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Wortlos hatte Kiyan den Zustand von Valerion erkannt. Seine Jagd war wesentlich rabiater verlaufen, hatte dafür am Ende aber auch zwei prächtige Sumpfratten als Beute ergeben. Der Reisegefährte sah dabei natürlich aus wie das eingetretene Kellerfenster zu irgendeiner lausigen Hinterhofkneipe, die ihre besten Jahre noch nie erlebt hatte. Aber der Jäger war nach wie vor mehr als verstimmt vom Verhalten des Mannes, welches er auch nun wieder in bester Weise präsentierte. Der Bärtige rief brüllend wie ein paarungswilliger Ochse, ehe die beiden Wächter reagierten und ihnen nach den üblichen Lagerbelehrungen den Weg zum Hauptmann wiesen.
Ächzend schleppten die beiden Männer ihre Beute hinauf, ehe sie vor der Räumlichkeit des Hauptmanns standen. Nun übernahm jedoch Kiyan die Führung und klopfte. Er vernahm ein gedämpftes Seufzen, schwere Schritte und sah dann ein bekanntes Gesicht aus dem Zwielicht des Raumes blicken.
Der Gortharer starrte zwei, drei Sekunden, ehe er aus heiterem Himmel zu lachen anfing. Nach der Jagd war es ein gutes Gefühl, allen Druck durch das herzhafte Lachen abzulassen. Der Grund für seine Heiterkeit war die Ironie, dass Sarkany der Hauptmann war. Der wyvernäugige Krieger sah ihn ausdruckslos an, ehe er sich beruhigt hatte und sich räusperte.
„Hauptmann Sarkany, wir sind zurückgekehrt“, erklärte Kiyan und rieb sich eine Träne aus dem Augenwinkel, „Valerion hat zwei Sumpfratten erlegt. Beute, deren Fleisch als Vorrat genutzt werden kann.“ Er deutete achtlos auf die Beute des Herumtreibers. „Ich hingegen habe diese Bestie hier … erlegt. Scheint eine Art Lurker zu sein. Sie ist keine Beute, nein, es war vielmehr ein Akt der Gnade, da irgendwer oder irgendetwas die Hübsche in ihrem Gelege übel zugerichtet und tödlich verwundet hatte. Schlechte Qualität für einen Jäger, die Arbeit eines anderen zu beenden? Mag sein, aber ich hörte, dass das Waldvolk sich als Hüter der Natur betrachtet. Wenn da draußen als Wesen unterwegs sind, die aus Spaß töten … nun, dann betrachte ich es als Aufgabe, sie zur Strecke zu bringen.“
Als er geendet hatte, löste er die Riemen um den Lurker und seufzte, als er erneut der gezackten, tiefen Brustwunde Gewahr wurde. Er blickte zu Valerion, wartend, ob er noch etwas zu sagen hatte.
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"Thorniara also. Und du bist dir wiiiiirklich sicher?", fragte Ronja zum hundertsten Mal.
Freiya nickte.
"Ist ein ewig langer Weg! Ist ja sogar am anderen Ende dieser vermaledeiten Insel!", stellte sie fest und schüttelte die braune Mähne.
"Deswegen muss ich mich gut vorbereiten", erklärte Freiya. "Und deswegen wollte ich dich fra-"
Weiter kam sie nicht, denn es schallte markerschütternd vom Boden zu ihnen ins Geäst hinauf:
„WIR SIND VALERION UND KIYAN! SARKANI SCHICKT UNS, WIR WOLLEN ZUM HAUPTMANN UM UNS ANZUSCHLIEßEN! WIR HABEN AUCH GEJAGTE BEUTE DABEI, JEDER HAT SEINE EIGENE BEUTE GEJAGT!“
Die beiden Frauen sahen sich stirnrunzelnd an. Ein paar Vögel waren empört losgestoben und von weiter weg war ein entrüstetes Brüllen zu hören.
"Was im Namen der heiligen Mutter Natur war das?", fragte Ronja mit einer Mischung aus Geringschätzung und Neugierde in der Stimme.
In dem Moment kam Ricklen zu ihnen auf die Plattform.
"Das waren zwei Kerle, die wohl unten reingelassen werden wollen", erklärte er.
"Ach was, wär ich gar nicht drauf gekommen!", erwiderte Ronja. Freiya schmunzelte.
"Haben dich wohl beim Mittagsschläfchen gestört, was?", erwiderte Ricklen spöttisch und boxte ihr freundschaftlich mit der Faust gegen den Arm.
"Haben sie gar nicht! Freiya und ich hatten hier zu tun!"
"Wenn du meinst", erwiderte der Jäger schulterzuckend. Während Ronja schmollend die Lippen schürzte, versuche Freiya vorsichtig einen Blick nach unten zu erhaschen.
"Pfff, was für ne Arschgeige, hier so rumzubrüllen wie ein besoffener Sumpfhai auf Brautschau", sagte Ronja.
"Ich denke, Neue können wir doch sicherlich gut gebrauchen", erwiderte Freiya ruhig. Ihre Freundin wirkte aufgebracht. Hatte sie sich erschrocken oder war sie sauer, dass Freiya Tooshoo verlassen wollte?
Da sie zu hoch in den Ästen saßen, konnten sie unten nichts erkennen. Außerdem war nun wieder Ruhe eingekehrt, dass Freiya sich wieder an ihre Freundin wandte:
"Also, was ich sagen wollte, ist, dass ich einen neuen Bogen brauche, bevor ich auf die Reise gehe. Kannst du das für mich übernehmen?"
Ronja schwieg. Freiya konnte es ihr ansehen, dass sie mit sich haderte. Es schien sie tatsächlich zu beschäftigen, dass Freiya gehen würde.
"Du willst fort?", fragte Ricklen.
Freiya nickte:
"Ich muss. Ich muss etwas finden, dass ich vor langer Zeit verloren habe und es ist sehr wichtig."
Ricklen nickte:
"Verstehe, dann lass dich nicht aufhalten, Mädel!"
Sie würde sich nicht aufhalten lassen. Von niemandem. Aber sie wollte nichts überstürzen. Sie hatte einen Plan. Das gab ihr Sicherheit.
Ronja schnalze mit der Zunge, dann sagte sie: "Das wird Fridtjof das Herz brechen."
"Es geht hier nicht um Fridtjof!", erwiderte Freiya, nun nicht mehr ganz so ruhig. "Es geht um mich. Um mein Herz. Ich kann hier nicht rumsitzen, während mein Unterbewusstsein mich ruft!"
Während er sie rief ...
Freiya versuchte sich zu beruhigen. Sie wollte ihrer Freundin nicht vor den Kopf stoßen.
"Versteh mich doch bitte. Von allen hier kennst du mich am besten. Ich möchte euch ungern zurücklassen. Ganz besonders dich. Aber ich muss etwas tun, sonst werd ich noch verrückt."
Sie machte einen Schritt auf ihre Freundin zu und nahm ihre Hand:
"Und ich hatte gehofft, dass, wenn du mir einen neuen Bogen machst, ich immer an dich denken kann, egal, wo ich bin. Weil du mir wichtig bist."
Ronja blickte missmutig auf ihre Hand in Freiyas. Sie schwieg eine Weile und die Rothaarige konnte sehen, wie es in ihr arbeitete. Dann zog sie ihre Hand weg:
"Ja, nagut. Ich mach dir einen neuen Bogen."
Freiya lächelte.
"Danke!"
"Ist gut jetzt, ich geh mir jetzt diesen Schwachmaten da unten angucken", sagte die Braunhaarige und verschwand zwischen den Ästen. Freiya sah ihr hinterher. Ricklen, der noch neben ihr stand, tat es ebenso.
"Sie ... hat dich wirklich gern, kann es nur nicht so zeigen. Sie wird trotzdem drüber hinwegkommen", sagte er zu der Rothaarigen.
Freiya schwieg. Sie hoffte es.
"Fridtjof hingegen ...", sprach Ricklen.
"Ach, jetzt hör halt auf!"
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Während Kiyan einen Lachanfall bekommen hatte, schwieg der Kerl einfach nur. Was für ein dummer zufall das doch war. Immerhin hatte er es sich gleich mit dem Hauptmann wortwörtlich verschissen ... na das werden sicher spannende Tage in der nächsten Zeit. Dadurch das Valerion so eine große Klappe hatte, durfte er sicher die nächste Zeit sehr viel schmutzige Arbeit machen und das hatte er wohl auch verdient. Er ließ seinen Kumpanen reden und antwortete erstmal nicht.
Vielleicht hätte er auch einfach das Tor klopfen sollen aber na ja Valerion hatte schon immer das Gefühl, er müsse einen epischen Auftritt hinlegen, was ihn meistens immer eins aufs Maul gebracht hatte, na ja er war schon im Söldnerlager der gewesen, der eine große Fresse hatte und meistens dafür auch Konsequenten tragen musste. Sei es in wochenlanger Nachtwache oder auf gefährliche Missionen gewesen. In Varant war es nicht anders gewesen, da hatte er auch immer geprallt und natürlich die schlimmsten Missionen abbekommen aber dies hatte ihn auch Stark gemacht.
