätten und Verletzungen können wir uns im Moment nicht leisten. Nicht wenn wir jetzt Gotha angreifen werden.“
    Seine Truppe wurde hellhörig.
    „Gotha angreifen?“ fragte Errol verwundert.
    „Ganz genau. Wir schlagen uns jetzt noch mal die Bäuche mit dem letzten Fleisch voll und morgen ziehen wir los. Wir sollten nicht mehr länger warten. Wenn Wolf Recht hat, dann sind wir von den Bisons abgeschnitten, es sei denn wir holen uns das Fleisch mit Gewalt. Anog und sein Haufen werden es uns aber nicht leicht machen und eigentlich möchte ich unnötige Verluste vermeiden.“
    „Wär mir auch nicht recht, wenn wir uns gegenseitig an die Gurgel gehen, immerhin haben wir zusammen gegen die Orks gekämpft“, meinte Gabriel.
    „Jetzt ist der günstigste Zeitpunkt Gotha zurückzuerobern“, erklärte Gorn unbeirrt. „Die Ritter und Paladine sind mittlerweile sicher vom Hunger ganz entkräftet und werden sich unsere Bedingungen anhören.“
    „Oder wir bleiben einfach hier in Okara“, wagte Errol zu sagen, denn ihm hatte Gorns Plan nie gefallen.
    „Blödsinn! Wir haben für die Stadt im Orkkrieg gekämpft. Sie steht uns zu“, meinte Gorn und viele seiner Männer bekundeten laut johlend Zustimmung.

    Am nächsten Morgen packten alle ihr weniges Zeug zusammen in der Erwartung Gotha heute einzunehmen. In den vergangenen Wochen hatten sie Leitern gebaut, für den Fall, dass sie Gotha mit Gewalt einnehmen mussten. Sie waren etwas sperrig und mussten jeweils von drei Mann getragen werden. Niemand blieb in Okara zurück. Sie wanderten durch den feuchten nebligen Wald. Die Stimmung war gespenstisch. Am Rand des Waldes ließen sie die Leitern vorerst zurück, damit die Ritter diese nicht sehen konnten. Der Tag war trist und alles war in unangenehmes Halbdunkel getaucht. Vielleicht sahen die Ritter sie deswegen erst so spät kommen. Erst als sie schon ein gutes Stück an Gotha herangekommen waren, hörten sie einen Alarmruf und sie konnten schemenhafte Gestalten sehen, die sich auf den Wehren der Mauer postierten. Sie hörten wie zu groß gewordene Rüstungen klapperten. Einige der Männer oben schwankten sogar vor Schwäche. Das Tor war verschlossen. Den Söldnern wurde der Zugang versperrt.
    „Was wollt ihr?“ rief Roland zu ihnen herunter.
    Gorn entging nicht, dass sich seine Stimme nicht sehr kräftig anhörte.
    „Wir wollen mit euch verhandeln“, brüllte Gorn laut hinauf.
    „Ach? Und worüber?“ fragte Roland misstrauisch.
    Gorns Männer lachten. Sie hatten ihre Kriegsbögen gezückt und zielten damit demonstrativ auf die Ritter auf den Wehren, die ebenfalls ihre Armbrüste schussbereit hielten. Die Sehne eines so großen Bogens derart lange gespannt zu halten erfordert viel Kraft. Sie stellten damit ihre Stärke und Überlegenheit unverhohlen zur Schau.
    „Wir wollen was uns zusteht!“ polterte Gorn. „Wir haben Gotha im Orkkrieg gehalten, also sollte Gotha auch uns gehören. Ihr könnt Faring haben. Da fällt bestimmt auch mal etwas von den Fischen aus Vengard ab. Es ist ein guter Handel für beide Seiten. Wir kriegen Gotha und ihr müsst nicht verhungern.“
    „Pah!“ spie Roland aus. „Lieber verhungere ich hier, als Gotha einem stinkenden Lumpenpack wie euch zu überlassen.“
    „Nur eine leere Drohung. Ich kann doch sehen wie schwach ihr schon vom Hunger seid. Ihr könnt Gotha nicht gegen uns verteidigen. Wir stehen bestens im Futter und strotzen nur so vor Kraft. Ihr dagegen könnt euch doch vor lauter Schwäche kaum noch auf den Beinen halten“, höhnte Gorn und sah zu den abgemagerten Gestalten hinauf.
    Roland antwortete nicht sofort. Sie hörten Gemurmel von den Rittern. Das gab Gorn in seinen Ansichten Recht und er redete weiter: „Wir können unnötiges Blutvergießen vermeiden. Es kann ganz fair laufen. Wir regeln das in einem Duell, du gegen mich. Der Gewinner bekommt Gotha. Ganz einfach und fair.“
    Sofort kam von Roland eine Antwort zurück: „Aber wenn ich gewinne, dann stellt ihr nie wieder solch unverschämte Forderungen!“
    „Einverstanden“, stimmte Gorn zu.
    Sie hörten es auf den Wehren murmeln und tuscheln. Vielleicht hatten einige Ritter eine andere Meinung und hießen nicht gut was ihr Anführer da tun wollte. Gorn fürchtete einen Moment es könnte einen Tumult geben und die Ritter würden sich doch noch in Gotha verschanzen. Das würde mehr Aufwand bedeuten. Sie würden sich zurückziehen und auf den Einbruch der Nacht warten müssen, um die Gefahr von Bolzen durchlöchert zu werden, zu minimieren. Dann würden sie im Schutz der Dunkelheit mit den Leitern die Wehre erklimmen und jeden erledigen, der sich ihnen entgegenstellte.
    Doch es kam anders. Das Tor ging auf und Roland trat ins Freie hinaus. Sein eindrucksvolles Ordensschwert hatte er bereits gezückt.
    „Ich wusste dir würde nicht gefallen, die Plätze zu tauschen. Du in Okara und ich in Gotha, aber den Paladinen gehörte Gotha schon vom Anbeginn Myrtanas und ich werde alles daran setzen, dass dies so bleibt“, sagte Roland mit entschlossener Stimme.
    Sein Kontrahent konnte sehen, dass er vom Hunger deutlich geschwächt war. Seine Rüstung hing lose, doch noch ging er stramm voran und versuchte seine Schwäche bestmöglich zu verbergen. Gorn sonderte sich von seinen Männern ab, trat vor, auf seinen Gegner zu und zog seine gewaltige Barbarenstreitaxt.
    „Du solltest am besten wissen, dass längst ein neues Zeitalter angebrochen ist. Es gilt das Recht des Stärkeren. Hoffentlich steht dir Innos bei, so dass meine Axt dich nicht gleich in zwei Hälften teilt“, grollte Gorn mit seiner tiefen Stimme.
    Mit lauten archaischen Schreien gingen sie aufeinander los. Normalerweise wäre das Schwert aufgrund seines leichteren Gewichts schneller, doch da Gorn noch besser in Form war, hatte er diesmal die Initiative auf seiner Seite. Nur ein gut abgepasster Ausfallschritt bewahrte Roland davor eine potentiell tödliche Wunde zu kassieren. Doch nun bot sich ihm eine günstige Gelegenheit. Da Gorn all seinen Schwung in diesen Angriff gelegt hatte, stand er nach vorn gebeugt da und seine Seite war ungeblockt. Das nutzte Roland voll aus und stach ihm sein Ordensschwert in die Seite, wo es die Rüstung durchdrang. Gorn brüllte auf, stieß Roland mit dem Fuß weg und als das Schwert aus seinem Leib glitt, folgte sowohl dunkles als auch helles Blut. Gorn riss die Axt hoch, gerade noch rechtzeitig um einen erneuten Angriff Rolands abzuwehren. Er schnaufte wie ein großer Bisonbulle und stieß Roland einfach nach vorne, so dass der in den kalten Schlamm fiel. Dann holte er weit aus und mit einem gewaltigen Kriegsschrei ließ er seine Barbarenstreitaxt hernieder fahren. Roland riss die Augen auf und bemühte sich trotz der schweren Rüstung irgendwie zur Seite zu rollen. Haarscharf entging er der vernichtenden Attacke. Schlamm spritzte auf, als die schwere Axt tief in den Boden eindrang. Gorn schnaufte, denn der hohe Blutverlust setzte ihm zu. Den Schmerz spürte er dagegen kaum. Er wurde von dem Adrenalin betäubt, das durch seinen immer noch muskulösen Körper zirkulierte. Doch auch Roland hatte schwer mit seinen Schwächen zu kämpfen. Er hatte Mühe sich aufzurichten und atmete angestrengt wie ein alter Mann. Er war viel langsamer als sonst und schaffte es nicht mehr einen richtigen Angriff zu starten. Mit einem lauten Schmatzen zog Gorn seine gewaltige Axt aus dem Schlamm und holte erneut weit aus. Er konnte sehen, dass Roland einen Moment unentschlossen war. Sollte er ausweichen, oder blocken? Der Paladin entschied sich für den zum Scheitern verurteilten Versuch Gorns Angriff zu blocken. Mühelos durchdrang Gorn den Block, fegte das Ordensschwert aus den geschwächten Händen des Paladins nach unten in den Matsch, so dass Roland ungeschützt dastand. Ein weiterer Schwinger folgte und Roland versuchte sich außer Reichweite zu bringen, doch dieses Mal gelang es ihm nicht ganz. Mit lautem Krachen zerschmetterte Gorns Barbarenstreitaxt die Rüstung des Paladins und ließ Rolands Schulterknochen splittern. Schreiend brach Roland auf dem schlammigen Boden zusammen.
    „Gibst du auf?“ fragte Gorn seinen Kontrahenten und brachte seinem ehemaligen Verbündeten mit einem weiteren Friedensangebot den letzten Respekt entgegen.
    Rolands Atem kam schnell und keuchend. Zwischen zusammengebissenen Zähnen knurrte er: „Niemals.“
    „Deine Entscheidung“, brummte Gorn und holte zum finalen Schlag aus.
    „Mach ihn fertig!“ rief Gothard laut und feuerte seinen Anführer jubelnd an.
    „Halt!“ rief eine andere bekannte Stimme mit hartem Ton und enormer Autoritätskraft, die selbst Gorn inne halten ließ.
    Er hatte seinen Schwung gerade noch aufhalten können und wenn er in letzter Zeit hätte hungern müssen, wäre ihm das wohl nicht gelungen. So verharrte eine Schneide seiner gewaltigen Axt gerade einmal eine Unterarmlänge vor Rolands blassem Gesicht.
    „Was soll dieser Schwachsinn?“ fragte die stahlharte Stimme und Gorn sah zum Urheber hinüber.
    Dort stand Lord Hagen, umgeben von einem halben Dutzend Rittern. Er erkannte Parcival, Tandor und Gerold. Die anderen kannte er nicht mit Namen. Gorns mit Adrenalin überflutetes Gehirn brauchte eine Weile um vom Kampfmodus abzulassen und Lord Hagens Frage zu verstehen. Zunächst einmal setzte er seine große Barbarenstreitaxt vor sich in den weichen Schlamm und stützte seine beiden großen Pranken auf den Knauf. Dann räusperte er sich und sagte: „Wir kämpfen um Gotha. Roland hat meine Männer von hier vertrieben, obwohl wir Gotha durch den Orkkrieg gebracht haben.“
    Lord Hagen schnaubte abfällig und sah dann pikiert auf Gorn und dem im Schlamm liegenden Roland, der versuchte sich mühsam aufzurichten. Es gelang ihm nicht.
    „Ihr haltet euch wohl für stolze Krieger, doch alles was ich sehe sind zwei eitle Gockel in einem dummen blutigen Hahnenkampf. Selbst wenn einer von euch gewonnen hätte, ihr wärt gar nicht berechtigt gewesen über das Schicksal von Gotha zu entscheiden. Ich bin das oberste Mitglied des Paladinordens und daher obliegt es mir über die Zukunft der Festung zu entscheiden. Das heißt, selbst wenn du gewonnen hättest Gorn, wäre dein Anspruch auf Gotha nicht rechtskräftig.“
    „Du überschätzt die Macht von euch Paladinen“, knurrte Gorn. „Ihr lebt in der Vergangenheit, als ihr noch viel Macht hattet.“
    „Und noch haben. Uns gehört Faring und Gotha und auch in Vengard sind unsere Truppen stationiert. Du und deine Leute, ihr haust doch nur in den ehemaligen Rebellenlöchern“, antwortete ihm Lord Hagen.
    „Und genau das wollte ich ändern. Wir haben unseren Wert im Orkkrieg oft genug bewiesen und es passt uns nicht, dass wir jetzt so undankbar behandelt werden“, brummte Gorn.
    „Undankbar?“ fragte Lord Hagen und hob eine Augenbraue. „Du hast immerhin einen Platz im hohen Rat von Vengard, oder nicht? Für einen ehemaligen Sträfling ist das eine gewaltige Anerkennung würde ich sagen. Also Schluss mit diesem hirnlosen Blutvergießen.“
    Lord Hagen ging auf Gorn und Roland zu und heilte beide mit seiner Paladinrune Große Wundheilung.
    „Gorn, du und deine Männer, ihr könnt überall hin. Nach Trelis, nach Silden, nach Montera, nach Geldern, nach Kap Dun oder Ardea. Gotha gehört nun mal den Paladinen. Daran ist nicht zu rütteln. Und du Roland“, wandte sich der oberste Paladin seinem Kollegen zu. „… hast mich tief enttäuscht. Dieses skandalöse Benehmen ist eines Paladins nicht würdig. Wir sind doch keine Rüpel, die sich in irgendeinem Hinterhofkampf gegenseitig an die Kehle gehen.“
    „Ich wollte Gotha verteidigen!“ empörte sich Roland, der sich tief gekränkt fühlte.
    „Und was wäre, wenn Gorn gewonnen hätte? Dann wärst du tot, in einem bedeutungslosen Kampf gestorben, obwohl das Reich dich braucht und ich hätte eine weitere sinnlose Schlacht gegen ihn und seine Männer führen müssen. Gut, dass ich noch rechtzeitig gekommen bin, um hier einige Männer auszutauschen. Es wurde sich nämlich schon über die Lage hier beschwert. Wird Zeit, dass wieder Recht und Anstand in Gotha Einzug halten. Und was dich angeht Roland, du wirst degradiert. Vom heutigen Tage an wirst du nur noch ein ganz normaler Ritter sein.“
    „Aber …“, wollte Roland einwenden, doch ihm brach die Stimme.
    „Erst wenn du dich gebessert hast, wirst du wieder eine Chance bekommen dich im Orden der Paladine verdient zu machen. Und bis dahin hab ich für Gorn und dich einen Sonderauftrag, der hoffentlich dazu beiträgt, dass ihr endlich vernünftig miteinander umgehen könnt. Ihr werdet dafür sorgen, dass die Stimmzettel für die Wintersonnenwendwahl die den neuen König bestimmen wird, sicher in Vengard ankommen. Ihr beide werdet also von Stadt zu Stadt gehen und die Stimmzettel einsammeln und mit eurem Leben beschützen und nach Vengard bringen wo der hohe Rat die Stimmen zählen und auswerten wird. Und jetzt wegtreten!“ schnarrte Lord Hagen.
    Roland ließ den Kopf hängen, hob betreten sein Ordensschwert auf und übergab es Lord Hagen, denn nun war er nicht mehr berechtigt es zu führen. Tief beschämt sah er dabei zu wie die neuen Ritter Gotha betraten und ihm dabei missbilligende Blicke zuwarfen.
    „Und was dich angeht Gorn. Ich erwarte, dass du den Frieden in Myrtana nicht weiter auf die Probe stellst. Es gab hier doch schon genug Blutvergießen, auch ohne, dass du hier so einen unwürdigen Kleinkrieg anfangen musst. Mir wurde berichtet, dass zwei deiner Männer in Montera Bisonfleisch verkauft haben. Wo haben sie das wohl her?“
    Gorn knurrte unwillig. Doch da das Kind nun schon mal in den Brunnen gefallen war und er kein besonders guter Lügner war, gab er zu: „Aus Silden. Wir hatten dort eine Abmachung mit Anog, dass wir Bisons jagen durften. Doch der verdammte Arsch Cypher und Rod, diese hohle Nuss haben nebenher noch gejagt. Wir haben sie aus Okara rausgeschmissen.“
    „Sie haben das Fleisch zu Wucherbeträgen verkauft. Unerhört. In dieser schweren Zeit sind wir für die Versorgung unserer Bürger verantwortlich. Ich werde einen Trupp Ritter nach Silden schicken. Sie werden die Bisons beschützen und darauf achten, dass jeder nur den Anteil bekommt, der ihm zusteht“, sagte Lord Hagen gewichtig.
    „Die Bisonherde ist zwar groß, aber wenn ganz Myrtana mit ihr ernährt werden soll, wird es bis zum Frühling keine Bisons mehr geben“, gab Gorn zu bedenken.
    „Na und?“ herrschte Lord Hagen ihn an. „Hauptsache die Menschen überleben. Ob so ein paar dumme Tiere aussterben ist mir vollkommen egal.“
    Der Streiter Innos gab damit klar zu verstehen, dass ihm das Gleichgewicht der Natur gleichgültig war. Gorn war nicht wohl bei Lord Hagens Plan, aber er musste zugeben, dass die Bewachung der Herde wichtig war. Dann hätten Cypher und Rod auch nicht einfach so jagen können.
    „Übermorgen meldest du dich hier in Gotha wo die ersten Stimmen für die Wahl abgegeben werden. Roland und du, ihr werdet dann nach Silden weiterziehen, dann Geldern, Trelis, Montera, Kap Dun, Ardea, Faring und schließlich Vengard. Am besten schaut ihr auch mal in den ehemaligen Rebellenlagern vorbei. Wäre ja gut möglich, dass dort noch andere Leute Unterschlupft gefunden haben, die ihre Stimme für die Wahl geben möchten. Ich zähle auf dich Gorn. Das ist deine Chance den Schaden, den du hier angerichtet hast, wiedergutzumachen. Wir brauchen Einigkeit in Myrtana.“

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Im Adanos Tempel

    Loid hatte den Prototyp der neuen Kanone ausgiebig getestet und für gut befunden. Anders als die meisten Kanonen, die der Held bisher gesehen hatte, konnte man diese nicht nur in der Höhe verstellen, sondern auch drehen. Sie lag nicht auf einem simplen hölzernen Gestell, sondern war in einem Metallaufsatz eingehängt und erst der war auf einem Holzgestell festgeschraubt. Durch diese neue Technik waren sie wesentlich flexibler, da sie nicht nur stur geradeaus schießen konnten. Das Drehen ging zwar nur schwer, aber es funktionierte und Loid, der Kanonenbauer, war mächtig stolz auf seine Technik. Der Held hatte sich so richtig in die Arbeit reingehängt. Er wollte alles wissen, was es zum Kanonenbau und der Handhabung der Kanonen zu wissen gab. Abgesehen von Samuel, der sich vor allem für die Mischung des Schießpulvers interessierte, wollten die anderen Piraten einfach nur wissen was sie tun sollten. Sie waren zufrieden damit einen Arbeitsschritt zu kennen und den dann den ganzen Tag lang zu wiederholen. So erledigte jeder seinen Teil. Doch dem Helden reichte das nicht. Er wollte mehr wissen. Zuerst begrüßte Loid das, doch schon in den darauffolgenden Tagen wurde ihm der Eifer des Helden unheimlich. Er dachte wohl, er wolle ihnen die Pläne für ihre neuen Kanonen stehlen und daher verriet er ihm keine weiteren Einzelheiten. Doch der Held blieb auch in der Nachtschicht in Merkassas Fabrik und den Aufseher belegte er mit einem Schlafzauber, so dass er genug Zeit hatte die Pläne der Kanonen zu studieren. Bald fiel auch Loid auf, dass der Held über alles im Bilde war und sagte: „Meine Güte, das was ich mir in vielen Jahren harter Arbeit angelernt habe, das hast du in sieben Tagen herausgefunden. Das ist doch nicht normal.“
    „Freu dich doch, dass ich so eine große Hilfe bin. Wenn wir so weiterarbeiten, dann werden wir morgen mit den letzten Kanonen fertig“, entgegnete der Held.
    Damit lägen sie immerhin zwei Tage vor dem eigentlichen Zeitplan. Doch Loid grummelte bloß. Er wollte wohl nichts sagen, doch der Held sah ihm an, dass ihm nicht behagte was er alles über die Kanonen herausgefunden hatte.
    Nicht nur die Kanonen waren spannend, sondern auch die Kugeln. Der Held war verblüfft über die verheerende Zerstörungskraft, die sie hatten. Es gab die typischen schweren, harten Vollkugeln aus stabilem Eisen, aber auch Hohlkugeln mit nur einer vergleichsweise dünnen Außenschicht. Im Innern befanden sich allerlei spitze Gegenstände. Beim Aufprall zerbarst die Kugel und durchsiebte die Mannschaft des gegnerischen Schiffs wie khorinischen Schafskäse. Alternativ gab es auch Hohlkugeln mit einem verschließbaren Loch. Dort konnten alchemistische Mittelchen hineingegeben werden, so dass die Kugel beim Aufprall explodierte, oder eine brennende Flüssigkeit übers Deck ergoss. Samuel experimentierte zusammen mit Loid mit sehr viel Eifer an den Mischungsverhältnissen. So ganz ausgereift waren diese Pläne noch nicht und es bestand immer die Gefahr, dass etwas schief gehen konnte und dadurch das eigene Schiff Feuer fing. Besonderen Gefallen hatte Loid aber an den Kettenkugeln gefunden. So wie er es erzählte, flogen die auf instabiler Schussbahn aus dem Kanonenrohr und wenn sie auf die Takelage eines anderen Schiffes trafen, richteten sie dort viel Chaos und Zerstörung an, so dass das andere Schiff im besten Fall Manövrierunfähig wurde und so leichter zu entern war.
    Alle Kugeln wurden sehr sorgsam hergestellt. Denn wie der Held erfuhr, machte es mächtig etwas aus, wenn auch nur eine kleine Delle in einer Kugel war. Dann flog sie nicht mehr dahin wo sie hin sollte, sondern bekam einen Drall.
    Während der Arbeit redeten die Piraten nicht viel, weil Loid das nicht mochte und so waren die drei neuen Kameraden dem Helden noch sehr fremd geblieben. Enrico war ein kleiner sonnengebräunter Mann in auffallend roten Hosen und weißem Hemd. Er mochte etwa fünfunddreißig Jahre alt sein. Um seinen Hals trug er eine goldene Kette und an seinem linken Ohr blitzte ein goldener Ohrring. Er hatte auch mehrere Goldzähne. Vielleicht bewahrte er das Gold lieber direkt an seinem Körper auf, als in einem Geldbeutel. Nachdem was der Held bisher von ihm mitbekommen hatte, mochte er es im Mittelpunkt zu stehen. Edgar war dagegen eher still. Er war ein langer, aber hagerer Mann in den Vierzigern. Durch sein Holzbein hinkte er. Parviz war auch still, doch der Held merkte, dass es in ihm brodelte wie in einem Vulkan. Vielleicht wollte er sich zunächst bedeckt halten, um Greg zu überzeugen ihn und seine beiden Kameraden mitzunehmen. Er war ein schmaler Mann Anfang dreißig mit überaus geschickten Fingern. Einige von Gregs Stammcrew kannten die drei Neuen wohl von früheren Fahrten. Henry und Parviz verstanden sich wohl nicht sehr gut, doch der Held hatte noch nicht herausgefunden warum. Der Held nahm sich vor Parviz im Auge zu behalten.
    In den acht Tagen der Kanonenproduktion war der Held nur dreimal auf die Murietta zurückgekehrt, um zu schlafen. Er wollte, dass sie Sturmkapp schnellstmöglich wieder verlassen konnten, denn er hatte mitbekommen, dass die Stadtverwaltung langsam durchdrehte und händeringend nach einem Sündenbock suchte, um den Mord am Richter abschließen zu können. Vermutlich war es nur eine Frage der Zeit, bis sie die Murietta genauer unter die Lupe nahmen. Als dann endlich der schöne Tag gekommen war, an dem die Kanonen mithilfe des Krans am Hafen auf die Murietta geladen wurden, atmeten alle Piraten hörbar auf. Jetzt gab es nur noch ein paar Kleinigkeiten vorzubereiten und sie konnten Sturmkapp endlich verlassen.

    Brandon und der Held kamen gerade vom Händler für Schiffsbedarf wo sie einige Schäkel, Ratschen, Belegnägel, Hohlspieker, Splisshorne und Marlspieker gekauft hatten, weil die auf dem Schiff langsam knapp wurden.
    „Hast du hier einen Adanos Tempel gesehen?“ wollte Brandon plötzlich wissen.
    „Was willst du denn da?“ fragte der Held.
    „Auf noch so einen Sturm wie den letzten kann ich wirklich verzichten“, sagte Brandon leidgeplagt. „Wenn ich meinen Glücksbringer von Adanos segnen lassen könnte, dann würde er mich bestimmt besser auf unserer nächsten Fahrt beschützen.“
    „Ich könnte etwas Weihwasser drüberkippen, wenn dich das beruhigt“, bot der Held an.
    Brandon wurde verlegen. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er nicht wusste wie er es dem Helden sagen sollte, ohne gewalttätige Konsequenzen fürchten zu müssen.
    „Naja, ich hätte lieber einen ri… äh… einen Wassermagier, der mehr Lebenserfahrung in dieser Tätigkeit hat.“
    „Wenn du meinst… Den Hügel hinauf gibt es einen Adanos Tempel.“
    „Wirst du mich hinführen?“ fragte Brandon gespannt.
    „Klar“, antwortete der Held, drehte sich um und marschierte los.
    Der Held führte Brandon zielstrebig durch die Stadt bis zum Tempel. Er war viel größer als der in Khorinis und wunderschöne Mosaike, die das Meer und die Küste zeigten, verzierten den Innenbereich. Die Messe war offenbar vorbei, denn die Bürger waren gegangen und nur noch eine alte Magierin war anwesend. Sie kniete vor dem Altar und betete zu ihrem Gott.
    „Aber … das ist ja eine Frau“, sagte Brandon überrascht und blieb stehen.
    „Und?“ fragte der Held, dem sowas egal war. „Willst du deinen Anhänger nun segnen lassen, oder nicht?“
    „Jah … natürlich“, sagte Brandon zögerlich, trat vor und hielt seinen Talisman vor sich ausgestreckt. „Ich bitte um Verzeihung für die Störung ehrwürdiger Wassermagier, ähm… Wassermagierin. Ich möchte deinen Segen erbitten, damit unser Schiff zukünftig nicht mehr in todbringende Stürme gerät.“
    Die Wassermagierin erhob sich langsam, drehte sich um und sah Brandon und den Helden aufmerksam an. Sie mochte fast siebzig Jahre alt sein. Tiefe Falten hatten sich um ihr Gesicht eingegraben, doch ihren saphirblauen Augen sah man ihr Alter nicht an. Das dünne graue Haar hatte sie zu einem festen Knoten gebunden.
    „Das ist eine große Macht, die du erbittest. Adanos hat seine Gründe für das Wetter, das er uns schickt, auch wenn wir es nicht immer erkennen können.“
    Brandon sah enttäuscht aus.
    „Kannst du denn gar nichts dagegen machen?“
    Die Wassermagierin musterte Brandon und den Helden eindringlich.
    „Ihr seid nicht von hier, oder? Ihr sprecht ein wenig anders.“
    „Wir … kommen von weit her“, wich Brandon der Frage aus.
    Er wollte die alte Frau wohl nicht anlügen, aber auch nicht mit der Sprache herausrücken. Der Mund der alten Frau wurde schmal.
    „Wenn ich nicht weiß wohin eure Reise euch führt, wie soll ich dann den passenden Segen aussprechen?“
    Der Held dachte sich, dass das auch bloß ein geschickter Winkelzug war, um herauszufinden woher sie kamen, doch er sagte nichts. Er fand, dass es Brandons Entscheidung war, ob er ihr antwortete oder nicht. Brandon senkte den Kopf und sagte leise: „Wir kommen von Stahlstern.“
    „Adanos verrät mir, dass du mich anlügst“, sagte die Wassermagierin ruhig, aber entschieden.
    Sofort zog Brandon den Kopf ein. Offenbar bereute er seine Lüge sofort.
    „Naja … eigentlich haben wir in Stahlstern nur kurz Halt gemacht“, sagte er deswegen rasch. „Wir kommen von der Insel Khorinis, die zu Myrtana gehört.“
    „Myrtana“, sagte die alte Wassermagierin in Gedanken versunken.
    Ihre Miene wirkte unergründlich. Unmöglich zu sagen, was ihr gerade durch den Kopf gehen mochte.
    „Bitte segne meinen Anhänger, damit er uns auf unserer gefahrvollen Reise beschützt“, bat Brandon inständig und streckte ihr auch einen prall gefüllten Lederbeutel entgegen.
    Doch die Wassermagierin sah das Gold nur schief an und sagte dann: „Du kannst dein geraubtes Gold behalten Pirat.“
    Brandon zuckte abermals zusammen und wurde nun auch noch aschfahl im Gesicht.
    „Woher weißt du…?“
    Der Held kniff die Augen zusammen und sah sich aufmerksam um. Würde sie jetzt die Stadtwache rufen, oder sie vielleicht selbst angreifen? Auch hier standen auf Piraterie schwere Strafen aus. Er hielt sich daher bereit sein Rapier zu ziehen. Die Magierin erkannte seine Absichten und warf ihm einen durchdringenden Blick zu.
    „Ihr seid nicht die ersten Piraten aus Myrtana, die hier vorbei gekommen sind“, erklärte die Magierin.
    Der Held freute sich endlich einen ersten möglichen Anhaltspunkt zur Esmeralda gefunden zu haben.
    „Wo sind sie hingefahren?“ wollte der Held sofort wissen.
    Sie musterte ihn ganz genau und schätzte die Lage eingehend ab, bevor sie antwortete: „Und was würdest du tun, wenn ich es dir sage?“
    „Ich möchte mich mit ihnen treffen“, sagte der Held unspezifisch.
    „Soso, mit ihnen treffen. Sagt man das in Myrtana jetzt so, wenn man jemanden umbringen möchte?“ fragte die alte Frau und ihre Stimme wurde hart.
    „Ich habe nichts von umbringen gesagt“, entgegnete der Held.
    „Aber gemeint hast du es. Etwas sagt mir, dass ihr vor nichts zurückschreckt um eure Habgier zu befriedigen.“
    Brandon sah jetzt nur noch auf den Boden und wagte gar nichts mehr zu sagen.
    „Und?“ fragte der Held trocken, so als wäre an ihren Taten nichts weiter dabei.
    Ihre Augen verengten sich und dann sah sie ihn lange an. Vielleicht wollte sie, dass er ebenfalls demütig den Blick senkte, doch der Held sah gar nicht ein warum er das machen sollte.
    „Sagt, wie steht es um Myrtana?“ wollte die Wassermagierin plötzlich wissen.
    Brandon sah kurz hoch zum Helden und sagte leise: „Erzähl du ihr davon, du warst auf dem Festland.“
    Der Held atmete genervt aus. Er wollte eigentlich nicht darüber reden, aber vielleicht sagte sie ihnen dann endlich wo die Piraten hingefahren waren. Härter als nötig fasste er die Geschehnisse kurz zusammen: „Die Orks hatten Myrtana besetzt. Fast alle Frauen, Kinder und Greise wurden von den Orks umgebracht, die noch arbeitsfähigen Männer versklavt. Einige konnten entkommen und haben gegen die Orks rebelliert. Nur ein kleiner Bruchteil der ehemaligen Bevölkerung hat den langen Krieg letztendlich überlebt. König Rhobar II. und sein Hofstaat sind tot. Myrtana wurde schlussendlich von den Orks befreit. Das ausgeblutete Reich wird nun von Regent Lee geführt. Es gibt eine Hungersnot und vermutlich wird ein Teil der verbliebenen Bevölkerung den Winter nicht überstehen.“
    Die Wassermagierin sah tief bestürzt aus. Der Held fragte sich warum. Immerhin hatte sie doch nichts mit Myrtana zu schaffen. Doch im Grunde war es ihm egal, so lange sie nun endlich mit der Sprache herausrückte wo sich die Esmeralda befand.
    „Es ist erschreckend das zu hören, doch mindestens genauso so sehr erschreckt mich wie hartherzig du vom Schicksal deiner Mitmenschen sprichst.“
    „Ich kann es sowieso nicht ändern“, behauptete der Held kalt.
    „Aber du könntest wenigstens Anteilnahme zeigen“, sagte die Magierin und ihre Stimme verlor an Schärfe, als sie an sein Mitgefühl appellierte.
    Der Held schnaubte nur und sah weg.
    „Etwas sagt mir, dass du auf dem Festland gegen die Orks gekämpft hast. Du müsstest doch das Leiden der Menschen selbst gesehen haben…“
    Der Held antwortete nicht, doch sie nickte wissend. Die alte Magierin seufzte schwer, als sie an das Schicksal Myrtanas dachte.
    „Krieg ist immer furchtbar. Leicht zu beginnen, schwer zu beenden und wenn er zu lange wütet und einen zu großen Anteil der Bevölkerung im unbarmherzigen Griff hält, beginnt ein schier unendlicher Kreislauf aus Leid und Schmerz. Die Menschen kennen dann nichts Anderes mehr als Tod und Gewalt, werden roh und wild, wissen nicht mehr was Güte und Nächstenliebe ist. Ihre Sprache wird rau und hart. Mitgefühl und Anstand werden ihnen fremd. Anstatt Konflikte mit Worten zu beenden wird sofort zur Waffe gegriffen. Mehr Krieg, mehr Schmerz und noch mehr Leid sind die Folge. Dann sehen die Menschen diesen täglichen Kampf ums Dasein bald als Normalität an. Die Überlebenden passen sich an die grausame Umgebung an, in der sie leben. Einige können sich dann eine andere Welt gar nicht mehr vorstellen und empfinden sogar Spaß am Kampf und am Töten. Und Schlussendlich, nach einem langen, schmerzhaften, brutalen Weg der diese grausamen Krieger geformt hat, die nichts Anderes als Blutvergießen mehr kennen, werden sie wie Dämonen sein, die nur noch kämpfen, um des Kämpfens willen. Denen es fast schon egal ist weswegen und wofür sie überhaupt töten und es ihnen nur noch darum geht das Blutvergießen für immer fortzusetzen und sich am brutalen Dahinschlachten zu berauschen. Ich bete zu Adanos, dass Myrtana sich aus diesem furchtbaren Strudel der Gewalt noch befreien kann.“
    Der Held war genervt. Warum neigten alte Menschen nur immer zum Schwafeln? Er wollte doch nur wissen wo er die Esmeralda finden konnte.
    „Wars das jetzt? Sagst du uns jetzt endlich wo die anderen Piraten hingefahren sind?“ wollte er wissen.
    „Nein!“ sagte sie entschieden. „Selbst, wenn ich es wüsste, würde ich es euch nicht sagen. Zu groß ist die Gefahr, dass das Blut, das ihr vergießen wollt, dann auch an meinen Händen klebt. Wenn ihr das noch könnt, dann überlegt euch, ob ihr wirklich dieses grausame Leben weiterführen wollt. Adanos möge euch eure Fehler vor Augen halten, so dass ihr vielleicht doch noch ein Einsehen habt. Bevor ihr euch nicht grundlegend ändert, werde ich euch keinesfalls segnen. Wenn Adanos euch totbringende Stürme schickt, dann habt ihr es vermutlich verdient. Geht jetzt! Möge Adanos die Menschen vor euch schützen“, sagte die alte Wassermagierin und wies ihnen den Weg nach draußen.
    Der Held und Brandon gingen. Sie liefen zuerst schweigend durch die Stadt. Der Held überlegte, ob er noch etwas Proviant besorgen sollte. Vielleicht sollte er noch etwas Schinken kaufen? Oder Obst? Am Markt gäbe es bestimmt genug Auswahl, doch im Grunde hatten sie im Moment alles. Samuel hatte bereits eingekauft. Doch wer konnte schon wissen wie lange die nächste Fahrt ging?
    „Meinst du sie hat Recht?“ fragte Brandon schließlich und riss ihn aus seinen Gedanken.
    „Was? Wer?“
    „Na die Wassermagierin“, sagte Brandon und ihm war klar anzusehen, dass ihre Worte ihn sehr beschäftigten. „Sind wir zu Dämonen geworden?“
    „Blödsinn. Wir sind Menschen und wenn uns nicht irgendwer verflucht, werden wir auch nicht zu Dämonen. Lass dir doch nicht so schnell was einreden“, wehrte der Held ab.
    „Ich denke, sie meinte nicht wie wir aussehen, sondern … mehr so im Kopf, verstehst du?“
    „Hm…“, machte der Held nur. „Ich denke, wir verhalten uns ganz normal.“
    „Eben!“, kam es von Brandon. „Das meinte sie ja. Wir halten das was wir tun für normal, aber vielleicht ist es das ja gar nicht. Vielleicht wissen wir ja gar nicht was Normalität ist.“
    Der Held seufzte und ging einfach weiter.
    „Da hat dir die Alte aber einen Floh ins Ohr gesetzt.“
    Brandon folgte ihm beharrlich.
    „Was ist, wenn wir noch keine Dämonen sind, aber auf dem besten Weg dahin?“
    „Dann streu Salz um dich rum, oder was du auch immer sonst tust, um das Böse abzuwenden, aber hör auf mich mit diesem Gesülze zu nerven!“ sagte der Held harsch.
    Daraufhin wagte Brandon nichts zu entgegnen. Er hatte oft genug gesehen, wie der Held ordentlich Schläge austeilte und wollte sich nicht selbst davon überzeugen wie sehr diese schmerzten. Ohne ein weiteres Wort zu wechseln kehrten sie zur Murietta zurück.

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Feuer und Flamme

    Als die „Murietta“ den Hafen von Sturmkap verließ, atmete die ganze Crew auf. Sie waren noch mal davongekommen. Ihr Glück nun mit Kanonen in See stechen zu können wurde abends unter Deck begossen. Die neuen Mitglieder der Crew Parviz, Enrico und Edgar durften zunächst nicht mitfeiern. Sie würden sich später mit den Resten begnügen müssen. Stattdessen sollten sie das Schiff am Laufen halten. Greg dachte natürlich nicht daran einen von ihnen das Steuer zu überlassen. Anstatt mit seiner Crew unten zu feiern arbeitete er weiter, um den neuen Crewmitgliedern gleichzeitig Vorbild und Mahnung zu sein. Er wollte sie in ihrer ersten Nacht auf seinem Schiff im Auge behalten. Mit dem Abendessen hatte Samuel sich diesmal wirklich übertroffen. Es gab Glühwein, steifen Grog, Ente, gepökeltes Ripper- und Terrorvogelfleisch und verschiedene gegrillte Fische. Die Piraten schaufelten sich das Essen rein, als hätten sie tagelang nichts gegessen.
    „Gib mal den Grog! Die Ente muss schwimmen!“, grölte Morgan und langte nach dem Alkohol.
    „Bin ganz froh endlich von Sturmkapp wegzukommen“, knurrte Skip. „Wer weiß wann die Stadtwache uns doch noch durchsucht hätte.“
    „Ach, ich fand es ganz angenehm mal wieder für ein paar Tage an Land zu sein“, sagte Francis und grinste in sich hinein.
    „Ja, endlich konnte ich mal wieder einen wegstecken“, behielt Henry sein Privatleben nicht länger für sich.
    „Einen?“ fragte Francis, lachte schallend und fuhr großspurig fort: „Bist ja bemitleidenswert. Ich hab fünf heiße Schnitten durchgenommen.“
    „Im Bordell ein paar Frauen zu knallen ist ja keine Kunst“, sagte Henry höhnisch.
    „Das waren keine Huren“, beteuerte Francis.
    „Kann ja jeder behaupten“, knurrte Henry und schob sich noch etwas gegrillten Schellfisch in den Mund.
    „Ich behaupte nicht nur, es war wirklich so“, entgegnete Francis und zählte an den Fingern ab: „Also da war Anita, hochgewachsen und Titten wie Pampelmusen, Dagmar, mollig, aber rattenscharf, Rita die fesche kleine Rothaarige, Gertrud, das kleine Luder konnte gar nicht genug bekommen und … Oh Mann Morgan, wie hieß die kleine Schnalle, die ich vorgestern durchgenommen habe?“
    Alejandro, der bisher nur befremdlich diesem respektlosen Männergespräch zugehört hatte, platzte es jetzt heraus: „Du fragst IHN wie deine Geliebte heißt?“
    Doch Morgan und Francis beachteten ihn gar nicht.
    „Hm… Lass mich überlegen“, sagte Morgan stattdessen und strich sich nachdenklich über seinen Bart.
    Francis grübelte ebenfalls noch und meinte dann: „Ich erinnere mich noch an zwei Leberflecken auf der rechten Titte.“
    „Ah, Debra war das“, fiel es Morgan da wieder ein.
    Francis zeigte grinsend mit dem Finger auf ihn.
    „Ja, genau. Gut, dass du dir den Namen gemerkt hast.“
    „Wieso weiß denn Morgan das?“ fragte Alejandro pikiert. „Es war doch deine Freundin Francis, oder?“
    „Ach, das sehen wir da locker. Bei Piraten werden die Weiber gerne mal ein bisschen rumgereicht“, sagte Francis breit grinsend.
    Alejandro verzog zweifelnd das Gesicht.
    „Und die Frauen finden das in Ordnung?“
    „Das sind ein paar heiße Schnecken, die wollen es nicht anders“, behauptete Francis.
    Alejandro konnte sich mit diesem Gedanken offenbar nicht anfreunden.
    „Also ich finde ja, wenn man ein Mädchen gefunden hat, das man mag, dann sollte man ihr auch treu bleiben. Wie soll sich denn sonst ein gutes Vertrauensverhältnis aufbauen?“
    Einige der Piraten um Alejandro herum fingen schallend an zu lachen. Sie hielten wohl nicht viel von dauerhaften Beziehungen.
    „Ist er nicht niedlich unser Kleiner?“ fragte Morgan mit Lachtränen in den Augen.
    Alejandro wurde zwar rot, doch er sah die anderen Piraten nun düster an. Ihr Verhalten würde wohl nichts an seiner Einstellung ändern. Einige der Piraten lachten noch eine Weile und als Morgan sich wieder unter Kontrolle hatte, fragte er den Helden: „Was ist mir dir? Hast du dich ordentlich ausgetobt?“
    „Ich war die meiste Zeit in der Kanonenfabrik. Wollte, dass das schnell fertig wird“, kam es zur Antwort zurück.
    „Hab ich gesehen. Hast ja geschuftet wie ein Wahnsinniger“, antwortete Morgan.
    „Ja, hab noch nie jemanden so arbeiten sehen“, stimmte auch Alligator Jack zu.
    „War ja im Grunde meine Schuld, dass die Stadtwache überhaupt nach dem Mörder des Richters sucht“, gab der Held zu.
    Die meisten anderen Piraten schätzten es offenbar, dass er sich so einsetzte, um die Folgen seiner Taten so gut wie möglich von der Crew der „Murietta“ fernzuhalten.
    „Ja, stimmt“, sagte Morgan trocken.
    „Bist ein guter Mann“, meinte Henry und nickte dem Helden anerkennend zu. „Die meisten hätten sich nicht so reingehängt.“
    „Aber ein bisschen Spaß muss doch auch sein“, meinte Francis grienend.
    „Ja“, sagte auch Morgan. „Oder hast du was gegen dralle Mädels?“
    „Nein, das nicht. Gegen ein kleines Abenteuer habe ich nichts, nur kommen die Frauen schnell mal auf so verrückte Ideen wie sesshaft werden, heiraten und Kinder kriegen, da muss man vorsichtig sein“, sagte der Held.
    „Kann mir vorstellen, dass der sichere Hafen der Ehe nichts für dich ist“, sagte Morgan belustigt.
    Die anderen Piraten lachten wieder, nur Alejandro verstand offenbar nicht, was daran so lustig sein sollte. Die Männer sahen sein Gesicht und gröhlten noch lauter. Jetzt reichte es Alejandro wohl. Er stand auf und verließ den Tisch. Später fand der Held ihn in der Hängematte, wo er mithilfe eines Lichtzaubers in einem der Bücher las, die er ihm gegeben hatte. Er sah sehr konzentriert aus, deswegen unterbrach der Held ihn nicht und legte sich stattdessen in seine eigene Hängematte um zu schlafen.

    Nach der Bewährung der ersten Nacht wurden die neuen Crewmitglieder auf die Entertruppführer aufgeteilt. Parviz kam zu Alligator Jacks Entertrupp, Enrico kam bei Henry unter und Edgar wurde dem Entertrupp des Helden zugeteilt.
    „Wo fahren wir denn jetzt hin?“ fragte der Held um die Mittagszeit.
    Greg sah den Helden nicht an als er sprach, sondern beobachtete wachsam die dunklen Wolken, die über ihren Köpfen dahinzogen und die raue See, die aufschäumte, wenn die „Murietta“ durch die Wellen pflügte.
    „Zur Pirateninsel. Nu dar wi endlich Kanonen hebbt köönt wi uns endlich dar hen wagen. Wäre natürlich beter wi harrn en gröttere Crew, aver länger will ik ok nich warten. Wi hebbt schon genug Tied vertrödelt. Wird Tied, dat wi de Esmeralda verfolgen. De Piraten weern garantiert mit de Esmeralda op de Pirateninsel. Se is nich leicht to finnen un Strömungen un Undeepen maakt de Fahrt darhen nich leicht. Aver dat lohnt sik. Dor lett sik würklich allens kopen un verkopen. Außerdem is dat en goden Rücktoogoort, wenn een dat Gesett in ’n Nack hangt oder man sien Schipp repareeren mutt.“
    „Ah, diese Momente, wenn man nur die Hälfte von dem versteht was der Käpt’n sagt … die habe ich so gar nicht vermisst“, sagte Parviz verschmitzt, während er sich an einer Leine zu schaffen machte.
    Greg stand zwar ein gutes Stück von ihm entfernt, doch er hatte ihn offenbar gehört, denn er warf ihm einen finsteren Blick zu.
    „Müssen wir denn noch was kaufen? Wir haben doch jetzt alles, oder?“ fragte der Held, sah auf die Kanonen und dachte an den gut gefüllten Vorratsraum.
    „Beter hett as bruukt. Seegefechte sünd immer gefährlich. Wi werden sicher Reparaturarbeiten maken mööten wenn wi op de Pirateninsel ankamen. Aver tuerst broken wi natürlich Gold, veel Gold“, erklärte der Kapitän.
    Dem Helden entging nicht, dass Greg sich nun bemühte etwas deutlicher zu sprechen.
    „Sind wir etwa schon wieder blank?“ fragte Alligator Jack missmutig.
    „Tjoa teihntausend för de Kanonen war een gooter Preis, aver Gold is Gold, nich? Un een neuet Beiboot musste ik ook koopen, weil ihr Drömel dat letzte op de Vulkaninsel latten hebbt.“
    „Die Patrouille, die uns einsackte, hat das beschlagnahmt“, verteidigte sich Alligator Jack verdrießlich.
    „Ik weeß, aver wat hilfts? Wi broken een Beiboot. Un en grötteren Crew weer ok nich slecht. Op de Pirateninsel finnen wi aver bestimmt goot Lüüd för de Mannschap.“
    Die Pirateninsel schien wohl ein besonderer Ort zu sein. Dem Helden entging nicht, dass die erfahreneren Piraten ein aufgeregtes Funkeln in den Augen bekamen, wenn sie daran dachten.
    „Auf der Pirateninsel geht es sehr chaotisch zu, deswegen ist sie ein Ort Beliars“, erklärte Parviz und lächelte in sich hinein. „Man kann dort tun und lassen was immer man will. Die absolute Freiheit.“
    „Hört sich gut an“, meinte der Held und hob den Arm, was Manuel neben ihm reflexhaft zusammenzucken liess, doch der Held kratzte sich nur im Genick.
    „Ein Abenteuer nach dem nächsten und keine Gesetze. Saufen, huren, randalieren, herrlich“, sagte Parviz und schwelgte in Erinnerungen.
    Alejandro, Miguel und Manuel, die neben ihm arbeiteten sahen beunruhigt aus.
    „Das heißt, wenn man Pech hat wird man auf offener Straße einfach so abgestochen?“ fragte Manuel beunruhigt.
    „Kann passieren“, antwortete Parviz leichthin, während er eine Leine aufschoss.
    Seine Worte ließen Miguel, Manuel und Alejandro erblassen.
    „Meist gibt es aber einen Grund für eine Auseinandersetzung“, versuchte Alligator Jack die drei zu beruhigen.
    „Aber nicht immer“, meinte Parviz mit leisem Lächeln. „Manche Piraten schlitzen Leute auf, weil ihnen deren Visage nicht passt.“
    „Oder weil sie besoffen sind“, ergänzte Bones trocken.
    „Oder weil ihnen langweilig ist“, setzte Morgan hinzu.
    Die erfahreneren Piraten lachten sich über die verunsicherten Gesichter von Manuel, Miguel und Alejandro kaputt und die wussten nicht, ob die alten Seehasen sie nur foppen wollten, oder ob es auf der Pirateninsel wirklich so rau zuging.

