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  1. #41
    Provinzheld Avatar von Majonese
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    Matua Whāngai

    Trotz der Tränen änderte sich die Stimmung in dem gemütlichen Wohnzimmer dramatisch. Es schien für die beiden Schwestern überaus befreiend gewesen zu sein, sich gegenseitigen Beistand zuzusichern.
    Und jetzt saßen sie wieder zusammen am Tisch und unterhielten sich ausgelassen. Natürlich galt der kleinen Riann immer ein gehöriger Teil der Aufmerksamkeit, sei es, weil sie beharrlich nach allem greifen wollte, was sie am Tisch zu fassen bekam oder wenn sie die Gespräche der Erwachsenen mit einem willkürlichen Lachen begleitete.
    Man konnte spüren, wie vor allem Kiri und Amaia in diesem Zusammensein aufgingen. Nicht nur war es das erste Mal seit Jahren, dass sie sich wieder in Person gegenübersaßen, es war für Amaia vor allem diese friedliche Banalität, die ihr zuhause sonst so fehlte. Das wusste Rebecca, auch ohne dass ihre beste Freundin es aussprach, dafür kannte sie sie einfach zu gut.
    Nach einer Weile beschloss Kiri, den Streit mit ihrer Mutter nochmal anzusprechen. "Ka nui tāku pōuri mō ēnei mea katoa me Mama. Kāore au e hiahia kia raru koe."
    Amaia winkte ab. "Kaua e manukanuka. Kei te pai. Tika...nā ōku hara katoa tēnei."
    Rebecca wollte sich schon einmischen, als Amaia wieder die Schuld auf sich selbst laden wollte, doch sie besann sich eines Besseren. Es war klar, dass die beiden Schwestern sich untereinander aussprechen wollten, sonst würden sie ihr Gespräch auf Englisch führen, also tat sie, als hätte sie nichts verstanden und erwiderte stattdessen Rianns neugierige Blicke, die immer wieder in ihre Richtung wanderten. Die Kleine wiederum musste wieder über die Tics lachen, die Rebeccas Gesicht unkontrolliert zucken ließen, als wäre es das Lustigste auf der ganzen Welt.
    "Wie sieht's aus Becky", meinte Amaia irgendwann zu ihrer besten Freundin und deutete zu ihrer neuen Gitarre. "Ich hätte mal Lust, dein Geschenk auszuprobieren. Bist du dabei?"
    "Klar!"
    "Super!", freute sich Amaia. Sie erhob sich von ihrem Platz und griff sich das Instrument.
    "Wollt ihr was spielen?", fragte Kiri überflüssigerweise, was die beiden Freundinnen mit einem Kopfnicken bejahten. Amaias Schwester wandte sich an ihren Mann. "Das musst du sehen, e hoa, die beiden sind richtig toll zusammen!"
    Der Kommentar ließ Amaia auflachen und sie wandte sich an Rebecca. "Okay, wie machen wir's? Du singst Lead? Wobei...mir fällt gerade ein, du könntest schnell meine alte Gitarre oben holen, dann können wir zweistimmig spielen!"
    "Oh, ja!", stimmte Rebecca der Idee begeistert zu. "Warte kurz..."
    Tatsächlich hatte sie gar nicht darüber nachgedacht, dass Amaia auf die Idee kommen würde, sie könnten zusammen singen, obwohl es bei ihrem Geschenk eigentlich recht naheliegend gewesen war. Irgendwie war sie so sehr mit der Krise rund um Haeata und ihren Töchtern beschäftigt gewesen. Doch sie konnte es ihrer besten Freundin nicht verübeln, gerade jetzt an Musik zu denken und auch sie selbst hatte auch wahnsinnig Lust darauf.
    Sie war gerade die Stufen nach oben gestiegen und hielt zielstrebig auf die Tür am Ende des Flurs zu, hinter der Amaias Zimmer lag, als sie plötzlich hinter der verschlossenen Tür zu ihrer Linken etwas hörte.
    "...musst endlich mal sagen, was los ist!"
    Stritten Haeata und ihr Mann etwa miteinander? Sie mussten doch schon bestimmt eine halbe Stunde hier oben sein und schienen trotzdem immer noch miteinander zu diskutieren.
    Rebecca hielt mit pochendem Herzen inne. Auf Jordans Worte folgten einige Sekunden der Stille, bevor sie Haeatas erschöpfte Stimme hörte.
    "Was soll ich denn sagen?"
    "Du kannst doch nicht alles einfach so passieren lassen!" Jordan klang nicht unbedingt zornig, aber frustriert, so als ob er diesen Punkt schon etliche Male angesprochen hätte. "Du musst Amaia auch mal zeigen, dass es so nicht weitergehen kann."
    "Ich will das nicht mehr! Mann, ich will das alles einfach nicht mehr! Ich bin diese andauernde Streiterei leid..."
    Es war zutiefst unangenehm, das Gespräch zu belauschen und Rebecca bekam ein schlechtes Gewissen, denn es ging sie eigentlich nichts an. Doch als Haeata ihren Namen erwähnte, hielt sie inne.
    "...verbringt nur noch Zeit mit Rebecca und wenn sie doch mal zuhause ist, macht sie nur Ärger. Ich weiß einfach nicht mehr weiter..."
    "Was genau ist denn eigentlich ihr Problem? Warum ist sie denn immer so auf Stress aus?", wollte Jordan wissen.
    "Naja...es ist wegen der Sache mit einem Ex-Mann..." Haeatas wurde leiser und es war kaum noch möglich, ihre Worte zu verstehen. "Ich glaube, sie kann nicht akzeptieren, dass du jetzt hier lebst. Kiri auch nicht...sie sind glaube ich nicht über ihren Vater hinweg..."
    "Meinst du nicht, dass wir uns einfach mal zusammensetzen und darüber reden sollten?" Wieder klang die Art wie Jordan es sagte so, als hätte er diesen Vorschlag schon häufiger unterbreitet.
    "Wozu denn? Du weißt doch, wie das endet. Ich will einfach nicht mehr streiten."
    Es war schwer zu sagen, ob Jordan darauf etwas erwiderte. Zu hören war für eine Weile nichts, bis Haeata wieder das Wort erhob.
    "Lass uns gehen! Lass uns einfach gehen! Nur wir beide."
    Jordan lachte leise auf und seine gedämpfte Antwort war unverständlich.
    "Ich meine es ernst!", beteuerte Haeata mit fester Stimme. "Wir fangen irgendwo neu an. Zu zweit."
    Wieder gab es eine längere Pause, dann ertönte ein Seufzen ihres Mannes. "Und was ist mit Amaia?"
    Das Schweigen, was folgte, war besonders unbehaglich. "Sie wird schon klarkommen...", meinte Haeata, auch wenn ihr Tonfall nicht ganz so überzeugt war. "Wahrscheinlich wird sie sich sogar freuen, wenn sie mich los ist..."
    "Sie ist immer noch deine Tochter!"
    Die darauffolgende Stille wurde plötzlich von einem Schluchzen durchbrochen. Was genau Haeata sagte, war nicht mehr zu hören, doch die Laute ihres verzweifelten Weinens fraßen sich in Rebecca hinein. Die junge Frau gab sich einen Ruck und setzte ihren Weg zu Amaias Zimmer fort, darauf bedacht, keinen einzigen Laut von sich zu geben. Vorsichtig schloss sie die Tür hinter sich und atmete tief durch.
    Ihre Schuldgefühle diese eigentlich private Unterhaltung belauscht zu haben nagten ebenso an ihr, wie das, was sie gerade von Haeata und Jordan gehört hatte. Dass ausgerechnet Jordan sich auf Amaias Seite schlug, war so befremdlich und unerwartet. War er nicht immer derjenige, der Amaia das Leben besonders schwer machte? Zum ersten Mal fragte sich Rebecca, ob ihre beste Freundin ihr die Wahrheit über ihre Familie erzählt hatte. War Jordan wirklich so schlimm, wie sie immer behauptet hatte? War er wirklich an Allem schuld? Ihr Bauchgefühl müsste die Frage bejahen, sie konnte sich noch zu gut daran erinnern, wie er ihr gegenüber aufgetreten war, als er ihr vor einer Weile an der Haustür begegnet war. Er schien wirklich kein angenehmer Typ zu sein. Andererseits passte das gerade Gehörte nicht zu diesem Bild und es schien deutlich mehr hinter dem Bruch in der Familie zu stecken.
    Rebecca wusste selbst nicht so recht, was sie aus dem Gehörten machen sollte, doch ein starkes Bedürfnis, mit ihrer besten Freundin darüber zu sprechen flammte auf. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass es sie noch eine Weile beschäftigen würde. Tatsächlich brauchte sie einen Moment, um sich daran zu erinnern, warum sie überhaupt hochgekommen war und suchte den Raum nach Amaias Gitarre ab. Sie fand das Instrument neben dem Schreibtisch auf seinem Plastikständer stehen. Das Plektrum klemmte schon zwischen den Saiten und ein Kapodaster hing am ersten Bund. Ohne Umschweife griff Rebecca nach der Gitarre und machte sich auf Zehenspitzen auf den Rückweg zurück ins Wohnzimmer.
    "Wo warst du denn so lange?", wollte Amaia von ihr wissen, als sie den Raum betrat.
    "Ich...ich war noch kurz...eure Nachbarn entführen! Sie wissen zu viel! Fuck off! Ähm...ich war noch kurz auf Toilette..." Obwohl Rebecca eine miserable Lügnerin war, schien niemand ihre Ausrede zu hinterfragen. Es gab wohl keinen Grund bei ihr irgendetwas Schlimmes zu vermuten, doch tatsächlich fühlte sie sich so, als ob sie ein Verbrechen begannen hätte.
    "Und, hast du schon eine Idee, was wir spielen wollen?", fragte Amaia, während ihre Finger munter über die Saiten ihres Instruments flogen. Sie hatte sich offenbar schon ein wenig warmgespielt.
    Rebecca setzte sich zu ihr und legte Amaias alte Gitarre auf ihren Beinen ab. "Es ist dein Geburtstag, du kannst...verschwinden! Hau ab! Komm nie wieder! Du kannst dir was wünschen!"
    "Ach, echt? Also, wenn das so ist...wie wäre es mit 'Hit my Heart'?"
    "Können wir gerne machen, aber dann musst du die Bassline spielen..."

    Amaia wirkte überrascht. "Wieso das?"
    Zur Antwort klopfte Rebecca auf die Gitarre auf ihrem Schoß und ihre besten Freundin ahnte den Grund bereits. Amaias altes Instrument war eine klassische Gitarre mit Nylonsaiten. Natürlich war es nicht unmöglich, die Bassstimme des Liedes darauf zu spielen, doch der Klang war bei einer Westerngitarre um Längen besser. "Wenn du willst, kann ich den auch Part übernehmen, aber nur, wenn ich deine neue Gitarre kriege."
    "Ha! Vergiss es!", lachte Amaia auf. "Niemals! Dann spiele ich das lieber selbst..." Das war allerdings leichter gesagt als getan und Amaia nahm sich noch einen Moment, um das Riff der Bassstimme auszuprobieren.
    Dass sie selbst nie Unterricht genommen hatte und sich praktisch alles selbst beigebracht oder von Rebecca abgeschaut hatte, konnte man ihr praktisch nicht ansehen. Als sie ihren Daumen abspreizte und probeweise die ersten Noten anschlug, strahlte sie die Souveränität eines Profis aus. Zumindest so lange, bis sie sich verspielte und nicht mehr weiter wusste. Sie brauchte einen Moment, um sich ihre Parts wieder in Erinnerung zu rufen. "Okay, bin soweit", verkündete sie schließlich.
    Rebecca nickte ihr zu. "Fuck off! Kannst anfangen, wenn du...hässlich bist! Bist du eh! Wenn du willst."
    Als Amaia mit der Bassline begann, versuchte Rebecca gegen die Nervosität anzukämpfen. Obwohl ihr Publikum nur aus Kiri, Ian und der kleinen Riann bestand, fühlte es sich schon nicht mehr ganz so ungezwungen an, wie wenn Rebecca und ihre beste Freundin alleine musizierten. Doch wirklich Zeit, sich Gedanken zu machen, hatte sie gar nicht, denn schon begann ihr Part und sie musste sich auf etwas ganz Anderes konzentrieren.
    "These machines are always running,
    like the rivers and the clocks.
    And these wheels don't get tired of turning
    on and on and on and on.
    And everybody's going somewhere
    something's always going on.
    We barely blink, we might miss out
    on so much laughter, so much fun."

    Vielleicht war es der Kontrast zu der betrübten Stimmung, welche der Streit zuvor noch zurückgelassen hatte, vielleicht war es auch einfach die neue Gitarre, doch Amaia schien so viel Freude beim Spielen wie schon lange nicht mehr zu haben. Sie bewegte sich zum Rhythmus der Musik und gab ihrer Performance einhundertfünfzig Prozent. Es wirkte ansteckend auf Rebecca und auch sie konnte kaum still sitzen bleiben.
    "The greenest grass,
    right at our feet.
    Look how we skip from peak to peee-eeeak"

    Dass sie den Song ein wenig schneller spielten als für gewöhnlich, machte überhaupt nichts. Auch nicht, dass Amaia für die zweite Stimme ein wenig zu laut sang. Oder dass Rebecca am Ende des zweiten Refrains ihre Luft falsch einteilte und ihn eine Oktave tiefer beenden musste. Es ging um nichts, sie spielten und sangen für sich selbst, nicht mehr und nicht weniger. Es war überdeutlich, wie viel Spaß vor allem Amaia dabei hatte. Und nicht nur sie.
    "A little thing that I let in,
    a word that sparks,
    that hits my heaaaa-aa-aart
    Come hit my heart!"

    Kaum war der letzte Ton verklungen, begann Kiri begeistert zu klatschen. "Whoooo! Zugabe", machte sie ein wenig übertrieben und grinste breit, als sie sich zu ihrem Mann wandte. "Ich habe dir ja gesagt, die beiden sind klasse!"
    "Das war echt nicht schlecht!", stimmte Ian zu und schaute zu seiner Tochter in seinem Arm. "Scheint der Kleinen auch ganz gut gefallen zu haben."
    Ob Riann wirklich die gleiche Freude an der Musik hatte, war zweifelhaft, doch zumindest schaute sie mit halb geöffneten Mund völlig gebannt auf das Treiben um sie herum, während sie mit einem Finger in ihrem Mund herumfuhr. Es war, als versuche sie zu verstehen, warum die Erwachsenen um sie herum alle so gute Laune hatten.
    "Mal im Ernst, Rebecca, ich verstehe immer noch nicht, warum die damals deine Stimmbildung nicht weitergemacht hast", meinte Kiri. "Du kannst so schön singen!"
    "Ach, was...fuck off...fuck off! Fuck! Off!" Rebecca lief rot an, während sie mit ihrer rechten Hand unkontrolliert in der Luft herumfuchtelte. "Glaub mir, der Song klingt im Original klingt viel besser. Meine Stimme ist eigentlich zu hoch..."
    Amaia schnaubte laut. "Quatsch! Du singst das toll, Becky! Und mal im Ernst...der Song ist zweihundert Jahre alt, ist doch egal, ob das anders klingt als damals."
    Kiri nickte zustimmend. "Ja, ihr solltet euch echt mal überlegen damit aufzutreten."
    "Jahaa! Viel Glück dabei, Rebecca von der Idee zu überzeugen", lachte Amaia auf.
    Mehr als ein müdes Lächeln brachte Rebecca nicht zustande. Ihr war klar, dass ihre beste Freundin sie nur ein wenig aufzog, doch sie hatte recht. Es war nicht mehr möglich, sie jetzt noch davon zu überzeugen, ihre Musik vor richtigem Publikum zu spielen. Dafür war es zu spät. Nicht nur hatte sie sich für einen anderen Weg in ihrem Leben entschieden, ihr Tourette hatte diesen Kindheitstraum ohnehin zunichte gemacht. Jetzt war es nur noch ein äußerst deprimierender Gedanke.
    "Da fällt mir ein; letzte Woche war wieder Musikabend im Harmony, nicht? Ich habe deine Videos auf InSync gesehen, Mai", merkte Kiri an. "Es war ziemlich gut, oder?"
    Begeistert fing Amaia an von dem Event zu erzählen, angefangen von den verschiedenen Gigs der Bands, wobei ihr der von GoMu ganz klar am besten gefallen hat, bis hin zu den anderen Ereignissen des Abends, etwa den technischen Schwierigkeiten mit den Datapads oder dem kaputten Putzroboter. "Rebecca war übrigens auch da gewesen", erwähnte die junge Maori mit einem Wink zu ihrer besten Freundin. "Sie hat sich den ganzen Abend mit einem der Leute von GoMu unterhalten."
    "Ach, echt?"
    Rebecca nickte bestätigend und grinste schief. "Jaah...naja, er kam an den Tresen und wollte...ein Kind von mir! Buuuiieeh! Er wollte was bestellen und dann habe ich ihn praktisch angeschrien..."
    Kiri lachte ungläubig auf. "Was? Du hast...warum das denn?" Dann dämmerte es ihr plötzlich. "Wegen deinen Tics?"
    "Ja, genau. Fuck off! Aber irgendwie sind wir dann ins Gespräch gekommen..." Jetzt war es Rebecca, die ein wenig von ihrer Unterhaltung mit Tomas erzählte. Amaia kannte die Story bereits, doch es schien, als ob sie dabei ein Detail ausgelassen hatte. Denn als sie das Angebot des Musikproduzenten erwähnte, ihn bei seiner Arbeit zu besuchen, klappte ihrer beste Freundin der Mund auf. "...hat mir die Nummer vom Studio gegeben. Das war eigentlich echt cool von ihm, aber naja...ich habe da nicht so Lust drauf..."
    "Was?" Amaia blickte sie fassungslos an. "Du willst nicht?"
    "Äh...nein, lieber nicht..."
    "Warum das denn? Hallo, das ist doch eine einmalige Gelegenheit mal zu sehen, wie richtige Musik produziert wird. Früher wolltest du doch sowas immer mal machen!"
    Jetzt musste Rebecca auflachen. "Mai, das war vor über zehn Jahren! Ich bin mittlerweile auch mal erwachsen geworden." Sie wurde ernst und schaute ihre beste Freundin direkt an. "Du weißt, warum ich das nicht möchte..."
    Amaia seufzte und gab auf, Rebecca weiter zu behaken, trotzdem schien sie nicht völlig zufrieden damit. "Ist halt schade drum, das wäre schon ziemlich spannend gewesen. Naja..." Sie widmete ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem neuen Instrument und klimperte willkürlich ein wenig darauf herum. "Wie sieht es aus Becky, noch eine Runde? Jetzt bist du dran mit deinem Musikwunsch."
    Sie merkten gar nicht, wie der Abend hereinbrach. Dafür hatten sie alle einfach zu viel Spaß. Erst spielten Rebecca und Amaia eine Reihe ihrer eigenen Lieblingssongs, dann hatte Kiri einige Liedwünsche und ehe sie sich versahen, war es schon halb sieben. Auch wenn sich Rebecca ein wenig gegen die Komplimente wehrte, wurde Kiri nicht müde zu behaupten, die beiden seien umwerfend zusammen, sehr zur Belustigung ihres Mannes. Im Endeffekt war es trotzdem ein schönes Gefühl, etwas zu tun, das eine positive Reaktion herbeirief. Keine empörten oder irritierten Blicke, keine Fragen danach, ob sie ein Problem hätte und keine abfälligen Bemerkungen über ihre Tics. So selten diese Momente auch geworden waren, so sehr ging Rebecca in ihnen auf.
    Fast hätte sie nicht bemerkt, dass irgendwann Haeata plötzlich im Türrahmen lehnte und die versammelte Gesellschaft aus dem Halbdunkel des Flures heraus beobachtete. Rebecca wusste nicht, wie lange sie schon dort stand. Fast schien es, als wolle Haeata der Musik lauschen, doch als sie den Blick der besten Freundin ihrer Tochter bemerkte, wandte sie sich rasch ab und verschwand wieder.
    Ian und die beiden Schwestern hatten es offenbar nicht bemerkt und Rebecca sah davon ab, es zu erwähnen. Nicht jetzt. Sie wollte unbedingt mit Amaia über das sprechen, was sich heute ereignet hatte, doch sie wusste noch nicht genau, wie sie das am besten anstellen wollte. Zudem wollte sie auf einen geeigneteren Augenblick warten. Nicht, während sie hier so friedlich und glückselig zusammen sein konnten. Nicht solange Amaia doch noch Freude an ihrer Geburtstagsfeier hatte.
    Majonese ist offline

  2. #42
    #16  Avatar von Forenperser
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    "Danke Lubia."
    Decius nahm das Fläschchen und die Tupfer vom bereitgestellten Tablett und befeuchtete einen ersten. Dann verrieb ihr die Flüssigkeit vorsichtig über die quer über sein Gesicht verlaufende Wunde. Es brannte ein wenig, doch er ließ sich nichts anmerken.
    "Benötigen Sie noch etwas Mister Vhan?" "Nein. Gehen Sie nach Hause Lubia, Sie haben für heute genug getan."
    Die Dienstbotin verbeugte sich höflich und entfernte sich dann.
    Der alte Turianer warf einen Blick zu den beiden Wozyos-Vettern. Jodacus trug gerade eine neue Dosis Medigel auf seinen geschundenen Oberkörper auf, während Tiberian die Motorik seines rechten Arms testete. Die beiden hatten entschlossen und ohne jede Furcht an seiner Seite gekämpft. Seinen Respekt hatten sie sich damit endgültig zurückverdient, trotz ihres vergangenen Versagens.
    Sein Nachrichteneingang blinkte und Decius sah, dass die Nachricht von Octarian Nacus kam. Wenig überraschend berichtete der Familienanwalt ihm über die sich häufenden, eingehenden Anfragen und die ersten Gerüchte über einen möglichen Strafantrag.
    "Ich rate Ihnen dringlichst vorerst nicht aus dem Haus zu gehen, außer es ist absolut notwendig. Ebenso sollten Sie keine weitere öffentlichen Statements mehr abgeben oder Fragen beantworten, bis ich Ihnen etwas anderes sage."
    Mit diesen Zeilen endete die Nachricht.
    Seufzend schloss er sie. Das alles würde zusätzlich für Behinderung sorgen. Aber es war nicht das, was ihn gerade am meisten beschäftigte.
    "Wo ist eigentlich ihr Enkel?" Die Frage von Tiberian Wozyos riss ihn aus seinen Gedanken. "Kümmern Sie sich nicht darum. Er wird uns nicht stören."
    Dalan war nach dem Eintreffen der Polizei noch vor Ort geblieben. Er hatte Ausschau nach seiner kleinen Menschenfreundin halten wollen, mit welcher er sich eigentlich während des Empfangs hatte treffen wollen. Offenbar hatte er zum Zeitpunkt des Tumults keine Nachrichten mehr von ihr bekommen.
    Der Terminkalender gab einen piepsenden Erinnerungston von sich.
    "Kommen Sie." sagte er zu den beiden Vettern. Er stand auf, ging zu dem dem Porträt seines Vater und betätigte den Knopf unterhalb des Rahmens. Die versteckte Tür zum Kommunikationsraum schwang auf und schloss sich sogleich wieder, nachdem alle 3 Turianer durch sie hindurchgetreten waren.
    Sämtliche anderen Gesprächsparteien waren bereits eingetroffenen. Der Projektor zeigte sie in stabiler Übertragung.
    "Lagebericht." sprach er mit ruhiger Stimme. "Mission erfolgreich." antwortete Mendosa Lechis zuerst. "Das gesamte Ziel wurde ausradiert.....aber es hat seinen Preis gefordert. Es war ein Glück, dass ich gerade zum rechten Zeitpunkt eingetroffen bin. Mehr Belastung hätte sein Körper nicht vertragen. Ich habe ihn in ein künstliches Koma versetzt, zum Zwecke der Regeneration. Er ist noch lange nicht so weit es mit ihr aufzunehmen.....es werden noch viele weitere Injektionen nötig sein."
    Stumm nickte Decius. Also kein Erfolg. Oder höchstens ein partieller. "Lief alles wie geplant. Fast schon zu schnell." sprach Petalin. Der Übertragung nach zu urteilen war er immer noch befleckt mit den Spuren des Kampfes. Verächtlich schüttelte Decius für einen Moment den Kopf. Aber er hatte wenigstens getan was man ihm aufgetragen hatte.
    "Sie wissen, was als nächstes ansteht. Halten Sie sich bereits." Der dunkle Turianer nickte grinsend.
    "Miss Zokhar?" "Die Ablenkungen haben ihren Zweck voll erfüllt Sir." erwiderte die Hackerin. "Der Raub wurde erst vor wenigen Minuten gemeldet. Und ihre Assistentin is' bereits auf halbem Wege zum Treffpunkt des Kunden. Die Voranzahlung wurde bereits geleistet, der Rest wird auch bald eintreffen. Habe den Geldfluss über zehn verschiedene Konten umgeleitet und gewaschen. Absolut unverfolgbar."
    Wenigstens eine bedingungslos postive Nachricht war ihm geblieben. Ihre finanziellen Rücklagen waren somit erstmal gesichert. "Ihre Assistentin wird sich jedoch für absehbare Zeit nich' mehr auf der Citadel blicken lassen können. Und auch ich werde bald wegmüssen. Gelöschte Aufnahmen oder nich'."
    "Ich verstehe." Der alte Turianer überlegte. "Veranlassen Sie noch die Maßnahmen, die wir besprochen hatten. Ich werde noch heute einen Flug für sie organisieren, samt Geleitschutz."
    Einige Momente herrschte Schweigen. "Ich will diesen Moment nutzen um Ihnen allen für ihre Mithilfe zu danken. Ich werde es nicht schönreden, wir haben heute trotz aller Mühen einen schweren Schlag erlitten. Nicht nur für unsere Sache.....sondern auch persönlich."
    Er ballte die Faust. "Aber mag sich unser Feind an diesem Sieg erfreuen solange er kann.....er weiß nach wie vor nicht, was ihm bevorsteht. Was der ganzen Galaxis bevorsteht....."
    Die Übertragung wurde beendet. Während sie aus dem Kommunikationsraum traten, öffnete Decius wieder seinen Posteingang. Kashaj Kaar hatte sich noch nicht zurückgemeldet. Offenbar hatte er noch keine Spuren zum möglichen Aufenthaltsort seiner Frau gefunden.
    Der alte Turianer wandte sich wieder an die beiden Vettern. "Ich will, dass Sie ihre Ausrüstung packen und sich in 5 Stunden mit Miss Zokhar an den Koordinaten treffen, die ich Ihnen gleich zusenden werde." sprach er zunächst an Jodacus gewandt. "Einige unserer Männer werden ebenfalls dort sein. Sie werden die Station umgehend verlassen und für ihre Sicherheit sorgen. Halten Sie sich bedeckt, ehe ich Ihnen etwas anderes befehle. Verstanden?" "Verstanden." "Und was ist mit mir?" fragte Tiberian Wozyos. "Sie werden ebenfalls ihre Ausrüstung packen und mit einem Teil unserer Männer abreisen. Und zwar zum Treffpunkt meiner Assistentin, wo sie nach der Abwicklung auf Sie warten wird. "
    Tiberian schluckte einen Moment, nickte aber dann. Offensichtlich war ihm die Schwere dieses Auftrags mehr als bewusst. "Sie werden sich ebenso bedeckt halten. Und Sie werden Denaya mit ihrem Leben beschützen. Haben Sie das verstanden?"
    "Ja Sir." erwiderte der graue Turianer und versuchte sich zusammenzureißen. "Es ist nur....." "....wir sind schon seit über 20 Jahren zusammen unterwegs. Waren noch nie voneinander getrennt." beendete Jodacus den Satz für ihn.
    "Dessen bin ich mir bewusst." erwiderte Decius in einer plötzlich weit verständnisvolleren Stimmlage. "Aber wir alle bringen derzeit unsere Opfer."
    Sie nickten. "Was ist mit Ihnen Sir?" "Sorgen Sie sich nicht um mich, erledigen Sie einfach ihren Job."
    Die beiden Vettern nahmen sich noch einen Moment Zeit um sich voneinander zu verabschieden. Dann schließlich verließen sie das Haus nacheinander und ließen Decius alleine zurück.
    Sämtliche Beteiligten hatten ohne Zweifel mitbekommen, wie ihn das Geschehene beeinflusste. Doch er hatte nicht einmal einen Bruchteil der in ihm brodelnden Emotionen hervorkommen lassen.
    Zuvor waren die Asari und ihre Handlanger für ihn nichts als ein Hindernis auf seinem Weg gewesen. Ein Feind, mächtig, aber nichts was seinen Fokus von seinem eigentlichen Ziel nahm. Das hatte sich nun geändert. Damit, dass sie seine Frau entführt hatten, hatten sie das hier zu einer persönlichen Sache gemacht. Grausame Rachegedanken kreisten durch seinen Kopf. Er wollte die Asari mit eigenen Händen auseinander reissen. Ihr Leiden bis zum letzten Moment verlängern.
    "Hrr!"
    Wutentbrannt fand seine Faust den Weg in die am nächsten stehende Wand. Seine Sinne nahmen den Schmerz nicht wahr als er seine Hand zurückzog, das Blut betrachtete, welches aus seinen Knöcheln trat.
    Nein, er durfte sich nicht zu vorschnellen Schritten hinreissen lassen. Gerade jetzt nicht, wo seine Leute getrennt und geschwächt waren. Denn eine vorschnelle Reaktion war genau das, worauf seine Feinde nun sicherlich zählten. Stattdessen hieß es nun die Fassung zu bewahren, darauf zu warten bis der Feind wieder aus seiner Deckung hervorkam.
    Forenperser ist offline Geändert von Forenperser (11.02.2022 um 11:07 Uhr)

  3. #43
    Provinzheld Avatar von Majonese
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    '"...zeigt sich die hässliche Fratze der galaktischen Gemeinschaft", sagte Alden Green, Sprecher der konservativen 'Global Trust'-Partei über die Ereignisse der Vhan-Gala. Ein solcher Vorfall im Herzen des Citadel-Rats sei ein Beweis für das Versagen der Vision eines friedlichen Zusammenlebens der verschiedenen Ratsvölker und er fordert die Allianz dazu auf, ernsthafte Konsequenzen zu ergreifen.
    Ausgelöst durch die zahlreichen Videoaufzeichnungen im Extranet, auf denen sowohl Demonstranten als auch Gäste der Gala die Ereignisse festgehalten haben, wurden Vermutungen laut, die Ermordung des Sängers Naepar Roziki vor dem Imperial Hotel sei ein Attentat von Vhans Feinden gewesen, um die Wut und Angst der Demonstranten gegen den Patriarchen und seine Veranstaltung zu richten. Von C-Sec gibt es aber weiterhin keine offizielle Stellungnahme zu den andauernden Untersuchungen. Auch Decius Vhan hüllt sich seit dem Vorfall weitestgehend in Schweigen.'

