Der Flug von Bekenstein zur Citadel war denkbar kurz und das ganze Gebiet unterlag der Kontrolle der Ratsflotten. Sie würde eher auf die Wäschesack-Taktik zurückgreifen. Wofür hielt man sich denn eine Schmugglerin, wenn sie keinen Nutzen für einen hatte.
„
Ich plane das Schiff von Vale zu nehmen. Wenn sie so gut ist, wie alle behaupten, sollten wir es hinbekommen. Wenn Sie aber einen guten Kontakt in den Tipps haben, der Personen ungesehen von A nach B bringen kann: Wir könnten sie gebrauchen.“
Sie tippte einen Befehl auf ihr Omnitool, worauf auch das von van Zan blinkte. „
Heute Abend, selber Raum. Ich kümmere mich um Coltrane.“
*
Die Asari-Schmugglerin sah scheiße aus. Sie und Miss Orlowski schienen eine belebende Zeit verbracht zu haben. Es war nicht schlecht, dass Seeva ihre Verbündete mittels Vale mehr oder minder mit freundschaftlichen Banden versah. Seeva schickte sie zum Duschen, Schlafen und legte das geliehene Kleid auf den „Aktivwäscherei“-Stapel. Diesmal war das Treffen eines des kompletten Teams zuzüglich John Coltrane, der mit seinem Attachée Angel gekommen. In ihrer blauen Panzerung mit dem Zeichen der Blue Suns waren sie nicht gerade unauffällig, aber die Suns hatten viele Auftraggeber und es war nicht ungewöhnlich, dass reiche Personen sich von den Söldnern in ihren Hotelzimmern abholen und eskortieren ließen oder vor den Türen bezahlte Wachen aufstellten.
Angel rauchte. Die dünnen, grauen Fäden stiegen bis zur Decke wo sie von einer stummen Luftreinigung zerfetzt und aufgesaugt wurden. Neben Coltrane und Angel waren Dr. Yungjin, Charis Vale, der Mann in Schwarz, Pater Lacan, ein zerknirschter Qatar und Odessa anwesend, die Angel mit einem bemessenden Blick taxierte.
Seeva stand an der breiten Seite der ovalen Tafel, stand als einzige und überblickte die Truppe, die einem altertümlichen Kriegsrat ähnelte. In der Mitte des Tisches projizierte ein Holo abwechselnd Bilder der Zielperson, des Planten, der ermittelten Mannstärke und des anzugreifenden Gebäudes.
Bekenstein war ein Planet mit hohen Felsnadeln und flachen Ebenen. Hier wie dort hatten die siedelnden Menschen Paläste aus Glas und Stahl errichtet und hier wie dort spielte Sicherheit eine große Rolle. Sinclaires Familiensitz war auf einem beinahe einhundertfünfzig Meter hohen, steil in den Himmel ragenden Felsen gepflanzt. Im Bedürfnis nach Sicherheit hatte Vater Sinclaire das Anwesen, das neben einem Plateau für Skycars auch über einen Pool, eine Sonnenterasse, ein separates Kommunikationssystem und Notstrom verfügte, mit einer drei Meter hohen und zwei Meter breiten Mauer umzäunen lassen, die als Quasi-Verlängerung der steil aufschießenden Felswände diente und jedes Besteigen nahezu unmöglich machte. Der Zugang zum Anwesen erfolgte über zwei Wege: Einer davon wäre eine Landung per Skycar. Allerdings hatten die Sinclaires ebenso viel Geld in die Abwehr von Eindringlingen wie in den Luxus auf dem Anwesen, dessen Bauwert eine zweistellige Millionensumme betragen hatte, investiert. Zwei alte aber äußerst effektive automatische Boden-Luft-Geschütztürme riegelten den Himmel über dem Anwesen ab und nahmen sich das Recht heraus alles abzuschießen, was nicht den Zuspruch der Inhaber hatte. Daher blieb, wenn die nicht plötzlich aus Spezialisten für
HALO-Absprünge in Kombination mit Jetpack-Drop bestand – und diese Fertigkeit schrieb T’Saari bis auf weiteres nur Qatar zu – der andere Weg: Durch den Tunnel. Das Anwesen verfügte über einen senkrecht durch den Berg gelaserten Versorgungstunnel. Vom Fuß des Felsens führte ein breiter und recht hoher, mit einem Panzerstahltor gesicherter Weg etwa zweihundert Meter in die Mitte des Berges. Dort war der Aufzug, der die Passagiere in wenigen Sekunden bis ins Innere der Villa transportierte. Es war ein Dienstbotenaufzug, der in die Vorratshalle des Anwesens führte, nicht in die Villa direkt. Mechs bewachten diesen als Schwachpunkt lokalisierten Zugang Tag und Nacht, aber eine bessere Option hatten sie nicht. Insgesamt verfügte Sinclaire nach STG-Informationen über eine kleine Armee. Etwa zehn LOKI-Mechs liefen ständige Patrouillen während dreißig weitere im Lager auf ihren Einsatz warteten. Coltrane berichtete, dass Sinclaire vor etwa einem Vierteljahr zusätzlich eine Einheit Eclipse angeheuert hatte.
