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    Legende Avatar von Ajanna
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    Die Eltern des Orks

    Nachdem sie mit Gero über ihre verschollenen Lieben gesprochen haben, verlassen die Orks nach und nach die Halle. Gero bleibt alleine im rauchigen Halbdunkel zurück. Er schließt die Augen und nimmt einen tiefen Atemzug. Die untergehende Sonne über dem schmutzigen Strand des Lagers ist ihm wieder sehr gegenwärtig, und die Erinnerung an die Isolation damals und die Präsenz der Orks - fremd und furchteinflößend, trotz ihrer damaligen Ohnmacht - versetzt ihn in einen aufgekratzten Zustand zwischen Mut und Trotz. Er reibt sich die Augen, die vom Rauch brennen. Aber er ist noch nicht bereit, wieder auf den Dorfplatz und ins Licht zu treten.
    Es war geschickt von Jaru, die Aufmerksamkeit auf sich und seinen Erfolg zu lenken. Aber irgendwann muss er sich dem stellen, weshalb er gekommen ist. Er beschließt, Jaru zu suchen.


    Gero hält sich am Rand des Dorfes, zwischen den Palisaden und den Hütten. Die Orks haben alte Bäume in ihrem Dorf stehen lassen und teilweise Hütten zwischen die mächtigen Äste gebaut. So liegt ein Teil des Dorfes im Schatten. Allerdings schwirren hier auch Fliegen und Mücken, und es riecht nach den Abfällen, die vor der Palisade auf einem großen Haufen liegen. Er steigt die Leiter hoch auf den Umgang und sieht über die Palisade Richtung Wald. Die Sonne neigt sich bereits dem Horizont zu und es wird diesig. Da sieht er Jaru am Waldrand auftauchen, der erkennt ihn auch und winkt ihn zu sich.
    Gero findet nicht sofort zum Tor zurück. Schließlich geht er doch über den Dorfplatz und kauft auch ein Fläschchen von dem Öl. Als er sich damit einreibt, bleiben die fliegenden Quälgeister zurück.


    "Hast du Ker'ontaghs Eltern gefunden?"
    "Ja, dein Glück, sie wollen dich vor dem Fest sehen - ich bringe dich in ihrem Garten. Ker'ontaghs Braut wird auch dort sein."
    "Du meinst, mein Glück, weil Tushik'att dann nicht dabei ist?"
    Jaru nickt. "Bist du bereit?"
    "Ich weiß nicht. Wahrscheinlich nicht, nein. Je weiter wir uns von diesem verfluchten Eiland entfernt haben, desto mehr entgleiten mir diese finsteren Stunden."
    "Aber du willst sie noch treffen?"
    "Ja. Bringen wir es hinter uns."


    Jaru führt Gero zum linken Waldrand. Dort stehen die Bäume nicht so hoch wie auf Elwos Seite, und schon bald lockern Gärten zwischen Hecken den Wald auf. Als sie die Felskante erreichen, führt eine steinerne Treppe nach oben, und dort sind ein paar kleinere Felder angelegt.
    Jaru folgt der Kante nach Süden, und am Ende der Felder steht - auf der unteren, der Waldebene - ein großer Baum, der ein Baumhaus trägt. Dieses befindet sich auf der Höhe der Felder und eine zierlich geflochtene Hängebrücke führt zu der Seite, wo die beiden stehen. Direkt an der Kante ist ein mit Büschen umpflanzter, schattiger Platz. An seinem Eingang erheben sich zwei roh behauene Steinpfeiler, und eine ebensolche niedrige Steinbank kauert sich dahinter in einem Rasen mit ein paar Matten. Drei Orks erwarten sie.


    Die beiden Älteren sitzen auf der Bank. Der Vater ist alt, hager, dunkel und verfügt kaum noch über die Massigkeit, die andere Orks auszeichnet. Beeindruckend ist aber immer noch die riesige Orkaxt auf seinem Schoß, und die starken Fäuste, die sie halten. Die Orkfrau an seiner Seite trägt ein Gewand, das aussieht wie aus Rinde, und sie bewegt sich so wenig, als sei sie auch ein Baum.
    Zu ihrer Rechten steht eine sehr große, sehr helle und wie ein Krieger gekleidete Orkfrau mit gelben Augen. Sie hat sich Ker'ontaghs Tätowierung auf die Stirn gemalt.
    Als Gero ihrer gewahr wird, spürt er, wie sich zwischen seinen Schultern eine Gänsehaut bildet. Er hält das Gespräch plötzlich für hoffnungslos.
    Aber Jaru lässt ihn nicht im Stich. Sie setzen sich auf die Matten. Er übernimmt die Führung.


    "Danke, dass ihr uns empfangt in dieser Stunde, in der wir euch Schmerz bereiten müssen."
    "Wir haben um Ker'ontagh getrauert, als er nicht mit dir zurückkam. Er hätte dich nicht verletzt deinen Feinden überlassen, wenn er am Leben gewesen wäre."
    Gero legt sich ein schweres Gewicht auf das Herz.
    "Das weiß ich. Ker'ontaghs Treue und sein Mut haben ihn aus der Masse der Krieger herausgehoben."
    "Was ist es also, das ihr uns mitteilen wollt? Habt ihr sein Grab gefunden?"
    "Ja", übernimmt Gero. "Er ist gefallen, mit mir in dieselbe Felsspalte. Dort ist er gestorben. Aber die Umstände sind so, dass ich sie euch erzählen muss, und dabei hoffe ich auf eure Gnade."
    Die Orks sind erstarrt, sie sagen keinen Ton, man hört ihren Atem nicht.
    Gero holt ein bisschen aus, erzählt von der Nordfeste, den Untoten dort, der Kachlakönigin, und wie er die Phiole gefunden hat. Er vergisst nicht, zu erwähnen, wie Jaru ihn überreden wollte, sie dort zu lassen. Wie er selbst aber eine mächtige Waffe wollte - gegen diese ganzen Ungeheuer und gegen die Invasoren. Und wie die Phiole dann in Vergessenheit geriet in seinem Schwertgehänge.
    Gero muss Luft holen. Jaru übernimmt wieder ein Stück der Erzählung: dass sie Teil einer kleinen Kommandoeinheit waren, welche Gefangene befreien wollten. Dass sie eine merkwürdige Quelle fanden, mit Gegenständen, die Geros Mutter gehört hatten und wie Gero - von Schmerz überwältigt - losgelaufen war, ohne auf ihre Sicherheit zu achten. Und dass sie sich plötzlich mitten in einer Schlacht befunden hatten, in dem plötzlich der Boden selbst sich bewegt habe - und dann der lange, durch Hoffnungsblitze unterbrochene Sturz in mehreren Etappen, wie Gero Rüstung und Schwertgehänge gelöst habe, um sich zu retten.
    Sie halten inne. Wie beichtet man Eltern, dass man es verursacht hat, dass der Sohn sich vor den eigenen Augen in ein Skelett verwandelt hat - dass er aber noch lebte? Gero erinnert sich hinterher nicht daran, mit welchen Worten. Nur an die schreckliche Stille, die darauf folgt.
    Jaru unterbricht den Moment irgendwann und erzählt den Rest. Etwas zusammengefasst, wenn Gero ehrlich ist. Aber er beschreibt sehr eindrucksvoll, wie er selbst am Strand in der Nacht sein Wort gab, wie Ker'ontagh darauf antwortete: „Dann wird niemand sterben, bis das geschehen ist."
    Zuletzt spricht Gero wieder und wiederholt sein Versprechen. Er bittet Jaru um sein Schwert, und legt es vor den Eltern Ker'ontaghs ins Gras.


    Die Eltern und Ker'ontaghs Verlobte schweigen; so lange, dass man richtig merkt, dass die Sonne inzwischen untergegangen ist und dass es nun kalt wird.
    Schließlich spricht der alte Ork:
    "Nimm Schwert an dich, Mensch, ich brauche es nicht. Es gehörte altem König - der hat uns Orks eingesperrt in Lager nach Krieg. Ich vergesse nicht Morr' Hok-Keshaks Anteil, dass wir nun wieder frei sind.
    Aber Innos-Schwert hier hat im Dorf keinen Platz - und du wirst es brauchen, wenn du dein Versprechen einlöst. Aber du wirst heute Abend nicht am Fest teilnehmen, und ich will, dass du gehst jetzt sofort. Du hast von heute an keinen Platz mehr an Feuern der Orks dieser Insel. Wenn ich dich nächstes Mal sehe, wir einer von uns beiden sterben."
    Er erhebt sich und stützt die Orkfrau. Gemeinsam und mit über die Schulter gelegten Armen verlassen die beiden den Garten, und gehen über die Brücke zum Baumhaus. Die Tür fällt mit einem lauten Krachen ins Schloss.


    Ker'ontaghs Verlobte erhebt sich ebenfalls von der Matte, auf der sie gesessen hat. "Hast du Lieder gelernt?" fragt sie Gero. Er und Jaru stehen auch auf. Sie tritt nah an ihn heran und er sieht in ihre gelben harten Augen.
    "Ja." Die Melodien wackeln noch etwas, aber er ist ja noch nicht in Nordmar. Er trägt die Blätter mit den Texten bei sich und Jaru hat ihm eine flache Trommel gebaut, um sich zu begleiten, wie es die Orks tun.
    "Dreizehn Zähne von Tiger und Erz für drei Krush Varragh waren Brautpreis. Ich will sie noch. Dann bin ich frei, und kann selbst nach Nordmar gehen, eure Königsleute auf den Kopf hauen. Ich warte ein Jahr. Dann jage ich dich. Jeden dunklen Mond bin ich hier."
    Als sie geht, ist nichts zu hören.
    Schließlich trennen sich Gero und Jaru. Gero hebt das Schwert auf und umarmt Jaru.
    "Danke für deine Hilfe. Du bist der beste Freund, den ich je hatte. Ich hoffe, ich sehe dich eines Tages wieder. Ich gehe nun zur Hafenstadt und suche mir eine Überfahrt. Ich gebe vorher das Schwert im Kloster ab. Ich kann nicht mehr in Etharias Dienst stehen, und vor allem kann ich es nicht mit nach Nordmar nehmen. Die Orks erkennen es, für das, was es ist, und ich bin auf friedlichem Weg dorthin unterwegs."
    Jaru schweigt. Er hätte kein Wort herausbekommen. Er steht reglos, den Geruch von Geros Schweiß noch auf seiner Wange, bis aus dem Dorf der Klang der Trommeln herüber klingt.

    Geändert von Ajanna (31.05.2023 um 17:58 Uhr)

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    Elwos Wunsch

    Über dem ganzen Orkdorf liegt der Geruch nach gegrilltem Fleisch und Fisch. Elwo entscheidet sich für ein Tonschälchen mit Fleisch, das in einer dunkelroten Soße eingelegt ist. Es ist verdammt scharf! Gut, dass die Orks dazu diese weiße Grütze aus Kamorala servieren, sie neutralisiert die Schärfe ein bisschen. Schnell trinkt er dazu ein Bier. Später probiert er von Spießen mit kleinen Fischen und Knoblauch. Das verstärkt den Durst noch, und er trinkt weiter.
    Erst relativ spät gelangt er auf die freie Fläche vor die großen Trommeln, wo die Orks tanzen. Er sieht Rôksherk dort, der hat seinen Gefangenen offenbar inzwischen irgendwo abgeliefert. Er geht auf ihn zu. Als Rôksherk ihn bemerkt, zieht er ihn in die Runde und stellt ihn einigen anderen jungen Orks vor.
    Sie bieten Elwo ein Getränk aus einer flachen Schale an, das intensiv nach Früchten schmeckt. Sie brüllen rhythmisch, und er tanzt mit ihnen.


    Jaru sieht er nicht. Irgendwann erscheint Tushik'att, die Trommeln schweigen und er hält auf dem Platz davor eine lange Rede. Sie scheint sehr interessant zu sein, die Orks gehen mit und rufen immer wieder Zustimmung oder Fragen.
    Als er am Rand steht, merkt Elwo, dass er schon ziemlich benebelt ist, und einen dumpfen Kopfschmerz und Probleme mit dem Gleichgewicht hat.
    Als Tushik'att eine Weile gesprochen hat, jubeln manche Orks, aber nicht alle. Tushik'att winkt jetzt Rôksherk zu sich. Zwei andere Orks bringen den gefangenen Elster-Mann.
    Aber wenn Elwo jetzt eine öffentliche Bestrafung erwartet hat, täuscht er sich. Tushik'att schneidet dem Fremden persönlich die Fesseln durch, dann teilt er Schnaps aus, und Tushik'att, Rôksherk und die Elster trinken zusammen.


    Elwo versteht die Welt nicht mehr. Dieser Mann sabotiert seit Wochen im Norden, zerstört Brücken und Anpflanzungen, überfällt Einzelne, säht Streit mit Falschspiel und Trickbetrug. Und dann wird er endlich erwischt, und Tushik'att lässt ihn direkt frei, sorgt sogar dafür, dass deutlich wird, dass eine Aussöhnung mit ihm erwünscht ist?
    Elwo registriert, dass jemand neben ihn getreten ist, und als er Kopf dreht, sieht er, dass es Jaru ist.
    "Jaru, was bedeutet das? Was macht Tushik'att da? Weiß er nicht, dass diese Elster im Norden gewütet hat wie eine Plage?"
    "Er weiß es von mir. Was du gerade gesehen hast, ist ein historischer Moment, lass ihn auf dich wirken, genieße ihn. Tushik'att hat ein Handelsbündnis mit den Hotoshi-Boshi geschlossen."
    "Ist das dein Ernst? Bei dem piept doch ein Vöglein."
    "Das hat er eben stolz verkündet. 'Das Volk der freien Orks und die Menschen der freien Insel Kamorala werden zusammen reich und stark, und hauen dem König auf den Sack.' Oder so. Und das mit dem Vöglein würd ich für mich behalten. Tushik'att ist nachtragend, und seine Gegner erleiden komische Tode."
    "Das kann doch alles nicht wahr sein? Was verspricht er sich davon?"
    "Mehr von dieser weißen Grütze und der scharfen Soße, die du gerade gegessen hast. Und die Orks liefern Holz und Walprodukte."
    "Woher weißt du, was ich gegessen habe, hast du eine magische Fernsicht?"
    Jaru lacht und gestikuliert um seinen Mund, wo man bei Elwo noch Reste der Soße sieht.
    Elwo wischt sich übers Gesicht.
    "Aber ernsthaft - was bedeutet das?"
    "Jedenfalls nichts Gutes. Wir brechen morgen auf, sobald es hell ist."


    Elwo trinkt für den Rest des Abends nur Wasser, was nicht so einfach ist, da ihm immer wieder Schnaps und Bier angeboten wird. Das bringt ihn dazu, das Fest zu verlassen, bevor es zu Ende ist. Er pisst an die Palisade, und will gerade zu Jarus Baumhaus gehen, als Tushik'att ihn abpasst.
    Plötzlich steht ihm der alte Ork im Weg, ohne dass er ihn einen Moment zuvor gesehen oder gehört hat.
    Er sagt etwas auf Orkisch, das Elwo nicht versteht. Als Tushik'att das bemerkt, zeigt er merkwürdiges Lächeln.
    "Du Mann, du willst Orkschamane werden..."
    "Ja das stimmt. Was muss ich machen, damit du mich ausbildest?"
    "Du Freund von Jaru, das ist gut. So kannst du ihm nahekommen, er vertraut dir."
    Elwo schweigt. Tushik'att interessiert sich nicht weiter, er fragt nicht, was Elwo für ein Mensch ist, warum er Orkschamane werden will. Elwos Herz klopft bis zum Hals. Er fühlt sich wie eine Maus in der Falle. Das Gespräch hat er sich anders vorgestellt.
    "Töte Jaru, Elwo, dann wirst du Orkschamane." verspricht Tushik'att, dann ist er genauso geheimnisvoll verschwunden, wie er aufgetaucht ist.