    Seit Tagen schon wurde in allen größeren Nachrichtenpublikationen fast täglich von dem Zwischenfall während der Spendengala des turianischen Geschäftsmanns Decious Vhan auf der Citadel berichtet. Dass so etwas im Herzen auf der Citadel, dem Herzen der Ratsgemeinschaft passieren konnte, war ein beunruhigender Gedanke, galt die galaktische Gemeinschaft für viele doch als das ultimative Erstreben um Frieden und Wohlstand in der ganzen Galaxie zu verbreiten.
    Die Unruhen im Imperial Hotel, bei denen es Tote und Verletzte gegeben hatte, waren Wasser auf den Mühlen derer, welche eine Isolationspolitik forderten und die Vision eines friedlichen Zusammenlebens der verschiedenen Völker als utopisch sahen und scharf verurteilten. Verschwörungstheorien, Hasstiraden gegen Mitglieder anderer Spezies und Panikmache waren nur die lästigen Begleiterscheinungen der Vorfälle.
    "Vhan ist...ein Fisch! Ein Fisch! Ein...fuck off! Ich liebe ihn! Vhan ist offenbar ein ziemlich übler Typ, von dem, was man über ihn hört."
    "Aber glaubst du wirklich, er würde jemanden so offensichtlich ermorden lassen?"
    Rebecca zuckte mit den Schultern. "Kann ich mir nicht vorstellen, damit hätte er ja die Demonstranten auf sich selbst gehetzt."
    "Jahaa, es gibt genug Leute, die genau das glauben", schnaubte Amaia auf und schaltete das Radio ab. "Vhan hätte das alles geplant, um sich als Opfer inszenieren zu können. Selbst die Untersuchungskommission weiß noch nicht, was passiert ist, aber ein paar schlaue Leute im Extranet haben ja schon alles durchschaut. Das ist einfach nur lächerlich..."
    "Jaah..."
    Amaia und Rebecca sprachen überraschend selten über politische Themen. Es war genau, wie Amaia sagte; solange man nicht wusste, was eigentlich genau vor sich ging, hatte es keinen Sinn sich großartig dazu zu äußern. Zumindest handhabten sie beide es so. Sie beschäftigten sich zu selten mit Politik und gesellschaftlichen Themen und ihnen war klar, dass sie in der Hinsicht einfach zu wenig wussten. Auch wenn das natürlich viele Leute trotzdem nicht davon abhielt, gerade auf Social Media jedem genau zu erklären, was denn nun richtig oder falsch in der Galaxie lief. Und so war es sehr schwer, die Wahrheit zwischen all dem wirren Geschwätz noch auszumachen.
    Rebecca lehnte sich auf ihrem Sitz zurück und blickte aus dem Fenster auf die wunderschöne Landschaft Neuseelands, die sich um sie herum erstreckte. Obwohl der Herbst die Insel bereits voll in seinem Griff hatte und es nur noch eine Frage von Tagen sein konnte, bis die Temperaturen auf den Gefrierpunkt zuhalten würden, war der Himmel an diesem Dienstag Vormittag so klar, wie schon seit Langem nicht mehr.
    Das kleine, autonome Taxi fuhr in gemächlichem Tempo an den Papamoa Hills vorbei in Richtung Süden. Es vergingen kaum zehn Minuten, bis das Gefährt schließlich seine Geschwindigkeit reduzierte und nach links in eine mit Kies bedeckte Einfahrt abbog. Sanft kam das Taxi zum Stehen und eine Stimme aus den Lautsprechern ertönte. "Sie haben Ihr Ziel erreicht. Vielen Dank, dass sie mit Alert Network NZ gefahren sind. Wir wünschen Ihnen noch einen angenehmen Tag."
    Die beiden Frauen kletterten aus dem Fahrzeug heraus, welches sich schon einen Moment später wieder leise summend auf den Rückweg nach Tauranga machte.
    Ihre Heimatgegend, Papamoa Beach, war lange nicht zu vergleichen mit den hochmodernen Großstädten und war bei all dem Fortschritt und all der Expansion der letzten dreihundert Jahre immer noch ein sehr ruhiger und gemütlicher Ort. Doch das war nichts im Vergleich zur Landluft, die sie nun atmen konnten.
    Es war wie eine andere Welt. Hier herrschte absolute Stille, lediglich ein paar Vögel und das sanfte Rauschen des Windes waren zu hören. Die Bäume präsentierten ihre Blätterpracht in einem kräftigen Gelb und die Sonne tauchte das Land in einen malerischen, orangenen Schimmer. Obwohl die Wälder, Wiesen und Felder eigentlich nur einen Katzensprung von ihrer Haustür entfernt war, konnte man hier einen Unterschied wie Tag und Nacht erleben.
    Sie liefen über den Kiesparkplatz, an einem Schild vorbei, auf dem stand 'Wake Field Equestrian Centre' und hielten auf eines der einstöckigen Hauptgebäude zu. Unter den Duft von frisch gemähtem Gras und trockenen Blättern mischte sich eine dezente Note von Heu und Kot. Gerade als sie auf die Eingangstür zugingen, über der auf einer digitalen Tafel 'Wir haben geöffnet' stand, bemerkten sie eine Gestalt, welche gerade aus einem breiten, mannshohen Tor trat.
    "Ich bin sofort bei euch!", rief ihnen eine Frau zu und verschwand mit einem großen Eimer in der Hand in einem der kleineren Nebengebäude.
    Rebecca wechselte einen kurzen Blick mit ihrer besten Freundin und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. "Komm mit...und fuck off! Du bist hässlich!" Ohne Umschweife lief sie über den Parkplatz zu dem Tor, aus dem die Frau gerade noch gekommen war und drückte es auf. Dahinter offenbarte sich ihnen ein Blick auf eine weitläufige Anlage, welche von einem kleinen Pfad durchzogen war. Auf einer Seite befand sich eine große Rasenfläche, durch meterhohe Hecken von der Straße getrennt, weiter hinten erstreckte sie eine weitere Wiese, in deren Mitte ein großes, oval förmiges Stück bracher Erde lag. Dort standen eine Reihe von großen Metallpfosten, zwischen denen farbig gestreifte Stangen auf unterschiedlichen Höhen montiert waren. Zu ihrer Linken war ein recht großes Gebäude mit vielen offenen Fenstern und einem breiten Eingangstor. Obwohl es offensichtlich ein sehr modernder Bau war, hatte man wohl versucht, ihm einen rustikalen Look zu geben, die großen Wandpaneele waren mit altmodischen Holzbalken eingerahmt und das Dach wurde von gebrannten Tonziegeln bedeckt.
    "Oh, Mann", seufzte Amaia beim Anblick der Anlage. "Ist echt schön, mal wieder hier zu sein. Kommt mir echt wie eine Ewigkeit vor. Meine Freunde in Alaska hatten nie Lust darauf gehabt und...jaah...dann alleine wollte ich dann halt auch nie." Sie zeigte in Richtung der Sprunghindernisse. "Die sind neu, oder? Früher standen da doch noch die alten Holzgestelle..."
    Rebecca konnte nur zu gut verstehen, wie es Amaia ging. Früher waren sie sehr häufig zusammen hier gewesen, doch auch sie selbst hatte sich seit drei Jahren nicht mehr auf dem Hof blicken lassen. Ihr Studium und ihre anderen Hobbies hatten einfach zu viel Zeit in Anspruch genommen. Umso schöner war es, die Anlage nach all der Zeit wiederzusehen. So vertraut und trotzdem mit einigen sichtlichen Neuerungen.
    "Hallo?" Die Frau von zuvor trat aus dem Schuppen und blickte suchend über den Parkplatz.
    "Hier sind wir!", rief Rebecca und winkte ihr zu, auch wenn ihr Gesicht dabei unkontrolliert zuckte.
    "Oh..." Zügigen Schrittes lief die Frau ihnen entgegen. "Ich muss darum bitten, nicht einfach auf dem Gelände herumzu..." Sie unterbrach sich plötzlich und ihr Blick blieb an Rebecca hängen. Ihr Gesichtsausdruck zeigte den Moment der Realisierung, als ihr klar wurde, wer sie hier auf ihrem Hof besuchte.
    "Kia ora, Charlotte", grinste Rebecca und trat auf die überraschte Frau zu, um sie in den Arm zu nehmen.
    "Ach, das gibt es doch gar nicht!", entfuhr es Charlotte und sie erwiderte die Umarmung, was bei ihr kein Spaß war. Charlotte war eine kleine, etwas untersetzte Frau mit langen, kupferfarbenen Haaren. Ihre wettergegerbte Haut zeigte, wie viel Zeit sie draußen im Freien arbeitete, ebenso wie ihre ungeahnte Kraft, mit der sie Rebecca jetzt die Rippen zerquetschte. Dann wandte sie sich Rebeccas Begleitung zu. "Und du bist Amaia, richtig?", erinnerte sie sich an den Namen der Maori, was diese mit einem Nicken und einem Lächeln bestätigte. Auf Charlottes rundlichem Gesicht zeigte sich aufrichtige Freude, als sie Rebecca von oben bis unten musterte. "Dich habe ich hier ja überhaupt nicht erwartet!", verkündete sie.
    Rebecca schmunzelte glücklich. Plötzlich bekam ihre gute Laune einen gehörigen Dämpfer, als sie ihren Kopf in den Nacken warf und sie Charlotte mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. "Fuck off! Meeresfrüchte!"
    "Ähm...was? Alles in Ordnung?"
    Es war seit Monaten wohl der schlimmste Teil jeder Begegnung mit einer anderen Person. Der Moment, wenn Rebecca den Leuten erklären musste, dass sie Tourette hatte. Und egal, wie häufig sie ihren Zustand beschrieb und wie oft sie ihre Tic-Störungen erklärte, es blieb weiterhin ungemein frustrierend und schmerzhaft.
    Doch Charlotte überraschte sie, als sie bei der Erwähnung von Tourette unerwartet ein lautes "Ahhh!" ausstieß. "Ach so, davon habe ich schonmal gehört", meinte sie.
    "Wie? Ernsthaft?"
    "Ja, mein Großvater hat manchmal Geschichten erzählt, weil einer seiner Freunde aus der Schulzeit auch dieses Tourette gehabt hatte und sie haben dann immer ihren Lehren Streiche gespielt und so was..."
    Damit hatte Rebecca überhaupt nicht gerechnet. Und es machte ihre Erklärung so viel einfacher und auch so viel schneller, denn Charlotte schien ihre Krankheit lange nicht so spannend zu finden, wie die meisten Anderen. Sie gab sich schon mit einer recht kurzen Erklärungen über Rebeccas Komplikationen mit der Therapie zufrieden und war dann viel eher erpicht darauf zu erfahren, warum sie heute hergekommen waren. "Doch nicht etwa, um mir im Stall zu helfen?", meinte sie scherzhaft und klopfte sich ihre Arbeitshose ab, an der noch ein paar Heureste hingen.
    "Nee, tut mir leid, heute nicht", grinste Rebecca. "Wir wollten einfach mal wieder zusammen ausreiten."
    "Ach, das glaube ich gerne. Ist wahrscheinlich der letzte Tag, bevor der Winter kommt. Die Pferde freuen sich auch total heute nochmal raus in die Sonne zu können."
    "Ich habe auch gesehen, ihr habt einige Sachen neu gemacht."
    Charlotte nickte begeistert. "Oh ja, wir haben einige Upgrades bekommen. Kommt mit, ich zeig euch mal alles."
    Die Eigentümerin des Reiterhofs ging mit ihnen über die weitläufige Anlage und ließ sie all die neuen Spielereien begutachten, die sie und ihre Helfer sich in den letzten Jahren besorgt hatten. Neben den neuen Sprunghindernissen auf der Koppel gab es auch ein neues Heizsystem für die Stallungen und die Reithalle am hinteren Teil des Geländes war komplett neu gebaut worden. Dort zeigte ihnen Charlotte auch stolz die neue Reitausrüstung.
    "Wir haben jetzt endlich auch unsere Schutzausrüstung auf den neuesten Stand gebracht", meinte sie, als die drei zusammen den Raum betraten, in dem sich die ganzen Reitaccessoires wie Sättel, Zaumzeug und Reiterbekleidung befanden. Jedes Pferd hatte einen eigenen Sattel, eine eigene Satteldecke und sogar eigene Pflegeutensilien wie Striegel und Kardätschen. Charlotte ging zu einem der Schränke auf der anderen Seite des Raumes, wo sich die Reitausrüstung befand und holte eine Art breiten Gürtel hervor. "Hier, das sind nagelneue Schildgürtel", erklärte sie und reichte einen davon Amaia. "Den könnt ihr euch einfach um die Taille binden. Wenn ihr den anschaltet, erzeugt der einen Schutzschild um euch herum. Das verhindert dann, dass ihr euch bei einem Sturz verletzt, solange ihr nicht allzu tief fallt."
    "Das heißt, man braucht keine Schutzhelme mehr?", fragte die Maori und legte sich probeweise den Schildgürtel an.
    Charlotte nickte bestätigend. "Siehst du den kleinen Hebel auf der Oberseite? Den musst du runterdrücken...ja genau und dann noch den Knopf in der Mitte kurz gedrückt halten..."
    Rebecca erschrak ein wenig, als plötzlich ein Surren ertönte und ein leises Piepen die Aktivierung des Schildes verkündete. Dann wirkte wieder alles wie vorher, nur dass nun ein kleines grünes Licht am Gürtel aufleuchtete und dem Träger signalisierte, dass der Schutz aktiv war. "Hey, das sind doch die gleichen Geräte, wie sie auch die Polizei hat, nicht?", erinnerte sich Rebecca.
    "Ja, so ähnlich", bestätigte Charlotte und reichte ihr ebenfalls einen der neuen Schutzgürtel. "Natürlich nicht ganz so leistungsstark. Wobei wir auch noch die alten Schutzhelme und Westen haben, wenn ihr lieber die wollt."
    Es war wahnsinnig spannend zu sehen, was sich in den letzten paar Jahren alles verändert hatte. Eigentlich kannte Rebecca jede Ecke des Reiterhofs in und auswendig und es war schön, einerseits so Vieles genau so zu sehen, wie sie es in Erinnerung hatte, während es auch überall kleinere und größere Neuerungen zu entdecken gab. Natürlich war ihr klar, dass nicht jeder Besucher von Charlotte eine Tour über das Gelände bekam. Doch da sie immerhin fast fünf Jahre lang als Aushilfe nach der Schule und in den Ferien hier gearbeitet hatte, schien es Charlotte nur angemessen, sie ein wenig herumzuführen. Und immerhin waren Rebecca und Amaia früher sehr regelmäßige Kunden des Hofes gewesen und hatten sich auch gerne um die Pferde gekümmert.
    Die waren im hinteren Teil des Geländes, das mit der Rückseite des Stalls verbunden war und konnten sich frei über einen großen Teil der Anlage bewegen. Meistens hielten sie sich aber auf der großen Koppel neben der Reithalle auf. An der Zahl der Pferde hatte sich in den letzten Jahren nichts verändert, es waren noch immer rund zwanzig, wovon wahrscheinlich die meisten Charlotte gehörten. Viele davon waren Standardbreds und Clydesdales, aber auch eine Handvoll Ponies trieben sich auf dem Hof herum.
    Ein paar der großen Vierbeiner lagen faul im Gras, während andere über die Koppel trotteten oder am Rand herumstanden und vor sich hin dösten. Die Gegenwart der drei Frauen störte sie nicht im Geringsten, der ein oder andere Kopf wandte sich den Menschen zu und beobachtete sie mit Neugier in den Augen, doch die meisten Pferde schenkten ihnen kaum Beachtung. Ab und zu hörte man ein zufriedenes Schnauben oder die schweren Schritte der Tiere, als sie an ihnen vorbeiliefen.
    "Würde es euch was ausmachen, wenn eine von euch beiden Nelly reitet?", fragte Charlotte die beiden Frauen und zeigte auf eine braune Clydesdale-Stute mit der typischen weißen Gesichtspartie und weißen Unterschenkeln. "Sie hatte eine Verletzung am Hinterbein gehabt und soll jetzt wieder an ihre normale Routine gewöhnt werden."
    "Klar, kann ich machen", meinte Amaia sofort.
    "Sag mal, wo ist denn eigentlich Wonder?", wollte Rebecca wissen und hielt nach dem rostbraunen Wallach Ausschau. Früher wäre er schon längstens zu ihr gekommen, um sie zu begrüßen.
    Sofort merkte sie, wie Charlotte neben ihr ein wenig betreten wirkte. "Naja, also...Wonder hatte vor einem Jahr einen Darmriss gehabt. Wir haben es erst zu spät bemerkt. Er ist leider daran gestorben."
    "Oh..." Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Rebecca hatte das Gefühl eine Treppenstufe verpasst zu haben.
    "Tut mir echt leid, Rebecca", sagte Charlotte mitfühlend und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
    Sie spürte einen dicken Kloß im Hals und erwiderte nichts. Stattdessen ließ sie ihren Blick über die Koppel schweifen. Irgendwie wollte sie sich vergewissern, dass Wonder wirklich nicht mehr hier war und Charlotte sie nicht bloß veralbern wollte.
    Die Freude über das Wiedersehen hatte einen gehörigen Dämpfer erhalten und die folgenden Minuten herrschten weitestgehend Schweigen. Rebecca konnte spüren, wie die anderen beiden Frauen sich rücksichtsvoll zurücknahmen und ihr einen Moment gaben, die Neuigkeit zu verarbeiten und sie war ihnen sehr dankbar dafür. Letztendlich entschied sie sich für einen Palomino Standardbred-Wallach mit dem Namen Shooting Star. Er war früher mal ein Rennpferd gewesen, ehe sein damaliger Besitzer ihn an Charlotte verkauft hatte. Das Pferd war etwas störrisch und so mieden die meisten Besucher des Hofes einen Ausritt mit ihm. Trotzdem schnaubte es erfreut, als Rebecca ihm das Zaumzeug anlegte und es zur Reithalle führte, wo sie den Sattel holte.
    Das übliche Prozedere mit Sicherheitseinweisung und den Formalitäten rund um die Ausleihe der Pferde sparte sich Charlotte. Sie wusste, dass Rebecca und Amaia einerseits keine Anfänger waren und sie ihnen auf der anderen Seite mit den Tieren vertrauen konnte. Nach all den Jahren, die Rebecca für die Pferdebesitzerin gearbeitet hatte wusste sie, dass Charlotte es ohnehin nicht allzu genau mit Papierkram nahm und ein gutes Auge dafür hatte, wem sie wie weit trauen konnte. Und sie beließ es nicht nur dabei.
    "Das stimmt so schon", meinte sie milde lächelnd, als Rebecca die Gebühr für die Leihe auf ihrem Smartpad stirnrunzelnd beäugte. Es war nicht einmal die Hälfte von dem, was ein Tagesausflug mit zwei Reitern normalerweise gekostet hätte.
    "Aber...danke. Fisch! Du bist hässlich! Hey!"
    "Das ist wirklich nett", bedankte sich auch Amaia bei der Eigentümerin des Hofes.
    Und so dauerte es nicht lange, bis sie ihre beiden Pferde zum Tor herausführten. Einer von Charlottes Helfern, ein Mann um die Vierzig, den Rebecca als Miles wiedererkannte, kam gerade aus dem Büro und grüßte sie im Vorbeigehen mit einem Handwinken, ehe er im Stall verschwand. Obwohl ihr letzter Besuch hier gerade einmal drei Jahre zurücklag, kam es ihr wie eine Ewigkeit vor und das Aufsitzen auf dem Rücken der Tiere war wie eine Zeitreise zurück in die Vergangenheit.
    Als sie im Sattel saß, merkte Rebecca den begeisterten Blick ihrer besten Freundin und erwiderte ihn mit einem schwachen Grinsen. Es schien wohl nicht nur ihr so zu gehen.
    "Euch beiden viel Spaß", rief ihnen Charlotte hinterher, als sich die Pferde gemächlichen Schrittes auf den Weg machten.
    Majonese ist offline Geändert von Majonese (24.05.2022 um 18:25 Uhr)

  4. #44
    Provinzheld Avatar von Majonese
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    Auf dem Reiterhof

    "Alles okay bei dir?"
    Amaias Frage kam keinesfalls überraschend und so musste sie auch nicht lange über eine Antwort nachdenken. "Geht schon. Fuck off!"
    Eine Weile schritten sie gemächlich über die Straßen und Wege der weitläufigen Hügel. Je länger sie ritten, desto mehr und mehr veränderte sich der Untergrund. Waren sie zuerst noch auf hochmodernen Straßen unterwegs, wurde der Teer immer rauer und war mit mehr Rissen durchzogen, bis sie irgendwann Kies- und Feldwege erreichten. Nelly und Shooting Star schienen ganz begeistert zu sein, mal wieder ein wenig unterwegs sein zu können, dass sie immer wieder ihre Schritte beschleunigten und ihre Reiterinnen mussten sie zwischendurch ein wenig zügeln.
    Das saftige Grün des Grases und das Gelb und Braun der welkenden Blätter um sie herum erzeugten das Bild einer wunderschönen Herbstlandschaft. Zwischendurch machte Amaia ein paar Fotos, um die Eindrücke festzuhalten.
    Es war durchaus ein seltsames Gefühl, ganz ohne Helm so weit oben auf dem Rücken eines Pferdes zu sitzen. Shooting Star war ein recht großes Tier und auch wenn sie mittlerweile eine sehr erfahrene Reiterin war, wusste Rebecca aus ihren Kindertagen noch zu gut, was alles passieren konnte, wenn man stürzte. Zwischendurch schaute sie prüfend auf ihren Schildgürtel, um sich zu vergewissern, dass der Schutz noch aktiv war. Ansonsten ließ sie sich aber nichts anmerken. Ein Pferd konnte nämlich sehr genau spüren, ob sein Reiter noch Herr der Lage war und gerade ein störrischer Wallach wie Shooting Star würde die Gelegenheit gnadenlos ausnutzen.
    Dennoch war es ein herrliches Gefühl, nach so langer Zeit mal wieder zwischen den Feldern hindurchzureiten. Vom Rücken der großen Vierbeiner konnten sie die Welt aus einer ganz anderen Perspektive sehen, während sie ein leichter, doch keineswegs unangenehmer Wind umspielte. Das gleichmäßige Klackern der Hufe auf dem Untergrund und die sanften Bewegungen der kräftigen Pferdemuskeln hatten etwas Beruhigendes. Auch wenn nicht alles so perfekt war, wie es hätte sein können.
    "Tut mir leid wegen Wonder", meinte Amaia nach einer Weile behutsam. "Ich hätte nicht gedacht, dass er so plötzlich sterben würde."
    "Jaah..." Rebecca seufzte traurig. "Er war ja ansonsten immer kerngesund gewesen."
    "Wie alt war er? Vierzehn?"
    "Fünfzehn", korrigierte sie ihre beste Freundin ohne nachdenken zu müssen. Rebecca konnte sich noch genau erinnern. Sie war erst kurz zuvor sechs Jahre alt geworden und hatte gerade angefangen, Reitstunden zu nehmen, damals noch an der Longe und unter Aufsicht ihres Vaters. Ein Pferdezüchter aus der Gegend hatte recht spontan seinen Hof und all seine Pferde verkauft und Charlotte hatte einige seiner Vierbeiner erworben, darunter auch Wonder, der damals selbst nicht einmal ein halbes Jahr alt gewesen war.
    Irgendwie waren Rebecca und Wonder zusammen groß geworden, zumindest hatte sie es immer so empfunden. Er war ihr gegenüber immer besonders anhänglich gewesen, war ihr über den Hof gefolgt und hatte ziemlich beleidigt getan, wenn sie eines der anderen Pferde ausgeritten hatte. Mit ihm hatte sie eine besondere Verbindung gehabt. Es war etwas gewesen, dass sich kaum erklären ließ, doch Rebecca konnte sich noch genau erinnern, wie Wonder immer seinen Kopf auf ihre Schulter gelegt hatte und wie er sich immer zwischen die anderen Pferde gedrängelt hatte, wenn Rebecca sie satteln wollte.
    Dass er nun fort sein sollte, war irgendwie ein surrealer Gedanke. Plötzlich fragte sie sich ernsthaft, warum sie nicht einmal, nicht ein einziges Mal auf Charlottes Hof vorbeigeschaut hatte. Warum hatte sie denn nicht mal in ihren Semesterferien einen Reitausflug unternommen? Dann hätte sie Wonder nochmal sehen können. Bei der Vorstellung, wie der Wallach in seiner Box stand und sich wunderte, warum sein Lieblingsmensch sich plötzlich nicht mehr blicken ließ, spürte sie wieder diesen Kloß im Hals.
    "Ich mochte ihn auch", sagte Amaia aufrichtig. "Er war echt toll..."
    "War er wirklich", bestätigte Rebecca mit Nachdruck und atmete tief durch.
    "Wobei ich manchmal das Gefühl er hatte, er mochte mich nicht ganz so sehr..."
    "Naja, er war wohl total eifersüchtig, dass du immer in meiner Nähe warst."
    Amaia grinste breit. "Ja, das hat Charlotte damals auch immer gemeint. Er dachte wahrscheinlich, wir beide hätten was miteinander."
    "Wow! Musst du das jetzt schon wieder weird machen?", lachte Rebecca auf und lehnte sich ein wenig zur Seite, um ihrer besten Freundin gegen die Schulter zu boxen. Wahrscheinlich war es egal, was Amaia sagte. Solange sie bei ihr war, fühlte sich Rebecca immer deutlich besser und auch wenn der Verlust weiterhin schmerzte, schaffte sie es zumindest, die trübseligen Gedanken für den Moment beiseite zu schieben.
    Nachdem sie eine Weile im Schritttempo über die Hügel geritten waren, ließen sie die Pferde ein wenig antraben. Vor allem Shooting Star drängte nach vorne und Rebecca erlaubte ihm, sein Trabtempo langsam zu erhöhen. Da er ohnehin immer schneller wurde, ging sie schließlich in einen Galopp über und lehnte sich leicht nach vorne. Das Pferd schnaubte auf und setzte zu einem gehörigen Spurt an, der sie in Windeseile über die Hügel trug. Der kräftige Körper lief zur Höchstleistung auf, so als ob Shooting Star beweisen wollte, dass er noch immer das Zeug zum Rennpferd hatte und Rebecca ließ ihn für den Moment gewähren. Der Wind peitschte ihr durch das Gesicht und die Büsche und Felder flogen nur so an ihnen vorbei. Es war ganz ohne Schutzhelm zwar ein wenig ungewohnt, doch keinesfalls unangenehm.
    Schon bald hängte ihr Pferd Nelly komplett ab, die offenbar noch ein wenig vorsichtiger unterwegs zu sein schien und als sie Amaia bei einem Blick über die Schulter nicht mehr sehen konnte, nahm Rebecca eine bequemere Haltung ein. "Whoa!", machte sie laut. Der Wallach verlangsamte zwar sein Tempo ein wenig, wollte aber trotzig weiterlaufen. Rebecca gab ein deutlicheres Signal über die Zügel und Shooting Star gehorchte, wenn auch eher widerwillig. "Sehr schön", lobte sie ihn und klopfte ihm sanft an den Nacken.
    Sie führte ihn ein wenig herum und blickte den Weg hinter sich entlang. Für einen kurzen Moment lang fragte sie sich, ob sie sich Sorgen machen musste, doch schon kam die Clydesdale-Stute mit Amaia auf dem Rücken über den Hügelkamm geritten. Die Maori hatte für Nelly ein etwas gemächlicheres Tempo gewählt. "Ich glaube, sie traut sich noch nicht so richtig", meinte Amaia mit einem leidigen Grinsen im Vorbeireiten. "Ich lasse sie erstmal entspannt rangehen."
    Rebecca nickte zustimmend und ließ Shooting Star wieder antraben.
    Gut zwei Stunden lang ließen sie die Pferde frei laufen. Wobei Rebecca ihren Vierbeiner gelegentlich etwas zügeln musste, um Nelly nicht völlig abzuhängen. Obwohl Shooting Star anfangs noch gegen ihr Abbremsen protestierte, ließ er sich bald schon deutlich mehr gefallen, denn sie vergütete ihm die Gehorsamkeit mit umso längeren Sprints. Auch Nelly schien sich mehr und mehr an das Tempo zu gewöhnen und versuchte mit dem Wallach mitzuhalten, auch wenn es ihr nicht immer gelang. Und so wurde der Ausritt schnell zu einem Spaß sowohl für die Pferde, als auch ihre Reiterinnen.
    Ihr Weg führte sie wieder nach Norden und von dort schließlich in die Papamoa Hills. Eine Zeit lang gingen sie gemütlichen Schrittes durch den Wald und arbeiteten sich die sanften Hügel empor. Es war ein wenig wie eine Zeitreise und das nicht nur durch die Nostalgie, welche sie dabei begleitete. Über weite Strecken konnte man fast vergessen, in was für einer Zeit sie lebten. Die sandigen Feldwege und der gelegentliche Wegweiser, der einen Wanderweg ausschilderte war alles an Zivilisation, was es hier gab. Erst als sie an den Hügelkämmen entlangliefen, konnte man einige semi-moderne Zäune sehen, hinter denen sich zahlreiche blökende Schafe über die saftigen Wiesen verteilten. In ihrer Fantasie sahen die Hügel genauso so, wie schon vor vierhundert Jahren, als sich die ersten Kolonisten auf Neuseeland niedergelassen hatten. Ein Gedanke, der vermutlich nicht der Realität entsprach, doch nur allzu verlockend war. Hier war es so friedlich und ruhig, dass man wirklich für eine Weile vergessen konnte, wie hektisch und laut und ihre Welt eigentlich war.
    Als sie das Ende des Weges erreichten, eine kleine Grasfläche zwischen den Viehweiden mit einem Holztisch und -bänken, bot sich ihnen nach Osten ein atemberaubender Ausblick über die Küste der Te Ika-a-Māui, der Nordinsel des Landes. Man konnte die Ausläufer von Papamoa Beach sehen und die kleine Stadt Te Puke, doch das Land war so flach, dass man darüber hinaus auch die komplette Küstenlinie bis zu der Raukumara Range im Osten überblicken konnte. Von hier oben war alles so winzig klein und Fahrzeuge oder gar einzelne Leute waren keine mehr auszumachen. Im Norden konnte man lediglich ab und zu einige Punkte in der Luft erkennen, wenn Shuttletransporte den Raumhafen von Tauranga City ansteuerten.
    Rebecca saß ab und kraulte den schnaubenden Shooting Star zwischen den Augen. Das Pferd war außer Atem, aber spürbar glücklich über den Ausritt. "Ruh dich ein wenig aus", raunte sie dem Vierbeiner grinsend zu. "Wir haben noch den Rückweg vor uns."
    Auch ihre eigenen Muskeln brannten von dem schnellen Ritt, was bei drei Jahren aus dem Sattel wenig überraschend war. Zusammen mit Amaia lief sie über die Rasenfläche an den steilen Abhang und ließ für einen Moment den Ausblick auf sich wirken.
    Amaia seufzte schwer. "Es ist wirklich so schön, wieder hier zu sein", sagte sie nach einer Weile.
    Ein Grinsen stahl sich auf Rebeccas Gesicht. "Bist du etwa...ein Fisch? Du bist ein Fisch! Hey! Bist du etwa schon jetzt sentimental?"
    "Ha! Niemals!" Und obwohl sie die Frage mit einem Lachen abwehrte, lenkte sie ein. "Naja...vielleicht ein bisschen."
    Rebecca legte einen Arm um ihre beste Freundin und legte ihren Kopf an der Schulter der Maori ab. "Hoki mai, Amaia!"
    Einen Moment lang sprachen sie nicht und genossen einfach nur die gegenseitige Nähe und den bildschönen Blick über die Insel.
    Schließlich erhob Amaia das Wort, ohne die Augen abzuwenden. Es war schwer zusagen, ob sie Rebecca ansprach oder lediglich gedankenverloren vor sich hin murmelte. "I te wā i konei mātou...Kei te maumahara koe ki to kōrero? Whakaaro ahau i te tika koe. Me haere tahi tāua!"
    "Ähm...was?" Rebecca blickte sie fragend an. Sie hatte nur die Hälfte verstanden. "Ich kann nicht so gut Te Reo Maori. Was hast du gesagt?"
    Doch anstatt einer Antwort bekam sie nur... "Kei te aroha au ki a koe."
    "Ach, Mai!", beschwerte sie sich gespielt, konnte aber nicht verhindern, dass ihr die Röte ins Gesicht schoss. Den Satz hatte sie verstanden.
    Amaia grinste hinterlistig, sagte aber nichts.
    Es war spürbar, dass die Gedanken der Maori ein wenig abgedriftet waren. Wirklich überraschend war es kaum, dieser Ort lud praktisch dazu ein, die Seele baumeln zu lassen und in Ruhe über sein Leben nachzudenken. "Sag mal...wie sieht es bei dir zuhause eigentlich aus? Hat deine Mom nochmal Ärger gemacht wegen deinem Geburtstag?"
    "Nee...nicht wirklich", seufzte Amaia widerwillig. Sie schien wenig erpicht, darüber zu sprechen, antwortete aber trotzdem. "Sie geht mir im Augenblick mehr aus dem Weg. Aber immerhin Jordan auch, er hat im Moment viel mit der Arbeit zu tun, deswegen sehe ich ihn zum Glück nicht so oft."
    Rebecca überlegte einen Moment, ob sie das ansprechen sollte, was sie vor einigen Tagen zwischen Haeata und Jordan belauscht hatte. Es hatte ihr seitdem keine Ruhe mehr gelassen. "Mai?", fragte sie vorsichtig. "Ich möchte dich was fragen...aber versprich mir bitte, dass du nicht wütend auf mich bist, ja?"
    Die Maori schaute sie mit hochgezogener Augenbraue an. "Na klar!", meinte sie schließlich.
    "Ähm...fuck off! Ich liebe dich! Also...ich habe mich gefragt...ob deine Mom nicht...naja, ob deine Mom nicht vielleicht recht hat. Dass du vielleicht...unfair gegenüber Jordan bist."
    Rebecca beobachtete die Reaktion ihrer besten Freundin genau. Amaia sah einen Moment tatsächlich aufgebracht aus, doch dann schüttelte sie den Kopf und schnaubte. Vermutlich hätte sie bei jedem anderen mit Ärger reagiert, doch Rebecca gegenüber riss sie sich spürbar zusammen. "Jaah...kann schon sein", sagte sie ausweichend.
    "Mai?"
    Amaia seufzte schwer. "Ja, du hast wahrscheinlich recht. Ich bin nicht unbedingt besonders nett zu ihm", gab sie schließlich zu. "Aber es ist mehr als das. Du hast ja selbst gesehen, wir brauchen keinen echten Grund, um uns an die Gurgel zu gehen. Außerdem kann er wirklich ein unglaubliches Arschloch sein. Du hättest das damals sehen müssen...als Kiri ihren NCEA gemacht hat...naja, du weißt ja, sie war später nicht mehr so gut in der Schule gewesen und ihr Abschluss war nicht so wahnsinnig toll. Aber wie Jordan sie fertig gemacht hat deswegen. Von wegen sie sei eine Versagerin und dann hat er auch noch Dad mit reingezogen..."
    Von diesem Streit wusste Rebecca tatsächlich. Es war schon einige Jahre her, doch sie wusste, dass es der Tropfen gewesen war, der für Kiri das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Schon kurze Zeit später war sie ausgezogen.
    "Eigentlich versuche ich sogar schon, mich bei ihm mehr zusammenzureißen. Halt normaler mit ihm zu reden, weißt du? Aber manchmal kommt es trotzdem einfach hoch."
    "Ich könnte mir vorstellen, wenn ihr euch beide besser miteinander vertragt, dass auch deine Mom nicht mehr so stresst", behauptete Rebecca. Dass sie das nur glaubte zu wissen, weil sie Amaias Mutter belauscht hatte, behielt sie aber natürlich für sich.
    Doch Amaia schüttelte plötzlich den Kopf. "Becky...", sagte sie mit einem freudlosen Lächeln, den Blick wieder in die Ferne gerichtet. "Ich weiß, dass ich manchmal was Anderes behaupte und so tue, als ob Jordan an allem Schuld ist. Aber er ist nicht das Problem. Es ist Mom. Schon von Anfang an. Seit der Sache mit Dad. Du hast es nicht gehört, weil wir kein Englisch geredet haben, aber bei dem Streit mit Kiri...sie hat gesagt...sie hat..." Wieder schüttelte sie den Kopf. "Ist ja auch egal...die Sache ist halt...langsam glaube ich halt, dass ich verschwende nur meine Zeit mit ihr. Ich habe das Gefühl, Mom will gar nicht, dass wir noch eine Familie sind..."
    Das Schlimmste an Amaias Worten war, dass sie wohl, vielleicht auch ohne es zu wissen, recht hatte. Rebecca war sich sicher es, sie hatte es von Haeata selbst gehört. Doch sie brachte es nicht über sich, ihrer besten Freundin davon zu erzählen. Und die Resignation in Amaias Stimme machte alles nur furchtbarer. Da sie nichts zu erwidern wusste, nahm sie Amaia in den Arm.
    "Danke", seufzte die Maori betrübt.
    Rebecca gab ihrer besten Freundin einen Moment für sich und wandte sich den beiden Pferden zu. Shooting Star und Nelly hatten ihre Aufmerksamkeit dem saftigen Gras zu ihren Hufen zugewandt und drückten ihre Zufriedenheit mit einem lauten Schnauben aus, als sie näherkam. Gedankenverloren strich sie Nelly über den kräftigen Hals und warf zwischendurch einen Blick über die Schulter.
    Noch immer stand Amaia am Abhang und schaute schweigend über das Land. Irgendwann wandte sie sich wieder ihrer besten Freundin zu. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war plötzlich wieder ein ganz anderer, ein Sorgenloser und Entspannter. Es hob Rebeccas Laune nur bedingt, denn sie wusste, dass Amaia die Sache einfach nur für den Moment wieder verdrängt hatte.
    "Dafür darf ich dich jetzt aber auch was fragen", kündigte sie unheilvoll an und trat zu den den Pferden. "Und du musst mir auch versprechen, nicht sauer auf mich zu sein, ja?"
    Auch wenn der Schalk in Amaias Augen blitzte, bekam Rebecca ein ungutes Gefühl. Allerdings blieb ihr nichts anderes übrig als zu nicken, begleitet von einem unfreiwilligen "Du bist ein Fisch! Ein Fi-f-fuck off!"
    "Also...nochmal wegen der Sache mit Tomas..."
    Sofort rollte Rebecca mit den Augen und stieß ein gequältes Stöhnen aus. Fast täglich fing Amaia wieder damit an und sie konnte sich scheinbar nicht mit Rebeccas Entscheidung abfinden, die ganze Sache einfach ruhen zu lassen. Egal welches Argument, egal wie vehement sie ablehnte, Amaia ließ einfach nicht locker.
    "Du willst es doch!", setzte sie sofort nach, als Rebecca nicht sofort etwas erwiderte.
    "Mann, ich kann das einfach nicht!"
    "Warum denn? Überleg doch mal, Tomas weiß doch eh schon von deinen Tics. Und er hat dir das mit dem Tonstudio trotzdem angeboten. Also warum sollte das ein Problem sein?"
    "Mai, ich habe dir doch gesagt, es ist nicht bloß wegen den Tics. Ich will einfach nicht immer wieder daran erinnert werden, was ich alles in meinem Leben verpasst habe."
    "Aber trotzdem...es wäre doch sicher spannend für dich!"
    Ein wenig fassungslos schaute Rebecca ihre beste Freundin an und runzelte die Stirn. Sie sagten dieselben Dinge, die sie schon seit Tagen immer wieder zu dem Thema äußerten. "Jetzt mal im Ernst...warum bist du so hässlich? Warum? Rede mit mir! Ich liebe dich! Warum interessiert dich das denn so sehr?"
    Amaia druckste ein wenig herum. "Naja...es würde dir einfach gut tun, wenn du mal wieder was unternimmst. Außerdem hast du doch selbst gesagt, dass du früher auf jeden Fall zugesagt hättest. Also warum denn nicht?"
    In diesem Moment wurde deutlich, dass Amaia eine genauso schlechte Lügnerin wie Rebecca war. Und kaum hatte sie die schlechte Lüge durchschaut, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. "Nicht dein Ernst!", lachte Rebecca plötzlich so laut, dass Nelly neben ihr überrascht aufschaute. "Du willst mitkommen!"
    Ertappt wich Amaia ihrem Blick aus und grinste verlegen. "Du hast doch selbst gesagt...das wäre schon ziemlich cool."
    Nun machte es natürlich Sinn, warum ihre beste Freundin sie seit Tagen anflehte, das Angebot des Musikproduzenten doch noch anzunehmen. Sie hoffte darauf, mitkommen zu dürfen, weil sie selbst das Tonstudio mal sehen wollte. Und mit einem Mal konnte Rebecca ihr das alles auch gar nicht mehr übel nehmen. Denn Amaia war nicht viel weniger musikbegeistert als sie selbst.
    "Kannst du nicht nochmal darüber nachdenken?" Die Aufrichtigkeit von Amaias Bitte ließ Rebecca schmunzeln.
    Bei allen Gründen die dagegensprachen, Amaia diesen Gefallen zu tun war plötzlich ein ganz anderes Gewicht. Sie seufzte schwer und nickte schließlich. "Wobei ich nicht weiß, ob Tomas das wirklich ernst gemeint hat mit dem Angebot", versuchte Rebecca sich halbherzig noch rauszureden. "Und vielleicht will er auch nicht, dass ich jemanden mitbringe. Und..." Es waren lahme Ausreden, doch nun wo sie in Aussicht gestellt hatte, das Angebot doch noch anzunehmen, spürte sie plötzlich wieder ihre Nerven.
    "Du hast doch seine Nummer, oder?", meinte Amaia wie beiläufig, während sie sich ihre Wasserflasche aus Nelly Satteltasche kramte. "Ruf ihn doch einfach an und frage nach! Du musst ja nicht sofort ein Treffen vereinbaren."
    "Ach, Mai!" Es war natürlich die offensichtlichste Lösung, doch es ging ihr dann doch etwas zu schnell. Und das Schlimmste daran war, dass ein Teil von ihr, genau wie Amaia richtig vermutet hatte, ausgerechnet das wollte. Und genau dieser Teil ließ gar nicht mehr zu, dass sie die Sache nochmal groß überdenken konnte. Stattdessen brannte es ihr in den Fingern, das alles so schnell wie möglich abzuhandeln.
    Sie griff nach ihrem Smartpad und suchte sich das Memo heraus, auf dem sie sich die Nummer des Tonstudios abgespeichert hatte. Nervös schaute Rebecca zu ihrer besten Freundin, die ihr aufmunternd zunickte. Mit klopfendem Herzen wählte sie die Nummer und versuchte sich einzureden, dass es halb so schlimm war. Es konnte ja nicht schaden, nochmal nachzufragen. Einen kurzen Moment lang wollte sie noch hoffen, dass der Musikproduzent gerade nicht im Studio oder beschäftigt war, doch dummerweise wurde ihr Anruf schon eine Sekunde später angenommen und eine bekannte Stimme ertönte.
    "Hallo, hier ist der 'Maunga Audio Post', mein Name ist Tomas Allen. Wie kann ich helfen?"
    "Ähm...hi, Tomas! Ich...ich bin Rebecca, wir haben uns letzte Woche im Harmony getroffen und...ich wollte eigentlich nur kurz fragen..."
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  5. #45
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    Es dauerte eine Weile bis Hudson etwas erwiderte. Und als seine Worte erklangen, schnitten sie sofort tief in ihn hinein. Er war wütend. Verständlicherweise war er das. Denn Niall hatte ihn zu einem Teil dieser Sache gemacht. "Weil ich blind war." erwiderte er in gefasstem Ton. "Verblendet und zerfressen vor Hass.....es war wie eine Besessenheit."
    Ich habe wirklich gedacht, dass Sie anders sind. Ich habe gedacht, dass Sie nach der Sache mit den Gangstern damals den richtigen Weg gewählt hatten.
    Niall seufzte bitter. "Ich dachte das auch. Das war mein größter Fehler."
    Es gruselte ihn beinahe vor sich selbst, wie ruhig und gefasst er jetzt schon über all das sprechen konnte. Keine 2 Tage waren seit dem Ende seiner kurzen Rächer-Karriere vergangen. Und jetzt bereits wirkte es wie ein Leben aus einer anderen Zeit. Ein Alptraum, eine dunkle Erinnerung.
    Die Klarheit, welche jetzt in ihm herrschte, war erhellend. Aber gleichzeitig auch erdrückend. "Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert." Er warf einen Blick auf den Anhänger mit dem Kreuz, welcher auf dem Nachttisch lag.
    "Aber Sie sind sicher nicht hier um zu philosophieren oder sich bedeutungslose Rechtfertigungen anzuhören." fügte er hinzu und sah ihn unter leichtem Blinzeln in die Augen.
    "Es tut mir Leid." sprach er leise. "Auch wenn Sie es ebenfalls für bedeutunglos halten mögen....und ich Sie dafür nicht verurteile.....es tut mir Leid."


