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Nach diesen wirklich aufmunternden Worten fand sich der Hauptmann mit seiner Schülerin wieder, die kurz darauf wieder fleißig herum rollte. Es war... Schön einmal ein wenig Anerkennung für den Ort zu bekommen, an dem er sonst dafür sorgte, dass gestandene Männer sich bei ihrem Training bis aufs Äußerste verausgabten. Wie oft hatte er das Gejammer und Gemecker der Wächter gehört, doch am Ende des Tages hatte ihnen die harte Ausbildung gut getan und die Anzahl an Verlusten in der Wächterschaft war in den letzten Jahren wirklich stark zurückgegangen. Meist stammten die größten Verletzungen und Vorfälle von Jagdausflügen angehender Jäger und dergleichen. Andererseits war in Tooshoo auch nicht wirklich viel Verteidigungsarbeit zu leisten gewesen. Aber das Blatt konnte sich immer wieder mal wenden und Ryu selbst wusste, dass ein Krieg oder eine Schlacht um jede Ecke herum warten konnte. Eine, die man nicht immer mit Guerilla- oder hinterhältigen Taktiken schlagen konnte. Und deswegen existierte dieser Ort. All die Konstruktionen die er sich über die Jahre erdacht, erprobt und verbessert hatte... Da steckte schon einiges an Herzblut und Ideen drin. Ja. Doch. Innerlich grinste der Templer verlegen, doch diese Blöße konnte er sich hier gerade nicht geben. Vielleicht würde er sich als kleine Belohnung heute doch einen großen Krug Kirschbier gönnen. Am Abend.
Doch nun ging es zu Freiya. Mittlerweile war sie aus ihrer letzten Rolle angekommen und der Templer hatte schon die Spitze des, sehr alternativ aussehenden Holzschwertes in Richtung ihrer Nasenspitze gerichtet. "Da waren jetzt schon ein paar gute Versuche dabei. Geh allerdings mit dem Rollwinkel noch etwas weiter zur Seite... Momentan legst du noch zuviel Gewicht in Richtung Nacken wodurch du ernsthafte Verletzungen riskierst und die Rolle verlangsamst. Schau mal..."
Der Hüter beugte sich etwas nach vorne und schob seinen Hals ebenso nach vorne. Dabei deutete er auf die Wirbel, welche sich zwar nur ansatzweise aber doch sichtbar unter seiner Haut abzeichneten. "Das da. Diese Knochen bekommen mehr Belastung und, so klein sie wirken, können sie dich beim Rollen verlangsamen. Das mag zwar für den Moment wirklich nichtig erscheinen, aber in einer Ernstlage entscheidet jeder noch so kleine Moment über den Ausgang."
Dann deutete er noch einmal rechts und links von Freiya auf die Felle. "Jetzt die Seitwärtsrolle. Die ist sogar relativ einfach. Wie immer: Kopf einziehen, Rolle über die Schulter. Viele enden bei dem Versuch in einer Fassrolle. Ist unelegant, macht unnötig schmutzig und die Dauer bis zum Aufstehen ist um einiges Länger. Nutze, was ich dir bisher beigebracht habe und versuch herauszufinden, wie du das am besten machst. Entscheidungen müssen schnell und gut getroffen werden wenn du unter Druck stehst."
Dabei tippte er mit der Schwert"spitze" zwei mal auf die obere Fußhälfte seines blanken Fußes, dann nahm er die Waffe locker auf die Schulter. "Wie bereits gesagt: Ich fange langsam an und setze dann nach. Entscheide, ob eine Rolle nach hinten, an mir vorbei oder zur Seite am sinnvollsten ist wenn du die Schlagrichtung erahnst. Und vor allem, mach dir schon einmal Gedanken, das ganze irgendwann aus dem Stand heraus tun zu müssen. Bereit? Also, dann...", warnte er sie vor. Doch bevor es zu einem "LOS!", kam, gab er ihr auch schon einen leichten Schubs mit dem Übungsschwert in die Bauchrichtung. Ja, da war er plötzlich wieder: Der strenge Hauptmann. "Erwarte das Unerwartete! Sei stets darauf gefasst, dass dein Gegenüber dreckig kämpft und sich an keine Regeln hält!"
Dieses mal legte Ryu der roten Snapperin ein wesentlich anspruchsvolleres Training vor. Viele Dinge galten zu bedenken, zu entscheiden und herauszufinden. Und hier trafen Philosophie auf Praxis. Als ehemalige Soldatin würde sie mit so einem Druck schon arbeiten und daran wachsen können. Auch wenn der Nebel um diese Fähigkeit vielleicht noch etwas zu dick sein konnte...
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Selbststudium Speer 1 (Prüfung) - an der Grenze zwischen Gebirge und Sumpf
Obwohl der Angriff des Wargs absehbar war, fehlte Kiyan nahezu die Zeit, um zu reagieren. Gerade so schaffte er es, den Speer waagerecht hochzureißen, sodass er den Schwung der Attacke ausnutzen konnte, um den Warg seitlich wegzustoßen. Dabei hatten sich die kräftigen, zahnbewehrten Kiefer der Kreatur unangenehm nah an seinem Gesicht mit einem Geräusch geschlossen, als würde jemand den Deckel einer Truhe zuknallen. Bellend und geifernd rappelte sich das Biest wieder auf und knurrte wieder tief und bedrohlich.
Bleib in Bewegung!
Wie zwei rivalisierende Wölfe begannen sich Mensch und Warg zu umkreisen. Innerlich fluchte Kiyan. Einem menschlichen Gegner hätte er in den Augen lesen können, ob ein Angriff bevorstehen würde, hätte darin Angst, Vorsicht, Zorn oder Ruhe gesehen. Die glühend roten Augen des Wargs boten keine Möglichkeit dergleichen.
Denk dran, was du gelernt hast. Wenn der Warg angreift, musst du stark im Sturm sein. Wie eben. Wegstoßen. Oder zumindest ausweichen und den Schwung ausnutzen, um Raum zum Stich zu gewinnen.
Und da war es, ein kurzes Zucken der Schnauze des Warges, ein heiseres, immer noch tiefes Bellen und er sprang vor. Rasanter als zuvor, sodass Kiyan nicht viel mehr bleib, als auszuweichen. Er wirbelte zur Seite, nutzte die Bewegung aus und sprang zurück. Der Speer bewegte sich flink in seinen Händen, die Spitze richtete sich wirbelnd auf die Kreatur.
Gut, jetzt hast du Holz und Feuerstein zwischen euch beiden.
So hatte Kiyan Freiraum bekommen, seine Lage in Augenschein zu nehmen. Das Biest hatte ihn vom Feuer weggetrieben, stand zwischen dem Kämpfer und seiner Lagerstätte. Aber genau das würde er zum Vorteil nutzen können. Mit der Umgebung arbeiten, mit den Gegebenheiten. Sonst bot die Gegend keine taktischen Vorteile, also war sein Feuer die beste Möglichkeit, einen Sieg zu erringen. Gerade als der Warg wieder losspringen wollte, stach Kiyan zu, täuschte mehrere Angriffe und Stiche an, trieb das knurrende, geifernde Biest weg. Immer wieder schlug und schnappte es nach der Spitze des orkischen Speeres, schaffte es aber nicht, den Schaft zu erwischen, um ihm Kiyan aus den Händen zu reißen.
So hielt Kiyan ihn weiter auf Abstand und lotste ihn in die Position, die für seinen Angriff entscheidend war. Bald trennte das Lagerfeuer Warg und Mensch. Das Biest machte Anstalten, das Feuer zu umgehen, aber Kiyan ließ ihm diese Möglichkeit nicht. Mit einem Aufschrei stieß er den Speer kräftig in das Lagerfeuer, wirbelte Funken, Flammen und glühende Holzscheite in Richtung des Wargs. Aus dem wütenden Gebell wurde ein fast schon hundeähnliches Fiepen, das zu panischem Gewinsel wurde, als das dichte Fell an einigen Stellen Feuer fing. Kiyan wartete jedoch nicht ab, sprang über das zerwühlte Lagerfeuer und stieß mit einem weiteren Aufschrei zu, trieb die Spitze des Speeres mit aller Kraft durch die Seite des Wargs, nagelte ihn geradezu ins dünne Heidegras.
Lange währte das Leiden des orkischen Mischlings nicht, da Kiyan den Speer losließ, rasch sein Wächterschwert zog und es dort hineintrieb, wo er bei einem Wolf oder Hund das Herz vermuten würde. Das Glühen der roten Augen erlosch.
Keuchend und mit zitternden Händen sank Kiyan in die Knie, sich an der Klinge festhaltend, die noch im Leib des Wargs steckte. Adanos, mein erster … richtiger Kampf. Und ich habe überlebt, verdammt. Tief durchatmend rappelte sich Kiyan auf, machte das Schwert frei, säuberte es am Fell des Wargs und steckte es zurück in die Waffenscheide am Gürtel. Dann packte er den Speerschaft, riss kräftig daran und machte ihn ebenfalls frei.
Einige Minuten blickte der angehende Wächter noch auf den Kadaver der Kreatur hinab. Gleichwohl sie das Werk irgendwelcher Orkzüchter war, hatte es sich bei dem Warg einfach um ein Tier gehandelt. Ein Kampfhund der Orks. Instinktgesteuert, wenn auch schlauer als Wölfe und viele Hunde.
„Du kannst nichts dafür“, murmelte Kiyan, ging in die Hocke und fuhr dem Warg mit der behandschuhten Hand über den dunklen, kräftigen Schädel. „Du bist deiner Natur gefolgt, nicht mehr, nicht weniger. Du hieltest dich für den Stärkeren. Du warst der Schwächere. Der Lauf der Dinge.“
Zumindest hatte der Kämpfer nun eine Beute erlegt, die seiner Ansicht nach würdig genug war. Ein Warg, ein Orkhund. So machte er sich daran, sein Lager abzubrechen und die Trophäe für die Reise vorzubereiten.
„Adanos weiß, wie der Hauptmann reagieren wird“, murmelte Kiyan zu sich, blickte zum Speer, der in der Nähe im flachen Gras lag. „Aber wenigstens kann ich mich mit dem Speer zur Wehr setzen. Danke dafür, Kral, du Arsch.“
Geändert von Kiyan (12.08.2023 um 12:42 Uhr)
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Einen kleinen skeptischen Blick hatte Freiya nicht unterdrücken können, als Ryu da mit diesem Ding rumhantiert hatte, aber nun hatte sie schon gar keine Zeit mehr, sich über irgendetwas den Kopf zu zerbrechen. Jetzt konnte sie nur noch handeln, als er schon mit der Übungswaffe auf ihren Bauch zielte. Ihr Instinkt wollte, dass sie auswich, aber es ging ja um die Rollen, er hatte es klar und deutlich gesagt. Freiya sah keinen anderen Ausweg, als sich dennoch nach hinten zurückzuziehen. Schnell den Kopf geneigt und über die rechte Schulter nach hinten abgerollt. Das war erstmal nicht so sehr das Problem, doch sie musste zusehen, wieder auf die Beine zu kommen, denn sie ahnte, dass er gleich nachsetzen würde.
Erwarte das Unerwartete! Sei stets darauf gefasst, dass dein Gegenüber dreckig kämpft und sich an keine Regeln hält!
Gut, dass er sie daran erinnerte. Ihr war klar, dass ihr die Bewegungen noch mehr ins Blut übergehen mussten, denn die Sekunde die sie gezögert hatte, hätte in einer brenzligen Situation über Leben und Tod entscheiden können.
