Vincent van Zan
Decius Vhan
Der Cowboyhut stand Van Zan ausgezeichnet. In einem anderen Leben hätte Seeva sich vielleicht als Herren-Ausstatterin mit eigenem Laden auf der Citadel verwirklicht. An diesem Abend aber würde sie, wie an allen Abenden seit ihrer Einberufung in die Spectre zuvor, den Kampf aufnehmen.
„Der beste“, antwortete sie und ließ sich von Van Zan an der Hand geführt in den Wagen helfen. Das Ganze war eine Scharade, das wussten sie beide. Und trotzdem füllten sie ihre Rollen auf bemerkenswert ernst gemeinte Art und Weise aus. Seeva hatte beschlossen, auf das Spiel einzusteigen. Sie würden als Pärchen kommen, oder zumindest für solch eines gehalten werden.
Das Skycar fand seinen vorprogrammierten Weg von selbst. Nach dem Genuss eines Stückes Klaviermusik im Fahrzeug und meisterhaft gespielter Konversation über die angebliche Zähflüssigkeit des Verkehrs zu dieser Tageszeit setzte das Shuttle vor dem Imperial auf. Die Flügeltüren hob sich und Van Zan, ganz in der Manier eines Gentlemans, bot Seeva die Hand dar. Für die Außenstehenden wäre es schwer zu glauben, würde man ihnen berichten, dass diese beiden so vertraut und elegant wirkenden Individuen vor wenigen Wochen im Dschungel von Sur’Kesh ein Blutbad unter ihren Feinden angerichtet und Zerstörung gesät hatten.
Die Gäste waren, entgegen Vhans Naturell, ein Gemisch aller Völker des Ratssektors. Volus, die neben Turianern standen und über Bilanzen referierten, in fallende Stoffe gekleidete Asari, die den klaren Zahlen der Volus philosophische Betrachtungen zur Bekämpfung der Armut entgegenbrachten und mit huschenden Augen nach Geschäftspartnern und Konkurrenten scannende Salarianer. Auch Menschen waren vertreten, wenngleich in auffallend geringer Zahl.
Seeva hakte sich bei dem Mann in Schwarz ein und beschritt den Laufweg zum Eingang des Imperial, gleich dem Weg zu ihrem ersten Tanz zu der Zeit, als sie noch gestrippt hatte. Diese Zeiten der Unbeschwertheit und mangelnden Konsequenzen waren ebenso vorbei. Geblieben war, dass sie Haut stets zu ihrem Vorteil zeigte – ob im Kleid oder im Tanga.
Eine dreifingrige Hand hielt das Duo auf. Der Wachmann, Turianer in samtschwarzen Anzug, hielt sie auf und schaute auf sein silberumrandetes Datenpad.
„Name?“
„Ich stehe nicht auf der Liste“, griff Seeva vor. „Keiner von uns beiden.“ Der Turianer schaute verdutzt drein.
„Was wollen Sie denn hier?“
„Wir sind alte Bekannte von Decius Vhan. Er wird uns sicherlich sehen wollen.“
„Und wenn Sie von den Spectre wären…“
„Ich bin von den Spectre.“
Die orangefarbenen Augen des Turianers huschten über Seevas Arme, streiften das Spectre-Tattoo und heftete sich dann auf den panzerbrechenden Blick der Asari.
„Ich denke, dass Decius Vhan seine alte Freundin von den Spectre auf seiner Gala sehen möchte, denken Sie nicht auch?“
„Ich… ähh…“ Hilfesuchend schaute sich der Wachmann um, erkannte jemanden und winkte ihn zu sich. Ein zweiter Turianer kam, während hinter Seeva und Van Zan schon drei Paare den Beginn einer Schlange andeuteten. Die Turianer tuschelten miteinander, der Hinzugekommene zuckte die Achseln.
„Einen Moment, Ma’am. Wir fragen nach.“
„Wirklich?“, sagte Seeva und hielt den Turianer, der sich gerade wegdrehen und funken wollte, am Arm fest. „Sie wollen uns hier so stehen lassen?“ Sie warf einen Blick hinter sich. „Hier bildet sich ein Auflauf. Und Sie wollen ein Mitglied der Ratsabteilung nicht zu einer Spendengala lassen?“
„Sie… Sie haben wohl recht. Gehen Sie rein“, entschied der Turianer operativ. Fast tat er Seeva etwas leid.