    Geändert von Ajanna (01.06.2023 um 10:24 Uhr)

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    Elwos Wahl

    Elwo kann sich später nicht daran erinnern, wie er die letzten Schritte und den Aufstieg in Jarus Baumhaus geschafft hat. Er ist wie vor den Kopf geschlagen, ihm ist schwindelig und er hat Herzklopfen. Fast erscheint es ihm, als habe er das Gespräch mit Tushik'att phantasiert, wie in einem Fiebertraum.
    Als er im Baumhaus eintritt, sieht er, dass Krumpiaktl, der Ork im weißen Umhang, dort am Tisch sitzt und leise mit Jaru redet. Als er eintritt, verstummen sie.
    "Haben dich Orkbrüder gehen lassen?" fragt Krumpiaktl mit seiner tiefen Stimme, die in Elwos Magen vibriert.
    Elwo zuckt die Achseln.
    "Was mischt ihr eigentlich in dieses Beerengetränk," fragt er und verdreht die Augen.
    Die anderen beiden lachen auf seine Kosten.
    Er legt die Waffen ab und setzt sich auf einen Schemel.
    Er hätte viel dafür gegeben, mit Jaru alleine sprechen zu können.
    Krumpiaktl betrachtet ihn prüfend. Er hat ja auch gehört, dass Elwo Schamane werden möchte.
    Das er ein guter Kämpfer ist, sieht man sofort. Breitschultrig und geschmeidig, und die jungen Orks haben ihm bereits erzählt, dass Elwo ein guter Schütze ist.
    Aber hat er auch dieses Talent, die Wirklichkeit zu begreifen und formen, diese Kraft, die Dinge zu gestalten, die noch nicht manifest sind?
    Und was ist es wirklich, was diese Menschen zu den Orks zieht? Selbst bei Jaru hat Krumpiaktl das nicht verstanden.


    " Krumpiaktl wird uns begleiten", informiert Jaru Elwo.
    "Warum das? Willst du in die Hauptstadt?" Fast hätte er gesagt: 'Willst du Faid in der Hauptstadt treffen', dann fällt ihm ein, dass er nicht weiß, ob Jaru überhaupt schon vom Verschwinden der Königin berichtet hat. Vielleicht ist es besser, wenn das nicht so schnell Kreise zieht.
    "Ich verlasse Insel hier. Gehe zurück ins Eisland."
    Bis vor wenige Minuten hätte dies Elwo nicht weiter interessiert.
    "Wegen Tushik'att?"
    Jaru und Krumpiaktl wechseln einen schnellen Blick.
    "Ich sehe, er spricht mit dir," Krumpiaktl zeigt aufs Fenster.
    "Ja, er hat mich angesprochen." Elwo macht eine Pause. Wenn er jetzt von Tushik'atts Worten berichtet, kann er seinen Wunsch, ein Schamane zu werden, begraben. Obwohl der Preis dafür doch sowieso jenseits seiner Vorstellungskraft liegt. Jaru ermorden? Niemals! Jaru ist sein Vorbild. Vielleicht kann er bei Krumpiaktl lernen, wie Jaru? Ihm wird klar, dass er Tushik'att nicht vertrauen kann. Trotzdem schweigt er über das Angebot.


    "Jaru, wir sollten von hier abhauen," sagt er stattdessen.
    Da sieht er, dass Jaru bereits gepackt hat, ein lederner Sack liegt auf dem Bett, mit einer gerollten Matte, einem Schattenläuferumhang und der geräucherten Keule eines großen Tieres.
    "Wir warten, bis der Mond untergegangen ist, dann regnet es," sagt Jaru.


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    Aroheps Boot

    Jaru und Krumpiaktl sprechen weiter leise zusammen Orkisch. Elwo versucht, zuzuhören und etwas zu verstehen. Aber er muss eingeschlafen sein - jedenfalls weckt ihn Jaru irgendwann.
    "Es ist soweit."
    Der Himmel ist bewölkt. Es ist die dunkelste Stunde der Nacht. Der Wind hat aufgefrischt. Die Bäume raunen, knarzen, und Äste brechen und fallen auf den von Dunst bedeckten Boden. Noch regnet es nicht, aber von Meer zieht Nebel herein.


    Alle drei bewegen sich lautlos am Rand des Dorfes entlang. Sie treffen niemand, noch nicht mal einen Orkhund. Obwohl Krumpiaktl und nun auch Jaru ihre weißen Umhänge tragen, sind sie kaum zu sehen. Elwo verlässt sich völlig auf Jaru, der an der Spitze geht. In einiger Entfernung vom Dorf führt Jaru sie an den Strand, und auf dem harten Sand der Wellenzone fallen sie in einen ausdauernden Trab. Das hätte Elwo dem alten Ork garnicht mehr zugetraut, aber dessen Atem ist genauso wenig zu hören wie sein eigener.


    Sie erreichen Ajannas Dorf im Morgengrauen. Es regnet immer noch nicht, aber der Nebel ist richtig widerlich geworden, dick und kalt hinterlässt er Tropfen in ihren Haaren.
    Unten bei den Booten steht ein neues, fremdes Zelt auf den rauen Steinen der Mole. Es ist vieleckig rund mit einer Spitze, schwarz, und eine gezackte Borte schmückt es kniehoch über dem Boden. Als sie näher kommen, sehen sie, dass ein junger braunhäutiger Krieger mit gezaddeltem Rock und einem Speer davor Wache steht. Als er sie sieht, legt er eine Hand auf die Brust und neigt den Kopf leicht.
    "Willkommen, Jaru," sagt er. "Pangarius erwartet dich schon. Aber er ist auf deinem Schiff und spricht mit Karitha."
    "Und wer bist du? Ich kenne dich! Du warst auch an der Nordfeste, bevor wir nach Suiurrá gesegelt sind."
    "Wir haben zwischen Cor-dal-Pesch und dort den Plünderern in den Arsch getreten. Aber jetzt versuchen sie es ja mit anderen Mitteln, wie man hört."
    "Was meinst du damit?" fragt Jaru.
    "Hast du noch nichts von Masuts neuem Handelskombinat gehört? Er hat ein paar Fischer beschwatzt, in einen Fond einzuzahlen und nun wollen sie den Handel mit Walprodukten groß aufziehen."
    "Mit wem will er denn handeln?" fragt Jaru, aber er ahnt die Antwort schon.


    "Oschan O-Hotoshi-Boshi war hier, kurz nachdem du aufgebrochen bist," erzählt ihm später Karitha, als sie mit ihr und Pangasius in der Kajüte heißen Tee trinken.
    Krumpiaktl ist an Land geblieben, genau genommen ist er in eine dunkle Ecke am Hafen gegangen und hat einen Teleportzauber aktiviert. Jaru ist froh darum, er erinnert sich, wie Tasso ihn nicht an Bord der Alca haben wollte. Arohep ist allerdings auch an Bord, es sieht so aus, als ob er gerade seine Sachen zusammenpackt.
    "Das müsst ihr mir genau erzählen."
    "Marsut hat was am Laufen mit den Fischern. Ein ganz großes Geschäft, wie er sagt. Also hat er manche von den Fischern überredet, ihre Boote zu beleihen und mit ihm in so ein Handelskombinat einzusteigen. Er redet ihnen ein, sie verdienen hier zu wenig mit ihrem Fang, und sie müssten klüger sein und mit den Hotoshi-Boshi handeln."
    "Machst du da auch mit, Arohep?" will Jaru wissen.
    "Ich habe mein Boot nicht beliehen, nein. Aber es ist noch nicht vollständig bezahlt. Ich habe ihnen gesagt, mit den Hotoshi-Boshi möchte ich keinen Vertrag. Marsut hat angeboten, er macht in meinem Fall eine Ausnahme. Ich habe die Option, mit dem Kombinat zusammenzuarbeiten, bleibe aber unabhängig."
    "Und die anderen Fischer?"
    "Ich weiß es nicht genau. Das war alles, als wir mit der Rubin auf See waren und uns mit den Piraten und Untoten gekloppt haben. Ich hab die Verhandlungen nicht mitbekommen, nur das Ende. Das war eine kurze Sache. Die Fischer stehen sich die Füße platt vor einem Lacktisch, ein Mann von den Hotoshi-Boshi bringt eine Kiste herein, Oschan O-Hotoshi-Boshinimmt die Verträge raus, unterschreibt, Fischer unterschreiben, man tauscht ein paar Höflichkeiten aus, er schmeißt die Verträge in die Kiste, der Diener trägt die Kiste und den Lacktisch weg, und er geht seiner Wege, was heißt, er geht zu seinem Schiff und segelt davon."
    "Kann ich die Verträge der Fischer sehen?"
    "Da musst du Marsut fragen, er hat sie mitgenommen."
    "Was war das für ein Schiff?"
    "Eine Dhau, nicht besonders groß, aber neu und schnell. Mit drei Skorpionen an Bord und einer gut eingespielten Mannschaft."
    "Weißt du, wie Marsut auf die Hotoshi-Boshi gekommen ist?"
    "Ich fürchte, da kommt Ganjouk ins Spiel. Sie war bei Marsut, als wir weg waren."
    "Ganjouk?" fragt Jaru ungläubig.
    Er erinnert sich, dass sie seine Blitzrune vor den Hotoshi-Boshiversteckt und unterschlagen hat. Warum sollte sie dann später doch mit ihnen zusammenarbeiten?


    "Ich habe mit ihr gesprochen," schaltet sich Pangarius ein. "Sie war es, die uns einen Brief der Königin gebracht hat - weshalb wir jetzt hier sind. Ombhau' und sie haben darauf gebaut, gemeinsam mit den Orks etwas Ähnliches aufzuziehen wie die Hotoshi-Boshi. Aber dann hat wohl einer von von euch ihren Kontaktmann umgebracht."
    "Was, Xhutuboc?" entfährt es Elwo.
    Jaru wirft ihm einen finsteren Blick zu und runzelt die Stirn.
    "Wie konnten sie so schnell davon erfahren? Die Alca war weit hinter uns, und Ganjouk war nicht an Bord, ich habe sie in der Hauptstadt gesehen..."
    "Ich weiß es auch nicht, Jaru. Magie vielleicht - Signale - oder Brieftauben?"

    Geändert von Ajanna (01.06.2023 um 20:20 Uhr)

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    Etharias Brief

    "Wie bist du eigentlich von der Feuerinsel zurückgekommen?" fragt Jaru Pangarius. Das ist der Wassermagier aus Cor-dal-Pesch, und er war während der Invasion entführt worden.
    "Milten hat mich befreit, als die Drachen gekämpft haben. Ich bin dann zur Küste gelaufen und habe die Orks getroffen. Sie haben mich verschnürt wie einen Sack! Ich war Milten in diesem Moment überhaupt nicht dankbar! Es war dein Lehrer, Krumpt'iaktl, der ihnen gesagt hat, dass sie mich freilassen sollen."
    Schließlich zeigt Pangarius Jaru den Brief der Königin.


    Cor-dal-Pesch, Magier des Wassers Pangarius - persönlich -

    Ich würde mich sehr über die Nachricht freuen, dass du wohlauf bist, Wertester. Leider weiß zur Stunde niemand, ob du noch lebst, oder ob du diese Insel überhaupt schon wieder erreichen konntest.
    Ich schreibe dir heute in einer schwierigen Situation, und ich kann nicht garantieren, dass dieser Brief nicht gelesen wird, bevor er dich erreicht.
    Innos' Licht scheint aber auch hinter den Wolken, das habe ich festgestellt. Ich habe viel von den Wolken gesehen in den letzten Tagen. Die Person, die dir den Brief bringt, weiß, wo ich zu finden bin, und ich würde dich gerne persönlich treffen.
    Falls du abenteuerlustige junge Menschen in Cor-dal-Pesch entbehren kannst, magst du sie mitbringen. Sie sollten gut klettern und schwimmen können, bewaffnet, aber friedlich auftreten. Bring sie nicht mit zu mir, sondern schicke sie in das Fischerdorf im Süden der Insel, das, woher Ajanna stammt. Sag ihnen, sie sollen dort auf dich warten, und mit Jaru oder Gero sprechen, aber nicht mit denen vom neuen Handelskontor. Beiliegend sende ich dir 125 Goldstücke, damit ihr euch auf der Reise verpflegen könnt.

    Etharia, Königin


    Was weder Pangarius, noch jemand anderes ahnen wird, der diesen Brief liest, ist, dass "Innos' Licht - Wolken - Wolken" ein Code der Küstenwache ist. Das Gleiche gilt für die Zahl. Jaru versucht, sich zu erinnern. Die Königin befindet sich demnach an der südlichen Westküste, also immer noch etwa dort, wo sie angegriffen wurde.
    Aber wofür stand noch mal 125? Die eins bedeutet, die Person, die den Brief bringt, ist nicht unbeteiligt, soll aber nicht angegriffen werden. Die Zwei steht für Wasser, also ein Schiff, eine Höhle an der Küste oder etwas am Strand, vielleicht auch ein Bachlauf. Und die Fünf... eine Eins würde bedeuten, komm alleine,... eine Zwei "komm alleine, aber achte darauf, dass dir jemand folgt...", eine Neun wäre: sagt ab, aber kommt heimlich... die Fünf bedeutet... Jaru ist schockiert, dass es ihm nicht einfallen will. Er zeigt den Brief Elwo. Vielleicht erinnert er sich.


    Dieses Mal verhält sich Elwo geschickter. "Ah, deshalb die Leute draußen im Zelt. Hat sie dir schon gesagt, was sie mit ihnen vorhat?" fragt er Pangarius.
    "Ich denke, das wird sie Jaru selbst sagen. Du kommst also mit?"
    "Ich möchte vorher mit Marsut und meiner Mannschaft sprechen. Aber ja, dann komme ich mit. Wir sehen uns noch vor dem Mittag auf der Mole." Jaru steht auf und beendet so die Unterhaltung. Pangarius scheint etwas irritiert, aber er verlässt das Schiff mit einem kurzem Nicken.


    Als er gegangen ist, murmelt Elwo leise: "Aber sie hat doch geschrieben 'so schnell du kannst'?"
    Jaru ist dankbar, dass er nicht fragen muss.
    "Ich muss trotzdem vorher in Erfahrung bringen, wie die Verträge aussehen. Sie wird das wissen wollen. Und für die Mannschaft bin ich nun mal verantwortlich. Aber es muss dennoch nicht lange dauern. Ich versuche, Marsut jetzt zu treffen. Versammel die Leute, sobald sie wach sind."


    Jaru verlässt das Schiff. Es ist immer noch sehr früh, und niemand außer Pangarius ist zu sehen. Er hat die Wache vor dem Zelt übernommen. Jaru wählt bewusst eine Richtung, in der das Zelt seinen Weg bald verdeckt, und geht in eine Straße, die nicht zu Marsuts Haus führt. Leise kreuzt er die Straße, biegt ab, dasselbe noch ein paarmal, bis er die Rückseite von Marsuks Haus erreicht hat. Er sieht sich kurz um, niemand zu sehen... geschmeidig springt er an der Mauer hoch, zieht sich hoch und springt lautlos wie eine Katze in den Garten. Und hier hält er inne, atmet bewusst und zieht sich hinter einem Busch das Schattenläuferfell über. Jemand, der ihn beobachtet hätte, würde sich nur wundern, dass er verschwunden ist - und vielleicht, warum der Nebel im Garten an einer Stelle dunkler erscheint.