Die Rothaarige nutzte den Schwung der Rolle und stützte sich kurz auf, um wieder auf den Füßen zu landen. Sofort suchte sie ihren Lehrmeister, der schon bei ihr war und erneut mit dem Schlagstock auf sie zielte. In einer fließenden Bewegung ließ er seine Waffe niedersausen und erneut erkannte Freiya nur einen Ausweg: den nach hinten. Hier war sie bereits an den Rand der Felle gelangt und der Aufprall auf den Boden war bereits nicht mehr so weich. Sie wusste nun, sie musste ihre Umgebung im Auge behalten und gleichzeitig natürlich auch ihren "Angreifer", das forderte ihre volle Konzentration.
Wieder war Ryu da und ließ den Bambusstock diesmal von oben auf sie herab gleiten. Einen winzigen Augenblick überlegte sie: nach vorn war keine Option, sie würde in seinen Beinen landen und das würde nicht gut ausgehen. Nach hinten konnte sie nicht, da sie der imaginären Klinge damit nicht auswich. Also blieb ihr nur die Flucht zur Seite. Sie wählte instinktiv natürlich erst einmal die rechte Seite. Die Rolle fiel nicht ganz so raumgreifend aus und sie war schneller wieder auf den Füßen, dafür war Ryu natürlich auch wieder schneller über ihr. Er stand in ihrem Rücken und wieder schwang er die Waffe von oben herab. Diesmal blieb ihr nichts anderes übrig, als über links abzurollen und zu versuchen, durch etwas mehr Schwung einen größeren Abstand zwischen sich und ihren Lehrmeister zu bringen.
Wobei das natürlich eine Illusion war, denn natürlich war er sofort wieder da und mit einem Wisch seiner Waffe musste sie sich sofort wieder in die Rückwärtsrolle begeben. Sie landete diesmal etwas sicherer auf den Füßen und blickte zu ihm hin.
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Im Moleratgehege
Es dauerte nicht lange, dann war der Futtertrog völlig leer gefressen. Das Männchen führte die Bande dieser kleinen Teufel wieder zurück in die Höhle, doch die Mutter blieb an Ort und Stelle und behielt Kisha und Toro im Auge. Als die Molerat-Familie in der Höhle verschwunden war, setzte sich Toro aus seiner lümmelnden Position auf. „Sie entspannt sich. Jetzt kannst du hingehen und sie berühren, wenn du willst.“
Kisha strahlte. „Das will ich unbedingt!“ Sie sprang auf und hielt Toro die Hand hin. „Komm!“
Er griff zu und ließ sich von ihr hochziehen. Gemeinsam näherten sie sich dem Molerat-Weibchen, das ein Stück auf sie zu trat und seine Flanke präsentierte. Kisha achtete darauf, wie Toro sich dem Tier mit bewussten, vorsichtigen Schritten näherte, und tat es ihm gleich. Sie gingen nebeneinander in die Hocke.
„Leg deine Hand auf ihre Flanke“, sagte er, „Sie ist ganz weich.“
Kisha tat wie ihr geheißen, und tatsächlich fühlte sich die Haut der Molerat so zart an wie die eines Kindes. Sie stieß vor Staunen die Luft aus. „Ich dachte, sie ist viel derber! Sie leben doch in der Erde!“
„Diese Tiere sind für so manche Überraschung gut. Wir nutzen ihre Häute für weiches Leder, das wir ab und an auch an den Baum verkaufen.“
Die Molerat-Dame ließ ein leises, schnell wiederholtes Grunzen vernehmen, das Kisha an das Schnurren einer Katze erinnerte. Sie strich sanft über die Flanke des Tieres. Als ihre Fingerspitzen den Schenkel erreichten, zog das Tier das Bein an und stieß ihre Hand mit den Pfoten fort.
„Nicht da unten“, sagte Toro ganz sanft und massierte mit den Fingern den Nacken der Molerat. Das Grunzen wurde lauter und schneller. „So ist’s gut, nicht wahr, Süße? Das gefällt dir.“
Kisha arbeitete sich wieder hinauf über die Flanke und schließlich bis zum Hals, während Toro die Finger zurückzog. Die Molerat räkelte sich auf dem Boden und kniff die Augen voller Genuss zusammen.
„Du machst das gut“, sagte er. Kisha betrachtete ihn, wie er neben ihr hockte. Seine Augen waren auf ihre Hand gerichtet und flohen immer wieder für einen kurzen Moment ihren Arm hinauf. Sie ließ ihren Blick über sein Gesicht schweifen, die kleine Nase, die nachdenklich zusammengepressten Lippen, der unrasierte Hals. Ihre Hand hatte das Kraulen des Tieres vergessen und ruhte nur noch auf dem Nacken der Molerat. Er schien keine Notiz davon zu nehmen.
„Toro?“, sagte sie leise. Er erwachte aus seiner Starre und sah zu ihr auf. Sie wollte ihn fragen, was ihn beschäftigte und seine Lebensfreude trübte; sie wollte mehr über seine Zeit auf Torgaan erfahren. Doch ihre Lippen fanden keine Worte.
Stattdessen griffen ihre Hände nach seinem Kinn. Sie zog ihn an sich, warf sich ihm entgegen, presste ihre Lippen auf die seinen. Er zögerte, doch dann öffnete er sich und erwiderte ihre Leidenschaft. Seine Lippen schmeckten nach Apfel, sein Bart kratzte in ihrem Gesicht. Kisha warf ihn in’s Gras und sich hinterdrein, dass die Molerat-Dame empört aufquiekte. Sie sahen zu ihr hinüber, lachten und wandten sich wieder einander zu.
Die Molerat verharrte noch einen Moment und sah den beiden Menschen dabei zu, wie sie sich durch das Gras wälzten. Doch als sie endgültig davon überzeugt war, dass ihr nun keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt würde, wandte sie sich ab und wackelte grunzend zu ihrer Familie am Höhleneingang zurück.
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So ein kleiner Feuerball war sie! Wich aus. Rollte umher. Wurde kreativ! Der Templer grinste mit jedem Fortschritt des kleinen Sparrings ein wenig mehr und beobachtete jede der Bewegungen des Rotschopfes. Sie hielt sich tapfer, doch verloren ihre Manöver mit jedem Nachsatz Ryus an Sauberkeit. Hier und da konnte man es an ihrer Mimik erkennen. Da mal zusammen gekniffene Augen, hier ein verzogener Mundwinkel. Dennoch... Respekt an die Fassung die ihr so leicht nicht abhanden zu kommen schien. Ryu beschloss, die Geschwindigkeit und Intensität der Übung nun etwas anzuziehen und in die nächste Lektion überzugehen:
Rollen aus dem Stand und dem Sprung!
Der Templer sprach kein Wort, fixierte sie hindessen mit diesem leicht hinterhältigen Glänzen in seinen Augen. Völlig organisch wirkte dabei der Wechsel seiner Haltung, als er die rechte Seite seines Körpers in ihre Richtung drehte und das Bambusschwert so hielt, dass sein Griff auf Hüfthöhe lag und die "Klinge" diagonal mit der Spitze nach unten in Richtung von Freiyas Oberschenkel deutete. Noch einen Moment ließ der Hüter ihr zum Atem holen. Selbst wenn es nur eine Übung war, so konnte er die Anspannung aber auch die Aufregung an ihr wahrnehmen. Die Sonne war mittlerweile am Himmelszelt angekommen und wärmte den Sumpf mit all der Macht die so ein Sommer mit sich brachte. Es war schwül. Schweiß und Luftfeuchtigkeit trugen Eindrücke und Gerüche dabei soviel leichter an die geschärften Sinne des Hüters und auch er ließ einen Atemzug weichen. Doch kurz darauf... Ein Ausfallschritt nach vorne! Kontakt. Die Spitze des Trainingswerkzeugs streifte die Schulter der sich eben noch abduckenden Freiya. Ein Umstand der sie wohl unvorbereitet getroffen hatte. Zumindest wurde die folgende Seitwärtsrolle dabei wesentlich unrunder. Doch zudem nicht genug: Der Templer führte seine Waffe direkt hinter ihr her und... PATSCH! Die Bambusstreifen drückten sich beim Aufprall auf ihren Hintern lautstark zusammen. Ein Nebeneffekt dieser Waffe mit der geräuschvoll ein Treffer in Übungskämpfen und dergleichen signalisiert wurden. Selbst wenn man, wie Ryu gerade, darauf achtete, das Ding nicht gleich einer Peitsche auf das Ziel dreschen zu lassen. Zwicken... Würde das Ding jedoch trotzdem...
"Zeit, kreativ zu werden, Liebes.", gab er ihr augenzwinkernd zu verstehen. -Du kannst das, Freiya... Ansonsten bist du morgen wohl die blaue Snapperin...-, zogen seine Gedanken dann noch hinter dem eben gesagten hinterher.
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Im Moleratgehege
„Tut mir Leid“, sagte Toro nachdenklich, während Kisha zwei Finger über seinen Nasenrücken hoch zu seiner Stirn wandern ließ, um daraus einige Grashalme zu entfernen, und gleichzeitig mit der anderen Hand an seinen Speckringen herumspielte. Sie hielt inne und runzelte die Stirn.
„Was denn?“
„Na, das gerade zwischen uns.“
„Versteh‘ ich nicht.“ Sie nahm ihr Fingerspiel wieder auf.
Toro gebot ihr Einhalt und ergriff ihre Hände mit den seinen. „Ich hätte dich nicht… Ich hab‘ doch gesagt, du erinnerst mich an jemanden. Ich hab‘ dabei nur an sie gedacht. Und als du…“
Sie sah ihm in die Augen. Braun mit grünen Sprenklern. Er passte so gut an diesen Ort. Die Sehnsucht aber stand ihm nicht gut. Kisha grinste und klopfte ihm auf die Brust.
„Glück für mich, eh?“
Toro wand sich unter ihr hervor und starrte sie verwirrt an. „Stört es dich gar nicht, dass ich dich als Lückenbüßerin missbraucht habe?“
Kisha zog eine nachdenkliche Schnute und schüttelte schließlich den Kopf. „Keine Ahnung, was diese Lücken-was-auch-immer ist, aber du hast mich sicher nicht für irgendwas missbraucht, Mzuri. Wenn ich mich richtig erinnere, hab‘ ich dich in’s Gras geworfen wie eine Löwin die Swala, nicht umgedreht. Du hast mir gegeben, was ich brauchte, Toro. Kein Grund für Vorwürfe.“
Sie schloss den Gürtel ihrer Hose und warf sich das ärmellose Oberteil wieder über.
„Komm, du musst mir noch eure Hütte zeigen. Hooqua wartet auf ihr Fleisch, eh?“
Kurz darauf liefen sie nebeneinander über die saftigen Wiesen des Moleratgeheges und betrachteten einige Tiere, die sich ihr Mittagessen in der nun prall auf sie niederscheinenden Sonne gönnten. Diese Wesen waren herzallerliebst mit ihren runden Körpern und kurzen Gliedmaßen. Dass sie verdammt hässliche Gesichter hatten, war nicht weiter schlimm.
