„Vorsicht, Mädel, Vorsicht!“, rief Charis, die frisch angezündete Zigarette im Mundwinkel klebend. „Das ist das verfluchte Weltall da draußen.“
„Das musst du mir nicht sagen“, erklärte die erste Nutte, die vorlaute Asari und kroch voraus. „Unbequemer ging es wohl nicht?“, rief sie aus dem Tunnel heraus.
„Schnauze halten und konzentrieren“, maulte eine andere Prostituierte. Was für ein Umgangston, dachte sich die Asari rauchenderweise. Eine Nutte nach der anderen kroch durch den Tunnel. Die Hälfte war schon drüben, als Yuika einen Funkspruch aus dem Cockpit schickte.
„Ah, verstehe. Gut die Hälfte ist durch.“
Charis klatschte in die behandschuhten Hände.
„Los, Ladies, Bewegung! Oder wollt ihr wieder in eure Stase zurück?“
Charis bereute ihren Ansporn in dem Moment, in dem sie den Satz beendet hatte. Die vorher bestehende positive Grundhaltung der auf der Karadaan verbliebenen Mädchen ging in plötzlicher Panik unter. Drei Frauen auf einmal stürzten sich gen Ausgang.
„Hey! Nicht so schnell. Eine nach der anderen. HEY!“
Charis schritt ein und packte eine der menschlichen Damen bei ihren Extensions. Es gab ein abreißendes Geräusch und ein „Bah!“ von Charis, die das falsche Haar abschüttelte, als habe sie ein ekliges Insekt auf der Hand. Dann packte sie die Schulter der Frau, die schon halb im Kanal steckte und zog sie zurück.
„Nicht so schnell, hab ich gesagt!“
Geschrei vom anderen Ende des Tunnels, auf der Seite der Renacimiento wurde laut.
„Helft ihr! Hilfe!“
Charis steckte den Kopf in die Röhre und sah eine Frau an einen Ring geklammert. Die in der Schwebe gehaltene Leitersprosse hüpfte bedrohlich auf und ab, gezogen vom Gewicht der Frau und durch die Fangstrahlen in Linie gehalten.
„Zieht sie hoch!“, rief Charis. „Los jetzt!“
Keine der Frauen bewegte sich, nur die vorlaute Asari auf der Renacimiento machte einen schwachen Versuch.
„Weg da“, befahl die Schmugglerin und kroch nun selbst in den Tunnel. Die Prostituierte, ebenfalls eine Asari, hing mit letzter Kraft am Ring.
„Helfen Sie mir“, flehte sie keuchend und schaute Charis aus in Panik geweiteten Augen an.
„Ganz ruhig“, sagte die Schmugglerin, obwohl sie selbst nicht wusste, was sie tun sollte. Die knappe, aufreizende Wäsche der Frau bot nicht ansatzweise eine Möglichkeit, sie hochzuziehen. „Zieht das Seil von der Winde!“, rief sie Richtung Renacimiento.
„Welches Seil?“, kam es zurück.
„Da ist eine Winde mit einem Seil aus gedrehtem Stahl. Entsichert die Halterung und zieht es her."
„Ich… ich kann nicht mehr…“, presste die Asari hervor.
„Geben Sie mir Ihre Hand“, sagte Charis, die sich bäuchlings auf zwei Ringe gelegt und einen dritten mit der Linken umklammerte.
Eine mit rotlackierten Nägeln verschönerte Hand griff nach Charis‘ ausgestreckten, ölbeschmutzten Fingern, während sich die Frauen auf der anderen Seite abmühten, das Kabel loszuziehen. Drei oder vier von ihnen rissen an dem Ende.