    Jaru schleicht gebückt an eines der Fenster. Er hat Glück, hier schläft niemand, aber ein Tisch mit Papieren darauf könnte bedeuten, dass er schnell am Ziel ist. Eine elegante Handbewegung - das Fenster ist offen. Jaru gleitet sofort ins Innere und lehnt es wieder an.
    Die Papiere auf dem Schreibtisch sind Listen der Dorfbewohner und der bezahlten Steuer. Offenbar ist dies eine weitere wichtige Aufgabe von Marsut.
    Jaru überfliegt sie kurz. Die Namen ihrer Boote sind auch notiert: Elara, Sternschnuppe, Seespinne, Südwind, Dschamila. Koralle, Schwertfisch, Signe, Karfunkel, und ein Wort, das in der Schrift von Varant geschrieben ist: Senjan? Sonjanne? Sinjona? Ist das ein Name? Viele Wörter kennt er nicht in dieser Sprache, eigentlich nur die Namen von Handelsartikeln, wie Schwefel, Teer oder Kraut. Und ein paar nautische oder Schwertkampf-Begriffe.


    Er sieht sich um, ob er eine Kiste oder Mappe sieht, das ist jedoch nicht der Fall. Er geht zur Tür und horcht, aber noch ist es völlig ruhig im Haus. Nun öffnet er einen Schrank, und hier sieht er einen Metallkasten. Wieder öffnet er ihn mit einer Handbewegung... und wird endlich fündig. Er überfliegt die Verträge. Sie erscheinen ihm nicht merkwürdig oder unseriös. Die Fischer schließen sich zu einer Gemeinschaft zusammen... die Produkte werden gemeinsam als Ganzen dorthin verkauft, wo der höchste Preis gezahlt wird... die Hotoshi-Boshi treten als Handelskontakt auf... kleinere Mengen für den Eigenbedarf bleiben zur freien Verfügung der Fischer... die Fischer legen zusammen für eine gemeinsame Kasse, aus der Auslagen und Transport bezahlt werden. Moment, - den Transport zahlen die Fischer? Aber dann ist das beste Angebot vielleicht gar nicht das Beste? Wenn der Transport den Gewinn auffrisst? Ach hier, noch etwas, die Annahme der Angebote muss einstimmig sein. Nunja, das ist vielleicht eine Sicherheit, dass so etwas nicht passieren kann. Es sei denn, man hat einen Idioten im Handeskontor. Er überfliegt die Namen der Fischer... es scheint alles in Ordnung zu sein.
    Doch dann wird er stutzig: Irletia Talakaides? Was soll das denn bitte? Ist das Marlans Schwester? Aber sie ist doch noch jung, hat sie ein Boot? Und wieso trägt sie seinen Namen? Hat Tasso sie geheiratet - aber nein, das würde er nie tun. Vielleicht hat Amara sie adoptiert, nachdem Marlan nicht wiederkam, das würde Sinn machen. Wie in Beliars Namen kommt dieser Vertrag in Marsuts Kasten? Jaru liest ihn sich genau durch. Er unterscheidet sich nicht von den anderen Verträgen. Die Unterschrift ist kindlich und ordentlich... Als Irletias Schiff ist die Adamanta gelistet! Aber das ist komplett unmöglich. Die Adamanta gehört der Krone.
    Er überlegt, ob Oschan O-Hotoshi-Boshi hiervon auch ein Exemplar besitzt, und was die Konsequenz hiervon sein könnte? Soll das einen Vorwand für einen Krieg liefern? Oder will Marsut damit die Mehrheit verhindern, wenn es ihm nötig erscheint? Aber wie erklärt er überhaupt, dass er diesen Vertrag besitzt? Hat Oschan O-Hotoshi-Boshi ihn mitgebracht? Dann ist Irletia vielleicht etwas zugestoßen, sorgt sich Jaru. Er steckt den Vertrag ein.


    Und weil er von dem Fund so aufgebracht ist, nimmt er noch etwas weiteres mit: unten im Kasten liegt zwischen ein paar Goldmünzen und paar kleinen Gewichten für eine Edelsteinwaage etwas graues raues Unscheinbares: eine weitere Blitzrune.
    Zuletzt richtet er schnell wieder alles so her, wie er es vorgefunden hat, klettert aus dem Fenster, schließt es und springt über die Mauer. Der Schattenläuferumhang verschwindet wieder unter seinem weißen Mantel.

    Geändert von Ajanna (02.06.2023 um 19:36 Uhr)

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    Die Königin

    Über Umwege geht Jaru wieder zu seinem Schiff zurück. Ein Laden hat bereits geöffnet, und er kauft etwas Brot und Käse.
    Arohep hantiert auf seinem Boot herum. Er hat die Kisten vor der Rubin weggeräumt und auch den Ausleger zurückgeholt. Jaru betrachtet die Rubin. Ihr Deck ist nun weißgrau gestrichen, ebenso die Aufbauten. Die Segel sind auch eher grau als weiß. Und die ursprüngliche braunrote Färbung des Holzes sieht man jetzt nur noch in einem schmalen Streifen, bevor die Teerfarbe des Rumpfes beginnt. Abgesehen von der Feuerfestigkeit, wird das Schiff auf dem offenen Meer nun auch besser getarnt sein als vorher.
    Er geht zu Arohep.
    "Ich habe dir noch nicht genug gedankt für deine selbstlose Fahrt auf die Feuerinsel," sagt er.
    "Musst du nicht. Ich bin für Gero gefahren. Er und die Orkwaldleute haben mich befreit..."
    "Trotzdem. Das war ehrenvoll. Und ohne deine Seemannskünste hätten wir es nicht geschafft."
    "Danke. Du warst ein guter Kapitän. Ich habe viel von dir gelernt - wenn auch nicht über Seemannskünste." Ombhau' zwinkert.
    "War das so offensichtlich?"
    "Wahrscheinlich für die meisten nicht, nein. Und ich weiß, warum du es gemacht hast. Zwischen Wingstan und mir wären Fäuste geflogen, so viel ist sicher."
    "Können wir kurz in deine Kajüte gehen?"
    "Klar, was ist los?"
    Der sehr niedrige Raum unter Deck ist vollgestopft mit Ersatzsegeln, regenfester Kleidung, Harpunen, Enterhaken und Messern. Auf dem Tisch sieht er eine Karte unter festem Glas, das mit Gummistoppern am Tisch verschraubt ist und einen Kreiselkompass.
    Jaru knickt den oberen Teil des Vertrages von Irletia mit Oschan O-Hotoshi-Boshi um und lässt Arohep den Rest lesen.
    "Das ist schlimm," Arohep schnauft. "Wenn ich das geahnt hätte, wäre der Kerl nicht so einfach davon gesegelt."
    "Hast du eine Erklärung, warum Marsut so auf Oschan O-Hotoshi-Boshi geflogen ist?"
    "Nein. Sein Vater ist eine echte Autorität hier im Dorf. Ich denke, sein Sohn ist auf so schräge Gedanken gekommen, um aus seinem Schatten zu treten. Aber ich habe ihn noch nicht gesehen, seit wir zurück sind."
    "Ich konnte ebenfalls nicht mit ihm sprechen." So eine kleine Lüge muss sein, Jaru hat einen Ruf zu verlieren.
    "Woher hast du den Vertrag?"
    "Das kann ich nicht sagen, Arohep. Ich hoffe, du verstehst das."
    "Schon gut, es ist auch egal."
    "Ich wollte dir noch sagen, ich verstehe, dass du hier bleiben willst. Ich finde es richtig. Hast du genug Männer?"
    "Jeder will mit mir fahren, ich bin der beste Waljäger hier, mach dir darum keine Gedanken!" Arohep lacht stolz.
    "Pass auf dich auf, großer Waljäger."
    "Pass auf dich auf, Wanderer zwischen den Welten."


    Und zuletzt spricht Jaru auf der Rubin mit den Neuen und denen, die von seiner alten Mannschaft noch übrig sind. Inzwischen sind alle ausgeruht und brennen darauf, wieder loszufahren.
    Die Alchemisten melden, was er schon gesehen hat: das Schiff ist fertig. Die Vorräte sind wieder aufgefüllt, das Wasser ist frisch.
    "Also, Wingstan, wohin willst du sie bringen?"
    "Es gibt eine Bucht und Höhle, südlich von Cor-dal-Pesch - wo die Fischer gefangen waren. Etharia hat beides verbreitern lassen und wir haben ein Dock eingerichtet. Das Holz hatte sie zum größten Teil bereits vorher, und einer der Kaufleute hat es dorthin gebracht... Dort ist sie gebaut worden."
    "Verdammt weit entfernt... ich würde sie lieber in der Nähe bereithalten."
    "Wir können sie vor das Kloster der Feuermagierinnen segeln. Es gibt einen Weg durch die Klippen dorthin. Ich kann ihn euch zeigen." bietet Karitha an.
    Jaru blickt fragend zu Wingstan.
    "Wenn die Magierinnen einverstanden sind..."
    "Amara ist gestern im Dorf gewesen und hat genau das angeboten." Karitha hält ein Buch hoch.
    "Und sie hat das mitgebracht".
    Ein Werk über Wasserstände, Strömungen und Untiefen rund um die Insel - das kommt im richtigen Moment!
    "So ist es beschlossen. Gut, dann gehe ich jetzt Pangarius treffen..., Wingstan, du hast das Kommando."


    Jaru lässt Brot und Käse auf dem Schiff und sucht den Wassermagier an dem fremden Zelt auf.

    "Ich bin soweit, bring mich zur Königin."
    Der alte Wassermagier reicht ihm einen Teleportstein.
    "Du kannst dem Stein vertrauen. Ich habe ihn selbst hergestellt."
    Ein Brausen hüllt Jaru ein, und dann sieht er für eine Weile nur noch blaues Leuchten und funkelnde Sterne.

    Als die Benommenheit nachlässt, stehen sie auf einem kleinen dunklen Strand unterhalb einer Klippe. Nicht unterscheidet die kleine Bucht von Dutzenden anderen im Süden der Insel. Doch etwas ist besonders - die Alca ankert in der Nähe auf See. Jaru zuckt zusammen.

    "Mach dir keine Sorgen, alles ist gut."
    Pangarius geht vor ihm auf die Felsen zu. Es ist Ebbe, man sieht deutlich, dass sie sich unter der Wasserlinie befinden, wenn die Flut hereinströmen würde. Und hier sieht er eine Öffnung im Fels. Momentan ist dort eine Leiter angelehnt.
    Jaru fragt sich einen Moment lang, ob er nicht den größten Fehler seines Lebens macht. Falls Pangarius ihn verrät, dann befindet er sich wirklich in einer üblen Lage - weit weg von allen seinen Leuten, an einem unbekannten Ort, alleine unter Piraten.
    Doch es gibt keinen Grund, Pangarius zu misstrauen, und sein Gefühl warnt ihn auch nicht.


    Langsam und sehr bewusst steigt er die Leiter hoch.
    Ein gewundener enger Gang führt ihn stetig nach oben. Dies wird die See fernhalten, wenn die Flut beginnt. Ein dicker Vorhang trennt den Gang von dem, was dahinter liegt.
    Und als er ihn beiseite schiebt, stockt ihm der Atem.
    Eine große, viereckig behauene Höhle streckt sich vor ihm aus, mit Matten und teilweise sogar mit roten Teppichen ausgelegt und mit kostbaren Lampen aus transparentem Stein und Kristallglas bestückt. An einer Stelle gibt es sogar ein rundes Fenster, dessen Festerladen nun offen steht.
    Durch dieses Licht und die vielen Lampen ist die Stimmung im Raum festlich wie in einem Thronsaal. Ein großer Tisch steht in der Mitte des Raums - an den Wänden stapeln sich Kisten und Fässer. Ganz hinten steht ein Bett mit einem Baldachin auf einem Podest, auf dem auch noch jede Mengen Schlafmatten und Waffen liegen. Es sind nur zwei Menschen im Raum, die Königin - und Ganjouk.

    Die Königin bittet Ganjouk und Pangarius, sie mit Jaru alleine zu lassen.
    Er tritt auf sie zu, verneigt sich, und sieht ihr dann ins Gesicht. Seit er sie das letzte Mal gesehen hat, ist von ihrer fröhlichen Freundlichkeit nichts mehr übrig. Sie trägt ihre Rüstung, auf ihrer Stirn sieht er die blau-lila Reste einer bösen Beule. Sie ist angespannt und bleich, und in ihrem Gesicht sieht er Falten um den Mund und auf der Stirn, die sie früher nicht hatte.
    "So sehen wir uns wieder und alles hat sich verändert," begrüßt sie ihn.
    "Gero ist gesund und frei, und die Rubin steht wieder zu deiner Verfügung."
    "Ich weiß, Ombhau' hat mir bereits davon berichtet. Ziemlich zerknirscht. Er wollte mir beide Schiffe bringen."
    "Wie ist das möglich? Ich hörte, dass du angegriffen wurdest - in der Hauptstadt hält man dich für tot!"
    "Ich weiß, und das ist im Moment gut so. Faid hat die Unterstützung der ganzen alten Familien in der Hauptstadt. Er hat mich vor eine Wahl gestellt, bei ich seinen Vorschlag nicht ablehnen kann, ohne einen Bürgerkrieg vom Zaun zu brechen. Ich kann ihm nur widerstehen mit jemand an meiner Seite, der genauso stark ist wie er."
    "Du kannst genauso kämpfen wie ich, was..."
    "Ich rede nicht vom Schwertkampf!"
    Ihre Stimme ist hart wie Glas.
    "Es geht um Allianzen, Machtverhältnisse. Wenn ich Faids Angebot ablehne, brauche ich ein entsprechendes Gegengewicht zu den Bürgern. Ich brauche deine Orks, Jaru. Nur aus dem Gleichgewicht kann der Bürgerkrieg vermieden werden."
    Sie hält inne, geht zum Tisch, nimmt einen Schluck aus einem goldenen Becher, der dort steht.
    "Heirate mich, Jaru. Mit dieser Hochzeit wird das Bündnis mit den Orks und den anderen Gemeinschaften auf der Insel stärker als Faid und seine Bürger. Du bist ein Talakaidis, gegen die Hochzeit mit dir gibt es keinen vernünftigen Einwand. Dein Onkel war bereits als mein Verlobter anerkannt. Es wäre das Richtige in den Augen von Vielen."


    Jaru ist völlig erstarrt und unfähig, etwas zu antworten.
    Einerseits ist dies eine große Ehre, und er sieht die Richtigkeit und Logik in dem, was sie vorschlägt. Aber die meisten der Orks stehen nicht mehr hinter ihm, er hat es gefühlt, als er zuletzt in ihrem Dorf war. Tushik'att ist viel stärker geworden. Und da sind auch noch seine Nächte, seine Sehnsucht...
    Er schweigt schon zu lange, er kann fühlen, wie sie sich innerlich abwendet. Alle Männer der Insel hätten von dem geträumt, was sie ihm angeboten hat. Und sie ist immer noch sehr schön, und fähig, mutig... sie hat jemand Besseren verdient, als einen, der von jemand anderem träumt.
    "Ich kann dich nicht heiraten, Etharia."
    "Hast du einen Eid geleistet, so wie die Feuermagier?"
    Er ist froh, dass sie die Ablehnung überhaupt nicht persönlich zu nehmen scheint, sie denkt an praktische Hindernisse. Er schüttelt den Kopf, sieht zur Seite.
    "Dann ist Etharia heute gestorben. Ich werde Faid nicht heiraten, und ich werde keinen Bürgerkrieg um diese Insel führen. Dann wirst du dich, werden die Orks sich, alleine mit Faid auseinandersetzen müssen. Dann fahre ich mit Ombhau', und wir holen uns Khorinis von den Orks zurück."


    Jetzt starrt er sie an.
    "Ich bin eine Kriegerin, Jaru, jedoch kämpfe ich nicht gegen meine eigenen Leute. Faid hat selbst königliches Blut. Ich weiß, dass du ihn hasst. Offenbar nicht genug, um ihm im Ballsaal Paroli zu bieten. Also vertraue ich mich Innos an, und bekämpfe die, die unsere Kronlande angreifen. Khorinis ist schon zu lange in der Gewalt unserer Feinde. Ich werde sie schlagen und aus unserem Land vertreiben. Du kannst dich uns anschließen. Hier wirst du bald sowieso zum Gejagten werden."