„Wer ist sie?“, fragte Kisha und zupfte Toro noch ein Grasbüschel vom Hinterkopf. „Die Frau, an die du denken musstest.“
„Wir haben uns damals geliebt, während meiner Zeit auf Torgaan“, antwortete er. „Sie war Jägerin von einem der Stämme in der Nähe der Stadt, und ich habe ihr regelmäßig neue Tiere für Boss Omwes Gärten abgekauft. Ihr Name war…“ Toro hielt inne und blickte in die Ferne. Ein seliges Lächeln legte sich auf ihre Züge, als er ihren Namen aussprach. „…Zalika.“
Kisha blieb stehen und starrte Toro mit weit aufgerissenen Augen an. „Zalika?“
In plötzlichem Erkennen weitete sich ihr Mund zu einem herzlichen Lachen. „Du bist der verdammte Mgeni, wegen dem sie so oft aus dem Dorf weg ist!“ Sie schüttelte die Hand aus. „Shish, sie wollte ein halbes Jahr lang nichts mehr von mir wissen wegen dir.“
Toro legte den Kopf schief. „Ach komm, du kannst doch nicht ernsthaft…“
„Schmal und lang, langes nachdenkliches Gesicht, eine Haltung wie eine Malkia, und die würdevollste Frau unter der Sonne?“ Seine Reaktion war ihr Antwort genug. „Sie ist verdammt nochmal meine beste Freundin! Ich kenne sie, seit wir klein sind! Wundert mich nicht, dass du dich in sie verliebt hast.“
Toros Mund stand offen. Er brauchte einen Moment, um sich zu fangen.
„Habe ich das richtig verstanden, dass ihr beide… miteinander…“
„Dass wir uns geliebt haben? Bila shaka!“, entgegnete sie grinsend. „Mich kennt keine so gut wie sie! Aber ich verstehe schon, warum sie damals nicht so viel Lust auf mich hatte.“
„Aber ich habe euch nicht auseinander gebracht… oder?“
Kisha lachte erneut. „Ich glaub, ihr macht das hier mit der Liebe anders als wir, Mzuri. Wir bleiben nicht als zwei Liebende für immer zusammen. Wir nehmen uns an unsere Seite, auf wen und so lange wir gerade Lust haben. Egal ob Männer oder Frauen. Manche mögen natürlich nur eins von beidem. Keine Pflichten, nur gemeinsames Vergnügen und Vertrautheit, eh?“
Toros Stirn war vor lauter Denkfalten völlig zerfurcht. „Aber woher wisst ihr, wer der Vater ist, wenn ein Kind auf die Welt kommt?“
„Wissen wir nicht. Wir haben nur eine Mutter. Das Dorf kümmert sich sowieso gemeinsam um alle Kinder.“
„Das ist… interessant.“
Die beiden setzten sich wieder in Bewegung, und Kisha bemerkte, wie Toro sie nun offen musterte.
„Also alles gut zwischen uns, ja?“
Sie nahm ihn in den Schwitzkasten und rubbelte ihm mit den Fingerknöcheln über den Kopf.
„Komm schon, mach dir keine Gedanken. Denkt ihr alle so schlecht, während ihr so etwas Schönes macht?“
Sie ließ ihn los, und er stolperte ein Stück voran, bevor er sich aufrichtete und seine verwuschelten Haare wieder nach hinten strich.
„Aber etwas interessiert mich“, sagte Kisha. „Zalika war damals so traurig, weil du plötzlich weg warst. Was ist passiert?“
Toro presste die Lippen aufeinander. „Eines der Tiere, ein verdammter Papagei, hat Boss Omwes Tochter das Gesicht zerkratzt, weil sie ihn behandelt hat wie ein Spielzeug. Der Mistkerl wollte mir zur Strafe das gleiche antun, weil ich das Tier angeblich nicht ausreichend bezähmt hab‘ – mit einem Messer! Da musste ich bei Nacht und Nebel verschwinden. Ich hab‘ Zalika danach nie mehr gesehen, und Torgaan auch nicht.“
Kisha legte einen Arm über seine Schultern und setzte ihren Weg so mit ihm fort. „Kumbe, Mann! Dieser blöde Punda…“
„Bin danach hier gelandet, und hier geht’s mir gut, auch wenn ich mich erst an das Leben auf Argaan gewöhnen musste. Nur Zalika hätte ich gern mal wiedergesehen.“
Kisha legte ihren Kopf auf seinen, während sie Arm in Arm weiterliefen. „Kann ich verstehen, Mann. Ich hab‘ sie das letzte Mal vor einer Woche gesehen, und ich vermisse sie jetzt schon.“
Als sie die Hütte erreichten und Toro die Tür öffnete, erwartete sie das fröhliche Pfeifen eines untersetzten Mannes, der mit freiem Oberkörper und einem Fleischermesser in Händen völlig blutüberströmt an einem flachen Tisch stand, auf dem so viele zerlegte Tierteile lagen, dass sie unmöglich alle von einem Molerat stammen konnten.
„Ah, da bist du ja!“, rief er mit einem singenden Akzent, der erstaunlich gut zu seiner fröhlichen Art passte. „Hast du die Tiere wieder gestreichelt, statt sie nur zu füttern?“ Er bemerkte Kisha erst auf den zweiten Blick. „Aaah, hast nicht die Tiere gestreichelt. Ich verstehe…“
„Stefano, Kisha. Kisha, Stefano“, stellte Toro knapp vor und lächelte verlegen ob der letzten Bemerkung des Fleischers. „Sie ist hier, um das Fleisch für den Baum zu holen.“
„Baumfleisch liegt da drüben, fertig abgepackt“, entgegnete Stefano und deutete blind in Richtung eines Regals, während er die Augen auf den halb zerteilten Kadaver vor sich gerichtet hielt.
„Ich kümmer‘ mich derweil noch um die Lieferung an diese Hexe Murdra. Kriegt leider ein besonders sehniges Tier, dieser verfluchte Sumpfhai von einer Frau.“
Toro sah zu Kisha. „Er hat mal bei ihr zu landen versucht. Rat mal, wie es lief.“
Sie gingen gemeinsam zu dem Regal und steckten die Fleischpakete in eine lederne Umhängetasche.
„Die Bezahlung wird von Artifex geregelt. Du kannst das Zeug einfach mitnehmen.“
Kisha hängte sich die Tasche um und ging zum Eingang zurück.
„Kisha!“, rief Toro. Sie wandte sich um. „Mach’s gut, Nzuri. Wir sehen uns?“
Sie grinste. „Worauf du deinen Arsch verwetten kannst, Mzuri.“
Sie wandte sich ab und rief: „Mach’s gut, Stefano!“
„Ciao, schöne Frau!“
Sie stieß die Tür auf und begab sich direkt auf den Weg – diesmal den richtigen, wie sie hoffte. Sie war verdammt spät dran. Da würde sie sich von Hooqua etwas anhören dürfen.
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Auf. Den. Po.
Das konnte ja wohl nicht wahr sein!
Aus dem Augenwinkel sah Freiya, wie Ronja aufgesprungen war. Die Rothaarige überlegte kurz, ob das Ding eigentlich Abdrücke hinterließ? Und ob sie würde sitzen oder liegen können? Ungute Erinnerungen wollten in ihr aufkommen. Narben, die schon längst verblasst waren, wollten Schmerzen hervorholen, die nicht mehr ihre waren. Doch sie musste all das niederkämpfen. Musste konzentriert bleiben. Musste sich einmal mehr die Aufgabe vor Augen führen, die ihr Lehrmeister ihr gestellt hatte. Denn sie wollte weiterkommen. Da war sie - eine Grenze, die sich ihr auftat und die sie überwinden musste. Er hatte es ihr vorausgesagt. Das war die Möglichkeit des Fortschrittes. Und Schmerzen kannte sie. Schmerzen vergingen. Aber Freiya würde überdauern.
Sie funkelte ihn an.
Ich werd gleich kreativ und jag dich mit dem Ding über den Übungsplatz, wenn du das nochmal wagst!, rief die Rote Snapperin in Freiyas Kopf. Doch die Rothaarige zwang sich zur Ruhe. Sie biss sich auf die Wangen und blinzelte den zwiebelnden Schmerz auf ihrem Hinterteil weg.
Gut, dann also Kreativität. Er hatte ihr die Mittel gegeben und nun musste sie sie selbst einsetzen. Mit einem kurzen Nicken zeigte sie an, dass es weitergehen konnte. Da stand er vor ihr und erinnerte sie an ein lauerndes Tier, die Schlange auf dem Baum, die sie vor ein paar Tagen noch im Kopf gehabt hatte. Jetzt strahlte er es wahrhaftig aus, aber sie wollte die Herausforderung annehmen.
Wieder hob er die Übungswaffe und diesmal ging sein Hieb von oben herab auf sie, dass sie sich mit einer Seitwärtsrolle retten musste. Aber es war keine Zeit, erst zu Boden zu gehen. Sie hatte bei der vorrigen Rolle bemerkt, dass genau das das Problem gewesen war. Also musste sie die Zeit überbrücken, musste schneller sein, musste ... es direkt aus dem Stand wagen. Sie erinnerte sich erneut an seine Anweisungen: Kopf zur Seite, Blick trotzdem fixieren und mit Schwung und Selbstvertrauen zu Boden gehen. Das klappte! Aber uff. Das war natürlich und trotz allem ein weitaus heftigerer Aufschlag als aus der unteren Etage.
Gleichzeitig aber bedeutete es auch mehr Schwung. Sie kam weitaus besser auf ihre Füße und schaffte es, sich auch rasch wieder aufzurappeln, wenngleich sie die Anstrengung inzwischen merkte. Ihre Oberschenkel brannten schon leicht. Aber Freiya konnte es ignorieren. Sie sah eine weitere Attacke auf sich zukommen, mit übertrieben hohen Armen kam Ryu diesmal auf sie zu und Freiya wusste, dass sie nur eine Wahl hatte: Augen zu und durch! Sie rollte nach vorn an ihm vorbei und befand sich plötzlich in seinem Rücken. Auch diesmal hatten die Planken unter ihr und Freiyas Knochen auf ihnen ordentlich geächzt, aber auch diesmal war sie mit Elan in die Rolle gegangen und hatte genug Schwung, um wieder auf die Beine zu kommen. Einen kurzen Augenblick dachte sie, dass sie Zeit zum Durchatmen hatte, aber Ryu wäre nicht Ryu gewesen, wenn er nicht, ohne sich zu drehen, seine Übungswaffe nach hinten schnellen ließ, dass sie nur mit einer Seitwärtsrolle ausweichen konnte. Wie fies!
Als die Rothaarige sich erneut erhoben hatte, hatte er sich bereits wieder zu ihr umgedreht. Sie wischte sich ein paar nasse Haarsträhnen aus dem Gesicht und fixierte erneut ihren Lehrmeister, während sich ihr Brustkorb schnell hob und senkte. Dieses Bambusding würde sie heute noch in ihrem Schlaf verfolgen, das wusste sie!
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Die Rolle aus dem Stand hatte sie konzeptuell und instinktiv wohl schon verstanden. Für die ersten Versuche hatte der Templer ihr genügend Raum gelassen, diese vernünftig und sauber auszuführen. Aber auch hier war zu erkennen: Es lief zwar, wenn auch noch etwas unrund. Aber das war für die ersten male unter so einer Stresssituation in Ordnung. Die orangeroten Augen fixierten die rote Snapperin ruhig. Offenbar wurde es langsam anstrengend für sie - Gut! Er ging zwei Schritte vor ihr hin und her, ließ dabei das Werkzeug ihrer heutigen Alptärume ein wenig kreisen und nickte sachte. "Nicht übel. Gar. Nicht. Übel.", wurde das Lob für sie ausgesprochen. Es klang weder hämisch noch sonst irgendwie herablassend. Stattdessen... Erkannte er die Reaktionsschnelle des Rotschopfes an. Ob das ein Teil des Grundes für ihren Spitznamen war? Wenn sie auch nur halb so hart trainierte wie der Templer würde aus Freiya eine verdammt gute Meisterin des eigenen Körpers werden. Ein Grund mehr, die ganze Sache noch einmal auf die Spitze zu treiben, bevor er das Training für heute beenden würde: Dieses mal würden die Schläge so fallen, dass ihre Beinarbeit gefordert werden würde. Nicht jeder Schlag würde sich mit einer Rolle verhindern lassen, sondern hier und da mit einem Sprung über die hölzerne Klinge.