    Am Nachmittag erklärte Samuel der gesamten Mannschaft den Umgang mit den Kanonen, damit sie nicht völlig blauäugig in ihr erstes Seegefecht hineinstolperten. Das ließ nicht lange auf sich warten.
    „Zwei adlokanische Handelsschiffe Steuerbord voraus!“ rief Parviz laut, der nun Dienst im Krähennest hatte.
    Sie ließen zunächst die Flagge von König Fion wehen. Die „Murietta“ lief unter günstigem Wind und flog regelrecht über die Wogen. Die beiden Handelsschiffe, zwei große schlicht gestaltete Dreimasterkaravellen, fuhren ruhig nebeneinanderher. Eins hieß „Feuer“, das andere „Flamme“.
    Die List gelang. Die Adlokaner ließen die „Murietta“ zu ihnen aufschließen, ohne Anstalten zu machen abzudrehen. Vielleicht wiegten sie sich in der trügerischen Sicherheit, dass niemand so wahnsinnig wäre Handelsschiffe des mächtigen Großreichs Adloka anzugreifen. Als sich die „Murietta“ im wirksamen Feuerabstand befand, ließ Greg den Kurs korrigieren, so dass sie nun vor dem Wind liefen, sich also parallel zu den Handelsschiffen befanden und so beste Voraussetzungen für einen Angriff hatten. Jetzt war die Zeit gekommen die Piratenfahne zu hissen. Beinahe sofort brach auf den beiden Handelsschiffen hektische Betriebsamkeit aus. Doch zu spät, schon gab Greg den Befehl zum Feuern. Ziel waren die Segel und Rahen. Sie sollten am besten schon mit dem ersten Schuss hinweggefegt werden. Doch es kam anders. Die Crew war noch unerfahren im Umgang mit den Kanonen und so traf, trotz der guten Lage der „Murietta“, nicht einmal die Hälfte der Kanonenkugeln die „Flamme“.
    „Na det war wohl nix ihr Suffköppe. Schnell nachladen!“ brüllte Greg wütend.
    Morgan, Garret, Bill, Miguel, Manuel, Alexandro und Skip luden die Kanonen so schnell sie konnten. Samuel, Francis, Brandon, Bones, Henry, Alligator Jack und dem Helden fiel die Aufgabe zu mit den Kanonen zu schießen. Doch dafür mussten sie erstmal erneut in die richtige Position gelangen, denn inzwischen waren sie an der „Flamme“ vorübergezogen. Und so schwärmten sie aus, um alles bereit zum Halsen zu machen, also dem Wenden mit dem Heck zum Wind. Sie wollten vor den adlokanischen Handelsschiffen vorbeifahren und sie umkreisen, denn die Adlokaner hatten vorne keine Kanonen. Sie näherten sich dem Weg des linken Handelsschiffes nun langsam auf Raumschot-Kurs. Sie befanden sich also nicht mehr vor dem Wind, sondern der „Flamme“ mit dem Bug leicht zugeneigt.
    „Haltet eure Shitbüddel fest, nu zählt jeder Handgriff!“ brüllte Greg.
    Sein gutes Gespür für den Wind war für dieses gefährliche Manöver unerlässlich. Die erfahreneren Piraten warteten nun angespannt an den Bordwänden bei den Brassen auf den Befehl zum Wenden der Rahen. Die Crew heftete ihre Blicke glühend vor Ungeduld an die entschlossene Gestalt des Piratenkapitäns, der mit seinem verbliebenen Auge ganz genau abmaß wann der perfekte Zeitpunkt zum Handeln gekommen war. Sie durften nicht zu weit vorne wegfahren, sonst würde die noch unerfahrene Crew nicht gut mit den Kanonen treffen, aber sie durften auch nicht zu hektisch halsen, sonst würden sie am Ende mit den adlokanischen Schiffen kollidieren.
    „Klar zum Halsen!“ rief Greg und die Crew handelte schnell und koordiniert.
    „Ist klar!“ kam es zurück.
    „Fier op de Schoten!“ befahl der Kapitän, der den Rückmeldungen seiner Mannschaft voll vertrauen musste, da er aufgrund all der Segel und seines fehlenden rechten Auges ein stark eingeschränktes Sichtfeld hatte und daher nicht immer sah was seine Mannschaft trieb.
    Auch hier kam bald Rückmeldung seiner Crew.
    „Fockschot ist klar!“
    „Großschot ist klar!“
    Die „Murietta“ neigte sich knarzend zur Seite, als sie in den scharfen Bogen der Wendung glitt. Als Greg dann das Steuer zurück in die Ausgangsposition führte, richtete sie sich trotz des drastischen Manövers gehorsam wieder auf. Sie befand sich jetzt mit der rechten Seite ein gutes Stück von den beiden Handelsschiffen entfernt.
    „An de Kanonen! Pustet se weg!“ befahl Greg und seine Stimme verriet deutlich, dass er hoffte, dass es diesmal etwas werden würde.
    Der größte Teil der Crew stürzte daraufhin zu den Kanonen und nur ein kleiner Rest hielt das Schiff auf Kurs. Das konnte fatale Folgen haben, doch es ging nicht anders. Sie waren einfach zu wenige für so ein großes Schiff. Der Held feuerte eine der Kanonen, die vorne beim Fockmast standen, ab, traf die Karavelle, die der „Murietta“ am nächsten war an der Steuerbordseite und sah wie Holzsplitter umherstoben. Die Matrosen der „Flamme“ hatten sich reflexartig auf die Planken geworfen, als der Geschützdonner erneut die Luft zerriss. Eine von Samuel abgefeuerte Kugel zerschmetterte die Rahe des Fockmastes. Das große weiße viereckige Segel ging auf das Deck nieder und richtete dort heillose Verwirrung an, weil es viele Matrosen unter sich begrub und diese unter dem Segel die Orientierung verloren. Die Piraten bejubelten diesen guten Schuss, der sie zu weiteren großen Leistungen ansporte. Bones feuerte einmal mitten in das Gewusel hinein und Henry schoss ein erstaunlich großes Loch in den Bug. Einen Gegenangriff brauchten die Piraten im Moment nicht fürchten, doch die Kapitäne der beiden Handelsschiffe waren nicht untätig. Als Schutz vor Piraten hatte das wohlhabende Adloka seine Handelsflotte mit guten Kanonen bestückt und die Kapitäne brüllten laut Befehle, um die Schiffe in eine Position zum Gegenangriff zu bringen. Die zweite Karavelle beschrieb inzwischen einen weiten Bogen nach Steuerbord, um die Piraten abzufangen. Rasch hintereinander feuerten ihre Geschütze aus dem Ober- und dem Unterdeck. Holz splitterte, doch waren die Schäden bisher nicht besorgnis erregend. Die „Murietta“ fuhr nun geradewegs auf dieses Schiff, die „Feuer“, zu und würde sie bei gleichbleibendem Kurs rammen. Das hätte schwere Schäden für beide Schiffe zur Folge. Der Kapitän der „Feuer“, musste ein erfahrener, aber auch kaltblütiger Mann sein, wenn er einen solch verheerenden Zusammenstoß riskierte. Vielleicht war es aber auch nur ein Bluff und er spekulierte darauf, dass die Piraten ausweichen würden. Er gelang, denn Greg wollte nicht riskieren, dass die „Murietta“ schwere Schäden erlitt. Er korrigierte den Kurs, so dass sie nun auf der maximalen Höhe zum Wind fuhren. Weiter würden sie nicht drehen können, denn es war schier unmöglich direkt im Wind, also genau gegen den Wind, zu fahren. Dieser Kurs würde ein Spießrutenlauf werden, denn er führte zwischen die beiden Handelsschiffe hindurch. Die Piraten waren schwer gestresst, denn sie hatten Mühe mit all den Arbeiten fertig zu werden. Während Garret, Bill, Miguel, Manuel und Alejandro weiterhin die Kanonen beluden, hatten sich Morgan und Skip von dieser Arbeit abgewendet, um den anderen Piraten dabei zu helfen den Kurs zu ändern. Haarscharf fuhren sie nun am Heck der „Feuer“ vorbei. Die Anstrengung hatte sich ausgezahlt. Aus dieser Entfernung konnten sie nicht verfehlen. Der Held ging ohne große Unterbrechung von seinen Arbeiten an den Klüvern zu einer nebenstehenden Kanone über, mit der er einen gut gesetzten Schuss in den Heckspiegel der „Feuer“, landete.
    „Arschschuss!“ jubelte Skip, der neben ihm weiter an den Klüvern arbeitete, es sich aber nicht nehmen ließ kurz zum entstandenen Schaden hinüberzusehen.
    Auch die anderen Kanoniere landeten empfindliche Treffer an Heck und stehendem Gut der „Feuer“. Wieder brandete Jubel bei den Piraten auf, doch er ging im Geschützfeuer der „Flamme“ unter, die nun in guter Schussposition war. Sie fuhr unverändert weiter vor dem Wind und würde so knapp am Heck der „Murietta“ vorbeifahren.
    „Runter!“ rief der Held und drückte Skip, der neben ihm stand, schnell zu Boden.
    Wenige Sekunden später durchschnitt eine Splitterkanone genau dort die Luft, wo sie eben noch gestanden hatten. Sie traf hinter ihnen auf die Planken und Splitter aus Holz und Metall regneten über sie nieder. Skip bekam kaum etwas ab, da der Held ihn mit seinem Körper abschirmte.
    „Puh, das war knapp. Gut, dass wir entkommen sind“, sagte Skip, als sich der Held schmerzhaft ächzend aufrappelte.
    „Sprich für dich“, knurrte der Held.
    Viele Metall- und Holzsplitter hatten sich in seinen Rücken gebohrt und rasch tränkte Blut seine braune Entertrupprüstung.
    „Scheiße“, sagte Skip erschrocken, als er das sah.
    Der Held sagte nichts und verwendete seine Kraft lieber dafür einen Heilzauber zu sprechen. Für den Moment wurden die Blutungen gestillt, aber später mussten die Splitter wirklich aus seinem Körper heraus und dann würde er sich erneut verletzen. Für den Moment musste diese kurze Behandlung genügen. Immerhin befanden sie sich in einer Seeschlacht, da konnte er keine große Rücksicht auf sich nehmen. Es krachte erneut laut und Parviz, der oben gearbeitet hatte, fiel nun von den Rahen herab. Sein Körper verfing sich im Sturz in den Wanten und Leinen und schlug dann dumpf auf dem Deck auf. Die Leinen hatten seinen Sturz gebremst, dennoch stachen seine zersplitterten Rippen nun in seine Lungen. Er bekam keine Luft mehr und kotzte Blut aufs Deck. Sicher wäre er kurz darauf gestorben, wenn der Held nicht zu ihm gerannt wäre, um ihn ebenfalls mehrmals mit einem wirksamen Heilzauber zu kurieren.
    „Danke“, sprach Parviz dieses selten gewordene Wort aus und spuckte noch etwas helles Blut aufs Deck, das sich offenbar in seinem Mund angesammelt hatte.
    Skip half ihm auf, dann gingen sie sofort wieder an die Arbeit, denn jeder wusste wie brenzlig die Lage war. Die beiden Handelsschiffe hatten sie in die Zange genommen. Auch von der „Feuer“ flogen nun Kugeln herüber und beschädigten ihren Besanmast und zerlöcherten ihre Bordwand. Die Piraten wollten nicht, dass die Handelsschiffe sanken, denn dann wäre auch die Beute verloren, doch die Handelsschiffe hatten nicht solche Skrupel. Umso früher die „Murietta“ sank umso besser für sie.
    „Henry! Skip! Morgan! Unner Deck! Bessert de Schäden ut, sonst suppen wi ab!“ befahl Greg den dreien, da er wohl wusste, dass sie sich mit Ausbesserungsarbeiten auskannten.
    Miguel, Manuel und Alejandro standen in all der Aufregung etwas zu lang verwirrt herum, so dass sie sich vom Kapitän einen kräftigen Rüffel einhandelten: „Ihr Duseldassel, swingt joon fulen Achtern an de Arbeit trügg! Los! Beladet de Kanonen! Ihr doot nix anners as dat, verstahn?!“
    Auch wenn es grob vom Kapitän war, in dieser heißen Seeschlacht war es das Beste, wenn sich die unerfahrenen Piraten nur um eine einzige einfache Aufgabe zu kümmern brauchten. Alles andere würde sie nur verwirren und überfordern. Die „Murietta“ lief weiter auf maximaler Höhe geradewegs zwischen den Adlokanern hindurch und feuerte zu beiden Seiten die nächste Ladung auf die Handelsschiffe ab. Holzsplitter flogen nach allen Seiten und sie hörten die Schreie der verwundeten Matrosen. Einige Rahen zersplitterten oder stürzten aufs Deck. Die Rauchschwaden der Geschützsalven verhüllten nun die beiden Handelsschiffe, so dass schwer auszumachen war, was auf Deck vor sich ging. Hatten sie aufgegeben, oder bereiteten sie den nächsten Angriff vor?
    Als der Wind den Qualm hinwegblies konnten sie sehen was vor sich ging. Die beiden adlokanischen Karavellen waren trotz der Beschädigungen, die die Segel und das stehende Gut erlitten hatten weiterhin gefährlich. Wieder zerriss Geschützdonner die Luft. Geschosse flogen mit grässlichem Heulen an den Bordwänden der „Murietta“ vorbei, klatschten ins Meer und peitschten gewaltige Fontänen hoch. Die Murietta war den beiden Handelsschiffen vorerst entwischt und hatte ihre heikle Position verlassen. Nun musste Greg entscheiden in welche Richtung er wenden sollte, um einen erneuten Angriff zu starten. Doch damit war er nicht allein. Die zwei großen Dreimasterkaravellen manövrierten im Seitenwind und versuchten die Murietta zu umkreisen, offenbar um die Geschütze der anderen Breitseite gegen den Gegner abfeuern zu können. Sie teilten sich dabei auf. Die „Flamme“ steuerte in die eine und die „Feuer“ in die andere Richtung mit dem Ziel die „Murietta“ erneut in die Zange zu nehmen. Käpt’n Greg entschied sich für die noch nicht so schwer beschädigte „Flamme“. Die „Murietta“ musste nun kreuzen, um eine geeignete Position einnehmen zu können.
    „Fertig zum Wenden!“ befahl der Piratenkapitän.
    Die Piraten lösten die Brassen und begannen dann zu ziehen, so dass die „Murietta“ jäh nach Backbord luvwärts abbog, das schäumende Kielwasser durchschnitt, das sie eben hinter sich gelassen hatte, kam wieder in Fahrt und folgte der ersten Karavelle. Sie fuhren nun mit halbem Wind parallel zur „Flamme“.
    „Werden wir ihnen mal einheizen“, sagte Samuel und grinste diebisch.
    Er ließ die Kanonen nun mit hohlen Kugeln laden, in die er ein alchemistisches Gemisch gefüllt hatte. Als die Geschütze erneut Feuer und Rauch spien, erklangen andere Geräusche als zuvor. Pfeifender, leichter. Der Aufprall hörte sich nicht dumpf, sondern zersplitternd an und sie sahen wie sich rasch Feuer auf der „Flamme“ ausbreitete. Die dünnwandigen Kanonenkugeln waren zerbrochen und hatten brennende Flüssigkeit auf das Schiff und seine Mannschaft verteilt. Grässliche Schreie, die von großem Leid zeugten, wehten über die Wellen zu ihnen herüber. Die Adlokaner antworteten ihrerseits mit Geschützfeuer, doch es hatte nicht mehr die alte Kraft, da kaum noch jemand an den Geschützen stand und sie landeten keine empfindlichen Treffer. Die nun unter Seitenwind segelnde „Murietta“ entwickelte jetzt fast die doppelte Geschwindigkeit wie die beiden schwer beschädigten adlokanischen Handelsschiffe. Greg hatte vor die „Flamme“ backbords zu überholen. Er nahm an, dass die Adlokaner noch nicht imstande gewesen waren, erneut die Geschütze der linken Breitseite zu laden. Er gab Befehl die Kanonen auszurichten und erneut zu feuern. Es erforderte zwei starke Männer, um eine Kanone in ihrer Halterung zu drehen. Der Held und Bones mühten sich mit hochrotem Kopf an ihrer Kanone und schossen dann eine Kettenkugel auf den Großmast der „Flamme“. Sirrend flog sie los und richtete schwere Schäden an.
    Die Piraten umkreisten das Handelsschiff weiter. Gregs Rechnung ging auf. Als sich der Bugspriet der „Murietta“ auf gleicher Höhe mit dem Bug der „Flamme“ befand, blieb es zunächst still, bis die ausgerichteten Kanonen der Piraten schossen und weiteren Schaden anrichteten. Greg drehte gekonnt am Steuer. Die „Murietta“ neigte sich erst zur Seite und richtete sich dann wie nach einer großen Kraftanstrengung wieder auf. Das unter und über der Wasserlinie getroffene adlokanische Schiff hingegen scherte im verzweifelten Versuch auszuweichen, nach Steuerbord aus, legte sich dann nach Backbord und fiel aus dem Wind. Die verbliebenen Segel flatterten unnütz.
    Für die „Flamme“ war der Kampf vorbei.
    „Gau nu! Wi mööt ok noch dat anner Schipp kampfunfähig scheten, sonst suppt uns dat hier noch af, bevör wi de Büüt an Boord halen köönt.“, rief Greg mit lauter Stimme.
    Die „Flamme“ driftete nun durch die zerfetzten Segel, ohne Möglichkeit weiter zu manövrieren dem Wellengang preisgegeben, hilflos seitlich weg. Die Mannschaft der „Feuer“ wollte ihren Kameraden wohl zu hilfen kommen, denn sie bereitete nun ein Wendemanöver vor. Die „Feuer“ scherte langsam nach Backbord aus, als wollte sie der „Flamme“ ausweichen und von hinten an die „Murietta“ herankommen. Die „Murietta“ hatte aber bereits gedreht. Sie war noch besser in Schuss und durch die noch funktionsfähigen Klüver bei weitem wendiger. So kam es, dass beide Schiffe nun fast parallel einen Am-Wind-Kurs verfolgten. Die Kanonen der „Feuer“ schossen zuerst, aber die Antwort der „Murietta“ war entschiedener. Mit zersplitterten Masten musste auch dieses Handelsschiff aufgeben. Die Piraten jubelten. Sie hatten den Sieg in dieser harten Seeschlacht errungen.
    Greg befahl erst die „Flamme“ zu kapern, da er befürchtete das Schiff könnte vorzeitig untergehen. Alligator Jack schoss mit den Harpunen in das malträtierte Holz des Handelsschiffes, damit sie leichter entern konnten. Von der geschundenen adlokanischen Crew gab es keinen Widerstand. Sie sahen erschöpft und übel zugerichtet aus. Nicht wenige lagen im Sterben, betreut von ihren deprimierten und zutiefst erschütterten Kameraden.
    „Verfluchtes Piratenpack! Dafür werdet ihr bezahlen!“ schimpfte der Kapitän der „Flamme“. „Königin Leandra wird euch unsere Seepaladinflotte auf den Hals hetzen!“
    Käpt’n Greg ignorierte ihn und sagte stattdessen zu seiner Crew: „Los! Holt de Ladung un denn rasch op de „Feuer“, bevor de villicht ünnergeiht!“
    Die Piraten hatten gute Laune. Sie schwelgten in der Euphorie des Sieges. Im Laderaum hatten sie Kisten mit Gewürzen, Lederwaren, kostbarem Stoff, leeren Laborwasserflaschen und Instrumenten gefunden, darunter Harfen, Leiern, Zimbeln, Lauten, Dudelsäcke, Schalmeien und Schellen. Sie räumten auch einen großen Teil des Lebensmittelmagazins leer. Gedörrte Fische, gepökeltes Fleisch, Käse, Mehl, Schiffszwieback, Zwiebeln, Knoblauch und Fässer mit Trinkwasser, Schnaps und Bier. Aus den Verschlägen nahmen sie Fässer mit übrig gebliebenen Kugeln und Pulver mit. Eifrig luden sie alles auf die „Murietta“. Dem Helden entging nicht, dass sich Alejandro nicht derart begeistert an der Arbeit beteiligte, wie die anderen Seeräuber. Aus traurigen Augen sah er auf die verletzten Matrosen der „Flamme“ und es war nicht schwer zu erkennen, dass Schuld und Scham ihn plagten.
    Nachdem sie die „Flamme“ gekapert hatten, wendeten sich die Piraten der „Feuer“ zu. Auch hier gab es keine weitere Gegenwehr, dafür reiche Beute. Gold, Silber, Kupfer und nichtmagisches Erz. Für die Reparaturarbeiten nahmen sie Segeltuch, Tauwerk, Pech und Instandsetzungsholz mit. Wie bei der „Flamme“ krallten sie sich auch hier reichlich Kanonenkugeln, Schießpulver und Proviant. Greg ließ der adlokanischen Mannschaft wie deren Kollegen auf dem Schwesterschiff nur zwei Kisten mit Schiffszwieback und ein Fass Trinkwasser übrig. Während sie die Beute verluden stimmten einige Männer von Gregs Crew gut gelaunt ein Piratenlied an. „Schnaps und Schnecken, Bier und Bräute, Rum und Randale, das gibts heute, ja wir sind Piraten auf großer Kaperfahrt und heute wird die Nacht noch richtig hart*“, sangen die Piraten und störten sich gar nicht an den finsteren und hasserfüllten Blicken der adlokanischen Seemänner, die es ganz offensichtlich gar nicht schätzten, dass ihre hart erarbeitenden Handelsgüter für solch frivole Freuden verjubelt werden sollten.
    Auf der „Murietta“ wurden die Waren auf Gregs Geheiß aufgeteilt. Edelmetalle in die Brig, der Rest in den Laderaum. Garett, der Lagerverwalter, achtete auf die Ordnung. Unter seinen strengen Augen bekam alles seinen Platz und er betonte laut, dass er es merken würde, wenn etwas verschwinden würde. Nachdem alles verladen war, gingen die Piraten wieder an Deck, um neuen Kurs zu setzen.
    „Vorwärts Männer! An de Arbeit! Kurs zur Pirateninsel wedder opnehmen. Dor köönt wi denn ok de nödigen Reparaturarbeiten maken“, rief der Piratenkapitän laut übers Deck und sie ließen die beiden übel zugerichteten Schiffe und ihre hoffnungslose Mannschaft zurück.

    * Feuerschwanz "Schnaps und Schnecken": https://www.youtube.com/watch?v=KwwU6MUWw_Y

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    Die Wintersonnenwendwahl

    Nachdenklich sah Lee aus dem Fenster. Es regnete stark, aber immerhin schneite es nicht. In der Burg war es furchtbar kalt. Statt im eisigen Thronsaal zu sitzen, arbeitete Lee lieber hier im königlichen Arbeitszimmer wo ein prasselndes Feuer im Kamin für etwas Wärme sorgte. Lee seufzte und ging im Kopf nochmal die Ereignisse der letzten Tage durch.
    Jarvis und seine Truppe waren mit schlechten Nachrichten aus Bakaresh zurückgekommen. Die Assassinen lehnten es ab mit ihnen zu handeln. Einen genauen Grund hatten sie nicht genannt, dafür aber Jarvis und seine Männer mit Beleidigungen verspottet. Beinahe wäre es zu einem blutigen Streit gekommen, doch Jarvis hatte seine Leute zurückhalten können. In diesen Tagen war selbst das Kämpfen zu anstrengend. Glück im Unglück sozusagen. Myrtana konnte keinen weiteren Krieg bestehen. Nun überlegte Lee angestrengt woher er sonst noch Lebensmittel für das Volk bekommen könnte. Lord Hagen ließ die Bisons von Silden bewachen und hatte dafür gesorgt, dass jeder Wohnort in Myrtana einen gerechten Anteil vom Fleisch erhielt. Er nutzte dafür die Listen, die Lee für die Lebensmittelieferungen aus Khorinis erstellen ließ. Lee ärgerte sich darüber, dass die Idee mit den Bisons nicht von ihm kam. Er musste zugeben, dass Lord Hagens Handeln entscheidend für das Überleben der Bevölkerung war. Immer mehr schlechte Nachrichten hatten den Thronsaal erreicht. Nachrichten von Krankheit und Tod. Das von Schicksalsschlägen gebeutelte Volk von Myrtana war dabei gewesen die letzten Atemzüge zu tun. Vermutlich hatte Lord Hagens Idee das Volk gerettet, oder den Tod zumindest aufgeschoben. Hoffentlich würde das Fleisch bis zum Frühling reichen, wenn wieder mehr essbare Wildpflanzen in den Wäldern zu finden wären. Bis dahin musste er spätestens eine Lösung präsentieren. Sie brauchten ein weiteres Schiff. Lee hatte den Auftrag gegeben ein neues bauen zu lassen, doch hier verstand sich niemand mehr auf dieses alte Handwerk. Die Schiffsbauer von Vengard waren alle im Krieg umgekommen. Die Assassinen waren Händler. Er wusste nicht von einem Schiff in ihrem Besitz, aber vielleicht war es auch nur unterwegs. Irgendwie mussten sie ihre Waren ja mit anderen Ländern tauschen. Er wusste, es gefiel den Wassermagiern nicht, aber für ihn stand fest, dass sie die Assassinen brauchten. Sie mussten mit ihnen zusammenarbeiten. Die Assassinen kannten geeignete Handelspartner. Vielleicht hatten sie wirklich ein oder sogar mehrere Schiffe, oder zumindest jemanden, der wusste wie ein Schiff zu bauen war. Jorgen hatte ihm erzählt, dass es im Hafenviertel von Khorinis einen Schiffsbauer namens Garvell gab. Jorgen, der nun der Kapitän des klapprigen Schiffes war, das die Waren von Khorinis nach Myrtana schiffte, ließ die „Schwimmendes Wrack“ bei jedem Halt in Khorinis von Garvell und seinen Gesellen ausbessern. Das war auch bitter nötig, denn das Schiff begann getreu seines Namens in seine Einzelteile zu verfallen. Vermutlich war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie das Schiff von „Schwimmendes Wrack“ auf „Sinkendes Wrack“ umbenennen mussten. Und was würden sie tun, wenn das Schiff zerstört war und damit auch noch die Lebensmittellieferungen aus Khorinis wegfielen? Lee hatte Jorgen gefragt ob Garvell für sie ein neues Schiff bauen würde, doch Jorgen hatte dem Herrscher davon abgeraten. Die Reparaturarbeiten seien in Ordnung, doch er hatte wohl schon einmal als Kapitän auf einem von Garvells Schiffe gedient und das war ein Stück vor der Küste von Khorinis abgesoffen. Garvell hatte es auf die mindere Qualität der Materialien geschoben und behauptet mit Holz von guter Qualität würde er ein besseres Schiff bauen können, doch Jorgen glaubte ihm nicht mehr. Dennoch hatte Lee Jorgen bei der letzten Fahrt extrem viel Gold mitgegeben und eine Schriftrolle mit dem Auftrag ein neues Handelsschiff für Myrtana zu bauen. Jorgen hatte traurig mit dem Kopf geschüttelt, aber nicht weiter mit dem König von Myrtana diskutiert. Lee zweifelte nicht an Jorgens Worten, doch war er so verzweifelt, dass er sich an jeden Strohhalm klammerte. In Khorinis hatte Lord Andre das Einsammeln der Wählerstimmen übernommen. Er hatte sie persönlich bei der letzten Fahrt mitgebracht.
    Gestern hatte Lee an der Grenze zu Nordmar mit den Clanchefs gesprochen. Lee hoffte, dass sich die Handelsbeziehungen zu Nordmar mit der Zeit festigen würden. Er selbst stammte von dort, genaugenommen aus dem Feuerclan und er hatte gehofft das könnte ein Bonus bei den Verhandlungen sein. Kerth, der Anführer des Fuerclans hatte ihm mitgeteilt, dass die ersten Waffen und Rüstungen fertig waren und in einer Woche am Pass abgeholt werden konnten, doch Lee wollte zusätzlich noch um Fleisch handeln. In Nordmar gab es noch Jagdgründe, doch Kerth und die anderen Clanchefs hatten sich geweigert. Sie kämen den Myrtanern mit dem Schmieden der Waffen und Rüstungen entgegen, sagten sie, aber das Fleisch bräuchten sie für die eigene Versorgung. Sie verstanden die brenzlige Lage, in der sich Myrtana befand, doch sie hatten ebenfalls mit dem harten Winter zu kämpfen und betonten, dass jeder Jäger, der unerlaubt in Nordmar jage, die Konsequenzen zu spüren bekommen würde. Lees Berater Mattes hatte den genauen Wortlaut der Zusammenkunft aufgeschrieben. Lee musste zugeben, dass Mattes ein eifriger und verlässlicher Mann war. Vor dem Orkkrieg war er Schreiber in Faring gewesen. Er rechnete aus wie viel Erz die Nordmar für sich behalten hatten und stellte fest, dass sie sich an die Abmachungen hielten. Lee hatte die Paladine in Faring angewiesen keine Jäger nach Nordmar durchzulassen. Schon ein einziger Wilderer könnte die Handelsbeziehungen zu Nordmar stark belasten. Dies galt es um jeden Preis zu vermeiden. Die Paladine verstanden offensichtlich voll und ganz den Ernst der Lage. Wenn auch geschwächt vom Hunger und nicht von ihm als Regenten überzeugt, hielten sie eisern durch, um die Grenze unter Einsatz ihres Lebens zu schützen.
    Lee fand, dass er sich so langsam in die Rolle des Herrschers hereinfuchste, doch er war immer noch überfordert. Wäre Lord Hagen vielleicht wirklich ein besserer König? Er hatte die Idee mit den Bisons gehabt, ohne ihn gäbe es jetzt vielleicht gar kein Volk mehr über das Lee herrschen könnte. Außerdem vertrauten die Paladine und Ritter Lord Hagen voll und ganz. Lee gegenüber waren sie dagegen misstrauisch. Sie befolgten seine Befehle, weil er der König war, nicht weil sie ihm vertrauten. Für sie stand fest, dass er kein geeigneter Herrscher war. Laut seinem Berater Mattes ging unter ihnen das Gerücht, er habe sich den Titel unrechtmäßig ergriffen. Lee fürchtete einen Putsch. Er war ein guter Kämpfer und er hatte seine treu ergebenen Söldner, dennoch könnte in diesen Zeiten alles passieren. Geplagt von Sorgen merkte er zuerst nicht wie die Tür aufging und Thekla hereinkam. „Ich bringe das Essen, Majestät.“
    Lee sah erstaunt auf. Es hatte heute bereits ein Frühstück gegeben und er hatte mit keiner weiteren Mahlzeit gerechnet. Die begabte Köchin trat zu ihm und stellte ihm einen Teller mit einem einzigen, aber großen Pfefferkuchen auf den Tisch. Lees Augen wurden noch größer. Er hatte es nicht für möglich gehalten in dieser Hungersnot ausgerechnet einen Pfefferkuchen zu sehen.
    „Wie hast du den denn gemacht?“ fragte er hörbar erstaunt.
    Thekla lächelte warmherzig.
    „Hast du vergessen? Heute ist die Wintersonnenwende. Erinnerst du dich? In besseren Zeiten, da war es Tradition zur Wintersonnenwende Pfefferkuchen zu essen. Alles war prächtig geschmückt. Es gab ein großes Festmahl. Musik und Tanz. Ach was für eine herrliche Zeit“, sagte Thekla wehmütig und offensichtlich ganz in Erinnerungen versunken.
    Sie seufzte schwer und war wieder mit den Gedanken in der Gegenwart.
    „Die Leute sind so hoffnungslos. Es bricht mir das Herz. Wir hatten in den letzten Jahren ja schon einige schwere Wintersonnenwenden, aber so furchtbar wie dieses Jahr war noch keine. Die Leute munkeln, dass es vielleicht unsere letzte Wintersonnenwende ist. Daher dachte ich eine kleine Aufmunterung würde guttun. Ich musste zwar etwas improvisieren, aber mit unserem Anteil aus der letzten Lieferung aus Khorinis konnte ich ein Blech mit Pfefferkuchen backen. Mit deiner Erlaubnis werde ich sie in der Burg verteilen. Wir sind ja nicht mehr so viele, da bekommt jeder einen ab.“
    „Aber natürlich darfst du das. Du hast ein Herz aus Gold Thekla. Du versuchst immer die Leute aufzubauen“, würdigte der König die Bemühungen seiner Köchin.
    Sie lächelte und forderte dann: „Probiere doch mal!“
    Schon der erste Bissen war ein Genuss.
    „Schmeckt wie bei Muttern“, lobte Lee und das war wohl das Beste was er hatte sagen können.
    Theklas Wangen röteten sich und ihr ganzes Gesicht sah froh aus.
    „Danke, Hoheit. Dann gehe ich mal und werde die anderen Pfefferkuchen verteilen.“
    Es war ganz offensichtlich, dass sich Theklas Laune schon hob, wenn sie sah wie ihr Essen anderen Menschen schmeckte. Lee sah ihr nach und blickte dann auf den Pfefferkuchen in seiner Hand. Er erinnerte ihn wirklich an die Pfefferkuchen seiner Mutter. Immer zur Wintersonnenwende hatte sie welche gebacken. Später zusammen mit seiner Schwester Kathleen. Es waren wirklich immer tolle Feste gewesen. Der Feuerclan war von seinen Bewohnern immer ganz besonders mit Girlanden aus Tannenzweigen und magisch leuchtendem Erz geschmückt wurden. Im Haus des Clanchefs begann das Fest mit dem traditionellen Wintersonnenwendgebäck. Dann hatten sich alle Clans mit den Feuermagier aus dem Kloster getroffen und waren zum alten Steinkreis gegangen, um dort die Wintersonnenwende zu begehen. Zuhause im Clan wurde dann ein fröhliches Fest gefeiert. Das ganze Dorf war zusammen, feierte das Leben und ihre Lieben. Wo war das geblieben? Lees Herz wurde schwer. Jeder in Myrtana hatte Freunde und Familie verloren und das eigene Leben hing nun am seidenen Faden. Lee dachte an seine Familie. Nur er hatte überlebt. Das Leben hier war hart und unerbittlich.
    Ein Kloß steckte Lee im Hals. Er war wohl zu sentimental geworden. Das half ihm jetzt auch nichts. Lösungen für ihre Probleme mussten her. Wo blieben eigentlich Gorn und Roland? Sie hatten doch alle Stimmen einsammeln sollen. Heute sollten sie vor den Augen des Rates ausgezählt werden. Nachdem der König den Pfefferkuchen aufgegessen hatte, stand er auf und ging unruhig am Fenster auf und ab. Dann hielt es ihn nicht länger im vergleichsweise warmen königlichen Arbeitszimmer. Seine Sorgen trieben ihn in den Thronsaal, weil er hoffte, dort Antworten zu finden. Vorzugsweise bei Mattes. Er rief ihn und sein Berater kam eiligen Schrittes aus einem benachbarten kleinen Zimmer, das er für seine eigene Arbeit nutzte.
    „Jawohl Majestät?“ fragte Mattes.
    „Sind Roland und Gorn mit den Wählerstimmen zurück?“
    „Nein, noch nicht, aber die anderen Mitglieder des Rates sind eingetroffen. Anog und Lord Andre sind auch da.“
    „Sollen reinkommen“, forderte Lee.

    Wenig später saßen Lee, Anog, Lord Hagen, Lord Garond, Lord Andre, Pyrokar, Karras, Milten, Altus, Saturas, Vatras, Myxir, Merdarion, Cord und Mattes am großen Tisch zusammen und sie tauschten sich über die Ereignisse der letzten Tage aus. Sie mussten sehr lange warten, bis Gorn und Roland endlich auftauchten.
    „Was hat euch denn so lange aufgehalten?“ fragte Lord Hagen ungehalten.
    „Der Regen, mein Lord“, begann der Ritter zu informieren. „Er war zeitweise so heftig, dass wir fürchteten, er würde die Stimmzettel durchweichen und die Schriften verwischen. Wir ließen uns in Faring viel Zeit um die Wahlstimmen einzusammeln. Im strömenden Regen wollten wir nicht aufbrechen und als wir herkamen mussten wir ja auch noch hier die Stimmen einsammeln.“
    „Ja, genau so war es“, sagte Gorn, auf dessen Gesicht ein großes Veilchen blühte.
    Offenbar hatte es zusätzlich zum Regen auch Fäuste in Faring gehagelt. Lee wollte gar nicht wissen mit welchem Paladin Gorn nun wieder aneinandergeraten war. Es hatte ihm schon gereicht, dass Lord Hagen ihm vom Kleinkrieg zwischen Gorn und Roland erzählt hatte. Die beiden zusammen zum Stimmensammeln loszuschicken war riskant gewesen. Lee war hin und wieder durch den Kopf gegangen, dass sie sich beide gegenseitig erstochen haben könnten und zusammen mit den Stimmen in irgendeinem Straßengraben lagen. Doch Lord Hagens Plan war aufgegangen. Die beiden waren wohlbehalten zurück. Sie hatten gewiss darauf geachtet, dass niemand schummelte oder bevorteilt wurde und wie es aussah hatten sie sich auch ein Stück weit angenähert, denn sonst hätte Gorn Rolands Aussage nicht unterstützt. Wieder einmal hatte Lord Hagen richtig gelegen. Wäre es daher schlimm, wenn die Bevölkerung ihn zum König wählen würde?
    „Musstest du jemanden zum Abstimmen überreden, oder was?“ fragte Cord, der für Gorn die Stellung gehalten hatte.
    „Die haben meinen Kumpel schlecht gemacht, das ließ ich ihnen nicht durchgehen“, knurrte Gorn.
    Lee runzelte die Stirn. Mit „die“ meinte Gorn sicher die Paladine. Gorn hatte die angespannte Lage zwischen Paladinen und Söldnern also noch weiter verschärft. Wieder eine schlechte Nachricht.
    „Übrigens fehlen uns noch ein paar Stimmen“, sagte Gorn und hielt Lee den Sack unter die Nase.
    Vengard war der letzte Ort, an dem die Stimmen eingesammelt wurden. Lord Hagen, Lee, Cord, Lord Garond und Mattes wählten und warfen ihre Stimmzettel in den Sack. Ein ungelöstes Problem waren die Feuer- und die Wassermagier. Die Feuermagier in Khorinis gehörten unbestritten zu Myrtana dazu, genau wie all die Bürger der Insel, doch Varant und Nordmar hatten sich von Myrtana separiert. Demnach waren die Wassermagier und die Feuermagier, die dort lebten eigentlich nicht Teil von Myrtana. Sie bestanden jedoch darauf ebenfalls zu wählen. Lee, Lord Hagen und Lord Garond ließen sie gewähren. Sie schätzten ihre Meinung und sie hatten viel für Myrtana getan, so dass sie es ungerecht finden würden, wenn sie nicht über den neuen König wählen dürften. Sie gaben ihre Stimmzettel und die ihrer Kollegen ebenfalls in den Sack.
    „Wird Zeit die Wählerstimmen zu zählen“, sagte Lord Hagen erwartungsvoll.
    Das übernahm Mattes. Er war zwar Lees Berater, doch hatten die Ratsmitglieder seine unparteiische Art zu schätzen gelernt. Roland legte den Sack mit den Stimmen auf den Tisch und Mattes setzte sich auf einen Stuhl, zückte die Liste der Bewohner Myrtanas, eine unbeschriebene Pergamentrolle, sowie Feder und Tinte. Alle anderen Ratsmitglieder stellten sich um ihn herum auf, um die Rechtmäßigkeit der Zählung beglaubigen zu können. Jeder andere wäre jetzt vielleicht nervös gewesen, doch Mattes zeigte nicht die Spur von Unsicherheit. Gefasst griff er in den Beutel und holte den ersten Zettel hervor.
    „Lord Hagen wählt sich selbst“, verkündete Mattes, setzte ein Häkchen bei Lord Hagens Namen in der Einwohnerliste Myrtanas und schrieb auf das Pergament Lord Hagens Namen und fügte daneben einen Strich ein.
    Ohne das weiter zu kommentieren griff er erneut in den Sack, fischte den nächsten Zettel heraus und las vor: „Lee wählt den Helden von Myrtana.“
    Einen kurzen Moment hielt Mattes mit der Feder inne. Er überlegte wohl was er schreiben sollte, dann schrieb er: Held.
    Auch er bekam einen Strich. Leicht konfus fiel Mattes auf, dass der Held gar nicht auf der Liste der Einwohner Myrtanas zu finden war. Er hatte nie Lebensmittellieferungen erhalten, doch wie hatte er vergessen können ihn in die Liste einzutragen? Wie peinlich.
    „Ich selbst wähle Lee“, sagte Mattes ohne sich etwas anmerken zu lassen, nachdem er seinen eigenen Stimmzettel entfaltet hatte und schrieb auch dessen Namen auf das Pergament.
    Seine Miene war ausdruckslos. Es war nicht zu erkennen, ob er Lee gewählt hatte, weil er wirklich von ihm überzeugt war, oder ob er ihn wegen seines Berufes gewählt hatte. Immerhin gab es keine Garantie ob der mögliche nächste König ihn als Berater behalten würde.
    „Auch Anog wählt sich selbst“, verkündete Mattes und schrieb auch seinen Namen auf.
    „Lord Garond wählt Lord Hagen, … Lord Andre wählt Lord Hagen,… Pyrokar wählt Lord Hagen, … Karras wählt Lord Hagen, … Milten wählt den Helden von Myrtana, … Altus ebenfalls, … Saturas wählt Lee, … Vatras wählt Lord Hagen, … Merdarion wählt Lee, … Myxir wählt auch Lee, … Cord wählt ebenfalls Lee, …“ las Mattes nach und nach die Stimmzettel vor.
    Die Stimmenauszählung dauerte lang und war mühsam. Mattes bekam eine krächzende Stimme und die fürsorgliche Thekla kam später gerade recht um eine große Karaffe mit Wasser vorbeizubringen. Sie durfte nicht bleiben. Selbst Cord als Gorns Stellvertreter und Roland als Überbringer der Stimmzettel wurden nur geduldet, weil keiner eine große Diskussion wollte, sondern angespannt beobachtete wurde, wer wie viele Stimmen erhielt.
    Der harte Kern der potentiellen Herrscher bestand aus Lord Hagen, Lee, Anog und dem Helden, wobei dieser unterschiedlich von der Wählerschaft benannt wurde. Unter den Bezeichnungen waren: der Held von Myrtana, der Orkschlächter, der Entscheider, der Drachentöter, der Bewahrer des Gleichgewichts und irgendwer hatte Barrierensprenger geschrieben. Vereinzelt tauchten auch Namen von Bürgern auf, doch erhielten sie schlussendlich nicht mehr als ein oder zwei Stimmen. Vielleicht hatte sich jemand ganz einfach selbst gewählt und seinen Nachbarn dazu angestachelt es ebenfalls zu tun. Die meisten Wähler wählten aber einen der vier Favoriten. Manchmal war es schwer die Schrift zu entziffern. Dann mühte sich Mattes und manchmal mussten ihm die anderen helfen. Natürlich forderte jeder mal den Zettel zu sehen, damit auch niemand schummelte.
    „Hm… ein gewisser Kewen wählt den Helden. Finde den gar nicht auf der Einwohnerliste“, sagte Mattes nachdenklich und prüfte Liste und Stimmzettel zweimal.
    „Kewen ist ein ehemaliger Sklave aus Varant, bevor er gefangen wurde, lebte er in Trelis. Da muss auch noch ein Wahlzettel von einem Herbert drin sein. Auch ein ehemaliger Sklave, der zuvor in Geldern lebte. Sie bauen zusammen mit Lester Sumpfkraut an und haben in Trelis abgestimmt“, informierte Gorn.
    „Stimmt das Roland?“ fragte Lord Hagen misstrauisch.
    Der Ritter nickte.
    „Ja, das stimmt. Nur … die drei bauen in Varant das Sumpfkraut an. So gesehen leben sie ja gar nicht in Myrtana.“
    „Aber sie sind in Trelis zum Wählen gegangen“, hielt Gorn dagegen. „Und die Wassermagier und die Feuermagier im Kloster in Nordmar leben ja auch nicht in Myrtana.“
    „Das ist was anderes“, behauptete Lord Hagen.
    „Bitte beruhigt euch“, sagte Vatras mit seiner besonnenen Stimme. „Jeder Mensch sollte frei sein. Wenn es diese beiden Sklaven geschafft haben ihre Freiheit wiederzuerlangen, dann sollten wir sie nicht von der Wahl ausschließen. Sie haben sich nicht dafür entschieden aus ihrer Heimat entrissen zu werden.“
    Trotz kurzem Protest stimmten die Anwesenden darüber ein, dass auch diese beiden Stimmen rechtmäßig gezählt werden sollten.
    „Ah, hier haben wir ja diesen Herbert“, sagte Mattes und las ebenfalls vor. „Er wählt auch den Helden und als nächstes haben wir … Lester, er wählt Lee.“
    „Lee? Warum denn Lee?“ wunderte sich Gorn lautstark.
    „He!“ empörte sich Cord. „Was hast du denn gegen Lee?“
    „Nichts, aber ich dachte Lester hält zu unserem Kumpel“, sagte Gorn zerknirscht. „Immerhin haben Diego, Milten und ich ihn auch gewählt.“
    Er dachte wohl nicht daran, dass es vielleicht nicht im Sinne des Helden war zum König gewählt zu werden.
    Cord sah leicht verunsichert zum Herrscher, doch Lee nahm es wohl nicht schwer. Er hoffte selbst, dass der Held zum neuen König gewählt werden würde.
    „Lares wählt Lee“, las der Berater vor und schrieb Lee einen weiteren Punkt gut.
    Jeder Strich, den Mattes aufmalte wurde aufmerksam beobachtet und die Anspannung im Raum war deutlich zu spüren. Endlich waren alle Stimmen ausgezählt. Auf den ersten Blick war nicht genau zu sehen wer gewonnen hatte. Mattes hatte sich zwar bemüht die Striche gleichmäßig zu setzen und doch war es so gekommen, dass manche Striche enger beieinander standen als andere und so die eine Zahlenkolonne länger erschien als die andere. Offensichtlich war jedoch, dass Anogs Liste am kürzesten war. Mattes zählte leise durch, schrieb dann das Ergebnis auf, räusperte sich und fing beim Verlierer an.
    „Anog hat sechsundfünfzig Stimmen errungen. Danach kommt Lord Hagen mit neunzig Stimmen, dann Lee mit siebenundneunzig und Sieger ist der Held von Myrtana mit hunderteinunddreißig Stimmen.“
    „Was?“ kam es aufgebracht von Lord Hagen. „Das kann nicht sein! Zähl noch mal!“
    Mattes Stirn furchte sich, doch er behielt weiterhin die Fassung und nur wer genau hinhörte, konnte den leichten Ärger aus seiner Stimme heraushören.
    „Lord Hagen, ich habe gewissenhaft gezählt. Wenn ihr wollt könnt ihr es nachprüfen.“
    „Darauf kannst du dich verlassen“, knurrte Lord Hagen, zog einen Stuhl zurück, setzte sich, ging alle Stimmzettel noch mal durch und führte eine eigene Liste.
    Während Lord Hagen noch zählte, hatte sich Anog längst mit seiner Niederlage abgefunden.
    „Schade“, sagte er und ließ Kopf und Schultern hängen.
    Lee dagegen sah so aus, als hätte es heute zur Wintersonnenwende ein großes ganz besonderes Geschenk für ihn gegeben. Er strahlte über das ganze Gesicht und sagte wohlwollend: „Das Volk hat entschieden. Der Held wird also König. Großartig.“
    Auch Gorn und Milten sahen zufrieden aus. Meister Altus lächelte zurückhaltend. Die meisten anderen Magier sahen immerhin so aus, als könnten sie mit der Entscheidung leben, doch Saturas fragte: „Aber er ist nicht da. Wie soll er regieren, wenn er nicht da ist?“
    „Ja, genau!“, kam es gleich von Lord Garond.
    „So lange er nicht da ist und daher nicht gekrönt werden kann, sollte es einen Stellvertreter geben“, meinte Vatras.
    „Und wen?“ fragte Lord Andre verwundert.
    „Es ist nur logisch, wenn das derjenige ist, der an zweiter Stelle kommt, also Lee“, sagte Mattes sachlich.
    „Ich fordere Neuwahlen!“ sagte Lord Hagen laut und schlug mit seinem gepanzerten Handschuh auf den Tisch. „Neuwahlen ohne diesen Drachentöter, der sowieso nicht da ist. Die Leute sollen sich zwischen Lee, Anog und mir entscheiden. Ich bin mir sicher, dann sieht das Ergebnis ganz anders aus.“
    „Damit nehmen wir den Bürgern aber die freie Wahl“, gab Meister Altus zu bedenken. „Sie könnten nicht mehr jeden Wählen, den sie wählen wollen.“
    „Aber diesmal haben die meisten Lord Hagen, Lee, Anog und den Drachentöter gewählt“, sprang Lord Garond Lord Hagen bei. „Wir können also eingrenzen wer zur Wahl steht. Es ist doch sinnlos jemanden auf den Thron heben zu wollen, der gar nicht da ist. Ich bin auch für Neuwahlen.“
    Lee sah von einem wütenden Gesicht ins nächste und seine eigene Freude schwand und wich einer beunruhigten Miene.
    „Wir sollten das mit den Bürgern besprechen. Sie haben gewählt. Wenn wir ihre Entscheidung jetzt nicht anerkennen, sondern einfach Neuwahlen ausrufen, weil uns ihre Entscheidung nicht passt, dann verraten wir sie. Dann sind wir nicht besser als irgendein Tyrann, der seinen Willen seinen Bürgern aufzwingt.“
    „Sehr wohl gesprochen“, lobte Meister Altus.
    Lord Hagen grollte, sagte dann aber: „Also schön. Wir reisen durch Myrtana und bereden es mit dem Volk. Dann werden wir ja sehen, ob es Neuwahlen gibt, oder nicht.“
    Nach einer kurzen lauten Diskussion wurde beschlossen, dass es genauso gemacht wurde. Morgen wollten sie aufbrechen.

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    Der Tanz mit dem Tod

    Nach einem heftigen Saufgelage in der Nacht der Wintersonnenwende waren die Männer an Bord der „Murietta“ am nächsten Tag alle sehr verkatert und daher nicht so recht für die Arbeit zu gebrauchen. Miguel und Manuel waren sogar besoffen übers Deck getorkelt und ins Meer gefallen. Zu ihrem Glück war gerade Flaute und der Held erbarmte sich ihrer, verwandelte sich in einen Lurker und brachte sie aufs Schiff zurück. Greg schimpfte viel, doch er wusste, dass er seine Männer auch mal von der Leine lassen musste, damit sie zufrieden waren. Der schwache Wind ließ sie nicht so rasch vorankommen wie gewünscht. Der Tag verging im alten Trott mit viel Arbeit. Nun da die „Murietta“ allerhand Schätze im Bauch geladen hatte, wünschten sich die meisten endlich nur noch auf der Pirateninsel anzukommen. Doch das nächste Abenteuer wartete schon am nächsten Morgen auf sie.
    „Schiffe Backbord querab!“, rief Enrico aus dem Krähennest.
    Er bimmelte aufgeregt mit der Schiffsglocke, damit alle Mann rasch an Deck kamen.
    „Gleich mehrere Schiffe?“ fragte Henry alarmiert und schaute wachsam zum Horizont.
    Tatsächlich waren dort ganz klein sechs Schiffe zu erkennen. Sie waren nicht sehr hoch, aber lang.
    „Sieht aus wie Schiffe der Nordländer“, kam es von Skip.
    „Sind et aver nich“, hatte der Piratenkapitän erkannt. „Dat sünd Orkschiffe. Weit im Osten leven veele Orks un de sünd dafür bekannt mit ihren schnellen un wendigen Langschiffen weit in de Flussmündungen vordringen zu können. Dort überfallen se de Lüüd, töten diejenigen de stören, versklaven, diejenigen de sich gut verkopen latten un behalten diejenigen de besonners goot för de Arbeit taugen. Wi versuchen abzudrehen un too verswinnen. Vielleicht hebben se uns noch nich sehen. Neuer Kurs Südost!“
    Die Crew führte Gregs Befehle schnell aus, doch die Orks hatten sie offenbar doch schon bemerkt, denn sie passten ihren Kurs den ihren an.
    „Verdammich, de halten uns bestimmt för‘n Hannelsschipp vun König Fion“, sagte der Kapitän und brüllte dann zum Krähennest hoch: „Enrico! Setz unser Flagg! Dat schreckt se vielleicht ab.“
    Enrico nickte. Seine rote luftige Hose bauschte sich im aufkommenden Wind, der die „Murietta“ flott vorantrieb. Eilig tauschte er die Flagge von König Fion gegen die von Greg aus, doch den Piraten kam es so vor, als würde das die Orks nur noch weiter anstacheln.
    „Vielleicht denken die wir haben massenweise Gold geladen“, mutmaßte Francis, der von den Wanten aus einen guten Blick auf die Langschiffe hatte.
    „Haben wir ja auch“, sagte der Held.
    „Aber das können die doch nicht wissen“, gab Francis zurück.
    Die fremden Schiffe waren aus dunklem Holz gefertigt, das durch die Nässe fast schwarz aussah. Der Rumpf war gebogen, begann mit einem Drachenkopf und endete in einem drachenartigen Schwanz. Die Segel waren blau und lila gestreift, doch waren die nicht die einzige Möglichkeit der Schiffe voranzukommen. Unzählige Ruder konnten die Piraten erkennen, nun, da sich die Langschiffe noch weiter näherten. An ihnen mühten sich menschliche Sklaven. Das hatte auch Greg gesehen und er gab Befehl die Ausrichtung der Segel noch weiter zu optimieren, um die „Murietta“ zur Höchstleistung zu trimmen. Doch es war unwahrscheinlich den Orks entkommen zu können. Die Langschiffe schnitten schnell und elegant durchs Wasser und holten immer weiter auf. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie zu ihnen aufschließen würden. Das hatte auch der Held gesehen und er ging zu Greg, um ihn nach seinen Plänen zu fragen.
    „Wie lange sollen wir vor ihnen davonfahren?“
    „So lang wie et geht. Dat sünd bestimmt mehr as achtzig Orks.“
    „Wir haben die Kanonen. Wir können es schaffen“, meinte der Held und versuchte Greg so gut zu zureden.
    „Un wat wenn nich? Denn überfallen de uns un stechen uns ab“, hielt der Piratenkapitän dagegen.
    „Wir können nicht vor ihnen fliehen. Die sind schneller. Weißt du noch bei den Paladinen? Die Mannschaft ist ganz verrückt geworden, weil die uns so lange verfolgt haben“, rief der Held Greg in Erinnerung.
    „Da sünd wi aver ook vor ihnen geflohen un durch den Sturm konnten wi se abschüddeln.“
    „Willst du also wieder darauf hoffen, dass uns ein Sturm rettet?“ wollte der Held wissen.
    Greg sagte nichts. Er brummte nur etwas Unverständliches in seinen Bart.
    „Umso länger wir den Kampf aufschieben, umso schwieriger wird er“, meinte der Held.
    Greg hielt das Steuer so fest umklammert, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Er versuchte es zu verbergen, doch der Held spürte die große Angst, die ganz tief in diesem beinharten Piratenkapitän vergraben lag, damit seine Mannschaft sie nicht merkte. Greg erkannte aber, dass er seinem gefährlichsten Entertruppführer nichts vormachen konnte, sah ihm ins zuversichtliche Gesicht, dann einen langen Moment über die Schulter zu den Langschiffen der Orks, seufzte und brüllte schließlich: „Also goot, aver wenn wi verrecken, denn versprek ik dir, dat ik dir dat nach unserm Doot in Beliars Riek ewig vorhalten werde.“
    „In Ordnung.“
    „Klar maken zur Wende! Wi stelln uns diesen verdoomten Orks. Hotz mit de Motz! Makt euch bereit förn Kampf!“ brüllte Greg so laut, dass die ganze Mannschaft ihn hören konnte.
    Aufgeregtes Gewusel setzte ein. Nicht wenige hatten geradezu panische Angst, doch es gab auch tollkühne Kämpfer.
    „Ja, pusten wir sie zu Beliar!“ kam es euphorisch von Henry, der offenbar ganz heiß auf einen Kampf war.
    „Die Haie kriegen heute ein Festmahl“, grölte auch Bones großspurig und reckte aggressiv die Faust.
    Morgan, Alligator Jack und Garett stellten sich schon an die Kanonen.
    „Haltet mal die Füße still, sie sind noch zu weit weg für die Kanonen“, versuchte Samuel die aufpeitschenden Gefühle, die vor einer großen Seeschlacht hochwallten, im Zaum zu halten.
    „Dann besprechen wir schon mal unsere Strategie, wenn sie uns entern sollten!“ kam es gleich darauf von Henry. „Hat jemand Erfahrung im Orkkampf?“
    „Habt ihr etwa noch nie gegen Orks gekämpft?“ kam es ungläubig vom Helden.
    Henry, Alligator Jack, Bones und Morgen sahen plötzlich etwas kleinlaut aus.
    „Ja, … doch“, meinte Bones, doch seine Worte konnten offenbar nicht mal ihn selbst überzeugen.
    „Drei oder vier haben wir schon erledigt“, sagte Morgan trotzig.
    „Aber gegen so viele haben wir nie gekämpft“, gab Henry zu.
    „Ja, mehr so einzeln abgestochen, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Wer ist schon so verrückt es gegen eine ganze Horde aufzunehmen?“, fragte Alligator Jack.
    „Na wi offensichtlich“, kam es mit fester Stimme von Kapitän Greg, der das Steuer an Brandon abgegeben hatte, um bei der Strategiebesprechung dabei zu sein.
    Er schritt entschlossen übers Deck. Nichts verriet die aufgewühlten Emotionen, die der Held eben noch geglaubt hatte zu sehen.
    „So nu lat ausm Bart falln! Du hast ja wohl Ahnung“, sagte Greg hart an den Helden gewandt.
    „Reich mir mal dein Fernrohr, mal sehen wie die ausgestattet sind!“ forderte der Held.
    Wortlos reichte der Kapitän ihm sein gutes Fernrohr und allein das sagte schon viel aus, denn normalerweise würde er es nicht aus der Hand geben. Mit Gregs Fernrohr ging der Held an die Reling und setzte es ans rechte Auge.HelH

