Zitat von
AeiaCarol
Dem Schweden kam es vor als seien Tagen vergangen, aber die Uhr verriet etwas anderes. Der Brechreiz war zurück. Präsenter denn je und seine verdammten Kopfschmerzen brachten ihn schlicht um. Jetzt wirklich. Es war so sehr die Hölle, dass er beim Aufwachen das Gesicht verzog und einfach weinte. Wie ein verdammtes kleines Kind. Er erinnerte sich daran wie viel erträglicher die Schmerzen gewesen waren, als sie bei ihm gewesen war. Luceija. Und tatsächlich, noch halb verklärt, war da diese Hand die sich auf seine Brust legte und dieser Kopf den er auf seinem Bauch spürte. Sie roch nicht wie Luceija. Fühlte sich nicht wie sie an und machte keine Witze darüber, dass er aussah wie ein Halbtoter. Sie war es nicht. Spätestens an der Stimme ließ sie sich erkennen. "Die Kugel ist knapp in den Oberarmkopf eingedrungen. Vielleicht wars deine Biotik die sie abgeschwächt hat, aber du hattest Glück. Doktor Greco ist sich absolut sicher, dass das wieder wird.", beruhigte Giuseppina ihn. Er seufzte, noch während er nicht aufhören konnte zu weinen. Doktor Greco war ein Stümper, aber nach Giusys guter Laune zu urteilen, hatte sie mit ihm oder sogar FÜR diesen kleinen Teilzeitsäufer operiert und wenigstens sie hielt Leif für fähig. Weniger fähig war sie im trösten. Im 'einfach nur da sein', aber er ließ ihr auch kaum eine Chance sich zu beweisen, so wie er ihr nie eine echte Chance eingeräumt hatte. Nicht neben Luceija. Nicht nach ihr. Trotzdem war es einfach, sie noch eine Weile im Glauben zu lassen, sie habe besagte Chance. Nicht bösartig, aber doch alles andere als fair.
Er wachte jeden Morgen in diesem Raum auf. In seinem Blickfeld hing dieser kitschig, lavendelfarbene Traumfänger. Alles schien danach zu riechen, aber Leif wusste er bildete es sich ein. Musste er wohl, richtig? Er war denkbar empfindlich geworden. Bei der Verletzung seiner Schulter konnte er weder arbeiten, noch wagte er sich einen Tag zur Universität in sein Büro. Giuseppina brachte ihm die Arbeit mit. Sie 'bestand darauf'. Es 'stünde ihm nicht, nicht zu arbeiten', aber Leif tat es trotzdem nicht. Sechs Tage begeisterte er sich für überlange Spaziergänge durch die Stadt. Immer insgeheim hoffend, er könne jemandem begegnen, ohne dass er ihrem Viertel zu nah kam. Seine Sachen waren noch immer alle dort und er sinnierte darüber, ob er sie holen und bei dieser Gelegenheit nach ihr sehen sollte, aber er konnte sich nie dazu durchringen. Nach siebten Tag ging er kaum noch raus. Er glaubte Wahnvorstellungen zu bekommen. Der klapprige, weiße Van mit ausgebleichter Aufschrift einer Fabrik hielt neben ihm. Der Fahrer fragte nach dem Weg, aber Leif hatte es für den Bruchteil einer Sekunde für eine Warnung gehalten. Eben all diese Klischees die er in Filmen aufgeschnappt hatte. Als der Mann wieder fuhr, Leif konnte ihm tatsächlich sagen wie er an sein Ziel kam, lachte der Schwede leise über sich selbst. Trotzdem ging er nicht mehr raus, sondern verbrachte die meiste Zeit in den vier Wänden seiner Freundin, die ihn bei jeder Gelegenheit zu Abendessen ihren Freundinnen vorführte wie einen Zuchtbullen. Er hasste diese Art mit der er in diese Gruppe viel zu junger Frauen gepresste wurde und sich verhalten musste wie ein Gentleman, aber irgendwie erschien ihm der Gedanke allein zu sein um ein vielfaches qualvoller. Also fügte er sich. Selbst dann noch, als sie anfing weiterzugehen. Sich darüber zu beschweren, dass er nicht zur Arbeit ging. Das er über seine Verletzung und Luceijas Tat würde hinwegkommen müsse. Sie stellte sich blind dafür was er und die Sizilianerin gewesen waren und sie zog es ins Lächerliche. Er schämte sich in der Nacht nach dem Tag an dem sie es getan hatte dafür, dass er ihr keine Ohrfeige verpasst hatte