Zwar sagte der Hauptmann nichts zu seiner Schülerin, doch folgte auf ein sachtes Nicken direkt ein langer Schritt auf sie zu, die Klinge dieses mal in einem Diagonalschnitt von rechts unten nach links oben geführt. Sie hatte schalten wollen, sich an seiner Linken vorbei rollen wollen. Doch drehte sich der Schwertmeister direkt über seinen linken Fußballen zu ihr ab und führte seine hölzerne Waffe auf halben Wege auf sie nieder. Patsch! Dieses mal hatte es ihren Rücken erwischt und die Rolle endete in einer kurzen Flachlage. "Komm schon, weiter! Routinen verleiten zu Fehlern. Fehler zum Tod. Achte auf deine Umgebung und sei deinem Feind stets zwei Schritte voraus. Überlege, wie du dem Schlag entgehst und entscheide im selben Moment ob du zum Gegenschlag ausholst oder dich davon machen willst!"
Doch statt dieses mal nachzusetzen, reichte Ryu ihr die Hand um ihr aufzuhelfen. "Na gut, das war fies. Aber du siehst in welche Richtung sich das entwickelt, oder?"
Mittlerweile hatten sich einige der Wächter und andere Schaulustige um die Trainingsplattform versammelt. Gemurmel hatte sich breit gemacht, doch achtete der Hauptmann gar nicht darauf. Ihm war wichtig, seinen Fokus auf seiner Schülerin zu halten und nicht dem Gerede der anderen. Die Jungs und Mädels unter ihnen wussten ohnehin, dass, wenn sie Blödsinn in die Welt trugen, das Training am Folgetag umso härter und anstrengender für sie ausfallen würde. Denn wie hatte er schon einmal zu ihnen gesagt? Wer Zeit und Kraft für Unsinn hat, der hat auch genug Zeit und Kraft für eine ordentliche Ausbildung!
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Lichtung in den Sümpfen
"Kumbe, das darf doch nicht wahr sein!"
Dieser verfluchte Sumpf trieb sie noch in den Wahnsinn! Egal, was sie tat, Kisha gelang es einfach nicht, auf Kurs zu bleiben! Den Stegen zu folgen, klang ja schön und gut. Die Wege waren doch geradlinig und gut zu finden! Aber in Wirklichkeit endeten die Stege immer wieder auf leicht erhöhten Punkten, gabelten sich auf oder waren so von der düsteren Natur mitgenommen, dass man den weiteren Weg einfach nicht mehr erkennen konnte. Aber nun war sie sich sicher: sie hatte sich erneut verlaufen.
"Verflucht nochmal! Den Mnara-Baum muss man doch irgendwo mal sehen können!"
Zu übersehen war er ja kaum - leider jedoch war das Blätterdach hier so dicht, dass sie keinen Blick auf das Riesengewächs erhaschen konnte. Ja, selbst das Licht hatte Mühe, sich hier herunter zu ihren Augen zu kämpfen! Kisha fragte sich, ob es nicht langsam Zeit war, dem Sumpf um Tooshoo den Rücken zu kehren.
"So ein Riesen-Shiti! Diese verfluchte Brühe steht mir schon wieder in den Stiefeln! Kommt man hier überhaupt noch lang?"
Sie kämpfte sich mittlerweile nur noch auf's Geratewohl voran, in der Hoffnung, irgendwann einen Hinweis darauf zu bekommen, wohin sie sich wenden musste. Das war die einzige Option, sah man einmal von der ab, wieder umzukehren, auf Mama Hooquas Auftrag zu pfeifen und Toros Gastfreundschaft noch ein wenig länger zu genießen.
"Was ist das denn?"
Ein Stück voraus fiel Licht auf den Waldboden, mehr als anderswo in diesem Sumpf. Konnte das eine Lichtung sein? Vielleicht würde sie von dort aus den Mnara-Baum erspähen können! Kisha stapfte mit neu erwachten Lebensgeistern voran. Je näher sie dem Licht kam, desto fester wurde der Boden unter ihren Füßen. Die Feuchte des vergangenen Regens stieg unter den wärmenden Sonnenstrahlen als Dampf aus dem Gras auf. Als sie den Rand der Lichtung erreichte, seufzte sie auf.
„Danke, dass ihr mich hierher geführt habt, Mababu“, flüsterte sie im Gedanken an die Ahnen und trat näher.
Tatsächlich konnte sie von hier aus die Spitze desgroßen Baumes erspähen und sah, dass sie kaum vom Weg abgekommen war. Nur eine kleine Korrektur, und sie würde geradewegs auf Tooshoo zulaufen. Doch was sie viel mehr ergriff, war der Anblick des Baumes mitten auf der Lichtung. Er war nicht sonderlich alt, wenn man die Dicke des Stammes betrachtete, doch war sein Leben verwirkt. Kisha hatte den Blitz gehört, der auf ihrem Weg hinüber in’s Moleratgehege ganz in ihrer Nähe eingeschlagen war – nun kannte sie das Opfer dieses Schauspiels.
Der geschwärzte Stamm rauchte noch an der Stelle, an der der Blitz das Holz gespalten hatte. Der einst trotz seiner Jugend so prachtvolle Baum lag nun längs darniedergestreckt im dampfenden Gras, nur noch ein hölzerner Leichnam.
„Ein Schakalbeerenbaum…“
Diese Bäume kannte Kisha aus ihrer Heimat. Sie waren etwas Besonderes: die Früchte waren kaum für mehr als Alkohol zu gebrauchen, und das helle Splintholz ihres Stammes wirkte zunächst kaum brauchbar. Doch das Kernholz – dunkel, hart und dicht – war das feinste, das man in ihrer Heimat finden konnte. Es hieß, einst hätte sich Adiba, Fürstin der Aziza-Waldfeen, auf der Flucht vor dem Schakalgott Ndembe in den heiligen Hain von Mungu selbst gerettet. Mungu, hätte Adiba gefleht, rette mich vor den Fängen des Schakals, und ich will deine Herrlichkeit für immer preisen! Mungu, so hieß es, hätte ihr flehen erhört. Der alte Lumpen, den Adiba zur Tarnung getragen hatte, wäre in sprödes Holz verwandelt worden, das nicht zu mehr taugte, als ein schnelles Feuer zu machen. Er hätte sie mit Früchten behangen, die Ndembe täuschen und ablenken sollten. Der Schakal, hieß es, hätte die Früchte gefressen und sich satt und zufrieden davongestohlen, ohne Adiba je zu finden. Doch sie, erzählte man, verharrte noch immer im Herz des Baumes, und all ihre Kinder täten es ihr von diesem Tag an gleich.
Es hieß, nur wenn das Schicksal einem das Geschenk machte, durfte man diesem Baum das Kostbarste entnehmen. Dass Mungu ihr dieses Geschenk inmitten eines furchtbaren Ortes wie diesem machte, bedeutete Kisha alles.
„Ich danke dir, Vater von allem. Ich grüße dich, Adiba, und nehme das Geschenk deiner Tochter mit Ehrfurcht entgegen“, flüsterte sie. Mit gebeugtem Haupt ging sie auf ein Knie und legte ihre Faust auf die Brust. „Odija, Ahnherrin des Lebenshauches, bezeuge meinen Dank für diese Ehre.“
Kisha zog ihr immer noch stark lädiertes Buschmesser hervor und setzte eine Handbreit über der vom Blitz in Stücke gerissenen Stelle auf dem Stamm des gefallenen Baumes an. Das Werkzeug gab tat seine Arbeit immer noch gut, doch die Klinge gab mit jedem Hieb mehr nach an der Stelle, wo die Orkwaffe den Klingenrücken beschädigt hatte. Bald war der tote Baum vollends vom Stamm getrennt, und wahrlich: die verhüllenden Lumpen Adibas waren kein Gegner für das Eisen. Das Kernholz selbst war gerade noch dick genug, um es mit Mühe und Geduld entzwei zu schlagen. Bald war auch eine zweite Kerbe geschlagen, und Kisha betrachtete voller Stolz das Stück Holz in ihren Händen, das etwas länger war als die volle Länge ihres Armes.
„Danke, Adiba.“
Um Gewicht einzusparen, widmete sie sich mit Engelsgeduld dem Abschlagen des wertlosen Splintholzes. Mehr und mehr der hellen, porösen Hülle flog davon, und mehr und mehr des dunklen, fast schwarzen Holzes erblickte das Tageslicht. Es war so dicht, so hart und glatt und feinporig! Doch gerade als sie ihren letzten Hieb tat, geschah es: die Klinge ihres Buschmessers brach entzwei.
Kisha starrte ehrfürchtig auf die gebrochene Klinge in ihrer Hand. Es war ein Zeichen des Schicksals, ein Fingerzeig der Ahnen. Sie sollte nicht länger durch das Dickicht irren, nicht länger durch die Sümpfe streifen. Sie sollte aufbrechen und das tun, weshalb sie hergekommen war.
„Oh…“, hauchte sie, „Ich verstehe…“
Kisha stecke die Bruchstücke ihres Buschmessers in die Tasche mit dem Moleratfleisch – Eisen verschwendete man nicht! – und ergriff den Scheit Kernholz aus dem Herzen des heiligen Baumes mit beiden Händen. Sie verbeugte sich vor den Überresten der gefallenen Aziza.
„Ich werde es in Ehren halten.“
Sie schulterte das Scheit und lief an dem Schakalbeerenbaum vorbei zum Rand der Lichtung, just in Richtung des Mnara-Baumes Tooshoo.
Es wurde Zeit.
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Zum Gegenschlag? Wie sollte der denn aussehen?
Freiya überlegte kurz, aber natürlich hatte sie kaum Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Sie wollte eine Haarsträhne aus dem Gesicht pusten, was sinnlos war, denn an ihr klebte sowieso alles. Die Wärme des Sommers im Sumpf und die Anstrengung der Übungen hatten sie eh schon gut durchnässt. Selig sei der, der eine Dusche kannte!
Die Rothaarige ließ sich von ihrem Lehrmeister aufhelfen und stellte sich ihm wieder gegenüber. Er hatte seine Aufgabe verändert, das war ihr klar geworden. Er wollte abweichen von dem, was sie gerade getan hatten. Ihr vielleicht mehr Freiraum lassen zu entscheiden, was sie tat? Sie hatte es so verstanden. Und Freiya funkelte ihn an. Das war eine Herausforderung, die ihr trotz der Anstrengung, der Schmerzen und der blauen Flecke sehr zusprach. Fließende Bewegungen, den Gegner beobachten und versuchen, seine Bewegungen zu erahnen, waren ihre Steckenpferde, wenngleich sie weder wusste, woher sie das wusste und kannte und ebenso Ryu natürlich unterlegen war. Aber darum ging es nicht. Es ging um den Tanz. Um den Bewegungsfluss.
Es wird dich viel Mühe und Konzentration kosten. Es ist anstrengend, du musst mit deinem Kopf arbeiten und mit deinem Körper, nachdenken und kämpfen zugleich.
Oh, wieder diese Stimme!