    „Ich sehe drei Schamanen. Die müssen wir unbedingt zuerst ausschalten. Ihre Magie kann verheerenden Schaden anrichten. Am besten versenken wir also zuerst die Schiffe mit den Schamanen. Das letzte von hinten und dann immer im Wechsel. Eins ohne Schamanen, dann wieder eins mit.“
    Der Held zeigte auf die Langschiffe mit den Schamanen, damit die anderen sie gut sehen konnten. Dann spähte er wieder durchs Fernrohr.
    „Sie tragen schwere Waffen. Krush Pach, Krush UrRock, Krush Varrok, Krush Agasch, …“, zählte der Held auf, doch die anderen Piraten konnten offensichtlich überhaupt nichts mit diesen Waffennamen anfangen. „Ihre Rüstung ist am Torso stark, aber an den Beinen und Armen eher schwach, wohl um die Beweglichkeit zu erhalten. Wir sollten also versuchen diese Schwachstellen auszunutzen. Versucht besser nicht ihre Angriffe zu blocken. Orks sind verdammt stark und ihre Waffen schwer. Weicht ihnen lieber aus.“
    „Ausweichen? Hier stehen überall Kanonen“, gab Henry zu bedenken.
    „Sollten sie soweit kommen an der Murietta hochzuklettern, stellen wir uns etwas weiter hinten auf, in der Schiffsmitte, so dass die Kanonen die Orks behindern und dann müssen sie geradewegs auf uns zu laufen. Wir stellen uns in mehreren lockeren Reihen auf. Meist stürmen Orks mit voller Wucht auf einen los. Diesem Angriff sollten wir unbedingt ausweichen. Am besten immer alle nach links weg, damit es nicht zu einem Gemenge untereinander kommt. Ihr lasst die Orks an euch vorbeilaufen, duckt euch weg und haut mit euren Waffen auf die schwach gepanzerten oder sogar ungeschützten Stellen an den Beinen. Schlagt mit aller Kraft zu, so dass sie umfallen, dann kann der Kämpfer in der zweiten Reihe ihnen den Schädel einschlagen. Dann sofort zurück in die Ausgangsposition, damit ihr nicht von den nachkommenden Orks niedergemetzelt werdet.“
    Der Held setzte das Fernrohr ab, drehte sich um und sah in viele bleiche Gesichter. Bei den erfahrenen Piraten war nur Francis deutlich die Angst anzusehen, die anderen versuchten zumindest so zu tun, als wären sie furchtlos. Skip, Owen und Garret sahen nervös aus, aber sie wussten auch, dass sie es nur zusammen schaffen konnten. Bill, der zwar ein guter Dieb, aber kein erfahrener Kämpfer war, sah sehr käsig im Gesicht aus und blickt mit glasigen Augen zu den Langschiffen der Orks.
    „Wir werden alle sterben!“ sprach Manuel verängstigt aus, was wohl viele dachten.
    „Blödsinn!“ erwiderte der Held selbstsicher, doch die anderen Piraten sahen nicht so zuversichtlich aus.
    „Ich … ich kann das einfach nicht“, wimmerte Alejandro und seinem blassen Gesicht war anzusehen, dass er mühsam versuchte die Panik, die jeden Moment aus ihm herausbrechen wollte, niederzukämpfen.
    „Doch du kannst“, sagte der Held entschlossen. „Für dich habe ich eine besondere Aufgabe. Nicht schwer, aber sehr wichtig. Du stellst dich mit Samuel in die dritte Reihe, so dass wir anderen die Murietta jeweils in zwei Reihen verteidigen können und Rücken an Rücken kämpfen. Ihr beiden zieht diejenigen aus den Reihen, die mit schweren Verletzungen zusammengebrochen sind und versorgt sie hinten mit Heiltränken, so dass sie dann wieder weiterkämpfen können. Da du Magie beherrscht, kannst du uns anderen auch während des Kampfes heilen und stärken.“
    „Stärken?“ fragte Alejandro verwundert.
    „Ja, der Stärkezauber, damit wir während des langen Kampfes nicht vor Erschöpfung umfallen“, erklärte der Held.
    Er sah wie es in Alejandros Kopf arbeitete, dann sagte der Junge verunsichert, weil er fürchtete etwas verpasst zu haben: „Aber das ist doch die Magie von Innos.“
    „Stimmt. Wir sollten mal einen Innos Schrein aufsuchen, damit du das lernst“, sagte der Held und seine Gedanken schweiften kurz ab.
    „Aber ich bin doch ein Wassermagier!“ empörte sich Alejandro und bekam sogar wieder ein kleines bisschen Farbe.
    „Ist doch egal. Der Zauber ist nützlich, den solltest du können. Bis dahin nimm hier diese Schriftrollen. Geh sorgfältig damit um, ich hab nur noch diese sechs Stück.“
    Dem Helden kam gar nicht in den Sinn, dass Alejandro den Zauber vermutlich gar nicht an einem Innosschrein lernen konnte, reichte ihm die Stärkeschriftrollen und wandte sich dann an Parviz: „Kannst du Stärken?“
    „Ha! Ne, ganz bestimmt nicht. Ich bete doch nicht zu Innos! Ich habe mich auf Beliar Magie konzentriert, ich kann die Orks aber Schwächen“, lachte Parviz.
    „Dann stellst du dich auf die Steuerbordseite. So wie ich die Orks kenne werden sie versuchen uns einzukesseln“, sagte der Held.
    Alligator Jack und Henry sahen erst skeptisch zum Helden, weil der offenbar einfach so das Kommando übernahm und dann abwartend zu Greg.
    „Hört sich nach eener gooten Strategie an. Mokt dat! Alligator Jacks Trupp op de Steuerbordseite. Deiner op de Backbordseite!“
    Er zeigte auf den Helden.
    „Un Henrys Trupp teilt sich op. Henry, du un Enrico nach Backbord, die annern verstärken Alligator Jack. Samuel un de Stint kümmern sich um de Verletzten. Ik werd da kämpfen wo gerade am meisten Not am Mann is.“
    Dadurch, dass der Kapitän der Strategie des Helden zugestimmt hatte, war sie für alle bindend geworden. Der Held verteilte Heiltränke, so dass sich die Kämpfer zur Not auch erstmal selber heilen konnten. Obwohl er gedacht hatte noch Unmengen von Heiltränken in seinen Vorräten zu haben, blieb nicht mehr viel übrig, nachdem er an jeden fünf Heiltränke gegeben hatte. Parviz und Alejandro bekamen auch einige Manatränke, um ihre geistigen Kräfte erfrischen zu können.
    „So, nu aver an de Kanonen, de sin bestimmt bald rann!“ befahl Käpt’n Greg.
    Sie teilten sich wieder in die gleichen Gruppen auf wie bei der letzten Kaperfahrt, so dass jeder wusste was er zu tun hatte.
    Samuel gab den ersten Schuss ab, doch er ging viele Meter vor dem ersten Langschiff ins Wasser.
    „Einen Moment noch!“, sagte Samuel, während Bill die Kanone gleich wieder nachlud.
    Sie warteten einen kurzen Moment, dann gab der Kapitän erneut den Befehl zum Feuern. Diesmal erwischten sie das zweite Schiff, eins von denen auf denen sich ein Schamane befand. Sie hatten es nur an der Seite erwischt, trotzdem herrschte rege Betriebsamkeit an Bord. Die Orks trotzten der Gefahr und führten selbst in dieser schwierigen Situation Notreparaturen durch. Sie stellten sich ganz gut an. Diese Art von Angriff war ihnen wohl nicht fremd. Dennoch wurden die Kanonen der „Murietta“ ihnen zum Verhängnis. Sie hatten die Reichweite und Schlagkraft wohl unterschätzt. Merkassa hatte Wort gehalten. Diese Kanonen waren wirklich gut. Sie hatten eine hohe Reichweite und waren trotzdem noch vergleichsweise Zielsicher. Jetzt brauchten sie nur noch eine Crew, die auch gut mit ihnen umgehen konnte. Im Moment waren Samuel und der Held die besten Kanoniere. Das erste Schamanenschiff sank. Die anderen wurden langsamer.
    „Was machen die?“ fragte Henry skeptisch. „Wollen sie ihre Leute auffischen?“
    „Sie zögern. Sie haben wohl erkannt, dass wir uns nicht einfach so unterkriegen lassen“, erklärte der Held und beobachtete aufmerksam die Orkschiffe.
    „Vielleicht verziehen sie sich jetzt“, sagte Morgan hoffnungsvoll, doch der Held schüttelte den Kopf.
    „Unwahrscheinlich. Das wäre Feigheit und Orks verabscheuen Feigheit. Sie meinen, sie würden damit ihr Gesicht verlieren. Sie machen sich bestimmt gerade auf einen schweren Kampf gefasst. Umso härter der Kampf umso größer die Ehre. Siehst du, sie halten wieder mit voller Kraft auf uns zu.“
    „Oh Mann…“, kam es bedrückt von Miguel.
    Wieder donnerten die Kanonen los. Der Held landete mit einer Kettenkugel einen Volltreffer bei einem weiteren Schamanenschiff, das sank, doch die Orkschiffe waren bereits gefährlich nahe. Ihnen blieb nicht mehr genug Zeit, um noch mehr Schiffe zu versenken. Schon hatten sich die Orkschiffe aufgeteilt. Obwohl die Kanonen in ihrer Aufhängung bedingt beweglich waren, waren sie nicht dafür ausgelegt tief zu zielen. In einer Seeschlacht war es üblich gegen große Schiffe zu kämpfen die für gewöhnlich etliche Meter entfernt waren. Nun fegten die Kanonen schadlos über den niedrigen Langschiffen hinweg. Immerhin konnten sie bei einem noch den Mast zerschmettern, doch das hinderte es nicht daran sich noch weiter zu nähern. Schon machten die Orks an der Murietta fest und mit Enterhaken warfen sie zahlreiche metallische Strickleitern nach oben, um hinaufzuklettern. Ein weiteres Langschiff folgte. Die anderen beiden beschlossen um die Murietta herumzufahren, um von der anderen Seite anzugreifen.
    „Klar maken zum Angriff!“ befahl Greg, woraufhin die meisten Piraten sich schon zur Mitte des Schiffs zurückzogen, ihre Waffen zückten und ihre Stellung einnahmen.
    Die an der Bordwand zurückgebliebenen fernkampferprobte Piraten schossen nun mit ihren Bögen und Armbrüsten auf die Orks. Die Orks ließen sich aber so schnell nicht klein kriegen. Ihre Rüstungen hielten Bolzen und Pfeile ab und selbst wenn die Geschosse trafen und ins Fleisch eindrangen, die Orks konnte das in ihrem entschlossenen Vormarsch nicht bremsen.
    Der Held stand auch noch an der Reling und blickte zum Schamanen im vorderen Schiff, das direkt an der Murietta festgemacht hatte. Er hielt sich am Heck auf und startete einen Zauber. Um welchen es sich handelte erkannte der Held nicht, aber er wollte auch nicht warten um es herauszufinden. Lieber lud er einen Feuersturm auf und ließ ihn auf den Schamenen los. Im selben Moment, indem das Feuer den Schamanen traf, hatte der seinen Zauber aber gerade zu Ende gesprochen und ein magisches Nebelfeld begann sich über die beiden Orkschiffe auzubreiten. Die Piraten, die zuvor geschossen hatten, hielten nun verblüfft inne. Sie konnten die Orkkrieger in der dicken Nebelsuppe nicht mehr sehen. Sie kniffen die Augen zusammen und fokussierten dann eine lebende Fackel. Der helle Schein des Feuers durchdrang selbst den magischen Nebel. Nachdem was sie sehen konnten versuchte der Schamane die Flammen zu löschen, indem er sich auf dem nassen Deck des Langschiffes herumrollte, doch der Held und auch die anderen Piraten ließen nicht von ihm ab. Pfeile und Bolzen flogen ihm entgegen und schließlich ein weiterer Feuersturm. Das Licht im Nebel hörte auf sich zu bewegen. Der Schamane war bestimmt tot. Die Bestätigung gaben ihnen die Orkkrieger. Sie brüllten rasend vor Wut auf. Während der Held mit dem Schamanen beschäftigt gewesen war, waren die ersten über die wackligen Strickleitern nach oben geklettert. Sie hatten zwei Anläufe gebraucht, denn beim ersten Mal hatte Henry es geschafft die Enterhaken aus dem Holz der „Murietta“ zu lösen. Durchtrennen ließen sich die widerstandsfähigen Ketten der Leitern nicht so einfach. Beim zweiten Versuch waren die Orks aber zu schnell. Nun kletterten sie die linke Bordwand der „Murietta“ hinauf. Da der Held die Feuersturmrune sowieso gerade ausgewählt hatte, gab er den heraufkletternden Orks einen heißen Empfang. Einer stürzte brennend hinunter und nahm die drei ihm folgenden Orks mit. Sie starben nicht, stürzten aber zurück aufs Schiff, was ihren Angriff zurückwarf. Ihre außerordentliche Zähigkeit war erstaunlich. Einer der gefallenen Orks, richtete sich brüllend auf. Das Fleisch seiner linken Gesichtshälfte war durch den Angriff teilweise weggeschmolzen, doch trotzdem raffte er sich sofort zu einem neuen Angriff auf und erkletterte erneut die Bordwand. Der Held konnte nicht schon wieder einen Zauber anwenden. Er hatte die Zeit nutzen müssen, um mehrere Mana Elixiere hinunter zu kippen. Die Piraten wussten, dass sie keine Zeit mehr hatten. Mittlerweile hatten sich schon vier Enterhaken in die Backbordseite verhakt und auch von der Steuerrbordseite hörten sie die Bemühungen der Orks das Schiff zu entern. Nun war es für alle Piraten an der Zeit die zuvor besprochene Verteidigungsformation einzunehmen. Alejandro und Samuel in der Mitte, die anderen Piraten standen den Bordwänden zugewandt in Zweierreihen da, um den kommenden Angriff zu erwarten.
    „Der Tanz kann beginnen“, sagte der Held, zog sein Rapier und wiederholte damit die Worte des Gardisten von damals in der Barriere, als dieser das Gitter zu den Minecrawlern öffnete.
    Der erste Ork stürmte direkt auf ihn zu. Geübt wich der Held nach links weg. In einer fließenden Bewegung ging er in die Knie und schnitt tief ins ungeschützte Fleisch der Orkknöchel. Der Ork brüllte und fiel nach vorne weg direkt in Skips vorgestreckte Klinge. Das lief gut, doch wie der Held schnell sah, taten sich die anderen Piraten sehr viel schwerer. Manche wichen doch nach rechts aus, so dass sie mit anderen Ausweichenden ins Gehege kamen. Manche schafften es nicht die Orks zu Fall zu bringen. Die Orks dagegen waren offenbar überrascht eine funktionierende Verteidigungsformation vorzufinden. Vielleicht brach normalerweise die nackte Panik aus, wenn sie ein Schiff enternten. Panik vereinfachte das Kapern ungemein. Die Orks folgten der Strategie des brachialen Angriffs. Stürmen und alles kaputt schlagen. Ihre Angriffe waren verherend. Wer nicht sofort wegkam ging infolge einer fürchterlichen Wunde zu Boden. Die braunen Piratenrüstungen waren beweglich, aber eben nur aus Leder teilweise mit Eisen beschlagen. Die roten Piratenklamotten mussten gar ohne jeglichen zusätzlichen Schutz auskommen. Viel zu oft gingen Piraten zu Boden und mussten dann von Samuel und Alejandro unter Einsatz ihres Lebens nach hinten gezogen und mit Heiltränken versorgt werden. Der Held wich auch dem nächsten Ork aus, ohne sich auch nur einen Kratzer zu holen. Wieder duckte er sich weg und stach in eine enge Lücke zwischen den Rüstungen tief in den Körper des Orks, dann drehte er die Klinge herum. Der Ork brüllte, hielt sich krampfhaft den Leib und brach dann zusammen. Skip, der kurz Luft sah, half stattdessen seinem Kapitän dabei einen Ork weiter rechts niederzustrecken. Aus den Augenwinkeln sah der Held wie Parviz aus der zweiten Reihe einen Blitzschlag auf einen Ork abfeuerte und Alejandro einen Heilzauber auf Aligator Jack wirkte, der sonst ganz sicher an seinen üblen Wunden verreckt wäre, die ihm ein großer Orkheerführer beigebracht hatte. Er hatte sich schon dem nächsten Piraten zuwenden wollen und diesen kurzen Moment der Ablenkung nutzte Alligator Jack, um seinen Peiniger mit seiner Waffe zu durchbohren. Es war ein blutiger, äußerst brutaler Kampf. Überall brüllte und schrie jemand. Es war hektisch, laut, blutig und unübersichtlich, doch der Held war in seinem Element. Er kämpfte gnadenlos und unnachgiebig. Doch viele der anderen Piraten waren keine so guten Kämpfer, zudem erschwerten die Verletzten und Toten den Kampf auf Deck, weil sie sich als Stolperfallen erwiesen. Alejandro setzte eine Stärkungsspruchrolle beim Piratenkapitän ein, damit der nach einem anstrengenden Kampf mit einem eisern kämpfenden Orkkrieger wieder zu Atem kam. Schon stürmte die nächste Welle auf sie ein. Edgar kam mit seinem Holzbein diesmal nicht rechtzeitig weg. Der riesige Ork, der seine Kameraden um zwei Köpfe überragte, schlug mit seinem Krush Varrogh zu und traf ihn links am Kopf vorbei. Der wuchtige Schlag durchdrang mühelos seine Piratenklamotten, zerbrach erst das Schlüsselbein, dann mehrere Rippen und grub sich tief ins Fleisch ein. Edgar war sofort tot. Von der Schulter bis zum Bauchnabel gespalten kippte er leblos weg. Sein Blut bedeckte die Planken.
    „Scheiße!“, schrie Manuel panisch auf, als er sah wie sein Kamerad direkt neben ihm zerteilt wurde. Ein scharfer Geruch stieg auf und Pisse vermengte sich mit dem Blut. Panisch stürzte Manuel von der Leiche weg und war so ein leichtes Ziel für den großen Ork. Der brüllte und ließ seine schreckliche Waffe wieder herniederfahren. Es war ein fürchterliches Geräusch, als die Waffe erneut durch Knochen und Fleisch drang. Sie war mit so viel Wucht in Manuels Seite eingedrungen, dass sein Blut weit spritzte.
    „Manuel!“ schrie Miguel, lief einen Bogen und sprang dann mit einem wilden Angriffsschrei von hinten an dessen Schlächter.
    Vor Wut rasend hieb er immer wieder auf dessen Beine ein und als der Ork fiel, stach er sein Entermesser durch den brüllenden Mund bis weit ins Gehirn.
    Laut schnaufend stand Miguel so einen Moment da, blickte ins erlöschende Lebenslicht des Orks, zu lang, denn von hinten hatte sich bereits ein Orkelitekrieger genähert und sein langes gezacktes Kriegsschwert durchdrang Miguels Torso mühelos. Miguel riss die Augen auf, sein Atem stockte, Blut lief ihm in einem Schwall über den Mund, dann verdrehte er die Augen und kippte zur Seite auf seinen ausblutenden Bruder. Durch Edgars Langsamkeit hatte eine furchtbare Kettenreaktion stattgefunden. Als der Held der Orkelite erst die Fußsehnen, dann den Hals durchschnitt, erkannte er nüchtern, dass er die drei fehlenden Männer auf seiner Seite schnell ersetzen musste. Er warf einen Blitzschlag und streckte so einen Ork nieder, der sich gerade erst über die Reling schwingen wollte. Er stürzte zurück und nahm weitere Orks mit, die zurück nach unten fielen und sich so erst neu aufrappeln mussten. Der Held hoffte, dass diese Zeit ausreichen würde, um seinen Plan durchzuführen. Er ging in die dritte Reihe zurück und begann eine Dämonenbeschwörung der alten Magie. Wie gewohnt dauerte das, gemessen daran, dass in der Schlacht jede Sekunde entscheidend war, viel zu lange. Die „Murietta“ dröhnte und erzitterte unter der Macht der Beschwörung. Dann endlich stand der schwarze gehörnte Dämon vor ihnen, brüllte wild und hob entschlossen das Flammenschwert, um den nächsten verblüfft heranrauschenden Ork niederzustrecken. Hellrotes Blut spritzte auf, ein schwerer Körper fiel zu Boden. Mit einem weiteren Schlag köpfte der Dämon den nächsten Ork, dabei blieb sein Flammenschwert in der Reling stecken. Wütend knurrte er und zog mit einem Rück sein Schwert heraus. Splitter folgten und das Holz brannte einen Moment, bevor die kleinen Flämmchen im nassen Holz verglommen.
    Der Held stellte fest, dass die Piraten auf seiner Seite vom Kampf geschafft waren. Sie keuchten schwer. Lange würden sie nicht mehr standhalten können. Was sie jetzt brauchten war ein Befreiungsschlag. Statt wieder sein Rapier zur Hand zu nehmen, zog der Held nun Uriziel aus der Hosentasche. Er ging vor, verließ selbst die erste Reihe, wich einem brachialen Orkangriff nach rechts aus und brannte seinem Gegner Uriziel auf den Pelz. Der nächste Ork war schon da. Gerade noch so konnte er sich unter dem potentiell tödlichen Schwinger wegducken und schoss dann wieder nach oben, wobei er Uriziel durch die ungeschützten Weichteile bis weit in den Magen des Orks hineintrieb. Der grunzte schmerzgeplagt und kotzte ihn mit Blut voll, doch der Held ließ nicht ab, drehte das Schwert mit einem kräftigen Ruck und zog es dann heraus, wobei er einen Teil der Rüstung mit wegriss. Ohne nachzulassen stürmte der Held weiter zur Reling, wo der nächste Orkkrieger hinaufklettern wollte. Kaum hatte er seinen Kopf hochgestreckt wurde dieser schon mit Uriziel gespalten. Die Orkfinger lösten sich von der Leiter und er fiel hinunter ins Langschiff, wobei er zwei seiner Waffenbrüder unter sich begrub, die sich nun wüst schimpfend freistrampeln mussten. Der Held schätzte sorgfältig ab und stürzte sich dann tollkühn von Bord aufs feindliche Schiff, das voller Feinde und Orksklaven war. Uriziel voran landete er geradewegs auf einem besonders großen Orkelitekrieger. Durch die Wucht des Aufpralls wurde der magische Zweihänder tief in den muskulösen Körper des Orks versenkt. Verblüfft sah er den Helden einen Moment an, dann fiel er nach hinten weg. Der Held taumelte kurz, als er auf seinem besiegten Gegner nach vorne kippte, doch dank seiner Akrobatikfähigkeit konnte er sich abfangen. Als er das Schwert aus dem toten Leib seines Feindes riss, spritzte Blut nach allen Seiten und die Rüstung löste sich von innen heraus vom Körper ab. Die Orks, die zuerst völlig überrumpelt waren, brüllten nun gemeinsam wie ein vielköpfiges Ungetüm und wollten ihn zurechtstutzen. Hier war es aber noch enger, als auf der „Murietta“. Durch die Enge konnte der Held sie gegeneinander ausspielen. Er duckte sich unter einem Schlag eines kleineren Orkkriegers weg und drosch dann mit Uriziel los. Diesmal hatte er nur die harte Rüstung getroffen. Uriziel konnte diese zwar durchbrechen, doch die Klinge drang dann nicht mehr weit ins Fleisch vor, da die Rüstung den Schlag abgebremst hatte. Doch sie verhinderte nicht, dass die magischen Flammen Orkfleisch versengten. Der Ork taumelte zurück und das gab dem Helden Zeit erneut anzugreifen. Mit einem archaischen Schrei schlug er dem Orkkrieger beide Beine weg, so dass der fiel. Das Langschiff schaukelte leicht, doch der Held hielt sich wacker und schlug seinem Gegner den Schädel ein. Er drehte sich herum, um sich gleich dem nächsten Gegner zu stellen und gerade als er den orkischen Elitekrieger anblickte und den tödlichen Schlag ausführte, durchbohrte dessen mannslanges gezacktes Kriegsschwert seinen Bauch. Die Entertruppführerrüstung hatte dem kalten harten Stahl nichts entgegenzusetzen. Zeitgleich traf Uriziel in die rechte Seite des Orkhalses, blieb aber abrupt stecken, weil den Helden die Kraft verließ.
    „Stirb endlich Morra!“ brüllte der tödlich verletzte Orkelitekrieger und spuckte dabei mächtig viel Spucke und Blut auf den Helden.
    Tatsächlich war die Verletzung des Helden so schwer, dass er zusammenbrechen und sterben müsste, doch der Held wollte sich selbst vom Tod nichts sagen lassen.
    „Du zuerst“, sagte er knallhart und würgte dann selbst Blut.
    Kräftige Arme schoben sich in sein Blickfeld und stießen den geschwächten Ork ins Meer. Als dessen Schwert schmerzhaft aus dem Leib des Helden glitt kamen seine Gedärme hinterher.
    „Nicht das wieder“, würgte der Held mühsam hervor.
    Er wusste ein Heiltrank würde nichts bringen. Die Flüssigkeit würde einfach wieder aus ihm auslaufen. Seine letzte Rettung war jetzt ein mächtiger Heilzauber, doch würde er noch die Kraft aufbringen ihn zu wirken? Der Held mühte sich standhaft zu bleiben, doch er taumelte. In seinen Ohren rauschte es. Er hörte sein schwächer werdendes Herz mühsam schlagen und seine Sicht wurde unscharf. Er hob die zitternden Finger und mit Erleichterung fühlte er wie die heilende Kraft ihn durchströmte. Doch es gelang ihm nicht richtig. Der Heilzauber heilte nicht annähernd das was er sollte und er hatte das Gefühl, dass er viel mehr magische Kraft brauchte, als es eigentlich der Fall sein sollte. Doch der Zauber gab ihm die Möglichkeit für einen zweiten Versuch und dann endlich heilte seine totbringende Wunde vollständig ab. Der Held beugte sich nach vorne, spuckte den letzten Rest Blut aus, der ihm in den Rachen gedrungen war, wischte sich mit dem rechten Arm über den verschmierten Mund, schniefte Blut und Rotz hoch und sagte dann abgeklärt: „So, wo ist mein Schwert?“
    „Hier, es ist ins Schiff gefallen, bevor ich den Bastard über Bord geschmissen habe“, kam es sofort mit tiefer Bassstimme von links und der Held wandte den Blick.
    Vor ihm stand ein wahrer Hüne von einem Mann. Der Held hatte schon einige große Menschen gesehen, aber noch nie jemanden der derartig riesig war. Er war fast so groß und breit wie ein Ork, obwohl etwas abgemagert, zeigte sein starkes Kreuz, dass er einst ein wahrer Koloss gewesen sein musste. Der Held nahm Uriziel von diesem Orksklaven entgegen und sagte nur: „Gut.“
    Er sah sich um. Einige Orks lagen tot auf den Planken, zu mehreren standen erschöpfte Sklaven um sie herum. Ein toter Ork wurde gerade von mehreren Sklaven ins Meer geworfen.
    „Die haben richtig Panik gekrigt, als sie dein Schwert gesehen haben. So abgelenkt, konnten wir sie von hinten angreifen. Nicht sehr ehrenvoll, aber wir wollen frei sein und da ist uns jedes Mittel recht“, erklärte der Hüne.
    Diese Information ließ den Helden vermuten, dass Uriziel wohl nicht nur von den Orks von Khorinis gefürchtet wurde. Offenbar war es damals sehr bekannt gewesen, oder hatten diese Orks vielleicht irgendwas mit denen aus Khorinis zu tun? Der Held entschied irgendwann später darüber nachzudenken. Auf der „Murietta“ hörten sie Jubel. Offenbar war auch dort oben der Kampf gewonnen.
    „Los! Gehen wir hoch!“ sagte der Held und die Orksklaven folgten ihm auf die „Murietta“. Einige Sklaven erschreckten sich fürchterlich, weil der schwarze Dämon, den der Held beschworen hatte, in der Nähe stand, doch der achtete gar nicht groß auf die Menschen und sah lieber zur Steuerbordseite hinüber wo ein weiterer Dämon von ähnlicher Gestalt stand. Er war etwas kleiner und nicht komplett schwarz. Seine Flügel waren von einem dunklen samtigen Violett. Seine Hörner waren gedrehter und sein Gesicht wirkte animalischer als das vom schwarzen Dämon. Der Held vermutete, dass wohl Parviz diesen Dämonen beschworen hatte. Die Menschen warfen immer mal wieder beunruhigte Blicke zu den Dämonen doch da diese nichts weiter taten als herumzustehen und finster zu schauen, wandten sich die Leute wichtigeren Aufgaben zu.
    Das Deck der „Murietta“ sah furchtbar aus. Blutbesudelt, voller Leichen und Verletzten, gab es ein klägliches Bild ab.
    Der Held fragte bei Samuel nach dem Stand der Dinge. Wiedereinmal war es ihr Glück, dass sie Heiltränke und Magie zur Verfügung hatten, denn sonst wären ihnen nur einige wenige Mitglieder der Crew geblieben. So hatten sie nur drei Tote zu beklagen: Miguel, Manuel und Edgar. Der Held sah zu Greg, der den Blut spuckenden Henry zu Alejandro schleifte und den Jungen anwies ihn zu heilen. Alejandro flößte ihm einen Heiltrank ein, ein Teil davon kam mit dem nächsten Bluthusten wieder heraus, doch der Rest reichte, damit es ihm besser ging und er den nächsten Heiltrank problemlos trinken konnte.
    „Wie geht’s dir?“ fragte Samuel den Helden, der sich nun wieder dem Smutje zuwandte.
    „Ich hab Hunger. Das Essen von gestern liegt in meinen Eingeweiden auf dem orkischen Langschiff“, erklärte der Held trocken.
    Die verletzten Piraten um ihn her sahen ihn mit großen Augen an, doch der Held hielt sich nicht mit weiteren Erklärungen auf, sondern wirkte schwere Wunden heilen auf Alligator Jack, der bewusstlos vor ihm auf den blutigen Planken lag.
    „Essen gibt’s später. Du musst dich noch gedulden“, sagte Samuel und grinste, weil die abgeklärte Art des Helden ihn wohl belustigte.
    Wie sich herausstellte hatten die Piraten gegen Ende des Kampfes Hilfe von den Orksklaven erhalten und zwar nicht nur von dem einen Langschiff, das der Held tollkühn geentert hatte, sondern von allen Schiffen. Die Sklaven hatten die Chance zur Freiheit genutzt, aber keine Waffen gehabt und hatten so nur mit ihren Fäusten und den Ketten, die sie halten sollten, kämpfen können und daher hatten sie viel mehr Opfer zu beklagen als die Piraten. Offensichtlich bereuten sie ihre Entscheidung aber nicht. Immer wieder hörte der Held den einen oder anderen Sklaven die Worte sagen: „Frei, wir sind endlich frei.“
    „Aber was soll nun aus uns werden?“ fragte ein älterer Sklave mit schütterem Haar und wettergegerbten Gesicht.
    Erwartungsvoll sahen die Sklaven zu den Seeräubern. Sie warteten auf die Reaktion des Piratenkapitäns. Greg rückte seine mittlerweile etwas mitgenommenen roten Kapitänsklamotten und seinen schwarzen Kapitänshut zurecht und sah mit einem harten Blick zu den Sklaven. Er wollte ganz offensichtlich Stärke ausstrahlen, denn diese Sklaven sollten nicht glauben die „Murietta“ übernehmen zu können.
    „Wat aus euch warrt, liggt ganz bei euch. Ihr köönt de Langscheep nehmen un wegföhr‘n, oder ihr bleibt hier unner mien Kommando bi uns Piraten op de „Murietta“. Eure Entscheidung.“
    Leicht entschied sich keiner der Sklaven. Sie rotteten sich zusammen und redeten aufgeregt miteinander. Laut wogen sie das für und wieder ab. Greg behielt sie im Auge, gab sich nach außen hin aber gelassen.
    „Was sollen wir mit den Toten machen?“ fragte Enrico mit belegter Stimme.
    Er kniete neben Edgar, der ihm wohl ein guter Kamerad gewesen war und sah traurig auf seinen zerhackten Leib hinunter.
    Greg sah auf die Toten, die zwischen den Orkleichen lagen und überlegte.
    „In‘n See mit jem!“
    „Aber Käpt’n“, empörte sich Enrico. „Edgar wollte immer auf einer Insel begraben werden. Er hat Gold dafür beiseitegelegt.“
    „De nächste Insel is bi goot Wind veer Daagreisen weg. So lang köönt wi de Doden nich op dat Schipp laten. Dat haalt uns Krankheiden un wer weet wat sonst noch op dat Schipp. Nee, dat bruukt wi nich. Schaad üm ehr, aver dat geiht nich anners. In‘n See mit jem!“
    Enricos Gesicht verkrampfte sich. Diese Entscheidung war ihm ganz offensichtlich gar nicht recht, doch er wusste wohl nicht wie er argumentieren sollte.
    „As eerst warft de Orks ins Meer!“ befahl Käpt’n Greg.
    Die erschöpften Piraten stöhnten. Das war so ziemlich das letzte was sie jetzt tun wollten. Der Held konnte sich auch was Besseres vorstellen, als blutige Leichen ins Meer zu zerren und befahl daher seinem Dämon sich diesen Auftrag anzunehmen. Dem fiel diese Aufgabe nicht schwer. Ohne erkennbare Anstrenung schnappte er sich eine Orkleiche nach der anderen und warf sie ins tiefe Meer.
    „Praktisch wenn man jemand anderem diese unangenehme Aufgabe überlassen kann“, knurrte Alligator Jack, der zusammen mit Brandon einen toten Orkkrieger zum Rand des Schiffes schleifte.
    „Tja, der eine kann, der andere nicht, ich kann du nicht“, sagte der Held, grinste und sah den anderen bei der Arbeit zu.
    „Hat dein Dämon einen Namen?“ fragte Alejandro verängstigt, aber auch beeindruckt.
    Er sah blass und erschöpft aus. Die Schlacht hatte ihn ganz offensichtlich schwer mitgenommen, aber sein Interesse an der Magie war ungebrochen. Trotz dem Schrecken, den der schwarze Dämon ausstrahlte wirkte er offenbar eine ungeheure Faszination aus.
    „Keine Ahnung“, antwortete der Held knapp, der sich fragte warum immer alles und jedes einen Namen haben musste.
    Warum war das den Leuten nur so wichtig?
    „Bestimmt irgendwas dämonisches, das kein Mensch aussprechen kann“, vermutete Skip und keuchte wegen der schweren Arbeit.
    „Gib ihm doch einfach irgendeinen Namen, wenn dir so viel dran liegt“, sagte der Held zu Alejandro.
    „Na gut, dann nenne ich ihn Boris.“
    „Boris?“ fragte Garett verwundert.
    Auch die anderen Piraten schauten verwundert. Skip lachte.
    „Boris der Piratendämon. Oder heißt es Dämonenpirat?“
    „Quatsch, dann wäre er ja ein dämonisierter Pirat“, meinte Alligator Jack. „Er ist ein Piratendämon. Also ein Dämon, der sich wie ein Pirat verhält.“
    „Meinst du wirklich?“ fragte Skip zweifelnd.
    „Ja“, sagte Alligator Jack entschlossen und reckte das Kinn.
    Der schwarze furchteinflößende Dämon, der nun Boris hieß, ließ sich nicht anmerken was er von seinem Namen und den Gesprächen der Piraten hielt. Stoisch verrichtete er weiter seine Arbeit.
    „Boris, was für ein bescheuerter Name für einen Dämon“, giftete jedoch Parviz.
    „Wieso? Wie heißt denn dein Dämon?“ wollte Henry wissen und zeigte auf den schwarzlilanen kleineren Dämon, der statt Parviz Orkleichen übers Schiff schleppte.
    „Xcrdkrxzt“, erklärte Parviz und sprach den Namen scheinbar ohne jede Anstrengung aus.
    „Xcr… Was?“ fragte Morgan und hustete, weil der Name in seiner Kehle kratzte.
    „Meine Fresse, da hat wohl jemand vergessen ein paar Vokale an ihn zu verteilen“, sagte der Held, der noch keinen komplizierteren Namen gehört hatte.
    „Vok…was?“ fragte Morgan, der nun nur noch verwirrter aussah.
    Er gab seiner Orkleiche den letzten Stoß und sie fiel platschend ins Wasser.
    „Das sind Sprachlaute. Man braucht die, damit sich das Wort leicht sprechen lässt. Also solche Buchstaben wie A,E,I,O,U“, klärte Alejandro ihn auf und die erstaunten Piraten sahen ihn an.
    „Woher weißt du sowas?“ fragte Morgan verwundert.
    Alejandro wurde rot und zuckte dann mit den Schultern.
    „Ich kann lesen.“
    „Werd nicht frech!“, knurrte Morgan und hob drohend die Hand.
    Alejandro zog den Kopf ein, aber Morgan schlug ihn nicht. Seitdem der Held den Jungen zum Wassermagier ernannt hatte, wurde er von der Mannschaft besser behandelt.
    „So einen Dämon hab ich noch nicht gesehen. Beschwörst du den mit einem Magiekristall?“ wollte der Held wissen.
    Parviz sah den Helden prüfend an und sagte dann schließlich: „Genau. War nicht einfach da ran zu kommen. Der Vorbesitzer hatte dem Dämon diesen Namen gegeben.“
    „Und wie bist du an den Kristall gekommen?“
    „Na was glaubst du denn? Ich hab es so eingerichtet, dass der Vorbesitzer den Kristall nicht mehr braucht und dann wäre es ja verschwendet ihn da herumliegen zu lassen. War nicht einfach zu lernen wie ich mit dem Zauber umgehen muss. Hab dafür einige Jahre gebraucht, aber es hat sich gelohnt“, sagte Parviz und klang sehr stolz. "Und du? Dein Dämon sieht nicht so aus, als hättest du ihn mit einer Rune beschworen.“
    „Nein, das ist alte Magie. Hier sagen auch manche hohe Magie dazu“, sagte der Held knapp.
    „Hm…“
    Parviz Augenbrauen zogen sich zusammen. Er sah nachdenklich aus.
    „Die hohe Magie soll sehr schwer zu lernen sein.“
    „Für mich nicht“, kam es trocken zurück.
    Endlich war der letzte Ork vom Deck geschafft und die Piraten konnten sich ihren eigenen Toten zuwenden. Parviz und Enrico hielten eine kleine Rede für ihren toten Kameraden Edgar, der sie wohl viele Jahre begleitet hatte. Der Held sah auf die übel zugerichteten Leichen von Miguel und Manuel hinunter. Er als ihr Entertruppführer sollte vielleicht ein paar letzte Worte sprechen. Doch welche? Sollte er darüber reden, dass sie ständig gesoffen hatten? Dass sie kaum zu etwas nütze waren? Oder dass sie zumindest als Brüder zusammengehalten hatten?
    Er spürte eine raue Hand auf der Schulter und sah hoch.
    „Nu sin se doot. Mach dir nix draus, min Jung, waren rechte Duseldassel“, kamen diese tröstenden Worte von Greg. „Möge Adanos se in ehr neess Seemannsgraff geleiden.“
    Das waren nun die letzten Worte des Piratenkapitäns an zwei aus seiner Crew.
    Die toten Piraten hatten kaum eine bessere Behandlung zu erwarten als die toten Orks. Sie wurden höchstens etwas respektvoller ins kalte tiefe Meer geworfen. Während die Piraten sich auf ihre Weise um die Toten gekümmert hatten, waren die ehemaligen Sklaven damit beschäftigt gewesen ihre Abreise vorzubereiten. Sie hatten ihre Toten in das Langschiff mit dem zerbrochenen Mast gelegt, es angezündet und alle Leinen zur „Murietta“ gekappt. Auch sie sagten letzte Worte, doch war deutlich mehr Wärme in ihnen. Sie sahen dem Schiff noch lange nach, dann wandten sie sich zu den Seeräubern um. Sie baten die Piraten sie von ihren Fesseln zu befreien. Bill und der Held schlossen die Sklavenringe mithilfe von Dietrichen auf. Jeder Sklave bedankte sich und beim Helden ließen sie es sich nicht nehmen „Danke Befreier“ zu sagen. Der Held mochte das nicht und er hoffte, dass das nur so eine Phase war und die möglichen neuen Crewmitglieder das jetzt nicht die ganze Zeit zu ihm sagten. Als der Held bei einem ehemaligen Sklaven Magie anwenden musste, weil sich das Schloss zu sehr zugesetzt hatte, ging großes Oh und Ah durch die Menge.
    Die Zeit war gekommen. Die ehemaligen Sklaven sollten sich nun entscheiden, ob sie Teil von Gregs Crew werden wollten, oder sich lieber wieder in die drei verbliebenen Orklangschiffe setzen wollten, um zu sehen wohin das Schicksal sie verschlug. Vielleicht lag die Zurückhaltung der ehemaligen Sklaven an dem Umstand, dass Greg Kapitän eines Piratenschiffes war, oder, weil sie gesehen hatten wie unrühmlich die im Kampf getöteten Piraten mit ein paar knappen Worten über Bord ins kalte Seemannsgrab geworfen wurden, jedenfalls entschied sich die überwiegende Mehrheit dafür die „Murietta“ rasch wieder zu verlassen. Das war keine einfache Entscheidung und die Piraten konnten sehen, dass es Manchem sichtlich schwer fiel sich festzulegen. Manchmal lag es an in der Sklaverei geschmiedeten Freundschaften, die Langschiffe wieder zu besteigen, oder doch Pirat zu werden, weil die Freunde sich dafür entschieden hatten. So oder so war leicht zu erkennen, dass viele der ehemaligen Orksklaven ein unsichtbares Band zusammenhielt. Greg ließ diejenigen, die sie verlassen wollten, ohne weiteres ziehen. Seiner Meinung war es wohl ganz und gar ihre Entscheidung und der wollte er nicht im Wege stehen. Doch ihnen gegenüber begrenzte sich seine Hilfe damit, dass er ihnen auf der Seekarte zeigte, wo sich die nächste von Menschen bevölkerte Insel befand. Proviant erhielten sie keinen, nur ein paar Tonkrüge mit Trinkwasser. Die Männer fanden sich damit ab. Vergleichsweise emotional verabschiedeten sie sich von ihren Kameraden, die sich dafür entschieden hatten bei den Piraten zu bleiben, wünschten ihnen eine gute Reise und ein langes Leben. Dann teilten sie sich in drei Gruppen auf, bestiegen wieder die Langschiffe und fuhren davon, dieses Mal jedoch als freie Männer. Ihre zurückgebliebenen Kameraden sahen ihnen nach, doch noch bevor sie außer Sicht waren, erhob der Piratenkapitän die Stimme und rief: „So. All de sich davör entschieden hebbn hier zu bleiben kriegen nu ihrn ersten Opdrag. Deckschrubbn! Dat soll nich so blodderig bleiben, wie et is“, sagte Greg laut und für seine Verhältnisse sehr deutlich.
    Die frisch rekrutierten Piraten warfen sich unsichere Blicke zu. Hatten sie sich falsch entschieden? Hätten sie lieber mit ihren ehemaligen Kameraden wegrudern sollen? Brandon entspannte das Klima, indem er sich mit einem Wassereimer zu ihnen gesellte und an die Arbeit ging und so zeigte, dass er einer von ihnen war. Er stimmte ein fröhliches Seemannslied an, in dem es um Kameradschaft und die Freiheit auf See ging. Die ehemaligen Sklaven, die es kannten, sangen mit, die anderen beruhigte es immerhin etwas. Auch die erfahreneren Piraten, die damit beschäftigt waren den Kurs wieder zu verfolgen und die kleineren Kampfschäden zu reparieren sangen mit. Nach diesem Lied kamen noch viele weitere. Durch ihren überraschenden Sieg sowieso schon euphorisch, waren die Piraten nun so fröhlich, dass es schon fast wie ein Fest anmutete, das über die harte Arbeit etwas hinwegtäuschte. Passend dazu kredenzte ihnen Samuel um Mitternacht ein wahres Festmahl. Geräuchertes und gepökeltes Ripperfleisch, Grill- und Räucherfisch, Fischsuppe, Steckrübensuppe und Labskaus. Auch wenn die Orks ihre Sklaven nicht gerade hatten hungern lassen, so hatten sie nie so viel essen dürfen wie sie wollten. Jetzt langten sie alle ordentlich zu, auch beim Alkohol. Rum, Grog, Bier und Flotter Frank wurde herumgereicht. Nach diesem anstrengenden und ereignisreichen Tag waren alle froh sich schlafen legen zu können. Samuel und Alejandro hatten von Greg den Auftrag bekommen Hängematten aus dem Lagerraum zu holen und im Mannschaftsquartier aufzuhängen. Dadurch, dass die „Murietta“ vor den Piraten schon einmal eine große Mannschaft beherbergte, herrschte an Hängematten kein Mangel. Wohl aber an Kleidung. Die ehemaligen Sklaven wollten auch die typischen roten Piratenklamotten von Gregs Mannschaft und einige ehrgeizige frischgebackene Crewmitglieder strebten nach der braunen flexiblen Piratenrüstung der Entertruppführer. Im Moment hatten sie aber keine mehr da. Nicht einmal Parviz, Enrico und der verstorbene Edgar hatten welche bekommen, auch wenn die sich nicht drum gerissen hatten. Kapitän Greg sagte, dass sie auf der Pirateninsel Stoffe, Schuhe und Hemden kaufen würden und das beruhigte die neuen Besatzungsmitglieder. Man konnte Greg vorwerfen, dass er hart zu seiner Mannschaft war und ständig mit ihnen schimpfte, aber er kümmerte sich auch darum, dass sie genug zu Essen hatten und gut ausgerüstet waren.

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Lebensgeschichten

    Die meisten aus der Crew schliefen in dieser Nacht. Greg hatte eingesehen, dass es nichts brachte seine völlig erschöpfte Mannschaft zum Dienst zu drängen. Nur er und seine Entertruppführer waren noch wach und hielten die Murietta auf Kurs. Zum Glück war die See ruhig und die Fahrt war daher unkompliziert. Am nächsten Morgen setzte leichter Nieselregen ein, der sie langsam aber sicher durchnässte. Noch müde stieg die Crew hinauf aufs Deck, wo die altgedienten Seeräuber sich gleich an die Arbeit machten, während die Entertruppführer kurz stehen blieben und zu ihnen sahen. Offenbar hielten die neuen Crewmitglieder die Zeit für gekommen sich kurz vorzustellen. Der Hühne mit dem breiten Kreuz, den blonden Haaren und dem rauen Bart ergriff das Wort und zeigte erst auf sich und dann auf seine Kameraden.
    „Ich heiße Ragnar und das sind Kai, Till, Tim, Christian, Michael, Frank, Tobias, Rolf, Maurice, Jürgen, Heiko, Rüdiger, Nikolaos, Mirko, Eugen, Fertigern, Allarich, Kasimir, Artem, Carlos, Jurij, Niels, Francisco, Cosmin, Clemens, Alois, Udo, Fabrice, Ramon, Robin, Fabio, Bernhard, Holger, Gwenael, Etienne und den da nennen wir Kettenklaus, weil der Typ geschickt mit seinen Ketten an den Händen umgehen kann.“
    „Hab einen der Orks so erledigt“, sagte Kettenklaus stolz, während Ragnar der Reihe nach auf die ehemaligen Sklaven zeigte, die nun befreit waren.
    Die Piraten staunten. Natürlich hatten sie sich nicht alle der Namen auf Anhieb merken können. Auf einen Schlag hatte sich die Anzahl der Männer auf der Murietta mehr als verdreifacht. Wenn die Sklaven es darauf anlegen würden, könnten sie vielleicht eine Meuterei starten, doch zum einen war niemand so dumm es zu wagen, denn sie hatten gesehen wie der Held kämpft und zum anderen waren die Sklaven so dankbar für ihre Befreiung, dass ihnen gar nicht der Sinn nach einem Umsturz stand.
    „Hast dich gut gegen die Orks geschlagen“, lobte der Held.
    „Klar, bin doch nicht auf der Wurstsuppe hergeschwommen. Bevor sie mich gefangen nahmen, war ich ein großer Krieger der Eiswüstenlande und habe schon gegen viele Orks gekämpft.“
    „Ist wohl zumindest einmal nicht gut ausgegangen“, sagte der Held trocken.
    „Hör bloß auf, die hatten uns von allen Seiten eingekesselt. Die meisten meiner Männer haben sie getötet, aber weil sie gesehen haben wie ich kämpfe, ließen sie mich am Leben“, sagte der bärtige stolze Krieger. „Fünf Jahre war ich ihr Sklave und endlich bin ich befreit. Dank dir. Wie heißt du denn?“
    „Hab keinen Namen“, sagte der Held zähneknirschend.
    „Dann werde ich dich Befreier nennen“, sagte Ragnar und strahlte übers ganze Gesicht.
    Auch die anderen ehemaligen Sklaven nickten begeistert. Der Held seufzte. Schon wieder dieser Titel. Offenbar klebte der an ihm. Der Blick der siebenunddreißig neuen Crewmitglieder glitt am Helden vom Schopf bis zur Sohle.
    „Hast du etwa die ganze Nacht durchgearbeitet?“ fragte Ragnar perplex.
    „Deine Klamotten sehen ja noch genauso aus wie gestern“, sagte der schmächtige eher kleine Typ, den Ragnar als Kai vorgestellt hatte.
    Der Held sah an sich herunter, so als wäre ihm noch gar nicht aufgefallen wie er herumlief. Seine Entertruppführerrüstung wies im Bauch ein großes Loch auf, so dass seine nakte Haut zu sehen war. Der leichte Nieselregen hatte das Blut nicht von seiner Rüstung und aus seinen Haaren waschen können, vielmehr hatte er alles in einen ekligen Schmodder verwandelt.
    „Was ist daran verkehrt?“
    „Vielleicht wäre ein Bad nicht schlecht“, sagte Kai und amüsierte sich.
    „Hm…“, machte der Held und überlegte. „Kann nicht schaden.“
    „Und Kai kann deine Rüstung flicken. Er hat ein Händchen für Nadel und Faden und kann auch leichte Lederrüstungen herstellen“, sagte der große Ragnar und wies auf seinen etwa fünfzigjährigen Kameraden neben sich.
    „Gut“, sagte der Held knapp und ging den Beiden nach, während die anderen neuen Crewmitglieder von den erfahrenen Piraten zur Arbeit eingeteilt wurden.
    „Was wird das?“ wollte Samuel verstimmt wissen, als sie in die Messe kamen und der große Kerl eine Zinkwanne neben dem Gemeinschaftstisch auf den Boden stellte.
    „Ein Bad, oder soll er etwa so bleiben?“ fragte der große Mann ruppig, wies auf den Helden und verschwand mit vier leeren Eimern, um Wasser aus dem Meer zu holen.
    Samuel sah mit schiefem Blick zum Helden.
    „Ne, besser nich. Sonst verbreiten sich hier noch Krankheiten. Siehst nicht nur aus wie ein vergammelnder Zombie, du stinkst auch so“, knurrte Samuel, rümpfte die Nase und ging dann wieder in seine Kombüse zurück, um das Mittagessen vorzubereiten.
    Der Held sah skeptisch auf die Zinkwanne. Er erinnerte sich dunkel als Kind mal in so etwas gebadet zu haben. Das war schon echt lange her. Linkisch stellte er sich so wie er war, bewaffnet und angezogen hinein und als der große Kerl mit den vier Eimern voller Meerwasser ankam, nahm er einen und kippte ihn sich umstandslos über den Kopf.
    Kai tauschte mit seinem Kumpel einen verwunderten Blick und fragte dann belustigt: „Willst du die Rüstung nicht ablegen?“
    „Wozu?“ fragte der Held.
    „Damit … du sauber wirst?“ kam es verblüfft zurück. „Außerdem kann ich dann deine Rüstung ausbessern.
    „Verstehe“, sagte der Held, legte die Entertruppführerrüstung ab und überreichte sie Kai.
    Er musste zugeben, als er sich nun den nächsten Schwung Wassser über den Kopf schüttete funktionierte es beser.
    „Und hier ist die Seife“, sagte Kai und reichte dem Helden ein hartes Stück gelber Kernseife.
    „Das kenne ich schon“, sagte der Held, der sich erinnerte irgendwann schon mal Seife gesehen zu haben.
    Er versuchte sich zu erinnern was damit zu tun war. Schlussendlich rieb er die Seife hier und da über seine Haut, legte sie dann zur Seite und schüttete sich den letzten Schwung Wasser über den Kopf. Dann schüttelte er sich und stieg immer noch pitschnass aus der nun furchtbar versüfften Zinkwanne.
    „Ich hoffe darin wird heute Abend keine Suppe gekocht“, scherzte Skip, der in die Messe gekommen war und einen schnellen Blick auf das schmodderigen Wasser in der Zinkwanne geworfen hatte. „Du sollst zum Käpt’n kommen. Er will mit dir reden.“
    „In Ordnung“, sagte der Held und zog unter ungläubigen Blicken seine Abenteurerrüstung aus der Hosentasche, die er damals bei der Anlandung in Myrtana getragen hatte.
    Völlig ungeschützt wollte er nicht herumlaufen. Die zwei neuen Kameraden, die ihm verwundert nachsahen, ließ er einfach stehen.
    Die anderen Entertruppführer und Parvis waren bereits bei Greg zusammengekommen, der am Steuerrad stand. Alle sahen sich zum Helden um, als er die Treppe heraufkam und Alligator Jack fragte verwundert: „Was ist denn mit dir passiert?“
    „Hab gebadet“, nannte es der Held. „Und einer der neuen, Kai, flickt meine Entertruppführerrüstung. Er hat da wohl Ahnung von.“
    „Gut zu wissen. Wenn wir neue Rüstungen herstellen wollen, können wir so jemanden gut gebrauchen“, sagte Alligator Jack.
    „Aber erstmal brauchen wir die Materialien dafür“, setzte Henry hinzu.
    „Kriegt we allens op de Pirateninsel“, sagte Greg. „Dat wird nich billig. Nee Kleedage, oder tomindst Ledder un Stoffen un Foder, jede Menge Foder un Alkohol. Döör de veel wiederen Mäuler wer’n unsre Vörräte bald opgebrukt sin. Wenn da so wieder geiht as bither, freten se uns noch e Hoor vun’n Kopp. Besünners de beden groten, de bruukt so veel to freten as twee Trolle. Aver ik heff jo hier nich tohoopropen, so dat wie över uns Vörräte snacken. Dat geiht dar üm, dat de Neven so gau as mööglich in Entertrupps deelt wurrn, so dat se gliek Anleiden kriegen, as dat hier op dat Schipp löppt. Se schullen op keen dumm Ideen kamen, wer Arger maakt kriegt ops Maul. Wi hebbt so veel nee’e Mannslüüd kriegen, dat dat toveel för dree Entertrupps is. Parviz hett sück in de letzt Schlacht bewährt un sück so en tweet Chance verdeent. He schall en veerte Entertrupp anföhren.“
    Parviz grinste breit und reckte das Kinn. Er war sichtlich stolz darauf nun ebenfalls zum Entertruppführer ernannt wurden zu sein.
    „Dat gifft außerdem en nee Schichtsystem mit so veel as mööglich Översneidungen, so dat wi af sofort genug lüüd för de Arbeit hebben. Natürlich gilt wie ümmer, is wat los, denn mööt all mit rann. De Dag beginnt mit dien Trupp“, sagte Greg und zeigte auf den Helden. „Eure Schicht duurt vun Morgens bet Avends, to’n Middag kummt denn Parviz Trupp darzu und arbeidt bet to dat Middernachtseten, Avends fangt denn Alligator Jack sien Trupp an un arbeidt bet to de nächsten Morgen, Henry sien Trupp arbeidt vun Middernacht bet Middageten.“
    Der Held hatte die anderen Entertruppführer genau beobachtet während der Kapitän redete und so wie sie sich verhielten, vermutete er, dass Greg diese Einteilung nicht ohne Hintergedanken getroffen hatte. So wie er es beobachtet hatte, verstanden sich Henry und Parviz aus irgendeinem Grund überhaupt nicht und daher war es wohl das Beste ihre Schichten so gut wie möglich voneinander zu trennen. Den Grund dafür kannte der Held noch nicht. Er nahm sich vor, es in Erfahrung zu bringen. Besser er wusste worum es ging, um nicht unversehens zwischen die Fronten zu geraten.
    „Mit dieser neuen Regelung bekommen wir aber auch nicht mehr Schlaf“, maulte Alligator Jack.
    Der Held verstand warum gerade er sich beschwerte. Besonders tagsüber gingen sie auf Kaperfahrt oder liefen eine Insel an, so dass sie dann trotzdem arbeiten mussten, obwohl ihre Schicht eigentlich vorbei war.
    „Jammer nich!“ schimpfte Kapt’n Greg. „Durch uns gröttere Crew schall in Tokunft mehr Tied för uns to slapen wesen.“
    „Ist auch bitter nötig, länger hätten wir das auch nicht durchgehalten“, knurrte Alligator Jack, der wirklich furchtbar müde aussah.
    „Maak euch mit de nee‘e Mannschap vertraut. Redet mit denen. Findet heraus wat för Typen dat sünd. Wer kummt mit wem goot aus un wer is een Problemfall. Ik will op mien Schipp keen Arger, verstahn? Kriegt eure nee‘e Lüüd ünner Kontrolle. Wen ji in euren Trupp nehmt, is eure Sache un nu geiht trügg to de Arbeit!“ befahl Greg.