Er blickte den großen Kerl einfach nur stumm an, er wusste aber eines, nämlich das er sich nun beweisen musste, um hier wirklich aufgenommen zu werden. Er schulterte das geschenkte Schwert, wartete ab und hatte nur einen Gedanken im Kopf.
Der Kerl musste wieder lernen, wie er das Schwert im Kampf effektiv nutzen konnte.
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Da standen die beiden nun. Dem einen, Valerion, hatte es die Sprache verschlagen und sein Gaffen war für den Hauptmann ein inneres Blümchenpflücken. Diese mysteriöse Sarkany-Nummer hatte nun schon so oft funktioniert und sie tat es noch immer. Der Templer lachte sich gedanklich ins Fäustchen, ließ sich jedoch nach außen hin nichts anmerken. Stattdessen betrachtete er in aller Ruhe, was die beiden da angeschleppt hatten. Ein paar Ratten und ein Sumpflurker. Letzteres war eine Kreatur, welche die Natur wohl aus einem ihm unerfindlichen Grund so gestaltet hatte wie sie nunmal aussah. Keine Schönheit, aber wer wollte schon schön sein, wenn er sich von Sumpffliegen und Morast ernährte? Dabei lauschte er den Worten Kiyans und betastete die Wundränder der Kreatur in aller Ruhe. "Keine Wilderer." stellte der Hüter recht schnell fest, während seine Fingerspitzen über die zackige Öffnung wanderten. Schließlich lehnte er sich noch etwas vor und schnupperte zwei mal nahe der Wunde. Dann nickte er. "... Junger Sumpfhai... Mhrm... Sehr jung."
Ryu erhob sich und blickte zu den beiden. Dann fiel ihm auf, wie Valerion zu ihm hinauf blickte. Der Templer runzelte die Stirn. Es war ihm, wie immer, ein Rätsel wie es Leute schafften ihn anzublicken, als wäre er ein Nordmarer Hüne. Und das mit seinen stolzen 1,78m Größe. Aber das lag wohl unweigerlich an seiner Art aufzutreten und dem gestählten Körper den er sein eigen nennen konnte.
"Sind paar fette Ratten... Sollten 'nen guten Eintopf abgeben... Und was den Lurker angeht..."
Der Blick des Hayabusa wanderte zu der toten Kreatur hin. Es war schwer auszudrücken, ob in seinen Augen eine kurze Spur von Bedauern oder aber Zorn aufblitzte. Vielleicht beides. Aber so war es nun einmal in der Wildnis. Es herrschte das Gesetz des Stärkeren. Das Rot-Orange haftete sich nun an Kiyans Blick. "Du scheinst mehr Ahnung zu haben, als ich dir nach unserem ersten Treffen zugerechnet hätte..."
Ryu trat an eines der Wasserfässer rechts von seinem Tisch und nahm zwei Krüge heraus. Ein kurzer Schwenk, dann füllte er sie erneut mit Wasser und stellte sie auf die letzte, kleine, freie Stelle auf seinem Tisch. "So eine Jagd kann anstrengend sein. Vor allem wenn es einem an Erfahrung fehlt. Also... Bedient euch."
Niemand sollte behaupten, der Hauptmann wüsste nicht, wann jemand eine Leistung erbracht hatte. Vielleicht war es aber auch seine Art zu erklären, dass Taten beim Waldvolk mehr Gewicht hatten als heiße Luft. Eine Art Vorgeschmack auf künftige Aufgaben und die daraus resultierende Bevorteiligung.
Dann ließ er sich salopp auf seinen Stuhl plumpsen, stützte die linke Gesichtshälfte auf seiner Faust ab und wechselte mit seinen Blicken immer wieder zwischen den beiden hin und her. "Ich nehm' mal an, du bist Kiyan?" ging es schließlich an den entsprechenden Namensträger. "Du hast nicht ganz unrecht mit dem was du gesagt hast. Wenn du es so willst, lebt das Waldvolk in einer Art Symbiose mit der Natur. Wir nehmen nicht mehr als wir brauchen und bewahren unsere Heimat vor Eindringlingen und Schädlingen. Daher auch die Grußfloskel 'Bewahre'. Könnt ihr euch schonmal merken... Tja und sonst... Es gibt Wilderer... Banditen... Aber auch, hrm, nennen wir es mal übernatürliche Einflüsse die immer mal wieder ausgemerzt werden wollen. Und ja, es gibt tatsächlich Wesen die rein aus Freude am Schaden andere jagen. Korrumpierte Wesen, beeinflusst durch fremde Mächte oder niedere Instinkte wie Gier oder Unersättlichkeit. Und die treten zu gerne auch mal in menschlicher Form auf..."
Der Templer selbst nahm einen Schluck aus seinem Krug und setzte diesen mit einem deutlichen "Plock" wieder auf der Tischplatte ab. "...Und manche... Manche sind einfach nur Arschlöcher die nicht weiter als zehn Meter Feldweg denken und sich einen Spaß daraus machen, Lebewesen zu quälen und wahllos Wälder abzuholzen."
Der Hayabusa lehnte sich schließlich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopfbereich seiner Stuhllehne, mit seinen Fingerspitzen aufs Holz tippend. "Ich werds nicht verleugnen: Ihr habt gezeigt, dass ihr was könnt und das ist schonmal ein Anfang. Dass da sogar ein wenig philosophisches Verständnis für unsere Wege zutage liegt... Nich' übel. Darauf kann man aufbauen. Daher sollt ihr eure Chance bekommen: Ich mache euch hiermit zu Anwärtern für die Wächter von Tooshoo."
Ruckartig lehnte sich der Hauptmann wieder nach vorne und zog sich irgendein altes Butterbrotpapier zwischen seinen Unterlagen hervor, ehe er den Kohlestift zückte und etwas darauf kritzelte. Dabei erklärte er nebenher ein paar Dinge. "Ihr bekommt eine Unterkunft bei den Wächtern und regelmäßig Aufgaben zugewiesen. Diese umfassen so ziemlich alles was anfällt: Wachdienst, Reperaturen in und um Tooshoo, Patroulien nahe des Baumes und entsprechende Berichterstattungen."
Das Schrifststück war fertig und der Hayabusa schob es über den Tisch zu den beiden. Im Grunde waren es nur ein paar eifrig hingekritzelte Anweisungen an einen gewissen "Jotaro", der den beiden zeigen sollte, wo was zu finden und wo ein Schlafplatz frei war. "Außerdem solltet ihr beiden zusehen, dass ihr lernt wie man mit Waffen umgeht. Spitze in Feindrichtung ist zwar schonmal ein Anfang, aber mir sind auf den ersten Blick gut sieben Dinge aufgefallen die einem geübten Schwertkämpfer nicht im Traum eingefallen wären... Und das mit dem Speer... Da ist auch noch einiges an Feinschliff nötig. Immerhin seid ihr angehende Verteidiger von Tooshoo. Und wenn ihr im Ernstfall keine zwei Augenblicke übersteht wirft das ein ziemlich bescheidenes Licht auf mich. Also... Kümmert euch drum, ja?"
Der Templer blickte kurz in den leeren Krug und verzog das Gesicht. Auf dem Boden hatte sich doch wirklich irgendein undefinierbares Insekt festgesetzt. Angewidert schob er das Gefäß beiseite, blickte dann wieder zu den anderen. "Noch Fragen? Wenn nicht, bringt eure Beute rüber zu den Jägern zum Hautabziehen. Ihr seid am richtigen Ort wenns am meisten stinkt. Den Rest leiten die Jäger dann schon in die richtige Richtung. Jotaro sollte dagegen irgendwo vorm Baum rumhängen wo die Wächter sich körperlich ertüchtigen. Naja oder oben auf der Baumkrone... Keine Ahnung, ich bin nich' seine Mutter und ihr könnt das nutzen um euch mit Tooshoo vertraut zu machen. Und geht den Druiden nicht auf die Nerven... Ach und ihr könnt mich Ryu nennen. Oder Hauptmann. Oder Hauptmann Ryu. Irgendeine Variante davon..." Ryu überlegte, ob er irgendetwas vergessen hatte. Hatte er mit Sicherheit auch, aber ein wenig Eigeninitiative hatte noch niemandem geschadet. Also lehnte er sich wieder zurück und schloss die Augen. Gerade als die beiden Neulinge sich dann daran machten, die Kommandantur zu verlassen, öffnete der Templer nochmal sein rechtes Auge und fasste Valerion in den Blick. "Ach, Valerion? Kleine Bewährungsaufgabe für den Anfang: Einen Monat lang keinen Alkohol. Wilkommen auf Tooshoo!"
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Ein Sumpfhai also … nein, ich weiß nicht. Vielleicht war es eine dieser wurmartigen Kreaturen, aber wenn ich schätzen müsste, würde ich eher auf eine ziemlich martialische, primitive Axt oder Klinge tippen.