    Tja, davon kann ich mir jetzt auch nichts kaufen“, murmelte Hudson auf O`Gradys Entschuldigung hin, allerdings weit weniger feindselig, als gedacht. Immerhin erschlafften seine Fäuste zu matt herabhängenden Händen. Betreten schaute er zu Boden, dachte an das, was er verloren hatte und dass O`Grady, so ganz in Sühne, noch viel mehr verloren hatte.
    Ich verstehe noch immer nicht, was Sie erreichen wollten. Dachten Sie wirklich, dass Sie die Verbrechen der Citadel mit Ihren Waffen lösen würden?“ Niall lächelte merkwürdig. Vermutlich spöttisch über sich selbst, nachdem er einen klaren Gedanken fassen konnte. Flüssigkeiten pumpten durch Schläuche Bewusstsein in O`Gradys Körper. Nate stützte sich auf das Bett und schüttelte den Kopf. „Können Sie es erklären? Wollen Sie es?
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  6. #46
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    Hanna

    Rose lachte mit Hanna über deren kleine Anekdote. Es war einer der besseren "ersten Fälle". Die meisten C-Sec Beamten bekamen da für gewöhnlich doch eher "langweilige" Dinge. Was aus Perspektive der Asari eine gute Sache war. Die Wirklichkeit musste einem nicht immer mit vollem Anlauf, dem Arsch voran, ins Gesicht springen. Gleichzeitig kramte ihr Gedächtnis endlich die Erinnerungen aus den gewundenen Gängen die sich ihr Langzeit Gedächtnis schimpften. Bei Asari schrieb sich das Wort Langzeitgedächtnis auch mit mindestens fünf a's.
    Was ist mit Ihnen? Damals gab es sicher noch keine Menschen."Hey, Moment. So alt bin ich jetzt auch nicht. Als ich geboren wurde, trug man auf ihrem Planeten wohl gerne gepuderte Perücken. Habe ich auf jedenfall mal irgendwo gesehen.", erwiderte sie scherzend.
    "Wenn sie allerdings auf der Citadel meinen, natürlich nicht. Sie laufen ja erst seit ein paar Jahrzehnten hier rum. Ich meine, es gibt Salarianer die sich an eine Station ohne Menschen erinnern können.", fügte sie dann leicht nachdenklich an.
    "Mein erster Fall hingegen, nun das ist jetzt schon ein paar Jahrzehnte her. Wann bin ich nochmal zu C-Sec? Ich glaube 1918, nach ihrer Zeitrechnung. War nicht so spektulär wie ihre Geschichte. Eine Trickbetrügerin, welche im Zakera Bezirk den Leuten die Creds aus der Tasche zog. Allerdings kannte sie sich hervorragend aus, ganz im Gegensatz zu mir damals. Ist mir mehrmals entkommen und hat dafür gesorgt das ich mich öfter mal innerhalb der Station verlaufen habe. Infolgedessen kenne ich mich aber inzwischen sehr gut im Zakera Bezirk aus.", erzählte sie und lachte amüsiert. Damals hatte sie es verkniffener gesehen, aber man lernte im Alter über seine Fehler zu lachen.
    "Aber an sich ein angenehmer Fall. Hat nach ihrer Haftzeit im Zakera Bezirk, einen Laden für Magiebedarf und solche Späße eröffnet. Den gibt es immer noch, falls sie ein paar Kartentricks lernen wollen. Besuche sie ab und zu, nettes Mädel.", merkte sie an.
    "Sehen sie Ilias, es sind solche Sachen die man sich im Gedächtnis behalten muss. Gute Dinge, die man hervorholen kann wenn man wieder den Eindruck hat in einem Strudel voller Scheiße zu ertrinken. Die einen daran erinnern das diese Station nicht nur voller Psychophaten und Serienmördern ist. Wenn man das nicht tut, endet man wie O'Grady."
    , erklärte sie mit einem optimistischen Unterton.
    "Ich weiß ja nicht wie das bei ihnen ist, aber damals beim Militär. Habe ich mir den Polizeidienst einfacher vorgestellt. Ruhiger Dienst, geregelte Arbeitszeiten, keine Low Grav Absprünge. Aber irgendwie war es dann doch schwerer. Keine klare Aufteilung mehr, hier ich, dort der Feind. Tausend Graustufen, tausend Regeln, dutzende Facetten. Und man selbst muss einschätzen wie man damit klar kommt. Das war eine große Umstellung.", sinnierte Rose, ihr Blick wurde kurz nachdenklich. Dann hellte er sich jedoch wieder auf und sie klatschte in die Hände.
    "Aber keine Sorge, nach über hundert Jahren habe ich wohl die Balance gefunden.", verkündete sie scherzhaft und lachte kurz.


    Blut, Zerstörung, Explosionen – etwas derartiges hatte Hanna eigentlich eher von Peresa`ans erstem Fall erwartet. So aber war es irgendwie ironisch. Die Blondine hatte noch nie ansatzweise den Kontakt zu jemandem gepflegt, der ihr mal ins Netz gegangen war. Sie pflegte ihn ja nicht einmal zu ihren flüchtigen Beziehungen.
    Dann werde ich in ein paar hundert Jahren mal eine ID von mir abspielen lassen. Verfüge ich in meinem Testament als Aufgabe für Sie. Vielleicht klingt die dann gelassener.“ Vermutlich würde Rose ihre Existenz schon längst vergessen haben, wenn sie den Polizeidienst an den Nagel hing. „Ich weiß gar nicht“, fuhr sie fort: „…was für Vorstellungen ich mir über die Verwendung bei C-Sicherheit gemacht habe. Ich hab mich einfach beworben und wurde genommen. Eigentlich hätte ich damit gar nicht gerechnet und hab gedanklich schon eine Karriere als Söldner oder Türsteher in Betracht gezogen.“ Hanna erinnerte sich an die Zeit, in der dieser bedeutende Wechseln in ihrem Leben stattgefunden hatte. Manchmal fragte sie sich was passiert wäre, wenn sie einen anderen Weg gegangen wäre. Anders als Rose hatte sie aber nicht die Zeit, um noch einmal komplett von vorne zu beginnen. „Sie waren bei den Jägern“, sagte Hanna. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. „Und den Geschichten nach, die ich in jüngster Zeit hörte – bei allem Respekt, aber für mich klangen die nicht so, als hätten Sie den Wechseln von Kampftruppe zu Schutzeinheit sofort vollzogen. O’Grady sollte irgendeinem Gott dafür danken, dass Sie einen guten Tag hatten“, lachte sie.
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  7. #47
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    Charis

    Charis Aussage war optimistisch nichtssagend. Yuika nahm sie einfach stumm zur Kenntnis, ihr blieb eh nichts anderes übrig. Momentan musste sie abwarten bis die Triebwerke wieder hochfuhren. Und dann darauf vertrauen das Charis ihren Job ordentlich machte und sie herausholte.
    Der Japanerin mangelte es nicht unbedingt an Vertrauen, dennoch gefiel ihr das Gefühl nicht. Yuika plante ihre Schritte gerne vorher durch, eliminierte Zufälle nach möglichkeit und entwarf Alternativen. In solchen Situationen war ihre Schwester besser, Airi handelte gerne instinktiv.
    Wenn sie ehrlich war, vermisste sie ihre Schwester gerade. Es war ungewohnt in der Bredouille zu sitzen, ohne sich auf sie verlassen zu können.
    Kurz lauschte sie noch den Gesprächen der Damen, welche ein wenig optimistischer klangen und stieg dann nach einer Weile die Leiter nach oben.

    Die Japanerin ging im schwachen roten Licht der Notbeleuchtung in die kleine Kaffeküche und setzte sich auf einen freien Stuhl. Ihr Blick fiel auf die jetzt leblose Kaffemaschine, deren metallene Oberfläche leicht rot schimmerte. Sie würde jetzt einiges für einen Kaffee geben. Ihre Finger glitten durch die inzwischen verklebten schwarzen Strähnen. Und eine Dusche. Aber den Gedanken teilte sie vermutlich mit dem gesamten Unterdeck. Die gedimmte Beleuchtung förderte ihre Müdigkeit, doch sie fühlte sich nicht wohl jetzt zu schlafen. Auch wenn die Dinge gerade nicht in ihrer Hand lagen.
    Ihre Finger glitten die Rüstung entlang und öffneten die Verschlüsse der Brustpanzerung. Vorsichtig legte die Japanerin den oberen Teil der Panzerung ab und verstaute ihn so das er hoffentlich nicht bei erneuten Flugmanövern durch die Gegend fliegen würde. Dann zog sie das darunterliegende Shirt aus, welches verhinderte das die Panzerung nicht direkt gegen die Haut drückte. Außerdem war es in ihrem Fall klingensicher und brandhemmend, beides Funktionen die sich schon als nützlich erwiesen hatten. Darunter trug sie ein simples dunkelblaues Tank-Top. Seine herausragende Eigenschaft war schnell zu trocknen und dann nicht komplett nach Schweiß zu stinken.
    Etwas erleichtert massierte sich Yuika den Nacken und die Schulterblätter. Stundenlang regungslos in einem engen Versteck zu warten, bewirkte die eine oder andere Verspannung. Routiniert ließ sie ein wenig die Gelenke kreisen um diese aufzuwärmen. Nebenbei summte sie leise einen Singsang den sie mal in Kyoto aufgeschnappt hatte und als Meditationshilfe diente.

    "Ich hoffe ich störe sie nicht bei irgendetwas.", sagte Yuika als sie wieder das Cockpit. Das rote Licht leuchtete auf ihrer hellen Haut und changierte mit den verschiedenen Tätowierungen die ihre Oberbekleidung offenbarte. Manche von ihnen wirkten in diesem Licht anders als bei normaler Beleuchtung. Nach einem kurzen höflichen Abwarten schritt die Japanerin zu dem freien Co-Piloten Sitz und ließ sich auf diesem nieder. Die einzigen anderen Lichtquellen in dem Raum war das schwache Leuchten von Chiko und das Glühen von Charis Zigarette. Mit einem Tippen auf ihrem Omnitool glitt die Drohne zurück zu ihrer Besitzerin.
    "Man sollte meinen das es nett ist wenn nicht die ganze Zeit die Triebwerke dröhnen, aber irgendwie ist es das nicht. Fühlt sich unnatürlich an, wie in einem Sarg.", stellte sie fest und überschlug die Beine, welche immer noch in Panzerung gehüllt waren.
    "Fühle mich als könnte ich gleich einschlafen. Was machen sie eigentlich, um sich auf langen Flügen zu beschäftigen? Also abseits, von bunten Pillen und Zigaretten?", erkundigte sie sich dann nach einem kurzen Gähnen bei Charis.


    Charis griff neben sich und warf ein Heft auf die knopfübersäte Konsole.
    Pornos“, lachte sie. „Sie haben recht: Es ist ein Sarg. Ein Sarg, den ich mein Eigen nenne. Ich habe vor Jahren mal von einem Menschen eine Geschichte erzählt bekommen, die von einem Mann handelt, der mit einem Schiff aus Holz eine urzeitliche Kreatur, einen Wal nannte er es, jagt. Einen weißen Wal, was wohl ein Symbol bei euch Menschen ist. Und einer von der Crew hat sich seinen eigenen Sarg gezimmert und mit auf die Reise genommen. Das fand ich irgendwie treffend.“ Sie tippte auf das Heft. „Da haben solche Schundblätter doch etwas Lebensbejahendes, finden Sie nicht?
    Ihr Blick schweifte durch die Scheibe ins Endlos des Alls.
    Keine Sorge, dieses Schiff wird nicht Ihr Sarg sein“, versprach Charis der Asiatin. Sie drückte die gerade noch am Leben seiende Zigarette aus, überschlug die Beine und legte sie auf neben dem Heft auf der Konsole ab. Ihr Blick wandte sich von den Sternen Yuika zu. In den nächsten Worten lag mehr Melancholie als bei dem Gespräch über Schmuddelhefte. „Die Zeit in der Unendlichkeit des Alls, gerade wenn man weiß, dass man noch hunderte Jahre vor sich hat, lässt auch viel Raum zum Nachdenken. Ich schwelge oft in Gedanken. Und manchmal verliere ich mich darin. In fast einhundert Jahren kommt eine Menge Scheiß zusammen.“ Einen Moment lang wirkte ihr Blick gedankenverloren. Es war mehr ein Eingeständnis als eine Erklärung. „Darum die Hefte und die Pillen“, sagte Charis und lächelte nun wieder, wenn ihr Lächeln nun auch wie durch einen Nebelschleier getrübt war. Die Wahrheit war, dass ein Flug durch den Raum dauernde Prüfung bedurfte; automatische und manuelle.
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  8. #48
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    "Da vorne sind wir manchmal noch nach der Vorlesung Essen gegangen." Rebecca zeigte auf ein recht unscheinbares, mehrstöckiges Gebäude, über dessen Eingang auf einem unauffälligen, blauen Schild stand 'Fujiyama Teppanyaki'.
    "Hey, wenn du nachher noch Hunger hast, können wir auch nochmal hier vorbeischauen, liegt ja auf dem Weg. Ich hätte echt mal wieder Lust auf Japanisch."
    "Klingt gut", stimmte sie Amaia zu und warf im Vorbeigehen einen Blick durch die Fenster des japanischen Restaurants. Wie bei so ziemlich jedem Ort hier kamen Erinnerungen an die letzten drei Jahre hoch. Fast schon erwartete Rebecca, dass sie jetzt gerade einige ihrer ehemaligen Kommilitonen durch die Fenster erblicken würde, doch sie konnte kein bekanntes Gesicht ausmachen.
    Ihr Weg von der Shuttlestation bis zum 'Maunga Audio Post' führte die beiden Frauen durch die Innenstadt von Wellington und sie waren auch nur ein paar Blocks von Rebeccas Wohnung aus ihrer Studienzeit entfernt. Für eine ausgedehnte Tour durch die Stadt hatten sie aber nicht genug Zeit, sie waren mit Tomas um etwa vierzehn Uhr verabredet und so beschränkte sie sich darauf, Amaia einige interessante Orte zu zeigen und ein paar Anekdoten aus ihrer Studienzeit zu erzählen.
    Dabei spürte sie ständig einen unangenehmen Stich in der Magengegend und die vielen Erinnerungen an ihr Studium und die Leute, die sie in der Zeit kennengelernt hatte, waren mittlerweile alle bitter geworden. Doch Rebecca nahm das in Kauf, denn umso schöner war es, Amaias Reaktion zu sehen. Die Maori war noch nie in Wellington gewesen und konnte sich ihrer üblichen Begeisterung für alles Fremde und Neue nicht erwehren.
    Rebecca zeigte die Einkaufsmeile im Herzen von Wellington mit ihren ganzen Läden herab, an deren Ende sich ein großes, sehr modern aussehendes Gebäude befand. "Am Wochenende sind wir da unten häufig ins Kino gegangen, wobei das dann erst in meinem Lehramtstudium war. Medizinstudenten haben keine Zeit für Filmeschauen", erinnerte sie sich mit einem Schmunzeln an den vielen Stress, den das Studium der Medizin mit sich brachte.
    "Wo wir gerade bei Filmen sind", begann Amaia beiläufig und es war schon klar, worauf sie hinauswollte. "Wir müssen immer noch 'Der Herr der Ringe' schauen. Du drückst dich immer wieder davor!"
    Rebecca lachte auf. "Ja, du hast ja auch gesagt, die Filme gehen zusammen zehn Stunden."
    "Ja und? Die lohnen sich trotzdem, glaub mir!"
    Es war deutlich, dass noch etwas Anderes Amaias Laune hob, als bloß die Freude daran, die Straßen der Stadt zu erkunden. Denn sie schien so gut drauf zu sein, wie schon seit Langem nicht mehr. Auf Rebeccas Nachfrage hin erklärte sie.
    "Naja...gestern Abend kam Mom zu mir. Ich dachte erst, sie wollte wieder Stress machen, aber sie hat sich ernsthaft bei mir wegen der Sache an meinem Geburtstag entschuldigt und...sie hat versprochen, sich in Zukunft mehr zusammenzureißen. Natürlich muss das nichts heißen", beeilte sich Amaia schnell zu sagen. "Ich glaube, sie war halt gestern einfach nüchtern gewesen und es wäre nicht das erste Mal, dass sie was behauptet, was am Ende gar nicht stimmt. Du weißt ja, sie hatte damals auch gemeint, sie würde sich freuen, wenn ich wieder nach Hause käme."
    Die Neuigkeit kam für Rebecca ein wenig unerwartet. "Das klingt doch echt schön!", freute sie sich für ihre beste Freundin. Es war das erste Mal seit Jahren, dass Amaia etwas Positives über ihr Leben mit ihrer Mutter zu berichten hatte.
    "Jaah...mal abwarten." Es schien, als wolle Amaia ihre eigenen Erwartungen niedrig halten, doch ihre Ausgelassenheit war ein Zeichen dafür, dass sie sich tatsächlich Hoffnung machte. Und das war am Ende auch für Rebecca sehr beruhigend zu hören.
    Natürlich rührte die gute Stimmung aber in erster Linie von der Vorfreude, die vor allem Amaia gepackt hatte. Ihre beste Freundin war schon den ganzen Flug hierher nicht müde geworden zu sagen, wie toll sie es von Tomas fand, ihnen das Tonstudio zu zeigen und sie dankbar sie Rebecca war, die Sache nur wegen ihr überhaupt angenommen zu haben. Vielleicht lag an ihrer neuen Gitarre, vielleicht auch einfach daran, dass sie nun endlich wieder so viel Zeit mit Rebecca verbringen konnte, aber Amaia hatte ihre Begeisterung für Musik auf eine Weise wiederentdeckt, die Rebecca nicht für möglich gehalten hätte.
    Ihre beste Freundin hatte auf InSync angefangen Videos hochzuladen, in denen sie verschiedene Songs coverte. Es war nichts Besonderes, Amaia saß einfach nur in ihrem Zimmer, spielte auf ihrer Gitarre und sang dazu, doch das schien einigen Leuten tatsächlich sehr gut zu gefallen, wie man an den gelegentlichen Kommentaren unter den Clips auch herauslesen konnte. Vor allem Kiri schien es sich nicht nehmen zu lassen, unter jedem einzelnen der Coversongs einen Kommentar für ihre kleine Schwester dazulassen. Doch auch völlig Fremde, welche die junge Maori gar nicht kannten, waren offenbar auf ihre Videos gestoßen und mittlerweile hatten manche ihrer Videos mehrere hundert Aufrufe.
    Und so sehr sie die Begeisterung ihrer besten Freundin für Musik teilte und so ansteckend Amaias gute Laune auch war, Rebecca konnte nicht verhindern, dass sich ihr Herzschlag beschleunigte, je näher sie ihrem Ziel kamen. Ihrer besten Freundin zuliebe hatte sie das Treffen mit Tomas nun doch eingefädelt und der Musikproduzent hatte offenbar sehr erfreut zugestimmt. Das änderte aber nichts an ihren Bedenken. Rebecca hatte keine Ahnung, wie der Nachmittag werden würde, doch sie hatte ein sehr mulmiges Gefühl dabei. Klar, es klang total spannend, einem Musiker bei seiner Arbeit über die Schulter schauen und sich ein großes Tonstudio mal von innen anschauen zu können. Doch sie hatte Angst davor, was diese Erfahrung in ihr auslösen würde. Für einen Rückzieher war es nun aber zu spät.
    Ihre Tics machten das ganze nicht einfacher, denn sie waren heute wieder etwas schlimmer als sonst. Immer wieder rief Rebecca wahllos Dinge umher oder fuchtelte mit ihren Händen in der Luft herum. Ihr Gesicht tat mittlerweile schon weh, weil sie ständig unkontrolliert ihre rechte Gesichtshälfte verzog. Dass sie aufgrund der Jahreszeit eine Jacke trug, dämpfte immerhin die Schläge gegen ihre Schulter ein wenig ab, die sie sich immer wieder selbst zufügte.
    Nach gerade einmal zehn Minuten Fußweg aus der Innenstadt heraus bogen sie in eine Straße ein und erspähten über einen Parkplatz schon ein großes, dreistöckiges Gebäude, dessen Front mit großen Fenstern verkleidet war, während ein großer Teil im hinteren Bereich überhaupt kein Glas zeigte. Es hatte einen hochmodernen Look, mit vielen eleganten Rundungen und Verkleidungen aus bearbeitetem Holz, die sich mit den typischen, grauweißen Paneelen abwechselten, welche man häufig an solchen Bauten sehen konnte. Es erinnerte von seinem Stil schon fast ein wenig an eine urbane Villa, wenn auch aus deutlich weniger kostspieligen Materialien. Über der Front zeigte sich, um was für eine Einrichtung es sich handelt. 'Maunga Audio Post' prangte dort in großen Lettern, die an der Wand befestigt waren, während sich daneben ein stilisiertes Aufnahmemikrofon befand, wie man es typischerweise von professioneller Stimmvertonung kannte.
    "Alles klar bei dir?", fragte Amaia mit einem Grinsen, als die beiden auf das Gebäude zuliefen.
    Rebecca nickte, auch wenn ihr noch immer nicht so recht wohl bei der Sache war. "Biene! Ich bin eine Biene!" Sie wollte die Hand nach der gläsernen Eingangstür ausstrecken, doch stattdessen krümmte sie ihren Oberkörper zurück und klatschte in die Hände.
    Amaia öffnete ihr die Tür stattdessen und die beiden betraten das Tonstudio.
    Die Lobby erinnerte sie spontan an eine Bar. Tatsächlich befand sich auf der anderen Seite des Raums eine kleine Theke mit Barhockern und ein kleiner Durchgang schien in so etwas wie eine Küche zu führen. Auf dem Parkettboden verteilt standen zahlreiche Tische mit jeweils zwei Stühlen. An Dekoration gab es einige Topfpflanzen in den Ecken, sowie einige Bilder, welche hinter der Theke hingen. Drei Seiten des Raumes waren mit großen Glasfenstern ausgestattet, während die hintere Wand in schlichtem Weiß gehalten war. Dort befand sich auch eine weitere Glastür, die allerdings verschlossen war, daneben war eine Art Terminal.
    Außer ihnen schien niemand hier zu sein und die beiden Frauen wechselten einen kurzen Blick, ehe sie in Richtung des Terminals gingen. Als plötzlich eine Lampe aufleuchtete und eine holographische Projektion vor ihnen erschien, erschraken sie ein wenig. Das Hologramm zeigte einen recht unscheinbar wirkenden Mann mit ordentlicher Kleidung, wie man sie in einem typischen mittelständischen Bürojob erwarten würde. Er hatte kurze Haare, einen adretten Bart und unnatürlich makellose Züge, die es schwer machten, ein Alter zu bestimmen.
    "Hallo und herzlich willkommen im 'Maunga Audio Post'. Mein Name ist James. Wie kann ich Ihnen helfen?" Genau wie das Aussehen des Hologramms war auch die Stimme, welche aus dem Terminal ertönte, einerseits sehr überzeugend, doch andererseits gerade künstlich genug, um klarzumachen, dass es sich nicht um eine echte Person, sondern einen virtuellen Assistenten handelte.
    Rebecca klatschte in die Hände. "Verschwinde! Hey! Verschwinde! Und komme nie wieder!" Erschrocken schlug sie sich die Hand vor den Mund, doch das Hologramm reagierte bereits auf ihre unbeabsichtigten Worte.
    "Tut mir leid, das kann ich nicht tun. Gibt es sonst noch etwas, womit ich Ihnen helfen kann?"
    "Ich mach das schon!", bot Amaia mit einem Grinsen an und trat einen Schritt vor. "Ja, wir sind mit Tomas Allen verabredet. Könntest du ihm sagen, dass wir hier sind?"
    Das Hologramm nickte. "Natürlich. Mr. Allen befindet sich zurzeit in der Regie. Ich werde ihn über Ihre Anwesenheit informieren. Bitte haben Sie einen Moment Geduld." Der Assistent verschwand und an seiner Stelle wurde nun eine stilisierte Sanduhr projiziert.
    "Buuuiieeeh!" Rebecca warf ihren Kopf heftig hin und her. "Oh, Mann", stöhnte sie und legte ihre Hände an die Wangen, wie um ihren Schädel festzuhalten. "Das kann ja was werden...hey!"
    Amaia wusste, dass sie ihre Tics meinte und nickte mitfühlend, ohne etwas zu sagen. Einige Momente herrschte Stille in dem Aufenthaltsbereich, dann meinte die Maori plötzlich: "Sag mal...James...hieß so nicht auch dein Freund aus Wellington?"
    Ein wenig überrascht über dieses Thema starrte Rebecca ihre beste Freundin verwundert an. Dann musste sie auflachen. "Ja, er hieß James."
    "Wobei...Ex-Freund sollte ich sagen, nicht?"
    Rebecca nickte.
    "Sag mal, wie war er denn eigentlich so? Ich habe ihn ja nicht kennengelernt..."
    "Ach...eigentlich war er echt nett." Es war schon über zwei Jahre her, doch an die meisten Details konnte sich Rebecca noch erinnern und es ließ sie kichern. "Er war ein wenig altmodisch, weißt du. Hat mir immer Blumen geschenkt, wenn wir uns irgendwo getroffen haben. Und hat mir auch immer die Türen aufgehalten."
    Amaia lachte auf. "Ja, ich weiß noch, das hast du mir damals auch geschrieben. Wobei du nie erzählt, warum du dann Schluss gemacht hast."
    Die Erinnerung war nicht mehr ganz so angenehm. "Naja...nach einer Weile war er...ein Fisch! Er war ein Fisch! Ich mag Fisch! Buuuiieeh! Er war halt irgendwann total aufdringlich. Kaum hatten wir das erste Mal miteinander geschlafen, hat er sofort angefangen sich bei mir auszubreiten. Hat so getan, als würden wir jetzt zusammen wohnen und wären praktisch schon verheiratet. Und er wollte, dass ich praktisch jeden freien Moment mit ihm verbringe und...mir war das halt einfach zu schnell auf einmal. Als ich ihn daraufhin angesprochen habe, ist er richtig sauer geworden..." Rebecca hielt einen Moment inne, als sie sich an die Situation erinnerte. Tatsächlich hatte sie in diesem Moment schon fast ein wenig Angst bekommen, so aufgebracht war ihr Ex gewesen. Und dabei war er eigentlich ein eher kleinerer, schmächtigerer Typ gewesen. "Ich schätze mal...du bist hässlich! Ich schätze mal, dass man jemanden erst so richtig kennenlernt, wenn..."
    "...wenn man miteinander geschlafen hat", vervollständigte Amaia den Satz grinsend.
    "Was? Nein! Das meinte ich nicht", lachte Rebecca.
    "Ja, schon gut, ich weiß ja, was du sagen willst." Amaia wurde wieder ernster. "Es ist manchmal halt wirklich so, man glaubt jemanden zu kennen, aber mit der Zeit sieht man halt eine ganz andere Seite. Unsere Nachbarin in Fairbanks war auch..."
    Doch Amaia kam nicht dazu ihre Geschichte zu erzählen, denn in diesem Moment erschien der virtuelle Assistent James wieder vor ihnen. "Mr. Allen lässt ausrichten, dass er sofort bei Ihnen sein wird. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?"
    "Ich liebe dich! Hey!"
    Der Tic selbst war eigentlich halb so wild, doch die Reaktion des Hologramms trieb die Sache auf die Spitze. "Es freut mich, dass Sie das mir gegenüber empfinden und fühle mich geschmeichelt. Ich muss Sie aber darauf hinweisen, dass ich eine virtuelle KI bin, welche nicht in der Lage ist, derartige Bindungen einzugehen. Sollten Sie sich ernsthaft emotional zu mir oder einer anderen virtuellen Assistenz hingezogen fühlen, rate ich Ihnen, umgehend professionelle Hilfe aufzusuchen."
    "Och, Mann...!" Rebecca trieb es die Schamesröte ins Gesicht. So responsiv und intelligent die KI auch war, so wenig war sie in der Lage zu verstehen, was es mit den Worten der jungen Frau auf sich hatte. Normalerweise würde sie sich jetzt erklären und ihrem Gegenüber von ihrer Krankheit erzählen, doch das würde bei dem virtuellen Assistenten wahrscheinlich nichts bringen und so stand die Bemerkung von James unkommentiert im Raum. Glücklicherweise bekam das außer Amaia niemand mit.
    Die Maori kicherte über die Situation und legte ihrer besten Freundin beruhigend eine Hand auf die Schulter. An James gewandt sagte sie: "Danke für die Hilfe."
    Das Hologramm nickte höflich. "Natürlich. Falls Sie noch etwas brauchen, können Sie sich jederzeit an mich wenden." Damit verschwand die Projektion wieder.
    Dafür sahen sie aber durch die Glastür eine Gestalt durch den Flur in ihre Richtung kommen. Sofort erkannte Rebecca den Musikproduzenten wieder, den sie vor knapp zwei Wochen im Harmony getroffen hatte.
    Tomas trat in die Lobby und begrüßte die beiden. "Kia ora! Schön dich hier zu sehen, Rebecca", meinte er augenzwinkernd und schüttelte ihr die Hand, ehe er sich der anderen Frau zuwandte. "Du musst dann Amaia sein, richtig?" Sie nickte bestätigend. "Alles klar, Rebecca hatte ja gesagt, dass sie noch jemanden mitbringt."
    "Ich hoffe, wir stören dich nicht bei etwas Wichtigem", sagte Rebecca sofort.
    Der Mann winkte lachend ab. "Ach was, das passt schon. Ich mache gerade den Mix von unserer Orchesteraufnahme fertig, das kann ich dann auch direkt zeigen, wenn ihr wollt. Also...dann können wir auch direkt anfangen, oder?"
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  9. #49
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    Tja, davon kann ich mir jetzt auch nichts kaufen“, murmelte Hudson auf O`Gradys Entschuldigung hin, allerdings weit weniger feindselig, als gedacht. Immerhin erschlafften seine Fäuste zu matt herabhängenden Händen. Betreten schaute er zu Boden, dachte an das, was er verloren hatte und dass O`Grady, so ganz in Sühne, noch viel mehr verloren hatte.
    Ich verstehe noch immer nicht, was Sie erreichen wollten. Dachten Sie wirklich, dass Sie die Verbrechen der Citadel mit Ihren Waffen lösen würden?“ Niall lächelte merkwürdig. Vermutlich spöttisch über sich selbst, nachdem er einen klaren Gedanken fassen konnte. Flüssigkeiten pumpten durch Schläuche Bewusstsein in O`Gradys Körper. Nate stützte sich auf das Bett und schüttelte den Kopf. „Können Sie es erklären? Wollen Sie es?