Danke, Kopf, dass du mich daran erinnerst, dachte Freiya und mehr Zeit blieb ihr nicht mehr, denn Ryu erhob seine Übungswaffe und ließ sie abermals von rechts oben nach links unten sausen. Freiya duckte sich hinweg, drehte sich und er setzte sofort nach, dass sie nicht anders konnte, als mit einer Seitwärtsrolle auszuweichen. Sie rappelte sich gerade wieder auf, aber der Mann mit den auffälligen Augen hatte nicht vor, ihr Zeit zu lassen. Diesmal offensichtlich nicht. Schnell kam er auf sie zu und Freiya flüchtete mit einer Rolle nach vorn an ihm vorbei und setzte eine weitere Rolle nach, um genügend Platz zwischen sich und ihn zu bringen, um sich aufrichten zu können.
Keuchend kam sie wieder in den Stand. Schnell war er wieder bei ihr, zielte diesmal auf ihre Kniescheiben und Freiya blieb nichts anderes übrig, als ihren Fehler vor vorhin auszubügeln, in dem sie diesmal sprang. Doch als sie gerade froh war, diese Finte durchschaut zu haben, riss er das Bambusschwert nach oben und hätte sie erwischt, hätte sie sich nicht in die Felle fallen lassen. Den Kopf eingezogen, ausatmend und mit den Armen arbeitend fing sie sich, auch wenn die Planken ihren Aufschlag mit einem dumpfen Plonk quittierten. Da lag sie nun und hätte fast den Käfer auf dem Rücken gegeben, aber Ryu hatte gesagt, dass er Kreativität forderte, nicht starres Anhalten an dem Gelernten. Also drehte sie sich schnell auf den Bauch, genau im richtigen Moment, denn ihr Lehrmeister ließ seine Waffe auf sie niedersausen und hätte ihr mindestens noch ein weiteres Veilchen verpassen können, wäre sie nicht ausgewichen. Schnell kam sie in den Vierfüßerstand, aber er war schon hinter ihr. Sie wollte mit einer Rolle nach vorn flüchten, aber war nicht schnell genug weg, er erwischte sie dabei an den Fußgelenken.
Scavengerkacke!, fluchte die Rote Snapperin in ihrem Kopf. Abermals aber half Ryu ihr auf und für einen kurzen Augenblick atmete sie durch. Sie merkte, dass ihre Kräfte nachließen. Ihre Beine brannten und sie zitterte leicht ob der Anstrengung. Aber weder wollte sie sich vor dem Hauptmann noch vor den Zuschauern die Blöße geben und aufgeben.
Wenn sie nur etwas mehr Zeit hätte, seine Bewegungen zu beobachten, um seine Schritte vorauszuahnen, aber sie war zu sehr mit Ausweichen beschäftigt. Es war im Moment mehr ein Reagieren, statt ein Voraussein.
Mit einem Ausfallschritt kam der Hauptmann mit der Übungswaffe in der Hand auf sie zu und Freiya, die einst den Schwertkampf gelernt hatte, kam diese Bewegung merkwürdig vertraut vor. Doch weder war die Zeit darüber nachtzudenken, noch konnte sie es für sich in ihrem Kopf einordnen. Sie wich zur Seite und gekonnt drehte er seine Waffe mit einer Drehung seines Handgelenkes und zielte auf ihren Bauch. Diesmal hatte sie genügend Freiraum und Zeit, um sich mit einer Rückwärtsrolle zu retten. Schnell blickte sie nach oben, als er ihr nachsetzte und in einer weiten Bewegung den Stab über sie hinweg gleiten ließ, dass sie sich auf den Boden werfen musste, Atmung nicht vergessen!, und flach da lag, um der Attacke zu entgehen. Er brachte schließlich etwas Abstand zwischen sich und die Rothaarige und Freiya nutzte die Zeit um sich wieder einmal aufzurappeln. Sie ächzte dabei, ihre Muskeln brannten und die Knochen taten weh.
Nach einem kurzen Augenblick kam das Bambusschwert wieder auf Höhe von Freiyas Knien.
Wieder wollte sie springen, doch ihre schweren, schmerzenden Beine hatten gar keine Lust mehr. Sie kam nicht über den Stock, blieb hängen und im Fallen streckte sie die Arme aus, und fand ihren Lehrmeister, an dem sie sich in einem letzten Akt der Fall-Verzweiflung festzuhalten versuchte.
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WAS für ein Tanz! Jeder Hieb entlockte eine wilde Reaktion in der Freiya über den Platz tanzte, während Ryu ihren Schritten folgte und sie weiter forderte in dieser immer wilder werdenderen Partie aus Entscheidungen, Reflexen und wilden Bewegungen. Fast wäre er in ein freudiges Lachen ausgebrochen, doch konnte er den Spaß den er an dem ganzen verspürte gerade so im Zaum halten. Einmal um sie nicht in Verlegenheit zu bringen, dann wiederum musste das Gesicht als Lehrmeister gewahrt werden. Die Wächterschaft wusste zwar, dass es sich bei dem Templer und seinen Methoden manchmal um sehr harte und exzentrische Dinge handelte, doch noch nie hatte er seine Schüler belächelt oder gar ausgelacht. Und bei so einem roten Wirbelwind wie Freiya würde er schon gar nicht erst anfangen!
Wie sie sprang. Sich bewegte. Es war wie bisher voraus geahnt: Je länger und anstrengender, desto mehr übernahmen ihre Instinkte, wodurch ihre Technik litt. Aber das war auch völlig unwichtig. Perfektion kam durch Wiederholung. Momentan war es ein Feuer an Lektionen und das simulieren einer völlig brennzligen Situation in der sie schlicht das bisherige anwenden sollte. Es war ein simpler Grundstein der Fallschule auf dem sie nun aufbauen konnte. Wieso auch große Vorträge halten wenn sie die Dinge auch selbst erleben konnte? Und nebenbei... Würde es ihrer Kondition für die künftige Ausbildung einen Vorgeschmack geben.
Und dann... War es vorbei...
Der Fußfeger brachte seine Schülerin schließlich zu Fall und... Sie fiel direkt in die Richtung des Hayabusa! Für den Bruchteil einer Sekunde weiteten sich seine Augen dabei und die Instinkte schalteten: Ob es am Adrenalin lag? Alles wirkte wie in Zeitlupe, während er noch im Schwung der Waffe ließ er das Übungsschwert fliegen. Es hatte wohl noch genug Momentum um einen der Zuschauer, Wilhelm den Schreihals an seinem Oberschenkel zu treffen. Zumindest ließ sein charakteristischer Schrei das vermuten. Doch Wilhelm würde damit schon klar kommen. Viel wichtiger war Freiya, die der Templer nun mit ausgestreckten Armen auffing. Die Wucht ihres, im Verhältnis zu seinen sonstigen Trainingspartner eher leicht ausfallenden Körpers tat bei dieser Wucht ihren Teil und schob ihn einige Schritte zurück. So, dass er am Rande der Plattform einen Fuß kräftig gegen deren Rand stieß um nicht mit ihr hinunter zu stürzen. Und so verharrten die beiden. Was für die Umstehenden vielleicht nur ein Augenblick war, zog sich für den Hüter mit einem mal. Seine Arme lagen schützend geschlossen um den Rotschopf. Links um ihre Tailie, rechts um ihre Schultern. Fast schon wie beim rückwärts Fallen hatte er den Kopf dabei sachte mit dem Kinn in ihrem Haarschopf vergraben und... Es... Fühlte sich so unglaublich weich an... Der Wyvernbeseelte schloss die Augen und atmete einmal sachte ein. Gut. Der Sturz war verhindert... Doch was war das? Ihre Note... Ihr Duft... Trotz des Schweißfilmes auf ihrer Haut war es nicht so beißend... Ob es an ihrer sonstigen Note lag? Irgendwie süßlich... Irgendwie... Wohlig. Und dann war da noch ihr Körper. In seinen Armen die meist nur den groben Umgang mit Amboss und Klinge kannten fühlte sie sich so... Sanft an. Aber gleichzeitig nicht so zerbrechlich wie das verweichlichte Weibsvolk in den Städten. Auf der Haut seiner Unterarme konnte der Templer die durchnässte Kleidung seiner Schülerin spüren und gleichzeitg strich er, unbewusst mit dem Daumen über eine kaum merkliche Unebenheit. War das eine Narbe? Für ein Muttermal war sie zu schmal. Zu lang.
Der Templer atmete langsam auf. Wohl der Moment indem auch seine Schülerin bemerkte, dass sie nicht gefallen war. Keinen Schmerz erwarten musste. Und aufblicken konnte. Und so trafen sich die Blicke zweier Komplementärfarben. Unruhig. Ob sie den Schreck von gerade verarbeitete? Natürlich tat sie das. Ihr Herz pochte schließlich vor Anstrengung. Aber warum... Wanderte sein eigener Blick unruhig entlang ihres Gesichtes. Einst trug er dieselbe Augenfarbe wie sie. Und nun? Blickten die Wyvernaugen entlang ihrer Konturen. Geprägt vom Leben ohne vom frühen Alter heimgesucht zu werden. Feine Lippen deren Mundwinkel verrieten, dass sie doch öfter lächelte als es einem vielleicht auffiel. Und tiefe, unergründliche Augen. Als blickte man durch den Lichtschein einer Lichtung in die mysteriösen Tiefen eines starken, gesunden Waldes. Ryu schluckte einmal langsam. Er wollte etwas sagen, formte stumme, zusammenhanglose Silben die seine Eindrücke von ihr in Form bringen wollten, doch dann riss ihn das Pflichtbewusstsein wieder aus der Situation. Mit trockener Kehle hauchte er nur, sanft lächelnd und den Kopf etwas schief gelegt ein "Alles in Ordnung. Ich hab' dich...".
Kurz dachte er nach. Da war sie doch: diese verdammte Blöße! Der Templer dachte nach. Dann schaute er wieder herunter zu seiner Schülerin, nachdem seine ersten Worte Zeit gehabt hatten zu wirken. "Zieh den Dolch an meinem Gürtel und halt' ihn mit der Spitze in Richtung meines Bauchs... Und nicht erschrecken... Ich pack dein Handgelenk als wollte ich dich stoppen..."
Wie sonst hätten sie das Bild eines epischen Übungskampfes halten sollen? Schließlich hatte er ihr währenddessen durchaus Anweisungen gegeben. Und wenn die Leute sahen, dass sie geschafft hatte was bisher nur die wenigsten vollbracht hatten... Die Legende der roten Snapperin würde wachsen und Ryu als Hauptmann nachwievor seinen Stand behalten. Manchmal war er aber auch ein Genie! Zumindest versuchte er sich das unter dem laut pochenden Organ in seiner Brust einzureden...
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Schwarzwasser
„Hey, ist das nicht der Neue der mit dem Schönen Valerion angekommen ist?“
„Jeff, wieso – ich frage jetzt wirklich – wieso nennst du ihn „den Schönen Valerion“? Du bist vierzig Winter alt und behauptest, so viele Kinder in die Welt gesetzt zu haben, dass du eine Armee gründen könnest … also warum?“
„Äh … Hey, äh, Neuer! Hier her! Beliar, ist das ein schwarzer Wolf auf deinem Buckel?“
„Ich krieg’s noch raus, Jeff, ich krieg’s noch raus …“
„Holla, Neuer, du stolperst ganz schön. Los, wir helfen dir.“
Das Vorgeplänkel der beiden Wächter war ihm entgangen, als er auf die Stege der Ruinen von Schwarzwasser stolperte. Der Rückweg aus der Hochebene zwischen Gebirge und Sumpf war anstrengender gewesen als es der Hinweg in all seiner Länge. Das hatte damit angefangen, dass er beim Ausnehmen des Warg-Kadavers bemerkt hatte, dass seine Visage höllisch schmerzte. Etwas, das Kiyan im Kampfrausch gar nicht bemerkt hatte. Eine kurze Untersuchung mit den Händen hatte ergeben, dass der abgewehrte Sprungangriff des Wargs doch zumindest teilweise sein Ziel gefunden hatte. Die Zähne hatten ihm nämlich jeweils eine schöne Kerbe auf der rechten Mundseite über den Lippen sowie quer über den Nasenrücken verlaufend eingebracht.