Aber diese Gedanken sprach Kiyan nicht aus. Es gab jetzt ganz klare Verhältnisse. Und wenn der Hauptmann der Überzeugung war, dass es ein junger Sumpfhai war, würde er keine Diskussion anfangen, die letztlich durch ein ‚Ich habe recht, weil ich das Sagen habe!‘ beendet werden würde. Also nickte der Kämpfer nur, als der Hauptmann ihm mehr Ahnung und ein gewisses Verständnis für die Werte des Waldvolkes zugestand. Es gab Zeiten, da hätte Kiyan bei einer solchen Belehrung geseufzt oder dumme Kommentare in Valerion’scher Manier abgegeben, aber das war sein jugendliches, achtloses, dummes Ich gewesen.
Am Ende erklärte der Hauptmann ihnen ihre Pflicht als Anwärter der Wächter von Tooshoo, was für Kiyan einen unschön langen Klang und den Beigeschmack von ‚Ihr seid dabei, aber eben noch nicht so ganz richtig‘ hatte. Aber auch dahingehend nickte der Mann nur stoisch und nahm die Worte des Wyvernäugigen zur Kenntnis.
Gerade wollte er schon weitergehen, nachdem der Hauptmann sie entlassen und Valerion noch erklärt hatte, er solle einen Monat ohne Alkohol klarkommen, als Kiyan einfiel, weswegen er ja eigentlich so hektisch mit seinem Gefährten im Gepäck hier hingereist war.
„Hauptmann“, begann er, nachdem Valerion grummelnd an ihm vorbei getreten war, „Letztens in Schwarzwasser hatte ich nicht die Gelegenheit, die Nachricht zu überbringen. Ich lebte einige Zeit im Stewarker Land bei einer Gruppe Jäger, die eine mehr oder weniger lose Verbindung zum Waldvolk hier haben. Angeführt werden sie … oder wurden, je nachdem ob er noch lebt, von einem alten Hasen namens Lharc, einem Waldläufer. Wir waren auf dem Weg zu einem Treffen mehrerer Jäger beim Orkwald, aber am Unterschlupf angekommen, fanden wir nur einen Toten und Spuren von Kämpfen. Und ich fand den hier“ – der Kämpfer nickte in Richtung seines Speeres – „Lharc sprach von Knochenbrecher-Orks. Sie seien wohl wieder aktiver. Würden sich mehr trauen. Könnten eine Gefahr werden.“
Der angehende Wächter sah seinen Vorgesetzten an. „Solltet Ihr … irgendwann einmal in diese Orks jagen, nun, ich würde mich anschließen. Ich schulde ihnen schließlich ihren Speer“, ein schmales Lächeln huschte über Kiyans Züge, ehe er nickte und mit einem „Hauptmann“ die Räumlichkeiten verließ. Es galt sich erst einmal zurecht zu finden auf diesem übergroßen Baum.
Geändert von Kiyan (01.07.2023 um 21:27 Uhr)
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Valerion und Kiyan waren schweigend und in Gedanken versunkend zu den Jägern marschiert, um ihre Beute abzuliefern. Beim Anblick der fetten Sumpfratten seufzte einer der Bewohner des Baumes schwer und schüttelte angewidert den Kopf, ehe er ausspuckte.
„Sumpfratte. Tag ein, Tag aus. Sumpfratte“, er schüttelte sich kurz. „Ich kann die Scheißviecher nicht mehr sehen. Sumpfrattenkeule, Sumpfrattensuppe, Sumpfrattenragout, Sumpfrattenbraten, Sumpfrattenfilet, Sumpfrattenschaschlik …“
Valerion grinste nur, ehe der Jäger seine Aversion gegen Sumpfratten mit einem kurzen Schluck aus einem ledernen Flachmann ertränkte. Kiyan sah seinem Reisegefährten an, dass er gerne nicht nur einen kleinen Schluck genommen hätte. Es würde sich zeigen, ob der Rumtreiber das Zeug dazu hatte, die Aufgabe des Hauptmanns zu erfüllen. Der Jäger steckte den Flachmann wieder weg und besah sich den toten Sumpflurker.
„Ah, keine Schönheit“, er verzog das Gesicht, „Aber bis auf die Wunde gut erhalten. Hast du den mit einer Feuersteinaxt erschlagen?“, fragte er schief grinsend. Kiyan blickte ihn nur ausdruckslos, fast unterkühlt an.
„Ich fand sie so“, erklärte er knapp, „Das ist keine Jagdbeute.“
„Ah“, der Mann nickte kurz, räusperte sich, „Ok. Fressen kann man das Biest nicht. Aber die Krallen und das Leder kann man gebrauchen. Soll ich dir was draus fertigen lassen?“
Aber der Kämpfer wandte sich nur mit einem „Kein Bedarf“ um und machte sich mit seinem Gefährten im Schlepptau auf den Weg zu dem Mann namens Jotaro. Diesen fanden sie vor dem Eingang des Baumes, wo er herumlümmelte. Wahrscheinlich, weil der Hauptmann sich gerade nicht blicken ließ.
„Ah, der Brüllaffe und der Speerheini“, begrüßte er die beiden. „Ihr seid also die Neuen? Na, dann bin ich mal gespannt.“
Kiyan trat vor, reichte dem Wächter die Notizen des Hauptmannes. Auf die Worte reagierte er nicht. Auch Valerion schwieg er und knabberte gedanklich wahrscheinlich an der Bewährungsprobe.
„Gut, pennen könnt ihr zwei bei uns Wächtern. Wir sind auf der unteren Ebene beheimatet, nach oben hin finden sich dann die Waldläufer und Seher und ganz oben dann die Hüter und Druiden. Die Lehrlinge, Wächter und Jäger finden sich allesamt unten.“, erklärte Jotaro, „Wachdienst habt ihr entweder am Eingang zum Baum, auf den Stegen in und um Schwarzwasser oder in der Baumkrone. Alkohol und Sumpfkraut sind im Dienst nicht gerne gesehen, es wird euch aber keiner verbannen, wenn ihr mal an nem Stängel zieht“
Ein kurzes Grinsen in die Gesichter der beiden. Nur Valerion reagierte mit einem wissenden Lächeln, Kiyan hingegen sah Jotaro einfach nur an. Dieser schüttelte kurz den Kopf und fuhr dann fort: „Reparaturen können auch stattfinden. Man spielt mit dem Gedanken, die eine oder andere Hütte wieder in Schuss zu bringen. Dafür wärt ihr auch da. Oder Kochdienst. Wir Wächter sind grundsätzlich erstmal Mädchen für alles, damit sich die kleinen Druidenlehrlinge nicht die Finger schmutzig machen. Nun, kommt mit zur Waffenkammer. Du, Speerträger, brauchst offensichtlich ein Schwert. Rüstzeug braucht ihr beide sowieso. Wir haben sicher noch einige Lederrüstungen und Umhänge da, die euch passen.“
Also folgten sie Jotaro und ließen sich ausrüsten. Der Kämpfer erhielt ein grobes Schwert, gut ausbalanciert und eine verlässliche, schlichte Waffe. Dann verabschiedete sich Kiyan mit einem kurzen Nicken und einem gemurmelten „Viel Glück“ von Valerion. Er würde erst einmal wieder üben müssen. Und vielleicht fand er hier irgendjemanden, der sich mit der Kunst des Speerkampfes auskannte …
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Freiya stand auf einem Ast und lauschte.
Immer schon hatte sie gelauscht. Hatte immer genau zugehört, was die Menschen um sie herum gesagt hatten oder manchmal auch nicht, hatte eine Menge mitbekommen und es trotzdem oft für sich behalten. Sie konnte gut zuhören.
Hier, beim Volk am Baum hatte sie gelernt, noch besser zuzuhören. Das Wichtige und das Unwichtige zu unterscheiden und die Informationen, die sie aufnahm, nicht nur zu erfassen, sondern für sich zu nutzen.
Sie vernahm das Murmeln weiter unter sich am Fuße des Stammes. Das geschäftige Klappern von Hooqua. Sie hörte das Knistern eines Feuers. Und das Brummen eines Blutsaugers nicht weit von ihr.
Sie stand ein wenig nach vorn gebeugt, um ihren Blick schweifen zu lassen. Sie war nicht ganz oben im Baum, das war den Anführern und Druiden und hochwichtigen Leuten vorbehalten, aber sie hatte einen guten Ausblick. Der Mond schien und erhellte die Szenerie durch eine Lücke im Astwerk. Es war ruhig. Sie hatte keine Nachtwache zu halten, mochte es aber, die Stimmung im Baum am Ende des Tages in sich aufzusaugen.
Ja, sie fühlte sich wohl hier. Fühlte sich geborgen in der Mitte dieser verschrobenen Gemeinschaft. Wie eine Familie waren die anderen für sie geworden. Und trotzdem würde sie gehen. Würde den Baum vorerst verlassen. Ein Ast ragte zu ihrer Rechten in die Nacht. Sie berührte das Holz mit ihren Fingerspitzen. Es fiel ihr schwer, aber sie würde gehen.