„Es klappt nicht!“
„Ihr müsst die Halterung entsichern, ihr dummen Nutten“, brüllte Charis, nun selbst langsam panisch werdend. Die Hand der Asari entglitt langsam ihren Fingern. Zeige- und Mittelfinger harkten sich ineinander. Charis spürte einen ziehenden Schmerz in ihrer Hand. Dann erkannte sie, dass sich die Schutzbarriere unter der Asari leicht wölbte. Es war ohnehin bemerkenswert gewesen, dass sich die Barriere an die Körperform der Prostituierten angepasst hatte und diese vor dem All schützte. Ein mit Stöckelschuh besetzter Fuß drang nun durch die Barriere. „Nein, festhalten. Ziehen Sie sich hoch!“
„Ich… schaffe es… nicht mehr“, brachte die Asari hervor. Ihr anderer Fuß war nackt, ihre Hacke war abgebrochen, wodurch sie den Halt erst verloren hatte. Als ihre Füße bis zum Knöchel die Barriere durchstießen, schrie sie auf. Das All war so kalt, dass sie beinahe augenblicklich begannen zu erfrieren.
„Sie schaffen das! Ziehen Sie!“
„Laya, kämpf, Laya!“, riefen ihre Kolleginnen auf beiden Schiffen. Charis vernachlässigte ihre eigene Sicherheit. Die Frauen hatten es aufgegeben, das Drahtseil zu befreien und schauten nun mit bebanntem Entsetzen zu, wie die Schmugglerin die Arme der Frau umfasste und an ihnen riss, wie ein Hund an einem Stück Fleisch reißen mochte.
„Kommen Sie, Laya. Kommen Sie schon!“ Charis Zähne waren derart fest aufeinandergepresst, dass sie fürchtete, sie würden zerspringen. Dann gab es einen Ruck und Charis verlor jeglichen Griff. Laya stürzte tiefer. Rote Nägel kratzten über Metall, als sie Halt suchte. Im All gab es keine Schwerkraft, es war die Barriere und die künstliche Schwerkraft, die ihr zum Verhängnis werden würde. Ihre Beine waren bis zum Oberschenkel bereits zu Eis verbrannt. Wenn sie abstürzte – und sie würde abstürzen – würden ein Augenblick der ultimativen Hölle auf sie warten, in dem ihre Lunge von Eiskristallen zerfetzt und durch die Dekompression zerbersten würde. Charis wusste es und Laya wusste es auch. Ihre Augen nahmen plötzlich einen harten, verklärten Blick an. Ihr Blick schraubte sich in Charis‘ Pupillen. Wortloses Flehen, ein Befehl, ein Nicken.
Charis löste ihre Predator vom Gürtel. Der letzte Blick Layas, ehe die Schmugglerin zum Entsetzen der anderen Frauen abdrückte, war geprägt von tiefstem Bedauern über all die verpassten Chancen im Leben und Dankbarkeit gegenüber der Schmugglerin…
Charis saß auf einer der an den Boden der Renacimiento geschweißten Frachtkisten und atmete heftig. Die letzte der Frauen war über die Leiter geklettert, verdammt vorsichtig, denn egal wer da auf sie aufmerksam geworden war, ihnen allen war die Gefahr des Alls schlagartig bewusst geworden.
„Alle Frauen sind drüben“, erklärte sie tonlos per Funk. Der Schock des Moments saß noch tief. Das hatte sie nicht erwartet, zumal die ganze Operation hervorragend startete. „Wir… wir haben eine Frau verloren. Laya“, fügte sie dann hinzu und seufzte tief. Es blieb keine Zeit für Trübsal. Wenn die Batarianer sie, eine Schmugglerin, hier aufgreifen würden, wäre das Treiben im toten, kalten Weltraum eine Gnade. Sie erinnerte sich nur äußerst ungern an ihren kurzen Aufenthalt im batarianischen Gefängnis. Zudem wäre ihr das Cockpit jetzt wesentlich lieber. Die Frauen traten Charis nach ihrer Aktion bedeutend feindseliger gegenüber. „Undankbarkeit ist der Welten Lohn“, murmelte Charis eine Binsenweisheit, die älter war, als die galaktische Gemeinschaft.