    Geändert von Ajanna (04.06.2023 um 10:12 Uhr)

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    Vor Myrtana

    Die Küste des kurvig wie eine schlafende Frau vor ihnen liegenden Landes glimmt im orangen Abendlicht. Ein leichter Dunst verzaubert den Moment wie eine Szene aus einer alten Geschichte. Das Meer leckt wie satt am Sandstand, auf dem drei Ruderboote liegen.

    Der Kapitän des Schiffes sitzt in der Messe an einem Tisch, vor sich ein Pergament mit Linien, das aussieht wie eine Liste. Er hat die Messe gewählt, weil er von hier aus besser das Zuwasserbringen der Boote beobachten kann. Es ist mühsam gewesen - sie brauchen dringend mehr Männer. Und so hat er diejenigen seiner Mannschaft, die am besten reden können, mit jeweils etwas Gold, Schnaps und einer Schutztruppe von zwei Mann in verschiedene Städte Myrtanas gesandt, um Matrosen anzuwerben. Es stellt ein hohes Risiko dar, denn die Adamanta ist nun weitgehend schutzlos.
    Er hat nach einigem Nachdenken jedoch entschieden, dass eine längere Liegezeit ein höheres Risiko darstellen würde.
    Die Liste vor ihm ist das, was Irletia ohne Auftrag von ihm aus den Erfahrungsberichten der Mannschaft zusammengefasst hat:


    "Beobachtungen, zusammengefasst aus Aussagen der Mannschaften und Offiziere
    während des bewaffneten Zusammenstoßes
    zwischen ihrer Majestät Etharia I.' Flaggschiff Adamanta,
    unter dem Kommando von Kommandant Tasso Talakaidis, Oberkommandierender der Flotte,
    und einem Schiff unbekannter Bauart und unbekannter Besatzung
    und Laborbefunden
    zur Zeit des Erntemonds im ersten Jahr Ihrer Herrschaft
    auf offener See zwischen Kamorala und Myrtana
    auf der Höhe des Sternbildes des Drachen
    zur dritten Stunde nach Sonnenuntergang

    Beobachtung
    Wann?
    weitere Beschreibung
    Wer?
    weitere Begleiterscheinungen
    Schlussfolgerung
    Fragen zu klären
    Sturm
    Vorabend
    ungewöhnliches,
    religiös motiviertes Verhalten von Teilen der Mannschaft,
    Anrufungen ("Krushak"), Opferungen
    Männer aus der früheren Barriere auf Khorinis;
    Bork, Schiffsarzt von Esmeralda
    (Eyssensteynsee)
    Himmel ockerfarben, fast grün,
    metallischer Geruch,
    Temperatur-
    abfall,
    starker Regen
    evtl. Kontrolle über Wetter oder Begleiterscheinung des Wetters?
    Bork & die Matrosen,
    die mit den Opferungen befasst waren, befragen: nach "Sterntier"
    anderes beteiligtes Schiff,
    feindlich
    direkt nach Anrufung
    große, lange, dunkle Form,
    "substanzlos?",
    Flimmern der Luft im Umfeld
    Seekrieger, eckige Rüstungen mit "Graten",
    runder Kopfschutz aus Glas
    Angriff, Enterung, mit Hilfe von
    feueremitierende Harpunenstöcken,
    keine Kommunikation im Vorfeld
    Militärtechnik,
    unbekannt,
    evtl. überlegen,
    Kriegshandlung,
    Krieg nicht erklärt

    Magische Verbindung zwischen Anrufung und fremdem Schiff oder Zufall?
    Warnung an alle Reiche
    Entführung des Kapitäns, & von Seeofizieren
    & von Matrosen
    inmitten des Kampfes
    Ziel: vor allem die guten Kämpfer,
    Seegefecht abgebrochen, Adamanta nicht von Interesse
    konzertierte
    Aktion durch Gegner,
    kurze Aktionszeit, geordnerter
    Rückzug,
    Tote zurückgelassen
    Alle anrufende Seeleute unter den Opfern,
    Erster Offizier gefoltert,
    "Ansaugen"
    der Beiboote
    Antriebstechnik,
    unbekannt,
    Magie?
    Kommunikation unter Gegnern auf unbekannte Weise
    Grund?
    Gegenwehr wie möglich?
    Kommunikation
    der Gegner?
    Entführte wie finden?
    noch am Leben?
    Einzelgegner,
    humanoide Form,
    Rüstung luftdicht,
    unsere Luft für sie tödlich
    Autopsie nach mehreren Stunden
    siebenstrahlig, wenige feste Rückstände
    (Finger- und Zehennägel,
    leuchtende Knochen),
    organische Eiweiße,
    Herz paarig angelegt?
    Ringknorpel statt Brustkorb,
    Kopf aus beweglichen Platten, grüne Schuppen,
    kegelförmige
    scharfe, spitze Zähne,
    Unterkiefer geteilt,
    sechsäugig
    je zwei große Augen seitlich, zwei kleine auf der Stirn

    Autopsie
    durchführt durch den kommissa-rischen Kapitän Ingmar und Irletia Talakaidis,
    Alchemistin
    schnelle Zersetzung,
    aaliger Geruch,
    Kopf geborsten,
    Selbstent-zündung nach intensivem Luftkontakt
    submarine Kultur?
    Fisch-Artige?
    hoch entwickelt
    (Typografie
    hoher Organisierungsgrad),
    Individuen leicht zu töten, indem die Schläuche zwischen Helm und Rüstung durchtrennt werden.
    fremde Schrift - läuft auf Mittellinie - entziffern!

    Material der Rüstung
    (aus einem Stück, elastisch, grau)?

    reagieren emotional auf die tote Muschel - warum?
    Kampfverhalten,
    kollektiv
    während der Enterung
    und während eines früheren Treffens mit einem Mann-schafts-Mitglied
    Agieren aus dem Hinterhalt,
    minimalinvasive
    Ansätze erkennbar, gut koordiniertes Gruppenverhalten,
    keine Kontaktaufnahme mit uns
    die feindlichen
    Krieger
    Abbruch der Feindseligkeit aus unbekanntem Grund,
    Nicht-Kombattanten verschont, kein Ausmerzen des Gegners
    Gegner haben Verhaltens-
    kodex,

    Verhandlungen möglich?

    Aktionszeit an der Luft evt. sehr kurz
    Wer kommandiert?

    Kontaktaufnahme möglich?

    wie groß ist die
    zukünftige Bedrohung?
    Kampfverhalten,
    individuell
    s. o.
    verlassen sich auf Technik,
    diszipliniert
    Individuen?
    nicht spontan
    wie kann man Einzelne vom Verband isolieren?
    telepatische Kommunikation? oder wie?
    Muschel - Verbindung zu den Fremden?
    festgestellt wegen Folterung 1O
    Muschel, an Land gefunden, aber dann gestorben,
    Grund: unbekannt,
    Form: wie Fuß, Abdeckung durch Gehäuse unvollständig,
    Fortbewegung durch koordinierte Kontraktionen auf Schleim
    Autopsie
    durchführt durch Irletia Talakaidis
    Fressen unbekannt,
    Luftaufnahme unbekannt, Süsswasser/ Salzwasser-Tier unbekannt.
    Bei der Autopsie wurden normale Muschelorgane gefunden, jedoch auch in einer Blase kleine grün glänzende Kugeln,
    zerdrückbar,
    Inhalt bereits angetrocknet,
    Dotter erkennbar,
    Keim wenig entwickelt
    Habitat der Muscheln auf Kamorala erforschen!

    Überlieferungen überprüfen!

    Evtl. haben wir Schuld auf uns geladen;
    ggfs. den Fremden Wiedergutmachung anbieten
    Ist der Inhalt der grünen Kugeln eine Larven- oder juvenile Form der Fremden?

    Oder ihnen besonders wichtig? Warum?


    An der jungen Frau ist ein Magier verloren gegangen. Er erinnert sich nicht, je an einer so jungen Person solches analytisches Denken gesehen zu haben.
    Klar ist - und das verdeutlicht ihm nicht zuletzt Irletias Tabelle - dass sie nun ein Kriegseinsatz erwartet. Und dass er noch nicht weiß, ob er die neue Mannschaft zu einer Truppe zusammenschweißen kann, welche die neuen Anforderungen meistern wird: ein unbekannter, vielleicht überlegener Feind, der die Mannschaft zu irrationalem Verhalten bewegen kann. Als Verwandte des Kapitäns war sie anders geschützt als nun, wo sie ein normales Mannschaftsmitglied ist.


    Leider hat er mit Tasso nie darüber gesprochen, welche Pläne er mit der jungen Verwandten hatte. Anders als Tasso verfügt Ingmar nicht über Verbindungen zu den Mächtigen im Mutterland des Innos-Glaubens. Aber Ingmar hat eine klare Einschätzung vom Vengarder Adel und den myrtanischen Feuermagiern. Und die verbietet es ihm, die junge Talakaidis auch nur in die Nähe dieser alten Institutionen zu lassen - zu ihrem eigenen Schutz. Was für eine Verschwendung von Begabung!
    Es kommt also nicht infrage, sie mit einem Brief ins Kloster nach Nordmar zu schicken oder am Hof vorzustellen. Wobei er auch nicht weiß, wer dort überhaupt jetzt das Sagen hatte. Ist ihr König nicht dement?
    Aber dann fällt ihm ein, dass sie selbst ja darum gebeten hat, die Kunst des Schiffsbaus zu erlernen. Das ist eine andere Sache. Die Schiffszimmerleute sind auch konservativ, aber bei ihnen zählen vor allem Vorstellungsvermögen, Verstand, Können und Disziplin. Und das Beste ist, dass er die Besten unter ihnen kennt.


    Also ruft er Irletia zu sich, und nimmt sie mit auf einen Ausflug nach Ardea.

    Geändert von Ajanna (26.08.2023 um 12:38 Uhr)

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    Die Schwestern

    "Liebe Ehrwürdige Mutter,

    es betrübt mich sehr, dass ich dir heute großen Kummer bereiten muss, denn wir haben deinen Enkel verloren und wissen nicht, ob er noch lebt.
    Bei einer militärischen Auseinandersetzung unterwegs wurden er und einige der Mannschaft erst verwundet und dann entführt, und leider sind auf der See keine Spuren zurückgeblieben, die wir verfolgen können.
    Die Umstände sind jedoch so rätselhaft, dass ich dir unbedingt mehr berichten muss. Vielleicht ergibt ihre Erforschung neue Hinweise, wo wir suchen können.
    Die Fahrt begann mit großartigen Entdeckungen und großem Erfolg. Auf Kamorala konnten wir einen Teil unserer Rohstoffe gegen wertvolle Ladung eintauschen und darüber hinaus im wenig bekannten Hinterland unsere Vorräte an Pflanzen und anderen Substanzen auffüllen.
    Wir haben im unbewohnten Teil der Küste, von der Hafenstadt aus gesehen hinter den Bergen, geforscht. Wir waren vorher in das höchstgelegene Dorf gefahren und über schmale Pfade in der Nacht dorthin gelaufen. An dieser Küste herrscht durch die Seewinde, die sich beim Aufsteigen abkühlen, ein feuchtes nebliges Klima. Dadurch gedeihen dort viele Pflanzen, die ich noch nicht alle kannte. Auch habe ich eine sehr merkwürdige Muschel gefunden. Ich lege dir eine Zeichnung bei, denn ich denke, dass sie zum Auffinden deines Enkels wichtig sein könnte.
    Wir kehrten scheinbar alle wohlbehalten zum Hafen zurück und stachen in See Richtung Myrtana, wo wir weitere Ladung an Bord nehmen wollten. Ein Matrose jedoch, der mit uns unterwegs gewesen war, erkrankte an etwas, das ich für eine Art Seegurken-Vergiftung hielt, und war mehrere Tage bewusstlos.
    Unterwegs gerieten wir einen Sturm. Direkt davor hatten Matrosen aus der Barriere "Krushak" angerufen, den sie ein "Sterntier" nennen. Und dann war plötzlich ein anderes fremdartiges Schiff neben uns, und seine Besatzung war feindlich und überfiel uns.

    Dein Enkel hat tapfer gekämpft, genauso wie viele der Besatzung. Die Männer der Sekte wurden getötet. Ingmar, der erste Offizier wurde gefoltert. Mir ist nichts Schlimmes passiert.
    Aber dann sind die Fremden, unter Zurücklassen eines Toten, sehr schnell verschwunden und haben einen Teil der Besatzung entführt, so auch deinen Enkel und Jasim, auch ein Offizier, der ursprünglich aus Varant stammt.
    Über den Kampf und unsere Forschungen habe ich eine Zusammenfassung erstellt, du magst sie weitergeben, an wen du es für klug hältst.
    Da wir das feindliche Schiff nicht wiederfinden konnten, haben wir zunächst Myrtana angelaufen, um neue Matrosen an Bord zu nehmen. Der Kapitän bat mich, von Bord zu gehen, und hat mich einigen Bootsbauern vorgestellt. Ich bin sehr froh, dass ich dir heute berichten kann, dass sie mich aufgenommen haben, um mich auszubilden.
    Doch rätselhaft waren die Fremden. Bestimmt Anzeichen deuten darauf hin, dass es sich um ein Meervolk handeln könnte. Sie verfügten über effektive Waffen und ein sehr gut koordiniertes Verhalten. Und erstaunlich war, dass der Tod dieser Muschel aus Kamorala sie sehr aufgebracht hat. Offenbar war sie ihnen wichtig.
    Wir sollten unbedingt den Ort erforschen, aber sehr vorsichtig und ohne die Muscheln zu zerstören, denn es war dort, wo der Mann, der später die Seegurken-Vergiftung hatte, verletzt wurde. Vielleicht sind die Muscheln bewacht. Ich habe in der Muschel eine Blase mit kleinen grün-schuppigen Perlen gefunden, in dem gleichen Grün, das auch am Kopfpanzer der Fremden vorkam. Vielleicht kann man einem Individuum von ihnen eine Falle stellen und es erforschen.
    Und möglicherweise ist es möglich, so einen Weg zu deinem Enkel zu finden.
    Ich entschuldige mich dafür, dass ich im Moment nicht daran mitwirken kann, aber ich habe hier auch meine Schwester gefunden, und ihr geht es gesundheitlich nicht gut. Sie braucht meine Hilfe. Ich danke dir für die Möglichkeit, hierher zu reisen.
    Ich werde dir bald wieder schreiben. In Respekt und Liebe - Irletia.

    Postcriptum: ich zeichne dir die Schrift der Fremden auf ein extra Blatt. Vielleich kann sie irgendwann entziffert werden."

    Geändert von Ajanna (26.08.2023 um 14:14 Uhr)

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    Der Kapitän

    Tasso kommt zu sich, weil ihm jemand kaltes Meerwasser ins Gesicht spritzt. Es läuft ihm in die Augen, blendet ihn und brennt. Er reibt sich die Augen und spuckt einen fiesen, fischigen Geschmack aus seinem Mund weg. Ihm ist übel und er kann nicht richtig sehen. Es ist irgendwie dämmrig, aber in seinen Augen befindet sich eine Art Gallerte, und er erkennt nur Schemen.

