Wie es sich eigentlich so verhält mit der Entwicklung von Kindern und der Erziehung durch Eltern und Gesellschaft ist ein Thema, dass so alt ist wie die menschliche Kultur. Zu den immer wiederkehrenden Motiven in diesem Thema gehört besonders häufig dieses:
„Die nachwachsende Generation befindet sich in einem dramatischen Verfall auf allen erdenklichen Ebenen“
Und hinter diesem immer wiederkehrenden Motiv, dass sich schon in Keilschriften der Sumerer nachweisen lässt, gehört dann auch ein spezifisches Bild von Kindern als solchen, nämlich das Bild, dass Kinder ohne ein hohes Maß an Disziplinierung, Kontrolle und Bestimmung durch andere automatisch zu einer gesellschaftlichen Massenkatastrophe werden.
In den letzten 20 wurde dieses Motiv in Deutschland mit großem Erfolg und hoher Berühmtheit von Michael Winterhoff verkörpert und beworben. Seine Variation des alten Motivs des Erziehungsverfalls lautet:
„Eltern gehen mit ihren Kindern eine Form von gestörter Symbiose ein und dadurch werden die Kinder massenhaft zu Narzissten“
Mit dieser These hat er in den letzten 10 bis 15 Jahren endlose Talkrunden beglückt und zahlreiche Bestseller rausgegeben.
Und jetzt kam der große Knall:
https://www.daserste.de/information/...video-100.html
Wer sich das nicht ansehen will: Offenbar hat Winterhoff über Jahrzehnte hinweg auf verbrecherische Art und Weise nicht nur Eltern und Öffentlichkeit mit frei erfundenen Diagnosen getäuscht, er hat offenbar obendrein bei den ihm anvertrauten Kindern flächendeckend Neuroleptika verabreicht, teilweise über Jahre (10) hinweg. Er trug (und trägt) die medizinische Verantwortung für hunderte von Heimkindern in Deutschland und galt als Deutschlands Experte für Kinder- und Jugendpsychiatrie Nummer 1. Sein medizinisches System bestand offenbar aus dem simplen Rezept, allen Kindern die Diagnose „frühkindlicher Narzissmus“ zu geben, um sie dann mit einem Neuroleptikum systematisch ruhig zu stellen und sämtliche Eigenpersönlichkeit zu betäuben. An die Krankenkasse gab er dann offenbar gerne andere Befunde, da man die Phantasiediagnose frühkindlicher Narzissmus natürlich nicht abrechnen kann.
Jahrelang haben Medien und pädagogische Fachwelt diesen Mann hofiert und seine absolut irren Thesen beklatscht und ihnen zugestimmt. Erstaunlich häufig fanden sich Winterhoffs Gesellschafts- bzw. Kinderanalysen im Rahmen von Wirtschaftlichkeit wieder.
Hier: https://www.youtube.com/watch?v=Rj4joWbxkJ4
Ein Clip, in dem es um die richtige „Persönlichkeit“ geht, um ein wertvolles Mitglied der Arbeitswelt zu sein.
Hier: https://www.youtube.com/watch?v=PjWLLJeP8jo&t=774s
Hielt er für die Wirtschaftskammer Vorarlberg einen Vortrag (der geradezu überraschend dumm, durchschaubar und galoppierend irre ist…)
Und das ist natürlich kein Zufall, denn bei allen in Deutschland gängigen Konzepte von Kinderbetreuung und Bildung schwingt letztendlich das Ziel mit, „einen guten Job zu bekommen“. Denn wie wir ja alle wissen, ist das Ziel und der Zweck von kindlicher Entwicklung natürlich, entweder ein unternehmerfreundliches Arbeitsbienchen zu werden oder aber vielleicht sogar das Glück zu haben, unternehmerfreundliche Arbeitsbienchen anzuführen.
Die Fragen, die ich in diesem Zusammenhang gerne zur Diskussion stellen will, sind nicht, wie so etwas wie Winterhoffs Praktiken möglich waren oder warum die Ämter so versagt haben. Offenbar handelt es sich bei diesem Mann selbst um einen zutiefst gestörten Menschen mit einem hohen Maß an krimineller Energie und solche Menschen finden immer Wege, großen Schaden anzurichten. Die in meinen Augen wichtigeren Fragen sind:
Warum dieser Mann mit seinen irren und dämlichen Thesen jahrzehntelang derart gefeiert worden ist?
Wieso hat das Motiv des Verfalls der nachwachsenden Generation eine so extreme Erfolgsgeschichte in der Kultur?
Welches Bild vom Kind und von kindlicher Entwicklung haben wir in unserer Gesellschaft?
Kann Entwicklung eigentlich sinnvoller Weise an einen Zweck gebunden sein?
Gibt es „Qualität“ in kindlicher Entwicklung?