    Da sie noch nicht in ihre Entertrupps und somit in ihre Schichten eingeteilt waren, arbeiteten zunächst alle Neuzugänge tagsüber mit. Sie stellten sich dabei sehr unterschiedlich an. Einige verstanden offensichtlich was von der Seefahrt und brauchten keine weitere Anleitung, die anderen sahen ihnen zu und versuchten sie zu imitieren. Sie gaben sich immerhin Mühe. Durch die harte Arbeit auf den Sklavenschiffen waren sie kräftig und gewohnt sich zu fügen. Manch einer warf einen finsteren Blick zu den altgedienten Piraten, wenn die sie mit derber Sprache zu einer bestimmten Arbeit aufforderten, doch sie murrten nicht und taten was verlangt war. Am frühen Mittag kam Kai zum Helden und übergab ihm die geflickte Entertruppführerrüstung. Die Arbeit war ordentlich geworden. Der Flicken war fest vernäht und passte sogar farblich einigermaßen zum Rest. Der Held war zufrieden und bedankte sich einsilbig. Ohne sich große Umstände zu machen, wechselte der Held wieder seine Rüstung.
    Das Mittagessen fiel heute deutlich simpler aus. Es gab Eintopf. Fast die gesamte Crew war anwesend, so dass sie alle Tische in der Messe brauchten, um genügend Platz für alle zu haben, nur Greg, Enrico, Brandon und Bones hielten das Schiff auf Kurs. Die Entertruppführer wollten mit den neuen Crewmitgliedern ins Gespräch kommen, um herauszufinden mit wem sie es zu tun hatten und eine Einteilung vornehmen zu können. Zunächst herrschte gefräßiges Schweigen, dann erhob Ragnar, der größte der ehemaligen Sklaven von sich aus die tiefe Stimme. Vielleicht war er eine Art Fürsprecher für die anderen, oder er hatte es möglicherweise einfach im Blut ein Anführer zu sein.
    „Die Männer und ich, wir haben uns natürlich schon gefragt wo wir hier gelandet sind. Aus euren Gesprächen haben wir erfahren, dass wir als nächstes eine berüchtigte Pirateninsel anlaufen.“
    „Aye!“, stimmte Skip zu. „Wir brauchen Vorräte und ihr wollt bestimmt nicht länger in diesen Fetzen herumlaufen.“
    Viele nickten. Sie warfen immer wieder Blicke zwischen Ragnar und der alten Crew hin und her. Kai, der die Rüstung des Helden geflickt hatte, lehnte sich zu Ragnar und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
    „Viele hier wollen wissen was uns erwartet. Dazu wäre es gut zu erfahren was ihr schon erlebt habt.“
    „Wie? Willst du jetzt unsere ganze Lebensgeschichte hör’n, oder was?“ fragte Francis höhnisch und lachte derbe.
    „Nein, das nicht“, sagte Ragnar ernst und seine tiefe Stimme strahlte Respekt aus.
    Francis hörte rasch wieder auf zu lachen.
    „Es reicht, wenn wir wissen auf was für Altlasten wir stoßen könnten.“
    Alligator Jack nickte. Offenbar gefiel ihm die Art dieses riesen Kerls. Den Rücken absichern, aber entschlossen in die Zukunft blicken.
    „Tja, wo fangen wir an?“ fragte Henry und strich sich über den Bart.
    „Als die Paladinfestung in die Luft geflogen ist!“, sagte Owen begeistert.
    „Nein, mit den Bauplänen, die wir für Merkassa stehlen sollten“, schlug Bill aufgeweckt vor.
    „Wir sollten mit unserem eigentlichen Ziel anfangen“, schlug Alligator Jack vor.
    „Unser eigentliches Ziel?“ fragte Garett, der das offenbar schon ganz vergessen hatte.
    „Na, die Esmeralda“, fuhr ihn Henry unghalten an, weil er es wohl nicht fassen konnte, dass Garett das vergessen hatte. „Um die geht’s doch. Wir suchen die Esmeralda und das Gold, das sie geladen hat.“
    „Wenn es das überhaupt noch gibt“, murrte Owen.
    „Was denn für Gold?“, wollte nun Kai wissen.
    „Da musst du ihn fragen“, sagte Garett und zeigte mit dem Finger auf den Helden.
    Der seufzte und sah sich genötigt zu erklären: „Ich hatte mir die Esmeralda mit meiner alten Crew geschnappt und wir sind nach Irdorath gefahren …“
    „Nie gehört“, redete Kai dazwischen.
    „Das ist eine Insel in der Nähe von Khorinis“, unterbrach auch Skip den Helden, der langsam genervt aussah.
    Einige Gesichter erhellten sich, andere schauten weiterhin ahnungslos.
    „Khorinis gehört doch zu Myrtana, oder?“ fragte Ragnar mit seiner tiefen Stimme.
    „Genau“, sagte der Held und wollte fortfahren.
    „Ich dachte, Myrtana wäre im Krieg mit den Orks“, kam es von einem älteren verwahrlosten Kerl, den Ragnar als Michael vorgestellt hatte.
    „Später“, knurrte der Held. „Eins nach dem anderen. Also, wir fuhren nach Irdorath und sackten das viele Gold ein, dass da herumlag, dann fuhren wir nach Myrtana und kämpften gegen die Orks, doch das Schiff wurde von Piraten geklaut. Jetzt suchen wir es.“
    Der Held hatte die Geschehnisse wieder einmal sehr stark zusammengefasst, weil er keine Lust hatte hier seine halbe Lebensgeschichte auszubreiten.
    „Also ist der Krieg vorbei?“ fragte Ragnar und eine seiner buschigen blonden Augenbrauen hob sich.
    Der Held sah sich genötigt, doch mehr dazu sagen zu müssen.
    „Ja, die Orks sind geschlagen. Es gab eine Rebellion. Lee ist jetzt Herrscher über Myrtana.“
    „Lee? Der Lee, der die Schlacht in Varant gegen Lukkor gewann?“ fragte Ragnar interessiert.
    „Du bist ja gut informiert“, meinte der Held.
    „Es war das letzte was ich von Myrtana gehört habe, bevor der Orkrieg kam.“
    Es war einen Moment still.
    „Kennst du Lee genauer?“ wollte Ragnar wissen.
    „Hab mal eine Zeit lang für ihn als Söldner gearbeitet“, wiegelte der Held ab. „Hm…“
    Der Held dachte nach.
    „Ich war auch ein paar Tage ein Wassermagier in der Barriere, wo er Anführer der Söldner war und für die Wassermagier gearbeitet hat. So gesehen hat er dann auch ein paar Tage für mich gearbeitet.“
    Einige lachten. Viele der neuen Crewmitglieder konnten mit dem Gesagten aber nicht viel anfangen.
    Der Held hatte damit offensichtlich noch mehr Fragen aufgeworfen, doch er ließ ihnen keine Zeit sie zu stellen: „Mit Kapitän Greg habe ich eine Abmachung getroffen. Wir suchen die Esmeralda, erobern das Gold und teilen es auf. Ich muss immerhin auch noch meiner alten Mannschaft in Myrtana ihren Anteil geben.“
    Morgan verdrehte die Augen und fuhr dem Helden dann in die Parade.
    „Du kannst kämpfen, aber vom Erzählen hast du keine Ahnung. Lass mich mal machen“, sagte Morgan und bevor der Held noch etwas dazu sagen konnte, fing er schon an, die Geschichte auf seine Weise zu erzählen. „Wir fuhren gerade an der Myrtanischen Küste entlang. Der Käpt’n hatte gesehen, dass in Myrtana nicht viel zu holen war. Nur halb verhungerte Galgenvögel an Land. Wenn die schon nichts zu fressen haben, dann brauchten wir da nicht hin. Wir hatten gerade erst Kurs auf die offene See genommen, da kletterte dieser Typ hier einfach an Deck. Einfach so! Stellt euch das mal vor!“
    „Haha, ja wir haben echt blöde geguckt“, sagte Owen und grinste.
    Morgan hieb vor Wut mit der Faust auf den Tisch.
    „Ich erzähle die Geschichte!“ blaffte er und besprühte den Tisch vor sich mit mächtig viel Spucke.
    Owen verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. Henry verdrehte genervt die Augen und Alligator Jack winkte ab. Offenbar wollten sie Morgan einfach machen lassen. Dem Helden war es nur recht, wenn Morgan das Erzählen übernahm, ihm lag das nicht. Doch Morgan hatte ganz offensichtlich einen Faible dafür. Begeistert erzählte er von ihren Abenteuern und obwohl er die Geschichte in schillernden Farben erzählte, so übertrieb er nicht so arg wie der Held vermutet hatte. Vielleicht weil ihre Erlebnisse so abenteuerlich und außergewöhnlich waren, dass sie viel zu sehr nach Seemannsgarn geklungen hätten, würde er den Bogen noch weiter überspannen. Die neuen Piraten hörten gespannt zu und Morgan sorgte schon dafür, dass sie an den richtigen Stellen Münder und Augen aufrissen. Es gab ein kurzes Gerangel, als Bill unbedingt erzählen wollte wie er die Pläne für die Kanonen in Stahlstern geklaut hatte, doch weil Morgan sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen wollte, bekamen sie nur mit, dass er sie mithilfe seiner Diebestalente und eines gekonnten Ablenkungsmanövers ergattert hatte.
    „Du kannst dich ein andermal wichtig machen. Ich rede jetzt!“ schnauzte Morgan und verpasste Bill einen Schwinger, der den jüngeren Mann mit dem Kopf auf den Tisch knallen ließ.
    Bill richtete sich stöhnend auf und rieb sich den schmerzenden Schädel, dabei warf er Morgan einen durchdringenden finsteren Blick zu, wagte aber nicht mehr ihn zu unterbrechen.
    „Mach mal halblang Morgan“, knurrte Alligator Jack mahnend.
    Morgan kniff abschätzend die Augen zusammen. Auch wenn er dies als seine Stunde sah, so wollte er es vermeiden mit seinem Entertruppführer aneinanderzugeraten.
    „Hm… wo war ich stehen geblieben?“ fragte Morgan nun leiser.
    „Diese Baupläne für die Kanonen, die hattet ihr in die Finger gekriegt“, erinnerte ihn Ragnar.
    „Richtig. Wir haben gemacht, dass wir aus Stahlstern wegkamen, aber Miguell, das versoffene Schwein, hatte es natürlich wieder mal vergeigt und sein Entertruppführer musste los, um ihn zu holen, weil sein Bruder echt Schiss hatte, wir würden den zurücklassen und deswegen einen riesen Aufstand gemacht hat. Was hat der gedacht wo er mitfährt, auf ner Vergnügungsfahrt?“ höhnte Morgan.
    Er erntete einige Lacher.
    „Jedenfalls waren wir schon aus dem Hafen raus, als plötzlich die Festung explodierte. WUMM! Und Feuer regnete vom Himmel!“
    Morgan machte eine ausholende Bewegung mit beiden Armen und ließ seine Hände dann auf den Holztisch vor sich knallen.
    Seine Zuhörer rissen erstaunt Augen und Münder auf.
    „Was war passiert?“ fragte Kai atemlos.
    „Die Stadtwache hatte unseren besten Mann festgenommen“, sagte Morgan. „Und dann … ja … war irgendwas mit Magie, oder?“
    Morgan sprach jetzt leiser und sah dann fragend zum Helden.
    „Genau. Ein Feuerregen. Das Schießpulver auf der Festung hatte sich entzündet und ist hochgegangen“, erklärte der Held sachlich.
    „Siehst du. Erzählen kannst du nicht“, sagte Morgan grinsend. „Du musst das so machen: Es war ein abenteuerlicher Kampf um Leben und Tod, die Saftsäcke wollten dich festnehmen, aber du hast ihnen eins ausgewischt und mitten in ihrer Festung einen Feuerregen beschworen. Das ganze Ding ist hochgegangen und du hast dich vom Acker gemacht.“
    „Hab ich doch gesagt“, kam es nur vom Helden.
    Morgan verdrehte die Augen.
    „Es kommt drauf an, wie man es sagt, verdammt!“
    „Hab ich das richtig verstanden?“ fragte Ragnar leicht wütend, aber auch beunruhigt. „Uns hängen jetzt adlokanische Seepaladine am Arsch?“
    „Nicht mehr“, sagte Morgan triumphierend.
    „He, das wissen wir nicht so genau“, meinte Garett.
    „Quatsch!“ sagte Morgan völlig überzeugt. „Die haben wir im Sturm abgeschüttelt, oder die sind da gesunken. Waren doch bestimmt alles Idioten. Wir haben es aber durchgeschafft, aber Mann, war das ein Sturm! Sowas hab selbst ich noch nicht erlebt. Beinahe wären wir gekentert. Und als unser kleiner Frosch hier über Bord gehüpft ist, hab ich gedacht, den sehen wir nie wieder, doch was macht sein wahnsinniger Entertruppführer? Springt hinterher!“
    Morgan haute Alejandro, der neben ihm saß auf die Schulter. Der Junge sah nicht glücklich aus an dieses Erlebnis erinnert zu werden. Mehrere ehemalige Sklaven hielten erschrocken den Atem an und schauten verwundert zum Helden hinüber, so als ob sie sicher gehen wollten, dass er auch wirklich da war, denn trotz dieser unglaublichen Tat hatte er es ja offensichtlich zurück an Bord geschafft.
    „Ja, und dann kommt er auch noch wieder!“ konnte Garett es nicht lassen zu sagen.
    „He, ich hab die Harpune geschossen, mit der wir ihn und Alejandro zurück aufs Schiff geholt haben“, warf sich Alligator Jack nun in die Brust.
    Morgan, das Gesicht zur Faust geballt, sah wütend zu den beiden Unterbrechern und versuchte alles um die Aufmerksamkeit wieder auf sich zu ziehen. Aufgeregt erzählte er von dem Deal mit Merkassa und ihren letzten erfolgreichen Kaperfahrten.
    „Aber ihr werdet doch nicht nur immer gewonnen haben, oder? Habt ihr Stunk mit irgendwelchen anderen Piraten?“ fragte Michael.
    „Naja“, wurde Morgan plötzlich sehr maulfaul.
    Er sagte nichts weiter. Alligator Jack fasste sich schließlich ein Herz und sagte: „Mal abgesehen von den Seepaladinen, sind wir auch nicht gut auf Ronja, die Piratenbraut zu sprechen. Kennt ihr vielleicht, berüchtigt und gefürchtet. Sie hat jetzt ein adlokanisches Schiff, gut zu erkennen an den rot goldenen Farben und dem goldenen Löwen als Gallionsfigur.“
    „Pah, wenn die uns nächstes Mal begegnet pusten wir die mit unseren Kanonen zu Beliar!“ protzte Francis großspurig.
    „So genug von uns. Was ist mit euch?“ fragte Henry, der seine Zeit nicht nur damit verbringen wollte ihre alte Geschichten aufzuwärmen.
    Er war vor allem darauf aus zu erfahren, was die frisch gebackene Piratencrew konnte. Er schätzte vor allem gehorsame, arbeitsame Männer. Faule und unzuverlässige Leute konnte er nicht gebrauchen.
    Die neuen Piraten tauschten Blicke, dann nickte Ragnar.
    „Ich lebte in den Eiswüstenlanden, bevor ich Orksklave wurde. Früher war ich ein angesehener Krieger meines Landes. So wie Myrtana, haben auch wir immer wieder Ärger mit den Orks. Sie überfallen uns, rauben unsere Leute und unsere Waren. Besonders schlimm ist es auf See. Die beiden Orkbrüder Kattanek und Ogrisek sind überall gefürchtet. Sie sind schlau. Sie wissen, dass eine große Eroberung zu aufwendig wäre. So müssten sie sich gegen mein ganzes Volk stellen, ihre Männer fest einsetzen. Nein, das brauchen sie nicht. Sie haben genug Land. Sie wollen Rohstoffe, Waren und Sklaven. Daher greifen sie uns immer wieder an, plündern, brandschatzen, versklaven und dann hauen sie wieder ab. Ich verteidigte meine Heimat viele Jahre.“
    Ragnars Blick senkte sich. Er schien in seine Erinnerungen versunken zu sein.
    „Ich und mein Haufen verteidigten Eisenstein, ein kleines Dorf, aber wichtig, weil wir dort eine große Eisenerzmine haben. Wir dachten, es wäre zu weit vom Meer weg, als dass sie Eisenstein angreifen würden. Die meisten unserer Männer bewachten die Küste, doch irgendwie mussten sie es an ihnen vorbei geschafft haben. Es war Sommer. Mit ihren schmalen Langbooten schafften sie es tatsächlich den eisfreien Fluss hinauf bis nach Eisenstein. Als wir sie entdeckten war es schon zu spät um eine gute Abwehrformation einzunehmen. Wir stürmten einfach drauflos, um die Dorfbewohner zu beschützen. Meine Männer fielen einer nach dem anderen. Ich schaffte es mit meiner schweren Axt vier Orks zu töten. Vermutlich haben sie mich nur deswegen am Leben gelassen. Ich hatte ihnen imponiert. Nachdem sie uns vernichtend geschlagen haben, raubten sie alle Waren, so viel Eisenerz und Sklaven wie in die Schiffe passte. Und ich war einer der Sklaven. Die Frauen und Mädchen wurden auf den Märkten anderer Länder verkauft. Die meisten Männer mussten für sie arbeiten, bis sie starben. Ich bin der einzige, der noch übrig ist. Das ist jetzt fünf lange Jahre her und ich kann gar nicht sagen wie froh ich bin endlich meine Fesseln los zu sein.“
    Ragnar sah den Helden mit einem Ausdruck tiefer Dankbarkeit an, doch der sagte nichts, noch reagierte er auf Ragnars Geschichte. Es gab einen kurzen Moment der Stille, dann sagte Henry: „Hört sich danach an, als wärst du ein brauchbarer Kämpfer und durch deine Zeit auf den Orkschiffen hast du vielleicht auch etwas vom Seemanshandwerk gelernt.“
    „Hm…“ brummte Ragner. „Ich kann nicht navigieren. Die kleinen Segel auf den Schiffen habe ich aber gelernt zu setzen.“
    „Das ist doch schon mal was. Du bist zu gebrauchen“, sagte Henry und zeigte dann auf den anderen großen Kerl. „Was ist mit dir?“
    „Ich bin Nilson“, fing der mit ruhiger Stimme an.
    Ein kleiner verschmitzt dreinsehender Kamerad, der als Tim vorgestellt wurde, unterbrach ihn: „Haha, tu mal nicht so förmlich. Du weißt doch, für uns bist und bleibst du der kleine Nils.“
    Nilson zeigte etwas zwischen einem Grinsen und einem Zähnefletschen was nicht direkt zu deuten war. Es war offensichtlich, dass er seinen Spitznamen bekommen hatte, gerade weil er ganz und gar nicht klein war. Der Mann war vermutlich in den Dreißigern, an die zwei Meter groß, hatte ein breites Kreuz, kräftige Arme und sah zum fürchten aus. Er trug einen wild aussehenden hellbraunen Bart. Auf dem Kopf hatte er zwar keine Haare mehr, doch war er dort über und über tätowiert. Ein offenbar recht begabter Künstler hatte es so dargestellt, als hätte Nilson ein Loch im Kopf und ein Teil seines Gehirns würde herausquellen. Auf der anderen Seite zeigte das Bild Schädelknochen. Auch Hals und Oberarme waren mit unterschiedlichen Motiven tätowiert. Ein Anker mit abgerissenem Seil, mehrere zu einem Haufen aufgeschichtete Totenschädel, ein zähne fletschender Wolf, dem eine Axt in den Kopf getrieben wurde und ein von einer grässlichen Narbe durchbrochenes Tattoo, dass es so aussehen ließ, als wären die bloßen Muskeln seines linken Oberarms zu sehen. Auf den Unterarmen waren zahlreiche Namen eintätowiert. Auch seine Hände waren tätowiert. Nur seine Daumen waren frei geblieben. Auf den restlichen Fingern standen Buchstaben. Rechts stand „Aufs“ und links „Maul“, wobei jeder Buchstabe auf einem Finger verewigt war.
    „Auch ich komme aus den Eiswüstenlanden. Anders als Ragnar verteidigte ich es aber auf dem Wasser. Ich kenne mich mit der Seefahrt aus. Gut, navigieren kann ich auch nicht, aber seit ich zwölf Jahre alt war, habe ich auf mehreren Schiffen meine Arbeit gemacht und dabei viel gelernt. Ich kam vor zwei Jahren in die Gefangenschaft der Orks als sie wieder mal auf unsere Küste zusteuerten. Wir konnten sie zwar von einem Angriff auf unser Land abhalten, doch sie haben alles von unserem Schiff geraubt, auch die Besatzung und das Schiff dann niedergebrannt. Von meinen ehemaligen Kameraden bin ich der einzige, der die Zeit bei den Orks überlebt hat.“
    Viele ehemalige Sklaven nickten. Die schwere Schinderei kostete wohl viele Verluste und so war es nicht unüblich der letzte der ursprünglichen Gruppe zu sein.
    „Gut, dich können wir sicher gebrauchen“, sagte Henry knapp. „Nächster.“
    „Mich nennen alle Kettenklaus“, sagte ein drahtiger Kerl mit wirren verfilzten braunen Haaren und von kleinen Narben durchzogenen Dreitagebart.
    Wie so viele andere trug er Lumpen, doch irgendwie stach er durch sein Verhalten heraus. Trotz der Knechtschaft bei den Orks hatte er sich ein gewisses inneres Feuer bewahrt. Seine Augen funkelten aufgeweckt und er sprach erregt: „Früher war ich Kettenschmied in Lijkat, das liegt auf dem südlichen Kontinent. Wie ihr euch vorstellen könnt, gibt es immer mal Rangeleien zwischen den Sklaven, um Essen, um bessere Plätze und auch wenn ich äußerlich nicht viel hermachen, ich habe gelernt mit den Ketten, die mich halten sollen gut zu kämpfen.“
    Er zeigte seine rechte Hand. Dort war ein neues Kettenscharnier befestigt. Die andere Seite hing lose herunter und Klaus steckte es schließlich wieder in die Tasche. „Habe vor mir da was Tolles zu basteln. Ein paar Spitzen dran, dann tut das richtig weh, wenn man das in die Fresse kriegt. Außerdem kann man andere super mit Ketten erwürgen.“
    „Schön, dass du so einen Kettenfimmel hast“, kam es höhnisch von Morgan. „Aber solltest trotzdem auch noch mit einer anderen Waffe umgehen können, am besten eine Nahkampfwaffe.“
    Alligator Jack verdrehte die Augen, lehnte sich zu Henry hinüber und sagte leise zu ihm: „Gut, dass Bones nicht hier ist, sonst würde diese ewige Streiterei wieder losgehen.“
    Henry nickte stumm. Der Held hielt sich raus. Seiner Meinung nach sollte jeder mit der Waffe kämpfen, mit der er klarkam. Natürlich war es immer gut mehr zu lernen, aber aufzwingen wollte er es keinem. Hauptsache niemand drückte sich vor den Kämpfen, die ihnen noch bevorstehen würden. Kettenklaus sah jetzt jedenfalls nachdenklich aus.
    „Vielleicht werde ich ja ein guter Messerwerfer“, überlegte er laut.
    „Auf dem Meer?“ platzte es aus Francis heraus. „Da musst du aber wirklich verdammt gut zielen, sonst verschwinden die im Wasser.“
    Einige andere Piraten lachten los.
    „Genug jetzt“, knurrte Parviz, der bisher gar nichts gesagt hatte, nun aber langsam ungeduldig wurde. „Wir haben nicht ewig Zeit. Nächster.“
    „Ich bin Kai“, stellte sich Kai nochmals vor. „Früher war ich Rüstungsschmied in Goltien. Früher hatte ich eine Frau und vier Kinder und eine schöne kleine Schmiede, nichts besonderes, aber das Leben war in Ordnung, dann kamen die Orks, haben alles niedergebrannt und … naja, könnt ihr euch ja denken.“
    Kai stockte und seine alten grauen Augen sahen starr auf den Tisch vor sich.
    „Können wir auch brauchen, weiter“, forderte Henry zur Eile auf, denn die Mittagspause würde bald vorbei sein.
    Mittlerweile hatte der Held mitbekommen, dass Henry von allen Piraten am Pflichtschuldigsten war und keinesfalls sein gutes Ansehen beim Kapitän in den Dreck ziehen wollte.
    Nun erhob ein körperlich starker, aber irgendwie in sich gekehrter Mann die kratzige Stimme: „Ich bin Till. Früher war ich Segeltuchmacher auf einem Schiff von König Timotheus Flotte. Ich bin leider kein großer Kämpfer, hatte wohl nur Glück, dass ich im Selben Boot mitfuhr wir Ragnar.“
    „Brauchbar“, kommentierte Henry.
    Als nächstes meldete sich ein hagerer Mann mit eingefallenem Gesicht und schütterem Haar.
    „Ich bin Christian und war früher Böttcher, meine Fähigkeiten werden uns nützlich sein. Hab gesehen eure Fässer sind nicht mehr so gut in Schuss. Wenn wir auf der Pirateninsel ankommen, dann mach ich uns neue, oder werde beim Kauf neuer Fässer ein Auge drauf werfen, dass das nicht nur Murks ist was wir holen.“
    „Außerdem kannst du beim Ausbessern von Lecks helfen“, bestimmte Henry.
    Christian nickte knapp. Widersprechen wollte er wohl nicht. Als nächster meldete sich Frank zu Wort.
    „Vor langer Zeit war ich ein ganz normaler Seemann von den Vulkaninseln. Meistens habe ich auf Handelsschiffen angeheuert. Das zieht natürlich Räuber an. Piraten, Orks. Die Orks haben uns dann erwischt. Keine Ahnung wie lange das her ist. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor.“
    Der Held versuchte sich all die Namen und Hintergründe möglichst gut einzuprägen, aber es ging nun Schlag auf Schlag. Ein dürrer Mann, der sich als Tobias vorstellte sagte mit leiser Stimme: „Ich hab früher als Seifensieder in Ogakhta gearbeitet.“
    „Hm… wüsste nicht wie uns das weiterhelfen soll“, sagte Alligator Jack gleich und strich sich durch den Bart.
    „Ich … lerne schnell. Ich kann mich anpassen, versprochen“, sagte Tobias aufgeregt, wohl weil er fürchtete sonst schlecht behandelt zu werden.
    Tobias sah ganz elend aus. Einer seiner Kameraden kam ihm zu hilfen und zog die Aufmerksamkeit auf sich.
    „Ich heiße Rolf. Bevor die Orks meine Stadt überfielen und mich versklavten, war ich ein angesehener Zimmermann und bei der Konstruktion von Dächern war ich der beste meiner Zunft. Insbesondere bei der Schiftung konnte mir keiner das Wasser reichen. Meine Fähigkeiten blieben den Orks nicht verborgen und daher wurde ich oft eingesetzt um die Boote zu reparieren. Eine Verschwendung meines Könnens“, sagte Rolf etwas eingebildet.
    „Tja, dann wirst du dein Können wohl noch weiter etwas verschwenden müssen, denn Dächer haben wir hier auf dem Schiff nicht zu bauen“, sagte Alligator Jack hart.
    „Aber einen guten Zimmerer können wir sehr gut gebrauchen. In meinem Trupp bist du sehr willkommen“, beeilte sich Henry zu sagen, denn er wollte sich diesen wertvollen Fisch nicht wegschnappen lassen.
    Rolf nickte. Er blickte dann zum nächsten. Einem dunkelhaarigen dürren Typen.
    „Ich bin Maurice und war früher Zeugmacher. Tücher und Segel werden wir hier auch brauchen können, doch Wolle gibt es vermutlich nicht so oft.“
    „Täusch dich nicht. Viele Handelsschiffe haben Wolle geladen“, unterbrach Alligator Jack ihn.
    „Dann brauch ich aber trotzdem immer noch einen geeigneten Arbeitsplatz“, gab Maurice zu bedenken.
    „Das ist hier keine Stadt, wir sind auf einem Schiff. Du musst dich wohl mit dem Begnügen was wir hier haben. Improvisieren, das muss man auf einem Schiff können. Mach das Beste draus. Natürlich wirst du auch lernen müssen brauchbar zu kämpfen. Schließlich bist du jetzt Pirat“, erinnerte Alligator Jack ihn.
    Maurice sah etwas mutlos aus, nickte dann aber.
    „Ich war Fergger“, sagte ein schlacksiger braunhaariger Typ mit fein geschnittenem Gesicht, der als Jürgen vorgestellt wurde.
    Die Piraten aus Myrtana schauten skeptisch. Jürgen ahnte wohl, dass sie nicht wussten was ein Fergger war.
    „Kennt ihr wohl nicht. Ich hab früher Tücher, Garn und Kleidung aufgekauft und an Händler weiterverkauft.“
    „Dann sag doch einfach Händler“, knurrte der Held.
    „Ist aber nicht das gleiche“, empörte sich Jürgen. „Ich hab das Zeug erst zu den Verkäufern gebracht.“
    „Ist ja gut. Hilft uns nicht weiter“, sagte Parviz knapp.
    In Jürgen’s Augen funkelte es.
    „Oh doch, ich hab ein Auge für gute Waren, mit mir könnt ihr viel Geld sparen.“
    „Na gut, du bekommst auf der Pirateninsel deine Chance“, sagte Henry und sah Jürgen wachsam an.
    Vermutlich würde er hart mit ihm ins Gerecht gehen, sollte er es verbocken.
    Der nächste war Heiko, ein kräftiger Typ mit breiten Schultern.
    „Ich war Nagelschmied in Vulkanhammer. Tja, wenn ich kämpfen muss, dann nehme ich am liebsten einen Hammer. Von Schwertkampf verstehe ich nichts.“
    „Dann geh mal zu Bones, er wird dir Zeigen wie du mit einem Kriegshammer kämpfst“, sagte Alligator Jack und warf einen schelmischen Blick zu Morgan, der angefressen zurückschaute.
    „Für die Schiffsreperaturen können wir dich sicher auch gut gebrauchen“, mutmaßte Henry.
    „Ich war Feilenhauer in Sturmkap“, stellte sich Rüdiger vor.
    „Gibt ja echt für alles einen extra Beruf“, wunderte sich der Held.
    In Myrtana musste ein Schmied oft sowohl Waffen als auch Werkzeuge und Materialien selbst herstellen. Es ging nicht anders. Es gab nicht genügend Leute, um sich zu spezialisieren.
    Rüdiger wagte wohl nicht etwas dagegen zu sagen, doch auch Henry griff dieses Thema auf.
    „Ja, mir ist auch schon aufgefallen. Bei den Neuen sind sehr viele Spezialisten dabei. Keine wirklichen Kämpfer, aber brauchbar für Ausbesserungsarbeiten. Sie sollten zusätzlich zu den Entertrupps in eine spezielle Schiffsausbesserungstruppe kommen. Dann müssen wir nicht jedesmal extra Leute dafür abstellen, sondern es gibt einen festen Trupp, der genau weiß was er zu tun hat. Dann läuft das alles effizienter.“
    „Hört sich gut an“, sagte Alligator Jack. „Das werden wir Greg so vorschlagen.“
    Die Entertruppführer sahen zu den Neuen hinüber, um ihnen zu bedeuten mit ihrer Vorstellung fortzufahren.
    „Ich bin Nikolaos. Ich war Muldenhauer.“
    Es kam keine Reaktion.
    „Ich hab Holzwannen gebaut“, erklärte der frische Pirat, weil er merkte, dass seine neuen Kameraden keine Ahnung hatten was das für ein Beruf war.
    „Verstehe“, sagte der Held knapp.
    „Und ich war Pechsieder“, sagte Mirko ein schwarzhaariger, drahtiger Typ.
    „Gut, dich können wir sehr gut für Reparaturarbeiten gebrauchen. Auch du bist in meinem Team sehr willkommen“, sagte Henry.
    „Und was ist dir passiert? Sieht aus als hätte dir jemand ne Axt in die Fresse gehauen“, fragte Francis und zeigte auf den Typen neben Mirko.
    „Ja, hast ja echt ne Hackfresse“, amüsierte sich auch Morgan.
    Der angesprochene schaute ihn finster aus seinem verbliebenen linken Auge an. Eine Augenklappe trug er nicht. Die hätte auch nicht viel genutzt, denn die gesamte rechte Seite seines Kopfes war übel zugerichtet wurden und war nur schlecht verheilt, so dass sie nun schief und eingedellt wirkte.
    „Ich, Eugen, war früher schon Pirat. Wir wurden vor zwei Monaten genauso angegriffen wie ihr, nur hat es meine Crew nicht so gut bewältigt. Die meisten wurden getötet, nur drei haben den Überfall überlebt, doch die anderen beiden starben in der Sklaverei, ich bin der letzte der noch lebt.“
    „Wie hieß denn euer Kapitän?“ fragte Henry interessiert.
    „Kapitän Lewassöhr.“
    „Nie gehört“, brummte Henry.
    „Vielleicht meint er den alten Wasserohr?“ fragte Alligator Jack und grinste.
    „Dachte der wäre schon vor zehn Jahren abgesoffen“, kam es von Morgan.
    „Vielleicht ja sein Sohn“, mutmaßte Alligator Jack und zuckte mit den Schultern.
    „Ja, er war noch recht jung und unerfahren, das wurde uns zum Verhängnis“, sagte der alte Eugen. „Aber selbst einem erfahrenen Kapitän fällt es schwer sich gegen die Orks zu Wehr zu setzen. Ich bin wirklich beeindruckt, dass ihr das so gut gemeistert habt. Nur drei Verluste.“
    Er stieß einen Pfiff aus.
    „Jeder Verlust ist einer zu viel“, knurrte Parviz.
    Dazu hatte wohl jeder was zu sagen, denn es setzte erst Gemurmel ein, dass sich dann zu einem lauten Palaver anschwoll. So hörten sie zunächst nicht, dass jemand die Treppe herunter gekommen war und bemerkten Bones erst, als er durch die Tür in die Messe kam.
    „Ihr sitzt ja immer noch hier!“ schimpfte er. „Der Käpt’n ist echt sauer. Ihr habt die Mittagspause total überzogen. Wir anderen wollen auch mal was essen!“
    Bones sah wirklich wütend aus.
    „Wir müssen die neuen noch auf die Entertrupps aufteilen“, sagte Alligator Jack.
    „Ich will in den Trupp vom Befreier“, kam es gleich von Kai.
    „He, ich aber auch.“
    „Und ich.“
    „Ich aber auch.“
    „Wie sie alle „hier“ schreien“, amüsierte sich Parviz.
    Der Held wusste nicht was er davon halten sollte. Noch mehr Verantwortung? Gut, es war klar gewesen, dass jeder Trupp in etwa gleich groß sein sollte. So wie es aber aussah würde sein Trupp deutlich größer werden, als der von den anderen. Er sah zu den anderen Entertruppführen, um ihre Reaktion zu sehen. Parviz amüsierte sich noch. Henry schnaubte und sah dezent angepisst aus. Alligator Jack wirkte leicht beunruhigt.
    „Und was ist mit denen die in die Nachtschicht sollen?“ fragte der kleine Nils laut. „Müssen die eine Doppelschicht einlegen, weil sie schon jetzt am Tag gearbeitet haben?“
    „Das ist nicht fair“, sagte Jürgen aufmüpfig.
    „Ruhe!“ brüllte Henry. „Wir klären das mit dem Käpt’n und ihr geht jetzt erstmal an die Arbeit!“
    Bones nickte. Er hatte alles erfahren, was er hatte erfahren wollen und ging wieder aus der Messe, vermutlich um den anderen Bescheid zu geben, dass sie jetzt endlich auch Essen konnten.

    Die Entertruppführer versammelten sich wieder um den Käpt’n herum.
    „Es gibt da ein Problem Käpt’n“, fing Henry an.
    „Nicht nur eins“, fiel ihm Alligator Jack ins Wort.
    „What? What is denn?“ fragte Greg und wandte sich nicht vom Steuer ab.
    „Naja …“, begann Alligator Jack.
    Vielleicht fürchtete er Schelte vom Kapitän, weil sein letzter Befehl lautete, die neuen Crewmitglieder in Trupps aufzuteilen, aber das hatten sie noch nicht gemacht. Der Held ergriff die Initiative, denn er wollte nicht, dass hier weiter so herumgeeiert wurde.
    „Irgendwie wollen die meisten bei mir in den Trupp. Außerdem beschweren sich einige, dass sie keine Doppelschicht einlegen wollen, denn sie haben ja jetzt schon am Tag gearbeitet.“
    „Hm…“ kam es grunzend von Greg, doch zunächst sagte er nichts weiter.
    Eine angespannte Stimmung breitete sich unter den Entertruppführern aus.
    „Naja … um ehrlich zu sein Käpt’n…“, wagte sich Alligator Jack vor. „Ehrlich gesagt … mein Trupp und ich, wir sind echt fertig. Wir schieben oft Doppelschichten, weil auch am Tag viel passiert und wenn das so weitergeht, dann brechen wir bald zusammen.“
    Das hatte ihm wohl schon eine Weile im Magen gebrannt und endlich hatte er den Mut aufgebracht es ganz deutlich anzusprechen. Nun sah er beunruhigt zu Greg, weil er wohl ein Donnerwetter fürchtete.
    Doch es kam nicht.
    Vielleicht war selbst Greg so müde, dass er nichts dagegen sagen wollte. Der Held hielt diese Stille nicht lange aus und schlug eine Lösung für die Probleme vor: „Ich hab da eine Idee: Wir könnten die Schichten noch mal umwerfen, so dass Parviz und ich mit unseren Trupps die Nachtschicht einlegen. So kann Parviz sich erstmal als Entertruppführer beweisen.“
    Bei diesen Worten warf Parviz ihm einen finsteren Blick zu.
    „Und ich mach eh immer mal wieder eine Doppelschicht, da ist es im Prinzip auch egal. Außerdem werden sich nicht so viele für meinen Trupp melden, wenn sie hören, dass es die Nachtschicht ist und es deswegen öfter mal vorkommen wird, dass sie Länger arbeiten müssen, als die anderen. Die Trupps von Henry und Alligator Jack haben sich auch mal die Tagschicht verdient.“
    Zunächst kam keine Antwort vom Kapitän. Vielleicht dachte er nach. Dann sagte er: „In Ordnung. Wi smieten de Schichten nochmals üm.“
    Die Entertruppführer schauten sich überrascht an, nur der Held nickte einfach nur. Er fand, dass es für Greg sprach, dass er sich die Bedenken seiner Entertruppführer anhörte und auf ihre Vorschläge einging. Henry ergriff zuerst das Wort: „Also ist es dann genau umgekehrt? Er …“
    Er zeigte auf den Helden.
    „…arbeitet mit seinem Trupp von Abends bis früh, Parviz von Mitternacht bis Mittag, Alligator Jack von Früh bis Abends und ich von Mittag bis Mitternacht?“
    „Jo“, kam es knapp vom Kapitän, dann herrschte er sie an: „Sonst noch Fragen?“
    „Ich hatte die Idee für einen Ausbesserungstrupp“, wollte sich Henry besonders hervortun, was ihm von Alligator Jack einen angefressenen Blick und ein Schnauben einbrachte.
    Henry warf kurz einen harten Blick zu ihm zurück und betonte ihre Zusammenarbeit im nächsten Satz besonders: „WIR haben bemerkt, dass viele der ehemaligen Sklaven früher Handwerker waren. Viele sind wohl keine besonders guten Kämpfer, aber sie könnten eine enorme Hilfe für die Wartung und Reperatur des Schiffes sein. Weil wir zuletzt zu wenige waren haben wir uns nicht so gut um die Murietta gekümmert wie es nötig gewesen wäre.“
    „Un‘ wer shall düsse Extra Trupp anführ‘n?“ wollte Greg wissen.
    „Wir integrieren diese Männer in die normalen Entertrupps, aber gleichzeitig sind sie im Ausbesserungstrupp. Das heißt, sollte das Schiff beschädigt werden, muss nicht extra jemand gefunden werden, der diese Arbeit macht, es steht von vornherein fest. So weiß jeder was er zu tun hat und alles läuft effizienter. Dadurch, dass wir diesen Trupp auf die eigentlichen Entertrupps aufteilen ist auch in jedem Team sofort jemand zur Stelle, sollte es ein Problem geben und während der normalen Arbeit sollten sie sich vorrangig um die Instandsetzungsaufgaben kümmern.“
    „Goot. Hest ja mal nadacht“, schnarrte Greg. „Mok dat! Aver nu kümmert euch endlich um de Aufteilung der Trupps un denn kaamst du gliek wedder her. Denn du hest na dat nee‘e Schichtplan Deenst un shall mi hier an‘n Stüer vertreden, so dat ik mi oo ma in mien Koje hauen kann.“

    Greg würde wohl noch etwas auf sein Bett warten müssen, denn die Auswahl auf die Trupps dauerte doch länger als erwartet. Während die erfahreneren Piraten bereits nach dem neuen Schichtsystem arbeiteten, standen die frischen Piraten auf Deck und redeten alle wild durcheinander. Viele hatten den Helden umkreist und redeten wie wild auf ihn ein. Manche bettelten regelrecht darum in seinen Trupp aufgenommen zu werden.
    „Es ist nur fair, wenn ich euch sage, dass ich und mein Trupp ab sofort in der Nachtschicht arbeiten werden. Von Abends bis früh“, sagte der Held, weil er hoffte so die Begeisterung etwas zu dämpfen.
    Teilweise klappte das auch. Einige zögerten nun, manche zogen sich ganz zurück, aber der harte Kern blieb bei ihm. Der Held seufzte.
    „Ich kann euch nicht alle in meinen Trupp aufnehmen. Die Trupps sollten etwa gleich groß sein.“
    Henry wollte, dass das hier endlich vorwärts ging und teilte die Meute zunächst in den Ausbesserungstrupp ein. Till, Christian, Tobias, Rolf, Maurice, Heiko, Nikolas, Mirko und Rüdiger hatten bereits gesagt, dass sie Handwerklich geschickt waren. Als Henry fragte, ob sich noch jemand fand, der so eine Arbeit übernehmen wolle, meldete sich Kasimir. Nach eigener Aussage hatte er schon verschiedene handwerkliche Berufe ausgeführt und kannte sich mit Latten, Hämmern und Nägeln aus. Dabei grinste er anzüglich und einige Piraten lachten. Henry war es egal, hauptsache jemand hatte sich für diese Aufgabe gefunden. Jetzt fehlten aber noch zwei weiter Leute, damit es aufging. Carlos und Clemens meldeten sich noch. Carlos erzählte, dass er früher Knecht auf den Südlichen Inseln war und alle möglichen Handwerklichen Aufgaben übernommen hatte. Clemens war früher Bildhauer gewesen. Er beteuerte, er würde noch lernen was ihm an Wissen fehlte. Henry gab sich damit zufrieden und teilte auch sie ebenfalls in den Ausbesserungstrupp ein. Danach galt es die Piraten auf die eigentlichen Entertrupps aufzuteilen. Nils und Ragnar schlugen sich sogar darum beim Trupp des Helden sein zu dürfen. Offenbar fühlte Ragnar sich durch das gemeinsame Schicksal mit den Orks gleich mit dem Helden verbunden und wollte unbedingt bei ihm in den Trupp. Ragnar gewann, so dass Nils sich Parviz Trupp anschloss, um immerhin teilweise in der gleichen Schicht zu sein wie der Held. Letztendlich musste Henry ein hartes Machtwort sprechen und teilte die frischen Piraten gleichmäßig auf, so dass jeder Entertrupp aus dreizehn Piraten bestand. Als Brandon, der gerade in der Nähe stand, um an einer Leine zu arbeiten, dies realisierte, riss er die Augen auf, griff nach seinem Adanosanhänger, sprach ein kurzes Gebet und drehte sich dreimal um sich selbst.
    „Dreizehn in einem Trupp? Das bringt doch Unglück. Wir werden alle sterben! Das Schiff wird sinken!“
    „Red nicht so einen Mumpitz Brandon“, wies Henry ihn zurecht.
    Da Brandon in seinem Trupp war stand ihm dies zu.
    „Die Trupps müssen möglichst gleichmäßig aufgeteilt werden“, erklärte Henry nachdrücklich.
    „Ich denke, das haben wir gut hinbekommen“, sagte Alligator Jack und blickte zufrieden auf die vor ihm stehenden Piraten.
    Abgesehen von seinem alten Trupp waren jetzt noch Tobias, Maurice, Gweneal, Carlos, Cosmin, Bernhard, Holger und Kai unter seinem Kommando.
    Der Trupp des Helden bestand nun aus Skip, Alejandro, Heiko, Rüdiger, Ragnar, Tim, Nikolaos, Jurij, Udo, Francisco, Alois und Fabrice. Enrico, Till, Kasimir, Kettenklaus, Michael, Frank, Jürgen, Clemens, Eugen, Fertigern, Allarich und der kleine Nils waren in Parviz Trupp mit von der Partie. Christian, Rolf, Mirko, Ramon, Robin, Fabio, Etienne und Artem der damit angab ein wenig mit Magie umgehen zu können waren nun in Henrys Trupp. Der ließ sie auch nicht lange herumstehen, nun da die lästige Aufteilung der Mannschaft geglückt war.
    „Und nun, an die Arbeit! Faules Pack! Los, bewegt eure Ärsche!“, brüllte Henry, der in seinem Element war.
    Er selbst ging nun zu Greg um ihn endlich abzulösen.
    Geändert von Eispfötchen (24.10.2022 um 21:01 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Alejandros Tagebuch: 11. Januar

    Seit dem wir nun so eine große Mannschaft haben, kommen wir endlich öfter zum Schlafen. Eigentlich. Es ist nicht nur so, dass es mir schwerfällt tagsüber zu schlafen, wenn es überall im Schiff lärmt, mich plagen nun häufig auch Albträume. Ich muss immer wieder an den Angriff der Orks zurückdenken. Den Göttern sei Dank haben wir meinen Entertruppführer an Bord. Ich bin mir sicher, ohne ihn hätten wir den Angriff nicht überlebt. Viele der anderen Piraten sehen das auch so. Nur er macht irgendwie überhaupt keine große Sache draus. Es ist so, als wolle er die Bewunderung der anderen gar nicht sehen. Die alte Mannschaft des Kapitäns lässt sich nicht so viel anmerken, aber die ehemaligen Sklaven machen gar keinen Hehl draus. Kann ich gut verstehen. Wäre er nicht gewesen, wären sie wahrscheinlich für immer Sklaven der Orks geblieben. Was für eine schreckliche Vorstellung. Ich habe versucht mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Udo hat mir erzählt, dass er ein weit gereister Abenteurer ist. Ich glaube aber er ist einfach nur ein Rumtreiber, der das Pech hatte von den Orks aufgegriffen wurden zu sein. Fabrice und Ramon kommen von den südlichen Inseln, wo Fabrice Fischer war und Ramon Händler. Alois erzählte mir, dass er das bürgerliche Leben in Rasokat nicht mehr ausgehalten habe. Er sagte mir, dass dort sehr viel Wert auf Anstand und ein geregeltes Leben gelegt wird. Er suchte aber das Abenteuer und war mit ein paar Freunden einfach so mit einer kleinen Jolle aufs Meer hinausgesegelt. Dort fielen sie einigen Sklavenhändlern zum Opfer, die wiederum von den Orks angegriffen wurden. Auch mit Nilson habe ich ein Gespräch gesucht, doch er hat mich einfach links liegen lassen. Ich glaube, er nimmt mich nicht für voll. Er hatte unbedingt in unserem Entertrupp sein wollen. Vermutlich würde er gerne mit mir tauschen. Ich bin aber froh nicht bei Parviz zu sein. Der macht mir Angst. Seine Beliarmagie ist zwar von der Theorie her faszinierend, aber auch erschreckend. Er selbst ist so undurchsichtig, dass ich nicht weiß, ob ihm zu trauen ist. Überhaupt bin ich mittlerweile wirklich froh, dass ich bei meinem Entertruppführer gelandet bin. Die anderen hätten mein Potential mit der Magie wahrscheinlich gar nicht gesehen und mich nicht gefördert und beim Angriff der Orks hätte ich in der ersten Reihe stehen müssen und wäre bestimmt gestorben. Ja, ich kann’s nicht länger leugnen, ich sehe zu ihm auf. Wie er diese Orks bekämpft hat, das war einfach unglaublich. Natürlich ist er immer noch ein brutaler Typ, aber so lange er uns anderen damit beschützt ist das, denke ich, in Ordnung. Das Leben als Pirat ist hart und ich habe einsehen müssen, dass es nicht mit Worten allein getan ist. Beginne ich mich anzupassen? Verliere ich damit Stück für Stück meine Menschlichkeit? Was wäre passiert, wenn ich damals in Sturmkapp abgehauen wäre, wenn er mich nicht aufgehalten hätte? Wäre ich dann überhaupt noch am Leben? Ich zweifle immer noch. Jetzt wo wir so viele Leute in der Crew haben, fällt es bestimmt nicht weiter auf, wenn ich das Schiff verlasse. Die nächste Insel die wir anlaufen ist aber die Pirateninsel. Dort komm ich sicher nicht so einfach weg. Daher denke ich, dass ich erstmal weiter bei der Crew bleibe. Irgendwann laufen wir sicher wieder einen sicheren Hafen an. Aber sollte ich wirklich gehen? Eigentlich hätte ich zweimal auch in Sturmkapp abhauen können, doch jedes Mal hab ich zu lange gezögert und dann war jemand von der Crew dagewesen und ich hab mich nicht getraut zu gehen. Will ich unterbewusst vielleicht gar nicht mehr abhauen? Bin ich wirklich schon so tief gesunken für immer ein Pirat sein zu wollen? Nein, ich denke das ist es nicht. Irrwitziger Weise fühle ich mich mittlerweile sicherer in meinem Trupp, als wenn ich auf mich allein gestellt durch die Welt ziehen würde und dabei begegnen wir immer wieder schrecklichen Gefahren. Ich verstehe es nicht. Was ist bloß mit mir los? Oh je gleich beginnt meine Schicht. Ich will meinen Entertruppführer nicht warten lassen, der wird sonst bestimmt sauer. Der ist sicher wieder den ganzen Tag auf den Beinen gewesen. Ich frag mich echt wie der das macht. Ich hab noch nie einen Menschen gesehen, der so viel Energie hat.

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Ankunft auf der Pirateninsel

    Es war zwar Winter, doch dafür waren die Temperaturen erstaunlich mild. Sicher hing das auch damit zusammen, dass sie in den Süden segelten. Der kräftige Wind, der ihnen um die Nase wehte war nicht mehr so beißend kalt wie im Norden. Die tiefstehende Sonne ließ das Meer golden schimmern.
    „Land in Sicht!“ rief Heiko aus dem Krähennest.
    „Na endlich“, kam es stöhnend von Skip. „Ich dachte schon wir kommen gar nicht mehr an.“
    „Sollen wir Kurs auf die Insel nehmen, oder noch diese Nacht auf dem Meer verbringen?“ fragte Henry den Piratenkapitän, der wieder am Steuer stand.
    „Wieso?“ fragte der Held verwundert. „Fahren wir doch einfach hin.“
    Henry lachte schallend. Amüsiert verzog Greg sein Gesicht und sagte dann: „Büst eben doch noch en Junghai. Nehm dien Feernglas un kiek över na de Insel! Wat süst du dar?“
    Verwundert tat der Held was sein Kapitän ihm sagte, packte sein Fernglas aus und sah angestrengt hinüber zur Insel. Er brauchte einen langen Moment, um den Hafen zu finden. Undeutlich sah er fünf Schiffe, die vor der Küste ankerten. Er hatte mit mehr gerechnet. Das sprach er auch sofort an.
    „Wenn das hier das Piratenparadies sein soll, warum sind dann nicht mehr Schiffe hier?“
    „Ja, warüm, hehe. De meisten sünd bestimmt op‘n Raubzug. De Hööftgrund is aver, dat de Navigatschoon to düsse Insel swaar is. Blots erfahrene Navigatoren maakt den Weg överhoopt. Üm sik op de See recht to finnen, bruukt dat veel Erfohren un dat Weten över, wo de Steerns un de Koorten leest warrn köönt. Baadewannenpiraaten köönt bloot an de Küst langs segeln, de schuern dat apen Meer un schaffen dat nie bet hierhen. De Piraateninsel is außerdem op keen Seekoort verzeichnet. Entweder höört man vun anner Piraaten, as man na de Insel kummt, oder man stött tofällig ap. Wie ook ümmer, de eerste Fahrt hierhen is en Albtruum, wiel man noch nich weet, woans een föhren mutt un bang is, alltied op de Sandbänken to stranden oder an den shrupen Felsen ünner Wasser to slaan. Wi Piraaten markt uns, wo op de Seekoort de Insel is. Wenn de Kaart denn een Frömd in de Hannen fallt, weet he den Standoort trotzdem nich.“
    Als der Held hörte, dass sozusagen nur die Piratenelite den Weg zur Pirateninsel fand, fiel ihm wieder ein, dass er noch nicht navigieren konnte.
    „Bring mir das Navigieren bei!“ forderte der Held von Greg.
    Der sah ihn skeptisch an und mutmaßte dann: „Un wenn du dat kannst, denn stichst du mi af, smiet mi in‘e See un övernehmt dat Schipp.“
    „He, immer noch so misstrauisch? Ich hab dir doch gesagt, ich möchte kein Kapitän sein und habe ich in den vergangenen Abenteuern nicht bewiesen, dass du dich auf mich verlassen kannst?“
    „Ik heff vör allen sehn, wo ehrgessig un brutal du wesen kannst“, knurrte Greg. „Du kummst an dien Teel, ahn Rücksicht op Verluste. Wat wenn ik ma twischen di un dien Teel stah? Ne ne, ik vertro di noch nich noog, üm di dat Navigeeren to lehren. So lang du dat noch nich kannst, bruukst du mi.“
    Der Held diskutierte nicht weiter. Er wusste, wenn ein Lehrer ihm sagte, dass es noch nicht an der Zeit war das Wissen zu vermitteln, musste er Geduld haben.