Nun, hatte sich Kiyan dann schief grinsend gedacht, du hast das Blut deines Gegners vergossen, bevor du starbst.
Notdürftig hatte der Kämpfer dann dafür gesorgt, dass die Wunden einigermaßen verbunden wurden und sich dann auf dem Weg gemacht. Doch selbst ausgenommen und nur auf das Fell und die Krallen reduziert, hatte der Wargpelz noch einiges gewogen. Dies in Verbindung mit dem langen Rückweg, der unwegsamen Gegend und einem hungrigen Wolfsrudel im Nacken, ergaben dann einen Kiyan, der am Ende seiner Kräfte nach Schwarzwasser torkelte und am liebsten auf der Stelle geschlafen hätte.
„Das sollte sich einer anschauen“, murmelte der namens Jeff.
„Alles gut.“, winkte Kiyan heiser ab, „Halb so wild.“
„Ist das ein … Warg?“
Der Gortharer nickte erschöpft. „Zäher Mistkerl. Aber mit dem Speer habe ich ihn erledigt.“
„Stimmt, du warst mit Kral unterwegs, nicht wahr?“, der andere Wächter schnippte mit den Fingern, als es ihm wieder einfiel. „Ja, genau … wo ist Kral denn?“
„Wollte er Verstärkung holen?“, fragte der Wächter Jeff.
Kiyans Züge wurden abweisend, ja geradezu düster. „Das Thema werde ich mit dem Hauptmann besprechen. Ich schulde ihm ja auch den Pelz.“
„Sollen wir dir …“
„Nein, nein, lasst mal gut sein, Jungs. Ich kenne den Weg. Macht’s gut.“
Jeff schüttelte den Kopf. „Der Schöne Val hätte sich nicht so malträtieren lassen …“
„Jeff, ernsthaft … was ist nur los mit dir?“
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Das hatte Freiya nicht erwartet.
Und wenn jemand gefragt hätte, was genau nicht, dann hätte sie wohl alles gesagt. Aber da stand sie nun in der Umarmung ihres Lehrmeisters und musste zunächst erst einmal realisieren, dass ihr tatsächlich nichts passiert war. Sie war weder auf die Planken gefallen noch irgenwie hart auf Ryus Beinen gelandet. Nein ganz im Gegenteil. Sie stand da, aufgefangen und sicher. Und das war das, was sie für einen Augenblick die Luft anhalten ließ. Sie verharrte, spürte die Arme um sich herum und wo sich eigentlich sonst ihr Körper sofort steif gemacht hätte, weil er die ungewohne Berührung nicht hatte haben wollen, ließ sie es geschehen. Nicht nur das, sie fand es sogar angenehm.
Nach all dem, was er sie heute hatte machen lassen, das Rennen, das Fallen, das Rollen, das Hüpfen, das Ausweichen, das Taktieren, hatte er sie am Ende nicht ins Leere laufen lassen. Es wäre so einfach gewesen, sie nicht aufzufangen, sie einfach ungelenk auf die Felle zu schicken mit dem Hinweis, dass es eben genau so enden konnte. Aber das hatte er nicht getan. Nein, er hatte sie sicher. Und das war, was Freiya zwischen all den Lektionen, zwischen all den Hieben, ihrem schmerzenden Körper und ihrem pochenden Herz am meisten zusetzte. Diese Selbstverständlichkeit.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hob sie den Kopf, wollte sich bedanken, aber sie bekam keinen Ton heraus, als ihr Blick auf seine Augen traf. Und so tat Freiya das, was sie am besten konnte: schweigen und ihren Gegenüber anschauen. Für einen Wimpernschlag konnte sie in seine Augen sehen, war sein Blick offen und weich, während er ihr Gesicht musterte. Ihr Blick aber blieb an seine ungewöhnlichen Augen geheftet, denen sie so nah war wie noch nie. Zwei funkelnde orangfarbene Saphire, die oft Teil seines ganzen Gebarens waren, aber eigentlich in kleinen Augenblicken - wie diesen - viel mehr erzählten, als er es vielleicht ahnte.
Nur kurz währte dieser Moment, dann war er wieder da, der hauptmännische Blick. Aber Freiya würde nicht vergessen, was sie gesehen hatte. Und es machte den Menschen Ryu Hayabusa viel interessanter als jedwede Geschichte, die hier im Wald über ihn erzählt wurde.
Er hob schließlich die Mundwinkel.
"Alles in Ordnung. Ich hab' dich..."
Worte, die es eigentlich nicht gebraucht hätte, die Freiya aber sanft in die Realität zurückholten, schließlich waren sie immer noch auf dem Übungsplatz, hatten sogar Zuschauer. Als der Rothaarigen wieder einfiel, wo sie war, blinzelte sie kurz verlegen, aber der Hauptmann wusste sofort, was zu tun war.
Ihre Hand wanderte nach unten und fand tatsächlich den Dolch. In Freiyas Kopf flüsterte die Rote Snapperin eine schmutzige Bemerkung, die Freiya fast die Röte in die Wangen getrieben hätte - wenn diese nicht eh schon da gewesen wäre. Sie zog den Dolch und wie ihr Lehrmeister es gewollt hatte, richtete sie die Spitze auf seinen Bauch.
Sie hörte, wie die Umherstehenden die Luft einsogen. Wie angekündigt packte Ryu ihre Hand und riss sich von ihr los und ihre Hand mit dem Dolch in die Höhe. Er drehte seine Schülerin zu ihren Beobachtern hin und deutete mit einem - in Freiyas Augen zufriedenen - Grinsen auf Freiya.
"Die Rote Snapperin!", hörte Freiya auf einmal Ronja rufen und dann ertönte ein langer Pfiff. Ein Gejohle erhob sich, dass Freiya unwillkürlich lächeln musste, aber sich trotzdem unsicher umsah.
Durst! Sie hatte gerade einfach nur Durst!
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Das war ja nochmal gut gegangen! Und so... Erstaunlich gut sogar! Wie nach einem großen Arenakampf wurden der Hauptmann, aber allen voran seine Schülerin für ihre außerordentliche Leistung gefeiert. DAS waren Grundsteine für große Geschichten. Und Ryu empfand Freude wie Stolz, diesen für... Nein, mit ihr gelegt zu haben. Und das nach erst gut zwei Tagen. Langsam ließ er ihre Hand schließlich sinken. Dabei beobachtete sie er, das Grinsen im Gesicht unverändert. Dieses mal zumindest ließ er sich nichts anmerken, doch in seinen Gedanken spielte er noch einmal den Moment von gerade durch. Und das Grinsen wich, wenn auch nur kurz einem sanften Lächeln. -Zwei Tage... Und schon gibst du mir etwas, an das ich mich noch oft erinnern werde, rote Snapperin... Freiya.-, dachte sich der Hauptmann, als ihn auch schon einer der älteren Wächter auf den Oberarm boxte und laut lachte.
"Wirst langsam alt, was, Hauptmann!?" tönte der Mann mit dem Vollbart. Darius war sein Name und er war damals einer der ersten Wächter, die vom Hauptmann in den unzähligen Trainingskämpfen auf die Matte geschickt wurde. Der Kerl hatte damit einen besonderen Status genossen und konnte sich die ein oder andere Frechheit bei ihm durchaus erlauben. Und er zeigte, dass Ryu nun wirklich kein unnahbarer Mistkerl war. Nun, unnahbar sicher nicht. Mistkerl... Darüber konnte man streiten. "Tanzt da der hübsche Rotschopf um dich rum und schon gehen dir erst die Konzentration und DANN der Dolch flöten! Ney, ney, ney...", führte der Vollbartträger fort und begann zu lachen. Einige der anderen Wächter die er mittlerweile unter sich hatte begannen ebenso zu schmunzeln und, zum ersten mal seit langer Zeit fühlte sich Ryu den "Menschen" von Tooshoo wieder etwas näher. Augenrollend atmete er tief durch, runzelte die Stirn und hob die Schultern. "Was soll ich sagen? Der Schüler spiegelt den Lehrmeister wieder... Ein Zeichen, dass ich bei dir wohl geschlampt habe!". Einer der Wächter von Darius Trupp schüttelte unter einem lauten Johlen die Hand, als habe er sich gerade verbrannt, doch Darius schüttelte nur lachend den Kopf. "Tja, hätte, hätte, Sklavenkette! Naja, ich werd die Jungs jetzt noch bisschen durch den Schlamm treten! Heute Abend Bier?"
Ryu hob erneut die Schultern. "Mal sehen... Ich...", kurz blickte er, die Stirn noch immer gerunzelt zu Freiya die sich vor neuen Verehrern und einer strahlenden Ronja kaum zu retten vermochte. Dann grinste der Hauptmann erneut, doch bevor er etwas sagen konnte, fiel Darius ihm ins Wort. "Jaja, beschäftigt mit Hauptmannskram und hinter deinem Tisch verschimmeln! Naja, was solls. Dann bis heute Abend, Hauptmann! Bewahre!"
Und damit zogen die wilden Acht davon und gaben dem Templer zumindest ein wenig Luft, sich wieder zu bewegen. Und das tat er auch: Ruhigen Schrittes ging er zu dem Pfosten an dem die Trinkschläuche hingen, welche er sich sogleich griff. Dann ging schob der Hauptmann sich nach einem Räuspern hier und da an den Leuten vorbei die allemöglichen Fragen an den Rotschopf hatten. Wie sie das gemacht hatte. Wo sie das gelernt hatte. Welches Haarfärbemittel sie benutzte und ob sie einen Freund hatte. Und dann war da noch diese merkwürdige Anfrage, Fußbilder von ihr zu zeichnen. Kurios! Doch statt große Worte an sie zu richten, reichte er ihr einfach den Wasserschlauch von der Seite. "Hier. Hast du dir redlich verdient.", fielen die ersten Worte sehr sanft aus, dann blickte er in die Menge, hob eine Braue und atmete einmal tief durch.
"Und ihr? Habt ihr nichts zu tun? Der Südsteg ist noch immer brüchiger als die Knochen der Sesselfuzer in den Klöstern von Thorniara und ihr da drüben solltet schon längst die Ruinen patroullieren! Und du? Solltest du nicht bei deiner Frau sein, statt hier Füße aufs Papier zu pinseln!? Genug gegafft!"
Er hatte wieder gehauptmannt. Und das sehr gut. Nach und nach löste sich die kleine Versammlung also auf und jeder begann nacheinander wieder seinem Tagewerk zu fröhnen. Lediglich Ronja stand noch am Rande der Plattform und schaute mit großen Augen zwischen beiden hin und her. Zufrieden ließ sich der Templer auf seinen Hintern fallen. Beide Handgelenke auf dem jeweils zugehörigen Knie ruhend und zu Freiya blickend. "Du beweist wirklich Durchhaltevermögen, Liebes. Nach zwei Tagen können das wenige von sich behaupten... Aber viel wichtiger: Wie fühlst du dich?"
Dann ging der Blick kurz zu Ronja und er reichte ihr den anderen Wasserschlauch. "Durstig? Siehst so blass aus... Ronja? Richtig?"