    Die Anspannung schien sich etwas zu lösen. Zumindest wirkte Hudson nicht mehr so, als würde er ihm gleich eine reinhauen.
    Ich verstehe noch immer nicht, was Sie erreichen wollten. Dachten Sie wirklich, dass Sie die Verbrechen der Citadel mit Ihren Waffen lösen würden?
    Die Frage ließ den jungen Iren unwillkürlich lächeln. War es die eigene Ungläubigkeit über sich selbst? Die Erkenntnis, dass keine seiner Handlungen rückblickend einen logischen Sinn machte? „Können Sie es erklären? Wollen Sie es?
    "Ich habe nicht viel nachgedacht." antwortete er schließlich nach einer kurzen, unangenehmen Stille. "Ich habe Pläne geschmiedet. Taktiken entwickelt. Die besten Möglichkeiten ersonnen möglichst viele Leute umzubringen, auf die ich meine Wut über den Tod meines Freundes und die Unfähigkeit und Korruption der Behörden projizierte. Aber nachgedacht......nein. Zurückgedacht vielleicht. An bessere Zeiten. Während ich die Grube, in der ich mich befand, immer tiefer grub."
    Er schüttelte den Kopf. "Paradox. In jeder Hinsicht." Ja, das war es wirklich. Auch dass er sich am Ende genau als das heraugestellt hatte, was man ihm zu Beginn fälschlicherweise unterstellt hatte: Als Copkiller. Dass er es rein technisch gesehen immer noch nicht war, war völlig irrelevant.
    "Es liegt auf der Hand, dass ich in meinem Leben niemals mehr in Freiheit kommen werde." sprach er weiter mit gefasster Stimme. "Ich weiß nicht, welche Ermittlungen gegen Sie gerade laufen.....oder womöglich auch gegen ihre Tochter."
    Als er diese erwähnte, bemerkte er sofort eine wieder etwas angespanntere Reaktion, also redete er schnell weiter. "Wenn es irgendetwas gibt was Sie beide entlasten könnte....ich bin bereit jegliche Aussagen vor Gericht zu treffen.....sagen Sie es mir bloß und ich werde es tun...."
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  10. #50
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    Die Anspannung schien sich etwas zu lösen. Zumindest wirkte Hudson nicht mehr so, als würde er ihm gleich eine reinhauen.
    Ich verstehe noch immer nicht, was Sie erreichen wollten. Dachten Sie wirklich, dass Sie die Verbrechen der Citadel mit Ihren Waffen lösen würden?
    Die Frage ließ den jungen Iren unwillkürlich lächeln. War es die eigene Ungläubigkeit über sich selbst? Die Erkenntnis, dass keine seiner Handlungen rückblickend einen logischen Sinn machte? „Können Sie es erklären? Wollen Sie es?
    "Ich habe nicht viel nachgedacht." antwortete er schließlich nach einer kurzen, unangenehmen Stille. "Ich habe Pläne geschmiedet. Taktiken entwickelt. Die besten Möglichkeiten ersonnen möglichst viele Leute umzubringen, auf die ich meine Wut über den Tod meines Freundes und die Unfähigkeit und Korruption der Behörden projizierte. Aber nachgedacht......nein. Zurückgedacht vielleicht. An bessere Zeiten. Während ich die Grube, in der ich mich befand, immer tiefer grub."
    Er schüttelte den Kopf. "Paradox. In jeder Hinsicht." Ja, das war es wirklich. Auch dass er sich am Ende genau als das heraugestellt hatte, was man ihm zu Beginn fälschlicherweise unterstellt hatte: Als Copkiller. Dass er es rein technisch gesehen immer noch nicht war, war völlig irrelevant.
    "Es liegt auf der Hand, dass ich in meinem Leben niemals mehr in Freiheit kommen werde." sprach er weiter mit gefasster Stimme. "Ich weiß nicht, welche Ermittlungen gegen Sie gerade laufen.....oder womöglich auch gegen ihre Tochter."
    Als er diese erwähnte, bemerkte er sofort eine wieder etwas angespanntere Reaktion, also redete er schnell weiter. "Wenn es irgendetwas gibt was Sie beide entlasten könnte....ich bin bereit jegliche Aussagen vor Gericht zu treffen.....sagen Sie es mir bloß und ich werde es tun...."


    O’Grady erfasste den Grund für Nates Ärger ziemlich punktgenau. Er hatte seinen Job gemocht, ja regelrecht geliebt. Und er war gut darin gewesen. Ihn zu verlieren, war ein herber Schlag gewesen. Seine wahre Sorge aber galt Riley, weshalb er bei den folgenden Worten auch seine Stimme dämpfte: „O’Grady, wenn Sie mir irgendeinen Gefallen – betrachten Sie es meinetwegen als Wiedergutmachung – tun wollen, dann bitte ich Sie: Lassen Sie Riley komplett aus Ihren Erzählungen. Meine Verknüpfung in Ihren Fall ist bekannt, ich habe die Karten selbst auf den Tisch gelegt.“ Er seufze. „Und danach hat mir das Revier wiederum meine Kündigung auf den Tisch gelegt. Daher ist mir in dieser Hinsicht nicht mehr zu helfen. Meine Verdienste für C-Sicherheit, meine Reue und meine Hilfsbereitschaft bei Ihrer Ergreifung…“ Er wartete einen Moment, ob O’Grady reagierte, aber dem war nicht so. „Das alles hat mich davor bewahrt, mehr Konsequenzen tragen zu müssen als meine Jobverlust. Aber Riley ist jung und hat ihr berufliches Leben noch vor sich. Wenn vermerkt wird, dass sie einem Copkiller illegal medizinisch versorgt hat, kann sie sich höchstens noch um einen Job als Kellnerin in den Kolonien bewerben.
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  11. #51
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    Hanna / Charis

    Rose lächelte milde auf Hannas Bemerkung hin. Sie hatte natürlich Recht. Hätte sie es wirklich gewollt, O'Grady würde nicht mehr existieren. Wer dort hätte sie aufhalten können? Krzeminski? Sicherlich nicht. Dafür belangt hätte sie wohl auch keiner.
    "Vielleicht. Aber die Zeiten von einfachen Direktiven sind vorbei. Meine stürmischen Jahre auch. Ich bin schon längst in meiner matronalen Phase, wie mich meine Mutter gerne ab und an erinnert.", erwiderte sie nur mit einem leichten Schulterzucken.
    "Aber dieses Minenfeld von Thema werde ich direkt wieder verlassen, danke nein.", fügte sie lachend an und richtete sich im Stuhl auf.
    "Vermutlich sollte ich eh langsam aufbrechen, nicht das ich denke das ich etwas dagegen habe sie von der Langeweile abzulenken. Aber der ganze bürokratische Rattenschwanz dieser Geschichte wartet noch auf mich. Den Part habe ich schon immer gehasst.", meinte die Asari.
    "Ich wollte eigentlich ja noch Colbert besuchen, aber der ist immer noch auf der Intensivstation. Wird durchkommen, meiner Standpauke entgeht er also nicht.", meinte sie scherzhaft und suchte ihren Mantel zusammen. Sie blickte freundlich zu Hanna herüber.
    "Ihnen wünsche ich eine schnelle Genesung und dann viel Erfolg bei der Jagd. Behalten sie sich ihren Elan. Ich meine, wenn sich Leute wie wir nicht um das Schicksal einer Prostituierten scheren, wer dann?"

    **

    "Der ist wunderschön Miss Orlowski. Sind das etwa thessianische Saranen? Das sind meine Lieblingsblumen.", verkündete Shira erfreut.
    "Ähm, vielleicht. Ich kenne mich nicht aus mit Blumen, die Floristin jedoch schon wie ich sehe.", antwortete Kathy verlegen und suchte ein Gefäß welches als Vase dienen konnte. Shira kicherte, was in einem leichten Reizhusten unterging.
    "Alles gut?", erkundigte sich die Halbasiatin besorgt. Shira winkte ab und stoppte ihren Husten.
    "Das ist wohl mehr das Werk meiner Glimmstängel als alles andere. Mir geht es viel besser. Dank der Ärzte und meiner Retterin. Airi, komm her und lass dir von der alten Asari einen Kuss geben.", erwiderte sie und winkte die Japanerin zu sich heran als sie diese erblickte.
    "Das war doch eine Gemeinschaftsarbeit.", meinte diese bescheiden, als sie von Shira umarmt wurde und einen sanften Kuss erhielt.
    "Ja genau. Du polierst diesen Schlampen die Fresse und ich werfe mit Dingen. Nicht gerade der größte Beitrag.", meinte Shira und lachte.
    Kathy sah sich im Zimmer um. Es war groß, sehr sauber und hübsch eingerichtet. Außerdem war die Asari alleine untergebracht.
    "Sieht ganz nett aus. Falls sie noch irgendwas benötigen um ihren Aufenthalt zu verschönern, sagen sie es mir ruhig.", sprach sie zu Shira.
    "Reicht schon. Bequemes Bett, nettes Personal. Und das Extranet versorgt mich mit beknackter Unterhaltung. Elcor Elysium ist grotesk, aber eine unterhaltsame Sendung. Das einzige was mir fehlt sind meine Fluppen. Die hatten mir Nikotinpflaster angeboten, aber das ist so toll wie ein Trockenfick.", meinte Shira gutgelaunt, aber eine gewisse Sehnsucht in Thema Zigaretten ausstrahlend. Kathy nickte verständig.
    "Ich glaube da hatte Airi was für sie.", sagte sie, während die Japanerin eine Packung Zigaretten präsentierte.
    "Oh, mach nur so weiter Schätzchen, dann verliebe ich mich vielleicht in dich.", sprach die Asari an Airi gewandt, welche kicherte.
    "Allerdings ist das hier alles Nichtraucher und ich will nicht das sie direkt wieder aus dem Huerta rausfliegen.", sprach Kathy nachdenklich.
    "Ach, das Huerta hat eine kleine Parkanlage, da darf man quarzen. Muss dann nur ab und an von jemanden rausgeschoben werden."
    "Dürfen sie denn schon raus aus dem Zimmer?", fragte die Halbasiatin vorsichtig. "Im Rollie schon. Brauche nur jemanden der mich schiebt."

    Ein paar Minuten später und mit der Hilfe einer Krankenschwester, betrat das Trio die kleine Grünanlage welche im Hof des Huerta Krankenhauses angelegt war. Airi schob den Rollstuhl der Asari, was angesichts dessen Elektrifzierung mehr den Sinn der Lenkung hatte. Kathy ging im langsamen Schritt neben der lädierten Prostituierten einher. Bei einer Bank unter einem Baum blieben sie stehen, die beiden Asiatinnen setzten sich, während Shira sich eine Kippe in den Mund steckte. Mit fragenden Blick sah sie beide an, worauf Airi diese entzündete.
    "Ahh, das ist Balsam für die Seele. Da merkt der Körper das er noch lebt.", verkündete sie und blies etwas Rauch aus ihren Nüstern.
    "Nun, ich hoffe ihr Arzt sieht das ähnlich.", erwiderte Kathy scherzhaft. Vermutlich war dem nicht so. Aber jeder durfte sich selbst zerstören.
    "Sie werden sehen, ich bin blitzschnell wieder hier raus. Und dann, äh nun mal sehen. Werde mich wohl nicht direkt wieder ins Gewerbe stürzen können. Aber das gibt das Sanctuary vermutlich eh noch nicht her, oder?", sagte Shira etwas ratlos.
    "Ich glaube die Meisten der Damen haben auch derzeit ganz andere Sorgen als das. Aber natürlich haben sie recht. Und auch wenn sie wieder gesund sind, haben sie es nicht nötig wieder selbst Kundendienst zu verrichten.", meinte Kathy und lehnte sich gegen die Bank.
    "Ach?" Kathy nickte und breitete ihre Arme leicht auf der Rückenlehne der Sitzbank aus.
    "Wenn das Sanctuary wieder aufmachen sollte und die Mädchen das Vertrauen haben dort wieder zu arbeiten. Dann möchte ich das sie es leiten. Ich vertraue ihnen die Verwaltung, nein das ganze Haus an.", erklärte Kathy freundlich.
    "Ich soll Puffmutti werden? Nun ich kenne mich ja mit dem Gewerbe aus, aber ich bin nicht so mit Zahlen. Fellatio statt Fibonacci, sie verstehen.", meinte Shira ungläubig. Kathy lehnte sich leicht nach vorne und legte die Hände flach aneinander.
    "Sie kennen die Szene, kennen die Mädchen und die Gegend. Für das finanzielle kann ich ihnen immer noch einen Buchhalter zur Seite stellen. Aber die Frauen dort vertrauen ihnen und das ist das was ich brauche wenn ich das Sanctuary wieder öffnen will.", meinte Kathy.
    "Und, das ist noch viel wichtiger. Ich vertraue ihnen. Sie haben das Haus und seine Insaßen mit ihrem Leben verteidigt. Sie haben für es geblutet, wortwörtlich. Sind fast gestorben. Solche Loyalität kann man nicht kaufen. Aber ich kann sie belohnen.", erklärte die Halbasiatin und blickte die Asari eindringlich an, ihre Hände leicht die von Shira berührend. Diese erwiderte den Blick stumm, während die Zigarette in ihrem Mund langsam runterbrannte. Kalte Asche rieselte auf die Hände der beiden.
    "Nun, ich weiß ihr Vertrauen zu schätzen Miss Orlowski. Ich weiß nicht ob sie bescheuert sind mir so etwas anzuvertrauen..aber ich werde mein Bestes geben wenn ich hier draußen bin. Als erstes werde ich wohl mal mit den anderen Ladies sprechen..", erwiderte sie und verstummte.
    "Die Anderen..so viele wurden verschleppt. Haben sie etwas über sie herausgefunden?", fragte sie dann besorgt. Kathy nahm ihre Oberkörper wieder leicht nach hinten, wieder etwas höher als die Asari sitzend.
    "Ja. Der Auftrag sie zu befreien ist schon in Ausführung. Ich habe zwei meiner besten Mitarbeiterinnen beauftragt, sie werden die Frauen schon zurückholen. Ich habe vollstes Vertrauen in die Beiden."

    **

    "Nun Ablenkung ist wohl immer gut. Und die Gewissheit das jemand immer mehr gefickt ist als man selbst.", meinte Yuika stoisch und lümmelte sich ein wenig in die Sitzschale. Bei der derzeitigen Beleuchtung war der Inhalt des Heftes schwer einsehbar. Das war vermutlich auch besser. Einen genauen Einblick in Charis Masturbationsverhalten und Vorlieben war keine Information die ihr schmerzlich fehlte.
    "Ich verstehe das mit dem Gedanken verlieren. Ich lebe keine Hundert Jahre und habe genügend Dinge die mein Hirn beschäftigen. Ich bin ehrlich, so alt wie sie will ich gar nicht werden können.", meinte Yuika und zog leicht ihre Knie an ihre Brust. Sie saß nun fast seitlich im Sitz darauf achtend das ihre Sohlen nicht die Polster berührten. Nein, sie fand es irgendwie beruhigend zu altern, ein wenig zur Ruhe zu kommen. Jedes Abenteuer musste einmal zur Ruhe kommen und das Leben war das große Abenteuer schlechthin.
    "Dafür habe ich auch nicht den Beruf. Nichts für die Ewigkeit. Sie hingegen Charis..der Weltall bietet wohl mehr als genügend Raum um mehr als hundert Asarileben dort zu verbringen. Sicherlich auch genügend Eindrücke die ihre Gedanken etwas schöner färben.", meinte sie nachdenklich.
    Sie hatte nicht den Eindruck das die Asari nur flog weil es ihr Job war, sondern auch ihre Leidenschaft. Die Freude beim Wiedererwerb des Schiffes hatte die Japanerin noch gut in Erinnerung. Das Fliegen an sich, bot ihr vermutlich mehr als nur Zeiträume zum Rauchen und dem Erhalt der Printmedien.
    "Wie lange haben sie das Schiff eingentlich schon. Die Zeiträume wo es mal kurz nicht in ihrem Besitz war mitgerechnet.", erkundigte sie sich neugierig und legte ihr Kinn leicht auf den Knien ab. Sie war immer noch müde, aber dieses kleine Gespräch hielt sie wach. Außerdem hatte sie schon immer gerne den Geschichten von alten Leuten zugehört. Lebenserfahrung war eine interessante Sache.
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  12. #52
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    O’Grady erfasste den Grund für Nates Ärger ziemlich punktgenau. Er hatte seinen Job gemocht, ja regelrecht geliebt. Und er war gut darin gewesen. Ihn zu verlieren, war ein herber Schlag gewesen. Seine wahre Sorge aber galt Riley, weshalb er bei den folgenden Worten auch seine Stimme dämpfte: „O’Grady, wenn Sie mir irgendeinen Gefallen – betrachten Sie es meinetwegen als Wiedergutmachung – tun wollen, dann bitte ich Sie: Lassen Sie Riley komplett aus Ihren Erzählungen. Meine Verknüpfung in Ihren Fall ist bekannt, ich habe die Karten selbst auf den Tisch gelegt.“ Er seufze. „Und danach hat mir das Revier wiederum meine Kündigung auf den Tisch gelegt. Daher ist mir in dieser Hinsicht nicht mehr zu helfen. Meine Verdienste für C-Sicherheit, meine Reue und meine Hilfsbereitschaft bei Ihrer Ergreifung…“ Er wartete einen Moment, ob O’Grady reagierte, aber dem war nicht so. „Das alles hat mich davor bewahrt, mehr Konsequenzen tragen zu müssen als meine Jobverlust. Aber Riley ist jung und hat ihr berufliches Leben noch vor sich. Wenn vermerkt wird, dass sie einem Copkiller illegal medizinisch versorgt hat, kann sie sich höchstens noch um einen Job als Kellnerin in den Kolonien bewerben.


    Hudson's Worte trafen ihn innerlich. Nicht der Teil wo er ihn einen Copkiller nannte. Vielmehr traf es ihn, mit wie viel offensichtlicher Hingabe er von seinem jetzt ehemaligen Beruf sprach. Es war klar, wie viel es ihm bedeutet hatte ein Cop zu sein. Und er hatte ihm das zerstört. Unwiderbringlich. "Ich verstehe."
    Aber wenigstens in einer Hinsicht konnte er den Schaden begrenzen. "Ja, in Ordnung. Ich verspreche, ich werde ihre Tochter nicht mit einer Silbe in irgendeiner Befragung erwähnen. Soweit es uns betrifft bin ich ihr niemals begegnet."
    Wenigstens ein kleiner Rest Frieden. Das war das mindeste, was er den beiden jetzt geben konnte.
    "Ich danke Ihnen dass Sie gekommen sind." sprach er dann nach einer weiteren kurzen Weile des Schweigens. "Und es tut mir nochmals Leid dass ich - "
    Er stockte. "Natürlich!" Plötzlich kam ihm ein Einfall. "Vielleicht kann ich Ihnen persönlich auch noch helfen....." begann er dann vorsichtig und räusperte sich. "Oder eher gesagt....meine Tante. "
    Straffreiheit für sie hatte man ihm bereits zugesichert, aufgrund der besonderen Umstände und seiner Zusage zu kooperieren. "Sie ist seit über 2 Jahrzehnten als Geschäftsfrau auf der Station tätig. Sie kennt Leute. Diskrete Leute. Die Art von Leuten, die jedem eine zweite Chance geben. Und die jemandem mit ihren Talenten ganz sicher eine anständige Arbeit geben würden."
    Niall sah den älteren Ex-Cop mit ehrlicher Miene an. So viele ehemalige Soldaten und Polizisten schafften den Sprung in den privaten Sektor. Wieso nicht auch er? "Ich kann Ihnen ansehen, was die letzten Wochen mit Ihnen gemacht haben. Sie verdienen es nicht im Sumpf von Alkohol und Depression zu versinken. Sie sind mehr als das. Sie könnten noch so viel vor sich haben. Überlegen Sie es sich wenigstens."
    Er fügte den letzten Satz hinzu, da er die Skepsis seines Gegenübers klar vernahm. Und wer wollte es ihm schon verübeln.
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    Rose lächelte milde auf Hannas Bemerkung hin. Sie hatte natürlich Recht. Hätte sie es wirklich gewollt, O'Grady würde nicht mehr existieren. Wer dort hätte sie aufhalten können? Krzeminski? Sicherlich nicht. Dafür belangt hätte sie wohl auch keiner.
    "Vielleicht. Aber die Zeiten von einfachen Direktiven sind vorbei. Meine stürmischen Jahre auch. Ich bin schon längst in meiner matronalen Phase, wie mich meine Mutter gerne ab und an erinnert.", erwiderte sie nur mit einem leichten Schulterzucken.
    "Aber dieses Minenfeld von Thema werde ich direkt wieder verlassen, danke nein.", fügte sie lachend an und richtete sich im Stuhl auf.
    "Vermutlich sollte ich eh langsam aufbrechen, nicht das ich denke das ich etwas dagegen habe sie von der Langeweile abzulenken. Aber der ganze bürokratische Rattenschwanz dieser Geschichte wartet noch auf mich. Den Part habe ich schon immer gehasst.", meinte die Asari.
    "Ich wollte eigentlich ja noch Colbert besuchen, aber der ist immer noch auf der Intensivstation. Wird durchkommen, meiner Standpauke entgeht er also nicht.", meinte sie scherzhaft und suchte ihren Mantel zusammen. Sie blickte freundlich zu Hanna herüber.
    "Ihnen wünsche ich eine schnelle Genesung und dann viel Erfolg bei der Jagd. Behalten sie sich ihren Elan. Ich meine, wenn sich Leute wie wir nicht um das Schicksal einer Prostituierten scheren, wer dann?"

    **

    "Der ist wunderschön Miss Orlowski. Sind das etwa thessianische Saranen? Das sind meine Lieblingsblumen.", verkündete Shira erfreut.
    "Ähm, vielleicht. Ich kenne mich nicht aus mit Blumen, die Floristin jedoch schon wie ich sehe.", antwortete Kathy verlegen und suchte ein Gefäß welches als Vase dienen konnte. Shira kicherte, was in einem leichten Reizhusten unterging.
    "Alles gut?", erkundigte sich die Halbasiatin besorgt. Shira winkte ab und stoppte ihren Husten.
    "Das ist wohl mehr das Werk meiner Glimmstängel als alles andere. Mir geht es viel besser. Dank der Ärzte und meiner Retterin. Airi, komm her und lass dir von der alten Asari einen Kuss geben.", erwiderte sie und winkte die Japanerin zu sich heran als sie diese erblickte.
    "Das war doch eine Gemeinschaftsarbeit.", meinte diese bescheiden, als sie von Shira umarmt wurde und einen sanften Kuss erhielt.
    "Ja genau. Du polierst diesen Schlampen die Fresse und ich werfe mit Dingen. Nicht gerade der größte Beitrag.", meinte Shira und lachte.
    Kathy sah sich im Zimmer um. Es war groß, sehr sauber und hübsch eingerichtet. Außerdem war die Asari alleine untergebracht.
    "Sieht ganz nett aus. Falls sie noch irgendwas benötigen um ihren Aufenthalt zu verschönern, sagen sie es mir ruhig.", sprach sie zu Shira.
    "Reicht schon. Bequemes Bett, nettes Personal. Und das Extranet versorgt mich mit beknackter Unterhaltung. Elcor Elysium ist grotesk, aber eine unterhaltsame Sendung. Das einzige was mir fehlt sind meine Fluppen. Die hatten mir Nikotinpflaster angeboten, aber das ist so toll wie ein Trockenfick.", meinte Shira gutgelaunt, aber eine gewisse Sehnsucht in Thema Zigaretten ausstrahlend. Kathy nickte verständig.
    "Ich glaube da hatte Airi was für sie.", sagte sie, während die Japanerin eine Packung Zigaretten präsentierte.
    "Oh, mach nur so weiter Schätzchen, dann verliebe ich mich vielleicht in dich.", sprach die Asari an Airi gewandt, welche kicherte.
    "Allerdings ist das hier alles Nichtraucher und ich will nicht das sie direkt wieder aus dem Huerta rausfliegen.", sprach Kathy nachdenklich.
    "Ach, das Huerta hat eine kleine Parkanlage, da darf man quarzen. Muss dann nur ab und an von jemanden rausgeschoben werden."
    "Dürfen sie denn schon raus aus dem Zimmer?", fragte die Halbasiatin vorsichtig. "Im Rollie schon. Brauche nur jemanden der mich schiebt."

    Ein paar Minuten später und mit der Hilfe einer Krankenschwester, betrat das Trio die kleine Grünanlage welche im Hof des Huerta Krankenhauses angelegt war. Airi schob den Rollstuhl der Asari, was angesichts dessen Elektrifzierung mehr den Sinn der Lenkung hatte. Kathy ging im langsamen Schritt neben der lädierten Prostituierten einher. Bei einer Bank unter einem Baum blieben sie stehen, die beiden Asiatinnen setzten sich, während Shira sich eine Kippe in den Mund steckte. Mit fragenden Blick sah sie beide an, worauf Airi diese entzündete.
    "Ahh, das ist Balsam für die Seele. Da merkt der Körper das er noch lebt.", verkündete sie und blies etwas Rauch aus ihren Nüstern.
    "Nun, ich hoffe ihr Arzt sieht das ähnlich.", erwiderte Kathy scherzhaft. Vermutlich war dem nicht so. Aber jeder durfte sich selbst zerstören.
    "Sie werden sehen, ich bin blitzschnell wieder hier raus. Und dann, äh nun mal sehen. Werde mich wohl nicht direkt wieder ins Gewerbe stürzen können. Aber das gibt das Sanctuary vermutlich eh noch nicht her, oder?", sagte Shira etwas ratlos.
    "Ich glaube die Meisten der Damen haben auch derzeit ganz andere Sorgen als das. Aber natürlich haben sie recht. Und auch wenn sie wieder gesund sind, haben sie es nicht nötig wieder selbst Kundendienst zu verrichten.", meinte Kathy und lehnte sich gegen die Bank.
    "Ach?" Kathy nickte und breitete ihre Arme leicht auf der Rückenlehne der Sitzbank aus.
    "Wenn das Sanctuary wieder aufmachen sollte und die Mädchen das Vertrauen haben dort wieder zu arbeiten. Dann möchte ich das sie es leiten. Ich vertraue ihnen die Verwaltung, nein das ganze Haus an.", erklärte Kathy freundlich.
    "Ich soll Puffmutti werden? Nun ich kenne mich ja mit dem Gewerbe aus, aber ich bin nicht so mit Zahlen. Fellatio statt Fibonacci, sie verstehen.", meinte Shira ungläubig. Kathy lehnte sich leicht nach vorne und legte die Hände flach aneinander.
    "Sie kennen die Szene, kennen die Mädchen und die Gegend. Für das finanzielle kann ich ihnen immer noch einen Buchhalter zur Seite stellen. Aber die Frauen dort vertrauen ihnen und das ist das was ich brauche wenn ich das Sanctuary wieder öffnen will.", meinte Kathy.
    "Und, das ist noch viel wichtiger. Ich vertraue ihnen. Sie haben das Haus und seine Insaßen mit ihrem Leben verteidigt. Sie haben für es geblutet, wortwörtlich. Sind fast gestorben. Solche Loyalität kann man nicht kaufen. Aber ich kann sie belohnen.", erklärte die Halbasiatin und blickte die Asari eindringlich an, ihre Hände leicht die von Shira berührend. Diese erwiderte den Blick stumm, während die Zigarette in ihrem Mund langsam runterbrannte. Kalte Asche rieselte auf die Hände der beiden.
    "Nun, ich weiß ihr Vertrauen zu schätzen Miss Orlowski. Ich weiß nicht ob sie bescheuert sind mir so etwas anzuvertrauen..aber ich werde mein Bestes geben wenn ich hier draußen bin. Als erstes werde ich wohl mal mit den anderen Ladies sprechen..", erwiderte sie und verstummte.
    "Die Anderen..so viele wurden verschleppt. Haben sie etwas über sie herausgefunden?", fragte sie dann besorgt. Kathy nahm ihre Oberkörper wieder leicht nach hinten, wieder etwas höher als die Asari sitzend.
    "Ja. Der Auftrag sie zu befreien ist schon in Ausführung. Ich habe zwei meiner besten Mitarbeiterinnen beauftragt, sie werden die Frauen schon zurückholen. Ich habe vollstes Vertrauen in die Beiden."

    **

    "Nun Ablenkung ist wohl immer gut. Und die Gewissheit das jemand immer mehr gefickt ist als man selbst.", meinte Yuika stoisch und lümmelte sich ein wenig in die Sitzschale. Bei der derzeitigen Beleuchtung war der Inhalt des Heftes schwer einsehbar. Das war vermutlich auch besser. Einen genauen Einblick in Charis Masturbationsverhalten und Vorlieben war keine Information die ihr schmerzlich fehlte.
    "Ich verstehe das mit dem Gedanken verlieren. Ich lebe keine Hundert Jahre und habe genügend Dinge die mein Hirn beschäftigen. Ich bin ehrlich, so alt wie sie will ich gar nicht werden können.", meinte Yuika und zog leicht ihre Knie an ihre Brust. Sie saß nun fast seitlich im Sitz darauf achtend das ihre Sohlen nicht die Polster berührten. Nein, sie fand es irgendwie beruhigend zu altern, ein wenig zur Ruhe zu kommen. Jedes Abenteuer musste einmal zur Ruhe kommen und das Leben war das große Abenteuer schlechthin.
    "Dafür habe ich auch nicht den Beruf. Nichts für die Ewigkeit. Sie hingegen Charis..der Weltall bietet wohl mehr als genügend Raum um mehr als hundert Asarileben dort zu verbringen. Sicherlich auch genügend Eindrücke die ihre Gedanken etwas schöner färben.", meinte sie nachdenklich.
    Sie hatte nicht den Eindruck das die Asari nur flog weil es ihr Job war, sondern auch ihre Leidenschaft. Die Freude beim Wiedererwerb des Schiffes hatte die Japanerin noch gut in Erinnerung. Das Fliegen an sich, bot ihr vermutlich mehr als nur Zeiträume zum Rauchen und dem Erhalt der Printmedien.
    "Wie lange haben sie das Schiff eingentlich schon. Die Zeiträume wo es mal kurz nicht in ihrem Besitz war mitgerechnet.", erkundigte sie sich neugierig und legte ihr Kinn leicht auf den Knien ab. Sie war immer noch müde, aber dieses kleine Gespräch hielt sie wach. Außerdem hatte sie schon immer gerne den Geschichten von alten Leuten zugehört. Lebenserfahrung war eine interessante Sache.