„Das wäre geschafft“, erklärte sie gut gelaunt, während sie den Eingangsbereich ohne weitere Kontrolle hinter sich brachten. Vermutlich waren irgendwo versteckte Waffenscanner, oder aber Vhan verließ sich auf die paar Wachen und Kameras. Seit dem Angriff der Geth auf die Citadel waren die Sicherheitsvorkehrungen so streng geworden, dass kaum jemand offen Waffen tragen konnte. In den unteren Bezirken vielleicht, oder wenn man dazu durch Beruf oder Ausnahmeregelungen befugt war. Wie damals, als quasi jeder Soldat und Reisende offen seine Avenger auf dem Rücken trug, war es aber nicht mehr. Ein Vorteil, denn so konnten Vhans Wachleute keinen echten Kampf führen, selbst, wenn sie es wollten.
Seeva sah sich um. Sie erkannte einige der hochstehenden Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft, Leute, die sich gegenseitig bereicherten und beklatschten. Sicherlich gab es auch ein paar wahre Philanthropen, aber Seeva argwöhnte, dass sie in der Unterzahl waren. „Wo ist die alte Echse?“, wisperte die Asari und spähte zwischen ein paar sich gegenseitig mit blödsinnigen Anekdoten unterhaltenden White-Collar hindurch.
Wie zur Beantwortung ihrer Frage fiel plötzlich das Licht aus, worauf Vhan gleich einem geistesgestörten Superhelden mit Blitzlicht auf einem Podest auftauchte und sich beklatschen ließ, ehe er „um Aufmerksamkeit“ bat. Als hätte irgendjemand in den Momenten der Dunkelheit um ihn herum und der Effekthascherei seine Aufmerksamkeit dem Fingerfood zugewandt. Auf den Auftritt folgte eine ausführliche Menge Blabla, bei dem Seeva nur genervt die Augen verdrehen konnte. Vhan log ohne Rot zu werden, wobei das natürlich nicht wörtlich zu nehmen war. Und die Masse schluckte den pathetisch vorgetragenen Köder. Am Ende seiner schleimigen Rede heimste der Schausteller einen kräftigen Applaus ein.
„Zeit, ihm die Laune zu verderben, oder?“, flüsterte die Asari ihrem Begleiter zu und gab ihm einen kleinen Stoß mit der Hüfte. Die beiden setzten sich in Bewegung und steuerten auf den Turianer zu. Im Hinterkopf hatte Seeva nur einen Gedanken: Hoffentlich war Van Zans Überraschung gut orchestriert.
„Mister Vhan.“
Seeva schob sich zwischen ein paar salarianischen Speichelleckern durch, die sich gerade darin überboten, die Herrlichkeit der Party und Vhans großes Herz für die Schwachen hochzuloben. Wäre Lacan mitgekommen hätten sie wohl umgehend Vhans Heiligsprechung beim Papst angefordert.
„Ich würde ja sagen, dass es eine Überraschung ist, Sie hier zu sehen, aber das wäre gelogen“, schnalzte die Asari und lächelte den roten Turianer an. Ihre letzte Begegnung war ihr noch gut in Erinnerung – und ihm zweifellos auch.
„Was für eine fulminante Spendengala. Das Geld wird echt benötigt, oder? Heutzutage geht so viel verloren…“ Ihr wissender Blick traf den Roten. Verlorene Schiffe, Basen, Geld, Standorte, „Menschlichkeit! So viel Menschlichkeit geht in dieser kalten Galaxie verloren.“ Sie schaute zu den Salarianern, die sich zu einem Cluster verklebt hatten. „Oder?“ Ein zustimmendes Gemurmel. Sie hatten das Symbol auf Seevas Oberarm erkannt und in ihrer Manier Eins und Eins zusammengezählt. Spectre bedeuteten immer Ärger, egal, wo sie auftauchten. Und Salarianer mieden Ärger, weshalb es auch niemanden verwunderte, dass sie wie von Zauberhand plötzlich in der gesichtslosen Masse verschwanden.
„Meinen Begleiter kennen Sie, glaube ich, schon.“
Der Mann in Schwarz tippte sich an den Hut.