    Die Fahrt zur Pirateninsel war in der Tat schwierig. Damit die Mannschaft nicht zu unruhig wurde, hatte der Kapitän entschieden die Fahrt zur Insel noch heute Abend zu wagen. Greg hatte die Insel erst ein Stück weit umrundet, bis er einen für den Helden unsichtbaren Punkt gefunden hatte, wo er beidrehen ließ, so dass sie nun mit einem Am-Wind-Kurs zur Insel fuhren. Sie hatten Fahrt rausgenommen, um mehr Zeit zum Reagieren zu haben. Henry und der Held hingen vorne am Klüverbaum und sahen ins Meer. Die tief stehende Sonne half ihnen dabei die kleinen Flecken im Wasser zu erkennen, die Sandbänke und Felsen erahnen ließen. Mit einem Lot konnte der erfahrenere Pirat erkennen, wenn sich eine Sandbank anbahnte. Mehrmals entgingen sie knapp der Strandung. Manchmal war sicher nur eine Handbreit Wasser unterm Kiel gewesen. Henry war zum Glück sehr erfahren und der Held lernte mit seiner üblichen schnellen Auffassungsgabe. Endlich hatten sie es durch die gefährlichen Untiefen geschafft und konnten sich einen geeigneten Platz zum Ankern am Kai suchen. Zu Gregs Missfallen lagen auch einige Schiffe seiner Konkurrenten vor der Insel vor Anker.
    „Verdammich, dat Hellhaak is ook da.“
    Der Held folgte seinem Blick und sah die gelborange und rote „Hosianna“ von Ronja etwas abseits vor Anker liegen. Die Sonne war vollends hinter dem Horizont verschwunden, als sie endlich im großen zweckmäßigen Hafen vor Anker lagen.
    „Wie heißt diese Stadt?“, wollte der Held wissen.
    „Piratenbucht.“
    „Piraten sind nicht gerade kreativ was die Vergabe von Namen angeht, was?“, spottete der Held.
    Greg sagte nichts weiter dazu, sondern schärfte seiner Crew vor dem Landgang nochmal ein: „Wat ihr ook doot, höört euch na de Esmeralda üm!“
    Die Männer grummelten, entgegneten aber nichts, dann teilten sie sich auf. Wer gerade keine Schicht hatte durfte tun was er wollte, an Land gehen, oder zurück auf dem Schiff bleiben und schlafen. Die Trupps von Henry und dem Helden wurden aber vom Kapitän an seine Seite gerufen. Es gab viel zu tun.
    Vom Steg aus sahen sie schon die ersten Häuser, die direkt am Hafen lagen. Auch die Häuser wirkten zweckmäßig, verlebt und schmuddelig. Auf den ersten Blick erkannten sie zwei Bordelle und drei Tavernen, vier Kramläden, einen Segeltuchmacher und einen Fassbinder. Es roch nach nassem Iltis und altem Käsefuß. Erstaunliche viele Leute waren unterwegs, nicht nur Männer, sondern auch Frauen und erstaunlich viele Kinder. Die Jungs und Mädchen spielten am Kai, haschten sich, oder sahen gespannt zu den großen Schiffen. Vor der nächstgelegenen Kneipe begann gerade eine Schlägerei zwischen zwei Betrunkenen. Als die Männer drumherum sahen was vor sich ging, schritten sie nicht etwa ein, sondern mischten mit. Vielleicht taten dies manche, um einem der beiden Streithähne beizustehen, oder einfach aus Spaß.
    „Hier ist mal wieder Bambule“, sagte Morgan vergnügt, grinste breit und zeigte damit seine Freude wieder hier zu sein.
    „He, lasst mich mitmischen, endlich mal wieder eine Schlägerei“, rief der kleine Nils und war nicht mehr zu halten.
    Er stürmte den Steg entlang und stürzte sich mit seinem großen Körper einfach mittenrein. Zwei Kämpfende konnten gerade noch wegspringen, die anderen schrien laut, als sie unter ihm begraben wurden. Greg und seine Männer gingen an dem Menschenknäul vorbei, manche Piraten schauten interessiert zu den Kämpfenden, andere wie der Piratenkapitän selbst beachteten die Rüpel nicht mehr länger.
    „Ihr annern, mir nach, Schinkenkloppen, könnt wi'n anner mol spelen“, knurrte Greg seinen Männern zu.
    „Ich werd mal nachsehen, ob meine Bälger noch leben“, sagte Francis knapp und trennte sich von der Truppe.
    Greg brummte, sagte aber nichts dazu. Er hatte das wohl schon erwartet. Eigentlich hatte Francis jetzt Dienst, doch offenbar hatte der Piratenkapitän heute einen guten Tag und da ihm noch einige andere Piraten zur Verfügung standen, die eigentlich gar nicht hätten arbeiten müssen, war dieser Verlust wohl zu verschmerzen. Die Schicht von Jürgen und Enrico fing eigentlich erst in ein paar Stunden an, aber sie wollten sich dem Piratenkapitän wohl beweisen.
    „Ich werde sehr hilfreich beim Kauf und Verkauf von Waren sein“, warf sich Jürgen in die Brust.
    „Kann sein, aber ich kenn eine der Händlerinnen persönlich. Sie ist nämlich meine Mutter“, erklärte Enrico. „Ja, ich bin hier aufgewachsen. Sie macht uns bestimmt einen ganz besonders guten Preis.“
    „Ik erinnre mich“, sagte Greg, denn als Enrico früher zur Mannschaft gehörte, waren sie wohl schon einmal bei ihr gewesen. „Dat letzte Maal sünd wi würklich allens för en goden Pries loswörden.“
    Nachdenklich rieb sich der Piratenkapitän über den Bart.
    „Hitt se eegentlich weer en Mann funnen, de dat mit ehr uthollt?“
    Enrico wurde leicht rosa im Gesicht. Irgendetwas war ihm wohl furchtbar peinlich. Er kratzte sich im Genick und sagte: „Weiß nicht. Ich war auch nicht mehr da, seit dem letzten Mal.“
    Greg blieb so abrupt stehen, dass Jürgen fast in ihn reingelaufen wäre. Dann ging er weiter, wohl damit sein Zögern nicht als noch so kleine Schwäche missverstanden werden konnte. Seinem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass ihm Übles schwante. Was in ihm vorging erschloss sich dem Helden als sie „Die Piratenschatzkiste“ betraten. Enricos Mutter war eine korpulente Frau mit langen geflochtenen schwarzen Haaren. Ihre Schönheit fing langsam an zu verblühen, doch krampfhaft versuchte sie mit schicken Gewändern und viel Klimperschmuck an früheren Zeiten festzuhalten. Sie verkaufte in ihrem Kramladen das Raubgut, das ihr Sohn mit seinen Piratenfreunden erbeutete. Der Laden war klein, aber erstaunlich sauber, fast schon gemütlich und überall stand Zeug. Es quoll geradezu aus all den Regalen, türmte sich auf Schränken und wartete in Körben und Kisten auf neue Besitzer.
    „Enrico“, rief die Verkäuferin glücklich, als sie ihren Sohn durch die Tür spazieren sah und ihr Gesicht fing an zu leuchten.
    Als wenig später Greg eintrat, wurde der Glanz in ihren Augen sogar noch ausgeprägter. Ganz offensichtlich hatte sie einen Faible für den Piratenkapitän entwickelt, was Enrico gar nicht gefiel.
    "Mutter! Du sollst den Käpt‘n doch nicht so angaffen, was soll er denn mit so einer alten Schachtel wie dir?"
    "Ich hab mich wohl verhört? Alt? Ich? Du hast wohl vergessen, dass ich dich mit fünfzehn ausgetragen habe", keifte sie und briet ihm eins mit einer Pfanne über, die zum Verkauf stand.
    „Die Freude hat ja nicht lange angehalten“, spottete Morgan und grinste breit.
    Enricos Mutter hatte ihn entweder nicht gehört, oder achtete nicht auf dessen Worte. Ihr Blick war allein auf ihren verunsicherten Sohn gerichtet.
    "Jahrelang lässt du dich nicht blicken. Treibst dich wer weiß wo in der Welt rum und denkst nicht eine Sekunde an mich, deine arme al-…"
    Sie hatte wohl alte sagen wollen, doch mit einem Seitenblick auf Greg wechselte sie schnell mitten im Wort zu "alleingelassenen Mutter. Kein Brief, keine Meldung, keine Nachricht wo du steckst. Lässt mich im Unklaren, ob du im Gefängnis, am Galgen oder am Grunde des Meeres bist."
    Greg verdrehte bei all dieser Theatralik nur sein verbliebenes Auge und wünschte sich wohl schnell wieder hier raus.
    "Klar hab ich an dich gedacht", sagte Enrico und rieb sich den Kopf, der wohl schmerzhaft pochte. "Du hättest dir aber auch ein paar nettere Orte für mich vorstellen können."
    Morgan fand es irre witzig, dass Enricos Mutter so auf Greg abfuhr und erzählte daher von ihren spannenden Abenteuern, natürlich wieder in den schillerndsten Farben. Er erzählte von all ihren Kaperfahrten, wie Greg sich erdreistet hatte im gutbewachten Hafen von Stahlstern anzulanden und natürlich von ihrer Fahrt durch den großen Sturm.
    „Du hättest den Käpt‘n sehen sollen. Hinter uns das mächtige, vollbesetze Paladinschiff, vor uns der Jahrhundertsturm. Aber unser Käpt’n hat nicht einmal mit der Wimper gezuckt und uns durch den Sturm geführt. Keinem anderen wäre das gelungen, so viel steht mal fest. Das Meer unter uns wollte uns verschlingen und der Regen über uns wollte uns ertränken. Das Schiff schaukelte wie ein bockendes Monster, aber Greg stand da wie festgewachsen. Wir anderen, wir hatten natürlich Angst, aber der Käpt’n, der hat sich nicht ins Bockshorn jagen lassen.“
    "Oh was für einen kühnen, raubeinigen Käpt‘n ihr doch habt", schmachtete Enricos Mutter.
    Greg warf Morgan zuerst einen üblen Blick zu, doch dann ging ihm wohl auf wie er das zu seinem Vorteil nutzen konnte.
    "Joa, all düsse Gefahren mussten wi bestahn, üm hierher to kamen. Een fairen Pries för unsere Ware is dar bestimmt angemessen."
    "Aber sicher, solch einem verwegenen Piratenkapitän kann ich doch nichts vormachen."
    Sie feilschten und tatsächlich bekamen sie ihre gekaperten Waren für viel Gold verkauft. Der Kapitän schickte gleich einen Schwung Männer los, damit sie die Kisten mit ihrem Kram herbringen und gegen das Gold eintauschen sollten. Henry und Enrico sollten bei ihnen bleiben, um die Übergabe abzusichern. Da Enricos Mutter so begeistert von Gregs Mannschaft war, hatte sie sogar einen Schwung Klamotten parat, die zu den anderen seiner Crew passten. So brauchten sie nicht mehr viele Rüstungen selbst anzufertigen.
    Als sie den Laden verließen, verabschiedete sich Morgan, der in der Ferne eine Frau hatte winken sehen. Er war gegangen, bevor Greg ihn zurückrufen konnte. Der Piratenkapitän schaute finster, sagte aber nichts. Es war eine kritische Situation. Bei all den Verführungen der Pirateninsel war es schwer seine Truppe zusammenzuhalten und wer gerade sowieso keine Schicht hatte, musste sich nichts sagen lassen.
    Sie gingen gerade die belebte dreckige Promenade entlang, als Greg plötzlich stehen blieb und dann in eine andere Richtung drängte.
    „Potzblitz un Dunnerwedder noch‘ema.“
    Er ging auf einen großen kräftigen Mann mit Rettungsring zu. Sein dunkelbrauner Kapitänshut sah abgegriffen, rissig, schmierig und fleckig aus. Er trug einen unscheinbaren braunen abgewetzten Mantel, einen wuchtigen Anderthalbhänder auf dem Rücken und dicke braune Stiefel an den Füßen, die man eher roch, als dass man sie sah. Um ihn herum standen einige grobschlächtige Piraten, wobei einem ein Auge, einem eine Hand und einem ein Bein fehlte. Daneben stand ein kleiner, vielleicht elfjähriger Junge mit verwuschelten blonden Haaren und keckem Gesicht.
    „Wer ist denn das, Käpt’n?“ fragte der Held während sie auf diesen Piratenkapitän zugingen.
    „Dat is mien Vetter Frank. Villicht hett de ja wat vun de Esmeralda höört.“
    „Na meiner? Lange nich jesehen“, wurde Greg lächelnd von seinem Vetter begrüßt. „Hab schon jedacht, du wärst abjesoffen.“
    „Un ik heff dacht, dat se di ophangt harrn“, kam es liebevoll zurück.
    „Haha, ne, ich doch nich, aber du bist wirklich abjesoffen, oder? Habs jehört. Irjendwelche Paladine soll‘n deen Schiff kaputtjeschossen hab‘n, das du von Käpt’n Samson jeklaut hast.“
    „Gekapert, ik heff dat gekapert“, stellte Greg richtig.
    Frank rollte mit den Augen.
    „Denn eben jekapert, is doch Wurscht.“
    Er sah in die Gesichter von Gregs Mannschaft.
    „Hast ja viele Neue in‘ner Crew.“
    „Naja, nadem de Hälft vun de letzt Crew mit mien vörige Schipp ünnergahn is…“
    „Verstehe. Naja, die wern sich schon noch in dene Manschaft infüjen. Wird och Zeet, dass de ma widder von dich reden machst. Im Moment is deen Ruf nich so besonders hier. Ronja hat überall herumjelabert, dass sie euch windelweich jeprügelt hätte.“
    „Se übertreibt. Wi hebbt en paar vun ihrer Mannschap ümbröcht. Bi uns is aver keen doodbleven.“
    „Aber es kommt eben druf an, was jelabert würd. Du hast dich hier zu lange nich mehr blicken lassen. Das is nich juut. Du musst von dich reden machen, sonst is deen Ruf im Eimor.“
    „Hör mal, hest du wat vun de Esmeralda höört? Is nich all to groot, dat Schipp“, wechselte Greg das Thema.
    „Wieso? Was is’n damit?“ fragte Frank und wurde hellhörig.
    Greg wollte nicht sofort mit der Sprache rausrücken.
    „Wenns was wert is un ich dir helfe, denn krieje ich doch bestimmt menen Anteil, whoar?“ bohrte Frank weiter.
    „Klar, kriggst du“, behauptete Greg, doch Frank kniff beide Augen zusammen.
    „Hört sich nich wirchlich vertrauenserweckend an. Du hast wohl verjessen, dass wir eene Familie sind. Wir müssen doch zusammenhalten! Ich du un wir beede.“
    „Weetst du nu woneem se is oder nich?“ kam es barsch von Greg zurück.
    „Hm….“, grummelte Frank und seine Augen verengten sich zu Schlitzen. „Wer wehß. Viellecht sach ichs dir, vielleecht och nich.“
    „He, wo weer dat jüst mit en Famielje?“
    „Schon, aber du schuldest mir noch Jold.“
    Greg grummelte, kramte dann drei große fette Goldsäcke aus seiner Tasche hervor und warf sie Frank zu.
    „Was soll’n das sinn? De Anzahlung oder wie oder was?“, fragte Frank und sah mit gespielter Beleidigung zu seinem Cousin. „Du schuldest mich fünftausend Joldstücke.“
    „He, mien nee‘e Mannschap freten mi de Hoore vun’n Kopp, de nee‘e Kanonen hebbt ook veel Gold köst, nich to vergeten all de Ausbeterungsarbeiten“, tat Greg mitleidig.
    Es half nicht, dass der Held leise gluckste, als die ach so teuren Kanonen zur Sprache kamen.
    „Ich nehm’s erstmoah. Wenn’de mehr Jold hast, weßt’e ja, wo de mich finden kannst.“
    Damit war das Gespräch aus Franks Sicht wohl erstmal beendet.
    „So Leude, jeh’mer erstmal een Saufen.“
    Seine Mannschaft grölte zufrieden los und der kleine Trupp zog davon.
    „In de gröttste Noot sünd alle Frünnen doot un nichema op de Famielje kann man sik verlaten. Allet Wolkenschieber un Glattsnacker, de nix zustande bringen. Eten, freten, supen, langsaam gahn un pupen, anneres könn de nich“, schimpfte Greg.
    „Wie wär‘s, wenn wir das Gold auftreiben? Dann erzählt Frank uns vielleicht was er über die Esmeralda weiß“, schlug der Held vor. „Ach ja, un wo wullst du dat her nehmen?“
    „Das Schiff von Ronja, der Piratenbraut liegt doch draußen vor Anker. Wär doch nur fair, wenn wir uns etwas Gold von ihr zurückholen“, sagte der Held verschmitzt.
    „Un wie willst du da maken? Willst du op dat Schipp lopen, allens kort un lütt slaan un denn dat Gold mitnehmen? Ook wenn dat hier de Pirateninsel is, wenns zu sehr kracht, denn mucken de annern Piratenkapitäne ook op“, gab Greg zu bedenken.
    „Ich hatte eher an eine Schleichmission gedacht“, verkündete der Held.
    „Hm…“, kam nur von Greg.
    Er sah den Helden lange an und sagte dann: „Na schön, aver du büst op di stellt. Wenn se di fangen, denn kenn ik di nich.“
    Der Held nickte, drehte sich um und lief das kurze Stück zum Hafen zurück. Die „Hosianna“ sah immer noch so hübsch aus wie früher. Rot, golden und besonders die protzige Gallionsfigur mit dem Löwen und der Schatztruhe stach deutlich zwischen den anderen Schiffen hervor. Das Schiff wurde gut bewacht, obwohl es nicht direkt am Kai lag, sondern draußen im Meer. Wer auf das Schiff wollte, musste mit einem Beiboot hinüberrudern, oder schwimmen. Vielleicht wollte Käpitän Ronja nicht viel kaufen und konnte es sich so leisten weiter weg zu ankern. Lange dachte der Held nicht nach. Er ging bis zu den Knien ins Wasser, verwandelte sich dann in einen myrtanischen Lurker und schwamm unerkannt zur „Hosianna“ hinüber. Dort krallte er sich mit seinen langen spitzen Lurkerkrallen in die Holzplanken und zog sich am Schiff hoch. Es war sehr anstrengend. Die dünnen Lurkerarme waren nicht sehr stark. Er kletterte bis zu einem Spalt, den wohl eine Kanone geschlagen hatte, zwängte sich dann hindurch und sah sich um. Er war in der Brig gelandet. Immerhin gab es keine Gefangenen, die ihn verraten könnten, aber das Gitter war geschlossen. Vielleicht war aber nicht abgeschlossen. Außerhalb des Schiffsgefängnisses lagerten Kisten und Fässer und auf der anderen Seite seines Sichtfelds führte eine Treppe von oben hinunter. Er konnte niemanden sehen, doch er hörte Stimmen.
    „Trödel nicht! Wenn der Käpt’n wiederkommt und die Arbeit ist nicht fertig, zieht sie uns das Fell über die Ohren.“
    „Haha, soll sie mal versuchen.“
    „Red keinen Scheiß! Mach jetzt endlich!“
    Der Held konzentrierte sich auf seinen Auftrag. Mit seinen langen Lurkerkrallen stieß er gegen das Metallgitter. Es war fest verschlossen und rührte sich nicht vom Fleck. Er schnaufte wütend. Die Stimmen kamen näher. Er hörte Schritte die Holztreppe hinunterkommen. Etwas schwappte. Es hörte sich nach etwas Zähflüssigem in einem Eimer an. Rasch verwandelte der Held sich zurück und verwandelte sich gleich darauf in eine Fleischwanze. So schnell ihn seine kleinen Beinchen trugen krabbelte er aus der Brig und hinter ein Wasserfass.
    „Wir hätten die Arbeit längst fertig, aber du musstest ja unbedingt Kartenspielen“, beschwerte sich eine tiefe Stimme, die er mit seinen Fleischwanzensinnen recht dumpf wahrnahm.
    Laute Schritte donnerten über den Holzboden.
    „He, du wolltest auch spielen. Außerdem hat es dich sicher nicht gestört mein Gold einzusacken“, beschwerte sich eine kratzige höhere Stimme.
    „Musst du halt nicht verlieren. Selbst Schuld“, kam es von der tiefen Stimme.
    Sie stritten sich weiter, doch der Held hörte nicht weiter zu, sondern verfolgte unnachgiebig seinen langen weiten Weg vom Wasserfass zur nächsten Tür. Es kam ihm wie ein langer Marsch vor, dabei waren es eigentlich nur ein paar Meter. Schon merkte er wie seine kleinen Beinchen erschöpft waren und eine Pause forderten. Doch der Held gab nicht nach. Eisern forderte er alles von seinem kleinen Fleischwanzenkörper ab und endlich hatte er es geschafft. Er hatte die nächste Tür erreicht, schlüpfte unten durch den Spalt und war in einem dunklen Raum angelangt. Sicher war die Tür verschlossen gewesen, denn wie der Held nach seiner Rückverwandlung und einem Lichtzauber deutlich sah, war er in der Schatzkammer gelandet. Kistenweise Gold lagerte hier, aber auch Rubine, Smaragde, Diamanten und Saphire. Es gab goldene Ketten, Kelche, Teller, Ohrringe, wertvolle Tücher, teure Gewürze, wertvolle Waffen, geschmückt mit Edelsteinen und Ornamenten. Der Held fackelte nicht lange und griff zu. Zuerst langte er nach den größeren Stücken, weil die sich bequemer in seine Tasche stecken ließen. Das Gold füllte er sich einerseits einfach in die Tasche, um es seinem eigenen Guthaben hinzuzufügen, verpackte einen großen Teil aber in Lederbeutel, damit es sich nicht mit seinem frei herumkullernden Gold vermischte und er es später bequem an Greg weitergeben könnte. Er machte sich keine Sorgen, dass plötzlich jemand hereinkommen würde. So wie er Ronja einschätzte wagte es niemand ihre Schatzkammer aufzubrechen, daher konnte er sich Zeit lassen. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte er endlich alle für ihn interessanten Truhen gelehrt und alles eingesteckt was frei herumstand. Die Gewürze und Tücher ließ er zurück. Er wusste nicht was er damit anfangen sollte.
    „He, was ist denn das für ein komisches Licht, das da unter dem Türspalt durchkommt?“ hörte der Held plötzlich eine Stimme.
    Er bemerkte Schritte, die ihm sagten, dass die beiden Piraten, die zu den Ausbesserungsarbeiten verdonnert wurden, nun näherkamen, um sich das magische Leuchten mal genauer anzusehen.
    „Sieht fast so aus, als wäre es der magische Lichtzauber vom Käpt‘n“, sagte der Mann mit der tiefen Stimme.
    „Aber die ist doch gar nicht an Bord, oder etwa doch?“ war die verunsicherte Stimme des anderen Piraten zu hören.
    „Eben! Hier ist was faul.“
    Sie kamen näher. Der Held wusste, dass er es nun vergessen konnte sich erneut zu verwandeln. Selbst wenn sie nicht wüssten, dass es keine normale Fleischwanze war, die durch den Spalt kroch, die Gefahr war zu groß, dass die Piraten ihn angriffen. Stattdessen setzte er den Schlösser öffnen Spruch der alten Adanos-Magie ein und öffnete ruckartig die Tür.
    Er hörte einen erstickten Schrei, dann einen Aufschlag an der Wand. Wie erhofft hatte er mit dem Öffnen die Tür gegen den Kopf des einen Piraten gerammt. Mit gezogenem Rapier stellte er sich dem zweiten Piraten, der zu überrumpelt war, um wirklich eine Gefahr zu sein. Er hatte sein Entermesser gerade erst gezogen, da schlitzte ihm der Held auch schon die Kehle auf. Der schwere Körper fiel zu Boden. Der Held tat einfach nur einen großen Schritt über den ausblutenden Körper und lief dann zu seinem Einstiegsloch. Es war verschlossen. Der Held holte daraufhin eine Kriegsaxt aus seiner Hosentasche und versetzte dem gerade erst ausgebesserten Planken derbe Schläge. Er musste sich beeilen, denn von oben hörte er lautes Rufen. Offenbar war jemand auf sein Tun hier unten aufmerksam geworden. Rasch steckte er seine Axt wieder ein und zwängte sich durch das entstandene Loch. Ohne zu zögern sprang er ins Meer hinunter und tauchte. Um nicht sofort gesehen zu werden blieb er zunächst unter der Oberfläche und tauchte erst auf, als ihm die Luft wegblieb. Zügig kraulte er zur Pirateninsel zurück und entstieg tropfnass dem Meer. Ohne auch nur kurz inne zu halten, suchte er sich einen Weg. Dabei begegnete er Bill, der sich mit einem Mann aus der Piratenbucht unterhielt.
    „He, hast du Greg gesehen?“ unterbrach der Held das Gespräch.
    „Nein. Was ist passiert?“
    „Wir waren bei Gregs Vetter Frank.“
    „Fetter Frank?“
    „Ja, sein Vetter Frank.“
    „Ich kenne keinen fetten Frank.“
    „Doch nicht fett. Sein Vetter. Sein Kuseng! Kusahn? Dings“, sagte der Held ungeduldig. „Jedenfalls schuldet Greg ihm noch Gold. Das will ich ihm nun bringen.“
    „Wo hast du denn das Gold her?“ fragte Bill verwundert.
    „Hab es gerade von Ronja geklaut.“
    Bill fielen fast die Augen raus.
    „Du hast was?“
    „Geklaut. Von Ronja.“
    „Ach du meinst, deren Crew gerade mit Beibooten zur Insel kommt?“
    Der Held sah sich zum Meer um, wo tatsächlich eine wütend brüllende Meute näher rückte. Er nickte abgeklärt und wandte sich zum Gehen.
    „Ich hab zu tun.“
    Bill sah ihm baff nach und beeilte sich dann ebenfalls fortzukommen. Zunächst schaffte es der Held Ronjas Crew im Gemenge abzuschütteln, doch es war nicht einfach Greg oder Frank zu finden. Erst in der siebten Kneipe hatte er Glück. Sie hieß „zum gefüllten Döbel“ und war gut besucht. Als er die Tür öffnete, flog ihm ein Trunkenbold entgegen, der vom Türsteher wohl eigentlich gegen die Tür geworfen werden sollte. So landete er aber draußen im Schlamm, wo er einfach reglos liegen blieb.
    Der Held entdeckte Kapitän Frank zusammen mit seiner Mannschaft an der Bar.
    „Reich noch einen Rum mit Kirschgeschmack!“ donnerte einer von Franks Männern.
    „Und für den kleinen einen mit Milch“, sagte Kapitän Frank.
    Seine Männer lachten schallend, als der Wirt dem kleinen Blondschopf ein kleines Glas zuschob.
    „He du“, sprach der Held Kapitän Frank an.
    Der wandte sich zu ihm um und kniff dann forschend die Augen zu Schlitzen zusammen.
    „Du bist doch eener von Gregs Crew, woahr?“
    „Genau. Ich bring das Gold, das er dir schuldet.“
    Frank’s linke Augenbraue hob sich.
    „Man globt‘s kohm.“
    Er klang überrascht. Vielleicht kam es nicht oft vor, dass Greg seine Schulden zurückzahlte. Der Held sagte nichts weiter, sondern holte einen Goldbeutel nach dem anderen aus seiner Hosentasche und knallte ihn vor Kapitän Frank auf die Theke.
    „Wo holst du denn das alles her, eh?“ fragte einer von Kapitän Franks Piraten.
    Der Held antwortete nicht auf seine Frage, sondern fragte seinerseits: „Sind damit die Schulden zurückgezahlt? Es sind genau Fünftausend Goldstücke.“
    Frank starrte perplex einen Moment nur auf all das Gold vor sich. Ein breites Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, dann bemerkte er die begehrlichen Blicke des Wirts hinter der Theke.
    „Glotz nich so mit denen Gluhren, das is meins, kapiert?“
    Doch nicht nur der Wirt hatte große Augen bekommen, auch die umstehenden Männer waren näher gerückt.
    „Ach, was soll’s, heute hab ich enen juten Tach. Jib eene Runde aus, Jerd“, rief Frank laut und knallte einen kleinen Beutel Gold auf den Tisch.
    Um ihn herum hob Jubel an. Der Wirt sackte das Gold rasch ein und beeilte sich Schnaps auszuschenken. Während sich die Piraten um ihn her besoffen, machten Kapitän Frank und sein Trupp, dass sie weg kamen. Der Held blieb an ihnen kleben wie die Seepocken am Kiel.
    „Was ist jetzt mit der Esmeralda? Was hast du von ihr gehört?“
    „Ich? Nüscht. Ich hab noch nie von dem Schiff jehört oder es jesehn“, kam es von Frank, der einfach geradeaus weiter ging, ohne den Helden anzusehen.
    „Aber du hast doch …“, fing der Held an.
    Kapitän Frank hob die Stimme: „Ich hab nie jesacht, dass ich was über de Esmeralda weß. Ich hab jesacht, dass ich VIELLECHT was weß.“
    Seine Männer lachten. Der Held knurrte. In ihm kochte es.
    „Sieh es als Lehrjeld. Sach deenem Käpt’n, dass ich ihm nächstes Mal widder unter dee Arme greefe, wenn er mene Hilfe braucht. Sene Schulden sind bezahlt. Wir sind quitt.“
    Der Held überlegte was er tun könnte. Er könnte Kapitän Frank und seine Männer angreifen, aber das wäre sehr gewagt, immerhin waren sie zu fünft und hier zwischen all den Leuten waren nicht die besten Kampfbedingungen. Außerdem wusste er nicht, ob Greg überhaupt wollen würde, dass er gegen seinen Vetter kämpfte. Er konnte nicht wirklich einschätzen, ob sich die beiden mochten, oder nicht. Er sah Kapitän Frank und seiner Mannschaft nach, die offenbar zurück zu ihrem Schiff wollten. Er wandte sich ab und suchte nach seinem Kapitän.
    Geändert von Eispfötchen (27.11.2022 um 17:28 Uhr)

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    Als der Held Greg fand, entfernte sich gerade ein anderer Piratenkapitän von ihm. Offenbar hatte Greg auch ihn gefragt, doch der wollte ihm wohl nicht helfen. Mit einem abschätzigen Blick hatte er Greg einfach stehen lassen. Ragnar schaute dem anderen Piratenkapitän wachsam nach und erst als der Held vor ihnen stand wandte er sein Interesse seinem Entertruppführer zu. Neben ihm waren auch noch Henry, Skip, Rolf, Mirko, Jürgen, Tim, Rüdiger und Nikolaos bei ihm.
    „Dor büst du ja. Un? Wo geiht dat?“ fragte Greg, dem anzuhören war, dass er nicht die beste Laune hatte.
    „Lief wie geschmiert. Deine Schulden bei deinem Vetter sind bezahlt. Hat gegrinst wie ein Kullerkeks.“
    „Un?“
    Der Held kratzte sich mit der rechten Hand im Genick.
    „Aber von der Esmeralda hat er nichts gehört oder gesehen. Er hat uns verarscht.“
    „Verdammich!“
    Greg ließ eine Schimpftirade los. Der Held sagte nichts, denn er merkte, dass der Kapitän das jetzt brauchte. Dann wurde Greg unnatürlich still. Er dachte offenbar scharf nach.
    „Weer op de Esmeralda würklich so veel Gold?“ fragte er dann.
    „Ja. Ich sagte doch, das Schiff wäre beinahe gekentert deswegen. So viel Gold hatte ich vorher noch nie gesehen. Tonnenweise Gold.“
    „Hm…“, machte Greg nur. „Is noch wat üver vun Ronjas Schatz?“
    „Natürlich. Hier“, sagte der Held und förderte mehrere Säcke Gold und etwas Geschmeide zutage.
    „Zeig dat doch nich so offen du dödel Döbel!“, schimpfte Greg und langte gleich nach dem Gold. „Woveel hest du darvun noch?“
    Der Held überschlug schnell das Gold, wobei er seinen eigenen Anteil herausrechnete.
    „Etwa zwei Dutzend Beutel, haufenweise wertvoller Krempel, Waffen, Kelche, Teller, solche Sachen eben.“
    „Hm… nu shall Jürgen mal wiesen, wat he kann. Mit dat letzt Gold muss ik euren Lohn utbetahlen un den Krempel bi de Moder vun Enricos betahlen.“
    „Wirklich? Hätte nicht gedacht, dass das Gold schon wieder alle ist“, sagte der Held verblüfft.
    „Darum geht’s. Et darf eenem nie jemand anmerken, dat man blank is“, verriet der Kapitän eines seiner Geheimnisse und wandte sich um, im festen Vertrauen darauf, dass sein bester Entertruppführer ihm folgen würde.
    Mit dem gestohlenen Gold wollten sie nun die Dinge kaufen, die Enricos Mutter nicht im Angebot hatte. Sie benötigten Ersatzseegel, Fässer, Pulver, Kanonen, Material zur Schiffsausbesserung, Essen und natürlich Alkohol. All das fanden sie auf dem Schwarzmarkt. Dort herrschte ein heiden Lärm und chaotisches Gewusel. Bereits vier Leute, die versucht hatten den Helden zu beklauen hatten volles Pfund aufs Maul bekommen. Nachdem er den letzten besonders eindrucksvoll zusammengeschlagen hatte, hielten die meisten anderen Piraten einen gebotenen Sicherheitsabstand zum Helden ein. Der Markt war voller Ware, die von einigen Mannschaften nicht mehr bei normalen Märkten verkauft werden konnte, weil die Piraten bereits zu bekannt waren. Sie suchten dann ein neues Schiff, oder verkauften ihre Beute mit großem Verlust hier auf dem Piratenmarkt. Es gab auch Händler, die Waren für den alltäglichen Bedarf verkauften und sie schrien sich immerfort die Lunge aus dem Hals, um die größtmögliche Aufmerksamkeit ihrer Kunden zu erringen:
    „Trossen, Leinen, Bändsel, bei mir gibt es alles!“
    „Klüversegel! Hier gibt es gute Klüversegel!“
    „Zwieback, guter Schiffszwieback, hält ein Leben lang.“
    „Bordbücher! Kauft neue oder bereits genutzte Bordbücher! Ganz wie ihr es braucht.“
    „Hosen, Hemden, Rüstungen, kaum getragen, gewaschen und geflickt, fast wie neu!“
    "Holzprothesen, hier gibt es maßgefertigte Holzprothesen. Gebisse, Holzaugen, Hände und Füße. Trete näher! Werde auch DU noch heute stolzer Besitzer eines furchteinflößenden Gruselfußes!"
    „Glitschinese, hier gibt es Glitschinese, das neue Erfolgsprodukt, besteht aus Zucker, Eiern, Sahne, Butter, Mehlschwitze und einer geheimen Zutat, hält alles, kann alles! Das Tau ist gerissen und lässt sich nicht mehr verknoten? Kein Problem. Einfach mit Glitschinese zusammenkleben und es hält und hält und hält. Ein Leck im Schiff? Glitschinese auftragen und ihr habt eure Ruhe! Ihr werdet von der Stadtwache verfolgt? Gießt einfach Glitschinese hinter euch auf die Pflastersteine und sie bleiben kleben! Ihr steckt in einer Flaute und der Proviant ist alle? Glitschinese könnt ihr sogar essen!“
    Nebenan schrie ein Verkäufer: „Darmverschluss? Kauft Schisstabs!“
    Das Geschrei und Gebrülle der Menschen war kaum auszuhalten. Jürgen tat sein Bestes, um seinen Kapitän von seinen Verhandlungskünsten zu überzeugen. Ihm war anzusehen, dass er mit den knallharten Verhandlungsstrategien der Leute hier zu kämpfen hatte, doch er gab nicht auf. Bald hatten sie allerhand Ausbesserungsmaterial, Proviant und Alkohol von Ronjas geklautem Gold eingekauft. Der Kapitän schickte nun Rolf, Mirko, Jürgen, Tim, Rüdiger und Nikolaos zur „Murietta“ zurück, um Ihre frisch eingekauften Waren abzuladen. Ihm blieben also noch Henry, Skip, Ragnar und der Held.
    Als sie den Markt verließen, stellte sich ein hochgeschossener Mann mit schwarzem Ziegenbart und böse blitzenden grauen Augen in den Weg. Er trug einen schnieken purpurnen Mantel, darunter ein schwarzes Hemd, graue Hosen und einen großen flachen schwarzen Hut, auf dem keck eine Pfauenfeder aufgesteckt war. Ein Goldgeschmückter Degen glänzte an seinem schwarzen Ledergürtel. Die sechs Männer um ihn her, sahen weniger elegant aus. So wie Greg legte offenbar auch ihr Kapitän wert auf eine einheitliche Kleidung. Nur trugen sie schwarze Hosen, weiße Hemden und blaue Jacken darüber. Als Waffen trugen sie Säbel, Rapiere, aber auch Breitschwerter und einer eine brutal aussehende Schiffsaxt. Sie beobachteten wachsam die Situation und hielten ihre Waffen griffbereit.
    „Sieh an wen das Meer an die Gestade der Pirateninsel gespült hat“, sagte der Purpur gekleidete Kapitän.
    Er hatte eine nasale Stimme, die einem das Gefühl gab, er blicke verächtlich auf einen herunter, so als wäre man eine kleine unbedeutende Meeresschnecke.
    „Harr mi dacht, dat so en Haubentaucher as du sück nich mehr vun de Pirateninsel weg traut“, kam es knurrig von Greg.
    Der Blick des anderen Kapitäns verfinsterte sich.
    „Hör auf von Dingen zu reden von denen du keine Ahnung hast! Inzwischen bin ich, Samson der schlimme Sünder, der mächtigste Pirat in diesen Gewässern. Niemand wagt es sich mit mir anzulegen und von dir kleinem Licht lasse ich mir schon gar nichts sagen. Kapitän Huk, Kapitän Schwarzbart, und Kapitän Strohhut segeln inzwischen unter meinem Kommando. Mit meiner Flotte können wir uns selbst mit adlokanischen Kriegsschiffen anlegen. Es ist eine Menge passiert, seitdem du das letzte Mal hier warst.“
    Er sah abschätzig auf Gregs abgenutzte Klamotten und seinen lädierten Hut.
    „Die Zeit hat ganz schön an dir genagt.“
    „Bi mi gifft dat ümmerhin wat to nagen, bi di reckt en eenzig harthaft Bitt.“
    Käpt’n Samson wandte den Kopf und wechselte das Thema.
    „Ich habe gehört du suchst ein Schiff mit dem Namen Esmeralda. Du wirst es hier nicht finden.“
    „As wenn du dat sehn harrst“, höhne Greg.
    „Das habe ich in der Tat“, sagte er purpurne Kapitän kalt. „Die Mannschaft hätte es nicht fertig gebracht die Pirateninsel anzulaufen. Hier hat sie daher keiner gesehen. Du bist umsonst hier. Warum suchst du dieses Schiff?“
    „Dat geiht di en fuchtigen Dreck an“, schnauzte Greg.
    „Charmant wie ein Oger, du hast dich kein Stück verändert“, spottete Kapitän Samson. „Nun, falls du es suchst, ich weiß, in welche Richtung es gefahren ist. In der Taverne zum Seeungeheuer in Goltien bin ich mit ihrem Kapitän ins Gespräch gekommen. Der Gute hat zu tief ins Glas geschaut. Sagte mir wo er hin wollte. Allerdings nicht warum. Ehrlich gesagt hielt ich ihr Schiff für keinen lohnenden Fang. Zu klein, die Mannschaft abgerissen und halb verhungert. Was soll es da schon Wertvolles geben?“
    Seine Stimme wurde leiser und lauernder und seine Augen verengten sich.
    „Uns geht et nich um de Ladung, sonnern um dat Schipp un de Manschop“, log Greg ohne rot zu werden. „Du hest en Flott, dat is ook uns Plaan.“
    „Ach, und warum glaubst du sollten sie sich unter dein Kommando stellen?“ fragte der andere Kapitän, der eine Lüge witterte.
    „De sünd ook ut Myrtana, aver se sünd noch unerfahren.“
    „Hm…, wenn du glaubst ich sage dir einfach wo sie hingefahren sind, dann hast du dich aber geschnitten. Ich habe nicht vergessen wie du mein letztes Schiff geraubt hast.“
    „Man mutt jüst op sien Saken oppassen. Dat wer temlich dumm vun di bloot veer Mann aftostellen, üm to wachten“, sagte Greg kalt.
    „Ich hoffe, du hast wenigstens gut auf sie achtgegeben?“ fragte Samson mit bemüht ruhiger Stimme.
    „Is gesunken. En Paladinschipp hett dat kaputtschott“, antwortete Greg ungerührt.
    Jede falsche Höflichkeit fiel nun von Kapitän Samson ab. Sein Gesicht war nun wutverzerrt. Seine zierlichen Fäuste zitterten. Auf ein unausgesprochenes Zeichen hin zogen seine Männer ihre Waffen und gleich darauf taten Gregs Männer es ihnen nach. Mit wilden Blicken funkelten sie sich gegenseitig an. Jede noch so kleine Bewegung wurde genau beobachtet.
    „Du bist lang genug über die Meere gesegelt, ich hoffe, das ist dir klar“, sagte Kapitän Samons und warf Greg einen vernichtenden Blick zu.
    „Pah, ik heff keene Angst vör di“, tönte Greg selbstbewusst.
    „Solltest du aber, wie gesagt, ich habe eine ganze Flotte, die dich und dein neues Schiff jagen und versenken wird.“
    „Wi heff et schon mit Riesenhaien, enem grooten Seepaladinschiff un acht Orklangbooten aufgenommen. Dor hebbt wi jo ni bang för.“
    Der Held sah kurz zu seinem Kapitän. Er kam nicht umhin ihm für seine Standfestigkeit Respekt zu zollen. Die „Murietta“ war nun zwar mit guten Kanonen ausgerüstet und voll besetzt, aber dennoch war es sehr gewagt sich mit gleich mehreren Feinden anlegen zu wollen. Der Held vermutete einen Bluff und Kapitän Samson sah das wohl ebenso.
    „Hohles Geschwätz.“
    Er lächelte diabolisch.
    „Du kennst doch sicher das Ernährungsverhalten des Eingeweidefisches. Er dringt von hinten in die Seegurke ein und frisst ihre Eingeweide. Ein langsamer äußerst qualvoller Tod steht ihr bevor. Lass es mich so ausdrücken. Ich bin der Eingeweidefisch und du die Seegurke.“
    Greg ließ sich von solchen Tierhorrorgeschichten keine Angst einjagen.
    „Tjoa, dar hest du nur eens vergeten. Seegurken hebbt veer Kalktähne an‘n Moors, mit de se de Eingeweidefische töten kann.“
    Greg tat eine weit ausholende Armbewegung zu seinen Mitstreitern.
    „Darf ik vörstellen: Mien veer Kalktähne un vör dissenTehn hier sullst du sünners vörsehn. Gibt nix wat er nich töten kann.“
    Bei diesen prahlerischen Worten zeigte der Piratenkapitän auf den Helden, der immer noch mit gezogenem Rapier dastand, jederzeit bereit anzugreifen. Der Held, sah so wie die anderen von der Crew, verblüfft zu Greg, der sie ja schon als vieles bezeichnet hatte, aber noch nie als Zähne an seinem Hintern.
    „Was denkst du von mir? Ich werde dich doch nicht hier und jetzt töten. Nein, du hast meine kleine Geschichte wohl missverstanden. Du hast gar keine andere Wahl als dich von mir auffressen zu lassen. Die anderen Piratenkapitäne haben den Respekt vor dir verloren. Du warst zu lange weg und das letzte was wir von dir hörten spricht nicht gerade für deinen Erfolg. Mein Schiff, das du mir geklaut hast, hast du versenken lassen. Ronja hat dich geentert. Von großen Raubzügen oder ruhmreichen Abenteuern ist da jedenfalls nichts zu hören. Sieh es ein Greg! Du bist ein sinkendes Wrack. Niemand, der noch was auf sich hält, will noch etwas mit dir zu tun haben. Wenn du die Esmeralda suchst, musst du dich an mich wenden. Niemand sonst weiß wo sie ist, oder würde es dir sagen, das schwöre ich dir. Sie ist ein kleines unbedeutendes Schiff. Selbst wenn sie jemand gesehen hat, wäre sie schnell vergessen. Anders als du bin ich ein Ehrenmann, ich gebe dir noch eine Chance Greg. Wenn du einen Auftrag für mich erledigst, dann werde ich dir sagen wo sie ist.“
    Greg sagte nichts. Sein Gesicht war wutverzerrt. Er wusste, hier ging es um Rache.
    „Nun, überleg es dir. Kannst dich gerne davon überzeugen. Niemand hier hat die Esmeralda gesehen.“
    Mit diesen Worten wandte sich Kapitän Samson von ihm ab und er und seine Männer ließen Greg und die anderen stehen. Der Held sah ihm nach, während er vor sich hin grübelte. Er hätte nicht gedacht, dass es so schwer werden würde die „Esmeralda“ zu finden. Natürlich, sie war ein Schiff auf dem großen weiten Meer, doch war er davon ausgegangen, dass sie jemand gesehen hätte. Sie musste doch an irgendwelchen Häfen angelegt haben. Er hatte es für Zufall gehalten, dass sie immer an anderen Häfen gelandet waren, als die „Esmeralda“, doch Kapitän Samson hatte ihn auf etwas anderes hingewiesen. Die Leute, die er mit seinen Fragen gelöchert hatte, vergaßen vermutlich einfach, dass die Esmeralda am Hafen angelandet war. Also selbst wenn sie jemand gesehen hatte, so hieß das nicht, dass sie sich auch an sie erinnerten. Die „Esmeralda“ war nur ein Schiff unter vielen und verglichen mit so manchem anderen stach sie nicht gerade mit besonderer Schönheit hervor. Wer jeden Tag Schiffe am Hafen anlegen und fortsegeln sah, kümmerte sich irgendwann nicht mehr darum. Es war nicht wie in Khorinis wo das eintreffen eines Schiffes ein bedeutendes Ereignis war.
    „Höör op to dröömen du Drömel!“ wies ihn Greg zurecht. „Deel jo op un versöök mehr över de Esmeralda ruttofinnen!“
    „Aber dieser Kapitän Samson hat doch gesagt …“, kam es von Ragnar.
    „Ik geev nich veel op dat wat düsse Babbelhans vertellt. De will uns bloot uns Fang wegnehmen.“
    „Komischer Vogel“, bemerkte der Held.
    „Kannst du luud seegen. Speelt sik ümmer op as de König vun Ogathka. Dorbi is he bloot een unehelicher Neffe. Wi ook ümmer. Ohren apenhollen Männer. Een anners wüss woll ok noch wat vun de Esmeralda weten.“
    „Vielleicht richten wir mit unserem Herumgefrage aber noch größeren Schaden an“, gab der Held zu bedenken. „Wenn wir so unbedingt wissen wollen wo die Esmeralda ist, dann können sich die anderen Piraten sicher denken, dass die Esmeralda wertvoll ist. Wer dann schon weiß wo sie ist wird dann im Vorteil sein. Wir züchten uns damit unsere eigene Konkurrenz heran.“
    Greg grummelte. Er sah das wohl auch so, wollte seinem Entertruppführer aber nicht offen Recht geben.
    „Deswegen mööt ji verswiegen vörgahn. Vertellt nich, wat se laadt hett. Do so, as wenn bloot en paar alen Frünnen an Boord sünd, de wi söken. Seggt vun mi ut, wi wüllt en grooten Roovtog mit jem tosamen maken. So wat. Aver bi allen Göttern seggt nix vun dat Gold.“
    „Wir sind doch nicht blöde“, kam es von Skip.
    „Goot. Na denn los!“ befahl ihr Kapitän.
    „Ich halte es für keine gute Idee dich allein herumlaufen zu lassen“, sagte Ragnar ungeschickt.
    Daraufhin warf Greg ihm einen finsteren Blick zu und brüllte wütend: „Glöövst du, ik bün en lütten Büddelshieter, de nich op sik sülvst oppassen kann? Ik kann verdoomt goot op mi sülvs oppassen!“
    Nachdem Greg ihm derart den Kopf gewaschen hatte, wurde Ragnar ganz klein, oder er versuchte zumindest sich klein zu machen, was furchtbar ulkig aussah.
    „Ich dachte nur, weil Kapitän Samson gesagt hatte, dass er und seine Leute es nun auf dich abgesehen haben“, sagte Ragnar kleinlaut.
    „Nicht zu vergessen Ronjas Männer“, sprang der Held ihm bei.
    Ragnar warf ihm einen dankbaren Blick zu.
    „Hm… na goot, wenn du di denn beter föhlst, denn kaam eben mit mi mit“, knurrte Greg, so als täte er Ragnar einen persönlichen Gefallen, wenn der große starke Kerl ihn begleiten durfte.
    Die anderen teilten sich auf. Der Held begann nicht mehr wie üblich jeden dahergelaufenen Kerl anzureden, diesmal ging er mit mehr Bedacht vor. Um nicht unvorhergesehen mit Ronjas Crew aneinanderzugeraten behielt er seine Umgebung stets im Überblick. Nach enttäuschend vielen Nieten hatte er endlich Glück.
    „Esmeralda, Esmeralda … hm… kommt mir bekannt vor“, sagte ein ziemlich zerlumpt aussehender hagerer schwarzhaariger Pirat, mit einer schrecklichen Narbe quer über dem Gesicht, einer Augenklappe und großen Zahnlücken.
    Seine Stimme klang heiser, sein Blick war trüb, doch er wirkte wie jemand der etwas wusste, es aber nicht einfach so sagen wollte.
    „Vielleicht lockt etwas Gold ja deine Erinnerungen zurück“, sagte der Held und rückte einen schmalen Beutel mit fünfundzwanzig Goldstücken raus.
    „Ah, jetzt erinnere ich mich wieder. Als ich Ausguck im Krähennest hatte, da habe ich sie gesehen. Wir haben sie verfolgt, aber die Sturmfront ist viel größer und schwerer als die Esmeralda. Sie ist uns entwischt.“
    „Gut für meine Kumpels, schätze ich“, sagte der Held trocken.
    „Haben die denn irgendwas geladen?“ fragte sein Gesprächspartner lauernd.
    „Geladen? Die kommen aus Myrtana und sind vor dem Orkkrieg geflohen. Was glaubst du was es da gibt? Hunger und Tod“, sagte der Held, um ihm gleich den Zahn zu ziehen seinem Kapitän zu erzählen, dass die „Esmeralda“ vielleicht eine lohnenswerte Beute sein könnte. „In welche Richtung sind sie denn gesegelt?“
    „Sag ich dir nur, wenn du was für mich tust.“
    „Gold geben?“ riet der Held.
    Sein Gesprächspartner lachte kratzig, so dass zu sehen war, wie wenige Zähne ihm noch geblieben waren.
    „Ne, diesmal nicht. Geh zum Alchemisten Makarius und kauf von ihm einen Trank gegen Mundfäule. Ich will meine letzten Zähne nicht auch noch verlieren. Sein Laden heißt „Der brodelnde Kessel“. Du findest ihn, wenn du von hier aus links in die nächste Straße einbiegst und dann Richtung Hafen gehst.“
    „Warum gehst du nicht selbst?“ fragte der Held.
    „Ich hab Hausverbot.“
    „Verstehe. Na schön, aber wenn ich dir den Trank bringe, sagst du mir in welche Richtung die Esmeralda gefahren ist.“
    Der Schwarzhaarige nickte. Der Held drehte sich um und ging los. Den Weg hatte er schnell zurückgelegt, nur einmal ließ er sich rasch hinter einen Stapel Kisten fallen, als Ronjas Piratenbande vorüberzog. „Der brodelnde Kessel“ war ein kleiner, dunkler und schmuddeliger Laden. In den Regalen aus dunklem Holz standen allerhand Einmachgläser mit Kräutern, Wurzeln, Pilzen, Schlangen, Spinnen, Mäusen, Ratten, Fleischwanzen, abgetrennten Gliedmaßen und einem Bluthundeembryo. Auf der Theke lagen Hörner, Krallen und Zähne verschiedener Herkunft. In dünnen, durchsichtigen Phiolen glänzte rotes Blut.
    „Zeig mir deine Ware!“ forderte der Held, kaum, dass er vor dem Verkäufer stand.
    „Möchtest du etwas Bestimmtes haben?“ fragte der bleiche hagere glatzköpfige Mann mit den hohlen Wangen und den hervortretenden grünen Augen.
    Seine abgewetzte graue Kleidung war voller Brandlöcher und dunklen Flecken.
    „Ich hab gehört, du verkaufst Tränke gegen Mundfäule“, sagte der Held.
    Seine Worte ließen den Alchemisten stutzen. Er sah sich den Helden genauer an.
    „Der ist doch bestimmt nicht für dich, oder? Dein Gebiss sieht tadellos aus. Konsumierst viele Heiltränke nicht wahr?“
    „Genau“, sagte der Held leicht verwundert. „Hast offenbar einen Blick dafür.“
    „Bist wohl selbst ein Alchemist?“ fragte der Verkäufer neugierig.
    „Ich kann das Übliche zusammenmischen. Heiltränke, Manatränke und ein paar Stärketränke aus Drachenwurzeln, Goblinbeeren und Kronstöckl“, gab der Held Auskunft. „Kannst du mir noch etwas beibringen?“
    Makarius zog die Stirn kraus. Offenbar würde nicht jeder Alchemist die Herstellung von solch wertvollen Stärketränken als übliche Tränke bezeichnen.
    „Hm… offenbar hast du schon einiges gelernt. Ja, ich kann dir noch vieles zeigen, wenn du möchtest. Die Frage ist natürlich was du lernen möchtest. Zu lernen wie du einen Trank gegen Mundfäule braust, wäre für dich sicher nur Zeitverschwendung. Du siehst mir eher wie ein Abenteurer aus. Ich kann dir zeigen wie du tödliches Gift mischt, dass selbst mit einem einfachen alchemistischen Test nicht aufzuspüren ist.“
    Der Held konnte seine Klingen vergiften, doch es war etwas ganz anderes solch einen raffinierten Gifttrank herzustellen. Er überlegte, ob dieses Wissen für ihn nützlich wäre, immerhin tötete er seine Gegner meist sehr direkt. Der Held zuckte mit den Schultern und sagte dann: „Haben ist besser als brauchen.“
    Die dünnen Lippen des Alchemisten kräuselten sich.
    „Aber alles hat seinen Preis. Dieses Wissen ist sehr wertvoll. Ich habe es von meinem alten Lehrmeister aus Schwarzmoor. Dort ist es üblich seinem vorherigen Herrscher in Beliars Reich zu helfen. Um das Gift zu nutzen wird viel Gold bezahlt, denn es ist selten und noch seltener sind die Leute, die es mischen können. Nicht jedem wird erlaubt das Wissen zu lernen, doch du könntest einer der wenigen Glücklichen sein.“
    „Nun sag schon, was möchtest du dafür haben?“
    „Ich suche eine seltene Alge. Ich habe bisher nur in einem alten Alchemiebuch über sie gelesen, welches kürzlich in meinen Besitz wechselte“, sagte Makarius förmlich.
    „Das wird bestimmt nicht einfach irgendeine Alge sein, sondern eine ganz besondere, richtig?“ ahnte es der Held.
    „Exakt. Es handelt sich um die äußerst seltene steifborstige Armleuchteralge.“
    Der Held sah ihn verwundert an und sagte zuerst nichts, dann stieß er aus: „Du willst mich verarschen.“
    Der Alchemist runzelte die Stirn und bekräftigte: „Nein, diese Alge heißt wirklich so.“
    „Du willst mich verarschen“, wiederholte der Held.
    Der Alchemist seufzte. Es hörte sich an, als würde Luft durch eine dünne Glasphiole gepustet.
    „Die Alge wurde früher häufig für einen bestimmten Trank eingesetzt. Durch die Übernutzung sind kaum noch welche verblieben. Es wird nicht einfach sein sie zu finden. Und es darf nicht irgendeine Armleuchteralge sein, nein, es muss die Steifborstige Armleuchteralge sein.“
    „Wie sieht die denn aus?“ fragte der Held.
    Mit seinen dünnen Fingern griff der Alchemist unter die Ladentheke und zog ein altes fleckiges in braunes Leder gebundenes Buch hervor und schlug es an einer mit einem Pergament markierten Seite auf. Auf der Seite war ein gezeichnetes Bild einer langen dünnen Pflanze zu sehen. Der Held kannte Algen als kleines grünes schleimiges Zeug, doch diese Alge sah anders aus. Sie ähnelte mehr einem hellgrünen Unterwassergebüsch, hatte lange Stiele, von denen nach oben hin weitere abzweigten und kleine Fortsätze bildeten.
    „Wie du als fachkundiger Alchemist sicher schon erkannt hast, sind die Unterscheidungsmerkmale der steifborstigen Armleuchteralge die unverwechselbare Berindung und die besonders feine Beschaffenheit des Stipularkranzes unterhalb der Quirle.“
    „Ja, natürlich, ich sehe es“, sagte der Held, ganz so, als wüsste er von was der dürre Mann da sprach.
    „Die Steifborstige Armleuchteralge wächst in sauberem, kalkhaltigem Süßwasser und wird bis zu einen Meter lang. Sie sind zwar selten, aber wenn man sie antrifft, dann haben sie sich meist als großflächige Charawiese ausgebreitet. Trotzdem bleiben sie dem menschlichen Auge oft verborgen, denn da die Steifborstige Armleuchteralge kein luftgefülltes Gewebe hat, steigen abgerissene Sprossteile nicht zur Wasseroberfläche auf. Du musst also sehr gründlich suchen und wirst in viele Klarwasserseen hineinwaten und tauchen müssen. In diesem Buch steht leider nicht, ob sie einhäusig oder zweihäusig ist. Ich benötige aber sowohl Antheridien als auch Oogonien für meine Experimente. Achte also darauf, dass du beide Geschlechter einsammelst! Wenn du die Steifborstigen Armleuchteralgen erntest, solltest du darauf achten die Rhizoide glatt zu durchtrennen! Das ist schonender. Für den Transport solltest du sie in ein großes Fass mit einem Alkoholwassergemisch einlegen! Laut dem Buch verändert der Alkohol die Wirkweise der Alge nicht, was uns zupass kommt.“
    „Verstehe“, sagte der Held nur.
    Seine knappe Antwort ließ Makarius wohl glauben er wäre über alles voll im Bilde und bedurfte keiner weiteren Anleitung.
    „Gut, ich gebe dir zur zweifelsfreien Bestimmung noch das mit“, sagte Makarius und reichte ihm das Pergament, das er zwischen die Seiten gelegt hatte.
    Darauf war eine sehr genaue Kopie der Steifborstigen Armleuchteralge zu sehen.
    „Sehr schön. Ich freue mich, dass du diesen Auftrag übernimmst. Natürlich verstehe ich, wenn du einige Zeit für diesen Auftrag benötigst, immerhin ist diese Alge sehr selten. Ich wünsche dir viel Erfolg.“
    Der Alchemist strahlte zufrieden.
    „Gut, könnte ich dann auch den Trank gegen Mundfäule bekommen?“ kam der Held wieder zum ursprünglichen Thema zurück.
    „Ach ja, herrje, da sind wir aber ganz schön abgedriftet was?“ fragte der Alchemist und lachte heiter.
    Er wurde wieder ernst und seine Stirn furchte sich.
    „Nun sag mir doch aber warum du denn diesen Trank eigentlich benötigst?“
    „Ich brauche ihn nicht für mich.“
    „Aha, der ist doch bestimmt für Ivo. Der Kerl hat Hausverbot, seitdem er mir letztes mal in den Laden gebrochen hat.“
    Mit angewidertem Gesichtsausdruck blickte Makarius zur Stelle des Unglücks, wo nun nur noch ein nicht ganz verblasster Fleck vom Ereignis kündete.
    „Na gut, von mir aus. Soll er seinen Trank kriegen, der hat den nun wirklich nötig. Kostet sechzig Goldstücke.“
    „Ich kaufe auch noch die Heil- und Manatränke, die du hast“, fügte der Held hinzu.
    Wieder runzelte der Alchemist die Stirn und sah den Helden nun doch unsicher an.
    „Wenn du selbst ein Alchemist bist, wozu willst du dann diese Tränke kaufen?“
    „Ich bin derzeit viel mit dem Schiff unterwegs. Wir haben zwar ein Alchemielabor an Bord, aber es fehlt an den Zutaten.“
    „Logisch“, sagte Makarius offensichtlich beruhigt.
    „Wenn du gerade einen Engpass hast, dann kann ich auch mit vorrätigen Zutaten selbst brauen“, setzte der Held hinzu.
    „Nein, nein, kein Problem. Ich habe genug Tränke vorrätig. Spart für dich in der Zeit.“
    Mit abwesendem Blick holte der Alchemist körbeweise Mana und Heiltränke hervor und stellte sie auf die dunkle Theke. Die unterschiedliche Form der Gefäße gab Auskunft über den Inhalt. Der Held vermutete, dass Makarius immer noch darüber nachgrübelte, ob der Held wirklich ein Alchemist war. Vielleicht würde er seinen Auftrag zurückziehen. Um dies zu unterbinden sagte der Held: „Wir könnten Rezepte austauschen. Der Trank gegen Mundfäule könnte sehr praktisch auf dem Schiff sein. Tauscht du die Rezeptur gegen ein Haarwuchsmittel?“
    Der glatzköpfige Alchemist riss die Augen auf, doch dann tat er gleich wieder so, als wäre er nicht ganz erpicht darauf dieses Rezept in die dürren Finger zu bekommen.
    „Das hört sich nach einem fairen Tausch an“, sagte der Verkäufer, drehte sich um und langte hinter sich in ein Regal, in dem vereinzelt Bücher standen, nach einem besonders schmuddeligen und daher wahrscheinlich viel genutzten Exemplar. Zuerst ließ der Held den Alchemisten das Haarwuchsmittel abschreiben, dann schlug dieser die Seite mit dem Antimundfaultrank auf. Nun war der Alchemist sichtlich zufrieden und gab dem Helden sogar noch einen kleinen Rabatt, den er nach eigener Auskunft nur Kollegen zukommen ließ. Offenbar hatte der Händler nicht erwartet, dass der Held seinen gesamten Bestand leer kaufen würde. Durch den Raubzug auf der „Hosianna“ hatte der Held mehr als genug Gold, um Makarius zu bezahlen. Verblüfft gaffend sah der Alchemist dabei zu wie ein Trank nach dem anderen in der Hosentasche des Helden verschwand. Äußerst zufrieden verließ der Held den Laden und kehrte zu Ivo zurück. Der war zwar noch dort wo er ihn zurückgelassen hatte, lag allerdings mit aufgeschlitztem Bauch im Schlamm.
    „Verdammt“, fluchte der Held.
    Er sah sich Ivo genauer an. Der Mann sah nicht so aus, als wäre er in einen Kampf verwickelt gewesen. Vermutlich hatte er seinen Angreifer also gekannt. War es einer von Kapitän Samsons Männern gewesen? Hatte jemand belauscht wie Ivo ihm gesagt hatte, er könne ihm erzählen in welche Richtung die „Esmeralda“ gesegelt war?
    Geändert von Eispfötchen (27.11.2022 um 17:27 Uhr)