"Das verstehst du doch, oder?", flüsterte sie dem Ast zu. Aber der Baum schwieg.
Seit sie wieder in Tooshoo von ihrem Ausflug nach Feshyr angekommen war, hatte sie oft über Lyrca, die Séance und ihr Treffen mit den Raufbolden nachgedacht. Besonders eine Sache beschäftigte sie immer wieder:
"Erinnerungen sind viel wichtiger und auch viel mächtiger als jeder Schatz", hatte Hakenhand gesagt. "Tät jeden Schatz der Welt hergeben, aber wöllt nicht einen Augenblick der Welt ohne die Männer hier."
Wie unerwartet diese Worte von dem raubeinig wirkenden Raufbold gewesen waren. Aber sein Blick hatte alles verraten. Er hatte seine Männer vom Herzen her gern gehabt.
Vielleicht war er viel reicher, als er dachte? sinnierte Freiya. Er hatte es doch selber erkannt: Kein Schatz konnte ihm die Zeit mit seinen Freunden ersetzen. Geld konnte niemandem aufrichtige Treue erkaufen. Das beste Beispiel waren doch sie hier am Großen Baum: Sie hatten wenig zum Überleben, aber sie konnten sich aufeinander verlassen.
Reichtum bedeutete, gute Erinnerungen immer wieder durchleben zu können.
Ihr fehlten Erinnerungen. Aber die Rothaarige fühlte, dass nun endlich die Möglichkeit gekommen war, sich zurückzuerobern, was ihr einst genommen wurde. Sie musste sich auf die Suche machen.
Sie lächelte. Hoffnung lag vor ihr. Und ein Reiseweg, den es zu bewältigen galt.
Dann dachte sie an Hakenhand und seine Männer. Ihr Schmunzeln wurde breiter. Ob die nun an ihren Schatz gekommen waren? Oder wenigstens etwas Schnaps?
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Nachdem der Hauptmann die beiden Neulinge nun schließlich in das erfüllende Leben der Wächter entlassen hatte, ließ er sich erneut gegen seine Stuhllehne sinken, überschlug die Beine auf der Tischkante und blickte gen Himmel. Die Arme zwischen Kopf und Lehne verschränkt, hing er so eine Weile seinen Gedanken nach. "Huh... Knochenbrecher-Orks also? Na, die trauen sich ja was... Allein dieser Name...".
Ein Augenrollen folgte, dann folgten weitere, gesprochene Gedanken.
"Nur...", murmelte der Hüter und hielt den Blick an der Decke. Dabei kam ihm unweigerlich der Anblick von Kiyans Speer in den Sinn. Die eigene Annahme mit dem Sumpfhai war nicht so falsch, doch wenn er so an die Spitze der Waffe dachte... "... Hrm, deckt sich irgendwie mit seiner Aussage... Naja, machen wir mal die Neuen nicht verrückt!", beschloss er dann und schwang die Beine wieder Richtung Boden während er seinen Astralkörper erhob. Ein kleiner 'Spaziergang' über die Äste Tooshoos, verbunden mit ein wenig körperlicher Ertüchtigung würden ihm sicherlich dabei helfen diese Informationen sinnvoll zu verarbeiten. Also wandte er sich zum hinteren Bereich der Kommdandantur und trat hinaus auf die kleine Plattform. Man konnte die paar Bretter eher als Balkon statt einer wirklichen Plattform definieren. Aber immerhin ermöglichte sie dem Kletter-Enthusiasten stets einen guten Zugriff zu Lianen, dickeren Ästen die man mit einem gut gezielten Sprung erreichen konnte und anderen Kletterpflanzen, welche dick genug waren um sich daran hochzuarbeiten. Und lief es dann auch:
Der Templer blickte nach oben, ging kurz in die Hocke und stieß sich mit einem kräftigen Satz nach oben. Dabei riss er seine Rechte nach oben und packte sich einen der Äste. Das sonst so stolze, gesund der Schwerkraft trotzdende Holz hatte alle Mühe, dem neuen Gewicht nicht nachzugeben, stand jedoch seinen... Also, seinen... Ast! Genau, was Ryu nutzte um sich direkt von diesem an eine der dickeren Schlingpflanzen am Baum zu schwingen und nach dieser zu greifen. Fast schon routiniert fühlte es sich dabei an, in flüssigen, selbstsicheren Bewegungen daran hinauf zu klettern und sich von dort mit einer erreichbaren Liane zum nächsten, kräftigeren Ast zu schwingen auf dem der Hüter aufkam. Mit dem Armen ein wenig rotierend balancierte er dabei das Ungleichgewicht aus, welches das wippende Holz unter seinen Füßen verursachte. Dann ging es weiter. Nach und nach, immer weiter um den Baum hinauf, als würde er eine sehr umständliche und improvisierte Wendeltreppe nutzen, bahnte sich der Wyvernbeseelte seinen Weg und dann... Fand etwas, oder eher jemand seine Aufmerksamkeit:
Dieser rotblonde Schopf... Statur und Körperhaltung... In der Hocke auf einem der Äste sitzend beobachtete er sie eine Weile schweigend. Dann ließ er sich auf den nächsten Ast unterhalb fallen und balancierte leise darauf zum nächsten Greifpunkt. So ging das eine Weile, bis er schließlich über ihr saß und sich vergewissern konnte. Ja, das war wirklich die junge Frau, welche hier und da als 'die rote Snapperin' bezeichnet wurde. Der Hayabusa hatte sie hier und da schon einmal gesehen, war jedoch nie in direkten Kontakt mit ihr gekommen. Jetzt, wo er sie so ein wenig näher betrachtete verstand er auch, warum sie diesen Namen trug. Wobei sie im Gegenzug zu ihren schuppigen Namensvettern wesentlich ansehnlicher war. Die Haare wie ein wallendes Meer eines Sandstrandes im Sonnenuntergang und ihre Augen grün wie seine eigenen es einst waren. Ihr Körper geformt vom Leben beim Waldvolk und an den richtigen Stellen nicht zu verachten ohne den übertriebenen Schönheitsidealen der Städter nachzuhungern. Und trotzdem... Wirkte sie ein wenig verloren auf den Hüter. Ob es aus demselben Grund war, warum er sie vor nicht allzu langer Zeit auf einem der Äste hatte weinen sehen? Früher wäre er einer Dame die offensichtlich in Nöten steckte sofort zur Hilfe geeilt, doch an diesem Abend... Der Templer neigte den Kopf einige male hin und her.
"Das verstehst du doch, oder?" wandte sie offensichtlich an den stillen Wächter der ihrer aller Heimat war. Es war nicht selten, dass Leute sich mit Tooshoo unterhielten wie mit einem guten Freund oder Familienmitglied. Immerhin war dieser Baum der Hirte des Waldvolkes und umgekehrt das Waldvolk sein Hüter. Dann... Begann sie zu lächeln. Schmunzelte und schien an irgendetwas in ihren Gedanken Freude zu finden. Dieser Anblick steckte den Hüter irgendwie an und auch er hob, wenn auch etwas wehleidig die Mundwinkel. Seine Gedanken galten Myra, die auch seit langer Zeit verschollen war. Seit Jahren sogar schon. Er seufzte lautlos. Hing den Erinnerungen nach die sie miteinander verbanden und senkte dann den Blick. Seit sie verschwunden war, hatten sich die Dinge auch für ihn geändert. Das Gefühl, eine Gefährtin nie für lange Zeit bei sich halten zu können hatte mit Myras Verschwinden seinen Tiefpunkt erreicht. Und nur dazu beigetragen, sich weiter von den anderen im Waldvolk zu distanzieren. Und seine engsten Freunde? Griffin zum Beispiel? Auch verschwunden... Energisch schüttelte Ryu schließlich den Kopf. Das war Vergangenheit.
Welcher Impuls auch immer ihn nun dazu ritt, der Templer handelte ohne großes Nachdenken: Kurzerhand ließ er sich so auf den Ast fallen, dass er sich mit seinen Kniekehlen daran hängen konnte, so dass er kopfüber und ein Stück oberhalb des Rotschopfs einen guten und näheren Blick hatte.
"So ein Lächeln wirkt wesentlich weniger gruselig als bittere Tränen in den Augen!"
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Freiya zuckte leicht zusammen.
Sie hatte nicht bemerkt, dass sich jemand genähert hatte. Umso überraschter blickte sie hinauf. Da hing einer kopfüber von einem Ast! Sie wollte etwas sagen, schloss aber wortlos wieder den Mund. Sie war doch eigentlich schon lange genug hier, dass sie sowas nicht mehr überraschen sollte.