und gegangen war. Nichts davon passierte je. Sobald er sich rechtfertigte oder sich eine überaus seltene Meinungsverschiedenheit ankündigte, war sie sofort wieder so süß wie Zucker. Und manchmal bekam sie dann alles von ihm. Ausnahmslos. Selbst zu dieser ungemein dämlichen Tour durch die Stadt ließ er sich hinreißen. Er solle mehr Anzüge tragen, darin bewundere sie ihn so. Ein einfaches Shirt und eine Jeans entsprächen nicht seinem 'Stand'. Wo hatte er das nur schon einmal gehört. Dennoch. Er spielte mit. Ungern, aber er tat es. Wollte nicht allein sein. Lieber diese Diskussion über Hausarbeit über sich ergehen lassen, weshalb er nie sein Bett machte (zugegeben: DAS war untypisch) wieso er nie kochte (es wäre eskaliert wenn sie gewusst hätte wie häufig er für Luceija gekocht hatte) und weshalb der Müll nicht unten sei, er habe schließlich noch eine gesunde Schulter und wenn er seine 'gottgleichen' Hände nicht für die Arbeit an der Universität nutze, dann solle er wenigstens seine Freundin unterstützten. Er hatte den Zeitpunkt verpasst, an dem sie ein Paar geworden waren, wie es schien. Man redete nicht darüber. Es war wie eine einseitig eingeschlafene Ehe in der nie Spannung existiert hatte. Die Fehlentscheidung sich für eine Geliebte, statt für die eigene Frau zu entscheiden. Für die Richtige. Er ertrug es trotzdem. Oder spielte weiter falsch. Wie immer man es nennen wollte, er aß wenig und trank nicht viel. Nach zwei Wochen ging er mit Giuseppina an den Strand. Sie wollte nach Marsala fahren, aber er zog etwas sehr nahes vor. Aus unterschiedlichen Gründen. Sie nahm es hin, obgleich ungern. Nichts davon war wirklich 'schön'. Nicht für sie beide, aber Giusy hielt ihre Chancen hoch, sie gab sich Mühe, sie war nett und lieb, außer wenn sie zu spüren glaubte das etwas nicht gut war, aber diese Phasen überwand sie schnell. Leif nicht. Er saß mehr und mehr wie ein kleiner Gollum auf den Sofa oder im Bett und sah sich sämtliche Staffeln Singus wieder und wieder an. Auf die Minute genau bis dorthin, wo er mit Luceija aufgehört hatte. Dabei sprach er mühelos sehr bald sogar die Texte der Antagonisten mit, orderte sich ein ein lebensgroßes Poster seiner Lieblingsfigur, hängte es auf und nach einem 'kleinen' Streit wieder ab, nur um sein Geld ganz nebenbei wenigstens alle zwei Tage für eine Pizza in Partygröße auszugeben. Er war selten draußen. Nur einmal und kurz vor dem Ende seiner Zeit in Palermo rasierte er sich, zog sich etwas an und ging allein in das Restaurant indem er mit Luceija gewesen war. Er aß nichts, sondern trank nur, weil er keinen Appetit hatte, blieb dafür aber die halbe Nacht. Er war der letzte der ging und zum ersten Mal schlief nicht er, als Giuseppina nach Hause kam, sondern er kam nach 'Hause' und sie schlief. Ein bitterböser Zettel lag auf seinem Nachttisch. Er holte seine Schmerzmittel daraus hervor, ignorierte die Bitte morgen früh miteinander zu reden und ging zurück ins Wohnzimmer. Sie warf ihm vor er habe den ganzen Abend ihre Anrufe ignoriert. Leif lachte darüber. Laut genug um sie wecken zu können, aber das passierte nicht. Er hatte JEDEN Anruf der letzten Wochen ignoriert, weil er glaubte irgendwann im falsch-richtigen Moment würde Luceija versuchen ihn anzurufen und er könne nicht rangehen. Es war albern, ja. Aber weder Edna, noch Hanna oder Abu hatten etwas von ihm gehört. Einfach niemand. Das erste Mal, dass er seine Verbindung wieder nutzte, war dieser Abend und ja: Er überlegte lang, ob dieser Anruf nicht an Luceija ging. Das tat er. Aber letztlich wusste er, was er getan und was sie getan hatte. Wofür er sich entschieden hatte. Also wählte er die Nummer eines Taxiunternehmens, weil er selbst noch nicht fahren konnte. Er wollte umweglos zum Flughafen.