    Beinahe hätte Scham in Charis zu brodeln begonnen. Nicht wegen der schmutzigen Inhalte des Heftes auf der Bordkonsole, sondern wegen ihrer emotionalen und ausgesprochenen Ausschweifungen. Der Drang zu Reden war über sie gekommen, ihre Emotionen wie Wasser hinter einem Staudamm, das seine Chance zum Ausbruch in dem feinen Haarriss im Beton erkannte. Fast hätte sie sich, in einem Cocktail aus abkühlendem Adrenalin angesichts des beinahe sicheren Todes und der plötzlichen Zugewandtheit der Asiatin, in Erzählungen über ihre Vergangenheit verloren.
    Glücklicherweise schien Yuika Takeda die Schmugglerin nicht als emotionales oder überhaupt tiefgründig lebendes Wesen wahrzunehmen. Ihre Behandlung der Themen blieb oberflächlich, wechselhaft und auf Small Talk beschränkt. In Charis‘ Herzen spürte sie einen kleinen Stich, kaum wahrzunehmen. Sie lächelte, als sie sich bei dem Gedanken ertappte, dass sie sich niemand anderen als diese dreiste, großmäulige, brutale, omnipräsente und überhaupt nicht freundliche Freundin Katharina Orlowski zu sich ins Cockpit wünschte. Ja, Yuika Takeda war nett. Sie hatten Kuchen gegessen, Kaffee getrunken, ein fast schon normales Gespräch geführt. Aber sie war eben nur eine Söldnerin, eine Frau, die Charis als das sah, was sie wahr: Ein atmender Navigator. Eine – nein! – die Möglichkeit, ihren Job zu beenden. Ihre mandelförmigen Augen, ihr schwarzes Haar, das erinnerte Charis an Orlowski.
    Vielleicht“, überlegte sie: „ist Orlowski die einzige Freundin, die ich seit Langem hatte.“ Sie dachte an die Eclipse-Schwestern, an Sonny, die wahnsinnig geworden war. Das waren keine Freundinnen. Sie merkte, dass…
    Wie lange haben sie das Schiff eigentlich schon?
    Der gesponnene, sehr feine Gedankenfaden, der Charis zweifellos in eine verwirrende Überlegung verwickelt hätte, zerriss. Yuikas Stimme zerschnitt ihn wie eine frisch geschärfte Schere. Charis blinzelte. Die Stille des Weltalls drückte schwarz durch die Frontscheibe.
    Ähm… ich…“, stammelte sie kurz. Dann fing sie sich und sagte: „Das müssten jetzt etwa zwanzig Jahre sein, vielleicht ein zwei mehr oder weniger. Ich habe, um ehrlich zu sein, den Überblick verloren.“ Ihre nicht von dem Lederhandschuh umschlossenen Fingerkuppen strichen liebevoll über das Metall der Steuerkonsole. „Als ich sie mir gekauft habe, war sie fast nur Schrott. Hat mich gut ein Jahr gekostet, das Ding überhaupt richtig flugfähig zu bekommen. Seitdem habe ich sie immer wieder verbessert. Und sie belohnt mich dafür mit ständiger Treue.“ Sie lächelte. Ja, die Renacimiento war Freundin, Burg und Beruf gleichermaßen. Wie viele geflüsterte Geheimnisse hatte dieses Schiff schon von Charis gehört? Wie oft schon pulsierte der E-Zero-Antriebskern im selben Takt wie ihr Herzschlag? Wie oft hatten sich ihre Träume und Wünsche schon in den engen, unnachgiebigen Gängen der Renacimiento verirrt? Das Schiff war Charis‘ Lebensgrundlage und insgeheim hoffte sie, dass es irgendwann ihr Sarg sein würde. Nicht heute. Irgendwann. Vielleicht.
    Routiniert schaltete Charis die Elektronik des Weltall-Sonars an. Sie erwartete dasselbe Schweigen wie immer. Doch stattdessen ertönte mit einem Mal das aufmerksamkeitsheischende Piepsen des Geräts. Charis wirbelte auf ihrem Stuhl herum und starrte auf das Gerät. Am äußersten Rand der gescannten Scheibe blinkte ein schwacher Punkt.
    Ha!“, stieß die Schmugglerin verwundert aus. „Keine Batarianer“, sprach sie ihren Gedankengang laut aus, ohne hin tiefergehend zu erklären. Die Batarianer lagen hinter ihnen, selbst wenn sie sich die Mühe machen würden das kleine Schiff zu verfolgen, was Charis bezweifelte, würden sie es mit einem Zangenmanöver versuchen. Sie mussten mittlerweile zudem irgendwo in der DMZ zwischen Hegemonie und Allianz sein. „Das wird ja spannend.“ Sie wandte sich der Konsole jetzt mit voller Konzentration zu, warf einen sinnentleerten Blick durch die Scheibe ins All und tippte dann auf eine Reihe an Knöpfen. Mit einem tiefen, atmenden Brummen erwachten die Maschinen der Renacimiento wieder zum Leben. Der Puls des Schiffes glitt mit wellenartigen Schlägen durch den Boden und ließ Charis‘ Fußsohlen kribbeln. Charis öffnete den Bordfunk. „Ladies, suchen Sie sich feste Plätze und halten Sie sich fest.“ Dann schaute sie zu Yuika. Ein verstörend-triumphaler Ausdruck lag auf ihrem Gesicht: „Festhalten.
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    Hudson's Worte trafen ihn innerlich. Nicht der Teil wo er ihn einen Copkiller nannte. Vielmehr traf es ihn, mit wie viel offensichtlicher Hingabe er von seinem jetzt ehemaligen Beruf sprach. Es war klar, wie viel es ihm bedeutet hatte ein Cop zu sein. Und er hatte ihm das zerstört. Unwiderbringlich. "Ich verstehe."
    Aber wenigstens in einer Hinsicht konnte er den Schaden begrenzen. "Ja, in Ordnung. Ich verspreche, ich werde ihre Tochter nicht mit einer Silbe in irgendeiner Befragung erwähnen. Soweit es uns betrifft bin ich ihr niemals begegnet."
    Wenigstens ein kleiner Rest Frieden. Das war das mindeste, was er den beiden jetzt geben konnte.
    "Ich danke Ihnen dass Sie gekommen sind." sprach er dann nach einer weiteren kurzen Weile des Schweigens. "Und es tut mir nochmals Leid dass ich - "
    Er stockte. "Natürlich!" Plötzlich kam ihm ein Einfall. "Vielleicht kann ich Ihnen persönlich auch noch helfen....." begann er dann vorsichtig und räusperte sich. "Oder eher gesagt....meine Tante. "
    Straffreiheit für sie hatte man ihm bereits zugesichert, aufgrund der besonderen Umstände und seiner Zusage zu kooperieren. "Sie ist seit über 2 Jahrzehnten als Geschäftsfrau auf der Station tätig. Sie kennt Leute. Diskrete Leute. Die Art von Leuten, die jedem eine zweite Chance geben. Und die jemandem mit ihren Talenten ganz sicher eine anständige Arbeit geben würden."
    Niall sah den älteren Ex-Cop mit ehrlicher Miene an. So viele ehemalige Soldaten und Polizisten schafften den Sprung in den privaten Sektor. Wieso nicht auch er? "Ich kann Ihnen ansehen, was die letzten Wochen mit Ihnen gemacht haben. Sie verdienen es nicht im Sumpf von Alkohol und Depression zu versinken. Sie sind mehr als das. Sie könnten noch so viel vor sich haben. Überlegen Sie es sich wenigstens."
    Er fügte den letzten Satz hinzu, da er die Skepsis seines Gegenübers klar vernahm. Und wer wollte es ihm schon verübeln.


    Ein zufriedenes, ruhiges Lächeln strich über Hudsons Lippen. Riley war aus dem Schneider – zumindest, wenn O’Grady sein Wort hielt. Der Weg der Katharsis des Iren, den er für Hudson beschreiten wollte, war scheinbar noch nicht beendet, denn O’Grady eröffnete dem frisch gefeuerten Cop, dass seine Tante Mittel und Wege kannte, Nate wieder einen bezahlten Job zu verschaffen. Die Art und Weise, wie er das sagte, deutete allerdings auf illegale Kanäle hin. Hudson kam der Gedanke, dass die straffrei davonkommenden Shioban vielleicht doch einen Klaps auf die Finger hätte bekommen sollen, wenn sie derlei Kanäle bediente. Allerdings war das nicht mehr sein Belangen.
    Ich schätze, ich sollte Ihnen für den Vorschlag danken“, sagte Nate. „Aber ich lehne ab. Das klingt mir nicht nach der Art Job – oder zumindest nicht nach dem Weg – den ich annehmen sollte.“ Er räusperte sich. „Wenn Sie Riley vergessen, alles vergessen, was sie für Sie getan hat, ist mir das genug Hilfe. Und keine Sorge“, fügte er mit einem Lächeln an: "…selbst, wenn ich jetzt im Rausch versinke: Was habe ich noch zu verlieren?“ Mit einem letzten Blick ins halb verbrannte, aber keinen Ekel in ihm auslösende Gesicht des Iren, tippte sich Nate mit dem Zeigefinger an die Stirn und ließ den Finger in grüßender Geste gen O’Grady deuten. So long, Cowboy.
    Hudson war mit Wut ins Krankenhaus gekommen, mit regelrechtem Zorn. Jetzt verließ er es mit einem Anflug von Mitleid für diese verwirrte Seele – und mit einem Zukunftsplan.
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    Ein zufriedenes, ruhiges Lächeln strich über Hudsons Lippen. Riley war aus dem Schneider – zumindest, wenn O’Grady sein Wort hielt. Der Weg der Katharsis des Iren, den er für Hudson beschreiten wollte, war scheinbar noch nicht beendet, denn O’Grady eröffnete dem frisch gefeuerten Cop, dass seine Tante Mittel und Wege kannte, Nate wieder einen bezahlten Job zu verschaffen. Die Art und Weise, wie er das sagte, deutete allerdings auf illegale Kanäle hin. Hudson kam der Gedanke, dass die straffrei davonkommenden Shioban vielleicht doch einen Klaps auf die Finger hätte bekommen sollen, wenn sie derlei Kanäle bediente. Allerdings war das nicht mehr sein Belangen.
    Ich schätze, ich sollte Ihnen für den Vorschlag danken“, sagte Nate. „Aber ich lehne ab. Das klingt mir nicht nach der Art Job – oder zumindest nicht nach dem Weg – den ich annehmen sollte.“ Er räusperte sich. „Wenn Sie Riley vergessen, alles vergessen, was sie für Sie getan hat, ist mir das genug Hilfe. Und keine Sorge“, fügte er mit einem Lächeln an: "…selbst, wenn ich jetzt im Rausch versinke: Was habe ich noch zu verlieren?“ Mit einem letzten Blick ins halb verbrannte, aber keinen Ekel in ihm auslösende Gesicht des Iren, tippte sich Nate mit dem Zeigefinger an die Stirn und ließ den Finger in grüßender Geste gen O’Grady deuten. So long, Cowboy.
    Hudson war mit Wut ins Krankenhaus gekommen, mit regelrechtem Zorn. Jetzt verließ er es mit einem Anflug von Mitleid für diese verwirrte Seele – und mit einem Zukunftsplan.


    "Wie? Oh nein, Sie missverstehen."
    Fast schon musste er über sich selbst lachen. Nicht einmal Hilfe anbieten konnte er, ohne dabei zwielichtig zu erscheinen.
    "Meine Tante pflegt ausschließlich Kontakte zu vertrauenswürdigen Firmen. Sicherheitsdienste, Detekteien.....es gibt so viele Möglichkeiten für jemanden mit ihren Fähigkeiten im privaten Sektor. Werfen Sie ihr Leben nicht vorschnell weg. Sie würden damit mehr Leute traurig machen als sie glauben, vertrauen Sie mir."
    Vielleicht würde er es sich ja wenigstens nochmal überlegen. Aber es war wohl besser jetzt nicht weiter nachzuhaken. "Leben Sie wohl Hudson." Der Ire erwiderte die Geste der Verabschiedung. Der Ex-Cop verließ den Raum wieder. Durch die Sichtschiebe konnte Niall sehen, wie er sich ebenfalls von Rarkin verabschiedete.
    Langsam ließ er sich wieder ins Bett hineinsenken, zog die Decke über sich und seufzte erleichtert. Eine weitere Tür war geschlossen. In seinem Geist wurde es wieder ein Stück friedlicher.
    Forenperser ist offline

  16. #56
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    "Danke Lubia."
    Decius nahm das Fläschchen und die Tupfer vom bereitgestellten Tablett und befeuchtete einen ersten. Dann verrieb ihr die Flüssigkeit vorsichtig über die quer über sein Gesicht verlaufende Wunde. Es brannte ein wenig, doch er ließ sich nichts anmerken.
    "Benötigen Sie noch etwas Mister Vhan?" "Nein. Gehen Sie nach Hause Lubia, Sie haben für heute genug getan."
    Die Dienstbotin verbeugte sich höflich und entfernte sich dann.
    Der alte Turianer warf einen Blick zu den beiden Wozyos-Vettern. Jodacus trug gerade eine neue Dosis Medigel auf seinen geschundenen Oberkörper auf, während Tiberian die Motorik seines rechten Arms testete. Die beiden hatten entschlossen und ohne jede Furcht an seiner Seite gekämpft. Seinen Respekt hatten sie sich damit endgültig zurückverdient, trotz ihres vergangenen Versagens.
    Sein Nachrichteneingang blinkte und Decius sah, dass die Nachricht von Octarian Nacus kam. Wenig überraschend berichtete der Familienanwalt ihm über die sich häufenden, eingehenden Anfragen und die ersten Gerüchte über einen möglichen Strafantrag.
    "Ich rate Ihnen dringlichst vorerst nicht aus dem Haus zu gehen, außer es ist absolut notwendig. Ebenso sollten Sie keine weitere öffentlichen Statements mehr abgeben oder Fragen beantworten, bis ich Ihnen etwas anderes sage."
    Mit diesen Zeilen endete die Nachricht.
    Seufzend schloss er sie. Das alles würde zusätzlich für Behinderung sorgen. Aber es war nicht das, was ihn gerade am meisten beschäftigte.
    "Wo ist eigentlich ihr Enkel?" Die Frage von Tiberian Wozyos riss ihn aus seinen Gedanken. "Kümmern Sie sich nicht darum. Er wird uns nicht stören."
    Dalan war nach dem Eintreffen der Polizei noch vor Ort geblieben. Er hatte Ausschau nach seiner kleinen Menschenfreundin halten wollen, mit welcher er sich eigentlich während des Empfangs hatte treffen wollen. Offenbar hatte er zum Zeitpunkt des Tumults keine Nachrichten mehr von ihr bekommen.
    Der Terminkalender gab einen piepsenden Erinnerungston von sich.
    "Kommen Sie." sagte er zu den beiden Vettern. Er stand auf, ging zu dem dem Porträt seines Vater und betätigte den Knopf unterhalb des Rahmens. Die versteckte Tür zum Kommunikationsraum schwang auf und schloss sich sogleich wieder, nachdem alle 3 Turianer durch sie hindurchgetreten waren.
    Sämtliche anderen Gesprächsparteien waren bereits eingetroffenen. Der Projektor zeigte sie in stabiler Übertragung.
    "Lagebericht." sprach er mit ruhiger Stimme. "Mission erfolgreich." antwortete Mendosa Lechis zuerst. "Das gesamte Ziel wurde ausradiert.....aber es hat seinen Preis gefordert. Es war ein Glück, dass ich gerade zum rechten Zeitpunkt eingetroffen bin. Mehr Belastung hätte sein Körper nicht vertragen. Ich habe ihn in ein künstliches Koma versetzt, zum Zwecke der Regeneration. Er ist noch lange nicht so weit es mit ihr aufzunehmen.....es werden noch viele weitere Injektionen nötig sein."
    Stumm nickte Decius. Also kein Erfolg. Oder höchstens ein partieller. "Lief alles wie geplant. Fast schon zu schnell." sprach Petalin. Der Übertragung nach zu urteilen war er immer noch befleckt mit den Spuren des Kampfes. Verächtlich schüttelte Decius für einen Moment den Kopf. Aber er hatte wenigstens getan was man ihm aufgetragen hatte.
    "Sie wissen, was als nächstes ansteht. Halten Sie sich bereits." Der dunkle Turianer nickte grinsend.
    "Miss Zokhar?" "Die Ablenkungen haben ihren Zweck voll erfüllt Sir." erwiderte die Hackerin. "Der Raub wurde erst vor wenigen Minuten gemeldet. Und ihre Assistentin is' bereits auf halbem Wege zum Treffpunkt des Kunden. Die Voranzahlung wurde bereits geleistet, der Rest wird auch bald eintreffen. Habe den Geldfluss über zehn verschiedene Konten umgeleitet und gewaschen. Absolut unverfolgbar."
    Wenigstens eine bedingungslos postive Nachricht war ihm geblieben. Ihre finanziellen Rücklagen waren somit erstmal gesichert. "Ihre Assistentin wird sich jedoch für absehbare Zeit nich' mehr auf der Citadel blicken lassen können. Und auch ich werde bald wegmüssen. Gelöschte Aufnahmen oder nich'."
    "Ich verstehe." Der alte Turianer überlegte. "Veranlassen Sie noch die Maßnahmen, die wir besprochen hatten. Ich werde noch heute einen Flug für sie organisieren, samt Geleitschutz."
    Einige Momente herrschte Schweigen. "Ich will diesen Moment nutzen um Ihnen allen für ihre Mithilfe zu danken. Ich werde es nicht schönreden, wir haben heute trotz aller Mühen einen schweren Schlag erlitten. Nicht nur für unsere Sache.....sondern auch persönlich."
    Er ballte die Faust. "Aber mag sich unser Feind an diesem Sieg erfreuen solange er kann.....er weiß nach wie vor nicht, was ihm bevorsteht. Was der ganzen Galaxis bevorsteht....."
    Die Übertragung wurde beendet. Während sie aus dem Kommunikationsraum traten, öffnete Decius wieder seinen Posteingang. Kashaj Kaar hatte sich noch nicht zurückgemeldet. Offenbar hatte er noch keine Spuren zum möglichen Aufenthaltsort seiner Frau gefunden.
    Der alte Turianer wandte sich wieder an die beiden Vettern. "Ich will, dass Sie ihre Ausrüstung packen und sich in 5 Stunden mit Miss Zokhar an den Koordinaten treffen, die ich Ihnen gleich zusenden werde." sprach er zunächst an Jodacus gewandt. "Einige unserer Männer werden ebenfalls dort sein. Sie werden die Station umgehend verlassen und für ihre Sicherheit sorgen. Halten Sie sich bedeckt, ehe ich Ihnen etwas anderes befehle. Verstanden?" "Verstanden." "Und was ist mit mir?" fragte Tiberian Wozyos. "Sie werden ebenfalls ihre Ausrüstung packen und mit einem Teil unserer Männer abreisen. Und zwar zum Treffpunkt meiner Assistentin, wo sie nach der Abwicklung auf Sie warten wird. "
    Tiberian schluckte einen Moment, nickte aber dann. Offensichtlich war ihm die Schwere dieses Auftrags mehr als bewusst. "Sie werden sich ebenso bedeckt halten. Und Sie werden Denaya mit ihrem Leben beschützen. Haben Sie das verstanden?"
    "Ja Sir." erwiderte der graue Turianer und versuchte sich zusammenzureißen. "Es ist nur....." "....wir sind schon seit über 20 Jahren zusammen unterwegs. Waren noch nie voneinander getrennt." beendete Jodacus den Satz für ihn.
    "Dessen bin ich mir bewusst." erwiderte Decius in einer plötzlich weit verständnisvolleren Stimmlage. "Aber wir alle bringen derzeit unsere Opfer."
    Sie nickten. "Was ist mit Ihnen Sir?" "Sorgen Sie sich nicht um mich, erledigen Sie einfach ihren Job."
    Die beiden Vettern nahmen sich noch einen Moment Zeit um sich voneinander zu verabschieden. Dann schließlich verließen sie das Haus nacheinander und ließen Decius alleine zurück.
    Sämtliche Beteiligten hatten ohne Zweifel mitbekommen, wie ihn das Geschehene beeinflusste. Doch er hatte nicht einmal einen Bruchteil der in ihm brodelnden Emotionen hervorkommen lassen.
    Zuvor waren die Asari und ihre Handlanger für ihn nichts als ein Hindernis auf seinem Weg gewesen. Ein Feind, mächtig, aber nichts was seinen Fokus von seinem eigentlichen Ziel nahm. Das hatte sich nun geändert. Damit, dass sie seine Frau entführt hatten, hatten sie das hier zu einer persönlichen Sache gemacht. Grausame Rachegedanken kreisten durch seinen Kopf. Er wollte die Asari mit eigenen Händen auseinander reissen. Ihr Leiden bis zum letzten Moment verlängern.
    "Hrr!"
    Wutentbrannt fand seine Faust den Weg in die am nächsten stehende Wand. Seine Sinne nahmen den Schmerz nicht war als er seine Hand zurückzog, das Blut betrachtete, welches aus seinen Knöcheln trat.
    Nein, er durfte sich nicht zu vorschnellen Schritten hinreissen lassen. Gerade jetzt nicht, wo seine Leute getrennt und geschwächt waren. Denn eine vorschnelle Reaktion war genau das, worauf seine Feinde nun sicherlich zählten. Stattdessen hieß es nun die Fassung zu bewahren, darauf zu warten bis der Feind wieder aus seiner Deckung hervorkam.


    Ist das Serum vorbereitet?
    Das asiatische Antlitz Dr. Yingjun blinzelte durch den Bildschirm, rückte die gefärbte Brille zurecht und nickte dann ausdruckslos. Auf Seeva wirkte der Mensch immer ein wenig wie die zum Leben erweckte Abbildungen von Totenschädeln, die in der menschlichen Kunst und Kultur weit verbreitet waren.
    Sehr gut. Lassen Sie es herbringen.“ Sie beendete die Übertragung nach dem Befehl und wandte sich einem anderen Bildschirm in ihrer Kommandozentrale zu, an dem Pater Lacan saß und italienischen Cantuccini in Kaffee dippte. Noch einmal las sie sich die Nachricht durch.

    Sehr geehrter Mister Vhan,

    wie Sie sich sicherlich mittlerweile denken können, befindet sich Ihre Frau in meinem Gewahrsam. Die Ihnen dadurch entstandenen Unannehmlichkeiten bitte ich zu entschuldigen. Seien Sie versichert, dass es Ihrer Frau zu diesem Zeitpunkt gut geht. Sie ist bei bester Gesundheit, unversehrt und – abgesehen von einem kurzen Schock – wohlauf. Ich werde ich persönlich um Miss Vhans Vorstellung bei meinem Leibarzt kümmern. Machen Sie sich also bitte keine Gedanken um ihre körperliche Unversehrtheit.

    Ich würde es begrüßen, wenn Sie mir im Gegenzug für meine Gastfreundschaft Ihrer Frau gegenüber, einen Gefallen erweisen würden.
    Sie verfügen über Wissen und Daten, die für mich von großem Interesse sind. Wenn Sie die Güte besitzen würden, mir Zugriff auf ebendies zu gewähren, wäre ich Ihnen zutiefst verbunden.

    Ich werde Ihnen baldmöglichst Informationen zum Zustand Ihrer Frau und einen Termin zu einem persönlichen Treffen zukommen lassen.

    Ich hoffe, dieses Schreiben erreicht Sie bei bester Gesundheit. Und bitte: Beachten Sie die mediale Bearbeitung der Vorfälle auf Ihrer Gala nicht so ernst. Wir beide wissen, dass Sie nicht so schlimm sind, wie dargestellt.

    Hochachtungsvoll

    S.T.


    Die Asari nickte.
    Sie wissen, was zu tun ist“, sagte sie an den Priester gewandt und kümmerte sich nicht weiter um die Aktionen des Geistlichen. Er würde die Nachricht verschlüsselt, nicht zurückverfolgbar und in Echtzeit an ihr Ziel bringen. Seeva klopfte einmal auf Lacans Stuhllehne, dann verließ sie den Raum.

    Valeynia Vhan nestelte angespannt an den Enden ihrer Krallenfinger, die zusammengelegt auf der schneeweißen Tischplatte lagen. Das Panoramafenster gegenüber ihrem Sitzplatz gab den Blick auf den Turm des Citadelrats frei. Von hier aus konnte man sogar die immerroten Blätter der Bäume dort erahnen. Nervös zusammenzuckend fuhr sie herum, als sich mit leisem Zischen eine Tür in ihrem Rücken öffnete. Sie sah eine Asari in einem eleganten Kleid. In ihrem blauen Gesicht lag ein freundliches Lächeln, das sie Lippen gerade so weit öffnete, dass Zähne von derselben weißen Intensität wie die Tischplatte aufblitzten. Kleine Fältchen umspielten ihre Mundwinkel, in ihrem Blick lag so etwas wie beruhigende Wärme.
    Miss Vhan, mein Name ist Seeva“, sagte die Frau mit einer Stimme weich wie Seide. Sie kam zum Tisch und berührte Valeynias Krallen mit schlanken Fingern. An ihren Handgelenken klingelte Silber.
    Das alles tut mir schrecklich leid. Sie müssen schrecklich verwirrt sein. Erinnern Sie sich an irgendetwas?
    Valeynia schüttelte den Kopf und fasste sich dann in den Nacken.
    Ich erinnere mich an gar nichts. Nur… die Gala… Lärm. War da nicht Lärm? Irgendetwas ist passiert?“ Die Erinnerung rüttelte naheliegende Sorgen in ihr wach. „Mein Mann, Decius, wo ist er? Geht es ihm gut?“ Wieder war da das beschwichtigende Lächeln der Asari. Der Druck ihrer Hand auf Valeynias verstärkte sich.
    Es geht ihm gut, soweit ich weiß. Hat man Ihnen schon ein Getränk angeboten?
    Wo bin ich hier? Wie bin ich hergekommen?“, fragte die Turianerin nach einem verneinenden Kopfschütteln.
    Die Asari antwortete nicht sofort. Ihre Augen huschten hilfesuchend über die Tischplatte. Ihr Zögern verunsicherte Valeynia. Sie sah, wie sich die Asari auf die blaue Lippe biss, dann antworte sie: „Sie sollten etwas trinken. Und ruhig bleiben. Ich erkläre Ihnen alles.“ Sie schnipste mit den Fingern, ihre Nägel weiß bemalt. Jemand betrat den Raum und die Asari namens Seeva orderte ein Glas Mairalak – ein turianisches Heißgetränk aus Kräutern von Palaven, das den Stress reduzieren sollte. „Bleiben Sie ruhig hier sitzen, meine Liebe“, sagte sie, schenkte Valeynia ein aufmunterndes Alles-wird-gut-Lächeln und erhob sich, um die Getränke zu organisieren.

    In Valeynias Kopf rasten die Gedanken. Was war bei der Gala passiert? Sie erinnerte sich an Lärm, an die Rede ihres Mannes und – nein – erst die Rede, dann der Lärm und dann… plötzliche, sie wie dickes Tuch umhüllende Schwärze. Und dann war sie plötzlich mit benebelten Gedanken hier in diesem weitläufigen Zimmer aufgewacht, auf diesem eleganten Sofa dort, wo noch immer eine überhaupt nicht zum Stil passende Wolldecke lag. Die Asari kam zurück. Jeder Tritt ihrer weißen, geschnürten Pumps gab ein widerhallendes Klicken ab.
    Hier, bitte sehr“, sagte Seeva und stellte eine Tasse aus feinem, dünnem Glas ab auf einem mitgebrachten Untersetzer ab. Valeynia bedankte sich und schaute der Asari nach, wie sie den Raum durchmaß und bei einem gläsernen, mit Kristallen und Steinen dekorierten Abstellschränkchen halt machte und dort ein hohes, dünnes Glas mit Wasser füllte. Noch immer lächelnd kam sie zurück. Sie stellte das Wasser vor der Turianerin ab, dann zog sie einen der insgesamt acht freien Stühle an dem Tisch zurück, setzte sich und überschlug die Beine.
    Wo bin ich hier?“, wiederholte Valeynia ihre Frage.
    Sie sind in den Kammern eines Ratsgebäudes – und absolut sicher.
    Warum bin ich hier? Wo ist mein Mann? Mein Sohn? Mein Enkel?
    Soweit ich weiß, geht es allen gut“, beruhigte die Asari sie. „Trinken Sie erst einmal etwas.
    Ich will jetzt nichts trinken!“, brauste Valeynia auf. Im nächsten Moment schämte sich ob ihres Verhaltens und sank in den Stuhl zurück. „Tut mir leid.
    Machen Sie sich keine Sorgen“, sagte die immerlächelnde Asari. „Sie sind aufgewühlt und das ist nur verständlich, nach dem, was Ihr Mann getan hat. Und dann diese furchtbaren Ereignisse… Ich will mir gar nicht ausmalen müssen, wie Sie sich fühlen.
    Im Glanz der turianischen Augen rangen Panik und Verwirrung miteinander. „Was meinen Sie damit?“
    Naja… diese ganzen Enthüllungen… Was Ihr Mann getan hat und…
    Ich… verstehe nicht.
    Die Asari legte den Kopf schief. Die Verwirrung in Valeynias Gesicht schien echt.
    Sie wissen es wirklich nicht“, stellte die Asari überrascht fest. Wie dumm konnte diese Frau sein? Wie blind vor der Wahrheit? Ein Leben zusammen mit einem Psychopathen, einem Terroristen, einem Mörder und kein Funken von Argwohn. „Vermutlich ist es nicht an mir, Ihnen das zu erzählen“, sagte Seeva abwehrend. Diesmal war es Valeynia, die ihre Hand nach der der Asari ausstreckte. In ihrer Stimme lag etwas Flehendes.
    Bitte, was ist los?
    Seeva lächelte. Diesmal hatte sie Mühe, das gekünstelte Lächeln zu erhalten und den diabolischen Ausdruck von ihren Lippen fernzuhalten. Sie hatte angebissen.
    Shepard Commander ist offline

  17. #57
    Provinzheld Avatar von Majonese
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    Ankunft in Wellington