Sie trat ihm einen Schritt entgegen und blickte zu ihm hinauf, damit sie ihn besser sehen konnte, da das Laub des Baumes ihn vor dem Mondlicht versteckte. Aber seine Augen, die funkelten ihr entgegen! Wie die eines lauernden Tieres. Unmittelbar fiel ihr eine Schlange ein, die sich um einen Ast gewickelt hatte und nur darauf wartete, dass das kleine rote Eichhörnchen nah genug kam ... Freiya schüttelte den Kopf, um das Bild zu vertreiben. Das war nur eine Illusion. Wenn sie näher hin sah, meinte sie zu erkennen, dass er eigentlich recht entspannt war.
Sie überlegte kurz. Sie kannte ihn. Nicht persönlich, aber vom Sehen. Seine braune Mähne, die sich jedem verzweifelten Akt einer Zähmung mit Bürste oder Haarband entzog, hing Richtung Abrgund. Er war ihr schonmal am Fuß des Baumes aufgefallen. Ronja fiel ihr ein, die hin und wieder vom Hauptmann der Wächter geschwärmt hatte. Ronja war in vielen Dingen allerdings eine weitaus leidenschaftlichere Person als Freiya und konnte ihr Herz schnell erwärmen für das andere Geschlecht. Jedoch konnte bei ihr die Leidenschaft genau so schnell wieder abklingen. Freiya hingegen wartete ab, bevor sie sich ein Urteil über andere Menschen bildete.
Der Name des Hauptmanns wollte der Rothaarigen nicht so recht einfallen. War er Sarkani, dessen Name dieser Neuling letztens den Baum hoch gebrüllt hatte? Hm, nein, das fühlte sie nicht richtig an.
Schweigend musterte Freiya den vom Baum Hängenden. Wurde ihm gar nicht schwindelig in dieser Höhe? Nein. Im Gegenteil. Er schien es zu genießen. Als wäre dieses Kopfüber für ihn nicht anders, als normales aufrechtes Gehen.
Das war interessant. Sehr interessant.
Freiya verschränkte die Arme und funkelte ihn an.
"Gruselig also?", sagte sie.
Dann ließ sie ihren Blick wandern von dem Mann in den Schatten hin zur mondlichtüberfluteten Waldlandschaft unter ihnen.
"Nicht alle Tränen sind von Übel", sagte sie dann leise.
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Der Hüter hing ruhig weiter an dem Ast, die Hände in die Taschen seiner Hosen vergraben, während sein Blick auf dem Rotschopf verharrte. Ihr ungläubiges Kopfschütteln weckte dabei einen Hauch von Belustigung. Er begann zu grinsen. Selbst entgegen der Tatsache, dass sie nicht ZU glücklich über den kleinen Schreck schien den er ihr da eingejagt hatte. Aber gut, wer konnte es schon leiden wenn ein Fremder plötzlich kopfüber einem hing und dumme Kommentare zu Gemütszuständen gab. Soviel gestand er ihrer Reaktion zu. Einen Augenblick lang folgten die orangeroten Wyvernaugen ihrem schweifenden Blick hin zu den schier unendlichen Wäldern.
"Nicht alle Tränen sind von Übel.", hatte sie gesagt. Tränen... Ryu grübelte kurz und hob die Augenbrauen. Wann hatte er zueltzt geweint? Die Erinnerung an ein überwältigendes Gefühl der Trauer erfüllte seine Gedanken, als er daran dachte, wie der Namensgeber der damaligen "Drachenplage" erschlagen wurde. Das Gefühl, eine verwandte Seele, ein derart anmutiges und urtümliches Wesen in seinen letzten Momenten zu sehen... Es war die letzte Erinnerung des Templers, Tränen vergossen zu haben. Und seitdem... War da nichts mehr. Nur noch diese unsägliche Leere, welche ihn in den letzten Moanten immer mehr geplagt hatte. Erneut seufzte er lautlos.
"Moment!"
Der Torso des Templers setzte sich in Bewegung, schwang zwei mal hin und her, ehe er dann mit einem Ruck sein ganzes Gewicht wieder nach oben ins Blätterdach schwang. Einen Augenblick später raschelte es erneut und dort, wo er noch eben gehangen war, landete er elegant auf zwei Füßen und einer Handfläche. Als er sich dann erhob, trat er, natürlich mit ein wenig Abstand neben sie an den Zaun der Plattform und stützte sich auf diesen mit seinen Unterarmen. Wo genau ihr Blick hin folgte, ob nun auf das große Ganze oder einen bestimmten Punkt in der Ferne konnte der Hauptmann nur erahnen. Aber das war vermutlich auch gerade gar nicht so wichtig.
"... Ja. Mag sein. Manche sind erfüllt von Erleichterung. Eine Art, zu zeigen was in einem vorgeht.", knüpfte er an ihre Aussage an und neigte dann den Kopf etwas nach unten, den Blick auf seine Daumen gerichtet, welche im unsteten Wechsel oberhalb und unterhalb der Ränder ihrer Nägel entlang fuhren. "Aber im Angesicht innerer Ruhe und Ausgeglichenheit zu erkennen, dass man völlige Ruhe empfindet...", worauf wollte er eigentlich hinaus? Der Hayabusa hatte nicht die Bohne einer Ahnung, warum sie zuletzt Tränen vergossen hatte. Und nun begann er über ein Thema zu philosophieren, welches nun schon Jahre begraben in seiner Vergangenheit lag. Der Hüter hob den Blick und grinste schief. "... 'Tschuldige. Was ich eigentlich sagen wollte: Schön, dass es wohl wieder gut ist. Aber wen wunderts... Bei dem Einheitsbrei der letzten Wochen könnte so mancher los heulen."
Er wandte sich um, ließ den Weg seiner Augen dabei den großen Baum hinauf wandern. "Also...", eine Strähne fiel ihm ins Gesicht und offenbarte, dass sich darin ein kleiner Zweig verfangen hatte. Mit einem Zug war dieser entfernt und ein Blatt begann ebenso in die Tiefe zu segeln, als die Finger des Templers durch seine grob gebändigten Haare fuhren. [I]"... Wenn die Tränen toll waren und du unseren großen Freund hier um Verständnis bittest... Dann scheinen ja freudige Ereignisse ins Haus... Den Baum... Im Sumpf anzustehen. Achja!", ruckartig wandte er den Kopf in die Richtung des Rotschopfs. "Ryu, Hauptmann der Wächter. Interessant, die rote Snapperin mal zu erwischen. Das ist doch der Spitzname den sie dir gaben. Oder verwechsle ich da gerade jemanden?"
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Freiya zog die Augenbrauen hoch, musste aber unwillkürlich lächeln ob des Geredes des Hauptmannes. Er hatte keine Ahnung, warum sie geweint hatte und redete sich fast um Kopf und Kragen. Immerhin, dann schien es nicht auf Fridtjof zurückzufallen. Der hatte ja nichts für ihren Gefühlsausbruch gekonnt - wobei, doch, ein bisschen schon, durch ihn hatte sie sich erinnert. Und trotzdem hatte sie den armen Kerl zum Teufel gejagt.
Was sie Ryu antworten sollte, wusste sie nicht. Wie kam er zu dem Schluss, dass sie ein freudiges Ereignis erwartete? Sie konnte seine Gedankengänge nicht nachvollziehen und blickte ihn nachdenklich an. Schließlich schüttelte sie leicht den Kopf.
"Kein freudiges Ereignis. Aber eine Veränderung", sagte sie schließlich und ihre Augen funkelten. Mehr brauchte er nicht zu wissen. Vorerst.
"Das habt Ihr gut ausgedrückt, Ryu, das ist genau der Name, den sie mir gaben."
Sie. Die Leute in Schwarzwasser. In der Sumpflilie. Damals. Als Freiya gerade im Sumpf angekommen war. Das schien ihr fast ein halbes Menschenleben her. Die Tage hier waren in ihrer Erinnerung wie zu einem grünen Meer verflossen. Ein Meer voller Leben unter der Oberfläche.
"Ich heiße Freiya. Zum Namen Rote Snapperin bin ich unfreiwillig gekommen, aber es war von Anfang an vergeblich, sich dagegen zu wehren. Obwohl ich nie die Erwartungen erfüllen konnte, die an diesen Namen geknüpft waren, hat er sich verselbstständigt. Aber das schien nie jemanden zu stören. Sie wollten immer nur Geschichten hören ..."
Die Rothaarige hielt die Luft an. Sie tat etwas, das sie selten tat: Sie plapperte. Da hatte Ryu wohl doch Recht gehabt: Der Einheitsbrei der letzten Monate hatte sie alle etwas matschig gemacht. Und nun, da ein relativ neues Gesicht vor der Jägerin erschienen war, war sie froh um die Zerstreuung.
"Sagt, Ryu, diese Kletterei, wie Ihr das eben getan habt, ist das Eure bevorzugte Art, Euch fortzubewegen?", fragte sie. Das hatte ihr Interesse geweckt, wie er einfach so selbstsicher hier auf den Ästen herumturnen konnte, so scheinbar frei von allen Ängsten als wäre er das Eichhörnchen statt die Schlange. Sie musterte ihn.