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Freiya war dankbar und erleichtert, dass Ryu die Übersicht behielt. Sie war körperlich und geistig erschöpft, aber er kümmerte sich. Kümmerte sich um die Horde Zuschauer und darum, dass sie was zu trinken bekam. Die Rothaarige reichte ihrem Lehrmeister seinen Dolch und nahm erleichtert den Wasserschlauch. Sie setzte an und erst wieder ab, als der Schlauch leer war. Während sie den letzten Schluck im Mund hin- und herwälzte, beobachtete sie Ronja, die von Ryu angesprochen wurde. Das strahlende Lächeln ihrer Freundin verwandelte sich ein wenig, als er ihr den Schlauch anbot. Ihre Augen wanderten einmal von oben nach unten über den sitzenden Hauptmann und wieder zurück. Keck sah sie ihn an:
"Das ist richtig, Hauptmann Hayabusa. Und ja, sehr durstig!"
Mit Schwung griff sie den Schlauch und trank, während sie Ryu nicht aus den Augen ließ.
Freiya lächelte und schüttelte zugleich den Kopf. Sie sagte nichts, wischte sich selber den Mund ab und hängte sich den Trinkschlauch über die Schulter. Sie ließ Ronja ihren Augenblick genießen, schließlich hatte die Bognerin am Ende ihrer Übungseinheit für Freiya die Initiative ergriffen. Mit einem Lächeln, das Bände sprach und einem Funkeln in den Augen warf Ronja Ryu schließlich den Wasserschlauch wieder hin. Eine stumme Einladung, die er nicht missverstehen konnte.
Die Rothaarige indessen ließ ihren Blick schweifen. Nach Ryus Worten waren die anderen Wächter entweder wieder ans Training oder ihre Arbeit gegangen. Was sie alles hatten von der Rohaarigen wissen wollen ... Einmal mehr schüttelte sie leichjt den Kopf. Sie würde gleich noch die Felle einsammeln und hoffte, dass ihr Lehrmeister sie heute nicht mehr um den Baum schickte. Sie war wirklich zu erschöpft. Da fiel ihr ein, dass er ihr eine Frage gestellt hatte. Sie wandte sich also wieder Ryu zu:
"Wie ich mich fühle?"
Sie lehnte den Kopf erst nach links und dann nach rechts.
"Mir tut alles weh, ich bin von meinem eigenen Schweiß durchnässt und mein Magen hängt in den Kniekehlen", gab sie zu. "Ich hätte jetzt gerne ein heißes Bad, eine ordentliche Mahlzeit und dann meine Ruhe. Und vielleicht ein Mittagsschläfchen. Und diesen Alptraumstab da will ich für mindestens einen Monat nicht mehr sehen."
Dann aber lächelte sie:
"Aber ich fühle mich gut. Ich habe das Gefühl, etwas geschafft zu haben. Dank dir. Das hatte ich lange schon nicht mehr. Hab vielen Dank! Für diese Übungseinheit und deine Worte und ..."
Sie brach ab. Einerseits war sie nicht sicher, was sie sagen wollte und anderseits stand da ein Mann an der Seite der Übungsplattform, der ein totes Tier bei sich trug. Ein riesiges, hässliches Vieh, das entfernt an einen Wolf erinnerte.
Freiya erkannte ihn als Kishas Begleiter vom Vortag. Hatte er seinen Namen verraten? Nicht, dass sie sich erinnerte.
"Ich glaube, da will jemand zu dir", sagte sie zu Ryu und deutete mit einem Nicken in die Richtung des Mannes. Ryu drehte sich um, dann stand er auf.
"Komm, Ronja", sagte die Rothaarige, "lass mich hier aufräumen und dann bei Mama Hooqua was essen. Der Hauptmann hat hauptmännische Dinge zu erledigen."
In Ronjas Gesicht spiegelte sich einen kurzen Augenblick eine gewisse Enttäuschung. Dann aber lächelte sie Freiya an:
"Ja, das klingt gut!"
Freiya atmete auf. Ihr Streit war beigelegt.
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Irgendwo in den nördlichen Sümpfen
Nach ihrer Begegnung mit dem sterbenden Schattenläufer verlief ihre weitere Reise durch den Orkwald überraschend ereignislos. Keinen einzigen Ork hatten sie zu Gesicht bekommen. Eine in Arzus Augen glückliche Fügung des Schicksals. Zwar stand sie Orks nicht feindlich gesinnt gegenüber, doch würde eine Begegnung selbst im besten Fall Zeit kosten. Mit jedem Tag, der verging, wuchs das Verlangen der Varanterin, endlich den Tempel zu erreichen. Vielleicht saß Beliar persönlich in ihrem Nacken und trieb sie voran. Was es auch war, sie konnte sogar beinahe mit den langen Schritten des Landstreichers mithalten.
Als sie an den Rand des Orkwalds vordrangen, bot sich ihnen ein atemberaubender Blick auf das Blätterdach des tiefer liegenden Sumpfes. So viel Grün auf einmal hatte Arzu noch nicht zu Gesicht bekommen. Es wirkte geradezu einladend, hätte sie nicht gewusst, dass unter den Baumkronen ein Morast wartete. Für den Augenblick galt der Blick der Varanterin allerdings dem Zentrum des Sumpfes. Ein gigantischer Baum ragte hoch über allem anderen.
»Bäume werden normalerweise doch nicht so groß, oder?«, fragte Arzu, die Flora hauptsächlich aus den Gärten Ishtars und den Oasen in der Wüste kannte. Es bestand kein Zweifel, dass dieser spezielle Baum uralt sein musste. Vielleicht verhielt es sich dabei wie bei Krokodilen, Waranen und anderen Reptilien, die Zeit ihres Leben nicht aufhörten zu wachsen.
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Kiyan hatte finster schweigend auf der Übungsplattform gewartet, während der Hauptmann und die Frau, deren Haarfarbe Kisha so poetisch mit der Farbe eines Primatenhintern verglichen hatte. Nach ihrem Übungskampf hatte der Hayabusa natürlich eine Gruppe von Wächtern, die Maulaffen feilhielten und Sprüche klopften zusammengestaucht und dann noch ein wenig mit der Begleiterin der Rothaarigen geschäkert.
So sehr ich ihn respektiere, dachte Kiyan bei sich, diesen Krieger, ich würde diese Bande anders führen. Ich würde ihnen keine Zeit zum Gaffen und Grölen geben. Würde ich sie untätig rumeiern sehen, würde ich ihnen den Arsch bis zum Stehkragen aufreißen und jedes Farnblatt im Sumpf einzeln zählen lassen.
Dann wandte sich der Hauptmann ihm endlich zu, das vorige Grinsen wich einer ernsteren Miene, als er die Beute Kiyans sah. Ächzend ließ der angehende Wächter den toten Warg – nun, die Reste davon – auf die hölzerne Plattform gleiten und erhob sich dann auf etwas wackligen Beinen.
„Ich präsentiere Euch“, Kiyan verzog das Gesicht vor Schmerz, rieb sich über das getrocknete Blut auf dem Nasenrücken und den Lippen, „einen toten Warg aus dem Vorgebirge. Getötet im … nun, fairen Kampf von mir mit diesem götterverdammten Speer hier.“
Der Kämpfer schmeckte Blut, räusperte sich und spuckte aus. „Ganz verletzungsfrei habe ich es nicht geschafft. Aber nun, jetzt sehe ich wenigstens wie ein Krieger aus.“ Er wankte kurz, stützte sich dann mehr auf den Speer, als dass er ihn heroisch posierend hielt. „Leider ist mir im Gebirge der gute Kral abhandengekommen. Naja, vielmehr hat er sich einfach verzogen. Richtung Setarrif. Wollte wohl wissen, warum die Orks sich da regelmäßig hinbewegen oder so.“
Jedenfalls … das ist meine Beute, die ich zum Wohle des Waldvolkes gejagt habe. Warge sind Ork-Hunde, Gezücht dieser Kreaturen. Ein Biest weniger, das sie auf uns hetzen können. Und … das Fell und die Krallen …“ Ein erneutes Wanken, der Kämpfer fing sich aber wieder. „… das Fleisch musste … musste ich zurücklassen. Wölfe … folgten mir …“
Angestrengt musste Kiyan blinzeln, die Augen mit Mühe offenhalten. Adanos, er war so unglaublich müde, fühlte sich, als hätte kein Mensch jemals so sehr gegen den Schlaf ankämpfen müssen.
„Entschuldigt, Hauptmann. Der Rückweg war anstrengend. Hier ist meine Beute für Euch. Mehr als eine Blutfliege, so viel ist klar.“ Ein kurzes, schiefes Grinsen huschte über Kiyans Züge. „Reicht das?“
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Ruinen von Schwarzwasser~
Dumpfe Stimmen dröhnten durch die Dunkelheit. Als säße man unter Wasser. Kaum verständlich und durch eine schwammige Mauer der Undeutlichkeit verschleiert tönten die Stimmen an Ohren die zwar nur vage wahrnahmen, doch an kein waches Bewusstsein trugen. Da war nur Dunkelheit. Links. Rechts. Oben. Unten. Nur Dunkelheit. Und die Geräusche von außen. Und... Sie. Die Peinigerin und, wie sie sich selbst auch gerne betitelte, Wohltäterin. Sie saß dort, einige Meter entfernt auf dem riesigen Körper einer Schlange. Dieser war nur zu einem kleinen Teil zu erkennen. Und sie? Sie saß da, mit ihren Händen im Schoß. Und beobachtete. Hier und da war sie bereits in dieser Gestalt erschienen: Eine Frau deren alabasterfarbene Blässe von grünlich schimmernden, schwarzen Haaren umrahmt wurde. Sie wirkte... Anziehend. Hatte etwas verführerisches an sich das zugleich einschüchterte. Als würde man etwas höchst gefährliches und doch so hypnotisch schönes betrachten. Wo die äußerst weiblichen Rundungen unter dem recht... Freizügigen Kleid gerade genug Raum hatten, um die Fantasie spielen zu lassen, offenbarte es dennoch genug um nicht zu viel des Spielraumes zu gewähren. Doch wenn man sich bei all diesen Äußerlichkeiten nicht nur auf das wesentliche beschränkte, konnte man erkennen, wie immer wieder eine schmale, lange und gespaltene Zunge neugierig über ihre Lippen zuckte, während die unnatürliche Augenpartie statt einem gesunden Weis ein markantes, giftgelbes Grün zeigte, wurde ihre Pupille von einer ebenso warnenden, grünen Farbe umrahmt. Ebenjene Pupille wirkte auch weniger menschlich, als wie die einer Schlange... Und wenn man sich diesem Blick überhaupt entziehen konnte, fiel einem auch sehr schnell auf, dass die nackte Haut jener Frau an einigen Stellen mit einem seltsamen Muster aus Schuppen geziert war.
Es war die Form, in der Ningishzida, der Geist der Schlange Vareesa erschienen war. Erneut. Um sie erneut zu malträtieren? Die Wanderin hob langsam den Kopf und setzte sich auf. Unweigerlich durchfuhr sie ein scharfer Schmerz am Hinterkopf. Der Reflex darauf ließ sie direkt an die dicke Beule an ihrem Hinterkopf greifen. Dann zuckte sie, ähnlich zischend wie die nun markanten Umgebungsgeräusche, zusammen. Die Wanderin presste die Augenlider zusammen und versuchte zu atmen. Doch die Luft in dieser Dunkelheit war... Spärlich und es dauerte nicht lange, bis sich ihr Organismus mit den "engeren" Lebensumständen angefreundet hatte. Es war... Unangenehm. Dann... Sah sie ihre "Gönnerin" und stand langsam auf. Es war ein merkwürdiges Gefühl. Als stünde sie auf einem sanft mit Wasser benetzten Boden. Doch da war keine Nässe. Lediglich das Gefühl austretender Wellen von dem Punkt auf den sie ihre Füße gesetzt hatte. Doch die Wanderin schwieg. Sie kannte diesen Ort. Von früher. Alte Träume in denen die Herrin der Schlangen ihr schon einmal erschienen war in der Zeit ihrer langen Reise.