    "Ihr müsst noch kurz ID dort einscannen", erklärte Tomas und deutete auf das Terminal neben der Tür, welche weiter ins Studio führte. "Ist wegen Sicherheit und so. Wobei ich nicht glaube, dass ihr irgendeinen Ärger machen wollt, oder?"
    "Naja...bei Amaia würde ich aufpassen, die ist gemeingefährlich", behauptete Rebecca mit einem hinterhältigen Grinsen, als sie ihre Identität am Terminal bestätigte.
    "Heh!", entrüstete sich die Maori sofort.
    "Ich liebe dich! Fuck off! Buuiieeeh!"
    Sie folgten Tomas in einen langen Flur, der weiter ins Gebäude führte. "Hier sind die Büroräume", erklärte er und zeigte auf die Türen zu seiner Linken. "Das Erste ist das von Jacob, ihm gehört der ganze Laden hier, er ist aber im Augenblick nicht da. Das andere kann man mit dem Rest des Studios buchen, falls man einen Ort braucht, wo man in Ruhe irgendwelche Formalitäten abwickeln will. Auf der anderen Seite sind die Toiletten."
    Am Ende des Ganges gab es eine weitere Tür und sie kamen in einen zweiten Aufenthaltsbereich, dieser war aber deutlich gemütlicher, als noch der Erste. Hier gab es einen grauen Teppichboden und in einer Ecke, direkt neben einer Treppe, welche in den oberen Stock führte, befand sich eine weitläufige Sofaecke mit recht alten, aber auch sehr bequem wirkenden Sitzgelegenheiten.
    "Ihr könnt eure Jacken hierlassen", machte Tomas die beiden Frauen auf die Kleiderhaken neben der Tür aufmerksam, was sie dankbar annahmen. So kühl es draußen mittlerweile auch war, so warm war es dafür in den Innenräumen des Studios.
    "Ist denn sonst niemand hier?", wunderte sich Amaia, während sie ihre Jacke aufhing und spähte den nächsten Korridor hinunter, als ob sie irgendeinen Hinweis auf die Präsenz anderer Leute erwartete.
    Zur Antwort zuckte Tomas mit den Schultern. "Das ist eigentlich ganz normal, die meiste Zeit über sind hier nicht so viele Leute auf einmal. Deswegen finde ich es auch wirklich cool, dass ihr euch das mal anschauen wollt. Wir haben hier halt wirklich viel zu bieten haben. Man kann ja nicht nur herkommen, um professionell Musik zu produzieren. Es gibt auch noch kleinere Aufnahmeräume und wir haben auch Schnittplätze, wo Leute ihre Aufnahmen bearbeiten können."
    Das überraschte Rebecca. "Was wird denn hier noch so gemacht außer Musik?"
    "Ach, alles Mögliche!", sagte der Produzent mit kaum verhohlener Begeisterung. "Natürlich gibt es immer wieder große, professionelle Produktionen, die dann gleich das halbe Studio mieten, aber wir haben auch viele Privatleute hier. Jetzt gerade ist zum Beispiel ein Kollege oben und schneidet Werbevideos für seinen Bootsverleih. Er hat noch einen der kleinen Aufnahmeräume gebucht und nimmt da parallel das Voiceover für die Clips auf. Man kann hier aber auch Tonequipment ausleihen, wenn man lieber zuhause arbeiten will. Ansonsten werden hier ab und zu auch Kurse angeboten, wo Leute ein wenig über Tontechnik und Audiosoftware lernen können. Und manchmal gibt es auch private Führungen mit mir. Wenn ich schonmal die Chance habe, ein wenig Werbung für uns zu machen, dann will ich das auch nutzen." Tomas zeigte mit einem Daumen auf sich selbst und grinste verschmitzt.
    "Wow, das ist echt cool!" Amaia war sichtlich beeindruckt. "Ich wusste gar nicht, was ihr alles hier habt. Ich dachte immer, hier werden einfach nur Songs aufgenommen und so."
    Tomas nickte. "Musikproduktionen machen wohl immer noch locker zwei Drittel der Einnahmen aus. Hundertprozentig sicher bin ich mir nicht, da müsste ich wahrscheinlich Jacob fragen. Aber mittlerweile erreicht man damit gar nicht mehr so viele Leute, weil es halt einfacher geworden ist, Musik bequem von zuhause aus zu machen. Also hat Jacob sein Angebot ein wenig ausgeweitet und man kann hier eigentlich praktisch alles machen, was irgendwie mit Tonaufnahmen zu tun hat. Letzte Woche hat wohl ein Filmproduzent das Studio gemietet, um Sprachaufnahmen für einen neuen Kinofilm zu machen. Also...ihr seht schon, hier gibt es echt so Einiges. Kommt mit, dann zeig ich euch alles!"
    Sie folgten ihm die Treppe nach oben in den zwei Stock. Dort erwarteten sie wieder gut beleuchtete Korridore, die ein wenig an ein schlichtes Bürogebäude erinnerten, allerdings waren hier oben keine gewöhnlichen Büros. Stattdessen gab es hier Proberäume, Konferenzräume, eine weitere Lounge und wie Tomas schon erwähnt hatte auch eine Reihe von kleineren Schnittplätzen, in denen die Wände mit Schaumstoffpaneelen verdeckt waren, sodass man dort auch direkt selbst Tonaufnahmen machen konnte.
    Das Highlight war aber wohl das Aufnahmestudio A, welches sich im hinteren Teil des Gebäudes befand. Sie erreichten eine Tür, über der eine digitale Anzeigetafel stand, auf der in grünen Lettern stand 'Frei'. "Das ist unser großes Studio, wenn da oben steht 'Besetzt' werden hier gerade Aufnahmen gemacht, aber im Augenblick ist niemand da." Tomas öffnete die Tür und die beiden Frauen folgten ihm neugierig.
    Waren die Korridore noch hell ausgeleuchtet, gab es hier drin nur eine sehr spärliche Beleuchtung und dass die Wände und Teppichboden jeweils sehr dunkel waren, verstärkte die düstere Stimmung nur noch weiter. Neben der Tür standen einige zusätzliche Stühle und ein schwarzes Sofa, während eine Wand des Raumes komplett von einem breiten Tisch eingenommen wurde, der sich in einem Halbkreis um einen Stuhl erstreckte und über und über mit Mischpulten und allerhand anderem Tontechnikequipment bedeckt war. Dazu kamen mehrere Computerterminals, deren Holobildschirme im Standby-Modus waren. Hinter der Arbeitsfläche entblößte eine Fensterfront den Blick in einen gewaltigen, hell ausgeleuchteten Saal, dessen Wände mit großen Holzpaneelen bestückt war.
    Links und rechts der Tontechnik führte jeweils eine Tür in einen weiteren, abgedunkelten Raum, in dem sich jeweils ein kleines Sichtfenster zum Hauptraum und eine große Glasfront mit Blick in den Saal.
    "So sind eigentlich die meisten Aufnahmestudios aufgebaut", erklärte Tomas und zeigte auf den Arbeitspult vor sich. "Das hier ist die Regie, hier sitzt in der Regel der Tontechniker und überwacht die Aufnahme. Also, das ist praktisch mein Arbeitsplatz. Die Musiker sind dann in der Regel im Hauptraum und spielen ihre Musik, während ich dann hier die Tonspuren angezeigt bekomme. Wobei wir das Studio A eigentlich nicht so häufig benutzen, das ist eher für große Orchesteraufnahmen mit vielen Leuten gedacht. In den beiden Räume hier", er deutete zu den beiden Seitentüren, "werden Voicerecordings gemacht."
    Das hier entsprach schon eher dem, was sich Rebecca und Amaia unter einem Tonstudio vorgestellt hatten; isolierte Aufnahmeräume und eine Regie vollgestopft mit viel zu viel Technik, die sie nicht verstanden.
    "Wozu gibt es hier eigentlich noch so altmodische Pulte und keine Holopads?", fragte Amaia mit Blick auf das Equipment mit seinen endlosen Reihen an Dreh- und Schiebereglern, während sie sich ungefragt auf den bequemen Stuhl in der Mitte setzte.
    "Na, aus demselben Grund, weshalb es noch Lenkräder bei Autos gibt", lachte Tomas und legte seine Hand auf einige der Regler und schob sie langsam hin und her. "Es ist leichter solche Sachen präzise zu bewegen, wenn man was in der Hand hat. Ich wette, Rebecca weiß wie wichtig Feingefühl ist, wenn es um Musik geht." Er nickte ihr wissend zu und spielte offenbar auf ihre praktische Musikerfahrung an, doch ihre Reaktion ging in eine andere Richtung.
    "Fuck off!"
    Amaia ließ den Blick über die Tontechnik und die Computerterminals schweifen. "Und wozu braucht man das alles? Ich hatte ja immer das Gefühl, dass solche Pulte nur deshalb so viele Schalter und Knöpfe haben, damit Musikproduzenten behaupten können, einen total komplizierten Job zu haben."
    Über die Bemerkung musste Tomas lachen, ließ es sich aber nicht nehmen, ihnen zu erklären, was es mit den zahllosen Bedienflächen auf sich hatte. "Das Pult hat verschiedene Audioeingänge, ich kann also verschiedene Mikrofone mit einem Mischpult verbinden und habe dann für jedes Mikro ein eigenes Set an Reglern. Also, ich könnte zum Beispiel im Hauptsaal ein Orchester haben und für jede Stimme ein Mikrofon. Gleichzeitig könnte noch jemand in der Kabine nebenan sein und singen, das könnte ich mir dann auf dieses Pult hier legen..." Während er erklärte, deutete er auf die verschiedenen Geräte. Dann schaltete er eines der Terminals an und zeigte ihnen die Software, welche mit den Mischpulten verbunden war.
    Es war klar, dass Tomas' Leidenschaft die ausgetüftelte Technik war, welche die akustischen Signale der Aufnahme in digitale Form brachten, um sie von dort weiter zu verarbeiten. Begeistert erklärte er ihnen, was die verschiedenen Regler mit einem Tonsignal anstellten und was seine liebsten Aufnahmeeinstellungen waren. Nicht nur verloren die beiden Frauen bald schon den Überblick über die dutzenden Funktionen, die die Mischpulte und die Software jeweils mitbrachten, als Tomas dann auch noch anfing von Oszillogrammen, Equalizing und additiver Klangbearbeitung zu reden, kamen sie endgültig nicht mehr mit.
    Eigentlich kannte sich Rebecca sehr gut mit Musiktheorie und Akustik aus, doch es war erstaunlich, wie wenig ihr das dabei half, den enthusiastischen aber gleichzeitig kaum noch verständlichen Ausführungen des Produzenten zu folgen und sie bemerkte irgendwann den belustigten Seitenblick, den Amaia ihr zuwarf. Die beiden Frauen mussten sich zusammenreißen, nicht laut loszukichern.
    Am Ende des Tages ging es ihnen auch gar nicht darum, groß etwas über Tontechnik zu lernen, auch wenn Tomas gut zwanzig Minuten über die Arbeit mit Mixing-Software und Audio-Mastering sprach. Stattdessen war es vielmehr der Einblick in die Welt der professionellen Musikproduktion, der sie so sehr reizte. Es war eine Sache, den ganzen Tag Musik zu hören und sich vage vorzustellen, wie die Künstler auf einer Bühne standen und performten. Eine ganz andere Sache aber war es, hinter die Kulissen zu schauen und zu sehen, was hinter der Arbeit von Musikern wirklich alles steckte.
    "Natürlich hängt der Anteil der digitalen Bearbeitung auch vom Song selbst ab. Es gibt ja Elektromusik, die entsteht zu einhundert Prozent am Computer. Das meiste ist aber teils digital und teils aufgenommen. Ich kann euch drüben ja mal zeigen, woran ich gerade so arbeite", bot Tomas ihnen an, was sogleich ihre Neugier weckte.
    "Du machst also auch eigene Musik?", wollte Amaia wissen.
    "Ein bisschen von Allem. Also, in erster Linie Elektromusik, wobei ich einige der Sounds noch analog aufnehme." Er führte die beiden Frauen wieder aus dem Aufnahmeraum heraus und ging mit ihnen einen weiteren Korridor entlang, bis sie schließlich zwei weitere Türen erreichten. An der Linken stand schlicht 'Studio B', auf der Rechten 'Studio C'. Letztere öffnete der Produzent und die drei traten in ein weiteres Aufnahmestudio.
    Dieses hier war praktisch genauso aufgebaut wie Studio A, doch hinter der Glasfront befand sich kein großer Saal, sondern ein Raum mit der Größe eines gemütlichen Wohnzimmers, ausgelegt mit Teppichboden und schalldichten Wänden. Die Mitte des Raumes war leer, doch an den Wänden standen ein paar Stühle, allerhand Audioequipment und auch ein paar Musikinstrumente, wie zum Beispiel ein komplettes Schlagzeug-Set und ein Keyboard. Dazu kamen noch Unmengen an Zubehör, welche überall verteilt lagen.
    Die Regie war hier bereits angeschaltet und auf den Monitoren konnte man die Audiosoftware mit einer Unmenge an offenen Tonspuren sehen. Tomas nahm auf dem Stuhl in der Mitte Platz und rollte damit ein wenig zur Seite. "Nehmt euch ein paar Stühle von dort drüben." Damit sie ein wenig mehr sehen konnten, zog er den Holoscreen größer und schob ihn in ihre Richtung. "So sieht das eigentlich bei den meisten Songs aus, die man heute so hört", erklärte er und scrollte durch die verschiedenen Tonspuren. "Alleine die Percussion sind bei dem Track locker sieben oder acht Spuren, dann kommen noch verschiedene Synthesizer dazu, Bass-Gitarre und diese Spur..." Er markierte einen der Tracks. "Diese Spur ist ein Echo von der Hauptmelodie aber zwei Oktaven tiefer. Oh, und das hier sind die Rises, die beim Hauptteil dazu kommen und im Hintergrund zu hören sind..."
    Ohne den Song auch nur gehört zu haben, konnte sich Rebecca schon denken, dass es ein ziemliches Klanggetöse sein würde. An den Wellenformen der Audiodateien konnte man schon die dauerhaft starken Ausschläge erkennen und die schiere Menge an Tonspuren wirkte völlig übertrieben. "Hat man denn immer...einen Tumor! So wie ich! Hat man denn immer so viele Klänge?", fragte Rebecca und zeigte auf die lange Liste.
    "Naja, es kommt drauf an", meinte Tomas. "Je nachdem, was du für einen Song aufnimmst und wie du ihn aufnimmst. Es gibt auch Künstler, bei denen nehme ich für jedes Instrument nur eine Tonspur auf, plus Gesang, plus vielleicht noch eine extra Spur für zusätzliche Effekte. Da hat man manchmal nur zwei oder drei Spuren. Aber meistens sind es doch so zehn bis zwölf, zumindest bei dem, was ich so produziere."
    "Spiel mal ab!", drängte Amaia ihn, die den bloßen Anblick der Tonspuren offenbar wenig spannend fand.
    Es war, als hätte Tomas nur darauf gewartet. "Klar doch", grinste er und schaltete die Lautsprecher in der Regie an, bevor er die Musik startete. "Ich bin noch nicht hundertprozentig zufrieden, aber ich finde, es ist schon ganz gut geworden."
    Die ersten paar Sekunden des Tracks klangen noch relativ generisch, es war lediglich ein langgezogenes, synthetisches Geräusch. Dann setzten weitere Sounds ein und kündigten mit einem schnellen Crescendo einen ersten Drop an. Und plötzlich schien die Hölle über sie hereinzubrechen. Tomas hatte die Lautsprecher nicht sonderlich laut gestellt, doch es war auch nicht die Lautstärke des Songs. Harte, schnelle Drumbeats mischten sich unter die elektronischen Sounds und trieben den Song voran. Dann erst begann die eigentliche Melodie, die sich anhörte, als wären eine E-Gitarre oder ein E-Bass durch nachträgliche Effekte verzerrt worden, um so zu klingen wie eine Fräse oder eine altmodische Kettensäge. Nur noch einmal mehrere Oktaven tiefer. Und dabei blieb es nicht.
    Der Track erinnerte sie an eine Mischung aus Drum and Bass und experimentellem Metal. Als ob der schnelle, aggressive Rhythmus und die einfache und dennoch fast schon bedrohliche Melodie nicht schon genug waren, stellte sich bald schon heraus, dass der ganze Track ein einzigen, kontinuierlich ansteigenden Spannungsbogen hatte, der zwar an manchen Stellen für einen winzigen Moment durchbrochen wurde, nur um dann umso heftiger weiterzulaufen. Der recht abrupte Stopp etwa nach der Hälfte des Tracks wirkte wie die Ruhe vor dem Sturm, welcher sich visuell auf den Holo-Bildschirmen des Terminals schon ankündigte. Wieder gab es Crescendi, wieder setzten mehr und mehr Klänge ein, bis sich das Ganze in einem zweiten Drop und einer weiteren Barrage aus aggressiven Klängen entlud.
    Amaia und Rebecca fühlten sich praktisch in ihre Sitze gepresst, während sie ein wenig überfordert der Musik lauschten. Tomas hingegen bewegte sich mit der Musik, sein Fuß wippte die ganze Zeit im Takt und alleine durch seine Bewegungen konnten sie manche Akzente im Song schon erahnen, bevor sie passierten.
    Das Finale des Tracks war wie eine Kulmination aus vier Minuten purem Adrenalin, jede Tonspur schien aus allen Rohren zu feuern und eine Shepard-Skala zum Ende hin holte auch noch das letzte Bisschen an Spannung raus, ehe die Musik plötzlich mit einem leichten Echo verklang.
    "Und, was denkt ihr so?" Erwartungsvoll schaute der Musikproduzent zu den beiden Frauen, die im ersten Moment nicht so genau wussten, was sie sagen sollten.
    Rebecca fing Amaias etwas überforderten Blick auf und musste sich auf die Lippe beißen, um nicht loszuprusten.
    "Ähm..." Die junge Maori schien selbst nicht zu wissen, ob sie den Song richtig gut oder absolut grauenhaft finden sollte. "Also...ist jetzt nicht unbedingt so mein Geschmack...aber ich glaube, wenn man auf solche Musik steht, dann geht der gut ab."
    Es war eine diplomatische Antwort und sie spiegelte ganz gut wieder, was sie beide über das Gehörte dachten. "Finde ich auch", stimmte Rebecca ihr mit einem Nicken zu.
    Mit einem Leuchten in den Augen schaute Tomas zu ihnen. "Findet ihr echt? Ich hatte ja das Gefühl, der Track könnte noch ein bisschen mehr Power haben..."
    Jetzt entfuhr Amaia ein Kichern und auch Rebecca fragte sich belustigt, wie man dieser Musik noch mehr Energie geben könnte. "Ich glaube...äh...fuck off! Ich liebe dich! Ich glaube, das ist so schon ganz gut."
    "Huh...also, denkt ihr, das würde gut ankommen?"
    "Auf jeden Fall!", meinte Amaia aufrichtig und wurde ein wenig ernster. "Ich glaube, es gibt genug Leute, die sowas hören."
    "Cool, danke! Ist immer gut, wenn man seine Musik mal probehören lässt." Es war offensichtlich, wie sehr Tomas sich über das ehrliche Feedback freute und der Mangel an Begeisterung schien ihn dabei kaum zu stören. Ihm war offenbar klar, dass seine Musik nicht jedermanns Geschmack traf und er nahm es ohne Weiteres hin. "Ich bin mir ja nicht so ganz sicher, ob die Drumsets beim zweiten Drop wirklich gut klingen. Hier, ich habe mehrere Samples, weil ich ein bisschen experimentiert habe, aber so richtig gefällt es mir noch nicht..." Tomas nutzte die Gelegenheit und erklärte ein wenig, was er sich bei den verschiedenen Entscheidungen gedacht hatte und zeigte ihnen auf dem Bildschirm verschiedene Variationen von einigen Parts des Tracks.
    Das tat er aber nicht, um sich zu präsentieren -zumindest nicht ausschließlich-, sondern beschrieb dabei auch die typischen Abläufe bei der Produktion eines Songs, vor allem wenn es um die Aufnahme von echten Instrumenten ging. Es war durchaus beeindruckend, wie viel Arbeit tatsächlich in ein einzelnes Musikstück fließen konnte und wie viele unterschiedliche Versionen ein und desselben Liedes tatsächlich existierten, von denen letztlich nur ein, vielleicht zwei Varianten veröffentlicht wurden. Allerdings fing er bald schon wieder an in seiner Begeisterung die beiden Frauen mit Fachjargon rund um das Postprocessing zu überfordern und es wurde schwerer, seinen Ausführungen zu folgen.
    Wieder konnte sich Rebecca mit einem kurzen Seitenblick bei ihrer besten Freundin vergewissern, dass es nicht nur ihr so ging.
    Und auch Tomas schien zu bemerken, wie die Aufmerksamkeit der beiden Frauen nachließ. Er lehnte sich zurück und überlegte einen kurzen Moment. "Hey, eigentlich könntet ihr das alles doch mal selbst ausprobieren. Wie sieht's aus?"
    Rebecca blinzelte verwundert. "Du siehst hässlich aus! Buuiieeh! Tut mir leid...äh...was denn ausprobieren?"
    "Na, ein Lied aufnehmen natürlich!"
    Amaia machte einen kleinen Satz, als sie sich auf ihrem Stuhl ruckartig zu ihm umdrehte. "Im Ernst? Können wir das machen? Ist das auch nicht zu viel Aufwand?"
    "Ach was!", winkte Tomas ab, als wäre es das Einfachste der Welt. "Wir können uns ja das ganze Feintuning sparen, ist ja nur zum Spaß. Und ansonsten ist das eine Sache von drei Minuten, um alles vorzubereiten."
    Sichtlich angetan von der Idee wandte sich Amaia an ihre beste Freundin. "Ja, lass das machen! Oder?"
    Sie hatte sofort bemerkt, wie sich Skepsis in Rebecca breit machte. Bislang hatte sie tatsächlich diese ungebetenen Gedanken ganz gut verdrängen können, doch bei der Vorstellung, in dem dunklen Tonraum zu sitzen und etwas zu singen, kamen sie auf einen Schlag wieder hoch. Sofort fühlte sie sich wieder an ihr dreizehnjähriges Selbst erinnert mit all seinen naiven Träumen und Bitterkeit machte sich in ihr breit. "Lieber nicht", murmelte Rebecca.
    "Bist du sicher?", wollte die Maori behutsam wissen.
    Die Enttäuschung auf Amaias Gesicht versetzte ihr einen Stich in der Magengegend, doch Rebecca schüttelte nur den Kopf. "Ich...ich liebe dich! Keiner mag dich! Verschwinde! Ich glaube nicht, dass ich im Moment wirklich...dass ich...dass ich...dass ich...dass ich schlafen kann! Meine Wände schauen mir zu! Ich glaube nicht, dass es Sinn macht...meine Tics sind gerade echt zu heftig..." Es war eine schwache Ausrede, doch Amaia nickte verständnisvoll und erhob sich, auch wenn ihre Begeisterung einen merklichen Dämpfer bekommen hatte.
    "Was willst du machen?", fragte Tomas die Maori routiniert. Er schien nicht sonderlich viel in den Austausch der beiden Frauen hineinzulesen.
    "Hm...ich würde Gitarre spielen und dazu singen wollen. Also, Akustikgitarre. Geht das?"
    "Na klar! Warte kurz, ich hol dir ein Instrument...!" Er erhob sich und verschwand für einen Moment aus der Regie.
    Rebecca tat so, als würde sie sich neugierig den Bildschirm betrachten, doch eigentlich gab es dort im Augenblick nicht viel zu sehen. Um Amaia aufnehmen zu können hatte Tomas ein neues Projekt geöffnet und im Augenblick konnte man lediglich das komplett leere Interface der Audiosoftware sehen.
    "Ist alles in Ordnung?"
    "Jaah...ja, geht schon. Wirklich. Hey! Fuck off!" Es war tatsächlich keine Lüge. Mittlerweile hatte sie sich einfach schon mit ihrer Situation abgefunden, auch wenn es immer noch wehtat.
    "Willst du wirklich nicht? Ich weiß, dass das echt irgendwie blöd für dich ist und du...naja, du dir keine Hoffnung machen willst. Aber...das wäre doch trotzdem eine echt coole Erfahrung, oder? Einfach mal...ausprobieren, wie es wirklich ist, nicht?" Wie so oft bewies Amaia, wie gut sie ihre beste Freundin durchschauen konnte.
    Doch obwohl es ein wenig albern war, hatte Rebecca sich dazu entschlossen, hier die Grenze zu ziehen. Amaia hatte sicherlich recht und es reizte sie durchaus, einfach mit ihr zusammen in den Tonraum zu gehen und einfach ein bisschen zu jammen, wie sie es zuhause ohnehin schon so oft taten. Sich für einen Moment wie die Musiker zu fühlen, die sie selbst so gerne nachahmten. Es war nicht, dass sie keine Lust darauf hatte. Vielmehr hatte sie Angst, zu viel Freude daran zu empfinden.
    Nicht nur befürchtete sie es, sie wusste, es würde genau so sein.
    Amaia verschränkte die Arme vor der Brust. "Wenn du nicht mitmachst, will ich eigentlich auch nicht!"
    Jetzt musste Rebecca doch auflachen. "Ha! Das ist gelogen! Ich sehe doch, wie...wie hässlich du bist! Fuck off! Ich bin eine Biene! Ich sehe doch, wie du dich vor Aufregung gar nicht mehr halten kannst!" Sie wurde wieder ernst und suchte Amaias Blick. "Tut mir leid, Mai."
    Tomas kehrte zurück und reichte der jungen Frau eine sehr schlichte, aber gut gepflegte Akustikgitarre. "Ist schon gestimmt und alles, Plektrum steckt drin. Wenn du magst, kannst du schonmal reingehen und dich warm machen."
    Amaia schaute noch einmal kurz zu ihrer besten Freundin und seufzte resigniert. Sie verließ die Regie durch eine der seitlichen Tonkabinen und trat dann in den eigentlichen Aufnahmeraum. Ein wenig verloren stand sie einen Moment da, bis sie das Mikrofon erblickte, das auf einem recht teuer wirkenden Stativ hing. Sie nahm sich einen der Stühle und zog ihn in die Mitte des Raumes, dann schleppte sie das Stativ dazu und begann damit, sich den Stativarm mit dem Mikrofon richtig einzustellen. Da Amaia noch nie mit professioneller Technik gearbeitet hatte, stellte sie sich ein wenig unbeholfen an, um die ganzen Mechaniken des Stativs richtig zu bedienen.
    "Willst du ihr nicht helfen?", wunderte sich Rebecca mit einem Blick zum Musikproduzenten neben ihr und klatschte in die Hände.
    "Das könnte ich schon", meinte er mit einem Kopfnicken. "Aber meiner Erfahrung nach ist es gar nicht verkehrt, wenn man Leute einfach ein bisschen ins Kalte Wasser wirft, sie ein wenig ausprobieren lässt, weißt du. Also...praktisch Learning-by-doing. Ich finde es sogar besser, nicht alles immer sofort vorwegzunehmen. Das überfordert die Leute dann auch nicht so sehr und man kann alles in seinem eigenen Tempo wirken lassen."
    Rebecca wusste nicht so recht, was sie aus der Antwort machen sollte. Seine Idee klang einerseits gar nicht so abwegig, doch sie selbst wäre völlig mit sich und der Welt überfordert gewesen.
    Tomas lehnte sich nach vorne an das kleine Mikro an seinem Pult und drückte einen Schalter. "Amaia?"
    Offenbar ertönte seine Stimme auch im Tonraum, denn Amaia blick überrascht auf und schaute in Richtung der kleinen Lautsprecher, die an der Wand zur Regie hingen und aus der nun Tomas zu ihr sprach. Man konnte sehen, wie sie antwortete, doch zu hören war nichts.
    "Amaia, du musst das Mikro noch anschalten, sonst hören wir dich nicht", erklärte Tomas geduldig, während die Maori ein wenig verwirrt an dem Gerät herumfummelte, um den Aktivierungsmechanismus zu finden. "An der Rückseite ist ein Schalter, den musst du zur Seite drücken." Wieder sagte die junge Frau im Tonraum etwas, das aber nicht zu ihnen durchdrang.
    "Warum ist denn der Aufnahmeraum komplett abgedichtet?", hakte Rebecca nach.
    Der Musikproduzent nickte in Richtung der Glasscheibe. "Ich will hier in der Regie wirklich nur das hören, was auch das Mikrofon hört, verstehst du? Damit kann ich sofort einschätzen, wie das Ganze dann auf der Aufnahme klingt. Deswegen sind die Wände hier praktisch komplett schalldicht."
    Plötzlich erklang Amaias Stimme in der Regie. "Oh...hier hat sich gerade was bewegt...könnt ihr mich jetzt hören?"
    "Laut und deutlich", grinste Tomas. "Bei uns ist alles im grünen Bereich. Also, wenn du soweit bist, sag Bescheid, dann starte ich die Aufnahme."
    "Ähm...okay..." Es war deutlich zu spüren, dass sich die junge Frau ein wenig unwohl fühlte und Rebecca konnte es ihr nicht verübeln. Durch die Glasscheibe konnte sie ihre beste Freundin sehen, wie sie in dem großen, abgedunkelten Raum saß, Studiolampen wie Scheinwerfer auf sich gerichtet und das Mikrofon direkt vor ihr, um jedes noch so kleine Geräusch aufzuzeichnen. Man konnte Amaia ansehen, wie überwältigend das Gefühl war. "Und jetzt? Fang ich...fang ich jetzt einfach an?"
    "Wie du willst", erklärte Tomas ihr durch sein Mikrofon. "Du kannst auch erst ein bisschen jammen, dich warmspielen."
    "Oh..." Ein wenig zögerlich fing Amaia an, sich auf der Gitarre warmzuspielen und in der Regie erklangen die hellen Töne des Instruments.
    Ein wenig verwirrt beobachtete, wie Tomas eine Taste drückte, woraufhin auf dem Pult ein rotes Lämpchen anging und auf dem Computerterminal konnte man plötzlich eine Tonspur sehen, welche immer länger und länger wurde. "Nimmst du das etwa jetzt schon auf?"
    "Auf jeden Fall! Die meisten Musiker, mit denen ich zusammengearbeitet habe, spielen immer ein wenig drauf los und improvisieren ein bisschen, um in Stimmung zu kommen. Dabei entstehen manchmal richtig coole Riffs, die nehm ich gerne auch mit auf. Während man selbst im Tonraum sitzt, denkt man gar nicht so sehr darüber nach, aber es ist immer gut, sich selbst beim Herumklimpern aufzunehmen. Das kann manchmal genau die Inspiration sein, die einem ansonsten fehlt."
    "Ahhh..." So hatte Rebecca noch nie darüber nachgedacht, doch es klang recht sinnig.
    Amaia aber schien beim Warmspielen weniger zu improvisieren und spielte stattdessen verschiedene Riffs und Strumming-Parts von Songs, so als wolle sie ausprobieren, welches Stück ihr gerade am besten gefiel. Schließlich schien sie sich für etwas entschieden zu haben. "Okay...ähm...ich würde dann jetzt anfangen."
    Tomas beendete die erste Aufnahme und startete sofort die Nächste, ehe er ihr durchgab: "Kannst loslegen!"
    "Okay..." Es folgten einige Sekunden der Stille, in denen Amaia einfach nur auf ihrem Stuhl hin und her rutschte und die Gitarre immer wieder umgriff. Dann fing sie zögerlich an, einen Akkord zu strummen, nur um nach ein paar Takten plötzlich wieder abzubrechen. "Ähm...kann ich nochmal von vorne anfangen?"
    Anstatt einer verbalen Antwort gab Tomas ihr durch die Glasscheibe mit einem hochgereckten Daumen zu verstehen, dass es kein Problem war. "Die meisten Leute sind wirklich aufgeregt, wenn sie zum ersten Mal im Tonraum sitzen", raunte er Rebecca schmunzelnd zu. "Ich verstehe echt nicht, wieso. Ist doch eigentlich halb so wild..."
    "Buuuiieeeh!" Rebecca wusste nur zu gut, wie sich Amaia fühlen musste und konnte es ihrer besten Freundin nicht verübeln, sich erstmal sammeln zu müssen.
    "Okay...", war Amaia zu hören und sie schien nochmal tief durchzuatmen. Wieder begann sie mit ihrem Gitarrenspiel und dieses Mal klang es schon etwas sicherer als zuvor. An der Akkordfolge konnte Rebecca schon erkennen, welches Lied die Maori spielen wollte, allerdings schien Amaia den Einsatz der ersten Strophe zu verpassen und wiederholte das Intro kurzerhand nochmal. Dann erst erklang ihre Gesangstimme und erfüllte die Regie mit ihrem dunklen, klaren Klang.
    "Your fear came from a place unknown,
    sat down, made itself at home.
    It called your name the whole night through,
    until it got the best of you-uu.
    It's wide awake, it never rests,
    it follows each one of your stee-eps.
    And it hits you hard with ruthless fists,
    can I kill it with a kiss?"

    Rebecca wusste genau, warum ihre beste Freundin sich ausgerechnet dieses Lied ausgesucht hatte und sie spürte einen leichten Stich in der Magengegend. Eigentlich sollte sie dort drinnen zusammen mit Amaia sitzen. Mit einer Gitarre auf dem Schoß und einem Mikrofon vor dem Gesicht. Aber sie konnte einfach nicht.
    Tomas nickte anerkennend. "Wow! Sie ist echt gut. Ich nehme mal an, ihr beide habt zusammen Musik gelernt, richtig?"
    "Nein, sie hat...sie hat...sie hat...einen Tumor! Sie hat...fuck off! Sie hat, glaube ich, nie so richtig Unterricht genommen", stellte Rebecca richtig. "Das Meiste hat sie sich bei mir abgeschaut oder sich selbst beigebracht."
    Jetzt wirkte der Musikproduzent schwer beeindruckt. "Wahnsinn. Wenn sie das schon ohne Ausbildung zustande bringt, will ich gar nicht wissen, was du alles kannst. Immerhin kannst du offenbar ein halbes Orchester ausfüllen", lachte er leise. Es war eigentlich eher eine augenzwinkernde Bemerkung, doch sie ließ Rebecca ein leises Seufzen ausstoßen. Das Universum schien wirklich immer wieder den Finger auf die Wunde legen zu wollen.
    Amaia war anzumerken, wie sie mit jedem Takt sicherer wurde und tatsächlich klang sie zum Ende hin fast schon wie eine echte Sängerin, die ihr Lied gerade vor einem Publikum performte.
    "...we find a way to shut its hungry mouth!
    We chase it down the street and out of town.
    I'll shield you 'till it disappears.
    All my love against your fear"

    Der letzte Akkord der Gitarre klang noch einige Sekunden nach, bis Amaia die Saiten verstummen ließ und erwartungsvoll aufschaute. Ihr Blick wanderte suchend zu Tomas und Rebecca in der Regie und sie biss sich auf die Unterlippe, als sich ein breites Lächeln auf ihr Gesicht schlich. "Das ist echt cool!", sagte sie nach einer Weile und das leichte Zittern in ihrer Stimme verriet, wie aufgeregt sie darüber war.
    "Das war super!", sagte Tomas anerkennend durch die Sprechanlage. "Was war das denn für Musik? Es hat sich nicht so richtig nach Rock angehört, aber auch nicht Pop..."
    "Ach, das ist auch schon richtig alt, nichts Aktuelles", grinste Amaia.
    "Kannst du das nochmal spielen? Für die Aufnahme..."
    "Was? Wieso? Hast du nicht aufgenommen?"
    Tomas lachte über den erschrockenen Ausdruck auf Amaias Gesicht. "Doch, natürlich, alles gut. Normalerweise nimmt man einen Song aber mehrmals auf. Du kannst dir das vorstellen wie bei einem Film, da wird ein Take auch mehrfach gemacht, um dann nachher den Besten rauszusuchen."
    "Ah...na gut, ich kann das auch nochmal spielen, wenn du meinst."
    "Und dieses Mal...ich hatte das Gefühl, der Übergang von der Bridge zum Refrain am Ende soll richtig Power haben, nicht? Versuch vielleicht dieses Mal so richtig mitzugehen! Kriegst du das hin?"
    Amaia nickte langsam. "Okay...naja, normalerweise singt Rebecca auch Lead, ich mach das nicht so oft. Aber...ja, kann ich versuchen."
    "Wooah!" Plötzlich erhob Tomas die Stimme und klang frustriert. "Das klingt aber nicht nach Power! Ich habe dich gefragt, ob du richtig abgehen kannst!"
    Im ersten Moment war Amaia ein wenig perplex, musste dann aber loskichern, als sie schaltete. "Ja, Mann! Kann ich!", spielte sie mit, auch wenn sie ihre Stimme dabei nicht so anhob wie der Musikproduzent.
    "Gib mir hundertfünfzig Prozent! Jaaaah!"
    "Jaaaah!", grölte Amaia lachend und ahmte Tomas nach, indem sie ihren Arm mit gestreckter Faust nach oben reckte.
    "Geil, dann kannst du loslegen, wenn du so weit bist!"
    Mit einem Grinsen verfolgte Rebecca die Szene. Man merkte, dass das hier Tomas' Alltag war. Er war völlig routiniert bei der Sache, verfolgte aufmerksam jeden Aspekt von Amaias Performance und gab ihr zwischendurch immer wieder Tipps und Anregungen, um noch mehr aus ihrem Song herauszuholen. Dass er den Song eigentlich nicht kannte, schien dabei keine Rolle zu spielen. Er orientierte sich an dem, was Amaia spielte und schlug ihr vor, an welchen Stellen sie Dinge noch anders machen konnte. Dabei hatte er immer ein Auge auf den Aufnahmen und stellte gelegentlich etwas an seinem Mischpult um. Gelegentlich erklärte er Rebecca, was für Gedanken er sich während der Aufnahme machte oder nach welchen Kriterien er etwas an den Aufnahmeeinstellungen änderte.
    Es war wahnsinnig spannend und eigentlich hätte Rebecca voller Begeisterung jedes Detail aufnehmen wollen. Doch so interessant das alles auch sein mochte, es konnte sie nicht darüber hinwegtrösten, dass das hier ein Fehler war. Sie gönnte Amaia jede Sekunde der Freude an dieser Erfahrung, es war wirklich herzerwärmend die junge Maori so voller Begeisterung zu sehen und dennoch...zum ersten Mal drang ein sehr eigenartiger Gedanke durch ihren Kopf.
    Sie sollte dort drinnen im Tonraum sitzen. So gerne wäre sie jetzt an Amaias Stelle. Es war eine simple Idee, doch sie war so widerlich und abstoßend, dass Rebecca für einen Moment ganz erschrocken war. Und der Scham darüber, der sie schon einen Augenblick später befiel, konnte auch nicht verhindern, dass sich dieser Gedanke in ihrem Kopf festsetzte.