    Die gleiche Gallerte bedeckt seine Ohren und er hört schwache Geräusche. Er ertastet die Schleimfetzen und reißt sie sich vom Kopf.
    Dann geschieht etwas Erstaunliches: er hört die leise Stimme von Jasim, der einen Zauber spricht. Und direkt danach hören die Schmerzen und die Übelkeit auf.
    Trotzdem fällt Tasso zunächst auf die Knie, weil er keine räumliche Orientierung hat. Er fühlt Jasims Hand, die ihm hoch hilft.
    Als er die Augen ein zweites Mal öffnet, steht er in einer kleinen runden Höhle, die nur wenige Schritte im Durchmesser groß und von einem bläulichen Dämmerlicht erfüllt ist. Es kommt von Pflanzen - oder vielleicht auch Flechten - an der Höhlendecke. Der Boden ist von durchsichtigem, sehr sauberen Wasser bedeckt, bis auf ein kleines Stück Strand, auf dem er und Jasim stehen. Beide sind völlig nackt. Die fremden Krieger haben alle ihre Ausrüstungsgegenstände mitgenommen. Tasso beugt sich zum Wasser und probiert es, doch er spuckt es direkt wieder aus. Es ist Meerwasser, salzig. Dann untersucht er mit schnellen Schritten ihr Gefängnis, doch es ist wie eine Steinblase rundherum geschlossen.
    "Verdammt, wie sind wir hier reingekommen?"
    Jasim vor ihm zuckt mit den Schultern.
    "Wir waren beide mit diesem Glibberzeug bedeckt, es war wie eine Kapsel. Ich musste uns erst davon befreien. Du hast gerazzt wie ein Bär, Käptn." Jasim grinst, aber er wirkt erschüttert.
    Tasso spürt, wie ihm das Blut in dem Kopf steigt.
    "Hier muss irgendwo ein Ausgang sein! Wir sind ja wohl nicht aus dem Sand geschlüpft? Hast du das Wasser untersucht?"
    "Da hinten ist eine Quelle, von dort strömt Wasser ein. Aber der Wasserspiegel steigt nicht. Es muss im Sand versickern, aber diffus, ich konnte keinen Abfluss finden."
    Tasso steigt ins Wasser und vergewissert sich, dass Jasim Recht hat. In der bezeichneten Ecke ist eine Felsöffnung, schmal, aber er könnte sich eventuell durchquetschen. Eine leichte, kalte Strömung kommt ihm entgegen.
    Allerdings ist sie unter Wasser. Als er sich runter beugt und probeweise taucht, fangen zwei Wunden an, stark zu brennen. Er taucht wieder auf und sieht sie sich an: am linken Oberarm geht ein Riss bis tief ins Fleisch und seine linke Körpermitte ist verbrannt. Beide sind mit dem Glibberzeug verklebt. Er ignoriert es für den Moment, genauso wie den Schmerz, der ihn jedoch gereizt macht und seine Stimme heiser.
    "Wir müssen hier raus. Hier gibt es nichts zu fressen, nichts zu trinken, keinen Ort, zu pennen und es ist kalt. Wir werden in diesem Loch stündlich schwächer. Die Haut wird uns vom Leib faulen! Wir müssen durch den Quellengang tauchen. Vorwärts."
    Jasim sieht Tasso versteinert an: "Das kann ich nicht. Ich... kann kaum schwimmen. Das kannst du nicht verlangen, Käpt'n. Wenn wir stecken bleiben, werden wir elendiglich ersaufen. Und du weißt doch nicht, wie lange wir nicht atmen können."
    "Wir sind reingekommen, oder? Die Quelle ist der einzige Zugang."
    "Wir waren bewusstlos, da braucht man weniger Luft. Der Glibber hat den Durchgang wahrscheinlich erleichtert."
    "Dann wickeln wir ihn uns wieder um. Wir müssen hier weg, Jasim. Vertraue mir. Stärker als jetzt werden wir nicht, höchstens dünner. Dann werden wir auch schwächer."
    Jasim sieht den Seepaladin an wie seinen leibhaftig gewordenen Alptraum.
    "Verlang' das nicht von mir," flüstert er tonlos.
    "Willst du zurück bleiben? Diesen Kugelköpfen ausgeliefert? Falls sie noch was von dir wollen. Vielleicht ist das schon unsere Strafe dafür, dass wir diesen Kugelköpfen gezeigt haben, was ein Seepaladin ausrichten kann. Dass wir in diesem Höhlenpickel verrotten sollen."
    Aber Tasso sieht, dass Jasim am Ende ist. Er ist blass geworden, hat begonnen zu zittern, und wie Tasso selbst ist er verwundet.
    Und Tasso weiß, dass Jasim erst auf der Alca gelernt hat, zu Schwimmen. Anders als ihm selbst, ist Jasim das Meer feindlich geblieben. Jasim ist Seesoldat gegen das Meer, genau wie gegen Feinde der freundlichen Menschen auf der Insel, die ihn vor Jahren vor der Flut in Varant gerettet haben. Die Flut ist sein persönlicher Alptraum, den er noch nicht überwunden hat.
    Tasso atmet tief und sieht Jasim an. Jasim wird wieder ruhiger.
    "Du hast vielleicht Recht damit, dass wir nicht gleichzeitig durch den Gang tauchen sollten," überlegt Tasso. "Aber wir wissen nicht, wo er endet. Und ob zurückkehren kann, wer als erstes geht."
    Er hat noch nie einen seiner Mannschaft zurückgelassen. Er zögert.
    "Ich tauche als Erster. Komm nach einigen Minuten nach. Ich befehle es."
    Tasso legt Jasim die Hand an den Hals, um ihn zu beruhigen. "Hier erwartet dich der Tod."
    Gerne hätte er Seil mitgenommen, um Jasim den Weg zu zeigen. Aber in dieser winzigen Höhle gibt es nichts. Noch nicht mal eine einzige Muschel oder einen winzigen Fisch.
    Er wickelt sich das glitschige Zeug um die Ellebogen und Knie.
    Dann beruhigt er seinen Atem, zieht ihn mehrere Male tief ein und drückt ihn völlig aus sich heraus. Dann atmet er ein letztes Mal ein, geht in Hocke und schwimmt der Strömung im engen Quelltunnel entgegen. Sofort umgibt ihn Dunkelheit.


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    Jasims Entscheidung

    Jasim sieht fassungslos zu, wie Tasso vor der Quellöffnung gerade untertaucht, sich dann im Wasser ausstreckt und mit den Armen in das felsige Loch zieht. Schnell ist er ganz darin verschwunden, nur ein Schweif aus sehr kleinen Luftbläschen aus seinen Haaren verrät wirbelnd seine Spur.
    Jasim keucht. Allein in der Höhle, drückt ihm ein Ausweglosigskeitsgefühl wie eine Klammer auf den Brustkorb. Er fühlt, wie sein Atemrhythmus sich verselbstständigt und wie ein wildes Tier davonrennt und benötigt einige Zeit, ihn wieder in Griff zu bekommen.
    Als er wieder ruhig auf dem Sand steht, sieht er der Kälte und Einsamkeit ins Auge. Hier ist niemand hier außer ihm selbst, und das wird so bleiben, bis er entkräftet gestorben ist. Falls die Luft überhaupt so lange reicht. Er erscheint ihm, als ob sie schon feuchter und schwerer zu atmen ist. Die Feuchtigkeit hat begonnen, sich glänzend wie Lack über die dunklen Felswände zu legen.
    Tasso hat Recht mit jedem Wort, Jasims Verstand sieht das ein.
    Und doch... verzweifelt merkt er, wie die Gefahr besteht, dass sein Körper ihm einfach den Dienst versagt. Er beginnt zu zittern, spürt im Bauch, als ob sich dort Würmer winden.
    Bis er plötzlich aufbrüllt, in Hocke geht und einen riesigen Angstschiss auf den Sand setzt, in einem einzigen Krampf bricht alles aus ihm heraus und damit seine ganze Angst.
    Hinterher fragt er sich, wann in den letzten stressigen Tagen er das alles gegessen haben soll, und es erscheint ihm unwahrscheinlich.
    Doch mit dem Akt wird er plötzlich ruhig. Er geht ins Wasser, ahmt Tassos Atemübung nach - wirklich froh, dass er bald aus diesem Gestank verschwinden kann - unterdrückt ein Würgen und schiebt sich mit Armen und Beinen in den Gang hinein. Er denkt kurz an Tasso, und hofft intensiv, dass er nicht irgendwann an seine vor Luftmangel zappelnden Beine stoßen wird. Dann folgt er ihm, so rasch er kann.

    - - -

    Tasso fällt es nicht leicht, sich in der völligen Dunkelheit zu orientieren. Er möchte so schnell wie möglich durch den schmalen Felsdurchlass tauchen, aber dieser ändert oft die Richtung, die Weite und die Höhe. Er muss einerseits den Verlauf gut erfühlen, damit er nicht mit ganzem Schwung an den rauhen Steinoberfächen entlangscheuert oder daran hängen bleibt, andererseits will er schnell vorankommen, denn es gibt keine Luftblasen oder andere Höhlen, in denen er auftauchen und neuen Atem schöpfen könnte. Mehr als einmal muss er innehalten, weil er sich in einem weiteren Stück in die falsche Richtung gewendet hat. Einmal bricht im in der Kälte der unterirdischen Wasserströmung der Schweiß aus, weil er befürchtet, in die falsche Richtung geschwommen zu sein. Doch dann erinnert er sich an die Quellströmung und richtet sich an ihr aus - auf sie zu.

    Zunächst kommt er mit seiner angehaltenen Luft ganz gut aus. Er ist gut im Training, auch im Tauchen. Vor der Invasion hat seine Familie Perltaucher beschäftigt, und er hat von ihnen gelernt.
    Doch dann kommt er an einen schmalen Riss, aus dem die Quelle herausdrückt, und kann ihr nicht mehr folgen. In eine andere Richtung muss er nun tauchen, er kapiert erst nicht richtig, stößt mit der Schulter an und merkt daran, dass er benommen wird.
    Der Gang teilt sich. Der Schreck lähmt ihn einen Moment. Dann entscheidet er sich - das Wasser in der einen Richtung ist wärmer. Er hat keine Ahnung, ob das von der Sonnenwärme des Oberflächenwassers kommt oder von einer vulkanischen Quelle. Er merkt, wie er faul wird, sich nicht mehr alles abverlangen möchte.
    Und dann kann er plötzlich wieder sehen, eine kleine Stelle ist ein bisschen heller als der Rest um ihn her. Beim darauf zu-Schwimmen schlägt er sich hart ein Knie auf, von dem der Glibberverband sich gelöst hat.
    Mit einem Mal - komplett übergangslos - ist er plötzlich im freien Meer.
    Am Boden unter ihm kein Kennzeichen, wie aus dem Nichts ist er aus steinigem Geröll aufgestiegen, schon jetzt würde er die Stelle nicht wiederfinden.
    Weit über ihm sieht er einen fahlen Lichtschein. Und gleichzeitig fühlt er, wie an seiner Nasenwurzel ein roter Punkt zu leuchten beginnt. Er schwimmt auf das Licht zu, zwingt sich, die Luft langsam ausströmen zu lassen und nicht viel schneller aufzusteigen wie sie. Bis er es nicht mehr aushält, weil er denkt, sein Kopf platzt. Die letzten Manneslängen, die ihn von der Oberfläche trennen, durchschwimmt er mit einer letzten verzweifelten Kraftanstrengung so schnell er kann.

    Keuchend taucht er auf, versucht sofort seine ganze Lunge zu füllen und ersäuft fast dabei. Die See ist unruhig, der Schaumkamm einer Welle stürzt über ihm zusammen. Er kämpft um sein Leben. Die Welle zieht an ihm, scheint ihn wieder hinunter zwingen zu wollen. Ihm wird schrecklich kalt. Es ist auch nicht mehr richtig hell, es war in der Abenddämmerung, dass er aus der Tiefe emporgeschossen ist. Erst nach ein paar Minuten kann er sich an die Wellen anpassen und sich von ihnen treiben lassen. Er konzentriert sich darauf, regelmäßig zu atmen, und merkt dabei, dass seine Muskeln mit der Kälte zu schaffen haben. Alles tut ihm nun weh. Er sieht in die untergehende Sonne, die kurz zwischen den Wolken auftaucht, und sendet ein Gebet zu Innos.
    "Danke, Ewiger. Dich wiedergesehen zu haben, Leuchtender, gibt unserem Tun Sinn, auch wenn ich nun hier im Meer ersaufen werde."
    Er denkt an Jasim. Der könnte wenige Schritt von ihm entfernt aufgetaucht sein, und er würde ihn unter Umständen nicht sehen können, weil ein Wellenkamm ihn verbirgt. Dann versucht Tasso, sich auf dem Meer zu orientieren. Er muss immer abwarten, bis er gerade oben auf einer Welle ist. Mehrere Male - nur mehr Wellen, mit Gischt, ohne Gischt.
    Dann sieht er in der Ferne eine Insel oder einen Berg. Verdammt weit weg.


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    Kugelköpfe

    Nachdem Jasim verstanden hat, dass es in den dunklen, Seewasser-gefüllten Gängen gar nicht so sehr aufs Schwimmen ankommt, sondern darauf, sich mit Armen und Beinen hindurch zu ziehen und zu schieben, kann er seine ursprüngliche Furcht vollends überwinden. Vielleicht ist ihm dabei auch seine Kindheit in Varant eine Hilfe, und das Spielen in den alten Tunnelsystemen der Ruinen dort - instinktiv erkennt sein Gedächtnis Ähnlichkeiten. Anders als Tasso begreift er rasch, dass die Gänge keine natürlichen Höhlen sind. Und da er extrem gut trainiert und beinahe zwanzig Jahre jünger als Tasso ist, schafft er es viel schneller als dieser, sich bis ins offene Meer vorzuarbeiten. Gut, dass er nicht zu bald nach Tasso eingestiegen ist.