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    Auf der Suche nach Greg streifte der Held durch die nächtlichen von schummrigen Laternen beleuchteten Straßen. Glücklicherweise musste er nicht lange suchen. Er lief fast in ihn hinein, als der Piratenkapitän gerade aus der Taverne „Zum Stinkstiefel“ kam. Ragnar stand hinter ihm wie ein großer stummer Leibwächter.
    „Hest du een funnen, de wat to Esmeralda seggen kann?“ wollte Greg gleich wissen.
    „Ja“, sagte der Held knapp.
    „Goot.“
    „Aber er wollte mir nur etwas sagen, wenn ich für ihn einen kleinen Auftrag erledige und als ich zurückkam, fand ich ihn ausblutend auf der Straße liegend.“
    „Verdammt!“
    „Ich vermute einer von Kapitän Samsons Männern hat ihn getötet.“
    „Dat glööv ik ook“, sagte Greg und fuhr sich nachdenklich durch den stoppeligen schwarzen Bart. „Dat verklort denn ok, worüm mir niemand wat seggt hett. Ik heff mit veelen Piraaten snackt. De meesten haarn keen Ahnung darvun, aver vun eenig harr ik dat Geföhl, dat se wat weten, woll dat mi aver nich seggen. Ik heff dat mit goot Zureden versöcht, hett an ole Gefallen erinnert, ik heff dat mit Bestechung versöcht, nix half. Se hebbt de Büx vull.“
    „Wenn sie vor uns noch mehr Angst haben als vor Kapitän Samson, dann rücken sie vielleicht mit der Sprache raus“, sagte der Held abgeklärt.
    „Hm…“, kam es von Greg. „Ook wenn ik to Samson wat anners seggt heff, könnt wi uns nich gegen em un sien Flott entgegenstellen. Verzwickte Situatschoon.“
    Greg wurde still. Sein Blick glitt gedankenverloren zu Boden.
    „Segg mal wie büst du eegentlich an Ronjas Schatz gekommen?“
    „Bin zuerst als Lurker zu ihrem Schiff geschwommen, dann am Rumpf hochgeklettert und hab mich durch ein Loch gezwängt. Innen habe ich mich in eine Fleischwanze verwandelt und konnte so unter der verschlossenen Tür der Schatzkammer hindurchschlüpfen.“
    „Höört sik eenfach an, praktisch düsse Magie, wird uns noch oft nützlich sien“, sagte Greg.
    Die Art wie er sprach ließ den Helden vermuten, dass er mit den Gedanken woanders war.
    „Sollen wir wieder aufbrechen und auf eigene Faust nach der Esmeralda suchen?“ fragte der Held, der nicht gerne untätig blieb.
    „Dat wird schwierig. Se kunn överall sien. Wi mööt tomindst de grobe Himmelsrichtung weten, in de se föhrt sünd, ans finnen wi ehr nie nich. Un dat is nich bloot dat, ook wenn wi ehr finnen, möt wi denn dat Gold gegen all de annern Piraaten verteidigen, de uns an’n Heck hangen. Ronja hett uns schon mal geentert. Se wird et sicher weer versöken un de anner‘n Piraatenkäpitäne wern dat ook doon. Toletzt hebbt wi bloot en paar Schatzkisten verloren, aver wenn de Schatz wirklich so groot is as du seggst, weer dat würklich een Malör den to verleren.“
    „Das wird uns nicht noch einmal passieren!“ sagte der Held selbstbewusst.
    „Un dat seggst du jetzt eenfach mal Kraft diener Watersuppe, ja? Du kunnst dat toletzt nich afwennen, dat kann wedder passeern. Du büsst een gooter Kämpfer, aver du kannst nich ümmer överall sein. Un bi Seeslachten un Enterkämpfen kommt et darauf an, dat de ganze Crew goot zusammenarbeitet.“
    „Wir haben im Kampf gegen die Orks doch bewiesen, dass wir das können“, entgegnete der Held.
    Greg sah misstrauisch zu einigen Piraten hinüber, die an ihnen vorbei gingen und sagte dann: „Richtig. Wäre goot, wenn wi so eene Glanzleistung wedderholen köönt. Wi hebbt nu aver en nee tosamensett Crew. Is nich seggt, dat all nu ook so goot zusammenarbeiten könnt. Un wenn Kapitän Samson mit siener Flott kommt, sünd wi verratzt. Nee, nee, wi mööt uns Respekt verschaffen. De anneren Piraaten dürfen dat nich wagen uns antogriepen, se dürfen gar nich eerst op de Idee kamen.“
    Immer noch wirkte Greg sehr nachdenklich. Mit zerfurchter Stirn und starrem Blick stierte er einen Moment einfach nur am Helden vorbei, dann nickte er, so als legte er in seinem Kopf eine wichtige Entscheidung fest.
    „Nützt ja nix“, murmelte Greg mehr zu sich selbst, als zum Helden.
    Er wandte sich um und wollte gehen. Ragnar folgte wie ein großer stummer Schatten.
    „He, was ist der Plan?“ fragte der Held und lief neben ihm her.
    „Lat dat ma miene Sorge sien. Ik mutt da eerst wat ausbaldowern“, gab Greg zurück. „Kümmere dich erstmal um dienen Kram! Wi treffen uns morgen früh wedder beim Schipp.“
    Der Held nickte, tauschte mit Ragnar noch einen bedeutenden Blick und ging dann wieder eigene Wege. Zügig lief der Held weiter durch die geschäftigen Straßen der Stadt, immer darauf bedacht nicht in Ronjas Leute hineinzulaufen, doch dann blieb er plötzlich überrascht stehen und sah genauer hin. War das wirklich Alejandro, der da vor dem Bordell „Scharfe Schnitten“ stand? Ja, kein Zweifel. Der Held änderte seinen Kurs und ging auf Alejandro zu. Der Junge sah sehr verschämt aus. Mit hochrotem Kopf und gesenktem Blick stand er da. Die aufgetakelte Dirne vor ihm sah ihn belustigt an.
    „Dich hatte ich hier nicht erwartet“, sagte der Held, als er neben dem Leichtmatrosen anhielt.
    Alejandro zuckte zusammen und sah erschrocken zu seinem plötzlich aufgetauchten Entertruppführer.
    „Das … das war auch nicht meine Schuld. Ich meine … ich hab das nicht geplant … äh … gewollt … gedacht, ich … ähm…“, stammelte Alejandro durcheinander.
    Der Held zog eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts.
    „Es war Morgans Idee. Er hat mich hierher geschleift und gesagt, es wäre Zeit, dass ich zum Mann werde.“
    Seine Ohren glühten rot.
    „Wo ist Morgan?“ wollte der Held wissen.
    „Da drin“, sagte Alejandro und nickte mit dem Kopf Richtung Bordell.
    „Wird das heute noch was? Ich gebe ja zu, dass es irgendwie putzig ist dir zuzuhören Kleiner, aber davon kann ich mir und meiner Familie auch nichts zu essen kaufen“, mischte sich die Dirne im roten kurzen Kleidchen ein.
    Sie warf ihre langen schwarzen Haare nach hinten und schaute skeptisch auf die beiden Männer vor sich.
    „Ich will ja gar nicht“, brach es aus Alejandro heraus.
    „Warum gehst du dann nicht einfach?“, fragte der Held.
    „Der Kapitän hat doch gesagt wir sollen uns nach der Esmeralda umhören“, sagte Alejandro und der Held wusste nicht, ob das eine Ausrede sein sollte, oder nicht.
    „Hier arbeitet keine, die so heißt“, sagte die Frau knapp. „Ich bin übrigens Concordia, schön, dass ihr gefragt habt.“
    „Ganz schön bissig“, spottete der Held und lächelte schief.
    „Du wärst auch bissig, wenn du jeden Tag ein Dutzend Freier über dich drüber rutschen lassen müsstet, um deine Familie ernähren zu können.“
    „Wenn‘s dir nicht passt, warum machst du dann nicht was anderes?“ fragte der Held.
    „Pah! Um was verkaufen zu können, müsste man erstmal etwas zum Verkaufen haben. Die Frauen am Markt haben Männer, die ein Geschäft haben, die haben es gut. Ich hab mir das hier jedenfalls nicht ausgesucht“, kam es düster von Concordia, die offenbar nun, da sie einmal angefangen hatte zu Sprechen einen starken Redebedarf entwickelte. „Ich wurde als Mädchen hierher verschleppt und dazu gezwungen hier zu arbeiten. Ich gehöre sozusagen Notker, dem widerlichen Kerl, dem dieser heruntergekommene Schuppen gehört.“
    „Sind alle … Frauen, die hier arbeiten etwa Sklaven?“ fragte Alejandro alarmiert und bekam große Augen.
    „Nein, das nicht. Manche sind von sich aus gekommen, aber wirklich freiwillig arbeitet hier keiner. Wer würde das auch schon wollen? Nein. Jeder hat eben seine Geschichte und ganz typisch geht die so: Ein junges Mädel war zu naiv und glaubte ihrem ach so tollen Geliebten den Schwachsinn, den er ihr ins Ohr flötete. Sie stiegen in die Kiste und hatten jede Menge Spaß. Dann legte er mit seinem Schiff ab und war verschwunden und sie saß dann neun Monate später mit einem Säugling da. Und dann? Wovon soll das Kind ernährt werden? Die eigenen Eltern helfen manchmal aus, aber viele wollen oder können sich diese weitere Last auch nicht ans Bein binden, wenn sie selbst in Not sind. Und wer hier anfängt zu arbeiten kann drauf wetten das bald das nächste Kind im Anmarsch ist.“
    „Und die Väter kümmern sich gar nicht?“ fragte Alejandro betroffen.
    Concordia lachte schrill.
    „Viele nicht. Manche schon. Das ist ganz unterschiedlich. Wobei sich drum kümmern in den meisten Fällen einfach nur bedeutet, sie kommen alle Jubeljahre mal vorbei, um die Mutter erneut flach zu legen und ihr etwas Gold zuzustecken.“
    „Das hört sich alles so wahllos an. Als wäre es egal mit wem man …“, sagte Alejandro beendete aber den Satz nicht.
    Concordia lächelte zuckersüß, beugte sich vor und kniff Alejandro in die Wange.
    „Ach du bist so putzig. Richtig erfrischend.“
    „Können wir zum Thema zurückkommen?“ fragte der Held ungeduldig.
    Concordia seufzte und fragte wenig begeistert: „Also wer will von euch, oder wollt ihr beide zusammen mit mir ins Abenteuer starten?“
    Alejandros Augen quollen zutiefst erschrocken hervor und er sah fast schon panisch zu seinem Entertruppfrüher. Der Held verzog dagegen keine Miene und stellte richtig: „Nein, es geht um die Auskunft. Die Esmeralda ist keine Frau, sondern ein Schiff. Vielleicht hast du ja von ihr gehört? Ich glaub es zwar nicht, denn so wie du gesagt hast, kommst du nicht viel herum, aber man weiß ja nie.“
    „Nein, weiß ich nichts von. Manchmal erzählen die Männer von welchem Schiff sie kommen, meist wenn sie über ihre Arbeit jammern, wie viel schlimmer als meine kann die schon sein? Ich würde lieber das Deck schrubben, als jemanden den …“
    „Also hast du nichts gesehen“, unterbrach Alejandro sie eilig.
    Doch nun da Concordia einmal in Fahrt war, hörte sie gar nicht mehr auf zu reden.
    „Ihr glaubt gar nicht wie viele Krankheiten hier im Umlauf sind. Das interessiert die Männer natürlich auch nicht. Ist ihnen wohl egal.“
    „Krankheiten?“ fragte Alejandro bang.
    „Naja Krätze, Syphilis, solche Sachen, hast du davon echt noch nicht gehört?“ fragte die Dirne verwundert. „Wir müssen unser Geld regelmäßig für Heiltränke ausgeben, denn wenn es zu schlimm wird, setzt Notker uns auf die Straße, wir verdienen kein Geld, können somit auch keinen Heiltrank mehr kaufen und gehen langsam an den Krankheiten zu Grunde. Unsere Kinder müssen dann ohne Mütter aufwachsen, aber interessiert das irgendwen?“
    Der Held fand, dass sie nun geradezu hysterisch klang.
    „Bist du denn krank?“ fragte Alejandro besorgt.
    „Ja, sieh mal hier“, sagte Concordia, beugte sich vor und öffnete ihren Mund.
    Alejandro und der Held wollten es eigentlich gar nicht so genau wissen.
    „Wir glauben dir auch so“, sagte der Held, damit sie aufhörte ihren Mund aufzureißen und auf eine eiternde Schwellung zu zeigen.
    „Im Moment kann ich mir noch keinen Heiltrank leisten.“
    Alejandro, dessen Gesichtsfarbe recht schnell von rot zu kalkweiß gewechselt war, nahm die Hand vom Gesicht und schlug vor: „Wir könnten dich mit Magie heilen.“
    „Das kostet aber“, fügte der Held schnell hinzu.
    „Nein, das kostet nichts“, sagte Alejandro erstaunlich vehement. „Was glaubst du passiert, wenn sich mehr Leute anstecken? Dann breiten sich die Krankheiten immer weiter aus. Eigentlich müsste es hier auf der Insel jemanden geben, der sich um kranke und verletzte Leute kümmert.“
    Concordia hatte ihren Mund wieder geschlossen und sah ihn überrascht an.
    „Ist das etwa in anderen Städten normal?“
    „Es sollte normal sein“, sagte Alejandro nachdrücklich.
    Er hatte sich da offenbar in etwas reingesteigert.
    „Wir Magier sollten den Menschen helfen, auch ohne Bezahlung.“
    „Na dann, du selbstloser Magier, mach mal!“
    Der Held machte eine auffordernde Handbewegung in Richtung der Dirne. Alejandro straffte sich, griff in seine Tasche und holte die leichte Wunden heilen Rune hervor. Nachdem er sie auf seine rechte Hand gelegt hatte, konzentrierte er sich und sie fing an zu leuchten und leicht in der Luft zu schweben. Die verblüffte Concordia wurde einen kurzen Moment in helles Licht getaucht.
    „Wahnsinn. Du bist echt ein Magier?“ fragte sie fassungslos.
    „Ich lerne noch. Er ist mein Mentor“, gab Alejandro bereitwillig Auskunft und zeigte auf den Helden, dem die Offenheit des Jungen nicht gefiel.
    Neugierig tastete die Dirne in ihrem Mund herum.
    „Es ist weg“, nuschelte sie überrascht.
    „Aber ich bin mir nicht sicher, ob du jetzt wirklich gesund bist“, sagte Alejandro nachdenklich.
    Concordia sah ihn verwundert an.
    „Ich sagte doch, das Eitergeschwür ist weg, also muss ich doch gesund sein, oder?“
    „Ich weiß nicht. Genau genommen ist es ein Zauber zur Wundheilung. Kann also sein, dass die Wunde zwar geschlossen ist, die Krankheit aber noch da ist“, sagte Alejandro nachdenklich. „Um sicher zu gehen, müsste ich einen Zauber anwenden, der Krankheiten heilt, aber das kann ich nicht.“
    Er sah den Helden an.
    „Aber du kannst es.“
    „Und warum sollte ich das tun?“ fragte der Held.
    „Weil es das Richtige ist“, kam es eifrig von Alejandro zurück.
    Der Held seufzte.
    „Na schön, von mir aus.“
    Es dauerte nur einen Moment und der alte Zauber war gesprochen.
    „Jetzt fühle ich mich noch viel besser, danke“, sagte Concordia und kramte in ihren Taschen nach Münzen.
    „Behalt das Gold!“, sagte Alejandro sofort. „Du und deine Kinder brauchen es mehr.“
    Concordia legte den Kopf schräg und lächelte wieder ihr einnehmendes Lächeln.
    „Ach du bist so süß.“
    „Können wir dann endlich gehen?“ fragte der Held, der keinen Sinn darin sah noch länger hier herumzustehen.
    Alejandro nickte und folgte seinem Entertruppführer, als der loslief.
    „Und? Hast du was gelernt?“ fragte der Held in der Hoffnung, dass das magische Training zu Etwas gut war.
    „Ja“, sagte Alejandro und wurde wieder leicht blass. „Solche Bordelle sind Brutstätten für Krankheiten und wenn ich dran denke wie wahllos die Leute miteinander …“, er unterbrach sich. „Dann will ich niemals … jemandem wirklich nah sein.“
    Der Held lachte.
    „Das siehst du vielleicht im Moment so …“
    „Ich kann nicht fassen, dass alle Leute hier dieses Elend täglich vor der Nase haben und nichts dagegen unternehmen. Wieso wird überhaupt zugelassen, dass jemand so leben muss?“ fragte Alejandro anklagend.
    „Das Leben ist hart und unfair. Gewöhn dich dran“, sagte der Held kalt. „Dir ist doch klar, dass wir nicht wirklich etwas bewirkt haben, oder? Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie sich wieder bei irgendwem ansteckt. Und viele der anderen Frauen sind bestimmt auch krank.“
    „Aber die haben doch keine Wahl!“, gab Alejandro zurück.
    Der Held fand, dass der Junge heute sehr selbstbewusst war. Er glaubte daran helfen zu können, etwas Gutes zu bewirken und trat für die Sache ein. Das wollte er ihm nicht zerstören, aber er wollte auch, dass er nicht in einer Traumwelt lebte, sondern mit der harten Realität umgehen konnte.
    „Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Man kann sich mit seiner Situation abfinden, oder man tut etwas dagegen. Sie könnte zum Beispiel abhauen und sich woanders ein neues Leben aufbauen.“
    „Und was wäre mit ihren Kindern?“ fragte Alejandro, den die Worte des Helden nicht überzeugten.
    „Wenn sie denn überhaupt welche hat. Sie könnte auch gelogen haben.“
    „Und was wenn nicht? Soll sie ihre Kinder dann einfach im Stich lassen, oder was?“
    Alejandros Stimme war immer lauter und kräftiger geworden.
    „Das wäre dann ihre Entscheidung“, sagte der Held hart.
    „Das ist grausam.“
    Der Held sagte nichts weiter dazu, denn er fand, dass alles zum Thema gesagt war. Stumm liefen sie nebeneinanderher, bis sie die letzten Häuser der Stadt hinter sich ließen und an einem kleinen seichten Süßwassersee vorbeiliefen. Es war ein lauschiges Plätzchen. Zwischen ausladenden Schwarzerlen und alten Feldulmen gab es eine enge freie Stelle wo kein Schilf wuchs. Der Held wollte nachsehen, ob er hier die steifborstige Armleuchteralge finden konnte.
    „Ist das ein Adanosschrein?“ fragte Alejandro und lenkte die Aufmerksamkeit des Helden auf die andere Seite des Sees, zu einem schmalen kaum drei Meter hohen Wasserfall.
    Der Held reckte den Hals, um einen genaueren Überblick zu bekommen. Tatsächlich, zwischen einigen schroffen Felsen erblickte er einen blauen Adanosschrein. So einen hatte er noch nie gesehen. Er ähnelte stark den Innos und Beliarschreinen, die er kannte, nur dass er eben blau war und Adanos zeigte. Der Schrein war überraschend gut besucht, denn offenbar war es vielen Piraten wichtig einen guten Draht zum Gott des Wassers zu haben. Auch Brandon stand dort und redete angeregt mit einem älteren Mann.
    „Können wir dahin gehen?“ fragte Alejandro und blickte sehnsüchtig zum Schrein.
    „Mach doch. Ich hab hier noch etwas zu tun“, gab der Held knapp zurück.
    Nach einem scheuen Blick zum Helden ging Alejandro los, um sich den Schrein näher anzusehen. Der Held ließ den Jungen ziehen. Er hatte etwas anderes vor und watete in den See hinein. Dann schwamm er und tauchte zum Grund hinab. Er suchte sehr gründlich fand aber nichts, das so aussah wie auf der Zeichnung. Das wäre wohl auch zu einfach gewesen. Klitschnass stieg er aus dem Wasser und watete zum Ufer zurück.
    „Bei den Göttern, endlich habe ich dich gefunden“, hörte der Held die Stimme von Nikolaos, einem der Neuen aus seinem Trupp.
    Aufgelöst und pfeifend ein und ausatmend stand der ehemalige Muldenhauer, die Hände auf die Knie gestützt, am Ufer des Sees.
    „Was ist denn los?“ kam der Held schnell auf den Punkt.
    „Jurij kämpft in der Arena und es sieht nicht gut für ihn aus.“
    „Was denn für eine Arena?“ wollte der Held neugierig wissen.
    „Hast du wohl noch nicht gesehen? Weiter im Inselinneren gibt es eine kleine Arena. Wer gegen sieben andere Piraten gewinnt bekommt einen der Hauptpreise.“
    „Und was gibt es zu gewinnen?“ fragte der Held weiter.
    „Was weiß ich… sieh es dir doch selbst an. Mach schon, sonst ist Jurij tot.“
    „Na gut, ich komm mit, aber wenn Jurij meint, er möchte sein Glück versuchen, dann weiß ich nicht warum ich mich da einmischen soll.“
    „Vielleicht kannst du ihm irgendwie helfen. Immerhin bist du unser Entertruppführer“, sagte Nikolaos.
    Der Held hob eine Augenbraue. Offenbar fand Nikolaos, dass er als sein Entertruppführer eine besondere Fürsorgepflicht seinen Leuten gegenüber hatte. Das fand er etwas seltsam. Sicher wollte er vermeiden, dass seine Leute starben, doch sie waren erwachsene Menschen. Er wollte ihnen in ihrer Freizeit nicht vorschreiben was sie zu tun und zu lassen hatten.
    Sie verließen die Stadt, durchquerten ein Wäldchen und kamen bei einem uralten Amphitheater heraus. Es war offensichtlich, dass es schon wesentlich älter war als die Piratenstadt. Piraten aller Größen und jeden Alters drängten sich auf den Zuschauertribünen. Er sah Knaben krakeelen, die vielleicht neun, zehn oder elf Jahre alt waren, doch neben ihnen brüllten auch Piraten, die vermutlich schon fast sechzig Jahre alt waren und in ihrem Berufsstand damit als wahre Methusalems galten. In der Arena kämpften zwei Männer, wobei einer von ihnen der große breitschultrige kahlköpfige Jurij war.
    Sie hatten sich gerade erst durch die Menge gedrängt, als Nikolaos auch schon laut mit seiner heiseren Stimme rief: „Jurij, huhu, Jurij.“
    Jurij, der gerade mitten im Kampf war, ließ sich durch den Ruf kurzzeitig ablenken und wurde so vom Rapier seines Kontrahenten durchbohrt.
    „Oh“, kam es vielstimmig aus der Menge.
    Leute johlten auf, andere riefen etwas Undeutliches. Manche forderten von ihren Platznachbarn Gold, das sie wohl in einer Wette gewonnen hatten.
    „Nein!“ schrie Nikolaos.
    „Hast du ja ganz toll hinbekommen“, stellte der Held nüchtern fest.
    Bei den Zuschauern brach nun rege Aktivität aus. Viele verließen das Amphitheater, doch andere drängten hinein. An einer bröseligen Mauer stand ein dicker Pirat mit schwarzen dünnen Sachen und einer roten Schärpe. Er trug einen krausen schwarzen Bart und seine stechenden braunen Augen sahen wachsam auf die Männer um ihn herum. Mit seiner kräftigen Stimme rief er: „Diese Runde ist vorbei, aber die nächste beginnt bald. Vielleicht findet sich ja noch jemand, der es wagt in die Arena hinab zu steigen? Kommt zu mir, kommt zu Chakib. Bei drei Siegen winkt ein Trostpreis, ein kleiner Heiltrank, ab fünf Siegen kann man sich über eine dieser hervorragenden Waffen freuen und als Hauptgewinn mit sieben Siegen winkt heute entweder ein seltener und wertvoller magischer Kristall, oder dieser magische Ring der Stahlhaut.“
    Er zeigte auf die Preise, die hinter ihm auf einem massiven alten Tisch lagerten.
    Der Held wurde hellhörig und drängte sich zu Chakib durch.
    „He, du. Was ist denn das für ein magischer Kristall?“
    „Ein Kristall der Feuermagier“, tönte Chakib. „Sehr wertvoll.“
    „Was für ein Zauber steckt denn drin?“ bohrte der Held weiter.
    Der Arenakommentator zuckte mit den Schultern.
    „Ich weiß nicht. Ich bin nicht magisch begabt. Es könnte alles Mögliche sein. Lass dich doch einfach überraschen. Du bist neugierig, das sehe ich dir sofort an. Versuch doch dein Glück! Du siehst mir wie ein erfahrener und starker Kämpfer aus.“
    „Gut, ich mach mit“, entschied der Held trocken.
    „He!“ kam es von Nikolaos. „Ich hab dich hierhergeholt, damit du Jurij von hier wegholst, nicht damit du mitmachst.“
    „Mach dir keine Sorgen, ich hab schon in zahlreichen Arenen in Myrtana gekämpft“, sagte der Held kühl.
    „Oho, ein erfahrener Arenakämpfer also, ich muss dir noch sagen, dass keine Magie und keine verstärkenden Tränke erlaubt sind“, sagte Chakib und erhob die Stimme. „Alle mal hergehört, es gibt einen neuen Herausforderer aus Myrtana, der nach eigener Aussage schon in zahlreichen Arenakämpfen gewonnen hat. Wer will gegen ihn antreten?“
    Zunächst tat sich nichts. Im allgemeinen Palaver war es schwer herauszufinden, ob sie Chakib überhaupt zugehört hatten.
    „Endet ein Arenakampf immer mit dem Tod?“ fragte der Held.
    „Das fragst du jetzt, wo du schon zugesagt hast?“ fragte Nikolaos und konnte es gar nicht fassen.
    Auch Chakib musterte den Helden verblüfft.
    „Nein, nein, nicht zwingend. Wenn der Gegner aufgibt, dann reicht auch das. Er muss das aber klar sagen. Wer seine eigene Aufgabe bekundet, dies dann aber als Finte nutzt, um seinen Gegner zu töten, wird von Abtin und Arash dort zusammengefaltet.“
    Chakib deutete auf zwei riesige, sonnengebräunte, kräftige Kerle, die mit furchterregenden Zweihändern bewaffnet waren.
    „Gut zu wissen“, kommentierte der Held.
    „Hier, ich will gegen den Neuen kämpfen!“ rief ein Typ und drängte sich durch die Menge durch.
    „Na dann, runter in die Arena mit euch!“ rief Chakib und fügte laut brüllend hinzu: „Leute, tretet näher! Es gibt einen neuen Arenakampf. Platziert eure Wetten! Zur Auswahl stehen Emit der Skalpierer oder der neue aus Myrtana.“
    Der Held stellte sich umstandslos einfach recht mittig in die Arena und zückte sein Rapier. Sein Gegner dagegen machte eine große Show. Er stolzierte in die Arena, als wäre er der König der Pirateninsel, hob die Arme, wobei die Handflächen nach oben zeigten und badete im erwartungsvollen Brüllen der Menge.
    „He, du hast mich nicht richtig vorgestellt. Ich bin der berühmt und berüchtigte Emit von den südlichen Inseln. Egal ob Adloka, die Vulkaninseln, Ogakhta oder Galkat. Ich werde überall gesucht, denn auf mich ist voll das fette Kopfgeld ausgesetzt. Ich hab noch kein Duell verloren und heute werde ich als der Beste aus dem Ring gehen und reichlich Gewinn einstreichen. Ich hab schon gesehen wie viele auf mich gewettet haben. Haha, gute Entscheidung, mit mir scheffelt ihr ordentlich Gold.“
    „Wird das heut noch was?“ fragte der Held genervt.
    „Kannst es wohl nicht erwarten zu sterben, was?“ fragte Emit und feixte.
    Mit einer unnötig imposanten Geste zog er seinen Säbel und stürmte dann auf seinen Kontrahenten los. Leichtfüßig wich der Held der plumpen Attacke nach rechts aus und beugte sich für einen guten Angriffswinkel leicht nach unten. Kraftvoll stieß er sein Rapier schräg links in Emits ungeschützten Unterbauch, so dass die Klinge bis zum Herz vordrang. Sein Gegner riss überrascht die Augen auf, er wollte wohl noch etwas sagen, doch alles was er hervorbrachte waren ungehörte Worte, dann brach er auf dem schlammigen Boden zusammen. Der Held sah ihm leicht verwundert nach. Sollte es das nach all den großen Tönen wirklich gewesen sein? Er hob nun seinen Blick und ließ ihn über die ebenfalls erstaunte Zuschauermenge gleiten. Dann rief er mit lauter Stimme: „Gibt es hier auch jemanden, der nicht nur reden, sondern auch kämpfen kann?“
    „Ein Windstoß hätte genügt und er wäre umgefallen“, hörte er einen der üblichen Sprüche aus der Menge heraus.
    Es klang wie Zustimmung, aber auch Enttäuschung. Die Leute waren hier um spannende Kämpfe zu sehen.
    „Ja, los, schick einen besseren Chakib!“ hörte der Held jemanden mit lauter tiefer Stimme aus der Menge der Zuschauer rufen.
    „Als nächstes kommt Eckbert. Er ist der Bootsmann von Kapitän Samson dem schlimmen Sünder.“
    Einige aus der Menge jubelten. Offenbar war Eckbert bekannt und geschätzt. Er war sicher schon um die fünfzig Jahre alt. Einige Falten um die Nase herum hatten sich tief eingegraben und unansehnliche Tränensäcke hingen unter seinen Augen. Eckbert hatte blonde lockige Haare, die halb unter einem blauen Spitzhut verborgen waren. Seine schwarze Hose sah tip top aus. Nicht ein Flicken und nicht eine Schramme waren zu sehen. Er trug statt einer Rüstung feinen blauen Zwirn, ähnlich dem seines Kapitäns.
    „Ist ja ne tolle Rüstung, die du da hast. Selbstgestrickt?“ fragte der Held spöttisch.
    „Dir wird dein Spott noch im Halse stecken bleiben. Ich hab mich schon duelliert, da warst du noch ein kleiner Hosenscheißer“, schnarrte Eckbert wichtigtuerisch, um mit seiner angeblich reichen Erfahrung anzugeben.
    „Und jetzt bist du ein alter Sack“, vollendete der Held den Satz spöttisch.
    Eckberts Mund verzog sich in unverhohlenem Zorn und stach zu. Er kämpfte mit einem prachtvollen Degen. Sein Stil war ungewohnt, schnell und präzise. Mit der rechten Hand hielt er den Degen, während die linke Hand scheinbar nutzlos nach hinten oben in die Luft gestreckt war. Er versuchte nicht die Angriffe des Helden zu blocken, denn das hätte keine Chance auf Erfolg. Der brachiale Kampfstil des Helden und die harte Schneide des Rapiers würden den Degen einfach wegdrücken.
    "Du kämpfst wie ein Bauer!" höhnte Eckbert und vollführte einen Ausfallschritt.
    "Wie passend, du kämpfst wie eine Kuh!" gab der Held zurück, der dieses Manöver hatte kommen sehen und ihm sein Rapier an die Kehle hielt.
    Eckbert verzog den Mund und sah prüfend ins Gesicht des Helden. Sie stierten sich einen Moment an und als Eckbert den Eindruck gewann, der Held würde wohlmöglich todernst machen, sagte er: „Also gut, ich ergebe mich.“
    Der Held trat einen Schritt zurück und ließ Eckbert die Arena verlassen.
    Chakib kündigte nun einen gewissen Mert Madenmettmacher an, der von den Zuschauern unter johlendem Gebrüll begrüßt wurde. Der Kerl war sicher fast so groß wie der kleine Nils, trug eine schwere Rüstung, die nicht besonders gut gepflegt aussah, aber für sein Rapier schwer zu durchdringen wäre. Seine Waffe war eine Barbarenstreitaxt. Merts langer Schnurrbart erzitterte, als er den Helden anknurrte und mit einem wilden Schwinger den Kampf eröffnete. Blocken wäre ein Fehler. Lieber wich der Held aus. Das forderte ihm seine ganze Erfahrung ab, denn Mert war für seine Größe und seine wuchtige Waffe erstaunlich schnell. Mert brüllte laut, holte mächtig viel Schwung, hob seine Axt und wirbelte sie dann auf den Helden herunter. Mit einem Ausfallschritt entging er dem Angriff und stach seinem Gegner dann ins rechte Knie. Ein unerwartet spitzer Schrei folgte und unwillkürlich ließ der Gegner eine Lücke in seiner Abwehr, die der Held sofort ausnutze und ihm in den Hals stach. Eine hellrote Blutfontäne ergoss sich aus der Öffnung und sein Kontrahent brach zusammen und ersoff in seinem eigenen Blut.
    „Nun dann soll Timur Trollschläger zeigen was er dem neuen Herausforderer entgegenzusetzen hat“, kündigte Chakib den nächsten Schaukämpfer an.
    Timur war sogar noch größer als Mert Madenmettmacher. Seine Rüstung war leichter und sparte die Arme aus, damit er größere Bewegungsfreiheit hatte und man seine Muskelberge gut bewundern konnte. Doch an den Unterarmen trug Timur kleine Schilde, die an seinen Armen festgezurrt waren. Er kämpfte mit einem Hammer, der fast so groß wie der Held war und sicher so schwer, dass der Held ihn nicht einmal hätte anheben können. Auch Timur zog es vor seinen Hammer über den Boden zu schleifen, doch dann wuchtete er ihn hoch und wirbelte ihn herum. Würde er treffen, wäre dies äußerst fatal für den Helden. Er hatte schon reichlich Erfahrung mit langsamen schweren Angriffen bei Trollen, Orks und Ogern sammeln können und wusste wie er vorzugehen hatte. Er wich seinem Gegner mit Leichtigkeit aus, doch seine Angriffe wurden immer wieder abgewehrt. Jedes Mal, wenn der Held kurz nach dem Schlag von Timur angriff, wehrte dieser die Rapierangriffe ab, indem er den freien Arm hochriss und so ein Schild zwischen sich und die Klinge brachte. Der Held sah ein, dass er seine Strategie ändern musste, wenn er gewinnen wollte.
    Der Held spannte seine Muskeln an und als Timur wieder einmal auf ihn lospreschte und ausholte um zuzuschlagen, sprang der Held nicht nach links oder rechts sondern geradewegs nach vorne. Mit einem zweiten Sprung brachte er sich nach oben und stieß das Rapier tief ins rechte Auge seines überrumpelten Gegners. Ein tiefer Schrei begleitete den unaufhörlich folgenden Blutstrom. Timurs Kopf wurde mit herumgerissen, als die Schwerkraft den Helden wieder nach unten holte und mit einem hässlichen Knirschen und Brechen zog der Held sein Rapier aus dem Kopf seines Feindes, der nun zusammenbrach und sein Leben zu seinen Füßen ausröchelte.
    Durch seinen vierten Sieg und den dritten Todesfall in kurzer Folge avancierte der Held zum neuen Liebling der Zuschauer.
    „Blut!“, „Blut!“, „Blut!“, skandierte das vom Blutrausch erfasste Publikum und sah hinunter auf die sich mit Leichen füllende Arena.
    Der Held sah wie die vielleicht zehnjährigen Jungs ihn feierten wie ihr größtes Vorbild und die alten Knacker ihm aus zahnlosen Mündern zugrölten. Besonders laut war der Jubel der überwiegend kampffähigen Piraten, doch als es nun darum ging einen weiteren Herausforderer zu finden wurden sie plötzlich recht kleinlaut.
    „Na, wer kämpft als nächstes gegen den Kämpfer aus Myrtana? Den … den Schlächter von Myrtana“, hatte sich Chakib schnell einen Schaukampftauglichen Namen für den Helden aus den Fingern gesogen.
    Es dauerte einen Moment bis sich jemand fand. Es hatte viel Gerede und Getuschel gegeben.
    „Jetzt geh schon!“
    „Nein, du gehst!“
    „Nein du!“
    „Bist du verrückt? Der Typ ist Irre!“
    „Ach, nichts wird so heiß gegessen wie’s gekocht wird.“
    „Was soll das denn heißen?“
    „Das soll heißen: Geh und mach ihn fertig!“
    Schließlich wurde ein recht unscheinbarer Typ in roter leichter Rüstung halb von seinem Kollegen in die Arena geschoben.
    Sein Gegner zögerte. Ungeduldig ging der Held diesmal in den ersten Angriff über. Er stürmte auf seinem vor Schreck erstarrten Gegner zu, schlug dessen blockendes Schwert einfach zur Seite und rammte ihm seine Klinge in den Kopf.
    „Uhhh…“, „Ohhh…“, „Ahhh…“, kam es aus dem aufgeheizten Publikum und irgendwer rief: „Schade schon vorbei.“
    Auch der nächste Kampf war nicht besonders lang. Ein offensichtlich erfahrener Krieger tauschte ein paar recht vorsichtige Paraden mit dem Helden aus und gab dann auf. Die Menge buhte ihn aus.
    „Als nächstes muss der Schlächter von Myrtana im finalen Kampf gegen Salvador Schädelbrecher kämpfen.
    „Das wird brutal“, hörte der Held deutlich eine tiefe Stimme aus der Zuschauermenge.
    Er sah sich nicht um, glaubte aber, dass sie dem kleinen Nils gehörte.
    Offenbar hatte Nils schon einige Kämpfe von Salvador gesehen. Der Kerl war so groß wie Mert und Timur, aber noch massiger. Verwundert sah der Held, dass er so wie Timur an den Armen Schilde trug, die aber Ritzen hatten, wohl um Schwerter abzulenken. Es blieb ihm nicht viel Zeit sich eine Strategie zu überlegen, schon holte Salvador mit einem riesigen Morgenstern aus und schlug zu. Der Held war nach rechts ausgewichen, doch der Angriff hatte ihn trotzdem erwischt und das reichte um ihn von den Füßen zu holen und mehrere Meter durch die Luft zu schleudern. Hart kam er auf dem Boden auf und mühte sich nicht das Bewusstsein zu verlieren, um dem nächsten Angriff von Salvador zu entgehen. Dank seiner vergleichsweisen beweglichen Rüstung konnte er sich noch wegrollen bevor der Morgenstern ihn zerschmetterte. Schlamm und Dreck spritzten ihm ins Gesicht. Doch davon ließ er sich nicht beirren, schnappte sich sein Rapier, das er während des Angriffs verloren hatte und griff seinerseits an. Wie vermutet blockte auch Salvador die Angriffe mit seinen Schilden. Der Held versuchte die gleiche Strategie wie bei Timur, doch Salvador hatte von Timurs Schicksal gelernt und ließ den Helden mit einem Ausfallschritt ins Leere laufen. Der Held passte seine Bewegungen an und stach ihm stattdessen in den rechten Unterarm, der von dieser Seite aus ungeschützt war. Er hatte eine wichtige Arterie getroffen und nun spritzte helles Blut hervor. Salvador brüllte auf, ließ seinen Morgenstern los und bewegte sich unbedacht zurück, so dass er über Merts Leiche stolperte und zu Boden fiel. Nun sah der Held seinen Moment gekommen. Er ging erneut auf Salvador los, doch der hob seinen unverletzten Arm, blockte den Angriff mit den Schild und drehte diesen mit einer Bewegung seines Arms, so dass das Rapier des Helden verdreht und aus seiner Hand gerissen wurde. Salvador lachte hämisch und offenbarte einige Zahnlücken. Er rappelte sich auf und griff sich den waffenlosen Helden. Lachend hob er den Helden hoch und griff ihm an den Hals, um ihm die Sauerstoffzufuhr abzuquetschen. Derart in die Mangel genommen, wollte sich Panik im Helden hochkämpfen. Er musste dagegen ankämpfen, denn wenn er jetzt nicht bei klarem Verstand blieb wäre dies sein Ende. Mit der linken Hand hielt er sich am rechten Arm seines Feindes fest, um seinen Hals etwas zu entlasten, während er mit der rechten Hand in seiner magischen Hosentasche nach einer Waffe tastete, die für diese kurzen Distanzen geeignet war. Er fühlte ein Wolfsmesser zwischen seinen Fingern, zog es aus der Tasche und stach damit ins Gesicht seines Widersachers, der aufheulte, ihn losließ und sich dann auf die zerschlitzten Augen patschte. Unsanft knallte der Held auf den Boden, rappelte sich aber dem Adrenalin sei Dank schnell wieder auf und schlitzte dem Riesenkerl den ungeschützten Bauch auf. Salvador wimmerte, griff blind auf seine Wunde und verstand zuerst nicht, dass er seine eigenen glitschigen Eingeweide in den Händen hielt, bevor sie ihm entglitten und auf den staubigen Boden der Arena klatschten. Der riesige Kerl folgte ihnen wenig später. Blutbespritzt und schwer atmend stand der Held da und blickte auf seinen letzten Gegner hinunter, dann sah er sich in der Arena um und sagte laut und abgeklärt zu Chakib: „Ich zähle fünf Leichen und zwei haben aufgegeben. Also Sieben. Rück den Magiekristall raus!“
    „Ja, also … der Gewinner ist der Schlächter von Myrtana“, verkündete Chakib und warf den Magiekristall aus sicherer Entfernung in die Arena.
    Der Held hob ihn auf und steckte ihn schnell in die Tasche. Er würde sich einen ruhigen Ort suchen, um herauszufinden welchen Zauber der Kristall beinhaltete.
    „Sieg!“, rief Chakib laut und die Menge grölte begeistert.
    „Dieb!“ rief aber eine hohe weibliche sehr wütende Stimme.
    Eine wellenartige Bewegung ging durch das Amphitheater, als sich alle zu ihr umwandten. Da stand Ronja, die Piratenbraut, neben ihr das junge Mädchen, das Greg damals in Stahlstern abgewiesen hatte. Ihre vormals braunen seidig glänzenden Haare waren zu einer wilden Löwenmähne geworden, die um ihr Gesicht herumwallte. Ihre Augen glänzten vor Abenteuerlust und in der Hand hielt sie einen schlanken, aber starken Bogen an dessen Sehne ein Pfeil lag. Sie wartete nur auf den Befehl ihres Kapitäns. Doch noch kam der nicht.
    „Du hast meinen Schatz gestohlen!“ brüllte Ronja.
    „Das kann ja jeder behaupten“, gab der Held zurück und merkte gar nicht was dieser Satz für Gedanken bei den umstehenden Piraten auslöste, die nun anfingen wild durcheinander zu reden.
    „Wurde bei euch auch was gestohlen?“
    „Ne, nicht das ich wüsste und bei dir?“
    „Hä? Woher soll ich denn das wissen? Ich war hier, hab hart gesoffen und jetzt die Kämpfe angesehen. Keine Ahnung was auf dem Schiff los ist.“
    „Ich muss schnell zurück. Wenn was weg ist, dann macht mein Käpt’n kurzen Prozess mit mir, ich hätte eigentlich Dienst gehabt.“
    „Ja eben! Ich auch und ich setz mich am besten gleich ab.“
    „Holt ihn euch!“ rief Ronja laut ihrer Mannschaft zu und schon sirrte ein Pfeil knapp am linken Ohr des Helden vorbei.
    Die Piraten teilten sich in vier Gruppen auf. Die erste Gruppe stürmte hinunter in die Arena und griff den Helden an, der sich für einen magischen Angriff sammelte, die zweite Gruppe sah diesem Kampf aus vermuteter sicherer Entfernung zu, die dritte Gruppe machte sich schnell aus dem Staub um nicht in diese Privatschlacht mit hineingezogen zu werden und zur vierten Gruppe in der sich der Held befand gesellte sich unversehens der kleine Nils, Nikolaos und Udo, die dem Schaukampf zugesehen hatten und ihrem Kameraden nun zu Hilfe kamen. Einer von Ronja Piraten, ein hochgewachsener Typ mit schwarzen Klamotten und schwarzem Ziegenbart hatte den Helden fast erreicht. Das Schwert erhoben holte er zum Schlag aus und er hätte den Helden wohl geköpft, wenn dessen Eiswelle nicht dazwischengekommen wäre. Sie breitete sich ringförmig um den Helden aus und ließ alle Angreifer und auch einige unvorsichtige Zuschauer, die sich zu weit vorgewagt hatten, erstarren.
    „Was bei Beliars Scheißhausratte…!“ entfuhr es Ronja, die gerade erst ihren Degen gezogen hatte und noch mit der Bogenschützin auf der Tribüne verblieben war.
    Auch die Crew, die nicht von der Eiswelle getroffen wurde, war erstarrt, allerdings vor Überraschung und Furcht. Sie drehten sich zu ihrem Kapitän um und sahen sie fragend an.
    „Na macht schon! Angriff habe ich gesagt. Das war ein mächtiger Zauber, der viel Mana gekostet hat. Jetzt muss er auf den Nahkampf übergehen.“
    Ronja hatte wohl nicht mit den großen Manavorräten des Helden gerechnet. Er hätte sein Rapier erneut ziehen und die gefrorenen Piraten angreifen können, doch er führte stattdessen gleich zwei Beschwörungszauber nacheinander aus. Erst holte er den Dämon der alten Magie herbei und dann einen niederen Feuerdämon mittels Runenmagie. So kam es, dass die Piraten, von denen gerade erst der Zauber der Eiswelle abfiel ins grimmige Gesicht von Boris dem Piratendämon starrten. Überraschte und angsterfüllte Schreie waren zu hören. Damit hatte offensichtlich niemand gerechnet. Auch Ronja war überrumpelt, doch sie wollte offensichtlich keinen Rückzieher machen.
    „Na los doch! Nehmt ihn in die Zange!“
    Sie selbst stürmte auf Boris zu, der mit seinem Flammenschwert gerade einen ihrer Crewmitglieder skalpierte und piekte ihn empfindlich in den Rücken. Boris knurrte und stieß sie mit einem seiner ledrigen Schwingen weg. Den rüpelhaften Riesen mit der Schiffsaxt, der von rechts kam, sah er wohl als die größere Gefahr, so dass er ihn mit seinem Schwert abschlachtete. Der Feuerdämon hatte indes einen anderen Piraten, der eigentlich nur zusehen wollte, aber von der Eiswelle getroffen wurden war, in die Klauen bekommen, hob ihn hoch zu sich in die Luft und hauchte ihm seinen Flammenatem ins schreiende Gesicht. Währenddessen setzte sich der Held ab. Die wenigen Piraten, die ihn im heillosen Chaos noch verfolgten, hatte er entweder getötet, so verletzt, dass sie ihm nicht folgen konnten oder im Gewühl ausmanövriert. Nun sprang er aus der Arena heraus und lief zurück Richtung Wasserfall. Für ihn hatte sich das Thema erledigt.
    Beim Adanosschrein traf er auf Brandon und Alejandro. Sie hatten mit einigen anderen Piraten hier erzählt, wandten sich aber mit aufgerissenen Augen zum Helden um.
    „Was ist passiert?“ fragte Alejandro mit halb erstickter Stimme.
    „Was? Wieso?“ fragte der Held verwundert.
    „Na das Blut“, sagte Alejandro wurde ganz blass und zeigte auf die braune mit Blut besudelte Entertruppführerrüstung des Helden.
    „Mach dir keine Sorgen, das ist nicht von mir“, sagte der Held und fügte nach einem Blick auf seine beiden Kameraden hinzu: „Ich hab in der Arena gekämpft.“
    „Hier gibt es eine Arena?“ fragte Alejandro.
    „Ja und später kam noch Ronja mit ihren Leuten dazu.“
    Der Held fand das als Erklärung ausreichend und wechselte das Thema.
    „Wo wir schon mal hier sind können wir gleich mal ein paar Zauber der alten Magie von Adanos für dich erbeten“, sagte der Held und sah zum Adanosschrein hin.
    „Du meinst eine Anrufung? Ein heiliges Ritual?“ fragte Alejandro und seine Augen begannen zu leuchten.
    Ganz offensichtlich wollte er mehr über die Glaubensrituale lernen und war gespannt an was für einer heiligen Zeremonie er nun teilnehmen würde.
    Der Held kniete sich vor den Adanosschrein und sagte: „Adanos, gewähre mir deine Hilfe und so weiter. So, das dürfte es jetzt aber gewesen sein.“
    Alejandro und Brandon standen mit offenen Mündern neben ihm.
    „Ist nicht dein Ernst“, kam es ungläubig von Brandon.
    „Hm… gibt hier auch nur die gleichen Zauber wie in Myrtana. Versuch du es mal!“ forderte der Held seinen Schüler auf und richtete sich wieder auf.
    Folgsam kniete sich Alejandro vor den Schrein auf den Boden, schloss die Augen und sprach feierlich: „In Ehrfurcht und Demut rufe dich an Adanos. Bitte gewähre mir deine Hilfe.“
    Nichts geschah.
    „Ähm… was sollte jetzt passieren? Sollte … Sollte was passieren?“ fragte Alejandro und öffnete ein Auge, um seinen Mentor ansehen zu können.
    „Hm… eigentlich sollte Adanos dir die Möglichkeit geben können alte Magie zu lernen.“
    Der Held grübelte darüber nach warum es nicht funktionierte.
    „Vielleicht reicht dein Wissen über Magie nicht aus, oder Adanos hat heute einfach keine Lust dir was beizubringen.“
    „Ich verstehe nicht allzu viel von dieser alten Magie, aber wenn man es von Adanos erbeten muss, dann entscheidet sicher er, wer würdig ist sie zu lernen“, drang eine rauchige Stimme von links.
    „Und wer bist du?“ fragte der Held und nickte zu einem alten Piraten mit Augenklappe, Holzbein und Handprothese.
    „Ich bin Grisold“, antwortete der alte Pirat knapp.
    „Bist du ein Wassermagier?“ fragte der Held zurück.
    „Sehe ich etwa aus wie einer?“ gab sein Gegenüber forsch zurück.
    „Nein, aber das muss ja nichts heißen.“
    Alejandro sah nervös von einem zum anderen. Er wollte wohl, dass sie sich verstanden, denn er begann sich einzumischen.
    „Das ist mein Mentor von dem ich dir erzählt habe, Grisold.“
    „Aha“, machte der nur und blickte den Helden aus seinem verbliebenen Auge verkniffen an, doch dann entschied er wohl, dass dieser Mann es wert war, um mehr Worte zu verwenden. „Also nein, ich bin kein Wassermagier. Ich bin ein ganz normaler Kerl. Früher bin ich mit meinem Kapitän Andreas Aasgeier über die Meere gefahren. Wir hatten es vor allem auf schwache Schiffe oder Wracks abgesehen. Die „Südwind“ war zwar klein, aber schnell und wendig. So konnten wir dem meisten Ärger entgehen. Bei einem schweren Sturm kenterten wir jedoch. Die meisten aus der Mannschaft sind dabei umgekommen, aber ich habe überlebt. Ich sah das als ein Zeichen von Adanos. Er hat mein Leben verschont. Leider habe ich keine magischen Talente, aber das hinderte mich ja nicht daran den heiligen Fluss von Adanos zu folgen. Nun steh ich hier und helfe den anderen Piraten mit Auskünften über den Glauben an Adanos. Gegen eine kleine Spende versteht sich. Ich habe viele Bücher gelesen und schon vor dem schrecklichen Sturm habe ich oft an Adanos Schreinen gebetet. Da hab ich viel von den Wassermagiern aufgeschnappt.“
    „Verstehe“, sagte der Held nach Grisolds Lebensgeschichte nur.
    „Mir hängt immer noch nach was die Wassermagierin in Sturmkapp gesagt hat …“, sagte Brandon und seufzte.
    Er sah sehr unglücklich aus, doch mehr sagte er nicht. Offenbar hatte er Grisold bereits sein Leid geklagt, bevor der Held eingetroffen war.
    „Ich sage es gern noch einmal“, sagte Grisold geduldig. „Adanos ist der Gott des Gleichgewichts. Wo Licht ist, muss es auch Schatten geben. Man sollte sich nur nicht zu weit in die Schatten vorwagen. Aber so wie du es erzählt hast, seid ihr doch auf dem richtigen Weg. Erst habt ihr zwei adlokanische Handelsschiffe einkassiert und dann gegen die Orks von Kattanek und Ogrisek gekämpft.“
    „Was weißt du über sie?“ unterbrach der Held ihn.
    Grisold sah leicht genervt aus, doch er antwortete: „Das sind die zwei Anführer ihres Reiches. Zwei Brüder. Kattanek betet zu Adanos, da sie seefahrende Orks sind. Doch sie plündern auch, brandschatzen und versklaven. Ogrisek betet zu Beliar. Diese Orks beten zu beiden Göttern.“
    „Dann ist es doch aber nicht von vornherein ein Pluspunkt für uns, dass wir sie abgemetzelt haben. Also aus Adanos Sicht heraus, oder?“ fragte der Held belustigt.
    Seine Worte, die Grisold für bare Münze nahm, ließen ihn die Stirn runzeln.
    „Hm… vielleicht, aber sie beten ja auch zu Beliar. Vielleicht gibt es also einen halben Punkt.“
    Das ließ den Helden breit grinsen. Er glaubte nicht, dass die Götter ein Punktesystem hatten. Er hatte es eher als Redensart gemeint.
    „Worauf ich hinaus will ist, dass das Gleichgewicht gewahrt werden muss. So lange ihr euch nicht dem Pfad des totalen Chaos, oder der vollständigen Ordnung hingebt, ist alles in … äh…“
    Grisold zögerte.
    „Ordnung“, beendete der Held breit grinsend den Satz für ihn.
    „Ja, so in etwa. Es ist ein Geben und Nehmen.“
    „Ja, genau, wir nehmen von den Reichen und geben es den Armen. Also uns“, sagte Skip verschmitzt, der gerade erst dazugestoßen war, aber schon einen lockeren Spruch auf den Lippen hatte.
    „So gesehen …“, fing Grisold wieder an, ließ den Satz aber unvollendet und sagte stattdessen: „Adloka ist zum Beispiel ein reiches Land, fest in der Hand von Innosanbetern. Etwas Chaos kann da nicht schaden.“
    „Das trifft sich gut. Hab gerade mit dem Käpt’n gesprochen“, fing Skip an. „Unser nächstes Ziel ist Adloka. Wir sollen da irgendwas Besonderes stehlen. Wenn wir es Samson dem schlimmen Sünder bringen, dann verrät der uns dafür wohin die Esmeralda gesegelt ist.
    „Verstehe“, sagte der Held erneut und achtete gar nicht auf Alejandros erschrockenen Blick, weil sie so offen über‘s Stehlen redeten.
    Er öffnete sein Tagebuch und schrieb sich kurz ein paar Stichpunkte auf.
    „Was ist das eigentlich für ein Leuchten bei der Arena? Ist da ein Feuer ausgebrochen?“ fragte Brandon verwundert.
    „Das werden wohl die Dämonen sein, die ich beschworen habe, um Ronjas Männer zu töten“, sagte der Held trocken.
    „Wie war das mit dem Gleichgewicht?“ fragte Brandon und tauschte vielsagende Blicke mit Alejandro und Grisold.
    Der alte Pirat fühlte sich nun wohl äußerst unwohl in seiner Haut und sah seltsam distanziert auf den Helden. Auch Skip sah skeptisch, aber auch unruhig aus.
    „Der Käpt’n will uns am Schiff sehen. Wir sollen nicht mehr länger rumtrödeln“, erklärte Skip die Glaubensdiskussion für beendet.
    „Aber ich dachte wir reparieren die Murietta erstmal und ruhen uns aus, bevor wir wieder losfahren“, sagte Brandon besorgt.
    „Ist gestrichen. Greg vermutet, dass es noch viel schwieriger wird unerkannt bei Königsbrück einzulaufen, wenn erst die beschädigten Handelsschiffe, die wir letztens geplündert haben zurück nach Adloka kommen. Wir müssen unbedingt vor ihnen in Adloka eintreffen. Für unseren geheimen Auftrag wird die „Murietta“ kurzzeitig in „Fions Stolz“ umbenannt.“
    „Ist das nicht etwas dick aufgetragen?“ fragte der Held skeptisch, doch Skip winkte ab.
    „Ach was, das passt schon. Greg sagt, König Fion ist ein arroganter Schnösel und dass er sich trotz seines kleinen Königreichs solch ein überdimensioniertes Schiff leistet spricht doch für sich.“
    „Wah! Ein Dämon!“ rief Grisold plötzlich und bekam fast einen Herzkasper als Boris zwischen den Bäumen auftauchte.
    „Bleib locker. Er gehört zu mir“, gab der Held Auskunft. „Hm… der andere ist offenbar gefallen.“
    „Ganz recht“, hörte er die Stimme vom kleinen Nils.
    Er, Udo und Nikolaos kamen in sicherem Abstand hinter Boris zum Vorschein.
    „Ronjas Leute haben ihm zugesetzt, währenddessen haben wir die Kurve gekratzt“, informierte Udo seinen Entertruppführer.
    „Beinahe hätte mich dieser Dämon kaltgemacht“, sagte Nikolaos bang.
    „Kalt? Dabei wollte er dir etwas heiße Luft ins Gesicht pusten“, sagte der kleine Nils grinsend.
    „Haha“, kam es tonlos zurück. „Das war gar nicht lustig.“
    „Ich fand schon“, meinte der kleine Nils und warf bewundernde Blicke zum Helden. „Unglaublich wie du es mit denen allen aufgenommen hast. Seit der großen Seeschlacht von Lite sind sicher nicht mehr so viele Piraten abgemurkst wurden wie heute.“
    „Nur schade, dass Jurij auch gefallen ist“, sagte Nikolaos, der wohl ein besonderes Verhältnis zu ihm hatte.
    „Ist er?“ fragte Brandon alarmiert. „Ich sag doch es bringt Unglück dreizehn Leute in jedem Trupp zu haben. Erst starb Holger bei dieser Kneipenschlägerei und jetzt stirbt auch noch Jurij.“
    „He, es war seine Entscheidung an den Schaukämpfen teilzunehmen“, sagte der Held mitleidslos.
    „Trotzdem. Wetten es trifft bald den nächsten? Wir hätten die Leute anders verteilen sollen“, sagte Brandon bang.
    „Red keinen Schwachsinn!“ schnarrte Skip und verdrehte genervt die Augen. „Los zurück auf Schiff, sonst schnauzt uns Greg wieder an, als gäbe es kein Morgen mehr. Außerdem sollten wir nach dem was vermutlich in der Arena passiert ist besser schnell hier verschwinden.“

