Der Anrufbeantworter auf Hannas Schreibtisch zeigte fünf neue Nachrichten seit dem gestrigen Dienstschluss an. Detective Chen meldete sich und erklärte Hanna mit einem nicht überhörbaren Genuss in der Stimme, dass Matthew Gilles eine Anzeige gegen sie eingereicht hatte.
„
C-Sec reagiert auf Druck von außen. Dem gehen wir natürlich nach“, erklärte der Polizist. Die Blondine konnte sich zu Beginn nicht erklären, warum Chen und sein turianischer Partner sie mit derartiger Beharrlichkeit verfolgten, bis sie sich daran erinnerte, dass Detective Ryhalianto Commander Verox kannte. Dreckige Bande. Hanna verfluchte den alten Knochen und löschte die sinnlose Nachricht. Zwei Anrufe kamen von dem Commander. Er hatte aber jedes Mal aufgelegt und ihr dafür kurze Nachrichten geschrieben; eine bestätigte Ihre Zugehörigkeit zur Task Force O’Grady, die andere bestätigte Hannas Vermutung, dass Reach Kruto noch länger ausfallen würde. Der vierte Anrufer war Nathan Gilles‘ Bruder, der – wie die Interne – seine Anzeige ihr gegenüber thematisierte. Der letzte Anruf kam aus der forensichen IT. Der Anrufer sagte, dass sie sich melden könnte.
Hanna hatte sich gerade eingeloggt, da klingelte ihr Kommunikator bereits.
„
Ilias“, meldete sich die Blondine, lehnte sich im Schreibtischstuhl zurück und überschlug die Beine.
„
Agent Ilias? Hier ist Ethan Caine, ich schreibe einen Artikel für die Citadel Times über die Schießerei im Apollo’s Café.“
Hanna seufzte leise. Sie ignorierte gekonnt die sozialen Medien, die nach jedem bekanntgewordenen tödlichen Schusswaffengebrauch durch C-Sicherheit von Ausdrücken wie „Polizeigewalt“ oder sogar „Todesschwadronen“ nur so strotzten. Diese Anti-Polizei-Haltung durch verschiedene Bürgergruppen informierten sich meist erst in zweiter Linie über den Hintergrund des Getöteten und die Sichtweise der Polizei kam eigentlich nie zur Sprache. Die Presse war da nur bedingt hilfreich. Es gab immer ein paar Schreiberlinge, die gleich die Moralkeule schwangen und mit dem „kritisierenden“ Finger auf C-Sicherheit wies.
Entsprechend gering motiviert sagte sie: „
Was kann ich für Sie tun, Mister Caine?“
„
Ich hatte gehofft, dass Sie mir einige Fragen dazu beantworten können. Sie… waren doch die Schützin?“
„
Mister Caine, wenden Sie sich bitte an die Pressestelle.“
„
Kommen Sie schon, Agent. Wir wissen beide, dass ich mir dann bloß abgedroschene Halbwahrheiten gesagt bekomme…“
„
Ich kann Ihnen leider nicht helfen.“
Hannas Apparat begann zu blinken.
„
Entschuldigen Sie, ich habe einen Anruf auf der anderen Leitung. Wenden Sie sich an die Pressestelle, dann melden wir uns.“ Sie legte auf, bevor der Journalist noch ein Wort sagen konnte. Sie ging ran und sagte ihren Namen.
„
Guten Morgen, Agent. Hier spricht Lieutenant Setolok.“
„
Guten Morgen, Sir“, sagte Hanna. Ihre Gedanken gingen zu O’Grady und der Befürchtung, dass der verbrannte Ire die für ihren Fall nötige Konzentration in Anspruch nehmen würde. „
Ich wollte Sie nur über den aktuellen Stand der Ermittlungen informieren. Der ist leider sehr mager. Die Detectives Peresa’an und Kadam haben sich mit der Tante des Verdächtigen getroffen. Das war aber mehr oder weniger ein totes Ende. Shadow und sein Team haben auch nichts neues, aber O’Grady plant etwas, das garantiere ich. Wie sieht es bei Ihnen aus, können Sie sich bereithalten?“
„
Das ist Teil des Plans, oder?“
„
Stimmt. Danke nochmals für Ihre Unterstützung. Peresa’an hat Ihren Kontakt?“
„
Hat sie.“
„
Alles klar. Dann erfolgreichen Tag“, verabschiedete sich der Salarianer.
Hanna drehte ihren Stuhl herum und sah zu Krutos Schreibtisch; er war leer. Wie sehr sie Will Hunter vermisste. Der Kerl war vor Verox zwar immer eingeknickt wie ein Strohhalm, konnte aber in kürzester Zeit wahre Wunder in der Ermittlungsarbeit vollbringen. Seinen raschen Aufstieg hatte er sich mit Fleiß verdient. Hanna seufzte innerlich und wählte die Nummer der IT-Forensik.
*
Das meiste Licht in dem gedimmten Raum, den Hanna kurz vor der Mittagszeit betrat kam von den zahlreichen Terminals und tauchte ihn in ein diffuses Dämmerlicht. Grelles Weiß, flackerndes Orange, schneidendes Blau – die Bildschirme der IT’ler waren auf ihre Anwender angepasst. Wer fast zehn Stunden am Tag an der Technik verbrachte, brauchte diesen Luxus und das Revier grätschte den Computerspezialisten dabei nicht rein.
„
Ich weiß zwar nicht, wie Sie die ‚erhöhte Dringlichkeit‘ durchgesetzt haben, aber hier sind Ihre Daten“, sagte der Cybercop, der sie in Empfang nahm, ehe sie den Raum in Gänze betrat. Die IT’ler waren eine mehr oder weniger geschlossene Gruppe, die es nicht mochten, wenn man ihnen über die Schulter schaute. Der Polizist gab Hanna die Geräte, die sie abgegeben hatte sowie eine ausgedruckte Liste mit Zugangsdaten und Passwörtern zu Stella Morenos Accounts. Hanna unterzeichnete den Empfang der Gegenstände in zwei verschiedenen Listen und verpflichtete sich damit, sie zum Abschluss des Falls in die Asservatenkammer zu geben.
„
Viel Glück, Agent.“