Was war das an seinen Unterarmen?
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In aller Ruhe lauschte Ryu den Erklärungen der Frau die sich ihm als Freiya vorgestellt hatte. Rote Snapperin... Freiya... Irgendwie empfand er beide Namen als passend. Auch wenn der erste Name in ihm doch mehr Erwartung geweckt hatte, als er vielleicht zugeben wollte. Von den Spuren eines Zustandes wie dem seinen war an ihr zumindest nicht viel festzustellen. Aber wenn sie so von Veränderung sprach, vielleicht würde sie sich bald auf eine Reise in diese Richtung begeben? Andererseits hatten die Druiden in den letzten Wochen nichts in dieser Richtung verlauten lassen. Und beim Schläfer, er als Hüter würde ihnen etwas husten, wenn sie ihn damit im Dunkeln ließen.
Der Hayabusa schmunzelte ein wenig. So einen förmlichen Umgang war er im täglichen Umgang mit seinen Wächtern gar nicht mehr gewohnt gewesen. Es erinnerte ihn an eine vergangene, förmlichere Zeit die so weit in der Vergangenheit lag, dass sie nur noch schemenhaft vor seinem geistigen Auge auftauchte. -Also gut, ich spiele mit.-, dachte der Wyvernbeseelte so bei sich und reichte ihr die Hand. "Dann, noch einmal offiziell: Schön Euch kennenzulernen, Freiya, die rote Snapperin. Um ehrlich zu sein finde ich den Titel sehr klangvoll und angenehm. Hoffen wir nur, dass der seinen Ursprung nicht daher hat, dass Ihr jemandem nur mit den Zähnen gerissen habt! Klingt auf jeden Fall wesentlich besser als der Spitzname des müffelnden Manfred... Der ist nämlich bei ihm an der Tagesordnung..."
Der Templer winkte ab, beschloss dann jedoch, auf ihre Frage einzugehen. Unweigerlich fiel ihm dabei der Blick auf den sie auf seinen Arm geworfen hatte. Für einen Augenblick zögerte er und dachte darüber nach, ihr etwas darüber zu verraten, aber wie konnte er? Wer kein Hüter war und mit den Naturgeistern in Berührung stand würde es nicht verstehen. Das taten die wenigsten. Noch einer dieser Gründe, weshalb sich der Hayabusa mehr zurückgezogen hatte. Die Gründe häuften sich so langsam und für einen Moment kam es dem Hauptmann so vor, als würde er bald als nackter, bärtiger Einsiedler im Sumpf enden wenn sich nicht auch für ihn eine Veränderung anbahnte. Aber da war ja noch ihre Frage. Nach diesem, verhältnismäßig doch etwas längeren Handhalten zur Bekanntmachung ließ er schließlich los und blickte wieder den Baum hinauf.
"Ich hatte schon immer eine Leidenschaft dafür, hohe Orte zu erklimmen. Und über die Jahre habe ich das ganze ein wenig perfektioniert... Ach... Perfektion ist so ein endgültiges Wort. Sagen wir, ich habe verstehen gelernt, worauf es ankommt und was für ein Potential in so einem Körper eigentlich steckt wenn man es nur schärft und zutage fördert. Aber das kann nicht nur beim Klettern hilfreich sein... Das Bewegen durch Sümpfe, urbanes Gelände oder in einem Kampf kann im Wesentlichen darüber entscheiden ob man Erfolg hat oder eben nicht. Das ist auch so eine Sache, die jeder Wächter lernt. Vor allem wenn sie irgendwann die Laufbahn zum Jäger anstreben."
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Die Bemerkung zum müffelnden Manfred entlockte ihr tatsächlich ein kleines Lächeln.
"Um ehrlich zu sein, müsst Ihr die anderen fragen, wie sie auf Rote Snapperin gekommen sind. Ich muss zugeben, dass ich davon wirklich keine Ahnung habe, aber meine Zähne sind unschuldig."
Ein bisschen hatte sie es auch verdrängt und vergessen. Es war nun einfach Teil ihres Lebens geworden. Und es war hilfreich. In manchen Momenten war sie Freiya, das Mädchen mit den Narben auf dem Rücken, den Erinnerungslücken und der schweigsamen Art. Und manchmal war sie die Rote Snapperin, die sich nicht scheute, zotige Geschichten zu erzählen, bei denen die Männer zufrieden mit ihren Bierkrügen klapperten und kehlig lachten. Ja, Letzteres hatte sie im Sumpf gelernt. Eine fragwürdige Fähigkeit, aber sie war nunmal da. Und mehr noch, die Rote Snapperin hatte in Freiya bewirkt, dass sie nicht mehr so schüchtern war. Wenn sie daran dachte, wie sie gewesen war, als sie noch in Vengard beim Schneidermeister unter dem Tisch geschlafen hatte. Sie hätte es nicht einmal gewagt, den Hauptmann ihr gegenüber anzusehen.
Nun stand sie vor ihm und hörte zu und sprach. Nahm teil an dem Gespräch. Vor allem aber hätte sie nie einfach seinen festen Händedruck erwidern können. Wahrscheinlich wäre sie vorher in Ohnmacht gefallen.
Was er ihr erklärte, ergab Sinn. Sie nickte zum Zeichen, dass sie verstand. Und langsam begann es in ihr zu arbeiten. Dieser Ryu ... könnte er ein Anfang sein? Der erste Schritt auf dem langen Weg?
"Könnt Ihr mir mehr darüber erzählen? Worauf kommt es denn an? Kann jeder so etwas lernen?"
Sie sah ihn neugierig an.
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Es tat gut, mal wieder ein wenig freischnauze über die Dinge zu sprechen. Vor allem die Dinge, für welche der Templer doch eine gewisse Leidenschaft empfand. Und ihr Interesse daran wirkte auf irgendwie aufrichtig auf ihn. Da war keine Nervosität zu erkennen. Keine Freundlichkeit die aus Angst vor seinem Äußeren heraus entstanden war. Einfach nur... Interesse. Und die Tatsache, dass sie anderen NICHT den Kopf abbiss gab auch ihm eine gewisse Form der Ruhe. Wobei die Vorstellung, eine Frau wie sie dabei zu beobachten wie sie einem Ork die Rübe runter futterte doch recht belustigend war.
"Sicher.", war die erste knappe Antwort welche die rote Snapperin auf ihre Fragen bekam. Ryu stieß sich kurzerhand ein wenig von der hölzernen Stütze ab, beugte sich nach vorne auf seine Handflächen und hob in einer langsamen Bewegung seinen gesamten Unterkörper in die Höhe. Es nahm einen Moment in Anspruch in dem er den perfekten Gleichgewichtspunkt fand, dann, sehr langsam und behutsam hob er den linken Arm vom Boden, sodass er am Ende nur noch im einhändigen Handstand, nun... Da stand. "Es... Geht schon... Man muss nur...", mit etwas mehr Schwung um die eigene Achse stand er dann auch schon wieder auf beiden Füßen. "... Über Zeit, Geduld, Willen und vor allem Frustrations- nd Schmerztoleranz verfügen."
Nach dieser kleinen Demonstration trat er dann wieder an die hölzerne Balustrade heran und blickte dabei zu Freiya. "Irgendwann hört man auch damit auf zu zählen, wie oft man vom Baum gefallen ist.", gab der Hüter zu und kratzte sich dabei nachdenklich am Hinterkopf während er dem Versuch erlag, sich daran zu erinnern, wie oft er nun schon im sumpfigen Morast gelandet war. "Hat man Euch denn keiner Ausbildung unterzogen in Eurem Jagdkommando? Bei den Wächtern hätte ich mich darum gekümmert, aber, naja, eine rote Snapperin kam noch nie in den Schichtplänen vor. Wie ist das? Wofür würde die rote Snapperin solche Fähigkeiten verwenden, wenn sie sie besäße?"
Der Templer schmuinzelte und fügte dann noch ein neckendes "Vielleicht doch, um ahnungslose Jünglinge aus dem Unterholz heraus anzufallen und ihre Pausenbrote zu futtern?" hinzu.
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Freiyas Augen begannen zu leuchten und beeindruckt sah sie ihn an.
So etwas konnte man machen? Er stand doch nur noch auf einer Hand! Das hatte sie noch nie gesehen! Noch nicht einmal bei den Gauklern damals, die sie begleitet hatte.
Die Rothaarige begann nachdenklich an ihrer Unterlippe zu nagen. Es war ihr, als hätte Ryu eine Tür geöffnet und sie konnte einen Blick auf etwas ganz Wunderbares in der Ferne erhaschen.
"Meine Ausbildung zur Jägerin habe ich nicht hier am Baum erhalten", sagte sie ein wenig unsicher. "Da habe ich wohl etwas Nachholebedarf."
Geduld und Willen? Das hatte sie. Schmerztoleranz? Ohja. Frustrationstoleranz? Sie dachte an Ronja. JA! Zeit jedoch ... Freiya lies den Blick in die Ferne schweifen. Sie wusste nicht, ob sie die hatte.