„Die sind zwar nicht so gut wie wir, aber doch besser als gewöhnliche Schlägertrupps“, erklärte der Sun-Anführer. Laut dem Menschen hatte die Familie Sinclaire die Suns in den vergangenen Jahren immer wieder angeheuert. Meistens ging es um die Überwachung von Fabriken oder Materialwegen, Eskorten auf Planeten mit hoher Kriminalitätsrate und hier und da mal das Niederschlagen eines Arbeiterbewegung oder das Einschüchtern von Konkurrenten, die meinten auf dem selben Planeten anzusiedeln und die gierigen Finger nach denselben Ressourcen auszustrecken. Zweimal, allerdings noch zu den Zeiten, da Vater Sinclaire die Geschäfte gerade von Großvater Sinclaire übernahm, waren die Suns für die Familie – und eine beträchtliche Summe Credits – in Kampfeinsätze gegen Batarianer und Menschen gezogen. Einmal musste eine batarianische Kolonie geschleift werden, ein anderes Mal eine menschliche Miliz bekämpft werden, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, Sinclaire-Transporter auszurauben.
„Das war aber noch vor Ihrer Zeit“, sagte Coltrane an van Zan gewandt. „Damals hatten wir noch viel weniger schwere Waffen und nahezu keine Mechs.“ Er zuckte die Achseln. „Jeder fängt mal klein an.“
Neben den Eclipse bezahlte die Firmenerbin eine vierköpfige Gruppe Leibwächter, darunter einen clanlosen Kroganer, den die STG als „besonders gefährlich, weil nachdenkend“ einstufte. Im Kopf ging Seeva die geforderten Exemplare durch: Mensch, Asari, Salarianer. Ein, zwei Salarianer waren bei Eclipse, Menschen gab es dort einige. Vielleicht, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit sogar, würde sich eine Asari beim Dienstpersonal finden. Sie verzog bei diesem Gedanken das Gesicht. Eine unbewaffnete Angestellte aus ihrer Spezies, die Sache gefiel ihr nicht.
„
Wir gehen rein, greifen und Sinclaire wenn möglich und holen uns noch zwei weitere Sekundärziele – einmal Spezies Asari, einmal Salarianer“, erklärte Seeva. „
Sollte Sinclaire sich zu sehr wehren, wird sie liquidiert, womit zu den Zielen dann noch einmal Spezies Mensch hinzukommen würde. Verstanden?“
Allgemeines Nicken.
„
Gut.“ Die Asari war froh diesen Punkt schnell angegangen und beinahe abgehakt zu haben. „
Mister Coltrane, Sie und Ihre Leute werden die Ziele dann mitnehmen. Also: Unser Zugang befindet sich hier.“ Sie ließ den Tunneleingang aufleuchten, der zum Fahrstuhl führte. „
Erwarteter Widerstand: moderat. Vermutlich Mechs. Die Söldner treffen wir im Innern an. Wichtig ist, dass wir die Kommunikation unterbrechen, sobald wir zuschlagen.“ Ihr Blick ging zu Lacan, der sich erhob und sein Omnitool bediente.
„
Simpel. Ich habe ein Programm, dass Sie einsetzen können, sobald Sie eine Konsolenverbindung erreicht haben. Das System geht dann in einen Loop über und funkt sich quasi die ganze Zeit nur selbst an, ohne es zu merken.“ Er grinste über diese Vorstellung eines Systems, dass mit sich selbst ein Zwiegespräch führte und setzte sich.