    Während die Nacht langsam dem Morgen wich, lief der kleine Trupp Piraten durch die Straßen der Stadt. Auf halbem Weg verlor die Beschwörung des Helden an Kraft, so dass Boris von jetzt auf gleich einfach zusammenbrach und starb. Der Held kümmerte sich wie gewohnt nicht groß darum, aber seine Begleiter und alle Leute Drumherum, die respektvoll Abstand gehalten hatten sahen verwirrt und interessiert zum sterbenden Dämon. Der Held bemerkte wie Enricos Mutter vor ihrem Laden stand und ihre Auslage bewarb. Offenbar hübschte sie die gerade erst von Greg angekaufte Ware mit etwas Seemannsgarn auf, um sie teuer weiterzuverkaufen.
    "Das ist der heilige Kelch vom Großmeister Pyragon, dem obersten Feuermagier von Adloka. Er hat ihn gesegnet, so das jedem der Punkt Mitternacht jeden siebten Tag daraus trinkt ein langes und glückliches Leben vergönnt ist."
    Der Held grinste und lief mit seinen Kameraden an ihr vorbei. Zurück beim Schiff sahen sie, dass der Name bereits überpinselt wurde. Dort trafen sie auf Francis, der gerade mit einigen anderen Crewmitgliedern eingetroffen war.
    „Warst du bei deiner Familie? Wie geht es deinen Kindern?“ fragte Alejandro, da sich Francis Miene keiner Gefühlsregung zuordnen ließ.
    „Den meisten geht es gut. Hab den größten Teil meines Ersparten an sie aufgeteilt und ihnen von meinen Abenteuern erzählt. Die haben vielleicht gestaunt. Haben mich später regelrecht angehimmelt.“
    „Wer weiß was du denen für einen Seemannsgarn angedreht hast“, sagte der Held spöttisch.
    „In der Übertreibung liegt eben die Anschaulichkeit, aber nein, diesmal musste ich gar nicht groß übertreiben. Wir haben so viele waghalsige Abenteuer überlebt, da ist die Wahrheit schon abgefahren genug.“
    „Bald werden sie noch mehr tolle Geschichten hören“, sagte Brandon verkniffen und ging weiter.
    „Du hast gesagt den meisten geht es gut, was ist mit den anderen passiert?“ fragte Samuel, der gerade eine Kiste mit Stoffen auf den Planken abstellte, um sich eine Pause zu gönnen.
    „Zwei von den jüngeren sind an irgendwelchen Krankheiten gestorben, mein Ältester hier hat es bei einer Schlägerei übertrieben und ist nicht mehr aufgestanden“, sagte Francis knapp.
    Sollte er innerlich angefasst sein, so ließ er es jedenfalls nicht nach draußen dringen. Vielleicht berührte es ihn aber auch wirklich nicht.
    „Der Älteste hier?“ fragte Nikolaos erstaunt. „Wie viele Kinder hast du denn?“
    „Weiß nicht so genau. Manche sind ja auch gar nicht von mir. Jella hatte mir letztes Mal zwei Babys unterschieben wollen, heute hab ich klar gesehen, dass die nicht von mir sind.“
    Ein derbes Lachen kam vom Steg. Morgan und ein vielleicht elfjähriger Junge näherten sich.
    „Ach Francis hat doch in fast jedem Hafen Blagen.“
    „In Sturmkap hat er davon aber noch nichts gesagt“, erinnerte sich der Held.
    „Nächstes mal wenn er da hinkommt hat er bestimmt welche“, sagte Morgan und zwinkerte Francis schelmisch zu.
    „Und wer ist das?“ wollte Udo wissen und zeigte auf den Jungen.
    „Das ist mein Ältester“, sagte Morgan, grinste und legte dem Jungen in derber Fürsorglichkeit einen Arm um die Schulter und knuffte ihn.
    Ohne Rücksicht auf die Gefühle des Jungen sagte er: „Seine Mutter ist krank und wird’s wohl nicht mehr lange machen. Deshalb kommt er mit auf die Murietta. Hab es schon mit dem Käpt’n besprochen. Merik ist nun alt genug, um als Schiffsjunge zu arbeiten. Er kommt in Alligator Jacks Entertrupp, so dass ich ein Auge auf ihn haben kann. Nebenher wird er aber auch in der Küche aushelfen. Seine Mutter sagt, er versteht was vom Kochen.“
    „Na besser ist. Wenn die Jungs irgendwelchen Ekelfraß vorgesetzt bekommen, werden die Stinksauer“, sagte Francis und amüsierte sich königlich über den erschrockenen Gesichtsausdruck des Jungen.
    Merik versuchte offenbar seine Unsicherheit zu kaschieren, doch seine nervösen Augen verrieten ihn. Sein Blick glitt über die große „Murietta“, die nun „Fions Stolz“ hieß und die vielen kampferprobten harten Kerle, mit denen er nun wohl zusammen arbeiten würde.
    Brandon hatte große Augen bekommen und sagte nun erschrocken: „Oh nein, wenn dein Sohn in Alligator Jacks Trupp kommt, dann sind es da wieder dreizehn. Jemand aus dem Trupp wird sterben. Und es wird nur eine Frage der Zeit sein. Jetzt hat es ja auch nicht lang gedauert. Bei Adanos … wen es wohl in meinem Trupp treffen wird. Hoffentlich nicht mich. Adanos sei Dank hab ich eben am Schrein gebetet und etwas Gold geopfert. Ich hoffe das reicht, um mich zu schützen.“
    „Quatsch keinen Scheiß!“ knurrte Morgan.
    Merik sah nun nur noch erschrockener aus, als sein Vater ihn grob nach vorne stieß, damit er sich in Bewegung setzte und an Bord der Murietta ging.
    „Hab gehört irgendwas ist in der Arena eskaliert“, sagte Morgan und wandte sich wie selbstverständlich dem Helden zu.
    „Gab ein kleines Gerangel zwischen Ronjas Leuten und mir und den Dämonen.“
    „Man kann dich auch keine fünf Minuten alleine lassen“, sagte der alte Samuel kopfschüttelnd, nahm die Kiste wieder auf und ging an Bord.
    Geändert von Eispfötchen (27.11.2022 um 17:29 Uhr)

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    Der Thronerbe

    Sie waren nun schon einige Tage Richtung Norden unterwegs. Königsbrück hieß ihr Ziel. Der Held wusste nur, dass es sich um die Hauptstadt von Adloka handelte und sie dort etwas für Samson den Schlimmen Sünder stehlen sollten. So ganz verstand er nicht, warum sie die Information, wohin genau die Esmeralda unterwegs war, nicht auch anders aus dem Piratenkapitän herauspressen könnten, doch er vertraute auf Gregs Erfahrungsschatz und Greg hielt diesen Auftrag für ihre beste Chance der Esmeralda näher zu kommen. Wenn sie diesen Auftrag erfüllten, dann würden sie unter den Piraten noch auf lange Zeit berühmt und berüchtigt sein, so hatte Greg ihnen klar gemacht. Der Kapitän war seltsam gelaunt seit sie wieder auf See waren. Neuerdings schloss er sich oft in seiner Kajüte ein und überließ das Steuer einem seiner erfahreneren Männer. Der Held fand das seltsam, denn bisher hatte er Greg so kennen gelernt, dass er das Steuer am liebsten gar nicht aus der Hand gab. Warum verhielt er sich dann in letzter Zeit so zurückhaltend?
    Der Held richtete gerade mit Rolf, dem Zimmermann aus Henrys Trupp, die Fockschot neu aus, da sich der Wind gedreht und weiter aufgefrischt hatte und sie die Segel nun anpassen mussten, um ihren Kurs beizubehalten. Obwohl es Nachmittag war und der Held somit eigentlich gar keinen Schichtdienst hatte, arbeitete der Held trotzdem. Er hatte gerne etwas zu tun und da sich gerade Alligator Jack zu ihm gesellte, ergab sich so auch eine günstige Gelegenheit über das seltsame Verhalten des Kapitäns zu sprechen.
    „Hast du Greg schon mal so zurückgezogen erlebt?“
    Alligator Jack antwortete nicht sofort. Er rollte eine Leine durch seine Hände und schien intensiv nachzudenken.
    „Das ist schon viele Jahre her. Ich war damals noch neu in seiner Crew und wusste nicht, was es zu bedeuten hat, aber einige der anderen Männer, die schon lange mit ihm zur See gefahren waren, erzählten mir, dass das kein gutes Zeichen wäre.“
    „Was war passiert?“ fragte der Held neugierig.
    „Eine Pechsträhne, die war passiert. Erst fanden wir keine Schiffe zum Kapern, dann wurden wir auch noch selbst von anderen Piraten angegriffen. Wie verloren viele Männer, fast ein Dutzend und weil die anderen Piraten feststellen mussten, dass es bei uns nicht viel zu holen gab, töteten sie aus Frust noch ein paar mehr, obwohl wir uns ergeben hatten. Ohne Essen und Wasser trieben wir dann auf dem Meer herum. Erst kam ein Sturm, der unseren Großmast zerstörte, dann eine Flaute. Halb tot trieben wir zu einer Insel, immerhin groß genug, um die gröbsten Schäden ausbessern und nach Essen und Wasser suchen zu können. Dort waren wir dann fast einen Monat, bevor wir wieder ablegen konnten. War ne schwere Zeit damals.“
    Alligator Jacks Miene war sehr ernst. Ganz offensichtlich erinnerte er sich gar nicht gern an diese Zeit zurück.
    „Aber wir haben doch keine Pechsträhne. Wir haben Kanonen, eine große Mannschaft, sogar noch einiges an Gold. Läuft doch alles gut“, meinte der Held.
    „Wird wohl an diesem Auftrag liegen“, grummelte Alligator Jack.
    „Wieso? Was ist denn mit dem Auftrag?“ wollte nun Rolf wissen, der bisher nur stumm zugehört hatte.
    „Du bist noch neu in der Crew, daher weißt du es vielleicht nicht, aber unser Käpt’n ist einer der berühmtesten Piraten auf Adanos Wassern“, sagte Alligator Jack und der Stolz in seiner Stimme war ihm unverkennbar anzuhören. „Doch seine rumreichen Taten haben etwas an … Farbe verloren. Wir haben viel zu lange in Jharkendar festgesessen und es war schwer sich wieder aufzurappeln. Für die meisten Leute sind Gregs Abenteuer schon wieder verblasst, Seemannsgarn, alte Geschichten hinfortgespült von der See. Kapitän Samson war immer neidisch auf Greg gewesen. Wollte auch immer so berühmt sein. Wenn Greg sich jetzt auf diesen Auftrag von ihm einlässt, dann muss er echt verzweifelt sein. Er zeigt das nicht, aber ich befürchte es.“
    „Was denn? Was befürchtest du“, fragte Rolf atemlos, denn er fürchtete wohl, dass dies seine letzte Fahrt sein könnte.
    „Dass es ein Himmelfahrtskommando ist, zu dem wir hier geschickt werden“, knurrte Alligator Jack.
    „Ach was, alles wird gut“, sagte der Held optimistisch.
    Aus Alligator Jacks Kehle entrang sich ein tiefer kurzer knurrender Ton, dann sagte er: „Bisher sind wir oft unvermutet in Gefahren gestolpert. Da konnten wir nichts dran ändern. Aber sich selbst wissentlich in Todesgefahr begeben, … das ist schon etwas anderes. Wenn der Kapitän glaubt, dass er keine andere Wahl hat, oder wenn ihn dieses Gold, von dem du ihm so vorgeschwärmt hast, zu sehr reizt, dann kann es schon sein, dass er diese Gefahr als einkalkuliertes Risiko ansieht und das ist es was mir Sorgen macht.“
    Eigentlich hatte der Held wieder etwas Zuversichtliches erwidern wollen, doch die Worte des erfah-reneren Piraten stimmten ihn dann doch nachdenklich. Alligator Jack hatte bisher immer ganz klar zu Greg gehalten. Der Held schätzte ihn als einen seiner loyalsten Männer ein, doch wenn selbst er an den Plänen des Kapitäns zweifelte, dann verhieß das nichts Gutes.
    „Hör auf so zu reden, oder hier bricht noch eine Meuterei aus!“ sagte der Held forsch.
    Ein Brummen war das einzige was zunächst von Alligator Jack kam. Er rollte weiter die Leine auf und belegte damit die nächste Klampe.
    „Wenn Greg sich weiterhin so zurückzieht, dann wird es früher oder später sowieso zu Unruhe in der Mannschaft kommen. Als Kapitän muss er immer Stärke zeigen und meist macht er das ja auch. Wenn ihm das ausgerechnet jetzt so schwerfällt, dann sind wir wirklich am Arsch.“
    „Dann müssen wir eben für ihn Stärke zeigen“, sagte der Held und sah Alligator Jack eindringlich an.
    Der hielt seinem stechenden Blick kurz stand und wandte dann den Blick ab. Nun nahm sich der Held den Schiffszimmermann vor.
    „Wenn du herumtratscht, was wir gerade besprochen haben, dann gibt es volles Pfund aufs Maul.“
    Mit aufgerissenen Augen sah Rolf ihn erschrocken an, dann wackelte er schnell mit seinem Kopf. Es sollte wohl ein eiliges Kopfschütteln sein.
    „Hm…“, machte Alligator Jack und wandte seinen Blick plötzlich in die Ferne.
    Ohne ein Wort zu sagen, lief er davon. Der Held sah in die Richtung, wo er etwas gesehen haben könnte. Zunächst konnte er nichts Auffälliges erkennen, dann sah er kleine Bewegungen am Himmel. Was war das?
    Schon war Alligator Jack zurück. In seinen Händen hielt er ein kompaktes Fernrohr.
    „Was siehst du?“ wollte der Held sofort wissen.
    „Vögel und wenn die da so aufgeregt herumfliegen gibt es da was zu holen. Vielleicht liegen da Leichen, Proviant, Trümmer eines versenkten Schiffes. Könnte was für uns zu holen sein“, brummte Alligator Jack.
    „Zeig mal!“, forderte der Held.
    Alligator Jack reichte ihm das Fernrohr und ging dann zum Großmast wo er zu Bernhard, der derzeit im Ausguck saß, hinaufrief: „Siehst du die Vögel Backbord voraus? Was gibt es da?“
    Es dauerte etwas bis eine Antwort zurückkam.
    „Sieht nach Treibgut aus.“
    Mit dieser Information ging Alligator Jack zu Henry, der im Moment das Schiff steuerte und der Held merkte, wie sie ihren Kurs veränderten. Es dauerte nicht lange bis das den Piratenkapitän auf den Plan rief.
    „Tut dat Not, dat ihr eigenmächtig den Kurs ännert?“ rief er, gefühlt eine Spur schärfer als sonst schon.
    „Backbord voraus gibt es Treibgut, könnte noch was Nützliches dabei sein“, informierte Alligator Jack, der sofort auf ihn zugegangen war.
    „Na denn will ik ma swaar för di hoppen, dat dat stimmt“, knurrte der Kapitän und ging vorne zum Klüverbaum, um sich die Sache selbst mal näher mit seinem eigenen Fernrohr anzusehen.
    Nun waren die Vögel selbst mit bloßem Auge deutlich zu erkennen. Es waren Seemöwen, die dort am Himmel flogen. Einige ließen sich auch von den leichten Wellen sanft schaukeln. Sie paddelten zwischen Leichen, Planken, Segeln und einem Fockmast umher und hielten nach Futter Ausschau.
    „Käpt’n da schwimmt einer“, rief Carlos mit heiserer Stimme und zeigte ins Wasser.
    „Rausfischen! Mal hören wat hier passiert is. Later könnt wi den ja ümmer noch trügg zu Adanos smieten“, sagte der Kapitän abgeklärt.
    Der junge schwarzgelockte Mann wurde an Bord geholt. Er sah sehr müde und geschafft aus, vermutlich hatte er eine üble Zeit hinter sich.
    „Feine Klamotten und ne Figur wie ein Sack Muscheln, dass muss ein Adliger sein“, sagte Henry hämisch.
    Tatsächlich sah der junge Mann seltsam unförmig aus, aber vielleicht lag das auch nur an seiner wunderlichen Kleidung. Statt einer Rüstung trug er ein seltsam weites lilanes Oberteil mit weißen Puffärmeln und eine violette Strumpfhose, die seine Beine für seinen Körper zu dünn aussehen ließ. Es war dem Helden ein Rätsel wie er die dünnen goldfarbenen Schnabelschuhe im Wasser anbehalten hatte. Der seltsam gekleidete junge Mann zitterte, vermutlich vor Kälte, aber vielleicht auch vor Furcht. Er mühte sich damit ab auf die Füße zu kommen, doch er benötigte dafür zwei Anläufe.
    Ihm war anzusehen, dass er versuchte möglichst mutig zu erscheinen, doch seine hohe ängstliche Stimme verriet ihn, als er sagte: „Ich bin Prinz Marcello, Sohn von König Ulffried dem großen, dem Bewahrer von Handel und Reichtum, dem Verteidiger der Schwachen, dem Retter vor dem Verderben, dem Überbringer der Zukunft, dem Kämpfer gegen die Sklaverei, Streiter für Recht und Ordnung, König von Ustet und ihr würdet gut daran tun mich mit Respekt zu behandeln.“
    „Heilige Makrele, da is uns ja mal ene saftige Prachtschmerle ins Netz gegangen“, frohlockte Greg.
    „Ja, der wird uns sicher ein gutes Lösegeld einbringen“, sagte Francis und grinste von einem Ohr zum anderen.
    „Piraten“, entfuhr es dem Prinzen erschrocken, dann setzte er hinzu: „War ja zu erwarten, dass ihr nicht aus einer intrinsischen Motivation heraus handelt.“
    Mit klammen Fingern zog er nun einen Brieföffner hervor und sagte dann entschlossen: „Keinen Schritt weiter, oder ihr müsst euch meinem Zorn stellen!“
    Die vielen Piraten, die ihn umringten sahen ihn verwundert an. Sollte das ein Witz sein?
    „Kannst dein Bettnässermesser wieder wegstecken, Kleiner“, sagte Henry amüsiert. „Da du für uns wertvoll bist, werden wir dir nichts tun.“
    „Recht hett he“, sagte der Kapitän trocken. „Segg uns nu, worüm dien Schiff ünnergahn is!“
    „Also von Umgangsformen habt ihr Piraten auch noch nie gehört, oder? So etwas fragt man doch nicht gleich nach der Katastrophe, aber nun gut, von solchen Haderlumpen ist wohl nichts anderes zu erwarten.“
    Prinz Marcello stöhnte theatralisch.
    „Es war gar fürchterlich. Im frühen Morgengrauen wurden wir angegriffen. Es waren nur zwei kleine Barken, aber als die Soldaten meines Vaters sahen was auf ihnen war, packte sie die kalte Furcht.“
    „Wat denn?“ wollte Greg sofort wissen.
    „Ja gleich, ach wie ungeduldig, dieser Mensch doch ist“, sagte Prinz Marcello, so als könnte Greg ihn gar nicht hören.
    Lauter fuhr er dann fort: „Untote Orks waren auf den Schiffen. Nun, sie waren nicht alle untot, einer so schien mir, war noch am Leben. Er war magisch begabt und hat die anderen offensichtlich kontrolliert.“
    „Ein Orkschamane“, vermutete der Held.
    „Hach, ja, so könnte man sagen, obwohl Orknekromant wohl der treffendere Ausdruck wäre“, sagte der Prinz.
    Nun ging ein Flüstern durch die Menge der Piraten und wurde bald zu einem verunsicherten Raunen. Orks waren schon schlimm genug, aber wenn hier auch noch untote Orks ihr Unwesen trieben, dann mussten sie sich auf etwas gefasst machen.
    „Die edlen Recken meines Vaters haben tapfer gekämpft, doch gegen diese finstere Übermacht hatten sie keine Chance. Mich haben sie bis zuletzt heldenhaft beschützt, so wie es sich geziemt und zum Beiboot gebracht, damit ich fliehen kann, doch als das Schiff unterging wurde auch das Beiboot beschädigt. Vielleicht haben die Untoten nur übersehen, dass ich überlebt habe, oder es war ihnen egal. Sie schienen mir nicht sehr intelligent, griffen blindwütig an. Ohne den unheiligen Nekromanten, der sie lenkte, wären sie vermutlich nur niederes Gezücht.“
    Die Unruhe kochte unter den Piraten immer weiter hoch. Greg wollte wohl nicht, dass der Prinz sah wie seine Schilderungen die Mannschaft verängstigte, denn er sagte: „Du! Bring unseren Gast rünner zu Samuel, so dat sik uns Hoheit stärken kann.“
    Greg hatte auf den Helden gezeigt, der den Prinzen nun umstandslos am rechten Arm packte und grob unter Deck schleifte. Der protestierte scharf.
    „Ich verbitte mir solch eine unflätige Behandlung. Ich sagte doch, ich bin Prinz Marcello, Sohn von König Ulffried dem großen, dem Bewahrer von Handel und Reichtum, dem Verteidiger der Schwachen, dem Retter vor dem Verderben, dem Überbringer der Zukunft, dem Kämpfer gegen die Sklaverei, Streiter für Recht und Ordnung, König von Ustet. Hast du nicht gehört?“
    „Doch, aber ist mir egal wem du damals aus dem Sack gerutscht bist, für mich bist du einfach nur irgendein Typ, der zu feige war gegen die untoten Orks zu kämpfen“, knurrte der Held und schob den Prinzen dann die Treppe hinunter.
    „Unerhört! Jemandem wie dir gehört die Zunge abgeschnitten!“, empörte sich der Prinz.
    „Und jemand wie du, der selbst nichts kann, weil alle anderen sich für ihn krumm machen müssen, sollte nicht so eine dicke Lippe riskieren“, knurrte der Held, der ihn weiter durch das Schiff schob und dann an den Esstisch drückte, der gleich neben Samuels Kombüse stand.
    „Du kennst mich nicht mal, trotzdem erlaubst du dir ein Urteil über mich“, sagte der Prinz erbost.
    Der Held ignorierte ihn und rief stattdessen: „Samuel, schlepp mal was zu Futtern ran! Wir haben einen hochnäsigen Schnösel aus dem Wasser gefischt für den der Kapitän Lösegeld einfordern will.“
    „Oho, das hatten wir ja schon lange nicht mehr“, sagte Samuel, sah kurz in den Raum und grinste breit, so dass er einige Zahnlücken offenbarte. „Du hast Glück. Der Rübeneintopf mit Schwarzwur-zeln, Kohlrabi und mysteriösem Fleisch ist gleich fertig.“
    Der Prinz sah ihn ungläubig an, so als würde er Samuels Aufzählung für einen Scherz halten.
    „So etwas ordinäres esse ich nicht“, sagte Marcello angeekelt.
    „Der vornehme Herr belieben etwas Anderes zu speisen?“ wehte Samuels spöttische Stimme aus der Kombüse herüber.
    Der Prinz sah in seine Richtung und sagte dann mit ernster Miene: „Gewiss. Ich esse nur mit Mandelcreme bestrichenes Weißbrot, bei dem die Kruste abgeschnitten wurde.“
    Samuel erschien in der Tür. Er schaute verdattert, in der Hand hielt er eine beinahe saubere Schüs-sel mit undefinierbarem Eintopf. Er beugte sich zum Helden hinüber, um zu flüstern: „Bei der Napfsülze hat‘s im Oberstübchen ein Erdbeben gegeben, du hättest ihn nicht so ruppig behandeln sollen!“
    Samuel stellte dem Prinzen den Eintopf hin, der jedoch nur die Nase kraus zog, so als hätte er ihm einen Kuhfladen präsentiert.
    „Hab ich doch gar nicht“, wehrte der Held ab.
    An den Prinzen gewandt sagte er: „Entweder du isst das oder hungerst.“
    Daraufhin warf der Prinz ihm einen pikierten Blick zu.
    „Wie barbarisch, das kann man doch höchstens dem Hofhund vorsetzen.“
    „Du kannst ja auch hungrig bleiben“, knurrte der Held nachdrücklich, dem das Verhalten des Prinzen schon jetzt auf die Nerven ging.
    „Wo ist der Vorkoster?“ fragte der Prinz gewichtig.
    „Gibt es hier nicht. Du bist auf einem Piratenschiff Kleiner“, sagte Samuel amüsiert.
    „Nein, also beim besten Willen, so geht das nicht“, empörte sich der Prinz. „Ich weiß, auf Reisen muss man Abstriche machen, aber wenn ihr wollt, dass mein Vater euch auch wirklich gut bezahlt, dann müsst ihr euch schon mehr Mühe geben. Seine Marine gehört zu den besten überhaupt, wisst ihr das denn nicht? Wenn ihr mich schlecht behandelt wird er euch jagen und euer Schiff versenken.“
    „Und dich dann gleich mit, oder was?“ fragte der Held genervt. „So lange du hier bei uns auf dem Schiff bist, passiert uns nichts.“
    „Ja, aber danach …“
    Der Prinz ließ den Satz unvollendet.
    „Du gehst mir schon jetzt auf die Nerven. Wo liegt dein Land noch mal?“ fragte der Held ungeduldig.
    „Wenn wir sofort Kurs setzen, dann könnten wir in einem Monat dort sein.“
    „Ein Monat? So lange halte ich das nicht mit dem auf dem Schiff aus“, murrte der Held.
    „Musst du aber, wenn Greg das Gold will“, sagte Samuel, dem das Lachen vergangen war.
    Er spürte wohl, dass hier noch Ärger auf ihn zukommen würde.
    „Ich hoffe doch, ihr habt eine gut gefüllte Speisekammer. Zum Abendbrot gebe ich mich mit Spanferkel auf Klößen zufrieden, aber wenn ihr das nicht habt, dann nehme ich auch gerne deftig gebratene Gänsekeulen“, sagte Prinz Marcello huldvoll.
    „Halt die Fresse und iss das jetzt, sonst kriegst du nur noch Stinkefisch von den Vulkaninseln, dann kannst du dich wirklich Prinz des Verderbten nennen“, schnauzte der Held ihn an.
    „Euer Verhalten ist enervierend“, beschwerte sich der Prinz.
    „Ja du mich auch“, motzte der Held zurück.
    „Wisst ihr eigentlich, dass die Marine meines Vaters aus sechsundzwanzig Schiffen besteht? Nun da ich verschollen bin, wird er sie alle losschicken, um mich zu suchen und er wird nicht eher ruhen, bis ich gefunden wurde und wenn sie erfahren, dass ihr mich gefangen genommen habt, dann werden sie euch ohne Unterlass jagen.“
    „Dann sollten wir dir wohl besser die Kehle durchschneiden und über Bord werfen, oder?“ sagte der Held brutal.
    Nun ging dem Prinzen wohl auf, dass seine Drohung unüberlegt war. Seine Augen weiteten sich und er beeilte sich zu sagen: „Wenn ihr das tut, wird alles nur noch schlimmer für euch. Ihr werdet keinen sicheren Hafen mehr finden. Ustet, das Königreich meines Vaters gehört zur Union der Elf. Wisst ihr überhaupt wer da alles dazugehört? Goltien und Rasokat sind ja schon mächtige Länder, mit denen man es sich sicherlich nicht verscherzen möchte. Doch Adloka ist das wohl mächtigste Land in der Union. Die dort ausgebildeten Paladine sind geradezu legendär. Es heißt sie sind die besten Krieger der Welt. Wollt ihr es wirklich riskieren, dass Steckbriefe von euch in all diesen Ländern hängen, wo gut ausgerüstete Ritter und Paladine nur darauf warten solches Lumpenpack wie ihr es seid an den Galgen zu bringen? Ihr könnt euer Leben wegwerfen, wenn ihr das meine beendet. Nirgendwo werdet ihr mehr sicher vor dem langen Arm des Gesetzes sein. Jetzt seid ihr vielleicht nur ein paar unbedeutende Piraten, nach denen es nicht zu suchen lohnt, aber das würde sich mit meinem Tod schlagartig ändern.“
    „Kannst du auch Atmen ohne zu reden?“ fragte der Held genervt und Samuel fragte: „Woher sollte denn jemand wissen, dass wir dich getötet haben? Könnten ja auch die Orks gewesen sein.“
    Der Prinz sah aus, als wollte er etwas erwidern. Er öffnete und schloss seinen Mund, ohne dass ein Laut daraus hervorkam.
    „Also, guten Appetit“, wünschte Samuel und wuselte in die Kombüse zurück, wo noch viel Arbeit auf ihn wartete.
    Der Held hörte wie er Morgans Sohn anfuhr, der wohl Rüben hatte kleinschneiden sollen, ihm das aber wohl nicht besonders gut geglückt war. Er sah wieder zum Prinzen, der den Eintopf weiterhin nicht anrührte. Er sah an die Decke, so als wäre er keines weiteren Blickes mehr würdig.

    Auch beim Essen um Mitternacht wollte der Prinz nichts von dem Heringssalat und dem Muscheleintopf anrühren. Eigentlich müsste er hungrig sein, doch er weigerte sich hartnäckig etwas anzurühren. Die Piraten machten sich über ihn lustig. Er trug das mit Fassung, tat so, als würden ihre Schmähungen und Witze einfach an ihm abprallen. Als der Prinz dann schlafen sollte gab es das nächste Problem.
    „Das ist aber kein Bett!“ beschwerte sich der Prinz.
    „Nein, das ist eine Hängematte“, stimmte der Held zu.
    „Eben!“
    „Du kannst trotzdem darin schlafen.“
    Skeptisch sah der Prinz auf das leicht schwankende Ding, in das er sich legen sollte.
    „Aber ich werde rausfallen.“
    „Nein wirst du nicht.“
    „Doch werde ich. Das bewegt sich doch und wenn es dann noch stürmt…“
    Der Held verdrehte genervt die Augen.
    „Es stürmt aber gerade nicht. Die See ist ruhig, vielleicht sogar etwas zu ruhig. Würde nicht schaden, wenn wir etwas schneller vorankommen würden.“
    „Macht doch mal leise!“, beschwerte sich Bill, der gerade keine Schicht hatte und schlafen wollte.
    „Bringt ihr mich denn nun zurück nach Ustet?“ wollte Prinz Marcello wissen.
    „Noch nicht. Wir haben noch etwas Wichtigeres zu erledigen. Der Käpt’n hat gesagt, dass wir dich nach Ustet bringen, wenn unsere Sache erledigt ist“, ließ der Held ihn wissen.
    „Was kann den wichtiger sein, als mich zurückzubringen? Ich, der Sohn von…“
    „Halt die Klappe!“ fuhr der Held ihn an. „Geht dich gar nichts an was wir zu tun haben.“
    Einen Moment war es still. Irgendwo hörten sie Bill leise murmeln: „Endlich Ruhe.“
    „Aber wann seid ihr fertig mit eurer Sache? Hoffentlich doch bald“, sagte der Prinz und ein paar Hängematten weiter stöhnte jemand.
    „Die Fahrt wird noch einige Wochen dauern.“
    „Unmöglich!“, entfuhr es Prinz Marcello. „So lange kann ich unter euch Barbaren doch nicht leben.“
    „Dein Problem. Von mir aus kannst du dich auch über Bord werfen“, knurrte der Held herzlos. „Pack dich jetzt in die Matte, oder ich knote dich fest!“
    „Flegel!“ schimpfte der Prinz und versuchte sich in die Hängematte zu legen.
    Er hob ein Bein, schwang es auf die Matte und wollte dann sein Gewicht verlagern. Er verlor sein Gleichgewicht, schlug eine Rolle und landete auf der anderen Seite der Matte auf dem dreckigen Boden.
    „Au! Siehst du! Das ist deine Schuld!“ jammerte der Prinz.
    „Wieso meine Schuld?“ knurrte der Held, dem es jetzt schon zu viel war für diesen Prinzen die Amme spielen zu müssen.
    „Du hast von mir erwartet mich in diese Todesfalle zu legen.“
    „Ich hab aber nicht gesagt, dass du dich auf die Fresse legen sollst“, kam es barsch zurück.
    „Aber du hast gesehen, dass es so nicht geht, ja? Bring mir ein Bett, ein richtiges Bett, dass im Schiff arretiert ist, damit ich nicht vom Seegang gestört werde. Ich brauche ein dickes Kissen und eine warme Decke mit Gänsefedern, damit es mich in dieser entsetzlichen Kälte nicht friert.“
    Wieder verdrehte der Held die Augen, packte den Prinzen am Kragen seines lilanen Zwirns und schleifte ihn in die Brigg wo er die Nacht auf dem kalten dunklen Boden sitzend verbringen musste.

    Auch die nächsten Tage waren keine Freude, weder für den Prinzen noch für die Piraten. Der Prinz lamentierte ständig und gab sich mit nichts zufrieden und die Piraten beschimpften ihn und wurden immer genervter, denn sie mussten arbeiten, während es dem Prinzen scheinbar schon zu schwer war einfach nur dazusitzen. Immerhin hatte er nach dem zweiten Tag angefangen zu essen, aber dabei beschwerte er sich noch mehr als ohnehin schon. Die Moral sank weiter und da der Kapitän sich weiterhin kaum blicken ließ, wurde die Lage langsam kritisch. Der Held hörte die Männer aus der Crew häufiger murren und es war vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis sie handfeste Antworten von Greg fordern würden. Was sollten sie genau stehlen und wie sollten sie das tun? Was gab es für Gefahren? Wie wahrscheinlich würde es sein gefangen oder getötet zu werden?
    Der Held versuchte den Kontakt mit dem Prinzen so gut es ging zu vermeiden, aber das Schiff war nicht groß genug um ihm nicht zu begegnen und sein Gejammer nicht zu hören.
    „Das nennt ihr gepökeltes Schweinefleisch?“ beschwerte sich der Prinz, als er welches essen sollte. „Das hätte jede Bauernmagd besser einlegen können. Die Salzkörnung ist viel zu grob, das sieht doch jedes kleine Kind. Und was ist das für ein widerlicher penetranter Geschmack, der einem in die Zunge sticht? Habt ihr das Fleisch etwa in Alkohol eingelegt? Wer kommt denn auf so eine idiotische Idee? Bring mir etwas anderes!“
    „Hör auf mich zu nerven, oder du darfst gleich ausprobieren, ob du deine Zähne auch noch mit zer-trümmerten Fingern aufheben kannst“, knurrte der Held ihn an, der es einfach nicht mehr aushielt für den Prinzen den Laufburschen spielen zu müssen.
    „Ich glaube nicht, dass mein Vater erfreut sein wird, wenn ihr ihm einen entstellten Sohn zurück-bringt“, antwortete der Prinz kaltschnäuzig.
    Angespannt atmete der Held aus. Eins musste er dem Prinzen lassen, er ließ sich nicht einschüchtern, nur vermutete der Held, dass es nicht am Mut, sondern an seiner Naivität lag. Er glaubte wohl nicht, dass er ihm wirklich etwas antun würde. Sollte er ihn vom Gegenteil überzeugen? Der Held hatte große Lust dazu, doch wenn Greg den Prinzen wirklich eintauschen wollte, dann wäre es in der Tat besser ihn unversehrt zu übergeben. Doch mussten sie ihn denn wirklich übergeben? Wie viel Lösegeld konnte so ein Prinz schon Wert sein? Und lohnte das all den Ärger überhaupt?
    „Iss es, oder lass es, aber hör auf rumzujammern!“, fuhr der Held ihn an und verließ dann den Raum, um die Treppe nach oben zu gehen und nach Greg zu suchen.
    Er fand ihn nicht, was wohl hieß, dass er sich in seiner Kapitänskajüte befand. Wütend hämmerte der Held mit der rechten Faust gegen die Holztür.
    „Wir müssen reden! So geht das nicht weiter mit diesem Prinzen.“
    Es dauerte ein bisschen bis sich die Tür öffnete und der Held in Gregs skeptisches Gesicht blickte, das erschienen war.
    „Wat hest du denn för een Grund hier rüm to schrien?“
    „Der kleine Goldjunge, er untergräbt die Moral der Crew, ich halt es auch nicht mehr mit ihm aus“, gab der Held trocken zu.
    „Keen Wunner. Hast ja ok bloot ene kort Lunte“, sagte Greg verdrießlich.
    „Willst du das wirklich durchziehen? Wir müssen erst noch nach Adloka und wenn wir dann auch noch nach Ustet mit ihm sollen, dann kann sich das noch Monate hinziehen.“
    „Joa, stell di beter drauf ein, dat he noch länger bi uns blieven wird.“
    Mit gequältem Gesichtsausdruck sah der Held zu seinem Kapitän und sagte: „Das wird doch nichts. Die Crew ist jetzt schon angepisst. Der steht nur im Weg rum, nervt und verbraucht unnötig Essen. Und wer weiß, ob der überhaupt ein Prinz ist und selbst wenn, vermutlich sieht sein Vater es gar nicht gern, dass wir ihn entführt haben.“
    „Aufgefischt. Wi hebben ihn aufgefischt. Wi bringen ihn nur nach Huss un woll‘n daför Finderlohn“, korrigierte Greg ihn geflissentlich.
    „Und was, wenn der König das anders sieht? Er könnte uns mit seinen Kriegsschiffen verfolgen und versenken. Wozu das alles? Nur für ein bisschen Gold? Das ist es doch nicht wert. Ohne den sind wir nicht dran gebunden überhaupt zu seinem Königreich zu fahren“, versuchte der Held Greg zu überzeugen. „Und wenn dieser Auftrag wirklich so schwierig ist, wie die Crew befürchtet, dann ist der Typ nur eine Last. Vielleicht könnte er sogar alles vermasseln.“
    Tatsächlich wurde der Piratenkapitän nachdenklich. Vermutlich hatte er auch keine Lust den Prinzen noch so lange auf seinem Schiff zu dulden. Um seinem Kapitän noch einen Schubs in die richtige Richtung zu geben sagte der Held: „Wenn wir ihn bei der nächsten Insel absetzen, geb ich dir tausend Goldstücke, einverstanden?“
    Anspannung lag in der Luft. Der Held versuchte im Gesicht des Kapitäns zu lesen wie er sich entscheiden würde, doch seine Miene war unergründlich. Endlich sagte er: „Abgemacht.“
    Sie schlugen ein.


    Die nächste kleine Insel, die einen Tag später in Sicht kam, war kaum größer als die Waraninsel vor Khorinis. Greg wollte schon den Anker setzen, doch der Held befand das nicht für nötig. Seiner Meinung nach waren sie nah genug an der Insel und er griff sich den ungläubig guckenden Prinzen einfach und warf ihn von Bord.
    „He, ich wollte ihn runterschmeißen“, beschwerte sich Bill, doch es war schon zu spät.
    „Wir könnten ihn ja noch mal mit der Harpune auffischen“, feixte Alligator Jack.
    Die Piraten lachten.
    "Das könnt ihr doch nicht machen! Ich kann nicht schwimmen" rief der Prinz panisch aus dem Wasser und paddelt hilflos mit den Armen.
    "Du hast Zeit es zu lernen bis du ersoffen bist" rief ihm der Held kaltblütig zu, während das Piratenschiff, auf dem nun fröhliches Gejohle erklang, an ihm vorbeifuhr und sich langsam entfernte.
    Geändert von Eispfötchen (24.03.2023 um 18:04 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Der Hai im Schildkrötenpanzer

    Je weiter sie nach Norden kamen, umso kälter wurde es. Hier war deutlich zu spüren, dass es Winter war. Die Winde bliesen eisig und selbst die harte Arbeit auf dem Schiff ließ sie nicht richtig warm werden. Alles war kalt und klamm und ungemütlich.
    Auf dem Weg nach Adloka trafen sie wieder auf die „Feuer“ und die „Flamme“, die beiden adlokanischen Handelsschiffe, die sie vor einiger Zeit in einer denkwürdigen Seeschlacht besiegt hatten. Die beiden Schiffe sahen immer noch übel zugerichtet aus und kamen nur langsam voran. Als die Mannschaften das Piratenschiff wiedererkannten, hatten sie ihnen ausweichen wollen, doch Greg ließ Kurs an ihnen vorbei nehmen, um sie mit ihren Kanonen erneut beschießen zu können. Der Piratenkapitän hoffte sie so noch weiter aufhalten zu können, damit sie selbst einen guten Vorsprung hatten und in Adloka nicht verraten werden konnten. Der Held schlug vor die beiden Schiffe gleich ganz zu versenken, doch Greg meinte, er wolle nicht mehr Munition als nötig für diese Angelegenheit aufwenden.
    Die Stimmung in der Mannschaft war immer noch gedrückt. Es hatte ein kleines Hoch gegeben, als sie Prinz Marcello über Bord geworfen hatten. Der Mitternachtsimbiss hatte fast wie ein kleines Fest angemutet. Die Stimmung war gelöst und jedermann hatte gescherzt und gelacht. Doch jetzt kreisten alle Gedanken wieder um ihren mysteriösen Auftrag, der nun auf sie zukam. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit fragten sie Greg nach Einzelheiten aus, doch der blieb verschwiegen, selbst als die Entertruppführer darum baten, dass zumindest sie eingeweiht werden sollten, wies er ihre Bitte ab. Selbst als Adloka in Sicht kam und es höchste Zeit gewesen wäre seine Leute einzuweisen schwieg der Kapitän. Sein Verhalten beunruhigte nun sogar Henry, der seinem Kapitän sonst blind vertraute. Wie er dem Helden im Vertrauen mitteilte, befürchtete er, dass der Auftrag so aussichtslos sein könnte, dass Greg fürchtete, sie würden meutern, wenn er sie zu früh einweihte. Obwohl der Held nun schon einiges erlebt hatte, begann sich auch in ihm eine gewisse Aufregung zu bilden. Er war nicht ängstlich, aber äußerst gespannt was für ein aufregendes Abenteuer sich ihnen bald bieten würde. So wie die Crew immer redete würde es wohl unglaublich spannend werden. Am liebsten hätte er mal den neuen Feuermagiekristall ausprobiert, den er auf der Pirateninsel durch seinen Sieg bei den Arenakämpfen errungen hatte, doch trotz seiner Neugier hielt er sich zurück. Immerhin befanden sie sich auf einem Holzschiff und im Kristall befand sich bestimmt ein Feuerzauber. Da er nicht wusste worauf er sich einstellen musste, entschied er sich weiterhin geduldig zu bleiben. Der richtige Moment würde schon noch kommen.
    Adloka war gewaltig. Wie schon früher segelten sie am Morgen eine Zeit lang in Sichtweite der Küste entlang, Richtung Osten. Greg ließ sie die Galkadische Flagge von König Fion hissen, eine goldene Sonne auf orangenem Grund und schärfte ihnen ein sich von nun an wie ganz normale Seemänner zu benehmen. Das brachte weitere Unruhe in die Mannschaft, denn so manch einer wusste nicht mehr den Unterschied zwischen einem Piraten und einem normalen Seemann.
    „Also kein Diebstahl?“ fragte Bill.
    Alligator Jack nickte.
    Bill zog einen Flunsch.
    „Was ist mit Alkohol?“ wollte Bones aufgeregt wissen.
    Alligator Jacks Stirn runzelte sich.
    „Das sollte gehen. Kann mir nicht vorstellen, dass die anderen keinen Alkohol trinken.“
    Seine Worte ließen Bones breit grinsen und erleichtert stieß er aus: „Puh… Adanos sei Dank, ich dachte schon…“
    Aber was er genau dachte, bekamen sie nicht mehr zu hören, denn der ehemalige Seifensieder Tobias rief aus dem Ausguck: „Drei adlokanische Kriegsschiffe voraus.“
    Sofort stürzten alle nach vorn, selbst diejenigen, die eigentlich gerade mitten in der Arbeit waren. Beim Großmast gab es ein ratschen, weil eine Schot riss, die gerade hatte angepasst werden müssen, doch das war im Moment wohl allen egal. Jeder schaute nur nach vorne, wo die drei großen Kriegsschiffe sich näherten. Das größte war sicher doppelt so lang wie die „Murietta“, die nun „Fions Stolz“ hieß.
    „Verdammich, aver dat musste ja so kommen“, sagte Greg und sah mit seinem alten Fernrohr zu den drei Kriegsschiffen, die in einem auffälligen Orangerot lackiert waren. Sie waren nicht so hübsch wie die „Hosianna“, aber machten ordentlich was her. Natürlich wehten auf dem Masttopp die Fahnen von Adloka. Ein silbernes Innosschwert umringt von goldenen Flammen auf rotem Grund. Zusätzlich flatterten viele Wimpel in den Farben von Adloka im leichten Wind. Die beiden kleineren Schiffe hießen „Bestrafung“ und „Die heilige Wächterin“. Das größte trug den Namen „Läuterfeuer“. Wie auch schon die „Innos Strafe“, die sie damals in den Sturm getrieben hatte, waren diese Schiffe keinem einheitlichen Schiffstyp zuzuordnen. Vom Aufbau ähnelten diese drei Schiffe der „Innos Strafe“ aber sehr. Sie waren groß, aber windschnittig und robust und jedes hatte ein mit goldfarbe bemaltes hölzernes Schwert als Gallionsfigur. Die blendend weißen Segel hingen recht schlaff, da sie nicht viel Wind abbekamen, da sie einen ungünstigen Kurs eingeschlagen hatten, um „Fions Stolz“ abfangen zu können. Die beiden kleineren Schiffe hatten zwei Decks mit Kanonen und könnten fast zweihundert Mann beherbergen und beim größten könnten es sogar noch einmal fünfzig mehr sein. Außerdem hatte es sogar drei Kanonendecks. Alles kam jetzt darauf an, dass ihr Bluff funktionierte, denn wenn nicht würden die Schiffe sie wohl auf den Grund des Meeres schicken. Wenn die „Innos Strafe“ nach Adloka zurückgekehrt und von der „Murietta“ berichtet hatte, dann würde es ihnen wohl auch nicht helfen, dass sie das Schiff umbenannt hatten.
    „Torüch to de Arbeit, faulet Pack!“ rief Kapitän Greg und scheuchte seine Männer zurück.
    Seine Crew sollte geschäftig aussehen, vielleicht half das auch dabei die Furcht der Männer zu überspielen. Die drei Schiffe näherten sich immer weiter. Immerhin kamen die adlokanischen Schiffe direkt auf sie zu und drehten nicht bei, um sie zu beschießen. Den Gefahrenpunkt hatten sie bereits überschritten. Hätten sie auf sie schießen wollen, hätten sie das doch sicher längst getan, oder?
    Wie sich herausstellte wollte der Kapitän der „Läuterfeuer“ zunächst einmal nur mit ihnen reden. Er war ein großer und kräftiger Mann, trug einen auffallend roten edlen Mantel über seiner strahlenden Paladinrüstung und nutzte eine Art Trichter, um seine Stimme lauter und weiter wehen zu lassen.
    „Innos zum Gruß. Was führt euch hierher?“
    Greg holte tief Luft und rief dann so laut es ihm möglich war zurück: „Wir kommen im Auftrag von König Fion. Wir sollen nach Königsbrück segeln und dort einen wichtigen Handelsauftrag annehmen.“
    Der kleine Nils und Bernhard, die neben ihm gearbeiteten hatten, hielten nun inne und starrten nun verwundert zum Kapitän.
    „Wat denn?“ fragte er knurrend und sah sie abschätzig an.
    „Du hättest die ganze Zeit auch normal reden können?“ fragte Bernhard, während der kleine Nils den Mund nicht mehr zubekam.
    Greg schnaufte genervt und wandte sich dann wieder der „Läuterfeuer“ zu, die nun kaum zwanzig Meter rechts neben ihnen vorbeifuhr.
    „Wir hatten euch zunächst für Piraten gehalten, der beiden schwarzen Segel wegen“, rief der Kapitän des adlokanischen Kriegsschiffes herüber.
    Der Held kam nicht umhin zu bemerken, dass die Piraten versuchten, die wachsam herüberspähenden Ritter und Paladine zu ignorieren. Leider sahen einige der Piraten recht nervös aus und er legte sich schon ein paar gute Zauber bereit für den Fall, dass die Situation eskalierte.
    „Wir wurden angegriffen. Die feigen Hunde haben sich aber mit den Falschen angelegt. Auf die Schnelle war es aber schwer Ersatz ranzubekommen“, rief Kapitän Greg hinüber. „Wir haben einen engen Zeitplan und wir wollen unseren König natürlich nicht enttäuschen. Da haben wir einfach die Segel dieser Halunken übernommen, um rasch weitersegeln zu können.“
    „Mit diesen Kanonen habt ihr sie sicher schnell zerschossen. Sehen gut aus“, kam es vom adlokanischen Kapitän herübergeweht.
    „Danke. Eure Kanonen sehen aber sogar noch besser aus“, gab Greg das Kompliment zurück.
    Der Held war erstaunt wie ruhig und gefasst seine Stimme blieb. Es gab nicht viele Männer, die in einer solch angespannten Situation so beherrscht geblieben wären.
    „Wir drehen bei und eskortieren euch nach Königsbrück“, sagte der Seepaladin dann.
    Greg nickte knapp und winkte. Es sollte wohl Dankbarkeit ausdrücken. Greg drehte sich um und erst dann sah der Held einen Funken Besorgnis, der durch die stahlharte Fassade des Piratenkapitäns durchbrach. Einen Moment musste der Held überlegen, dann verstand auch er. Vielleicht hatten diese Paladine ihren Bluff geschluckt, aber vielleicht hatten sie ihn auch durchschaut. Vielleicht wussten sie, dass sie Piraten waren und der einfachste und schnellste Weg sie einzukassieren war, sie nach Königsbrück zu bringen und sie dort gefangen zu nehmen, sobald sie im Hafen vor Anker lagen. Ganz einfach, ohne großes Seegefecht, ohne blutiges Gemetzel. Wenn sie erst einmal im Hafen waren, dann gab es für die Piraten keinen Ausweg mehr. Als der Held in die Gesichter der anderen Piraten blickte, sah er Besorgnis, aber auch Erleichterung. Manche waren vermutlich fest davon überzeugt, dass ihre Tarnung geglückt war, oder vielleicht redeten sie sich das auch nur ein.
    Während des Mitternachtsimbiss ließ Greg endlich den Katzenhai aus dem Netz. Der Trupp von Parviz und dem Helden hatte im Moment Schiffsdienst, doch der Held hatte es sich nicht nehmen lassen zu hören was der Kapitän sagen würde und als Greg Skip losschickte, um Parviz zu holen, wusste er, dass er sich richtig entschieden hatte.
    „Et is so weit. Dat hier wird unser gefährlichstes Aventüer. Solltet ihr de nächsten Daage överleven, denn werdet ihr sie för den Rest eures Levens nich mehr vergeten“, begann der Kapitän.
    Es war ein Wahnsinns Beginn für eine Rede und all die Angst und die Befürchtungen der Crew brachen nun aus ihnen heraus. Kurz brach ein Lärm los, doch dann wurden die Piraten wieder still, denn sie wollten hören was ihr Kapitän zu sagen hatte. Die Gesichter der Piraten sahen ungläubig, wütend, bestürzt und ängstlich aus. Viele schoben ihre noch nicht ganz leergegessenen Teller von sich. Offenbar war ihnen der Appetit gründlich vergangen.
    „Wi sünd hier, üm in Königsbrück den Rieksappel vun Königin Leandra to stahlen. Den will Samson de slimme Sünner unbedingt in siene oolt Hechtflossen kriegen. So en oolt Familiensaak, vun wegen en oolt Erbstreitigkeit. Die Ururgroßmoder vun Leandra hett dat Teil gaar nich erben dürfen und et wäre nich rechtmatig ween, as hör Vörfohrin dat dann as Mitgift nah Adloka hatte mitnehmen dürfen. Wat weß ik.“
    Der Kapitän wedelte mit seiner Hand herum, als wollte er eine Scheißhausfliege verscheuchen. Der Held verstand soweit, dass Samson und Leandra wohl um ganz viele Ecken miteinander verwandt waren und dieser Reichsapfel wohl nicht nur einen materiellen, sondern auch einen symbolischen Wert hatte.
    „Und wegen diesem Scheißding sollen wir jetzt unser Leben riskieren?“ fragte Francis angefressen.
    „Wenn wi dieses Teil in‘n Finger kriegen, denn wird uns Samson nich bloot seggen wo de Esmeralda mit dem Drachengoold hingeschippert is, denn werden ok keene anner Piraaten dat mehr wagen uns antogriepen. Wer sik gegen Adloka stellt un winnt, dem traut man allens to. Versteht ihr?“
    Die Erkenntnis sickerte nur langsam in die Hirne seiner Crew, dabei hatten sie heute gar nicht so viel gesoffen wie sonst.
    „Du bist doch komplett wahnsinnig geworden“, wagte Francis das Wort zu erheben, dann stand er auf und tippte sich gegen den Kopf. „Gegen Adloka, gegen ganz Adloka? Du hast sie doch nicht mehr alle! Es hat ja auch einen Grund warum sich keine Piraten hierher trauen und wir sollen dieses Scheißteil der Königin direkt unter‘m Arsch wegklauen? Wie stellst du dir das eigentlich vor?“
    Dieser starke Gefühlsausbruch hinterließ einen tiefen Eindruck auf viele andere Piraten. Gregs verbliebendes Auge verengte sich. Seine Kiefermuskulatur verhärtete sich. Sicherlich kochte es in seinem Inneren doch nach außen hin blieb er gelassen und selbstsicher.
    „Ik stell mi dat so vör, dat wi in‘n Haven föhren un he dat Ding mit Magie ut dat Palast vun de Königin haalt“, sagte Greg und zeigte dabei auf den Helden.
    Der schaute überrascht, denn natürlich hatte er davon bisher genauso wenig gewusst wie die anderen Piraten, die ihn nun misstrauisch ansahen, so als wäre er die ganze Zeit in den Plan des Kapitäns eingeweiht gewesen.
    „Weißt du denn ob der Palast in der Nähe des Hafens liegt?“ fragte der Held.
    „Samson seed, dat he gliek nebenan is“, sagte Greg und nickte.
    „Hm…“, machte der Held und fuhr sich gedankenverloren durch den Bart.
    Alle starrten ihn an und ihm war klar, dass er sich jetzt besser schnell einen Plan ausdachte.
    „Zunächst sollten wir wissen wie viele Wachen es gibt und wie man am besten in den Thronsaal oder die Schatzkammer kommt, je nachdem wo sich dieses Ding befindet. Wie sieht das Teil eigentlich genau aus?“
    „Wie en grooter Apple aus Goold“, sagte Greg knapp. „Ik dacht du kunnst di in een Vieh wanneln un an de Wand des Palastes opstiegen, oder hoochflegen.“
    „Könnte gehen, wenn ich nicht dabei gesehen werde“, sagte der Held. „Als Tier bin ich sehr verwundbar, ich sollte also besser keine Aufmerksamkeit auf mich ziehen.“
    „Ich könnte versuchen herauszufinden wie viele Wachen es gibt, aber das wird schwierig und in den Palast komme ich sicher nicht rein“, sagte Bill und sah den Helden unsicher an.
    Es war ihm deutlich anzusehen, dass er ihm helfen wollte, aber selbst daran zweifelte, ob ihm diese schwere Aufgabe gelingen würde.
    „Zu riskant“, erwiderte der Held gleich. „Nein, ich dachte eher an eine Seelenwanderung. Mein Körper bleibt dabei auf dem Schiff, aber ich kann mit meinem Geist herumspionieren. So finde ich alles heraus was ich wissen will, ohne dass es jemandem auffällt.“
    „Sowas kannst du?“ fragte Alligator Jack erstaunt.
    Auch viele andere Piraten sahen überrascht, beinahe ehrfürchtig aus.
    „Das ist hohe Magie Beliars“, bemerkte Parviz und musterte den Helden interessiert. „Ich hab nur einmal davon in einem alten magischen Buch gelesen, aber noch nie davon gehört, dass jemand tatsächlich diesen Zauber durchführen kann.“
    „Ich habe ihn in Varant gelernt“, erklärte der Held knapp. „Während des Zaubers bin ich völlig wehrlos. Es muss also jemand um mich herum sein, der mich bewacht.“
    „Sollte kein Problem sein, ich mach das“, sagte der große Ragnar sofort.
    „Wenn ich dann in Erfahrung gebracht habe was ich wissen muss, kann ich entscheiden, ob ich mich in ein Tier verwandele, oder wie ich sonst in den Palast komme. Ich kann gut schleichen und Schlösser öffnen und falls ich entdeckt werde, könnte ich denjenigen in Schlaf versetzen, oder den Vorfall vergessen lassen. Das könnte klappen“, sagte der Held optimistisch.
    „Klingt nach einem Plan“, sagte nun auch Henry.
    „Ein furchtbarer Plan, bei dem alles schiefgehen kann“, murrte Francis.
    „Hest du en beteren Vörslag?“ fragte Greg herausfordernd.
    Verbittert schüttelte Francis den Kopf.
    „Dann halt de Backen!“, knurrte Greg.
    Es war nicht zu übersehen, dass auch viele andere Piraten wütend und unsicher aussahen und es war nun leicht zu verstehen, warum Greg so lange gewartet hatte, bis er sie in den Auftrag einweihte. Jetzt kamen sie nicht mehr weg. Die drei Paladinschiffe eskortierten sie nach Königsbrück. Entweder sie würden dort versagen, oder siegen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht mehr. Hätte Greg vorher mit der Sprache herausgerückt, dann hätte es vielleicht eine Meuterei gegeben, bei der Greg getötet wurden wäre, oder die Crew wäre in zwei Lagern zerfallen, die einen die gegen Greg und diesen Auftrag waren und die anderen, die weiterhin loyal zu Greg standen und ihn verteidigten. Nun war dies aber alles vom Tisch. Ihre einzige Überlebenschance bestand darin weiterhin zusammenzuhalten und irgendwie den Kopf aus der Schlinge zu bekommen.
    „Hört zu. Wi mööt allens doon, dat uns de Paladine för ganz normale Seemänner halten. Also verhaltet euch verdammt noch mal ook so. Geevt eurem Vorgesetzten keene Wedderworte, führt eure Arbeiten gau un gründlich ut un zeigt Disziplin. Wenn de Paladine vun vornherein darvun övertüügt sünd, dat wi bloot Faulpelzen un Haderlumpen sünd, denn werden sie uns gliek nadem wi vör Anker gahn sünd fastnehmen.“
    Einige aus der Crew nickten. Andere stöhnten oder seufzten verhalten. Der Held wollte die Stimmung aufbessern und sagte daher: „Macht euch keine Sorgen. Alles wird gut.“
    Greg nickte ihm dankbar zu und sagte dann: „Wi schaffen dat. Ik heff en intressanten Breef zwischen den Unterlagen vun den früheren Kapitän funnen. König Fion mutt em mitgeven hebben. Die Murietta sollte wohl wirklich mal na Königsbrück föhren un dissen Breef överbringen. Üm dat kort to maken, et geht um Politik, nix wat uns wat angeiht, aver dieser Breef gifft uns en offiziellen Grund warum wi da sein sollten.“
    „Vielleicht könnte er ja wieder seine Paladinrüstung tragen, dann vertrauen sie uns vielleicht eher“, schlug Henry vor und zeigte auf den Helden.
    „Das könnte übel enden“, widersprach der Held. „Selbst normale Bürger auf den Vulkaninseln haben gesehen, dass es keine Paladinrüstung von dort war. Die Seepaladine kennen sich bestimmt gut aus und wissen wie die Rüstungen der Ritter und Paladine von König Fion aussehen. Dann würde unser Schwindel nur noch schneller auffliegen.“
    „Kene Paladinrüstung!“ entschied Greg und damit war die Diskussion wohl beendet.
    Der Kapitän schickte die eine Hälfte seiner Crew zurück an die Arbeit und die andere ins Bett, damit sie morgen ausgeruht waren.