Seine letzte Bemerkung fiel ihr ein und mit einem Funkeln in den Augen sah sie ihn an:
"Schwächere beklauen? Niemals!"
Machte sie wirklich den Eindruck, dass sie so etwas Fieses übers Herz brachte?
"Wofür fragt Ihr? Wehrhaftigkeit!"
Sie stemmte die Hände in die Hüften.
"Das könnt Ihr Euch wahrscheinlich nicht vorstellen, schließlich seid Ihr ein Hauptmann, aber ich weiß, wie es ist, sich nicht wehren zu können, nicht ausweichen zu können, Dingen nicht entkommen zu können, die Leib und Seele verstümmeln."
Sie dachte an ihre Narben auf dem Rücken. Sie dachte daran, wie sehr sie dem Schneidermeister und seiner Alten ausgeliefert gewesen war. Sie dachte daran, wie Rücksichtslosigkeit, eisige Kälte in der Seele und Brutalität sie malträtiert hatten. Und gleichzeitig war da noch diese andere Sache ... mit ihren Erinnerungen. Den Weg, den sie zu beschreiten hatte. Die Antworten, die sie finden wollte, aber nicht hier in Tooshoo lagen, sondern ganz woanders. Sie musste sich vorbereiten.
"Wenn Ihr mir vielleicht zeigen könnt, wie ich meine Fähigkeiten aufbauen kann, wie ich schneller und wendiger werde, dann kann ich mit sicherem Schritt in diese Welt gehen. Und -"
Sie verstummte und blickte wieder in die Ferne.
Dann konnte sie den Gefahren dort draußen besser ins Auge blicken. Auf ihrer Suche nach sich selbst.
"Dann kann ich endlich wieder ich werden."
Sie blickte ihn an, nicht wissend, ob er überhaupt verstehen konnte, was sie meinte.
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Speerkämpfer Kral
Der Speerkämpfer Kral grinste, als er ein neues Gesicht sah. Das an sich war ja in den letzten Jahren zur Seltenheit geworden. Der letzte Neuankömmling war wohl dieser Kerl namens Ferum gewesen, der beim Hauptmann gelernt hat, sich richtig zu bewegen wie ein Akrobat. Dann war der aber im Auftrag des Hayabusas verschwunden und seit einigen Monden nicht mehr gesehen. Bei dem Neuen hier jedoch war der Umstand interessant, dass er einen Speer besaß. Und nicht nur einen einfachen Speer, sondern einen orkischen. Primitiver, wuchtiger gearbeitet mit einer Spitze aus Feuerstein. Wenn der Kerl dem einem Feind abgenommen hatte, dann musste er gut sein. Nun, und Kral war bekanntlich von Langeweile zerfressen. Also trat er an ihn heran, als er sich frisch ausgerüstet bei den anderen Wächtern zur Ertüchtigung einfand.
„Hey Kumpel“, sprach der Jäger den Neuling an, „Willkommen. Schöne Waffe hast du da. Vom Knochenbrecher-Klan? Sind ja schon zähe Bastarde, was einiges über dich … aussagt.“
Der neue Wächter sah ihn einige Augenblicke ausdruckslos an. „Und was?“
„Das du ein guter Kämpfer bist.“
Minimal verzogen sich die Lippen seines Gegenübers nach oben, als würde er an einen alten Witz denken, der ihm gerade wieder einfiel. „Scheint so.“
„Was? Dass du ein guter Speerkämpfer bist?“, fragte Kral nach, dem die verschlossene, kurz angebundene Art langsam störte.
„Nein, dass der Speer den Eindruck vermittelt, ich sei ein guter Kämpfer.“
Kral verzog das bärtige Gesicht und spuckte aus. „Übungskampf, na los!“
Sein Gegenüber seufzte, legte die Hand an den Griff seines Schwertes. „Nicht damit!“, fuhr ihn Kral an und nickte unwirsch zum Speer, der etwas entfernt lehnte. „Damit.“
Wieder dieses schmale Lächeln, als würde ihm ein weiterer Witz aus der Vergangenheit einfallen.
„Nun gut, dann damit.“
Kiyan
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Selbststudium Speer 1
Der Kämpfer hatte sich wirklich gefragt, wie lange es dauern würde, ehe der erste der dienstälteren Wächter Valerion oder ihn ansprechen und herausfordern würde. Am Ende war die Truppe der Wächter wie jeder andere, zumeist von Männern dominierte Bund. Es gilt, die Stärke unter Beweis zu stellen, eine Hackordnung zu errichten und diese wie eine Tradition zu wahren. Der Speerkämpfer hätte ihn auch angesprochen und herausgefordert, wenn er nur ein rostiges Schwert bei sich getragen hätte. Es ging ums Prinzip. Vielleicht musste er sich bei seinen Leuten beweisen, vielleicht war er aber auch nur ein sadistisches Arschloch. Kiyans kurzes Lächeln schwand und die Miene verwandelte sich in ausdruckslosen Stein.
Er betrachtete all dies – diesen Kämpfer, die Wächter, das Waldvolk – nur als Begleiterscheinungen auf seinem Weg. Ein Teil von ihm hatte bei dem Anblick des erschlagenen Sumpflurkers den Entschluss gefasst, jene zu aufzuhalten, die aus purer Mordlust und reinem Sadismus töteten. Sei es Mensch oder Tier. In den letzten Nächten hatte er auch immer wieder Träume gehabt, die sich wie ein Déjà-vu anfühlten. Tanzende Lichter in einer kalten Höhle. Monotones, fast angenehm anzuhörendes Summen, das Umschlug und zu einem Zischen wurde wie von tausend Schlangen. Die Lichter färbten sich rot und der Traum endete.
Kiyan schüttelte den Kopf, um die Bilder verschwinden zu lassen. Der Speerkämpfer sah ihn fragend und etwas wütend an.
„Na?“, fragte er fast ungehalten, „Hab ich mich vertan und du bist ein Hüter? Erfüllt vom Geist der Eiche, die sich nie bewegt?“
Der Wanderer schüttelte den Kopf. „Legen wir los.“
Abseits der anderen Wächter positionierten sich die beiden Männer. Wie auf ein tonloses Signal hörend, wirbelte der Herausforderer seine Waffe einhändig im Kreis, ehe er sie mit der Spitze zum Boden und einem Teil des Schafts unter der Achsel, entlang des Arms ruhend, verharren ließ. So bewegte er sich im Kreis und zwang Kiyan dazu, sich ebenfalls zu bewegen. Dieser packte den Speer mit beiden Händen und richtete die primitive Spitze auf den erfahrenen Krieger.
Dieser sah die Art, wie der Gortharer den Schaft hielt, und seufzte laut. „Was soll das?“
Kiyan knirschte mit den Zähnen. „Kämpf!“, knurrte er.
Ein erneutes Seufzen, ehe der er vortrat, mit seinem Speer den Kiyans beiseite schlug, herumwirbelte und den Schaft nutzte, um die Waffe seines Gegenübers aus den Händen zu hebeln. Erneut wirbelte der Speer in der Hand des Kämpfers, ehe die Spitze, ohne zu zittern, auf Kiyans Kehle zielte.
„Lächerlich.“, stellte der Herausforderer fest, „einfach lächerlich. Du hast den Speer irgendwo gefunden und spielst dich auf.“
Kiyan schielte auf die Speerspitze hinab. „Fertig?“, fragte er langsam, „Hast du dich bewiesen? Kannst du nun zu deinen Kumpanen zurückkehren und ihnen mitteilen, dass du den Neuen in die Schranken gewiesen hast?“
Der Speerkämpfer senkte die Spitze, zog die Waffe zurück und sah ihn offen überrascht an. „Wieso sollte ich? Darum ging es mir nicht. Ich hielt dich tatsächlich für einen Orkjäger.“
Kiyan lächelte wieder kurz, dieses Mal eine Spur freundlicher. „Ich fand ihn mit einem Jäger zusammen im Orkwald. Der Jäger verwies mich und Valerion – den anderen Neuen – an den Hauptmann. Und der wiederum meinte, ich solle jemanden finden, der mir den Kampf damit beibringt …“
Sein Gegenüber lachte auf, strahlend weiße Zähne zerteilten das Schwarz des Vollbartes.
„Dein Glück.“, sprach er, „Kral. Jäger und einer der besten Speerkämpfer hier. Hab damals in Silden unter dem Rudolfson gedient und den Speerkampf gelernt. Sieht so aus, als hätte ich einen Schüler. Endlich, übrigens, da die ganzen Jockel hier entweder Bogenschießen oder Schwertkämpfen lernen wollen. Der Speer wird hier stiefmütterlich behandelt.“
Kral wirbelte den Speer herum, stellte ihn ab und trat an Kiyan heran, reichte ihm die Hand.