"Du bissst alssso zurückgekehrt, mein Kind.", ertönte es aus Richtung der Schlangenherrin. Doch konnte die Wanderin keine Regung in ihrem Gesicht erkennen. Aber das war nichts neues. Sie musste keine Regung zeigen, um mit ihrem 'Schützling' zu sprechen. Und auch ihre Stimme hallte von allen Seiten wieder. Schmeichelte sich gleich warmen Worten in ihr Gehör und begann wie warmer Honig ihre Sinne zu umnebeln. Es war ihre Art. Ihr Wesen. Verführerisch wie giftig zu sein. Vareesa hatte, selbst nach all der Zeit, noch immer Probleme damit diesem Theater zu widerstehen. Also antwortete sie nicht. Zu sprechen ohne aufgefordert zu werden war diesem so eigenwilligen Geist ohnehin zuwider. Die Bognerin hasste das. Mit jeder einzelnen Zelle ihres Körpers hasste sie diese 'Audienzen' bei ihr. Sie wollte doch nur frei sein. Aber wie, wenn man einem so seltsamen Wesen in der Hand lag? Wehrlos und ausgeliefert? Diese Ähnlichkeit zu damals... Vengard... Die Frau mit den grünen Strähnen schüttelte energisch den Kopf, während der Nachhall Ningishzida's Worte sich in ihrem ganzen Körper ausbreitete und ihr eine kalte Gänsehaut bescherte die zugleich prickelte wie sie Vareesa ekelte. Warum spielte dieses Wesen so mit ihr? Was hatte sie von an der Bognerin nur gefressen? War das die Strafe, weil sie ohne besseres Wissen vor so vielen Jahren aus der verbotenen Quelle getrunken hatte?
"Du bisssst noch sssso schwach. Sssso... Erbärmlich... Bald... Schon ssssehr bald... Wirssst du dich wieder in meiner sssanften Umarmung befinden... Und die geschenkte Chance... Verlieren."
Vareesa hob den Blick. Die Augen geweitet, die Brauen wütend zusammen gezogen. Hatte sie sich nicht mit der Magie befasst? Gelernt, sie zu kontrollieren und das Gift in ihren Adern so zu leiten, dass es ihr nicht schadete? Veränderte es sich etwa über die Zeit? War es das, was nach all den Jahren nun blieb? Die Aussicht auf engere, schneidende Fesseln? Die Bognerin realisierte nicht, wie sich ihre eigenen Nägel in ihre Handfläche bohrten. Es war das erste mal, dass sie der Gestalt in dem silbrig blauen Kleid entgegen starrte. Trotzig. Wütend. Doch sie schaffte es nicht. Sie öffnete ihren Mund, doch entwich kein Wort. Sondern nur das gezwungen, unterwürfige Zischen einer Schlange, während das Gift in ihren Adern zu pulsieren begann. Sie auf die Knie zwang und den krampfhaften Griff um ihr Herz wieder erlangte. Die Frau aus Vengard atmete schnappartig und griff sich an die Brust. "Aufmüpfigesss Kind...", zischte es in ihren Ohren. "Du diensssst miiir."
Vareesas Herz schlug. Versuchte es. Es kämpfte an gegen den Griff der Schlangenherrin, doch sie schaffte es nicht. In der Schwärze in der sie hier kniete... Drohte sie zu versinken. Doch dann...
Der kleine Spatz hüpfte aufgeregt hin und her! Er hatte sich unglaublich viel Mühe gegeben, von dem komischen Flachnest herunter zu kommen und nach seiner Reisegefährtin zu sehen. Da hatte sie komische Töne von sich gegeben, war umher gewandert wie eine Verrückte und dann hingefallen. Und jetzt regte sie sich nicht mehr! Stattdessen murmelte sie nur und... Ihr federloser Kopf glänzte so merkwürdig! Das sah seltsam aus. Aber was konnte ein Spatz schon über die Körperfunktionen der Nackten wissen? Außer, dass sie seltsames Essen zu sich nahmen. Dennoch: Er hatte eine Lebensschuld bei ihr, also musste er nach ihr sehen! Und sie anpicken! Es war keine Zeit und kein Ort, hier zu schlafen. Sie hatte schon genug geschlafen vor der Ankunft an diesem seltsamen Ort. Und außerdem brüllte dort in der Ferne irgendetwas Großes! Und große Dinge hatten meist keine Ahnung davor, Spatzen, egal wie mutig sie waren, zu verspeisen! Also begann er zu picken! Direkt auf die Stirn seiner Begleiterin. Einmal. Zwei mal. Drei mal. Und noch einmal!
Ein lautes Brüllen riss Vareesa aus ihrem Traum. Ruckartig schreckte sie nach oben. Die Augen geweitet und in ihren Ohren das verklingende Zischen ihrer aufgezwungenen Herrin. Doch dieses wich sehr schnell dem lauten Fluchen des kleinen Spatzen, der sich völlig verärgert aufrichtete und sie zu schelten begann. Doch das Gezeter drang am Ende nur ansatzweise an sie heran. Zu sehr war sie mit dem Ringen nach Luft beschäftigt, während ihre Finger gespreizt in den rotbraunen Haarschopf griffen. Energisch hob und senkte sich der Brustkorb der Bognerin, während sie zu deuten versuchte was das gerade war. Dann, als sie die tiefblauen Augen für einen Moment schloss, hörte sie erneut dieses fremdartige Brüllen das sie hatte aufschrecken lassen. Und vermutlich ihrem Retter gehörte. Die Kapuzenträgerin verharrte eine Weile und konzentrierte sich auf die letzten Sekunden des Traumes. Und dann... Schoss es ihr durch den Sinn: Ein von weißem Fell geziertes, großes, katzenartiges Wesen. Umrahmt von einem Kragen aus silbrigem Haar. Einer majestätischen Mähne... War das... Ihr Retter gewesen? Sie begann zu grübeln und abermals durch ihre Haare zu fahren und sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Sie war patschnass geschwitzt...
"Auuuuu!", entfuhr es ihr plötzlich als sie die dicke Beule an ihrem Hinterkopf befuhr und dann den Meißel erspähte. "Und du bist schuld, du Drecksding! Aber... Dieses Wesen..."
Die tiefblauen Augen wanderten zum Fenster. Hinauf zur Krone des großen Baumes. "Kleine Spatz... Ich glaube, wir sollten nicht mehr weiter herum trödeln..."
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Am Rande des Sumpfes...
Yarik nickte langsam auf Arzus Frage. Der Baum, der dort mitten im Sumpf aufragte, war in der Tat – gewaltig. Anders konnte man es nicht ausdrücken. Selbst aus der Ferne wirkten sogar die sicherlich mehrere Jahrhunderte alten Eichen, die sie während ihrer Reise durch den Orkwald immer wieder gesehen hatten, dagegen wie winzige Setzlinge. Und waren das dort Hütten und Laufstege, die er am Stamm dieses Kolosses sehen konnte?
„Bei den Jägern in Stewark habe ich ein paar Geschichten aufgeschnappt… aber ich hab‘ das für Jägerlatein gehalten, übertriebenen Unsinn, mit denen einige der Jüngeren einfach nur angeben wollten. Hab‘ mich wohl geirrt. Nun ja… Wir sollten jetzt vorsichtig sein. Angeblich wohnen hier noch Leute vom Waldvolk, und ich bin mir nicht so sicher, ob die uns mit offenen Armen willkommen heißen werden.“ Er sah zu Arzu und schenkte ihr kurz ein schiefes Grinsen: „Versuch, nicht zu bedrohlich auszusehen…“
Es dauerte nicht mehr lange, bis sie die ersten Ausläufer des Sumpfes erreichten. Zuerst nahm die Dichte an Fliegen und Mücken, die einen umschwärmten und einem in Nase und Mund flogen, wenn man nicht aufpasste, deutlich zu, dann begann der Boden immer nasser und matschiger zu werden. Jeder Schritt wurde von einem schmatzenden Geräusch begleitet und man musste aufpassen, dass man nicht ausrutschte.
Nach einer Weile entdeckte Yarik endlich einen Steg, der, wenngleich er bereits morsch und heruntergekommen war und kaum weniger glitschig als der Untergrund, doch wenigstens trockene Füße und ein etwas leichteres Vorankommen versprach. Je tiefer sie in den Sumpf vordrangen, um so öfter kamen die beiden Wanderer nun auch an den Überresten einer Siedlung vorbei, die einst von beachtlicher Größe gewesen sein musste, jetzt aber nur noch aus den vor sich hin modernden, in der wuchernden Vegetation oft kaum noch erkennbaren Skeletten von Holzhütten bestand. Überall lag ein Geruch von Fäulnis und verrottendem Holz in der Luft, und in der Ferne, wo das Wasser sich in schwarzen, öligen Tümpeln sammelte, konnte Yarik die unförmigen Schemen von Sumpfhaien ausmachen. Zum Glück schienen die Biester kein Interesse daran zu haben, sich in der Nähe des Stegs herumzutreiben.
„Heda! Stehenbleiben!“
Yarik zuckte zusammen, als plötzlich die raue Stimme ertönte. Er hatte den Mann, der sich ihnen jetzt in den Weg stellte, nicht bemerkt, bevor er aus dem Schatten einer baufälligen Hütte hervorgetreten war. Er war nicht besonders groß, aber breitschultrig und hielt einen Speer in der Hand. Die Waffe hatte er zwar nicht drohend auf sie gerichtet, aber seine Haltung und sein verkniffener Gesichtsausdruckt signalisierten eindeutig, dass er sie genau im Auge behielt und sich nicht so einfach überrumpeln lassen würde.
„Wer seid ihr, und was wollt ihr hier in Schwarzwasser?“, verlangte er zu wissen.
Geändert von Yarik (20.08.2023 um 17:53 Uhr)
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Während Yarik bereits Kontakt mit den Einheimischen gemacht hatte, glitt Arzu im Hintergrund mehr schlecht als recht über das glitschige Holz des vermoderten Holzstegs. Nichts von all dem hier besaß auch nur die geringste Vertrautheit für sie. So viel Feuchtigkeit, so viele lästige Insekten und dieser ekelhafte Geruch. Nichts mehr wünschte sich die Varanterin in diesem Moment als den heißen Wüstensand unter den Füßen und den trockenen Wind in den Haaren.
Weil sie im Begriff war, geradewegs in den nächsten Tümpel zu rutschen, krallte sich Arzu an einem Baumstamm fest. Das hatte sie zwar gestoppt, doch klebte jetzt grüner Morast an ihren Händen und unter ihren Fingernägeln.
»Bah! Das ist doch echt nicht euer Ernst?!«, schimpfte die Varanterin und versuchte vergeblich den Moder von den Händen zu wischen, ohne ihre Kleidung zu verdrecken. Dass sie dabei einen bewaffneten Kerl ignorierte, war Arzu völlig gleichgültig. Wütend rieb sie schließlich den Moder an ihrem Mantel ab und schloss zu Yarik auf.
»Wir sind Reisende aus Stewark und ich will einen Weg raus aus Schwarzwasser!«, sagte sie unverhohlen auf die Frage des Fremden. Der konnte sich indes das Lachen nur schwerlich verkneifen und auch Yarik zog eine Miene auf, die ein Grinsen zu überspielen versuchte. Arzu funkelte die beiden böse an.
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