    Als er jedoch die offene See erreicht, gerät er in Panik. So schnell er kann, strampelt er sich nach oben. Erst als er das Gefühl bekommt, dass ihm der Kopf platzt, erinnert er sich an alte Lektionen und atmet langsam aus, versucht, den restlichen Weg nicht schneller als die Luft zurückzulegen.
    Trotzdem kommt er in ziemlich schlechter Verfassung an der Oberfläche an. Tasso, der ihn sofort wie einen Korken aufschießen sieht, erkennt auch Jasims blutunterlaufenen Augen und das Alarmsignal, das sie bedeuten.
    Er versucht, beruhigend auf ihn einzureden, aber als Jasim erkennt, wie weit das Land entfernt ist, nutzt er den Schub seiner Angst, um direkt darauf zu zupaddeln. Tasso folgt ihm mit langen Schwimmstößen, er fühlt jedoch die Kälte wie eine tödliche Klammer um sein Herz.
    Während sie sich durch das eiskalte Wasser kämpfen, wird es langsam dunkel. Beide geben alles, denn wenn sie das Land nicht mehr sehen können, sind sie verloren. Sie haben Glück, dass die See gerade flutet - sie geraten in einen Strom, der sie schneller auf Kamorala zutreibt. Und nicht nur sie werden Richtung Strand getragen, sondern auch ein Baum, glitschig, algenbewachsen und von kleinen Krebsen besiedelt.
    Jasim ekelt sich, als er seinen Arm um den Stamm legt. Trotzdem ist es besser, weniger strampeln zu müssen. Für Tasso ist es Hilfe in letzter Sekunde: gerade als er seinen Oberkörper in eine Astgabel geschafft hat, spürt er, wie ihn der reißende Schmerz eines Krampfes durchfährt. Er brüllt auf - wodurch sich ein großer Seevogel für sie zu interessieren beginnt. Jasim wirft eine Handvoll Krebse und Algen nach ihm, daraufhin dreht er wieder ab. Aber die Gefahr ist noch nicht gebannt - sie sehen auch große Flossen unweit ihrer Position durchs Wasser schneiden. Sie erstarren und lassen sich einige Zeit einfach nur treiben.
    In völliger Dunkelheit streckt Jasim seine Beine aus und stellt so fest, dass sie bereits in dem flachen Strom stehen können. Er pflückt Tasso aus der Astgabel, und halb schleppt er, halb trägt er ihn die lange Strecke an Land.
    Beide zittern unkontrolliert und kotzen mehrere Liter Salzwasser aus, die sie geschluckt haben. Jasim ist sehr durstig. Das Ufer an der Stelle, wo sie gelandet sind, ist flach, sandig, und von großen Felsblocken bedeckt, die aussehen wie Säulen aus vor kurzem geschmolzenem Stein - liegende und stehende Säulen. Auch auf ihnen leben Krebse und Krabben: verschiedene Arten, kleine sternförmige Blüten, blasiger Tang und allerlei braunes Seegras, von dem man nicht weiß, ob es bei Hochwasser oder bei Ebbe besser gedeiht. Gemeinsam stolpern sie noch einige Meter höher, bis an den Rand einer dunklen Klippe. Dort finden sie trockenen Sand, der noch warm von den Strahlen der Sonne ist, und graben sich ein.
    - - -
    Tasso hat nicht gemerkt, wie er eingeschlafen ist, doch etwas weckt ihn. Die Stelle neben ihm, wo Jasim eingegraben war, ist leer, nur eine Kuhle aus zerwühltem Sand ist dort. Er wundert sich, was ihn geweckt hat. Die Nacht ist klar und kalt, ein heller Halbmond ist aufgegangen und der Wind hat sich gelegt. Es ist fast zu still für eine Nacht am Strand.
    Die See hat sich wieder zurückgezogen und die Krebse und Krabben sind ihr größtenteils gefolgt. Tasso sieht einzig eine Anzahl dieser merkwürdigen Muscheln, wie sie Irletia an Deck der Adamanta geschleppt hat und die aufrecht auf einem Muskel wie auf einem Fuß gleiten, in einer Rad-ähnlichen Struktur auf dem nassen Sand kreisen. Es wirkt wie etwas Organisiertes, wie ein Tanz, sodass Tasso mit den Augen blinkt, um sich zu vergewissern, dass er nicht träumt. Als er sie wieder öffnet, erschrickt er: auf der linken Seite des Strandes, dort, wo mehr vorgelagerte Klippen dazu geführt haben, dass sich ein kleiner Hügel mit stacheligen Büschen gegen die See behaupten konnte, bewegen sich zwei ihrer Feinde.
    Er sieht das Mondlicht auf den glasähnlichen kugelförmigen Kopfharnischen glänzen. Sie sind bewaffnet mit diesen Feuer-werfenden Harpunenstäben, mit denen er schon schmerzhafte Bekanntschaft machen musste. Doch da war er in Rüstung, und nun liegt er nackt im Sand, frierend noch dazu und mit leeren Händen. Sehr sachte bewegt er einen Arm, und schließt seine Faust um die älteste Waffe der Menschheit. So ein dicker harter Stein ist etwas wunderbar Reales.
    Die beiden Gestalten bewegen sich am Ufer entlang. Nun, da er Zeit hat, sie aus einiger Entfernung zu beobachten, sieht er, dass sie etwas anders als Menschen laufen. Sie bewegen weniger die Hüfte, gehen folglich mehr aus den Knien heraus, und die Anpassung an das unebene Gelände scheint ihnen schwerer zu fallen. Jedenfalls klettern sie nicht über die Felsen, sondern laufen Umwege über die flacheren Sandstreifen dazwischen. Als sie wieder einmal hinter einem Felsen verschwunden sind, nutzt Tasso die Gelegenheit, sich ganz aus dem Sand auszugraben und hinter eine Felssäule zu stellen. Von seinem etwas erhoben Standpunkt sieht er, was auch die Fremden bald bemerken werden: aus dem Meer heraus weisen die Fußspuren von Jasim und ihm geradewegs zu dem Ort hin, wo er bis eben noch vergraben war. Vorsichtig schleichend zieht er sich noch weiter davon zurück, und versucht, seine Spur mit einem Ast zu verwischen.
    Jasim ist immer noch nicht wahrzunehmen. Tasso hofft, dass er die Kugelköpfe entdeckt, bevor sie ihn sehen. Unmöglich, ihn jetzt zu warnen, ohne sich selbst preiszugeben.
    - - -
    Nun haben sie die Spur entdeckt. Tasso hört ein Geräusch, als ob jemand in eine Metallschüssel gurgelt. Aber gleichzeitig verstärkt sich auch der Druck auf seinen Schädel, sodass sich sein Trommelfell klickend öffnet und ihm ein kleiner Strom warmes Salzwasser aus der Ohrmuschel tropft. Mit Schrecken erinnert er sich an ihre konzertierten Aktionen an Bord seines Schiffes. Er hofft, dass jetzt nicht noch ein ganzer Schwarm dieser Gestalten aus der Nacht auftaucht. Vorsichtig klettert er auf eine der breiteren Felssäulen, um wenigstens den Vorteil der Höhe gegenüber seinen Feinden zu haben. Mit einem Stein schlägt es sich nicht so gut von unten. Und zum Werfen sind hier nicht genug kleinere Steine. Dies geht nicht völlig ohne Geräusch, jedoch scheinen die Fremden ihn nicht zu hören. Vielleicht trägt die Luft den Schall nicht zu ihren Ohren... ob sie vielleicht Wärmesensoren haben, wie manche Fische? ... Andererseits... unter ihren Rüstungen können die ihnen nicht viel helfen... Er kauert sich in den Felsen, gespannt wie eine Sehne an einem Kriegsbogen. Leert seinen Geist, kontrolliert seinen Atem... Der vordere der beiden Kugelköpfe streift unter ihm vorbei... als der zweite unter ihm ist, schnellt Tasso mit aller Kraft aus dem Stein hervor und schmettert ihm mit Gewalt den Stein auf die Kugelhülle. Er hört sie mit einem scharfen Knacken brechen, dann einen Knall, und der darauf folgende Schwall extrem faulig riechenden Gases nimmt ihm den Atem. Er kann den Würgereflex nicht unterbinden, der ihn auf die Knie wirft.
    Der andere ist herumgewirbelt, hebt den Harpunenstock, und Tasso erstarrt. "Innos!" denkt er, und dass es das war. Er hatte fest damit gerechnet, sich auch noch auf den zweiten stürzen zu können und dessen Waffe von sich wegzudrücken.
    Doch plötzlich ein Zischen, wieder der Knall, und der zweite Invasor platzt innerhalb seines Panzers in widerlich riechende Substanzfetzen auseinander. Hinter seinem kugeligen Helm taucht Jasims Gesicht auf - der sich auch erst mal in die Sandkuhle erbricht, in der er vorher lag.
    Dabei fällt das Mondlicht auf seine Waffe, eine nur halb-Hand-lange Obsidianklinge, scharf wie ein Rasiermesser. Damit hat er die Schläuche durchtrennt, die den Rucksack-artigen Rückenschild mit der Glaskugel verbinden.
    "Gut, dass du die gefunden hast," nickt Tasso mit dem Kopf auf sie. "Ich hatte schon mit dem Leben abgeschlossen."
    "Nicht: gefunden," antwortet Jasim. "Ich habe sie hergestellt. Hast mir dieser Orkschamane gezeigt, den wir an Bord genommen hatten. Er ist eigentlich ganz in Ordnung, finde ich."
    Jasim versucht zu ignorieren, wie er sieht, dass an Tassos Schläfe eine Ader zu pochen beginnt. Man sieht es selbst im Mondlicht.

    Geändert von Ajanna (18.11.2023 um 13:04 Uhr)

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    Jaru und Jörg

    "Hier wirst du bald sowieso zum Gejagten werden." Die letzten Worte der Königin wirken in Jaru nach, als er später oben in den Klippen steht. Es gibt einen winzigen Pfad über Steine und Simse, der in einer kleinen Plattform endet, mit wenig mehr Platz als für zwei Leute. Jemand hat - unsichtbar von unten - hier eine kleine Bank aus dem Felsen geschlagen. Die Flut ist gekommen, und die Königin hat das Fenster der Höhle unten verschlossen. Die Alca ist momentan nicht zu sehen. Ombhau hat sie um eine Klippe gesegelt, wo sie ruhiger liegt. Außerdem gibt es dort Süßwasser. Die Königin ist mit ihm gefahren.



    Jaru spricht auf dem Felsensims mit Jörg, der nun wieder frei ist. Der hat sich geweigert, unter Ombhau' als Kapitän zu dienen.
    "Ombhau' ist wie Falschgeld. Ich verstehe nicht, wieso die Königin ihm vertraut. Er war in der Küstenwache, Ausbilder sogar. Dann kapert er ein königliches Schiff, mitten im Krieg. Der Strang ist das, was er verdient, kein eigenes Kommando," trotz seiner Wut achtet Jörg auf die Lautstärke seiner Worte. Die Worte brummen tief in seiner breiten Brust.
    "Er hat ihr das Schiff zurückgebracht - mit wertvollen Informationen, denke ich. Mich haben sie gut behandelt, als ich in ihrer Gewalt war. Ohne Ombhau' wäre ich wahrscheinlich nicht mehr am Leben."
    "Trotzdem, das werden sich andere doch merken: wenn du ein Kommando willst, dann kaper' dir ein Schiff! Wohin solches Denken noch führen soll..."
    "Vielleicht ist das gar keine dumme Idee. Wenn sie sich Khorinis von den Orks zurückholen will, wird sie mehr Schiffe brauchen."
    An Jörgs erstauntem Gesicht merkt Jaru, dass er über den Plan der Königin besser den Mund gehalten hätte. Als Jörg sich wieder gefangen hat, überlegt er laut: "Und wo willst du die Schiffe dafür hernehmen? Von deinen Ork-Freunden? Seetauglich sind ihre Galeeren ja..."
    "Nein. Wir wollen keinen Bürgerkrieg zurücklassen."
    Und die Orks sind nun mit den O-Hotoshi-boshi verbündet. Das schließt auch Kamorala als Quelle für preisgünstigen Schiffserwerb aus. Außerdem sagt Jaru ein Instinkt, dass es nicht klug wäre, es sich mit diesem mächtigen Handelshaus zu verscherzen. Noch nicht, jedenfalls. Lange kann diese Sache mit den seltsamen Verträgen ja wahrscheinlich nicht gut gehen, da liegt Zündstoff in der Luft. Er kam noch nicht dazu, der Königin davon zu berichten, weil er sicher sein wollte, dass Ganjouk nichts davon mitbekommt.
    "Woher wussten eigentlich die Hotoshi-boshis von dir? Du weißt, dass sie deine Freiheit an Tasso verkaufen wollten?"
    "Nein. Aber ihr alter Boss hat mich in Ketten an Bord der Alca gesehen. Hat sogar ein paar Worte mit mir gewechselt. Ombhau' hat bei ihnen eingekauft, lauter hässliches Zeug. Brandbomben, Giftbomben, Splitterbomben, ein ganzes Arsenal. Glaub mir, gegen Ombhau' willst du nicht ins Gefecht. Was sie besprochen haben, wie die Bezahlung aussehen soll - davon weiß ich nichts. Meines Wissens hatte die Alca keine Reichtümer an Bord, abgesehen von gutem Stahl an guten Männern."
    "Und die sind auf der Feuerinsel von Bord gegangen. Du meinst, er hat vielleicht auf Pump gekauft? Aber so dumm kann er eigentlich nicht sein. Die Zinsen bei den O-Hotoshi-boshi sind horrend."
    "Vielleicht bezahlt er mit geheimen Diensten..."
    "Dann ist die Königin in Gefahr."
    "Das ist sie sowieso. Seit sie Königin ist. Und wahrscheinlich schon vorher. Ganjouk hat ihr den Gaul unterm Hintern weg geschossen. Und ihr ein paar Ideen unterbreitet, ich weiß nicht, ob sie da die Wahl hatte, "nein" zu sagen."
    "Genau wie Faid..."
    "Wer soll das sein?"
    "Einer der Bosse der ehemaligen Sklavenlager, ein Paladin der Nordfeste. Er kontrolliert zurzeit die Hauptstadt."
    "Das sind wahrlich üble Zeiten. Glaub mir, Ireg hätte das nicht geduldet. Und der alte König auch nicht."
    "Der alte König hatte keinen blassen Dunst, was Faid und andere hinter seinem Rücken getrieben haben," presst Jaru hasserfüllt hervor.
    Er ist selbst erstaunt von dem plötzlichen Gefühlsausbruch. Jörg sichtlich auch. Verlegen sieht er auf Meer.
    "Es tut mir leid, was du erleben musstest. Tasso hat nicht viel erzählt, aber ein paar von Iregs Paladinen haben darüber gesprochen. Vor der Invasion, als du bei den Talakaidis gewohnt hast. Bist du deswegen zu den Orks gegangen?"
    Jaru überlegt. Es erschüttert ihn, dass er Objekt des Hafenklatsches geworden ist. Können die Kerle nicht das Maul halten? Wie die Waschweiber!
    "Nein," sagt er schließlich. "Die Vergangenheit hat nichts damit zu tun. Die Ungerechtigkeit eher. Ich war nicht alleine. Die Lager waren ein Skandal. Die meisten gefangenen Menschen und Orks waren weder Kriegsgefangene, noch Verbrecher. Aber das war nur der äußerliche Teil. Ein Orkschamane hat mich ausgebildet. Das war, was ich wollte. Er ist eine sehr ungewöhnliche Persönlichkeit, sehr klug. Ich habe keine andere Person getroffen, die mich so beeindruckt hat."
    "Ireg war so jemand. Er war der Schattenkönig, lange bevor Ethorn verschwunden ist. Alles, was an diesem Reich noch funktioniert hat, das war Iregs Verdienst."
    "Ich habe ihn nicht gut kennengelernt. Er hat mich als Aufklärer an die Küste und später zu unserer Mine gesandt. Ich fürchte, ich war teilweise nicht erfolgreich. Und dann war da bereits die Invasion, und Ireg war gefallen."
    "Es ist tragisch, auch für die Königin. Sie kann ihn nicht beerben. Auch wenn er aus einer der richtigen Familien kam, sein Einfluss beruhte nicht darauf. Er brachte die Leute einfach hinter sich, weil er das große Ganze sah. Tasso ist ein großartiger Kapitän, aber er hat mit der Politik nichts am Hut. Und dich schätze ich genauso ein."
    "Woher...???"
    "Ganjouk hat euch belauscht. Du darfst sie nie unterschätzen. Sie hatte den Plan, statt mit den Hotoshi-boshi mit den Orks ein neues Handelshaus hochzuziehen. Es ist wirklich schade, dass du Xhutuboc töten musstest. Das wäre eine gute Zukunft für die Insel gewesen. Wahrscheinlich hat sich Ombhau' nur deshalb wieder der Königin an die Brust geworfen, weil daraus nichts geworden ist."
    " Xhutuboc hat mir keine Wahl gelassen, Jörg," sagt Jaru traurig.
    "Das verstehe ich. Du bist ein guter Kapitän, Jaru. Falls du dein Schiff behalten kannst, wäre es mir eine Ehre, mit dir zu fahren."
    "Unser Schmied hat uns gerade verlassen, er sagte, die Rubin sei nicht groß genug für eine Schmiede. Und es stimmt."
    "Nunja... man müsste eben auf die Schmiede bei der Nordfeste zurückgreifen, oder andere. Ich kenne da ein paar Orte..."
    "Danke, Jörg. Das ist das beste Angebot, das ich heute erhalten habe," antwortet Jaru. Es fällt ihm, erst als die Worte im Wind verklingen, auf, wie abfällig gegenüber der Königin das klingen muss. Das hat sie kaum verdient. Und vielleicht hätte er ihr anders geantwortet, hätte er mehr Zeit zum Nachdenken gehabt. Vereint mit der Königin hätte er wirklich eine Chance gehabt, die Lage auf der Insel zu drehen. Aber nun...
    Die Allianzen aus der Zeit der Invasion bröckeln.
    Dann verfolgt er die Idee mit dem Handelshaus. "Die reichen Bürger in der Stadt hätten niemals mit Ombhau' oder Xhutuboc lukrative Verträge abgeschlossen, Jörg. Das weißt du so gut wie ich."
    "Vielleicht. Aber wieder vergisst du Ganjouk. Sie hat im Hafenviertel gearbeitet. Sie kennt viele Leute, wirklich viele. Und die richtigen. Sie war ziemlich teuer, Jaru. Sie ist genau die Richtige, solche Waren im Umlauf zu bringen, die von den Orks kommen."
    "Welche Waren sind das denn?" Es beschämt Jaru, dass er hiervon nicht die geringste Ahnung hat. Vor seinen Augen sieht er die Orkfrauen in seinem Dorf vor kleinen Fläschchen mit Öl gegen die Blut-saugenden Insekten sitzen, vor ein paar Nüssen, Gewürzen und Kräutern.
    "Tatsächlich handeln sie mit allem, was die wirklich reichen Leute kaufen: Fisch und Wildbret in bester Qualität, Walprodukte für die teuersten Haaröle und Cremes, hochwertige Leder und Felle, seltene Jagdtrophäen, Schnitzereien aus Walbein, Zähnen und Krallen, Medizin - vor allem diese speziellen Medizinpräparate, die Männer eben kaufen, wenn, nun ja, es nicht mehr so klappt. Und so kleine Tiegelchen aus Stein, Körbchen, Haarnetze und edle Kämme für die Frauen. Es gibt Statuetten orkischer Künstler, die werden für Hunderte von Goldstücken gehandelt. Das Rauchkraut nicht zu vergessen. Und natürlich Amulette. Du glaubst nicht, was die Menschen in der Hauptstadt so unter ihren Wämsern tragen. Die Innos-Kirche können sie eigentlich dicht machen. Die taugt nur noch für die Segnung der Waffen."
    Jörg hat sich in Rage geredet. Jaru ist erschüttert. Von diesem Teil der orkischen Kultur hatte er keine Vorstellung.
    "Wo ist das denn alles verkauft worden? Ich meine, ich habe nie einen Laden gesehen..."
    "Ziemlich viel davon haben die Häuser am Hafen angeboten. Oder eben die Schneider, Kürschner oder Bogenbauer. Unter der Theke. Das meiste kam von einer Orkschmiedin. Die Orks wollten nicht, dass sie schmiedet, aber handeln durfte sie. Ich denke, sie war vor der Invasion eine der reichsten Personen dieser Insel. Sie hatte auch immer Nordmarer Erz. Keine Ahnung, wie sie daran gekommen ist. Ich weiß leider nicht, was aus ihr geworden ist..."