„
Danke, Pater. Also, wir gehen rein, unterbrechen die Kommunikation und nehmen den Lift nach oben. Wenn wir bis dahin nicht entdeckt sind, sind wir drin. Wenn wir maximales Glück haben, kriegen wir Sinclaire ohne Aufsehen zu erregen. In dem Fall brechen wir die Nebenmission ab und ziehen uns zurück.“ Die Testsubjekte würden im Notfall auch auf andere, nicht minder fragwürdige Weise, beschafft werden können.
„
Ich hoffte, dass wir dicht an dem Gebirge landen könnten, irgendwo hier. Das erspart uns einen langen Fußweg“, sagte T’Saari und ließ einen Bereich aufleuchten, der etwa einen halben Kilometer von dem Fuß des Berges entfernt lag und nach einer flachen Senke aussah. „
Wäre das möglich, oder ist die Fläche zu klein?“, wandte sie sich an die Schmugglerin.
„
Ich bitte Sie, Commander“, sagte Charis laut und tat so, als habe die Frage sie beleidigt. „
Sie sprechen mit der vermutlich besten Raumpilotin diesseits von Omega. Natürlich kriege ich das hin.“ Die Asari hatte dunkle Ringe unter den Augen, wirkte müde aber gut gelaunt. Sie lächelte auf ansteckende Art und Weise. Seeva lächelte nicht, nickte aber. „
In Ordnung. Coltrane, wie viele Leute nehmen Sie mit?“
„Hmm“, brummte der Söldner. „Ich und Angel, dann würde ich sagen, dass sechs weitere Suns reichen. Zwei zum Absichern unten, der Rest kommt mit.“
„
Gut. Ich lasse Ihnen Odessa unten. Such dir eine geeignete Position mit gutem Sichtfeld und bleib dort“, befahl sie der Attentäterin.
„
Wie du wünscht“, schnurrte die Menschenfrau.
„Acht Suns, van Zan, Odessa, Qatar, der Salarianer“, zählte Seeva ab. „Mich selbst und Sie, Miss Vale. Kriegt Ihr Schiff die alle aufgenommen?“
„
Wird zwar ein bisschen kuschelig, aber nachdem ich neulich erst eine ganze Gruppe Nutten dort hatte…“
Coltrane lachte auf, Angel lehnte sich interessiert nach vorne.
„Klingt nach einer guten Geschichte für den Flug, Vale“, grinste Coltrane. „Haben Sie denn auch Gefängniszellen?“
„
Eine schmale Zelle ist da, ja. War wohl mal für Gefangene, ist jetzt aber ein Abstellraum“, antwortete Charis.
„
Das wird reichen“, sagte Seeva. Der Flug würde kaum so viel Zeit in Anspruch nehmen, als das lange Verwahrungen von Nöten sein würden.
„
Der Pater bleibt vermutlich hier. Wir sind, was technische Unterstützung angeht, also auf uns gestellt?“, fragte Qatar.
„
Nicht ganz. Unser Kontakt von der STG ist ausgewiesener Tech-Spezialist“, erklärte die Asari. Gerade im Hinblick auf die Mechs würde er wohl gute Dienste leisten.
„Ich rüste meine Leute mit Panzerbrechern und Disruptor-Munition aus“, sagte Coltrane. Seeva nickte.
„
Irgendwelche Fragen?“
„
Wo werde ich sein?“, meldete sich Charis.
„
Sie bleiben beim Schiff, halten Sie die Maschinen auf Stand-By. Können Sie kämpfen?“
„
Wenn ich es muss.“
„
Vielleicht werden Sie das. Ich hoffe aber, dass es nicht dazu kommt“, sagte der Commander. „
Sonst noch Fragen?“ Sie schaute in die Runde. Jeder, abgesehen von Coltranes Suns, der nicht in diesem Raum war, war ein potenzieller Feind. Intime Fragen zur Operation wären jetzt zu stellen.
Angel hatte ihre Zigarette ausgedrückt und zerpflückte ihre Schachtel auf der Suche nach einer weiteren. Charis, die ihrerseits rauchte, wurde von der Söldnerin angeschnorrt und reichte die Schachtel weiter. Qatar schüttelte den Kopf zum Zeichen, dass für ihn alles klar sei. Ihr Blick wanderte zu van Zan und dem Doktor.