    "Das war einfach richtig cool von Tomas! Dass er uns eingeladen hat, meine ich. Und das mit der Aufnahme, das war wirklich super, das mal selbst machen zu können..."
    Während des gesamten Rückwegs zum Shuttlehafen schwärmte Amaia von der Tour durch das Tonstudio. Sie schien selbst nicht zu wissen, was ihr an dem Nachmittag am besten gefallen hatte, denn es änderte sich alle paar Sätze. "...ich wusste gar nicht, wie viel Arbeit das ist, nur einen einzigen Song aufzunehmen. Aber es klingt total spannend..."
    Mittlerweile war es bereits dunkel geworden und ein kühler Wind wehte durch die Straßen von Wellington. Sie hatten noch kurz beim 'Fujiyama Teppanyaki' vorbeigeschaut, um etwas zu essen und waren jetzt wieder auf dem Rückweg nach Tauranga.
    Rebecca versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie niedergeschlagen sie sich fühlte. Ausnahmsweise half ihr Tourette ihr dabei ein wenig, denn als sich Amaia besorgt erkundigte, warum sie so schweigsam war, konnte Rebecca ihre Tics als Grund nennen. Ständig gab sie schwachsinnige Wortfetzen und Phrasen von sich, ihr Gesicht brannte mittlerweile von den ganzen Zuckungen und ihre Schulter schmerzte schon unangenehm, weil sie sich immer wieder selbst schlug. Zu lügen bereitete ihr ein schlechtes Gewissen, doch sie wollte Amaia nicht die Freude verderben.
    Dabei war es nicht so, als ob sie den Ausflug nicht auch genossen hätte. Im Gegenteil, es war mitunter sehr lehrreich, eindrucksvoll oder einfach lustig gewesen und ein Teil von ihr war wirklich froh, das Angebot des Musikproduzenten doch noch angenommen zu haben. Nicht nur war es mal wieder ein Tag gewesen, den sie nicht allein in ihrem Zimmer verbracht hatte, sie freute sich auch ehrlich über die Begeisterung ihrer besten Freundin. Es war schön gewesen Amaia dabei zu sehen, wie sie so viel Spaß an etwas hatte.
    Und tatsächlich, je länger sie darüber nachdachte, desto mehr bemerkte Rebecca, wie der Neid in ihr brodelte. Sie wollte es nicht zulassen, diesem Gefühl irgendeine Aufmerksamkeit zu schenken, doch sie wusste, dass es ihre Gedanken bereits vergiftete. Zu sehen, wie unbeschwert Amaia sich in diesen Tonraum gesetzt hatte, sie ohne jeden Hintergedanken einfach Spaß gehabt hatte, es hatte sich in Rebeccas Kopf eingebrannt.
    "Wobei ich ehrlich gesagt zugeben muss...als Tomas die ganze Zeit über Tontechnik geredet hat, habe ich irgendwann ein wenig abgeschaltet..."
    Rebecca grinste schwach und gab ein zustimmendes "Jaah, ging mir auch so" von sich, doch ironischerweise hörte sie ihrer besten Freundin selbst im Augenblick kaum zu. Zu sehr drifteten ihre Gedanken immer wieder zu dem, was sie heute erlebt hatten und sie fragte sich immer wieder, ob es eine gute Idee gewesen war. Im Moment wollte Rebecca wirklich nichts anderes, als nachhause zu kommen und zu schlafen. Sie hoffte inständig, eine Nacht würde ausreichen, diese ekelhaften Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen.
    Auch wenn eine leise Stimme ihr bereits flüsterte, dass das nicht so leicht passieren würde.
    Majonese ist offline

  18. #58
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    Im Tonstudio

    "Cheers!"
    Das Klingen von fünf Gläsern und einer Plastikflasche ertönte. Die sechs Freunde nahmen alle einen Schluck ihrer Getränke und stellten sie vor sich auf den Tisch. Dabei gaben sie Acht, ihre Gläser nicht in Rebeccas Nähe abzustellen.
    Da heute weder Karoke-, noch Musikabend stattfand, war es im Harmony an diesem Freitag recht gemütlich. Zwar herrschte durchaus ein reges Treiben, aber es war nicht völlig überfüllt und die Geräuschkulisse war auf einem angenehmen Level. Anstelle von Live-Musik liefen heute lediglich einige Rock- und Pop-Songs, die dezent im Hintergrund über die im Schankraum verteilten Lautsprecher abgespielt wurden. Zur Abwechslung war das auch mal ganz nett, vor allem, wenn man sich mehr unterhalten wollte. Und sie alle hatten sich so einiges zu erzählen.
    Amaia beugte sich neugierig vor und wandte sich direkt an Luca. "Und, hast du schon deinen NCEA-Score bekommen?"
    Der Angesprochene grinste breit und lehnte sich gelassen zurück. "Jep! Die haben uns Anfang der Woche die Ergebnisse zugeschickt."
    "Und?"
    Alle Augen waren gespannt auf Luca gerichtet, der die Aufmerksamkeit genießen zu schien. "Zweihundertzwei Punkte..."
    "Heeeeey!"
    "Glückwunsch, Luca!"
    "Nicht schlecht..."
    "Sieht ganz so aus, als gehörst du jetzt auch zu den Großen", grinste Andrew, während er Luca anerkennend fest auf die Schulter klopfte, was den kleineren Mann durchschüttelte.
    "Naja, im Geiste vielleicht, aber nicht von der Körpergröße her", spöttelte Lily, die neben ihrem Freund saß.
    Andrew lachte schallend auf. "Stimmt, da fehlen noch einige Zentimeter..."
    "Heh!", beschwerte sich Luca, "Nur weil ihr neidisch auf meinen Score seid, ist das noch kein Grund, sich auf mich zu stürzen!"
    "Pah! Neidisch? Auf deine zweihundertzwei Punkte...", prustete Amaia großspurig. "Das ist ja gar nichts."
    "Ach ja, wie viel hattest du denn?"
    "Zweihundertneunzehn."
    "Oh..."
    Und schon traten sie damit eine Diskussion über ihre NCEA-Ergebnisse los und sie alle mussten sich miteinander vergleichen. Eigentlich war es unnötig, immerhin hatten Amaia, Rebecca, Madison und Andrew ihren Abschluss alle zusammen gemacht und kannten die Ergebnisse der jeweils anderen bereits. Nun waren aber Lily und Luca auch mit dabei und natürlich musste sofort eingeordnet werden, wer wie gut im Vergleich zu den anderen abgeschnitten hatte.
    Rebecca hielt sich bei dem Gespräch zurück. Einerseits war ihr durch ihre aktuelle Situation mehr denn je klar, wie wenig die Ergebnisse des Schulabschlusses am Ende tatsächlich bedeuteten. Andererseits war es nur eine Frage der Zeit, bis jemand ihren stellaren Score von zweihundertneunundachtzig erwähnte, was selbst das Ergebnis von Andrew, der damals eigentlich sehr gut abgeschnitten hatte, mit über vierzig Punkten überragte. In ihren Augen spielte es keine Rolle, denn am Ende des Tages war sie die einzige an diesem Tisch, die keine Ausbildung, keinen Studienplatz, keinen Job und keine Aussicht auf irgendeine Zukunft hatte. Und das, obwohl sie für ihre NCEA-Leistungen vor vier Jahren noch ausgezeichnet wurde.
    Doch so betrübt ihre Stimmung mit diesen Gedanken auch war, sie schien sich lange nicht so unwohl zu fühlen wie Madison, die ihr gegenüber saß. Rebecca merkte schon bald, dass Madison immer wieder auf ihr Smartpad schaute, so als erwarte sie eine Nachricht. Nur schien sie diese Nachricht nicht zu bekommen, denn sie reagierte jedes Mal mit einem Ausdruck der Frustration, ehe sie sich mit mäßigem Interesse wieder der eigentlichen Unterhaltung zuwandte.
    Dass sie bei dem kollektiven Vergleich der NCEA-Scores am schlechtesten abschnitt, schien sie nur noch mehr zu ärgern.
    Irgendwann ließen sie das Thema rund um Schule und Abschlussnoten hinter sich und kamen auf etwas Spannenderes zu sprechen. "Hey, Andrew, wie war denn eigentlich euer Hindernismarathon?", wollte Amaia von ihrem Kumpel wissen und lehnte sich entspannt auf ihrem Stuhl zurück. Zwar lag Andrews Ausflug nach Österreich schon knapp drei Wochen zurück, doch sie hatten bislang noch keine Gelegenheit gehabt, sich darüber zu unterhalten.
    "Oh, das war super!", antwortete Lily anstelle ihres Freundes. "Aber auch total dreckig. Ohne Scheiß, ich habe immer noch Schlamm unter den Fingernägeln und zwischen den Zähnen..."
    Andrew lachte gut gelaunt. "Naja, das gehört halt dazu. Immerhin hatten wir..."
    "Das macht nichts, du bist sowieso hässlich!"
    Einen Moment lang verstummte die Runde und Rebecca spürte die Hitze in ihr Gesicht steigen. Ihr Tic war nicht einmal sonderlich laut gewesen, aber trotzdem dauerte es eine quälend lange Sekunde, bis Andrew fortfuhr.
    "Naja, wir hatten auf jeden Fall Glück mit dem Wetter gehabt. Letztes Mal, als ich in Österreich war, hat es tagelang nur geregnet."
    Lily schüttelte den Kopf. "Ich glaube, dann hätte ich auch keine Lust gehabt. Es war ja so schon schwer genug."
    "Ich bin eine Biene. Buuiieeeh!"
    Man könnte spüren, wie sich die anderen Mühe gaben, Rebecca nicht auf ihre Tics anzusprechen. Dennoch bemerkte sie die irritierten Blicke, die Andrew mit seiner Freundin wechselte, die Skepsis auf Lucas Gesicht und wie Madison sie genervt anstarrte. Irgendwie konnte sie es ihnen auch nicht verübeln, sie selbst fand es ebenfalls unerträglich. Lediglich Amaia war wie immer völlig gelassen und überging die Tics ihrer besten Freundin gekonnt.
    Trotzdem war es eigentlich ein sehr nettes Zusammensein. Mittlerweile war es für sie recht schwierig geworden, sich für einen gemeinsamen Ausflug zu verabreden. Früher hatten sie sich fast jede Woche gesehen, nun konnten sie froh sein, wenn sie einmal im Monat etwas zusammen unternehmen konnten. Und selbst dann war es nicht mehr so wie früher. Einerseits fehlten einige ihrer Freunde wie etwa Ben, andererseits kamen auch neue Leute wie Lily in ihre Runde dazu. Genug zu erzählen gab es also allemal.
    Andrew berichtete von seiner Polizeiausbildung und davon, dass er und Lily bald zusammenziehen wollten. Luca wurde natürlich gefragt, was er nun machen wollte, da er seinen Level-3-Abschluss erreicht hatte. Und Amaia schwärmte von ihrer kleinen Nichte und verkündete ihren Freunden stolz, dass sie jetzt Rianns Patentante war. Vor allem Lily war ganz entzückt von den Bildern des kleinen Kindes, welche die Maori ihr auf ihrem Smartpad zeigte.
    Währenddessen unterhielten sich Luca und Andrew angeregt über ihre DnD-Runde und dadurch bemerkte Rebecca irgendwann, dass Madison wieder recht teilnahmslos wirkte und praktisch überhaupt nichts sagte. Als Amaia lachend davon erzählte, wie Riann sich immer in den Streben ihres Laufstalls verhedderte und dann von ihren Eltern gerettet werden musste, stieß Madison sogar ein verächtliches Schnauben aus, allerdings so leise, dass es zwischen den anderen Gesprächen unterging.
    Rebecca wunderte sich ein wenig über das Verhalten ihrer Freundin. Sie hatte nicht vergessen, wie sich Madison in den vergangenen Wochen zurückgezogen hatte und sich weigerte, über ihre Probleme zu sprechen. Dass David heute Abend nicht mitgekommen war, musste nicht gleich das Schlimmste bedeuten, doch es war angesichts ihrer ständigen Streitereien durchaus verdächtig. Gerade überlegte sie noch, ob sie Madison darauf ansprechen sollte, doch ihre Krankheit war wie so oft schneller.
    "Hier! Fang!" Ansatzlos schleuderte Rebecca ihre Trinkflasche über den Tisch. Es war kein richtiger Wurf gewesen und obwohl ihr Tic ganz klar auf Madison gezielt hatte, flog das Gefäß Luca stattdessen in den Schoß, der es reflexartig auffing, bevor es zu Boden fiel. Glücklicherweise tat es mit seinem fest verschraubten Deckel genau das, was es sollte; es verhinderte, dass sich das süße Fruchtgetränk über den Tisch verteilte.
    "Wow, zum Glück war es dieses Mal nicht mein Glas", grinste der junge Mann, als er sich von dem Schreck erholt hatte und reichte Rebecca die Sportflasche zurück.
    "Jaah...", sagte Rebecca und zwang sich zu einem schwachen Grinsen. Doch es verging ihr sofort, als sie Madisons verärgerten Blick bemerkte.
    "Was soll das denn?"
    "Tut mir leid...du weißt ja, meine Tics..."
    "Jaah...natürlich..."
    "Bleib locker, Madi", lachte Luca auf. "Ist doch nichts passiert. Und im Zweifel musst du dich nur rechtzeitig ducken."
    Der wütend Ausdruck, der über Madisons Gesicht huschte, ließ Rebecca stutzen und sie räusperte sich verlegen. "Ich...eigentlich wollte ich fragen, wie denn euer Ausflug nach Queenstown war..."
    Einen kurzen Moment lang verdunkelte sich Madisons Miene. "War ganz nett", sagte sie kurz angebunden, doch sie wandte sofort den Blick ab und blickte mit finsterer Miene in die Ferne.
    Rebecca nahm fest sich vor, Madison später noch einmal darauf anzusprechen. Je länger sie hier waren, desto deutlicher wurde es, dass irgendetwas nicht in Ordnung war und scheinbar wollte Madison nicht darüber sprechen, solange die anderen mit am Tisch waren. Und sicherlich nicht, solange Rebecca immer wieder ticte. Wahrscheinlich war es besser, später in Ruhe darüber zu reden.
    Sie suchte Amaias Blick, doch ihre beste Freundin war schon wieder vertieft in ihr Gespräch mit Lily und schien Madisons Anspannung kaum wahrzunehmen. Zudem fiel ihr auf, dass Amaia immer wieder in Richtung Tresen schaute und nach einer Weile erhob sie sich auf einmal. "Ich sag mal Hallo zu Jin und Joey", verkündete sie kurzerhand und ging in Richtung Theke.
    Dort waren Joey und ein Mann um die Mitte zwanzig mit eindeutig ostasiatischer Herkunft gerade damit beschäftigt, ein wenig hinter dem Tresen sauber zu machen und Gläser zu putzen. Da im Harmony gerade nicht allzu viel los war, schienen sie sich keinen Stress zu machen und unterhielten sich entspannt über Irgendetwas. Als sich Amaia zu ihnen gesellte, wurde die Maori freundlich empfangen und brachte sich sogleich in das Gespräch mit ein. Worüber sie sprachen, ließ sich nicht sagen, aber man merkte sehr deutlich, wie gut sie sich mit ihren Arbeitskollegen verstand.
    "Sie versucht bestimmt gerade, ein Freigetränk abzustauben", mutmaßte Luca, der ihr hinterherschaute, mit einem breiten Grinsen.
    Sofort schüttelte Rebecca den Kopf, nur um ihn dann unkontrolliert ein zweites Mal noch heftiger zu schütteln und mit der flachen Hand auf den Tisch zu klatschen. "Hey! Fuck off! Sowas macht Mai nicht", behauptete sie.
    "Hey, Madi, was ist denn eigentlich so spannend auf deinem Pad?", fragte Andrew gut gelaunt, während Madison wie so häufig an diesem Abend wieder auf das Gerät geschaut hatte und ihre Freunde am Tisch nicht beachtete.
    "Gar nichts", gab sie unwirsch zurück und legte ihr Smartpad wieder zur Seite. Allerdings immer noch nahe genug, um verstohlene Blicke darauf werfen zu können.
    Es dauerte nicht lange, bis Amaia wiederkam und entgegen Lucas Erwartung hatte sie kein neues Getränk dabei. Dafür hatte sie aber umso bessere Laune.
    "Sag mal, Mai, wer ist denn eigentlich der Asiate da hinter dem Tresen?", fragte Lily die Maori mit einem sehr speziellen Tonfall. "Ihr seid doch Kollegen, richtig?"
    Amaia nickte. "Das ist Jin. Wobei, sein richtiger Name ist Jin-Hyeong aber er meinte, wir sollen ihn einfach nur Jin nennen. Er arbeitet schon seit ein paar Monaten hier."
    "Er sieht echt gut aus, nicht?"
    Tatsächlich fand Rebecca, dass Lily gar nicht mal falsch damit lag. Der Kellner war gerade damit beschäftigt, Gläser auf ein Tablett zu stellen, um sie an den Tischen zu verteilen. Seine schwarzen Haare standen knapp fingerlang an seinem Kopf, während die Seiten seines Schädels kahl rasiert waren, einen Bart hatte er nicht. Auffällig waren seine bernsteinfarbene Augen, die ihm eine fast schon geheimnisvolle Aura verliehen. Seine Statur war eher durchschnittlich und sein Gesicht etwas kantig, aber er machte durchaus einen sehr selbstsicheren Eindruck, als er sich durch das Harmony bewegte. Zwischendurch wechselte er im Vorbeigehen ein paar gut gelaunte Worte mit den Gästen, ehe er weiterging.
    Lily drehte sich mit einem Grinsen zu ihrem Freund um. "Hey, vielleicht sollte ich mal zu ihm gehen, mal 'Hallo' sagen."
    Andrew zuckte nur mit den Schultern. "Kannst du gerne tun, ich halte dich nicht auf."
    "Ohhh! So ist das also, hm? Das ist dir also egal, ja?" Auch wenn sie die Beleidigte spielte, verriet der heitere Ausdruck auf Lilys Gesicht den Scherz. Es war wohl ein Spaß, den die beiden häufiger miteinander trieben.
    Doch Rebecca bemerkte bei einem Seitenblick in Madisons Richtung, wie ihre Freundin erneut sehr angespannt wirkte. Allmählich machte sie sich doch etwas Sorgen.
    "Sag mal, habt ihr das eigentlich mit der Vhan-Gala mitbekommen?", warf Luca irgendwann in die Runde. Es war eher eine rhetorische Frage, um auf das aktuelle Thema zu sprechen zu kommen, denn es schien praktisch unmöglich, nichts von dem Zwischenfall gehört zu haben. Selbst viele Lichtjahre entfernt auf der Erde hatten die Nachrichten die Runde gemacht.
    "Ja, das ist schon echt übel", meinte Amaia nüchtern. "Wobei ja immer noch nicht geklärt ist, was genau eigentlich passiert ist."
    "Naja, aber die Sache klingt doch schon ziemlich abgefuckt, nicht? Da wird dieser Sänger vor aller Augen erschossen, mitten auf der Veranstaltung. Das wird doch nie im Leben Vhan selbst gemacht haben, oder?" Natürlich spielte Luca auf die Gerüchte an, die sich hartnäckig im Extranet verbreiteten.
    Andrew zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Es würde mich tatsächlich nicht wundern. Aber selbst wenn nicht, Vhan wird sich das so oder so zurecht legen, wie es für ihn am besten passt. Man muss sich nur mal anschauen, was er in den letzten Jahrzehnten gemacht hat. Er ist ziemlich clever."
    "Er ist vor allem ein Verbrecher", zischte Lily verächtlich.
    Ihr Freund nickte bestätigend. "Das auch. Aber er ist sicher smart genug, um Schadensbegrenzung für sein Image zu betreiben. Du darfst nicht vergessen, dass die Demonstranten gewalttätig geworden sind und das Gebäude gestürmt haben. Das wird er sicher benutzen, um sich als Opfer darzustellen."
    Es war klar, dass Andrew, Lily und Luca deutlich mehr Ahnung von dem Thema hatten, als die anderen drei. Rebecca hatte bis vor Kurzem auch noch nie etwas von dem turianischen Patriarchen gehört, höchstens mal auf InSync an einer Ankündigung der Spenden-Gala vorbeigescrollt. Was er davor gemacht hatte, wusste sie nicht.
    Lily hingegen schien besonders in das Thema involviert zu sein. "...auf jeden Fall ist es gut, dass er bekommen hat, was er verdient. Mit ein bisschen Glück kann sich Vhan nicht mehr in der Öffentlichkeit blicken lassen."
    "Das glaube ich kaum", hielt Andrew geduldig dagegen. "Viele der Gäste stehen ja nach der Sache hinter Vhan, immerhin haben seine Leute den Mob davor bewahrt, sie in Stücke zu reißen."
    "Pfff, die Gäste", schnaubte Lily und schüttelte den Kopf. "Diese ganzen reichen Snobs sind doch kein bisschen besser als Vhan. Wer so viel Geld hat, ist mit Sicherheit genauso ein Verbrecher!"
    "Ähm...aber du meinst doch nicht alle, oder?", hakte Luca verwundert nach.
    "Mal im Ernst, wer so reich ist, ist entweder ein Verbrecher oder verdient sein Geld damit, Leute zu verarschen und seine Macht zu missbrauchen. Und das ist doch nichts Anderes. Du glaubst doch nicht, dass diese ganzen Anzugträger in Führungsetagen auch nur einen Bruchteil von ihrem Gehalt wirklich selbst erarbeiten. Die lassen das andere Leute machen und stecken sich das dann in die eigene Tasche. Ist doch schon immer so gewesen!"
    Das kam unerwartet. Für gewöhnlich sprach Rebecca eher ungern über Politik, sie hatte selten das Gefühl, wirklich etwas Sinnvolles zum Thema beitragen zu können und hielt sich lieber zurück. Doch mit einem Mal fühlte sie dieses starke Bedürfnis, Lily zu widersprechen. Heftig zu widersprechen. Eigentlich mochte sie Andrews Freundin wirklich gerne, aber die Bemerkung hinterließ ein fieses Stechen in ihren Eingeweiden und sie wollte die Bemerkung nicht so im Raum stehen lassen. Nur wusste sie nicht, was sie sagen sollte.
    Es war Amaia, die zuerst das Wort erhob. "Das stimmt aber so nicht", hielt die Maori bestimmt dagegen. "Nur weil man in einer Führungsposition arbeitet, heißt das noch lange nicht, dass man ein Verbrecher ist."
    "Ach komm! Wen kennst du denn, der so viel Geld verdient und kein schmieriger Sklaventreiber ist?" Mit ihren Worten forderte Lily das Unheil nur heraus. Das schien sie auf einmal auch selbst zu bemerken, denn ihr Blick wurde für einen Moment unsicher.
    Rebecca räusperte sich. "Meine Mom...", sagte sie kleinlaut ohne Andrews Freundin anzuschauen.
    Eine peinliche Stelle befiel die Runde. Für einen quälend langen Moment herrschte absolutes Schweigen. Irgendwie hatten sie alle mit so etwas gerechnet, immerhin wussten sie alle, wie wohlhabend Rebeccas Familie war. Alle bis auf Lily. Es hatte eine ganz eigentümliche Komik, wie die Frau sich in ihrer Tirade über Vhan und die Vermögenden unbewusst in eine absolute Sackgasse manövriert hatte, aus der sie nun nicht mehr herauskam. In diesem Moment tat sie Rebecca einfach nur leid.
    Lilys Gesicht nahm eine dunklere Farbe an als ihre Haare. "Also...eigentlich meine ich auch...naja..." Verzweifelt rang sie mit den Worten. "Ich wusste nicht, dass deine Mom..." Sie schien zu merken, wie sie es an dieser Stelle nur schlimmer machen konnte und verstummte.
    "Ich weiß schon, was du sagen willst", sagte Amaia schließlich mit ruhiger Stimme. "Und du hast bestimmt auch irgendwo recht. Vhan ist ein ziemlich übler Typ, genauso wie auch viele andere Geschäftsleute. Aber das trifft noch lange nicht auf alle zu."
    "Ich wollte auch nicht sagen, dass...es tut mir leid..."
    "Ich kenne Rebeccas Mom und sie ist großartig! Sie war mehr für mich da, als meine eigene Mutter. Und das obwohl sie wahrscheinlich fünfzig Mal so viel im Jahr verdient." Amaia sagte das auf eine Art, die das Thema auf bestimmte Weise abschloss, ohne Lily weiter in die Enge zu drängen. "Wie sieht es denn eigentlich aus, wollt ihr noch was bestellen?"
    Rebecca war einmal mehr sprachlos. Sie kannte ihre beste Freundin seit der Kindheit und trotzdem war sie immer wieder davon überrascht, wie wundervoll Amaia sein konnte.
    Die Runde nahm den Themenwechsel nur allzu gerne an und sie waren dezent darauf bedacht nicht nochmal auf Politik oder aktuelle Nachrichten zu sprechen zu kommen. Neben sich bemerkte Rebecca, wie Lily eine Weile recht kleinlaut war und sich wohl immer noch ein wenig für ihre unbedachten Aussagen schämte. Also bemühte sich Rebecca, Andrews Freundin wieder mehr in die Unterhaltung mit einzubinden, ohne ihr das Gefühl zu geben, ihre Worte wirklich übelzunehmen. Und nach einer Weile entspannte sich die Stimmung wieder ein wenig.
    "Wisst ihr eigentlich schon, wann genau ihr zusammenziehen wollt?", fragte Rebecca Lily über ihre gemeinsamen Pläne mit Andrew.
    "Oh, noch nicht genau, aber wir hoffen, dass es zum Ende des Monats klappt", meinte die Angesprochene und wirkte erleichtert darüber, nicht nochmal an ihren Ausrutscher erinnert zu werden. "Das hängt ganz davon ab, wie Andrews Prüfungen laufen. Aber das klappt bestimmt."
    "Hoffentlich!", grinste Rebecca und schlug sich hart gegen die Schulter. "Hey! Also, falls ihr dann noch Hilfe beim Umziehen braucht, könnt ihr Bescheid sagen, ja?"
    "Oh...danke! Das ist echt lieb von dir!"

    Am Ende war ihnen allen wichtiger, einfach eine schöne Zeit miteinander zu verbringen, als sich gegenseitig an Haarspaltereien rund um ihre politischen Überzeugungen aufzureiben.
    Allerdings bedeutete das auch, dass Madisons schlechte Laune bald wieder spürbarer wurde und mittlerweile war es nicht nur Rebecca, die die Anspannung der Frau bemerkte. Obwohl Amaia und Andrew versuchten, sie direkt anzusprechen und ein wenig mehr in die Runde einzubinden, blieben ihre Kommentare einsilbig und ohne jedes Interesse, sich mehr als oberflächlich an den Unterhaltungen zu beteiligen.
    Wirklich überraschend war es also nicht, als Madison irgendwann sagte: "Ich mache mich so langsam mal auf den Weg. Muss morgen noch früh raus."
    "Och, echt? Jetzt schon?", fragte Amaia bedauernd.
    "Ja, ich...ich habe noch was zu tun..."
    "Ach komm. Willst du echt schon gehen? Was willst du denn den ganzen Abend alleine zuhause rumhocken!" Es war Lucas üblicher, wenig überzeugender Versuch, die Leute am Gehen zu hindern. Üblicherweise löste das nämlich schnell eine Kettenreaktion aus, welche die Runde meistens schnell auflöste und er blieb am liebsten bis spät in die Nacht weg. Der Alkohol machte seine Zunge schwer und es klang ein wenig ruppig, doch sie alle wussten, dass er es nicht böse meinte.
    Dennoch wirkte Madison einen Moment verärgert, ehe sie abwinkte. "Nee, lieber nicht. Ist schon spät genug..." Sie schaute kurz in die Runde, und als ihr Blick den von Rebecca streifte, löste sie unwillkürlich einen weiteren Tic aus.
    "Du bist hässlich! Niemand mag dich! Hey! Ich liebe dich!"
    "Mann, kannst du nicht einmal die Klappe halten?"
    Madisons aufgebrachte Worte waren wie ein Peitschenhieb. Augenblicklich herrschte völlige Still am Tisch.
    Rebecca erwiderte erschrocken den zornigen Blick ihrer Freundin und bekam kein Wort heraus.
    "Was soll die Scheiße die ganze Zeit?"
    "Ich...ich mach das nicht mit Absicht...doch tue ich! Fuck off! Das sind meine..."

    "Jaja, deine blöden Tics", schnaubte Madison abfällig. "Wer's glaubt."
    Die Worte schlugen Rebecca mit Wucht entgegen und sie konnte sie gar nicht schnell genug verarbeiten. "Aber...das ist doch...ich habe das doch..."
    "Madi, du weißt doch, dass das ihre Krankheit ist!", sprang Andrew ihr zu Hilfe und Amaia nickte zustimmend.
    "Was ist denn los? Stimmt irgendwas nicht?"
    Für einen Moment stierte Madison ihre Freunde zornig an. "Gar nichts ist los", knurrte sie abfällig und wollte sich schon wieder ihrem Smartpad zuwenden.
    Amaia aber ließ nicht locker. "Ach komm, du bist doch schon die ganze Zeit so schlecht drauf. Willst du denn nicht mal sagen, was..."
    "David hat mit mir Schluss gemacht! Und jetzt meldet er sich nicht mehr", schleuderte Madison ihr entgegen. Ihre Stimme zitterte leicht, aber ihr eisiger Blick lag ruhig auf der Maori. "Also danke für gar nichts!"
    Das schien also die Erklärung für ihr Gebaren zu sein, doch obwohl sie es laut ausgesprochen hatte, löste sich die Anspannung am Tisch nicht. Ein eigenartiges Schweigen legte sich über der Runde und es schien, als ob ein falsches Wort ein Unheil auslösen würde. Und es war wie so oft ein Tic, der die Stille durchbrach.
    "Und ich bin schwanger!"
    Die Worte hallten einen unangenehmen Augenblick nach und Rebecca lagen schon ihre üblichen Worte der Entschuldigung auf den Lippen, als Madison plötzlich zum Leben erwachte. Sie ballte ihre Faust, auf ihrem Gesicht stand mit einem Mal ein Ausdruck ungezügelter Wut und sie sprang auf. "Was soll die Scheiße eigentlich immer? Bist du eigentlich noch ganz dicht?"
    An den Tischen um sie herum verstummten plötzlich die Unterhaltungen und unzählige Köpfe drehten sich in ihre Richtung. Doch Rebecca nahm das kaum war, sie erwiderte wie versteinert den zornigen Blick ihrer Freundin. Ihr Hals war wie zugeschnürt, sie bekam keinen Ton raus, selbst wenn sie gewusst hatte, was sie sagen sollte.
    "Madi?" Auch Amaia war völlig perplex.
    "Immer diese dummen Kommentare von euch, warum kümmert ihr euch nicht um euren eigenen Kram?", rief Madison aufgebracht.
    Rebecca verstand nicht, was gerade passierte. "Es...tut mir leid..."
    "Ja klar! Ich bin diese beschissenen Sprüche von dir so leid. Die sind nicht lustig! Die waren schon von Anfang an nicht lustig! Und ihr..." Madison warf einen angewiderten Blick in die Runde. "Ihr glaubt diesen Tourette-Scheiß auch noch!"
    "Aber...das ist doch jetzt Blödsinn!", versuchte Amaia dazwischen zu gehen.
    "Ja, das ist doch jetzt echt daneben", meinte Andrew kopfschüttelnd.
    "Ich bin daneben?", wiederholte Madison lauthals. "Ihr habt sie doch nicht mehr alle. Dass ich mir die ganze Zeit über eure...blöden Sprüche anhören muss, das ist etwa nicht daneben, oder was? Aber wie's mir dabei...dabei geht, ist euch...das ist euch dann egal..." Noch während sie sprach, ging ihre wütende Stimme plötzlich in ein verzweifeltes Heulen über und sie hatte kaum zu Ende geredet, da packte sie auch schon ihre Jacke und ihre Tasche und machte sich schluchzend auf den Weg zur Tür.
    "Madi! Warte!" Amaia erhob sich hastig und eilte ihrer Freundin hinterher.
    Wie vom Donner gerührt saßen die verbliebenen vier Freunde am Tisch und starrten fassungslos ins Leere, so als ob niemand der Erste sein wollte, der das Wort erhob. Sie wussten nicht so richtig, was gerade eigentlich passiert war.
    Erst jetzt bemerkte Rebecca, wie ihr Herz bis zum Hals schlug. Niemals hätte sie damit gerechnet, so angegangen zu werden. Schon gar nicht von Madison. Sie kannte sich doch schon seit etlichen Jahren, waren immer gut miteinander befreundet gewesen. Wie konnte es sein, dass sie Rebecca plötzlich so anfuhr? Glaubte sie ihr wirklich nicht, dass sie Tourette hatte? Oder war sie einfach nur aufgewühlt wegen David und hatte sich selbst nicht mehr im Griff?
    Mit einem Mal spürte sie ein schweres Verlangen danach einfach aufzustehen und Madison ebenfalls nachzueilen. Doch ein Teil von ihr war noch immer wie gelähmt und versuchte zu verarbeiten was gerade passiert war, bloß schaffte sie es nicht, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.
    "Müssen wir uns Sorgen machen?", wollte Lily leise von ihrem Freund wissen. Sie kannte Madison nicht sonderlich gut und wirkte ein wenig besorgt. Verständlicherweise.
    Andrew zuckte mit den Schultern. "Ey, ich habe keine Ahnung. Ich wusste gar nicht, dass sie und David sich getrennt haben."
    "Jaah...sie sah schon den ganzen Abend so unglücklich aus. Hast du das auch gemerkt?"
    Wie von alleine erhob sich Rebecca von ihrem Platz. Ohne etwas zu sagen schnappte sie sich ihre Jacke und trat nach draußen. Eine Wand aus kalter Winterluft schlug ihr gnadenlos entgegen. Es war bereits recht spät und die winterlichen Winde trieben die meisten Leute aus den Straßen und rein in die Wärme von Clubs, Bars oder dem eigenen Zuhause. Also war es wenig verwunderlich, dass in den Lichtkegeln der Straßenbeleuchtung niemand zu sehen war.
    Niemand bis auf zwei dunkle Gestalten, die sich ein Stück die Straße runter gegenüberstanden. Ihre Stimmen waren so laut, dass sie bis zu Rebecca hinüberwehten. Und kaum drangen die Worte zu ihr, wünschte sie sich, sie wäre drinnen sitzen geblieben.
    "...die ganze Zeit schon wie Dreck behandelt! Und ihr seid kein bisschen besser!" Madison schrie fast, sie war völlig außer sich und das Zittern in ihrer Stimme und das leise Schluchzen zwischen ihren Worten zeigten, wie aufgewühlt sie war.
    Auch Amaia wurde laut. "Das stimmt doch gar nicht, Madi! Wir wollen dir nur helfen."
    "Pah! Von wegen! Ihr interessiert euch doch einen Scheiß, wie es mir geht. Seit Wochen schon...immer geht um Rebecca. Egal was ist, immer dreht sich alles um sie und...ihr dummes Tourette!"
    Wie in Zeitlupe bewegte sich Rebecca voran. Mit jedem Schritt wollte sie einfach wieder umkehren. Sie hatte keine Ahnung, was gerade geschah. Es war wie ein Fiebertraum.
    Amaia bekam kaum ein Wort heraus. Sie schien ähnlich überfordert zu sein. "Madi...sie hat das doch erklärt...das ist ihre Krankheit. Und außerdem...wir wollen doch auch gar nicht die ganze Zeit darüber reden..."
    "Ach, Mai, wie blöd bist du eigentlich?", schnauzte Madi sie gnadenlos an. "Als ob das eine Krankheit ist, was für ein Schwachsinn. Rebecca tut doch einfach nur so! Hauptsache alles dreht sich um sie, Hauptsache alle schauen nur zu ihr. Das hat sie immer schon gemacht! Was glaubst du, warum sie immer mit uns rumgehangen hat? Sie will doch einfach nur, dass alle sich nur um sie kümmern. Wir sind ihr doch scheiß egal!"
    "Was...Madi? Was redest du...?" Amaia klang völlig verzweifelt und selbst den Tränen nah.
    "Natürlich merkst du das nicht, du glaubst ihr auch jeden Scheiß! Außerdem..." Plötzlich unterbrach sich Madison, als ihr Blick an Amaia vorbeiging und sie Rebecca in einiger Entfernung bemerkte. Ihre Wangen glänzten feucht im Licht der Straßenlaternen, doch auf ihrem Gesicht stand kalte Wut. Sie atmete schwer, als ob sie gerannt wäre und starrte für einen Moment regungslos auf die Frau, über die sie gerade hergezogen hatte. Und dann, ohne Vorwarnung, fuhr Madison auf dem Absatz herum und lief mit schnellen Schritten davon.
    "Madi! Warte!" Als Amaia ihr schon nachsetzen wollte, fuhr Madison herum, ihr Gesicht zu einer wütenden Fratze verzerrt.
    "Hau ab! Lass mich in Ruhe!"
    Regungslos verharrten Rebecca und Amaia, während ihre Freundin um die nächste Straßenecke verschwand. Weder verstanden sie, was gerade passiert war, noch wollten sie es wahr haben. Doch es dauerte nicht lange, bis die Erkenntnis langsam in ihren Verstand sickerte.
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  19. #59
    #16  Avatar von Forenperser
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    Spoiler:(zum lesen bitte Text markieren)
    Zitat Zitat von Shepard Commander Beitrag anzeigen
    Ist das Serum vorbereitet?
    Das asiatische Antlitz Dr. Yingjun blinzelte durch den Bildschirm, rückte die gefärbte Brille zurecht und nickte dann ausdruckslos. Auf Seeva wirkte der Mensch immer ein wenig wie die zum Leben erweckte Abbildungen von Totenschädeln, die in der menschlichen Kunst und Kultur weit verbreitet waren.
    Sehr gut. Lassen Sie es herbringen.“ Sie beendete die Übertragung nach dem Befehl und wandte sich einem anderen Bildschirm in ihrer Kommandozentrale zu, an dem Pater Lacan saß und italienischen Cantuccini in Kaffee dippte. Noch einmal las sie sich die Nachricht durch.