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    Das Ende zweier Innos-Krieger

    Nachdem sie sich halbwegs erholt hatten, untersuchten Tasso und Jasim die Harpunenstöcke der Fremden. Sie waren komplett aus einem Material, oder vielleicht waren sie auch nur mit einem Material überzogen. Das war jedenfalls leuchtend gelb, ganz glatt und schimmernd, und diese abgerundete Oberfläche verriet nichts über die eigentliche Konstruktion. Vorne war eine kleine Öffnung. Die beiden Seepaladine waren erfahren genug, nicht hineinzusehen.
    Es gab zwei Drehknöpfe mit Symbolen, deren Bedeutung sich ihnen nicht erschloss, denn es waren Buchstaben in der fremden Schrift, ein Punkt, ein Kreis und ein Dreieck.
    Direkt darunter war etwas in kleinerer Schrift in die Oberfläche hinein graviert, und dort war auch eine Art Punze eingeschlagen, die sich als einziges Merkmal bei den beiden Waffen unterschied. Eine Nummer vielleicht - oder ein Name?
    Hinter den Drehknöpfe befanden sich zwei schwarze Zonen, mit einem weichen, Haileder-artigen Stoff überzogen, der wie eingeölt aussah und matt glänzte. Tasso legte seine Hand darüber, und konnte nun die eine Fläche mit den Fingern, die andere mit dem Daumen erreichen. Er rotierte den Unterarm, dass die Waffe besser in seiner Hand lag. Sie war gut balanciert. Er benötigte nicht viel Kraft, sie waagerecht zu halten, und konnte einen der beiden Drehknöpfe mit dem Zeigefinger gerade noch erreichen. Der andere lag nun obenauf, bereit für die andere Hand.
    Ob man mit den schwarzen Flächen den Schuss auslösen könnte? Probeweise zielte er auf einen runden Kaktus, und drückte fest.
    Die Wirkung setzte sofort ein - und beeindruckend. Es löste sich ein Schuss, jedoch kein normaler. Eine große hellblaue Leuchtkugel stieg auf, erleuchtete den Strand mit kaltem Licht und gab so ihre Position preis. Gleichzeitig liefen blaue Blitze über die Waffe und Tassos Unterarm, und ein unmittelbar einsetzender Schmerz schockte und lähmte ihn. Jasim reagierte sofort und schlug sie ihm aus der Hand. Einen Moment fühlte auch er ein Nervenzucken, das war, als werde ihm eine glühende Schnur sehr schnell über den ganzen Körper gezogen.
    Dann nahm er die andere Waffe und warf sie, so weit er konnte, ins Meer. Tasso hatte den Blick nicht von dem Harpunenstock lösen können, den er angefasst hatte. Das Schlängeln der blauen Blitze verstärkte sich, ein böses Brummen begann von ihr auszugehen, und der gelbe Überzug wurde erst braun, bildet Blasen und bekam dann Risse. Als Tasso durch einen von diesen ein Glühen wahrnahm, das stärker wurde, schlang er seinen starken Arm um Jasim und zog ihn hinter den großen Felsen, von dem aus er die beiden Kugelköpfe angegriffen hatte.


    Keinen Moment zu früh! Die Waffe detonierte, eine weitere Schockwelle durchlief sie und heißer Sand und Felssplitter regneten auf sie herab. Tasso fühlte, wie sein Herz aussetzte, und auch danach eine ganze Weile benötigte, um wieder gleichmäßig zu schlagen. Es war nicht nur der Schock. Tasso fühlte Schmerzen in der Brust, und ein Ziehen, er vermochte zuerst nur ganz kleine kurze Atemzüge zu nehmen, er zitterte unkontrolliert und fühlte sich, als bekäme er keine Luft, obwohl er atmete. Er hörte ein Fiepsen, und begriff nicht sofort, dass es sein eigener Atem war, der so klang. Jasim hatte das Bewusstsein verloren.


    Erst Minuten später verließen sie den Strand auf einem kleinen Pfad, der auf die Klippe hoch führte, beide taumelnd, hinkend, hustend, mit Sand in den Augen und weitgehend taub.


    Sie liefen die ganze Nacht durch die Berge, auf wunden Füßen, beide getrieben vom Bewusstsein, dass hinter ihnen eine Gefahr lauerte, vor der sie die anderen Menschen - alle Menschen - warnen mussten.
    Sie überquerten einen Pass, ein Kar und noch einen Pass. Bald schon gab es Pfade, die in eine Art Unterholz aus dornigen Büschen und feuchten Farnen führten. Dort stießen sie auf einen Bretterverschlag, in dem ihnen die weißen Knochen des vorherigen Bewohners fahl entgegen leuchteten. Eine Todesursache konnten sie nicht erkennen... vielleicht die Flasche neben ihm.
    In einer Kiste eine Decke... sie warfen sie sich über, kletterten auf das Dach des Verschlages und fielen unter der Decke, die sie komplett über sich zogen, um nicht gesehen zu werden, in einen unruhigen, erschöpften Schlaf.
    - - -
    Im Morgengrauen durchsuchten sie die zugige Bude und fanden etwas alte Kleidung. Sie wunderten sich über die Schnitte. Es gab eine dunkel- und eine hellblaue Hose, beide sehr steif und sehr eng, und mit gelbbraunen, sichtbaren Nähten und vielen kleinen Taschen. Die saßen aber oben am Bund, oder in der Leiste. Sie waren zu klein, um sie sinnvoll zu nutzen, und störten bei der Bewegung. Die dunkle Hose hatte vorne mehrere Metallknöpfe, die andere jedoch einen völlig anderen Verschluss aus zwei Metallbahnen, die durch ein kleines Schiff ineinander verschränkt wurden. Das war wirklich merkwürdig.
    "Ich glaube nicht, dass wir auf Kamorala sind," meinte Jasim. Seine Stimme war heiser, es waren die ersten Worte, die seit der Explosion der fremden Waffe über seine Lippen kamen.
    Dann sahen sie sich die zwei kurzärmeligen Hemden an, beide sehr fein gewebt und ohne Knöpfe oder Kragen, ebenfalls eng, jedoch elastisch.
    Auf ein hellbraunes war mit schwarzer Farbe der Schriftzug "Sundance" gemalt, sehr groß, über die ganze Brust. Das andere Hemd hatte etwas längere Arme, aber auch keine Knopfleiste oder Manschetten, und war schwarz mit kleinen eingewebten bunten Fusseln. Es hatte innen hinten ein Namensschild eingenäht, auf dem "Cotton 39/40" stand. Beide hatten noch noch nie etwas Ähnliches gesehen. Tasso nahm sich die dunklere Hose, die neuer aussah, und das "Sundance"-Hemd. Sie durchsuchten den Bretterverhau noch mal gründlicher, fanden einen groben, Nieten-beschlagenen Gürtel, ein Klappmesser, etwas wie einen Kompass mit zwei Zeigern, der wohl mit einem Lederband am Handgelenk getragen worden war, aber nicht funktionierte, ein paar ihnen unbekannte Blechmünzen, einen sehr kleinen Messbecher und eine aufschraubbare Metallflasche mit einem groben Sieb im Deckel.
    Vielleicht war der Tote ein Alchemist gewesen. Die Glasflasche neben ihm war mit einem Papier beklebt, auf dem nichts mehr zu Lesen war. Auch hier ein Schraubverschluss, beide sehr exakt gearbeitet. Sie nahmen schließlich alles mit, kippten jedoch die restliche Flüssigkeit aus der Flasche weg. Sie roch nach sehr schlechtem Rum. Das erinnerte Tasso daran, wie durstig er war.


    Jasim baute ihnen notdürftige Sandalen und Umhängetaschen aus der Decke und Brettern der Hütte, die teilweise dünn und leicht durchsichtig und elastisch waren.
    - - -
    Sie liefen den Rest des Tages durch die staubigen und ausgetrockneten Berge. Fanden schließlich eine Quelle, tranken sich satt, füllten ihre Flaschen, erlegten einen Fasan mit Steinwürfen, nahmen ihn aus und brieten ihn über einem Feuer, das Tasso mit ein paar gefunden Feuersteinen entfachte. Sie sahen wenige und nur sehr kleine Tiere, eine Art Maus, ein paar Eidechsen, noch nicht mal viele Käfer oder Mücken, auch keine Personen. Es war nicht ersichtlich, warum es überhaupt Pfade in dieser menschenlosen Einöde gab.
    Als es dunkel wurde, fiel ihnen auf, dass es hinter einem Bergrücken im Osten hell blieb. Dort schien eine Lichtquelle zu sein, die kaltes Licht ausstrahlte, wie der Mond, nur dass der blass und kraftlos über ihnen stand. Auch Sterne waren wenige zu sehen, zeigten jedoch bekannte Sternbilder. "Die Sterne passen zu Kamorala," meinte Tasso.
    Müde liefen sie auf den erleuchteten Bergrücken zu. Erstiegen die Kuppe, nahmen die letzte Biegung des Weges um eine Felsnase, sahen in das erleuchtete Tal, das sich nun ihren Blicken darbot.
    In diesem Moment starben die beiden Innoskrieger, denn sie verloren alles, was sie bis dahin gekannt hatten, und kehrten nie wieder nach Hause zurück.
    Vor ihnen im Tal in rauchigem Dunst lag eine bewohnte Zone ausgebreitet, eine Stadt, größer als alles, was sie jemals gesehen hatten, zehnmal so groß, hundert mal so groß. Soweit das Auge reichte: Häuser und Haustürme, zwanzig Stockwerke hoch, mit bunten Lichtern und Schriftzeichen, Metallmasten ohne Segel, erleuchtete Fenster, mehr als sie zählen konnten. Kaum ein Baum, kein Feld, keine Wiese. Bewegte Wagen auf breiten Wegen, mit Lichtern, heller, als alles, was sie an Laternen kannten. Ein bitterer Geruch nach Ruß und ein stetiges Brummen ging von ihr aus, wie von einem großen, bösen Insekt.

    Geändert von Ajanna (25.11.2023 um 12:08 Uhr)