„Weißt du, worauf du dich einlässt?“, fragte er, „Es wird hart. Das verspreche ich dir.“
Kiyan lächelte erneut kurz. „Wenn ich am Ende einem Ork seinen Speer zurückgeben kann … Spitze voran, natürlich … dann ist mir das einige Strapazen wert.“
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Wehrhaftigkeit. Sie selbst sein. Aber, dass er sich nicht vorstellen konnte, wie es war wehrlos zu sein? Bei diesen Worten schloss der Templer die Augen und hob sanft die Mundwinkel. Noch vor kurzem hatte er sich in der spiegelnden Wasseroberfläche beobachtet. All die Narben die er über die Jahre davon getragen hatte waren ihm erst jetzt aufgefallen. Jede erzählte eine Geschichte. Jede sprach von Leid und einem Grund, dieses zu ertragen. Sie waren wie die gepflasteren Steine die den Weg seines Lebens gebildet hatten. Und dieser beinhaltete eine ganze Menge Steine. Vielleicht würde er ihr eines Tages davon erzählen. Vielleicht. Doch ging es hier nicht um Ryu Hayabusa. Es ging um Freiya und ihren Wunsch zu sich selbst zu finden. Ob nun selisch oder doch auf andere Weise? Wie auch immer. Vorerst musste das berichtigen ihrer Aussage warten. Wenn ihr das zum Vorbild diente... Warum nicht.
"Dann kann ich endlich wieder ich werden."
Diese Worte hallten im Geist Ryus wieder, als sein Blick nun langsam wieder auf die rote Snapperin fiel. Sie wirkte nachwievor aufrichtig und ihre Augen erzählten eine stumme und doch so lange Geschichte. Der Eindruck den sie auf ihn gemacht hatte. Das Gefühl des Verlorenseins, das sie so ausstrahlte nahm nun langsam Form an. Es war nicht das Verlorensein in der eigenen Umgebung sondern in sich selbst. Die Frage blieb nur offen ob sie ihren Weg oder tatsächlich verloren hatte wer sie war. Mit verschränkten Armen hielt er prüfend ihren Blick.
"Dann willst du also mehr, als nur deinen Körper beherrschen lernen?", entgegnete der Wyvernbeseelte schließlich in ruhiger, aber ernster Stimmlage zurück und trat einen Schritt auf sie zu. Dabei streckte er sachte Zeige- und Mittelfingerspitze aus und deutete erst auf ihre Stirn. "Gut. Wahre Beherrschung fängt nämlich hier an. Und sie muss im Einklang...", seine Deutung wanderte hinab über den Bereich ihres Herzens. "... Hiermit sein.", er zog seine Finger wieder zurück und verschränkte erneut die Arme. Es war über die Jahre eine Gewohnheit geworden, wenn der Templer Lektionen gab. "Natürlich kannst du auch 'so' lernen, deinen Körper zu beherrschen. Ihn und vor allem aber dich selbst zu meistern... Da gehört sehr viel mehr dazu. Gerade wenn du zu deinem wahren Ich, Freiya."
Gerade das du betonte der Hüter ein wenig mehr um ihr klar zu machen, dass die Verständnisebene, wenn sie diese Reise beschreiten würde, eine nähere sein würde. "Verstehst du?"
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Selbststudium Speer 1 - Kiyan
Der neue Wächter schimpfte sich Kiyan und hatte den Orkspeer gefunden. Kein Speerkampfmeister auf Augenhöhe, keine ruhmreiche Geschichte, wie er einem Orkhäuptling den Speer abgenommen und dabei noch ein Dutzend Jungfrauen gerettet hat. Gefunden. Einfach gefunden. Natürlich an einen Baum genagelt, wahrscheinlich geworfen, aber letztlich schlicht und ergreifend gefunden und aufgelesen.
Aber das sollte für Kral kein Hindernis darstellen. Auch aus jemandem, der offensichtlich gar nicht nach Speerkämpfer aussah, konnte man einen machen. Er erinnerte sich noch gut daran, dass er damals, als er unter Meister Bengar Rudolfson gedient hatte, dieser einem Nordmann den Speerkampf beigebracht hatte, wobei Kral und seine Kumpanen darauf gewettet hatten, dass der Kerl am Ende einen kleinen, angespitzten Baumstamm als Waffe genommen hätte, um sie seinem Feind über den Schädel zu ziehen. Aber am Ende hatte sich auch dieser unorthodoxe Speerkämpfer zum Meister gemausert. Er erinnerte sich noch gut daran, wie sie in Okara gegen die frechen Königstreuen gekämpft hatten, die dachten, sie können ungestraft dem Waldvolk von Silden querkommen.
Schade, dass der Nordmann am Ende von einem Sumpfhai gefressen wurde, sinnierte Kral, aber wenigstens das bisschen Bier mit seinem Namen, das wir noch haben, schmeckt gut.
„Also nun, Kiyan, fangen wir mal mit den Grundlagen des Speerkampfes an.“, begann der Ausbilder, räusperte sich und tat so, als würde nun eine ellenlange Belehrung folgen. „Spitze nach vorne, sicherer Stand.“
Schweigen folgte. Kral sah seinen Schüler mit ernster Miene an. Dieser blickte in etwa so emotional wie ein Fels aus dem Weißaugengebirge zurück.
„Aha.“, antwortete Kiyan dann mit ausgesuchter Eloquenz.
Der Ausbilder seufzte und schüttelte den Kopf. „Grundsätzlich ist der Speer wohl die Waffe, die am einfachsten zu handhaben ist. Zustechen ist die Devise. Nicht treffen lassen, ausweichen, zustechen. Leichtfüßig und flink im Angriff, standhaft und fest, wenn der Feind heranstürmt.“
Kral hielt seinen Speer mit einer Hand waagerecht mit der Spitze vom Körper weg und machte einen Ausfallschritt nach vorne, stieß mit der stählernen Spitze zu. Dann ging er zurück in die Ausgangsposition und setzte beide Füße fest auf den Boden, packte den Speer mit beiden Händen, klemmte den Schaft zwischen angewinkeltem Arm und Oberkörper.
„Wie sieht’s mit der Verteidigung aus?“, fragte Kiyan.
„Du hast’n Holzschaft mit ner Metallspitze. Wenn du so blöd bist und versuchst, sagen wir, den Hieb eines Setarrifers mit seinem Erzschwert zu parieren, hast du völlig verdient die Klinge in der Brust stecken.“
„Keine Parade?“
„Grundsätzlich nicht. Abhängig davon, womit dein Gegner zuschlägt. Und aus welchem Material der Schaft deines Speers besteht. Beim Speerkampf solltest du lieber auf den Angriff setzen und dafür sorgen, nicht getroffen zu werden.“ Kral rieb sich das Kinn. „Üben wir nun erstmal ein wenig deine Beweglichkeit zu verbessern. Leichtfüßig im Angriff, fest im Sturm.“
Kiyan
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Valerion hatte Lange geschwiegen, die ganzen Umstände für die Wache kannte er mehr als genug ... schon beinahe auswendig und eigentlich änderten sich die Wachsituationen nun relativ selten. Er hatte es sich schon gedacht, dass er die typischen Wachaufgaben bekommen würde. Doch das er einen Monat trocken sein musste, das hatte ihn beinahe aus der Bahn geworfen. Er stand in der Rüstkammer und seufzte genervt, nahm seinen neuen dunkelgrünen Umhang an sich und war somit ausgerüstet. Sein Kollege hatte sich von ihm getrennt. Wohl brauchte der Kerl mal zeit für sich oder was auch immer.
Valerion wollte sich erstmal mit dem Baum vertraut machen, bevor er ständig herumirrte und nicht wusste, wo hin er sollte. Dieser muskulöse Kerl hatte ihn ziemlich verarscht. Woher sollte er auch wissen, dass dieser Typ auch so wichtig hier war. Grummelnd stand er auf einem Ast und leerte seinen Flachmann, sowie die letzte Rumflasche in Richtung Boden. Sollte die Natur seinen letzten heiligen Tropfen Alkohol aufnehmen und genießen.
Der frische Anwärter hatte nun wohl die härteste Prüfung vor sich in der nächste Zeit. Der Alkohol war immerhin nicht nur Stimmungsmacher, sondern half ihm auch, einige Dinge zu vergessen. Viele Erfahrungen hatte er in den letzten Jahren gemacht, gute so wie schlechte, der Umtrunk in vielen Abenden hatte ihn immer diese Dinge vergessen lassen. Wie er wohl in den nächsten Tagen oder Wochen so drauf war, wusste er noch nicht. Wann war er eigentlich das letzte mal nüchtern gewesen? Also .... wirklich ohne Alkohol?
Er schüttelte den Kopf und begab sich wieder zurück zu seiner Unterkunft. Er hatte hier einen schlechten Ruf, vielleicht wenig Zeit um sich einen besseren Ruf aufzubauen aber er hatte viel Zeit, um sich von seiner besten Seite zu zeigen. Er seufzte noch einmal schwer, es gab einiges zu tun.
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