    Sehr geehrter Mister Vhan,

    wie Sie sich sicherlich mittlerweile denken können, befindet sich Ihre Frau in meinem Gewahrsam. Die Ihnen dadurch entstandenen Unannehmlichkeiten bitte ich zu entschuldigen. Seien Sie versichert, dass es Ihrer Frau zu diesem Zeitpunkt gut geht. Sie ist bei bester Gesundheit, unversehrt und – abgesehen von einem kurzen Schock – wohlauf. Ich werde ich persönlich um Miss Vhans Vorstellung bei meinem Leibarzt kümmern. Machen Sie sich also bitte keine Gedanken um ihre körperliche Unversehrtheit.

    Ich würde es begrüßen, wenn Sie mir im Gegenzug für meine Gastfreundschaft Ihrer Frau gegenüber, einen Gefallen erweisen würden.
    Sie verfügen über Wissen und Daten, die für mich von großem Interesse sind. Wenn Sie die Güte besitzen würden, mir Zugriff auf ebendies zu gewähren, wäre ich Ihnen zutiefst verbunden.

    Ich werde Ihnen baldmöglichst Informationen zum Zustand Ihrer Frau und einen Termin zu einem persönlichen Treffen zukommen lassen.

    Ich hoffe, dieses Schreiben erreicht Sie bei bester Gesundheit. Und bitte: Beachten Sie die mediale Bearbeitung der Vorfälle auf Ihrer Gala nicht so ernst. Wir beide wissen, dass Sie nicht so schlimm sind, wie dargestellt.

    Hochachtungsvoll

    S.T.


    Die Asari nickte.
    Sie wissen, was zu tun ist“, sagte sie an den Priester gewandt und kümmerte sich nicht weiter um die Aktionen des Geistlichen. Er würde die Nachricht verschlüsselt, nicht zurückverfolgbar und in Echtzeit an ihr Ziel bringen. Seeva klopfte einmal auf Lacans Stuhllehne, dann verließ sie den Raum.

    Valeynia Vhan nestelte angespannt an den Enden ihrer Krallenfinger, die zusammengelegt auf der schneeweißen Tischplatte lagen. Das Panoramafenster gegenüber ihrem Sitzplatz gab den Blick auf den Turm des Citadelrats frei. Von hier aus konnte man sogar die immerroten Blätter der Bäume dort erahnen. Nervös zusammenzuckend fuhr sie herum, als sich mit leisem Zischen eine Tür in ihrem Rücken öffnete. Sie sah eine Asari in einem eleganten Kleid. In ihrem blauen Gesicht lag ein freundliches Lächeln, das sie Lippen gerade so weit öffnete, dass Zähne von derselben weißen Intensität wie die Tischplatte aufblitzten. Kleine Fältchen umspielten ihre Mundwinkel, in ihrem Blick lag so etwas wie beruhigende Wärme.
    Miss Vhan, mein Name ist Seeva“, sagte die Frau mit einer Stimme weich wie Seide. Sie kam zum Tisch und berührte Valeynias Krallen mit schlanken Fingern. An ihren Handgelenken klingelte Silber.
    Das alles tut mir schrecklich leid. Sie müssen schrecklich verwirrt sein. Erinnern Sie sich an irgendetwas?
    Valeynia schüttelte den Kopf und fasste sich dann in den Nacken.
    Ich erinnere mich an gar nichts. Nur… die Gala… Lärm. War da nicht Lärm? Irgendetwas ist passiert?“ Die Erinnerung rüttelte naheliegende Sorgen in ihr wach. „Mein Mann, Decius, wo ist er? Geht es ihm gut?“ Wieder war da das beschwichtigende Lächeln der Asari. Der Druck ihrer Hand auf Valeynias verstärkte sich.
    Es geht ihm gut, soweit ich weiß. Hat man Ihnen schon ein Getränk angeboten?
    Wo bin ich hier? Wie bin ich hergekommen?“, fragte die Turianerin nach einem verneinenden Kopfschütteln.
    Die Asari antwortete nicht sofort. Ihre Augen huschten hilfesuchend über die Tischplatte. Ihr Zögern verunsicherte Valeynia. Sie sah, wie sich die Asari auf die blaue Lippe biss, dann antworte sie: „Sie sollten etwas trinken. Und ruhig bleiben. Ich erkläre Ihnen alles.“ Sie schnipste mit den Fingern, ihre Nägel weiß bemalt. Jemand betrat den Raum und die Asari namens Seeva orderte ein Glas Mairalak – ein turianisches Heißgetränk aus Kräutern von Palaven, das den Stress reduzieren sollte. „Bleiben Sie ruhig hier sitzen, meine Liebe“, sagte sie, schenkte Valeynia ein aufmunterndes Alles-wird-gut-Lächeln und erhob sich, um die Getränke zu organisieren.

    In Valeynias Kopf rasten die Gedanken. Was war bei der Gala passiert? Sie erinnerte sich an Lärm, an die Rede ihres Mannes und – nein – erst die Rede, dann der Lärm und dann… plötzliche, sie wie dickes Tuch umhüllende Schwärze. Und dann war sie plötzlich mit benebelten Gedanken hier in diesem weitläufigen Zimmer aufgewacht, auf diesem eleganten Sofa dort, wo noch immer eine überhaupt nicht zum Stil passende Wolldecke lag. Die Asari kam zurück. Jeder Tritt ihrer weißen, geschnürten Pumps gab ein widerhallendes Klicken ab.
    Hier, bitte sehr“, sagte Seeva und stellte eine Tasse aus feinem, dünnem Glas ab auf einem mitgebrachten Untersetzer ab. Valeynia bedankte sich und schaute der Asari nach, wie sie den Raum durchmaß und bei einem gläsernen, mit Kristallen und Steinen dekorierten Abstellschränkchen halt machte und dort ein hohes, dünnes Glas mit Wasser füllte. Noch immer lächelnd kam sie zurück. Sie stellte das Wasser vor der Turianerin ab, dann zog sie einen der insgesamt acht freien Stühle an dem Tisch zurück, setzte sich und überschlug die Beine.
    Wo bin ich hier?“, wiederholte Valeynia ihre Frage.
    Sie sind in den Kammern eines Ratsgebäudes – und absolut sicher.
    Warum bin ich hier? Wo ist mein Mann? Mein Sohn? Mein Enkel?
    Soweit ich weiß, geht es allen gut“, beruhigte die Asari sie. „Trinken Sie erst einmal etwas.
    Ich will jetzt nichts trinken!“, brauste Valeynia auf. Im nächsten Moment schämte sich ob ihres Verhaltens und sank in den Stuhl zurück. „Tut mir leid.
    Machen Sie sich keine Sorgen“, sagte die immerlächelnde Asari. „Sie sind aufgewühlt und das ist nur verständlich, nach dem, was Ihr Mann getan hat. Und dann diese furchtbaren Ereignisse… Ich will mir gar nicht ausmalen müssen, wie Sie sich fühlen.
    Im Glanz der turianischen Augen rangen Panik und Verwirrung miteinander. „Was meinen Sie damit?“
    Naja… diese ganzen Enthüllungen… Was Ihr Mann getan hat und…
    Ich… verstehe nicht.
    Die Asari legte den Kopf schief. Die Verwirrung in Valeynias Gesicht schien echt.
    Sie wissen es wirklich nicht“, stellte die Asari überrascht fest. Wie dumm konnte diese Frau sein? Wie blind vor der Wahrheit? Ein Leben zusammen mit einem Psychopathen, einem Terroristen, einem Mörder und kein Funken von Argwohn. „Vermutlich ist es nicht an mir, Ihnen das zu erzählen“, sagte Seeva abwehrend. Diesmal war es Valeynia, die ihre Hand nach der der Asari ausstreckte. In ihrer Stimme lag etwas Flehendes.
    Bitte, was ist los?
    Seeva lächelte. Diesmal hatte sie Mühe, das gekünstelte Lächeln zu erhalten und den diabolischen Ausdruck von ihren Lippen fernzuhalten. Sie hatte angebissen.


    Der alte Turianer war tief in seine Gedanken versunken, als das akkustische Signal seines Posteingangs seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Natürlich war ihm bereits bevor er die Nachricht geöffnet hatte klar, wer sie geschickt hatte.
    Als er die Zeilen las welche sie verfasst hatte begann es wieder in ihm zu brodeln. Sie verspottete ihn. Wie sie es auf der Feier bereits getan hatte. Sie dachte sie hielt alle Karten in der Hand. Doch auch wenn ihr letzter Zug dem Spiel eine Wendung zu ihren Gunsten gegeben hatte, so war es noch lange nicht vorbei. Er hatte zu viel in diese Sache gesteckt um jetzt aufzugeben.
    Nachdem er die Nachricht gelesen hatte, checkte er den Status seiner Leute ab. Sowohl beide Wozyos-Vettern, als auch Elysa Zokhar hatten ihre Befehle ausgeführt und waren in den organisierten Transportern von der Station abgeflogen. Ein Problem weniger.
    Mit einem Tippen auf sein Omni-Tool öffnete er einen Kanal. "Halten Sie sich bereit." Mit dieser kurzen Anweisung schloss er ihn wieder.
    Dann machte er sich daran die Nachricht zu beantworten.

    "Nennen Sie mir Ort und Zeit für ein Treffen samt Übergabe. Ich werde nichts versenden. Und geben Sie mir einen Beweis für ihr Wohlbefinden. Vorher werde ich auf nichts eingehen."

    Decius hielt die Nachricht bewusst kurz. Er wollte sich zu keinem Ausbruch in einer längeren Nachricht hinreissen lassen, welchen sein Feind ihm als Schwäche auslegen konnte.
    Was nun kam würde den bislang risikoreichste Teil der gesamten Operation darstellen. Wenn es schiefging, konnte es sämtliche seit Jahren vorbereitete Planung zerstören. Dann mussten sie umdisponieren.
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  20. #60
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    Obwohl das trübe Tageslicht rasch der früh einsetzenden Dunkelheit wich, machten sie keine Anstalten, das Licht in Rebeccas Zimmer anzuschalten. Es wäre eine völlig triviale Handlung gewesen, doch für sie beide erschien im Moment selbst das wie eine unerträgliche Anstrengung. Also saßen sie weiter regungslos zusammen auf dem Bett und starrten in die Ferne, während draußen ein Schatten über das Land zog.
    Eine ganze Weile war nichts zu hören, außer das gelegentliche "Buuuiieeh!" von Rebecca oder dem dumpfen Pochen, wenn sie sich selbst gegen die Schulter schlug. Fast schien es besser einfach gar nichts zu sagen, einfach nur in dieser gemeinsamen Stille zu bleiben. Doch Rebecca plagten so viele Dinge, über sie sprechen wollte und sie konnte spüren, dass es Amaia nicht anders erging. Es war nicht, dass sie nichts zu sagen hatten. Viel eher hatten sie nicht das Gefühl, Worte würden ausreichen, ihre Gedanken wirklich auszudrücken.
    Seit dem furchtbaren Abend im Harmony und Madisons Ausbruch waren mittlerweile drei Tage vergangen, doch es war seitdem das erste Mal, dass sie sich zusammensetzen und direkt darüber reden konnten. Und trotzdem schwiegen sie sich einfach nur an. Das alleine war schon unheimlich genug und Beweis dafür, wie ernst die Sache wirklich war.
    "Glaubst du Madison wird sich nochmal melden?" Warum ausgerechnet diese Frage über ihre Lippen kam, wusste Rebecca nicht. Doch es war eine dieser vielen Ungewissheiten, die sie seit Tagen plagten.
    Dass Amaia nicht sofort antwortete, sagte mehr, als jedes gesprochene Wort. Selbst ihre beste Freundin konnte in ihrem grenzenlosen Optimismus keine Zuversicht schöpfen. "Ich weiße es nicht", seufzte sie bedrückt.
    Sie beide hatten immer wieder versucht, Madison zu erreichen. Nachrichten bei InSync, Anrufe, Amaia war sogar bei ihr Zuhause gewesen und hatte vergeblich an der Tür geklingelt, ihre Freundin weigerte sich beharrlich, noch einmal mit ihnen zu reden. Alles, was ihnen nun blieb, waren die Worte, welche Madison in ihrem Zorn Amaia entgegengeschleudert hatte. Es war ungemein schmerzhaft sich das immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, vor allem für Rebecca, doch am Ende wurden sie immer noch nicht daraus schlau. Wie konnte es sein, dass Madison, mit der sie schon seit so vielen Jahren befreundet waren, sich so plötzlich gegen sie stellte? War sie wirklich nur aufgewühlt gewesen wegen David? Oder hatte sie diese Gefühle schon länger mit sich herum getragen? So hatten zumindest ihre Vorwürfe gegenüber Rebecca geklungen.
    "Vielleicht braucht sie einfach nur eine Weile für sich", meinte Amaia nach einer Weile. Sie sprach diesen leisen Funken Hoffnung an, den sie beide versuchten am Leben zu erhalten.
    "Jaah...vielleicht..."
    Tatsächlich wusste Rebecca nicht einmal, was sie sich genau davon erhoffte mit Madison zu sprechen. Eine Erklärung? Eine Rechtfertigung? Eine Entschuldigung? Madisons Worte hatten sich in ihren Kopf eingebrannt und sie taten auch drei Tage später immer noch weh. Wie eine besonders heftige Verletzung, die einfach nicht alleine heilen wollte, egal wie viel Medigel man auftrug. Doch es gab tatsächlich etwas, das sie unbedingt wissen wollte und dafür musste sie nicht einmal Madison fragen.
    "Mai...kann es nicht sein, dass Madison...ein Fisch ist? Ich liebe Fisch! Fuck off! Dass Madison recht hat?"
    Die Maori drehte sich zu ihr. Im düsteren Dämmerlicht waren ihre Züge kaum zu erkennen, doch Amaia schien verwundert. "Recht womit?"
    "Dass ich...naja...dass ich...dass ich schwanger bin! Hey! Ich habe deine Kinder entführt. Also..." Je länger sie um den heißen Brei herumredete, desto schlimmer wurde es. "Was ist, wenn sie recht hatte mit dem, was sie über mich gesagt hat..."
    Ein wütendes Schnauben ertönte. "Das kann doch nicht dein Ernst sein!"
    "Mai..."
    "Nein, Becky! Das ist einfach nur Blödsinn! Madi hat Scheiße geredet und das weißt du!"
    "Mai! Bitte! Ich will nicht streiten..."
    Amaia seufzte schwer und senkte ihre Stimme wieder. "Tut mir leid...ich musste halt die ganze Zeit daran denken, was sie über dich gesagt hat. Das war einfach so daneben von ihr. Und es stimmt überhaupt nicht."
    Es war ein schönes Gefühl, dass Amaia zu ihr hielt, doch der Knoten in ihrer Brust wollte sich nicht so recht lösen. "Aber irgendwie hat sie doch schon recht gehabt...damit, dass wir ihr nicht geholfen haben. Oder?"
    Wieder verriet Amaias anfängliches Schweigen, dass sie sich ganz ähnliche Gedanken gemacht hatte. "Vielleicht schon", gab sie zu, doch dann wandte sie sich ihrer besten Freundin zu und sagte bestimmt: "Aber das hat nichts mit dir zu tun. Oder deinem Tourette. Selbst wenn sie das so gesagt hat, sie hat sich geirrt. Wir hätten vielleicht...vielleicht mal mit ihr darüber reden müssen. Vielleicht hat sie auch gedacht, dass wir sie die ganze Zeit nur verarschen oder so..." Ab hier konnten sie nichts weiter tun, als wilde Theorien aufzustellen und das würde ihnen auch nicht weiterhelfen.
    Am Ende blieben so viele Fragen offen und so tröstend es auch gewesen war, sich offen über Madisons Ausraster austauschen zu können, so sehr blieb ihnen beiden dieses schmerzliche Gefühl, dass sie womöglich eine ihrer besten Freundinnen verloren hatten. Und sie verstanden nicht einmal wieso.
    "Ich muss dann auch los", verkündete Amaia verdrossen mit einem Blick auf die Uhr. Ihre Schicht im Harmony stand an und zum ersten Mal, seit die Maori den Job angenommen hatte, wirkte sie absolut unmotiviert.
    Rebecca drückte sie kurz an sich. "Dann viel Spaß, Mai. Geh nach Hause! Niemand mag dich! Ich liebe dich! Hey!"
    Mit zaghaften Schritten und vorsichtig nach den Möbeln tastend bewegte sich Amaia in Richtung Tür. "Aua!" Dem lauten, dumpfen Knall nach war sie mit dem Schienbein gegen die untere Schublade des Kleiderschranks gestoßen, die noch halb offen gestanden hatte. "Ahh! Mist..."
    Rebecca kicherte ein wenig. "Alles in Ordnung?"
    "Jaja, geht schon", gab die Maori halb schmerzverzerrt, halb erheitert zurück. Sie schob sich weiter zur Tür und betätigte den Lichtschalter, ehe sie nach draußen trat. Dann hielt sie noch einmal inne und schaute zu ihrer besten Freundin. "Wir sehen uns dann, ja? Aber versprich mir bitte, du nimmst dir das nicht so zu Herzen, was Madison über dein Tourette gesagt hat!"
    Einmal mehr bewies Amaia ihre fast schon prophetischen Fähigkeiten, wenn es um ihre beste Freundin ging.


    Die eiskalten Winde und die wolkenverhangenen Himmel boten willkommene Ausreden, um drinzubleiben und am Fenster sitzend nach draußen aufs Meer zu schauen. Nicht dass ihr irgendjemand solche Ausreden abnehmen würde. Wer Rebecca kannte, wusste, sie würde für gewöhnlich nicht zwei Wochen lang auf ihrem Zimmer hocken ohne einen Fuß vor die Tür zu setzen. Bloß war das hier nicht gewöhnlich für sie. Selbst wenn draußen zurzeit der schönste Sommer herrschen würde, hätte sich Rebecca nicht von hier fortbewegt.
    Genau wie die Wellen immer wieder über den Strand rollten und sich wieder zurückzogen, kamen auch die Tränen.
    Sie war wieder am Anfang. Wieder da, wo sie seit ihrem Zusammenbruch in Wellington Anfang des Jahres gewesen war. Damals war es Amaia gewesen, die sie mit ihrer plötzlichen Rückkehr nach Neuseeland aus ihrer Isolation gelockt hatte. Tatsächlich war Rebecca in den vergangenen Tagen erst bewusst geworden, wie häufig sie wieder das Haus verlassen hatte. Treffen im Harmony mit ihren Freunden, der Reitausflug mit Amaia und der Besuch im Tonstudio waren alles Dinge, die sie sich noch vor ein paar Monaten niemals getraut hätte. Sie hatte sogar endlich mal DnD ausprobiert, wo ihre beste Freundin sie doch schon seit Jahren dazu hatte überreden wollen. Und mit einem Mal verstand sie gar nicht, wie sie geschafft hatte, sich zu all dem durchzuringen.
    Wenn sie jetzt daran dachte, nochmal mit ihren Freunden ins Harmony zu gehen, wurde ihr ganz flau im Magen. Viel mehr, als noch vor zwei Wochen. Es ging so weit, dass sie wieder mit Panikattacken zu kämpfen hatte. Die hatte sie zuletzt mit acht Jahren gehabt, als sie noch nicht gewusst hatte, woher ihre Tics kamen und sie in der Schule dadurch immer wieder in Schwierigkeiten geraten war.
    Und es wurde nur schlimmer, denn noch immer wurde ihre Mutter nicht müde, sie immer wieder darauf hinzuweisen, sie müsse sich allmählich nach einem Job umschauen und sich Gedanken machen, wie sie ihr Leben in den kommenden Jahren gestalten wolle. Ihr Vater hatte ihr vor so langer Zeit versprochen, er würde sie nicht rauswerfen, egal wie lange sie brauchen würde, um sich mit ihrem neuen Leben zurechtzufinden. Trotzdem befürchtete sie jeden Tag, dass ihre Mutter ihr ein Ultimatum setzen würde. Ein Teil von Rebecca wusste auch, sie würde nicht eher aus dieser Ohnmacht aufwachen, bis ihr absolut keine andere Wahl blieb.
    Doch nichts dergleichen geschah. Ihre Mutter war spürbar unzufrieden darüber, dass sie ihre Tochter nicht umstimmen konnte, aber sie machte keinerlei Anstalten, Rebecca ernsthaft unter Druck zu setzen.
    Also saß Rebecca in ihrem Zimmer. Von früh bis spät. Jeden Tag. Es war, als wären diese vergangenen Wochen mit all ihren Ausflügen nie gewesen. Diese Angst davor unter Leuten zu sein, die Angst vor den ablehnenden Reaktionen auf sie und ihr Tourette hatte neue Nahrung bekommen. Egal wie häufig Amaia behauptete, dass Madison einfach nur aufgewühlt wegen ihrer Trennung gewesen war, die Worte der Frau hatten sich in ihren Kopf eingebrannt.
    Amaia versuchte sie immer wieder davon zu überzeugen, dass ihr niemand ihre Tics übelnahm. Doch Madison hatte ihnen gezeigt, dass das nicht stimmte. Vielleicht wollte ihr niemand offen Vorwürfe wegen ihrer Krankheit machen, vielleicht wollte niemand gemein zu ihr sein, vielleicht wussten sie, dass sie keine Kontrolle darüber hatte und es nicht ihre Schuld war. Andrew, Luca, Lily, sie mochten Rebecca nicht offen ins Gesicht sagen wollen, wie unerträglich sie ihre Gegenwart fanden, doch sie hatte es bemerkt. Je länger sie darüber nachdachte, desto sicherer war sich Rebecca. Das Unbehagen auf ihren Gesichtern, wenn sie ihnen wirre Phrasen ins Gesicht schleuderte, der Schrecken, wenn sie anfing mit ihren Armen herumzufuchteln oder plötzlich auf den Tisch klatschte und Gegenstände umherwarf. Selbst nur in ihrer Nähe zu sein, war sicherlich schon beunruhigend, wo ihr Gesicht sich doch ständig zu grotesken Grimassen verzerrte und sie selten länger als eine Minute still sitzen konnte.
    Für Amaia mochte es einfach sein, all das zu ignorieren. Doch seit dem Abend im Harmony fragte sich Rebecca, wie viele ihrer Freunde genauso über sie dachten wie Madison. Und wie viele von ihr die Sache mit dem Tourette überhaupt glaubten.
    Mittlerweile war es zur Gewohnheit für sie geworden, auf Social Media in ihre privaten Nachrichten zu schauen, in der Hoffnung, Madison würde sich endlich melden. Doch wie immer, wenn sie auf den Chatverlauf mit Madison schaute, stand dort nur: 'Zuletzt online vor 2 Wochen'. Die letzten Nachrichten, die sie miteinander geschrieben hatten, waren noch wegen Amaias Geburtstagsgeschenk gewesen.
    Normalerweise würde sie sich versuchen mit ihrem Insync-Feed abzulenken, doch das schien im Augenblick alles nur schlimmer zu machen. Überall waren Leute zu sehen, die ihre tollen Erfahrungen mit der Welt teilten und es war jedes Mal ein Stich in der Brust, wenn Freunde und Bekannte Bilder von sich posteten und dabei so selig in die Kamera lächelten.
    Mit einem Seufzen schaltete Rebecca ihr Smartpad wieder aus und legte sich auf ihr Bett.
    Dabei fiel ihr Blick auf das Datapad, welches auf ihrem Nachttisch lag und sie stutzte einen Moment. Ihr fiel ein, dass sie es vor ein paar Stunden beim Aufräumen ihres Schreibtisches hier abgelegt hatte. Natürlich wusste sie sofort, worum es sich handelte. Die viel zu vielen kunterbunten Sticker, die das Pad zierten und das Namensschild mit ihrem handgeschriebenen 'Eigentum von Rebecca Lynge' verrieten, dass es sich um ihr Schul-Pad handelte.
    Wieder überkam sie diese melancholische Nostalgie und sie griff nach dem Gerät und schaltete es ein. Sie öffnete die Ordner mit ihren alten Gedichten und sah die Dateien mit Namen wie 'Pizza und Pasta' und 'Ich mag den Sommer'. Für einen kurzen Moment schlich sich tatsächlich ein Lächeln auf ihr Gesicht, doch es verlosch recht schnell wieder.
    "Ich liebe dich! Fuck off! Hey!"
    Sie war wirklich wieder am Anfang. Genau dort, wo sie vor einigen Wochen gestanden hatte, als sie und Amaia sich gegenseitig diese Gedichte vorgelesen hatten. Mit der gleichen Verzweiflung und den gleichen Sorgen. Nur war sie dieses Mal alleine.
    Lustlos scrollte Rebecca durch den Ordner und ließ die Augen immer wieder über die Liste mit Dateien schweifen, ohne wirklich irgendetwas Bestimmtes zu denken. Irgendwann blieb ihr Blick an einem der Titel hängen. 'Hey, kleine Blume!' Dem Erstellungsdatum der Datei nach musste es ein Gedicht aus ihrem sechsten Schuljahr sein. Mit wachsender Neugier öffnete sie die Datei und las sich die Zeilen durch.
    "Hey!"
    'Hey, kleine Blume!
    Erzähl mir eine Geschichte,
    Von allen deinen Freunden
    und dem Wind?
    Wir verbringen unsre Zeit zusammen,
    alles ist so viel schöner,
    wenn wir zusammen sind.'
    Fast schon musste Rebecca lachen. Es war diese Phase gewesen, in der sie gedacht hatte, dass feste Reimschemen und Rhythmen völlig überbewertet seien und ihre Gedichte eine eher willkürliche Form angenommen hatten. Doch davon mal abgesehen, war es überraschend schön. Das Gedicht hatte fünf Strophen und erzählte eine kleine Geschichte, die ein sehr tragisches Ende nahm, denn die kleine Blume verwelkte und starb mit Einbruch des Winters. Sprachlich war es sicherlich kein Highlight, darin war Rebecca nie so gut gewesen, wie ihre beste Freundin. Doch es war zumindest immer noch um Längen besser als 'Pizza und Pasta'.
    Rebecca las die Zeilen mehrmals und ein trauriges Lächeln umspielte ihre Lippen. Es war ein eigenartiger Gedanke, sich ihr zwölfjähriges Selbst vorzustellen, wie es diese Verse schrieb, völlig ahnungslos, dass sie so viele Jahre später hier liegen und sie es sich noch einmal durchlesen würde. Irgendwie war es traurig und tat wirklich weh, doch andererseits hatte es etwas seltsam Beruhigendes, sich an schönere Zeiten zurückzuerinnern. Sie wusste, dass sie das nicht tun sollte, sie tat sich damit keinen Gefallen, in der Vergangenheit zu verweilen und ironischerweise war das Gedicht selbst eine Erinnerung daran, dass sich manche Dinge einfach änderten und nicht für immer waren.
    Und damit waren ihre Gedanken wieder bei Madison und Tränen füllten ihre Augen. Manche Dinge schienen wirklich nicht ewig anzudauern.


    "...a touch, a beat, a wave of heat,
    that hits the heart.
    A thought that sticks and flips a switch
    and shakes me up.
    A little thing that I let in,
    a word that sparks,
    that hits my heaaaa-aa-aart
    Come hit my heart!"

    Von Amaia ertönte ein frustriertes Schnauben. "Ach, Mist. Können wir den Refrain nochmal machen? Ist immer dasselbe, entweder ich spiele den Akkord falsch oder sich treffe den Ton nicht..."
    Rebecca schaute leicht verwundert zu ihr. Ihre beste Freundin schaute konzentriert auf das Griffbrett ihrer Gitarre und ging noch einmal die Akkorde des Refrains durch. "Klar!", sagte sie und fügte unwillkürlich hinzu: "Ich kann auch einen Kuchen backen! Buuiieeh! Aus B-b-b-bananen! Fuck off!"
    Den letzten Refrain des Songs zu wiederholen war kein Problem für sie. Im Gegenteil. Sie mochte das Lied total gerne und das Ende war ein besonders schönes Crescendo aus allem, was in den Strophen und Refrains davor eingeführt wurde. Sie war eher sogar froh, den Part noch einmal spielen und singen zu können.
    Doch als der letzte Ton verklungen war und Amaia dieses Mal deutlich zufriedener mit ihrer Performance wirkte, lehnte sich Rebecca fragend nach vorne. "Sag mal, Mai...warum nimmst du das denn in letzter Zeit so total ernst?"
    Die Maori schaute ertappt auf. "Hm?"
    "Wenn wir spielen...du bist irgendwie immer so...angespannt."
    Für einen Moment schien Amaia das abstreiten zu wollen, die Reaktion auf ihrem Gesicht verriet, wie sie schon nach einer Ausrede suchte. Allerdings merkte sie wohl schnell, dass sie davon nicht ablenken konnte. Denn schon bei ihren letzten Treffen, bei denen sie zusammen musiziert hatten, hatte Amaia immer wieder Lieder von vorne anfangen und richtig proben wollen. Dabei spielten sie beide auch so schon ganz gut. Nicht hundertprozentig perfekt, manchmal schlichen sich noch ein paar Fehler rein und Manches klang vielleicht auch nicht ganz so gut, wie sie es gerne hätten, aber das hatte sie sonst eigentlich auch nie gestört. Aber jetzt wirkte ihre beste Freundin verbissen daran zu sein, die Songs fehlerfrei zu beherrschen.
    "Also...eigentlich dachte ich nur...", setzte Amaia zu einer Erklärung an, tat sich aber sichtlich schwer. "Es ist so...wir spielen halt schon seit so vielen Jahren zusammen, aber manchmal denke ich mir halt...wir könnten doch auch mehr machen, weißt du?"
    "Was meinst du mit 'mehr'?"
    "Hm...du weißt doch, dass ich in letzter Zeit gerne mal Videos auf InSync hochlade, nicht?"
    Rebecca starrte sie ungläubig an. "Du willst uns filmen?"
    Mit einem gewinnenden Lächeln nickte Amaia.
    "Nein!"
    "Ach, Becky...komm...!"
    "Nein!" Rebecca schüttelte ihren Kopf, anfangs noch gewollt, dann sehr heftig, als ihr Tourette die Kontrolle übernahm.
    "Denk doch mal drüber nach...!"
    "Ich will das nicht, Mai!" Ein wenig wunderte sich Rebecca selbst darüber, wie sie vehement sie den Vorschlag ablehnte und dabei auch merklich die Stimme erhob.
    Ihre beste Freundin wirkte schwer enttäuscht. Sie überlegte einen Moment, was sie sagen sollte. "Willst du es denn nicht einmal probieren? Wir müssen das doch auch nicht hochladen, ich würde das niemals machen, wenn du nicht einverstanden bist!"
    Es klang durchaus wie ein vernünftiges Argument und Rebecca wusste, dass sie sich auf Amaia verlassen konnte. Doch wie von alleine schüttelte sie wieder nur den Kopf. "Wozu denn, Mai? Im Ernst...du bist hässlich! Nein, ich meine...du bist hässlich! Buuuiieeh! Ich meine das Ernst! Fuck off...! Ach, Mann..."
    "Es wäre doch echt cool, mal sowas online zu posten, nicht?", probierte es Amaia vorsichtig weiter. "Du hast Kiri doch gehört, sie findet auch, dass das richtig schön klingt und ich wette, das würde auch Leuten gefallen. Wir könnten es doch wenigstens mal versuchen."
    Es tat so unendlich weh, die Begeisterung in Amaias Blick zu sehen und trotzdem wieder den Kopf zu schütteln. "Bitte, Mai...können wir nicht einfach...können wir nicht ein Kind machen? Fuck off! Können wir nicht einfach weiterspielen? Wie sonst auch?"
    Die sichtliche Enttäuschung ihrer besten Freundin war schmerzlich, doch Amaia gab sich schließlich geschlagen und zuckte verdrossen mit den Schultern. "Meinetwegen", meinte sie ohne große Begeisterung. "Auf welchen Song hast du Lust?"
    Mittlerweile musste sie Amaia so häufig zurückweisen, dass sie allmählich Angst bekam. Die Maori wollte etwas mit ihr unternehmen, wollte Neues erleben und ihre Freude daran mit Rebecca teilen. Und sie machte seit Wochen nichts, als immer und immer wieder abzulehnen und stattdessen lieber weiter zuhause herumzusitzen. Wie lange würde es wohl dauern, bis Amaia ebenfalls mit ihr die Geduld verlor? Bis sie wie Madi einfach aus ihrem Leben verschwand und sie alleine zurückließ? Tat sie das nicht sogar schon?
    Es waren Gedanken wie diese, die Rebecca keine Ruhe ließen. Gedanken, die sie immer weiter in dieses Loch zogen, aus dem sie nicht mehr herauskam. Ihr wurde in diesem Moment schmerzlich bewusst, dass sie praktisch nichts mehr in ihrem Leben hatte als die gemeinsamen Stunden mit Amaia.
    Majonese ist offline

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