    Die Fahrt nach Königsbrück dauerte bis zum nächsten Nachmittag. Die Stadt war äußerst beeindruckend. Obwohl der Held schon viel herumgekommen war, hatte er noch nie eine derart große und schöne Stadt gesehen. Die Häuser waren überwiegend aus weißem Stein gebaut. Die Dächer waren einheitlich rot. Es war ganz erstaunlich wie sehr die Häuser sich ähnelten. Vielleicht gab es ja ein Gesetz, das vorschrieb wie die Häuser auszusehen hatten. Die Stadt erstreckte sich über mehrere Kilometer, wobei sie vom Schiff aus nur die dem Wasser zugewandte Seite sehen konnten, die hinter der sicher dreißig Meter hohen weißen Wehrmauer zu sehen war. Dort in der Ferne, stieg das Gelände leicht an und öffnete sich in einer weiten Senke zum Wasser. Der Hafen lag nicht einfach ungeschützt da, stattdessen war die Mauer ein ganzes Stück weit ins Meer hineingebaut und die Öffnung, durch die nun die vier Schiffe fuhren, war so groß, dass sie alle vier nebeneinander fahren konnten. Alle Piraten hatten für einen Moment ihre Arbeit vergessen. Sie standen einfach nur da und gafften. Auch der Held war sprachlos. Er hatte sich nicht einmal vorstellen können, dass Menschen so etwas bauen könnten. Er sah sich aufmerksam um und bemerkte die vielen Kanonen und einen raffinierten Mechanismus an den Innenseiten der Mauer. Er bestand aus vielen Zahnrädern verschiedener Größe, einem Gewinde und je einem Flaschenzug. Offenbar konnte das große Tor sogar geschlossen werden, wenn der Hafen angegriffen wurde. Die Türen reichten aber nur bis knapp über die Wasseroberfläche. Vermutlich wäre der Widerstand des Wassers zu groß, um die Türen auch Unterwasser schließen zu können. Der Held wies den Kapitän darauf hin, doch der hob nur die Hand und sagte: „En anner Mal.“
    Er ruckte mit dem Kopf zur „Läuterfeuer“, die dicht neben ihnen fuhr. Die Paladine und Ritter amüsierten sich wohl über die weit aufgerissenen Augen und die staunenden Blicke der Besucher.
    „Vergesst die Arbeit nicht, Männer!“ erinnerte Greg laut mit ungewohnt deutlicher Aussprache.
    Da sich im Moment alle Piraten an Deck befanden, herrschte ein regelrechtes Gewusel. Greg beobachtete genau was die Paladine taten, wenn sie Fahrt rausnahmen ließ er seine Männer es ihnen gleichtun, wenn sie ihren Kurs korrigierten, tat er es ihnen nach. Die Situation auf dem Schiff war sehr angespannt. Normalerweise würden die Männer mit wüsten Flüchen um sich hauen und schimpfen, doch heute verkniffen sie sich das, um nicht unnötig die Aufmerksamkeit der Paladine auf sich zu lenken. Der Held betrachtete seine Umgebung weiter während er die Segel reffte. Natürlich zog der strahlend weiße Palast der Königin besonders viel Aufmerksamkeit auf sich. Er sah gigantisch aus und sollte ohne jeden Zweifel von der scheinbar grenzenlosen Macht der Königin künden. Der edle Palast hatte viele hohe beeindruckende Türme. Die weißen Mauern sahen glatt und makellos aus. Hohe schmucke Buntglasfenster glitzerten in der Sonne. Auf hohen Zinnen konnte der Held ganz klein Soldaten patrouillieren sehen. Der Palast befand sich auf einem kleinen Hügel gleich neben dem Hafen. Dort gab es eine eigene Anlegestelle, die offenbar der königlichen Flotte vorbehalten war, denn sie war mit übergroßen Adlokanischen Flaggen versehen und ein überaus protziges Schiff lag vor Anker. Es war sicher doppelt so lang wie das Schiff der Piraten und viel höher gebaut. Statt schlank und wendig sah es sehr massig aus. Vermutlich würde es keine gute Fahrt machen, doch gab es sicher reichlich Platz für all den Luxus, den Königin Leandra vermutlich für wichtig erachtete. Das Schiff war noch viel prächtiger als die „Hosianna“. Es war rot und golden bemalt und auf den oberen Ebenen mit zahlreichen Intarsien versehen, für deren Herstellung sicher ein ganzes Heer an Handwerksmeistern auf Jahre hinaus beschäftigt gewesen war. Jedes Segel zeigte das Wappen von Adloka, war also rot, darauf ein silbernes Innosschwert, umgeben von goldenen Flammen. Als Gallionsfigur diente ein goldener Löwe. Auf dem Kopf trug er eine Krone und in den Pranken hielt er einen Reichsapfel und ein Zepter. Das Schiff hieß „Herrschaft“.
    Die Paladine wiesen sie jedoch an, ein ganzes Stück rechts daneben zwischen zwei anderen adlokanischen Schiffen anzulegen. Interessanterweise ankerte von den Paladinschiffen nur die „Läuterfeuer“ direkt am Kai, die anderen beiden ankerten im Hafenbecken. Sie waren so schneller wieder einsatzbereit und versperrten ihnen gleichzeitig den Weg zum Hafentor. Wie der Held bemerkte, führte ein Fluss ins Innere des Landes. Er wirkte zwar vergleichsweise breit, doch für die Paladinschiffe wäre er vermutlich nicht ausreichend. Entscheidend war aber nicht nur die Breite sondern vor allem die Tiefe.
    Während die Piraten ankerten, ließen die Mannschaften der „Heilige Wächterin“ und der „Bestrafung“ Beiboote zu Wasser, um je ein Dutzend Männer an Land zu bringen. Fast fünfzig Ritter und ein gutes Dutzend Paladine gingen nun auch von der „Läuterfeuer“ am Kai auf sie zu.
    „Jetzt kommt es drauf an Männer! Behaltet ruhig Blut und alles wird gut“, schärfte Greg ihnen ein, lies die Planke auslegen, um selbst mit seinen Entertruppführern von Bord gehen zu können.
    Sie hatten sich so gut es ging hergerichtet. Die Männer hatten sogar ihre Rüstungen gewaschen, die Bärte gestutzt und die Haare in Ordnung gebracht. So gepflegt hatte man die Piraten vermutlich noch nie gesehen.
    „Halt!“ rief der Anführer der Paladine.
    Greg hielt sofort inne und auch seine Entertruppführer taten es ihm nach. Sie standen zwei Schritte vom Kai entfernt noch auf der Planke. Das Holz knarrte beunruhigend unter ihren Füßen. Greg und die anderen versuchten es nicht zu beachten. Wieder einmal war der Held wirklich beeindruckt von der Gelassenheit, die der Piratenkapitän angesichts der schwierigen Lage ausstrahlte. Sie hatten sich mitten in die Höhle des Löwen begeben. Sie könnten praktisch jederzeit gefangen genommen, oder getötet werden, doch Greg behielt einen kühlen Kopf und ließ sich nicht einschüchtern. Angesichts all der Waffenmacht um sie her, war die Dreistigkeit mit der Greg sich hierhergewagt hatte nur umso beeindruckender.
    „Willkommen in Königsbrück“, sagte der Anführer der Paladine, den sie schon von ihrer ersten Kontaktaufnahme auf hoher See kannten. „Ich bin Lord Ignatius von Rosenberg und es ist meine Aufgabe das Reich vor Gefahren zu beschützen.“
    „Wie könnten wir eine Gefahr für das mächtige Königsbrück sein?“ fragte Greg schmeichelnd. „Angesichts dieser Befestigungen müsste man schon verrückt sein euch angreifen zu wollen und wie jeder weiß seid ihr adlokanischen Paladine die besten Krieger der ganzen Welt.“
    Seine Entertruppführer versuchten keine Miene zu verziehen. Auch die anderen fanden es ganz erstaunlich wie gefasst Greg blieb, aber noch mehr beeindruckte sie wie verständlich Greg sprechen konnte, wenn er es denn wirklich wollte.
    „Wohl war, aber uns irritiert, dass euer Schiff nicht angekündigt war“, sagte der Paladin und holte ein kleines Buch hervor, das ihm sein Adjutant reichte.
    „War es nicht?“ fragte Greg und tat verwundert. „Du meine Güte, dann muss unsere Nachricht untergegangen sein.“
    „Hmm… ungewöhnlich, aber nicht unmöglich“, sagte Lord Ignatius von Rosenberg ruhig, aber sein skeptischer Blick ließ erkennen, dass er den Worten von Greg nicht so recht glaubte. „Wie war noch gleich dein Name, werter Kapitän?“
    „Kapitän Derek ist mein Name“, sagte Greg und verwendete wieder den Namen, den er auch schon auf der Fischschwanzinsel verwendet hatte. „König Fion hat mich losgeschickt, um diese wichtige Nachricht an Königin Leandra zu übermitteln.“
    Er holte eine Rolle Pergament hervor, die mit einem königlichen Siegel versehen war und von einem goldenen Band geschmückt war. Nachdem der Held einen kurzen Blick darauf geworfen hatte, fragte er sich wie Greg ihn geöffnet hatte ohne das Siegel zu brechen. Der Paladin sah skeptisch auf die Pergamentrolle, trat dann vor und nahm sie Greg aus der Hand. Er musterte sie eingehend und schaute dann wieder in sein Buch.
    „Hm… hm…“
    Er blätterte einige Seiten hin und her.
    „Vor zwei Monaten hätte hier ein Schiff namens Murietta von König Fion einlaufen sollen…“
    Der Held fragte sich, ob es nicht besser gewesen wäre, den alten Namen zu behalten.
    „Tja, das ist leider nichts geworden“, sagte Greg und hielt dem stechenden Blick des Paladins stand.
    „Ja“, sagte der ruhig und beobachtete den Kapitän genau. „Uns wurde gemeldet, dass es vermisst wird.“
    „Richtig, deswegen hat König Fion nun sein bestes Schiff geschickt. Er wollte Königin Leandra nicht länger auf seinen wichtigen Brief warten lassen“, log Greg dreist.
    Das hörte sich für den Paladin wohl einleuchtend an, denn er sagte: „In Ordnung. Ich werde meiner Königin den Brief übermitteln und sie fragen, wie weiter mit euch zu verfahren ist. Bis sie das entschieden hat, dürft ihr leider noch nicht von Bord. Wenn die Königin euch gestattet von Bord zu gehen, dürft ihr euer Bordbuch beim Hafenmeister vorlegen.“
    Der Held fand es ganz erstaunlich wie der Paladin die Befolgung lästiger Vorschriften und langweiligem Bürokratismus als Privileg rühmte.
    „Habt ihr Waren an Bord, mit denen ihr Handeln wollt?“ fragte Lord Ignatius von Rosenberg und sah Greg weiterhin aufmerksam an.
    „Ja, wir haben Riesenhaifleisch und die Spezialität von den Vulkaninseln an Bord.“
    Ignatius verzog angewidert das Gesicht.
    „Das war doch dieser übel riechende eingelegte Fisch, oder?“
    Greg tat beleidigt und schnalzte mit der Zunge.
    „Lass das bitte nicht die braven Bürger von den Vulkaninseln hören. Sie sind sehr stolz auf ihr Nationalgericht, den Eisengrunder Gärfisch, hält sich praktisch ewig.“
    „Ja, naja, jedem das seine“, sagte der Paladin wenig angetan. „Geht jetzt zurück aufs Schiff! Ich benachrichtige euch, wenn die Königin sich über euren Aufenthalt geäußert hat.“
    Ignatius drehte sich um, stellte einen Trupp seiner Männer zur Bewachung ab und ging dann mit einem halben Dutzend seiner Männer in Richtung des Palastes davon. Greg und seine Entertruppführer gingen wieder auf ihr Schiff.
    „Soll ich jetzt die Seelenwanderung einleiten?“ fragte der Held den Piratenkapitän, als sie am Großmast vorbeikamen.
    „Joa, mok dat!“ nickte der ihm zu und sie gingen zusammen unter Deck.

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    Auf Messers Schneide

    Für die Seelenwanderung brauchte der Held lange. Er wurde zwar nicht von Hindernissen gestört, aber es dauerte zunächst einmal lang überhaupt zum Palast zu kommen und der war einfach so unfassbar riesig, dass es viel länger als vermutet dauerte bis er alles ausgekundschaftet hatte. Er hatte zwar mit vielen Wachen im Palast gerechnet, doch was ihm begegnete sprengte seine Vorstellungskraft. An einigen Türen, die nach eingehender Betrachtung zu wichtigen Orten wie der Schatzkammer, dem Thronsaal oder den Gemächern der Königin führten gab es feststehende Wachen, aber viel schwieriger würde es sein die vielen Patrouillen auszutricksen. Als der Held meinte genug gesehen zu haben kehrte er in seinen Körper zurück. Er schlug die Augen auf, spürte seine schmerzende Hüfte, die es nicht gewohnt war so lang und steif auf dem Boden zu sitzen und atmete tief durch. Im ersten Moment kam es ihm seltsam vor zu atmen und das irritierte ihn. So lange wie jetzt war er noch nie auf Seelenwanderung gewesen. Gab es vielleicht Magier, die sich selbst verloren hatten, weil sie zu lange unterwegs gewesen waren? Er hörte wie jemand aus der Messe stürmte und nach dem Kapitän rief.
    „Dor büst du ja endlich weeder. Dat hett ja ewig duurt“, polterte Greg, als er hereinkam.
    Der Held war immer noch dabei sich zu sammeln. Er stöhnte und sah hoch in die Gesichter von Parviz, Ragnar und Alejandro. Parviz musterte ihn eingehend, während Ragnar ehrfürchtig drein blickte und Alejandro fasziniert aussah.
    „Nu laat ut‘n Bart fallen! Wat hest du sehen?“, fragte der Kapitän ungeduldig.
    „Vor allem viele Wachen. Das wird nicht einfach. Irgendwie einbrechen und sich dann einen Weg durch den Palast suchen kann ich jedenfalls vergessen.“
    „Warum hast du das Ding nicht gleich mitgebracht, wenn du schon drin warst?“ fragte Ragnar und bevor der Held noch antworten konnte, fuhr Parviz ihn mit kalter Stimme an: „Man kann während der Seelenwanderung keine Gegenstände bewegen, du Trollkopf.“
    „Pass auf was du sagst, oder der Trollkopf schlägt dir DEINEN Kopf ein“, brüllte Ragnar aggressiv und ließ die Muskeln spielen.
    „Ruhe!“ brüllte Greg und zeigte dann auf den Helden. „Du! Weiter!“
    „Ich kann mich in eine Blutfliege verwandeln und hochfliegen, aber draußen sind Bogenschützen postiert, die könnten mich abschießen. Als Fleischwanze hätte ich vermutlich noch die besten Chancen ungesehen hochzuklettern, doch das wird ewig dauern. Vielleicht sogar einen ganzen Tag. Als Fleischwanze bin ich nicht besonders schnell und ich werde mich ausruhen müssen, denn wenn mich auf halbem Weg die Kraft verlässt werde ich mal eben fünfzig Meter runtersegeln und das hält kein Fleischwanzenkörper aus. Oben angekommen kann ich durch ein Fenster in den Thronsaal einsteigen und die Wachen mit einem Schlafzauber belegen. Dann schnapp ich mir den Reichsapfel verwandele mich wieder in eine Fleischwanze und klettere wieder runter.“
    „Hm…“, machte Greg.
    Was der Held sagte, stimmte ihn nachdenklich. Auch der Held musste zugeben, dass sein Plan viel Platz für Fehler ließ.
    „Wenn er getötet wird war es das mit dem Auftrag“, sagte nun Parviz trocken.
    „Stimmt“, sagte Greg und ging nachdenklich in der Messe auf und ab.
    Selbst er wurde nun unruhig.
    „Aber haben wir eine Wahl?“ fragte nun Ragnar.
    „Ne“, kam es von Greg. „Während du mit dien Magie beschäftigt weerst, keem dieser aufgeblasene Paladin zurück un hett uns de Erlaubnis geven, dat ik mit mien Offizieren de Stadt besöken darf. De ännern mööt op dat Schipp blieven. Wi werden vorgeben enen Deel vun dat Riesenhaifleesch zu verkopen, darbi kannst du di afsetten un to dat Palast krabbeln.“
    Der Held nickte, doch Parviz schlug vor: „Besser er verwandelt sich gleich in eine Fleischwanze und wir nehmen ihn mit. Die Paladine behalten uns sicher genau im Auge und es wird ihnen auffallen, wenn bei uns plötzlich einer fehlt.“
    „He hett Recht“, knurrte Greg. „Ik nehm di in mien Tasch mit un sett di irgendwo af, so dicht as mööglich an dat Palast an‘n besten.“
    Das gefiel dem Helden nun gar nicht. Er war nicht gerne auf die Gnade anderer angewiesen. Greg könnte ihn jederzeit töten, so lange er nur eine hilflose kleine Fleischwanze war. Doch immerhin brauchte er ihn. Ohne ihn würde er niemals an den Reichsapfel kommen. Das überzeugte ihn schlussendlich und er stimmte zu.
    „Gut, packen wir es an. Wir sollten gleich loslegen. Ich werde viel Zeit brauchen und wer weiß wie lange sie uns hier im Hafen dulden.“
    „Goot, denn los“, sagte Greg und sie bereiteten alles für ihren großen Coup vor.

    Zunächst lief alles nach Plan. Greg hatte ihn am Abend in der Nähe des Palastes unauffällig aus seiner Tasche geholt und an eine Hausmauer gesetzt, von der aus er weiter aufs Dach gekrabbelt war. Wie Parviz richtig beobachtet hatte, ließen die Ritter und Paladine sie nicht aus den Augen. Sie nahmen ihren Auftrag offenbar sehr ernst. Zunächst krabbelte der Held als Fleischwanze über das Dach und auf der anderen Seite wieder hinunter und kroch zwischen den Seitengassen umher. Es war schwer aus dieser Perspektive nicht die Orientierung zu verlieren, doch es konnte ihm niemand mehr helfen. Er war nun ganz auf sich allein gestellt. Die Straßen hatten sich mittlerweile geleert, so dass er nur einmal von einer Bürgerin gesehen wurde, die angewidert loskreischte und sich dann zurück in ihr Haus flüchtete. Der Held fürchtete sie käme mit einem Besen zurück und würde ihm den Gar ausmachen, daher krabbelte er so schnell ihn seine kleinen Fleischwanzenbeine trugen weiter. Verschnaufen wollte er nicht, denn die Zeit drängte. Wie er aus seinem reichen Erfahrungsschatz als verwandelte Fleischwanze wusste, dauerte es ewig so Strecke zu machen und er musste die Dunkelheit der Nacht nutzen, um durch das Gewirr der Straßen zu krabbeln, denn tagsüber würden wieder viele Menschen unterwegs sein. Der Held wusste nicht wie man es hier mit Ungeziefer handhabte, aber selbst ein unbeabsichtigter Tritt könnte ihn töten. Als der Himmel sich langsam hell färbte hatte er endlich den Palast erreicht. Er saugte mit seinen Tracheen noch einmal so viel Luft wie möglich in seinen kleinen Fleischwanzenkörper und begann dann den kolossalen Aufstieg. Der hatte es echt in sich. Vermutlich schrieb er gerade Fleischwanzengeschichte, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass jemals zuvor eine Fleischwanze so hoch gekrabbelt war. Bisher funktionierte es gut, die Wachen sahen ihn entweder nicht, oder beachteten ihn nicht weiter. Die meisten sahen recht gelangweilt aus. Vermutlich gab es im Palast nur selten Zwischenfälle und der normale Arbeitsalltag erstickte in Monotonie. Das konnte für den Helden vorteilhaft sein. Der Aufstieg forderte dem Helden alles ab. Stunde um Stunde, Meter um Meter schob er sich unermüdlich weiter nach oben. Seine kleine Fleischwanzenbeinchen hatten schon längst aufgeben wollen, doch hartnäckig ließ er nicht locker und trieb sie zum äußersten. Zum späten Nachmittag gönnte sich der Held eine Pause auf einem Erkerfenster. Mit seinen Fleischwanzenaugen konnte er nicht so recht erkennen was die bunten Bilder des Fensters darstellen sollten, doch die Farben sahen interessant aus. Er döste eine Weile um neue Kraft zu tanken. Von hier aus hatte er einen weiten Blick auf die Stadt, doch er wagte sich nicht allzu weit vor um hinunterzusehen. Als es dämmerte setzte er seinen Aufstieg fort. Bis tief in die Nacht kletterte er und nur der Mondschein beleuchtete seinen Weg. Da die Wände so weiß waren konnte er selbst mit seinen Fleischwanzenaugen den Weg gut erkennen. Es musste schon sehr spät sein, als er endlich das Fenster erreichte, das er mit der Seelenwanderung als Zielpunkt aufgespürt hatte. Als Fleischwanze kam es ihm riesig vor. Er setzte sich aufs Fensterbrett und verwandelte sich zurück. Plötzlich war es viel kleiner als erwartet. Er verlor den Halt und wäre sicher hinuntergestürzt, hätte er nicht geistesgegenwärtig seine rechte Hand ausgestreckt und am Fensterbrett festgehalten. Mit einem angestrengten Schnaufen zog er sich hinauf und zerschlug mit seinem Schwert das kostbare Buntglasfenster. Für den Helden hörte sich das zerschellende Glas erschreckend laut an, doch daran war jetzt nichts mehr zu ändern. Er stieg durch das entstandene Loch und ließ sich die fünf Meter hinunter in den Thronsaal fallen. Dort rollte er sich mit seinen Akrobatikfähigkeiten gekonnt ab und sah sich um. Der Thronsaal war riesig. Dagegen war der von Vengard ein Witz. Die Wände waren sicher zehn Meter hoch und durch die vielen Buntglasfenster fiel tagsüber viel Licht herein. Links und rechts zeigten Wandteppiche von enormer Größe das Wappen von Adloka. An der Decke hingen mehrere goldene Kronleuchter, die offenbar mit einem Mechanismus heruntergeholt werden konnte, um sie anzünden zu können, denn keine brauchbare Leiter wäre hoch genug, um zu ihnen hinaufzusteigen. Noch war offenbar keine der Wachen auf den Plan gerufen wurden, doch er wollte auf Nummer sicher gehen und schlich so leise es ihm mit den Piratenstiefeln möglich war zum weit entfernten Eingang des Thronsaals. Er hörte die Wachen am Eingang leise reden.
    „Also so hatte ich mir das Leben als königliche Wache nicht vorgestellt“, sagte eine junge Stimme aufwieglerisch. „Ich dachte es würde aufregender sein, aber wir stehen ja nur herum und nie passiert etwas.“
    Eine wesentlich ältere Stimme entgegnete: „Daran gewöhnst du dich schon noch. Nach zwanzig Jahren willst du gar nicht mehr, dass noch etwas passiert, weil du dann zu alt bist.“
    Weiter schlich der Held, bis er nur noch einige Meter hinter den beiden Wachen stand und zog dann eine Schlafrune aus seiner Hosentasche. Zunächst belegte er die ältere Wache damit.
    „He, schlaf nicht ein! Wir müssen noch drei Stu…“, fing die jüngere Wache an, doch dann hatte auch der Held ihn mit dem Schlafzauber belegt.
    Scheppernd fiel er dort wo er war zu Boden und schnarchte vor sich hin. Der Held freute sich, dass bisher alles so gut geklappt hatte. Seine Arme und Beine schmerzten wie verrückt, doch es fühlte sich gut an, dass er schon so weit gekommen war. Er drehte sich um und ging nun möglichst leise auf den goldenen Thron zu. Er stand auf einem kleinen steinernen Podest und sah sehr protzig aus. Es war ein goldener pompöser Stuhl, reich mit Intarsien verziert und mit einem roten dicken Kissen belegt. Hinter dem Thron befanden sich hohe breite Buntglasfenster, die das Licht der Mittagssonne einfingen und in den Thronsaal leiteten. Als der Held am Vortag während der Seelenwanderung hier gewesen war, hatte es wunderschön hier ausgesehen. Nun warf das Mondlicht nur matte Farben durch die Buntglasfenster auf den hellen Marmorboden. Der Held überlegte gerade ob es möglich wäre den Thron durch das Fenster zu schubsen. Das wäre doch mal ein beeindruckender Monarchensturz. Er drückte leicht gegen den Thron. Er bewegte sich keinen Millimeter. Er drückte stärker. Immer noch nichts. Er war wohl mit dem Marmorboden verankert. Schade. Aber jetzt war ohnehin nicht die Zeit für Spielchen, rief sich der Held in Erinnerung und sah sich nach dem Reichsapfel um. Als er hier mit der Seelenwanderung gewesen war hatte die Königin auf dem Thron gesessen, in der einen Hand ein Zepter und in der anderen den Reichsapfel, doch jetzt war nichts davon zu sehen. Prüfend sah der Held nach, ob es geheime Schubfächer im Thron gab, aber er fand nichts. Etwas ratlos drehte er sich einmal um die eigene Achse. Es gab auch keine Schränke, oder Truhen wo sie hätten verstaut sein könnten. Jetzt war er so weit gekommen und versagte trotzdem? Der Held dachte scharf nach. Wo könnte sich der Reichsapfel befinden? Es half nichts, er musste wieder auf Seelenwanderung gehen. Diesmal musste er sich beeilen, oder die Wachen würden wieder aufstehen und ihn festnehmen, während er hilflos auf dem Boden hockte. Zum Glück brauchte er nicht lange suchen. Die Gemächer der Königin befanden sich gleich neben dem Thronsaal und dort hatte er den Reichsapfel zusammen mit dem Zepter auf dem Nachtschränkchen entdeckt. Wieder im eigenen Körper machte sich der Held sofort auf den Weg, doch um an sein Ziel zu kommen, musste er an den Wachen vorbei. Erneut verwandelte er sich in eine Fleischwanze, kletterte die Wand hinauf, verließ den Thronsaal und kletterte hoch oben im Gang oberhalb einer Gemäldegalerie an den Wachen vorbei und umging so sogar eine Patrouille. Nun wurde es knifflig, denn die Wachen, die jeweils an den gegenüberliegenden Türen wache schoben, sahen sich gegenseitig. Der Gang war bestimmt zwanzig Meter lang, doch würden sie sicher bemerken wenn sich in ihrer Mitte ein Mensch scheinbar aus dem Nichts materialisierte, oder wenn er es irgendwie schaffte zwei der Wachen einzuschläfern. Er hatte einen Plan, aber es war gefährlich und er wusste keine andere Möglichkeit um an sein Ziel zu gelangen. Er kletterte weiter, schob sich Meter für Meter seinem Ziel entgegen. Die Zeit arbeitete gegen ihn. Schon schimmerte das erste Licht des Morgens durch die Buntglasfenstern, die den Gang erhellten.
    „Innos sei Dank ist die Schicht bald vorbei“, brummte eine der Wachen, auf die der Held nun kopfüber zu kroch.
    Er hatte vor an ihnen vorbei nach unten zu klettern und sich dann durch den Türspalt zu quetschen. Er war ihnen schon gefährlich nahe, krabbelte gerade an dem Helm des einen vorbei, der nun sagte: „Bin ich froh, wenn ich nach Hause ins Bett kann und dann hab ich meinen freien Tag.“
    „Hast du was geplant?“
    „Ich gehe mit meinem jüngsten zum Angeln an den Fluss. Neulich hat er einen prächtigen Buntbarsch aus dem Wasser gezogen.“
    „Pass bloß auf, dass er nicht Fischer wird“, erwiderte die Wache, die jetzt nur den Ellenbogen strecken müsste, um den Helden von der Wand zu fegen.
    „Warum nicht? Meinst du das ist schlechter als das hier? Immerhin wäre er an der frischen Luft und an der Sonne“, fragte die Wache mit dem Sohn.
    „Im Moment bin ich lieber hier drin, wo man vor dem eisigen Wind sicher ist“, gab sein Kollege zurück.
    Der Held war dankbar für das ablenkende Gespräch, denn so konnte er sich tatsächlich unter der Tür hindurchquetschen. Er krabbelte zwei Meter weiter und verwandelte sich dann zurück.
    „Hast du das gehört?“ fragte eine der Wachen draußen vor der Tür.
    Der Held verfluchte still den Umstand, dass die Rückverwandlung immer mit einem Geräusch einherging.
    „Ach das ist nichts“, sagte die andere Wache.
    „Doch“, beharrte die Wache mit dem Sohn. „Ich hab was gehört.“
    „War bestimmt nur das Schnarchen der königlichen Hoheit“, grummelte die andere Wache.
    „Meinst du wirklich?“ fragte sein Kollege skeptisch.
    „Ja, meine ich. Oder willst du vielleicht da reingehen und nachschauen? Und wenn sie dann aufwacht, was willst du dann sagen? Ne, also ich hab nichts gehört“, sagte die Wache stur.
    „Also wenn du es so sagst, dann habe ich auch nichts gehört“, sagte sein Kollege und sie wechselten wieder zum Thema was sie heute noch unternehmen würden.
    Der Herzschlag des Helden hatte sich während ihrer Verdächtigungen beschleunigt und wurde nun langsam wieder ruhiger. Leise schlich er durch das Schlafzimmer. Es war furchtbar kitschig eingerichtet, mit lauter Rüschen und Decken. Das große Himmelbett der Königin befand sich direkt in der Mitte des Raumes und die Königin schnarchte wirklich. Während sich der Held zum Nachtisch schlich, der neben dem Bett stand, sah er wachsam zur Königin hinunter, denn falls sie aufwachte würde sie gleich die Wachen alarmieren. Unwillkürlich musste der Held an Henrys Worte von neulich denken: „Feine Klamotten und ne Figur wie ein Sack Muscheln, dass muss ein Adliger sein.“
    Tatsächlich hatte Königin Leandra erstaunlich viel Ähnlichkeit mit einer fetten Qualle, fand der Held. Sie lag wie aufgedunsen rücklings in ihrem Himmelbett und bei jedem lauten schnarchenden Ausatmen bewegte sich ihr weißes Nachthemd und beim Einatmen hob es sich, so als würde sie durch den Ozean treiben, auf der Suche nach kleinen Partikeln, die sie einatmen könnte. Sie mochte sicher über vierzig sein, aber so genau konnte der Held das nicht sagen. Vielleicht milderte das Mondlicht auch die Umstände ab und sie war vielleicht schon fünfzig. So genau wollte der Held nun auch nicht hinsehen. Auf leisen Sohlen näherte er sich weiter dem Nachtschränkchen und nun schlug sein Herz wieder schneller vor Aufregung. Der Reichsapfel war nun zum Greifen nah. Der Held fand, dass er gar nicht so sehr wie ein Apfel aussah, sondern mehr wie eine Kugel. Sie war ganz aus Gold und oben ragte ein silbernes Schwert heraus, das von orangeroten Flammen umgeben war. Die kleinen Flammen waren nicht einfach nur ein künstlerisches Element, sie flackerten dort wirklich. Es musste wohl eine Art Magie sein, die sie lodern ließ. Der Held streckte die rechte Hand nach dem Reichsapfel aus und griff ihn sich. Obwohl er darauf achtgegeben hatte nicht die Flammen zu berühren, spürte er einen schrecklichen sengenden Schmerz in der Hand. Der Held ließ es nicht so weit kommen, dass er laut aufgeschrien hätte, doch ein ungewolltes leises Knurren schlüpfte ihm doch hervor. Das regelmäßige Schnarchen neben ihm wurde zu einem kurzen Grunzen, dann blieb es ganz aus. Unbehaglich sah der Held zum Bett und von dort starrten ihm die großen Glubschaugen der Königin entgegen. Der Held erschreckte sich. Ihr Dreifachkinn sackte herunter und sie schrie laut auf. Der Held zögerte. Sollte er sie umbringen? Die Gelegenheit war günstig, doch andererseits zählte jetzt jede Sekunde. Er traf eine Entscheidung und nahm die Beine in die Hand.
    „WACHEN! WACHEN!“ donnerte die mächtige Stimme von Königin Leandra hinter ihm her.
    Der Held steckte den Reichsapfel, der ihn nach wie vor quälte in seine magische Hosentasche und zog eine Feuersturmrune hervor, die er in die linke Hand legte. Mit seiner rechten, mittlerweile verbrannten Hand, zog er sein Rapier. Er stöhnte, als das verbrannte Fleisch mit dem kalten Metall des Griffs in Berührung kam, doch er ließ sich davon nicht abhalten. Die Tür wurde gerade einen Spaltbreit aufgezogen, da stürmte der Held mit Wucht dagegen und schleuderte die beiden Wachen zurück. Schon feuerte der Held einen Feuersturm auf die anderen beiden Wachen zu, die gerade den Gang entlangrannten, um ihren Kameraden zu Hilfe zu eilen. Der Held verschwendete keine Zeit und während die getroffenen Wachen verbrannten und qualvoll aufschrien lieferte er sich schon ein packendes Nahkampfduell mit den zwei Wachen an der Tür. Vielleicht waren sie noch zu überrascht, vielleicht waren sie nicht so gut trainiert, da sie nicht mit so einem dreisten Angriff gerechnet hatten, oder vielleicht waren sie auch nur mit der zielstrebigen Brutalität überfordert, die der Held an den Tag legte, jedenfalls hatte er sie nach kurzer Zeit getötet. Ohne sich weiter aufhalten zu lassen rannte der Held den Gang entlang, sprang mit einem großen Satz über die verkohlten Leichen der anderen beiden Wachen und hechtete durch die Tür in den Thronsaal. Dort strömten weitere Wachen hinein und fächerten sich um ihn herum auf.
    „Ergib dich, du bist umstellt!“ rief ein älterer Mann, der vermutlich der Vorgesetzte der anderen war.
    Für diesen Fall hatte sich der Held eine Eiswelle bereitgelegt. Mit einem Magier hatten die Wachen ganz offensichtlich nicht gerechnet, denn sie zögerten ein paar Sekunden zu lang, so dass sie zwar auf ihn zustürmten, als er den Zauber sprach, ihn aber nicht erreichen konnten, bevor er den Zauber durchgeführt hatte. Der Held ließ die frischen Eisskulpturen stehen und hetzte den nächsten Gang entlang, von dem er wusste, dass eine große Treppe in die unteren Stockwerke führen würde. Er hatte noch keine Zeit gehabt einen anderen Zauber auszuwählen, als ihm eine weitere Patrouille entgegenkam. Ohne seinen Schritt zu verlangsamen setzte er mit der alten Magie eine Eislanze frei, die so mächtig war, dass sie drei der Wachen durchbohrte. Die vierte blieb schockiert stehen und sah zu ihren niedergestreckten Kameraden hinunter. Der Held schlug ihm im Vorbeirennen mit seinem Rapier an den Kopf. Es war kein tödlicher Schlag, aber es reichte, um ihn außer Gefecht zu setzen. Endlich erreichte er die Treppe und sprang gleich einen Absatz hinunter. Durch seine akrobatischen Fähigkeiten landete er ohne großen Schaden zu nehmen und schwang sich gleich wieder über das Geländer, um erneut abzukürzen. Von oben hörte er nun wütende Stimmen rufen und entschied, dass es etwas Ablenkung brauchte, um die Wachen, die bald von überallher eintreffen würden hinzuhalten. Leider benötigte das Beschwören des Steingolems viele kostbare Sekunden, doch als er endlich stand wehrte er gleich einen Pfeil ab, der den Helden sonst in den Kopf getroffen hätte. Der Held nutzte den Schutz, um einen großen Manatrank hinunterzustürzen und befahl dem Golem dann anzugreifen. Leider litt er immer noch an Wegfindungsstörungen und verstand nicht, dass er die Treppe hinauflaufen sollte. Ein resigniertes Stöhnen kam vom Helden, dann zuckte er zusammen, weil ihm jemand einen Pfeil in den Rücken geschossen hatte. Seine Entertruppführerrüstung bewahrte ihn immerhin vor schwerem Schaden. Ohne sich weiter um den Angreifer zu kümmern, stürzte der Held sich immer weiter die große Steintreppe hinunter und kürzte so weiter ab. Seine akrobatischen Manöver forderten von ihm viel Kraft und Geschick, so dass er bald völlig außer Puste war. Für einen Moment blieb er stehen und sah sich orientierungslos um. Schwer atmend wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Etwas heißes versengte ihm die Haare und flog knapp an seinem linken Ohr vorbei. Angespannt sah der Held sich zum Urheber um. Es war ein Paladin, der ihm den Weg zu einer Wehrmauer versperrte. Er sammelte Energie für einen neuen Feuerballangriff, doch der Held vereitelte seine Bemühungen, indem er seinerseits mit Magie angriff. Der Eislanzenzauber war schneller und pfählte den überraschten Paladin, der nun vergeblich nach Atem ringend zusammenbrach. Er war noch nicht tot, doch gab dem Helden dieses Manöver die Zeit, die er brauchte, um am Paladin vorbei zum Ausgang zu rennen. Er befand sich noch ein gutes Stück oberhalb des Eingangsportals. Dieser Weg war offensichtlich für die vielen Wachen gedacht, denn er führte zu einem Wehrgang. Dort lief der Held nun entlang, in der Hoffnung eine Abkürzung nach unten zu finden.
    „Erschießt ihn! Erschießt ihn!“ hörte er einen Paladin von einem weiter oben liegenden Wehrgang rufen.
    Als ein Hagel aus Pfeilen und Bolzen auf ihn niederging wurde dem Helden schlagartig bewusst, dass er hier ohne jeden Schutz war. Schon hatten ihn drei Pfeile in den Rücken und ein Bolzen in den linken Arm getroffen. Andere Männer wären jetzt vermutlich hingefallen und hätten sich nicht mehr bewegen können, doch der Held sah keinen Sinn darin und lief einfach weiter. Jetzt pfiff ihm ein Feuersturm um die Ohren, der ihn nur knapp verfehlte. Das Herz des Helden machte einen aufgeregten Hüpfer. Das war genau die Art von Abenteuer, die er gesucht hatte. Haufenweise Gegner, die ihn angriffen mit Pfeilen, Schwertern, Magie. Jeder Moment könnte sein letzter sein. Er fühlte sich gerade so unglaublich lebendig. Das Adrenalin strömte durch seinen Körper und trieb ihn zur Hochleistung an. Herrlich.
    Tollkühn sprang er von der Mauer auf ein tiefer liegendes kleines Türmchen, ignorierte den Schmerz, der ihn aufgrund des tiefen Falls trotz seines Geschicks traf und rutschte das Dach hinunter, wobei er einige Schindeln mit sich riss, die um ihn herum auf dem harten Boden des Palastvorplatzes zerplatzten. Er war sicher fünfzehn Meter tief gefallen. Eigentlich sollte er tot sein, doch durch seine Akrobatikfähigkeit hatte er sich abrollen können und sich so nur mittelschwer verletzt. Doch es war ihm einfach egal. Mit geprellten Muskeln und zerbrochenen Rippen richtete er sich wieder auf, kramte einen großen Heiltrank hervor und kippte ihn sich hinter. Seine Verfolger ließen diese Zeit nicht ungenutzt. Sie stürmten jetzt von allen Seiten heran und kreisten ihn ein. Die Vorgesetzten brüllten wütend Befehle und ihre Untergegebenen beeilten sich ihren Anweisungen nachzukommen. Wieder regneten Pfeile auf den Helden hinunter und nur ein waghalsiger Sprung zur Seite konnte ihn retten, der ihn allerdings auch näher an die Wachleute brachte, die mit gezückten Schwertern auf ihn zu rannten. Rasch ging der Held seine Optionen durch. Vom Portal sowie von der Mauer und der Stadt her drängten immer mehr Wachen, Ritter und sogar noch mehr Paladine. Selbst für ihn wäre es völlig unmöglich gegen sie alle zu bestehen. Es blieb ihm also nur die Flucht und der einzige Weg wohin er fliehen könnte war das königliche Schiff von Leandra, die „Herrschaft“. Er rannte los. Die lauten Rufe der Paladine gellten immer noch durch die Luft.
    „Holt ihn euch!“
    „Erschießt ihn!“
    „Er darf nicht entkommen!“
    Sie schleuderten fortwährend Feuerbälle und einer davon versengte ihm den Rücken. Pfeile und Bolzen spickten bald das Holz der „Herrschaft“, auf die sich der Held nun gerettet hatte. Mit einem beherzten Schwung seines Rapiers kappte er links und rechts die Taue und warf die Planke ins Wasser, die das Schiff mit dem Kai verband. Zwei Paladine, die schon zu ihm unterwegs waren stürzten ins Wasser und falls sie nicht so gut mit Rüstung schwimmen konnten wie der Held würden sie wohl ersaufen. Doch der Held war auch auf dem Schiff nicht sicher. Immer noch wurde auf ihn geschossen, so dass er sich rasch hinter dem Großmast in Sicherheit brachte, der bald von Pfeilen und Bolzen gespickt war.
    „He du! Was hast du auf dem Schiff verloren?“, drang eine angetrunkene Stimme an sein Ohr.
    Verwundert sah der Held nach links wo ein torkelnder Mann vom Oberdeck heraufkam. Nachdem der Held erkannt hatte, dass von ihm wohl keine Gefahr ausging, nutzte er die Zeit um herauszufinden was sich in dem Feuerkristall befand, den er in der Arena der Pirateninsel gewonnen hatte. Wie der Feuermagier Joas ihm bereits mitgeteilt hatte, brauchte er für den Magiekristall erstaunlich wenig magische Kraft. Er merkte, dass es sich um eine Beschwörung handelte und stöhnte. Beschwörungen brauchten immer viel Zeit, Zeit, die er jetzt im Moment nicht hatte. Doch er wollte den Zauber auch nicht abbrechen.
    „Jetzt sitzt er in der Falle, greift ihn euch!“ rief ein Paladin und einige Schiffswachen stürmten nun an Deck und rannten den betrunkenen Typen fast um, der sich erstaunt und orientierungslos umsah, so als würde er gar nicht verstehen was um ihn her gerade passierte.
    Mit einem feurigen Rauschen und einem harten Geräusch materialisierte sich überraschend ein Feuergolem auf den Planken der „Herrschaft“.
    Mit aufgerissenen Augen blieben die Schiffswachen überrascht stehen. Auch der Held war überrascht. Er wusste nicht was er erwartet hatte, aber das irgendwie nicht. Er sah zum brennenden Golem, der seinen Blick aus ausdruckslosen glühenden Augen erwiderte und sah an ihm herunter. Schon hatten die trockenen Planken Feuer gefangen und knarrten unheilverkündend.
    „Was macht ihr denn da auf dem Schiff? Greif ihn euch! Tötet ihn!“ schrie einer der Paladine, der aufgedrehten Stimme nach stand er kurz vor dem Übertritt in den Wahnsinn.
    Sein Ruf riss die Wachen aus ihrer Starre und sie rannten auf den Helden, der nun einen weiteren Heiltrank schluckte und den Feuergolem zu, der nun seine Gegner erkannt hatte und ein Bein hob, um sich ihnen zu nähern. Er kam nicht weit. Nachdem er sein Gewicht verlagert hatte und seinen rechten Fuß absetzte, brach er durch die Planken ins Oberdeck hinunter. Sein Feuer weitete sich immer mehr aus und die mit dieser Situation überforderten Wachen sahen sich unschlüssig um. Sollten sie den Helden einfangen, oder lieber das Schiff retten? Es krachte erneut. Der Feuergolem befand sich nun wohl im Zwischendeck.
    „Schnappt ihn doch endlich!“ hörten sie den Ruf eines Paladins und endlich setzten sie sich wieder in Bewegung.
    Der Held hatte gerade einen Manatrank geschluckt, schmiss die leere Flasche aufs Geratewohl in die heranstürmende Menge und sprang dann von Bord. Als er ins Wasser eintauchte, meinte er es wieder krachen zu hören und sah kurz eine glühende Gestalt ins Wasser tauchen, die aus der Bilge der „Herrschaft“ hervorbrach. Das Feuer des Golems erlosch im eisigen Wasser und leblos sank er weiter auf den Grund des Hafens. Der Held blieb so lange wie möglich unter Wasser, um seine Überlebenschancen zu erhöhen, denn nach wie vor zischten Pfeile um ihn her. Nachdem sie die Wasseroberfläche durchbrachen veränderten sie leicht ihre Richtung und büßten deutlich an Durchschlagskraft ein, doch sie waren trotzdem gefährlich. Mehrmals wurde der Held getroffen und das Wasser um ihn her, färbte sich rot. Als der Drang zu atmen unerträglich stark wurde, tauchte der Held wieder an die Oberfläche. Mit einem angestrengten tiefen Zug saugte er die Luft in seine Lungen. Es tat unglaublich gut wieder Sauerstoff in den Körper pumpen zu können. Entschlossen kraulte der Held weiter auf die „Fions Stolz“ zu, wo seine Kameraden bereits an der Reling standen und ihn anfeuerten und er hörte wie sich einige der Männer am Spill zu schaffen machten, um den Anker zu heben. Jemand hatte eine Strickleiter nach unten geworfen, so dass er zu ihnen hinaufklettern konnte.
    „Hest du dat?“ hörte er die markante Stimme des Piratenkapitäns rufen.
    „Ja“, keuchte der Held knapp, denn er brauchte seine Luft für den anstrengenden Aufstieg.
    „Zeig her!“ forderte Greg, als sich der Held ausgelaugt auf die Planken fallen ließ, die sich rasch von seinem Blut rot färbten.
    Grummelnd zog der Held den goldenen Reichsapfel hervor und sog schmerzhaft die Luft durch die Zähne, als sich wieder peinigende Brandblasen auf seiner rechten Hand bildeten.
    „Ach du Scheiße, was ist denn das?“ fragte Morgan erschrocken.
    „Hättest mir ja auch sagen können, dass dieses Mistding verzaubert ist und jedem die Haut wegbrennt, dann wären die gar nicht hinter mehr hier“, knurrte der Held.
    „Dat wusst ik nich“, wehrte Greg ab.
    „He, sollten wir nicht besser verschwinden?“ fragte Kai bleich und sah auf das Chaos, das sich vom Palast aus immer weiter ausbreitete wie eine hochansteckende Krankheit.
    „Wie denn? Sie haben das Hafentor gerade geschlossen“, informierte Alligator Jack, der mit dem Fernrohr an der Reling stand und die Lage genau beobachtete.
    Das Schreien und Brüllen der Soldaten war deutlich zu hören und die „Herrschaft“ brannte inzwischen lichterloh, doch niemand machte sich mehr die Mühe sie noch löschen zu wollen, denn sie hatte bereits begonnen zu sinken.
    „Kannst dat Ding erstmal behollen“, sagte Greg zum Helden und wandte sich dann wieder der drängenden Frage zu, wie um alles in der Welt sie aus dieser explodierenden Pulverkammer entkommen sollten. „Wi nehmt den Stroom. Den Koorten nah föhrt en Kanal vun dort im Osten torüch na de See. Wenn wi Glück hebbt denn maakt wi dat so rut.“
    „Und wenn nicht?“ fragte Francis bang.
    „Denn sünd wi verratzt“, sagte Greg trocken und ging zum Steuer, um sein Schiff durch die gefährlichen Untiefen zu leiten.

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