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    Geros Abschied

    Um das Schwert mit dem Rubin von Inngolf im Kloster abzugeben, ist Gero oben auf die Klippe gestiegen, wohin man früher mit den Teleport-Runen gelangen konnte. Und wie bereits bei seinem ersten Besuch, steht dort eine wachende Magierin an den Gräbern mit den aus hellen Steinen gelegten Spiralen und der flachen Schale mit der ewigen Flamme. Diesmal ist es Gunga, die Orkschmiedin. Sie trägt nun die rote Robe, und Gero merkt, wie das an seinen überkommenen Vorstellungen nagt. Er erinnert sich, wie Morglas ihn zu ihr geschickt hatte, Erz zu kaufen - damals, als sie die Hauptstadt befreiten. Er war noch kein Paladin gewesen, und zu der Zeit hatte sie noch ihre Schmiede in den westlichen Klippen.
    Er begrüßt sie auf orkisch, aber wie an jenem Tag grüßt sie nur schweigend zurück. Sie gibt ihm eine Teleportrune, und macht eine segnende Bewegung über seinem Haupt. Er verneigt sich vor ihr und geht ein paar Schritte zur Seite, um sie auszulösen.
    Er hat erwartet, dass ihn die Rune in die Grotte unter der Klippe bringen würde, dorthin, wo er sich von seiner Mutter verabschiedet hat, und hat sich gegen die Erinnerung und die Trauer gewappnet. So ist er sehr erstaunt, als er sich an einem anderen Strand wiederfindet, und im ersten Moment befürchtet er Verrat. Jedoch sieht er dort nur zwei Frauen stehen, die ihm den Rücken zuwenden und aufs Meer hinausblicken. Die eine trägt ein dunkles langes Kleid aus schwerem Samt, darüber jedoch Kettenhemd, Rüstung und Helm. Als sie sich umdrehen, zieht er scharf die Luft ein: es ist die Königin selbst, und die andere ist - Ganjouk.
    Gero verbeugt sich vor der Königin. Sie hat eine dicke Beule auf der Stirn und sieht angestrengt aus - und älter, als er sie in Erinnerung hat.
    Bevor er irgendetwas sagen kann, bittet sie Ganjouk, ihr einen Umhang zu holen - "Der Wind ist doch kalt geworden." Erst als diese mehrere Meter entfernt ist, beginnen sie zu sprechen.
    Gero berichtet ihr knapp, was ihm geschehen ist. Das dauert nun doch eine ganze Weile. Dann gibt er ihr das Schwert zurück.
    "Als ich es das erste Mal in deiner Hand sah, wollte ich dich am liebsten töten. Ich habe dich für einen Plünderer gehalten. Dann verband ich mit dir und deinem Auftrag große Hoffnung. Das Schicksal hat gezeigt, dass beides falsch war.
    Deine frühe Loyalität, bereitwillig gegeben, ohne Lohn, ohne Versprechen, sogar, bevor du mich erkannt hast, und dein selbstloser Einsatz heben dich aus der Masse heraus, Gero. Daran werde ich mich immer erinnern. Jedoch ist das, was du mir berichtet hast, eine ernste Sache. Ich stimme mit dir überein, dass du das erst abschließen musst, bevor du in deinen Dienst als Paladin zurückkehren kannst. Und die jüngsten Entwicklungen auf der Insel haben mir auch gezeigt, dass ich vielleicht zu vorschnell auf junge Kämpfer gebaut, und die älteren Verbindungen meines Hauses vernachlässigt habe.
    Es ist gut, dass dieses Schwert nun zu mir zurückkehrt, denn es ist eine Verbindung zwischen allen Innos-Gläubigen. Ich danke dir für deinen selbstlosen Dienst und tapferen Einsatz. Und ich möchte nicht, dass du ohne gerechten Lohn gehen musst. Ich werde dir ein anderes Schwert geben, ein kurzes Breitschwert, eine excellente Klinge, schmucklos, unauffällig, aber zuverlässig, und du wirst finden, dass es dich auf deiner Reise gut schützen wird. Es gehörte einst einem Nordmarer, der meinen Vater im Schwertkampf unterrichtet hat.Er nannte sich Erzberg, aber ich denke nicht, dass dies sein richtiger Name war. Er hat wegen Ärger mit dem Feuerclan seine Heimat verlassen.
    Und ich werde dir warme Kleidung geben. Auch haben mir die Feuermagierinnen einen großen Bogen für dich geschickt, den Marlan einst von dieser Schwarzmagierin erbeutet hat, die an der Ostküste so große Unruhe stiftete.
    Jedoch möchte ich dich um einen letzte Sache bitten, bevor du gehst. Ich weiß, dass du zur Küstenwache gehört hast, bevor du in meinen Dienst getreten bist, und dass ihr Zeichen und Signale habt, die andere nicht kennen. Warne Tasso, dass er mit der Adamanta nicht in den Hafen der Hauptstadt einläuft, sondern sie zur Nordfeste segelt. In der Nordfeste sind nun Marik und die letzten Paladine, dir mir treu ergeben sind. Sei jedoch sehr vorsichtig, und achte auf Faids und Ganjouks Spione... nein, ich traue ihr nicht, wenn es das ist, was du fragen wolltest," endet sie mit einem kleinen bösen Lachen, das ihm Hoffnung macht. Er sieht, ihre Energie ist ungebrochen.
    "Ich werde das erledigen." Gero verbeugt sich. Er wählt diese neutrale Formulierung, weil nun Ganjouk mit dem Umhang der Königin wieder am Strand eingetroffen ist.
    Später lädt ihn die Königin in die beeindruckende Höhle ein, gibt ihm die versprochene Ausrüstung und bittet ihn, zum Essen zu bleiben. Auf dem Tisch stehen einfache Speisen, Brot, kalter Braten, etwas Käse, Beeren - nur am schweren roten Wein merkt man, um wessen Tafel es sich handelt. Er hat keine weitere Gelegenheit, mit der Königin ungestört zu sprechen. Später wird er Zeuge, wie die Alca eintrifft, und Ombhau' sie der Königin übergibt. Doch da hat Gero die Kapuze seines neuen Mantels tief ins Gesicht gezogen, und verdrückt sich, während alle Auge noch auf Ombhau' und der Königin ruhen.
    - - -
    Er betritt die Stadt im Morgengrauen durch den Kellergang im Haus der Talakaidis. Wie ein Geist ist er in den Apfelgärten erschienen, und er öffnet die letzte Tür mit einem Dietrich und verschließt sie hinterher auch wieder so. Keine Menschenseele sieht ihn. Er verlässt das Haus durch ein Fenster im ersten Stock, durch das er auf eine Mauer und dann auf die Straße springt.
    Mit hoch gezogener Kapuze passiert er das Wachhaus auf der anderen Straßenseite. Zu seinem Erstaunen sieht er dort Wikko Wache halten.
    Doch der blickt gerade in die andere Richtung, und so wendet auch Gero langsam den Kopf ab und geht zum Hafen hinunter in das Viertel mit den noch immer am stärksten zerstörten Häusern.
    Er erledigt, worum ihn die Königin gebeten hat. Dann fragt er nach Palissa und Elko, wo er sie zurückgelassen hat, erfährt aber, dass sie mit den Paladinen gefahren sind.
    Zuletzt sucht er Bromor und Nadja in ihrem neuen Heim auf. Bromor will gerade abschließen, als Gero im grauen Licht vor ihm steht. Ohne ein Wort zieht er ihn ins Haus, und geleitet ihn in die rauchige Küche, wo Nadja vor einem frühen - oder späten? - Kaffee sitzt. Er bietet ihm ein Glas Rum an, doch Gero ist zu hungrig nach dem nächtlichen Marsch. Schließlich schenkt ihm Nadja ein Glas Milch ein.
    "Du weißt, dass sich hier jetzt Faid als der große Bestimmer aufführt? Das ganzeSklavenjägerpack ist wieder aus den unterschiedlichsten Löchern gekrochen und verschandelt nun die Reihen der Stadtwachen mit ihren hässlichen Fratzen. Du solltest wirklich nicht mehr so einfach durch die Stadt laufen, Gero. Am Ende erwischen sie dich, und dann wird Faid all das endlich tun können, was er sich schon lange für dich ausdenkt," murmelt Nadja besorgt in ihrem aufregendsten Tonfall. Dabei zupft sie ihm ein Blatt vom Mantel.
    Gero wird es heiß.
    "Ich suche eigentlich eine Überfahrt nach Nordmar," lenkt er schließlich ab. "Habt ihr gehört, ob einer der Kapitäne bald dorthin aufbrechen will? Ich will nicht so viel Staub aufwirbeln am Hafen."
    "Wir hören viele Dinge, Gero." Nadja lächelt ihn an. Gero legt ihr ein paar Münzen auf den Tisch, doch Bromor schiebt sie zurück.
    "Frag mal den dicken Per. Der kommandiert die dicke Galeasse mit den grünen Scheiben am Galeon. Er segelt vorher noch zur Nordfeste und nimmt Schwefel auf. Er ist mit Faid in Streit geraten über die Liegegebühren und hat nun vor der Stadt geankert. Wenn du ihm ein paar hässliche Geschichten über Faid erzählst, lässt er dich vielleicht mitfahren, ohne dass du viel bezahlen musst. Kannst dich ja als Wache verdingen. Er hat Probleme mit Teilen der Mannschaft, die er einem Piraten abgekauft hat."
    "Ist er ein Sklavenhändler?"
    "Nein, er hat sie doch freigekauft. Aber er hat ihnen den Kaufpreis von der Heuer abgezogen, und nun hocken sie an Bord und können sich nichts leisten, während ihre Kameraden bei uns ihre Heuer verprassen. Das erzeugt böses Blut."
    "Ich danke euch. Ihr habt mir sehr geholfen."
    Nadja blinzelt ihm zu. "Du bist mein liebster Gast, Großer, weißt du das?"
    Dieses Mal lenkt Bromor ab. "Hast du eigentlich mitbekommen, dass Faid Tobar und Tonio festgesetzt hat?" fragt er Gero nun.
    "Ja. Wisst ihr etwas darüber?"
    "Er hat sie im alten Wachhaus einsperren lassen. Davor steht ein Paladin aus Myrtana, keine Ahnung, wo Faid den gefunden hat. Er denkt wahrscheinlich, dass der sich nicht in die Machtkämpfe auf der Insel einmischen wird. Von den Bürgern der Stadt sind viele nicht gut auf Faid zu sprechen wegen Tobar und Tonio."
    Gero verabschiedet sich, und verlässt die Stadt wieder durch die kleine Pforte zum Friedhof. Die Straßen sind immer noch menschenleer.
    - - -
    Er findet die nordmarer Galeasse ohne große Probleme, denn die Mannschaft hat offenbar gejagt und mehrere große Feuer am Nordstrand angezündet, um die Tiere zu zerlegen und ihr Fleisch haltbar zu machen. Das Schiff liegt etwas mehr als eine Bogenschusslänge davor vor Anker.
    Dass Faid sie gewähren lässt, obwohl es vorher Auseinandersetzungen um die Liegegebühr gab, zeigt Gero, dass auch er nicht so viele Kräfte zur Verfügung hat, wie er sich sicherlich wünscht.


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    Der dicke Per

    Allein vom Aussehen her kommen mehrere der Männer am Strand infrage, der dicke Per zu sein. Unter ihnen sind einige, die breite Schultern, ausgeprägte Oberarmmuskeln und eine gewisse Stämmigkeit vorweisen können. Und niemand, der wirklich "dick" ist, so wie Gero das Wort verstanden hätte. Als er sich jedoch der Gruppe nähert, bilden sie automatisch eine Gasse, die auf einen Mann hinweist.
    Der dicke Per ist ein riesiger, vierschrötiger, von der Sonne rot gebrannter Kahlkopf mit listigen schmalen blauen Äuglein und einer kleinen runden Nase. Sie gibt ihm etwas Argloses, so als seien die starken Arme und Schultern mit den tiefen Narben und die Tätowierungen von Hammern, Äxten, Tintenfischen, Walen, einem Hai, einem Säbelzahntiger und anderem Zahn-bewehrtem Getier nicht so gemeint. Er trägt, wie die anderen, nur eine alte Hose, ein altes ärmelloses Hemd und ein Tuch um den Kopf gebunden. Gerade steckt er mit beiden Händen im Bauch eines Snappers, der seine Haut bereits an ein grobes Holzgestell verloren hat.
    "Waidmannsheil, Käpt' n Per," begrüßt ihn Gero.
    "Bist du jetzt der Wildhüter der Königin, oder was? Du kannst deinem gierigen Boss Faid sagen, er kriegt keine Goldmünze von mir ohne das Siegel des Hafenmeisters. Und jetzt verpiss dich!"
    "Ich suche eine Passage nach Nordmar, Käpt' n Per."
    Der große Mann richtet sich voll auf, die blutigen Hände mit einem kleinen Messer nun in die Seiten gestemmt.
    "Und wer bist du?"
    "Ich bin ein Wallfahrer und Barde. Mein Name... ist nicht so wichtig."
    "Irgendwas wirst du hier schon ausgefressen haben. Aber ich sage dir was, das ist mir egal. Solange du auf meinem Schiff spurst. Was kannst du denn, Namenloser? Warst du schon mal auf einem Schiff?"
    "Ja. Vor allem bin ich aber Kämpfer. Mit Bogen und Schwert."
    "Ich brauch' keine Orkfreunde an Bord." Per hat nun das orkische Amulett entdeckt.
    "Orks sind nicht gleich Orks, Käpt' n Per."
    "Ich glaube, du willst keine Arbeit, du willst auf die Fresse, Landratte."
    "Im fairen Kampf - jederzeit - Käpt' n Per."
    Jetzt hat Gero die volle Aufmerksamkeit des Hühnen. Seine Augen werden noch schmaler. Er sieht aus, auf wolle er sich direkt - blutiges Messer in der Hand - auf Gero stürzen.
    "Fair wirst du nicht kriegen, von den Orks in Nordmar."
    Der Käpt' n wechselt das Messer in die andere Hand, zieht einen Lappen aus der Tasche und wischt sich die Hand ab. Gero lässt ihn nicht aus den Augen, er vermutet eine Finte. Doch der massige Seemann nimmt das Messer und das Ausbeinen wieder auf.
    "Was willst du denn verdienen, fairer Kämpfer?"
    Gero tritt näher an ihn heran, sein Blick auf Pers Hände gerichtet.
    "Ich will keine Heuer. Ich will, dass wir zwei Freunde mit zur Nordfeste nehmen, die Faid eingebuchtet hat. Es gibt nur eine einzige Wache. Wenn ich mit ihm rede, kommt er vielleicht sogar mit," murmelt er.
    Jetzt lacht der dicke Per.
    "Alle Achtung! Du weißt, wie man uns eine Freude machen kann. Wir müssen jedoch hier erst fertig sein - also mach dich nützlich! Jag' irgendwas, sammel irgendwas, bist ja Jäger - wirst schon was finden."
    - - -
    Am nächsten Abend sind alle Vorbereitungen abgeschlossen. Gero hat ihnen zwei weitere Snapper, eine Schildkröte und eine Menge Pilze und saure Beeren mitgebracht. Als Per diese sieht, klopft er Gero auf die Schulter - "Bist ja zu was zu gebrauchen, Grauauge."
    Die Mannschaften haben alles am Strand, was auf ihre Gegenwart hindeutete, weggeräumt, selbst die Gestelle mit den Häuten. Die meisten sind bereits wieder zum Schiff gerudert.
    Nur ein paar rauchende Feuerstellen bleiben zurück.
    Ein kleiner Trupp ist an Land geblieben, in denen Gero mühelos die besten Kämpfer erkennt - und nun haben sie sich eingerüstet. Er sieht einiges an Säbeln, Äxten und Kampfhämmern, das er nicht näher kennenlernen möchte. Einen Moment lang befürchtet er, Bromor könnte sich getäuscht haben und Per selbst ein Piratenkapitän sein.
    "Wem hast du eigentlich die Leute deiner Mannschaft abgekauft, Käpt' n Per?" fragt er.
    Per lacht. Er hat eine Zahnlücke links neben den Schneidezähnen.
    "Die Geschichte, mein Junge, musst du dir erst noch verdienen. Und jetzt erzähl mir von deinen Freunden."
    - - -
    Die eigentliche Befreiung von Tobar und Tonio ist dann so einfach, dass es beschämend ist, dass nicht früher jemand auf die Idee gekommen ist.
    In der kältesten Stunde der Nacht führt Gero den Trupp mit dem Kapitän und den Kämpfern über die kleine Friedhofspforte bis ans Wachhaus. Die Stadtwachen sehen sie nicht, und Wikko schlägt keinen Alarm, sondern hört sich an, was Gero zu sagen hat.
    "Ich komme mit in die Nordfeste. Ich bin froh, dass sie lebt."
    Dann zückt er den Schlüssel, sperrt die Zellen auf, und schließt sich dem Trupp an.
    Wenig später sind sie verschwunden wie ein Spuk.

    Geändert von Ajanna (15.12.2023 um 21:02 Uhr)

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    Das Duell

    Der dicke Per weist Gero und den drei Paladinen eine kleine Kajüte neben seiner eigenen zu, die über vier Kojen verfügt. Ihre Waffen dürfen sie behalten.
    Auf der anderen Seite des schmalen Ganges ist eine ähnliche Kabine mit sechs Kojen, in der die besten Nordmarer Krieger untergebracht sind. Dadurch bleiben ihnen die großen Mannschaftsräume erspart, in denen die Matrosen dicht an dicht in Hängematten schlafen. Auch diese gibt es doppelt. Der vollere wird zur Schlafenszeit verriegelt. In ihm leben die Männer, die ihren Kaufpreis noch nicht abgearbeitet haben.
    Gero und die drei Paladine haben sich zum Hochziehen des Ankers in die Truppe am Gangspill eingereiht, aber danach schickt Per Gero mit einem anderen Matrosen zur Arbeit an den Segeln in die Takelage hoch.
    Gero kommt gut damit zurecht - die Knoten kennt er bereits, im Klettern ist er gut, und der andere zeigt ihm, was zu machen ist.
    Per beobachtet ihn von unten, und als auch Gero wieder an Deck angekommen ist, weist er ihm den Weg zu einem Schuhregal, in dem dicke Holzklumpen mit ledernen Schäften stehen. Für die Arbeit in der Takelage sind die am Besten, denn sie sind Durchtritt-sicher und die Füße schmerzen weniger.


    Es gibt dann doch noch einen Kampf, weil Wikko Gero herausfordert.
    Er wartet, bis Gero wieder auf dem Deck steht und der dicke Per zu ihm sagt: "Du kannst mit uns nach Nordmar fahren. Wir reden später".
    Da rempelt Wikko Gero grob an, spuckt ihm vor die Füße, und schreit:
    "Das würde ich mir noch mal stark überlegen, Käpt'n. Das ist ein ganz spezieller Orkdiener hier, Fünf-Spinnen-Mann, er hat sogar einen Orknamen. Er hat mich für die Orks gezeichnet, als sein Eigentum."
    "Das war zu deinem Schutz. Nachdem ich dich aus einem brennenden Haus getragen hatte. Du konntest noch nicht mal stehen zu dem Zeitpunkt."
    Gero ist erstaunt, dass Wikko ihm die Sache immer noch nachträgt. Wikko ist kurze Zeit später wieder freigekommen, nachdem Marlan ihn geheilt hatte. Und er hat seine Rüstung und sein Eigentum wiederbekommen.
    "Was soll das, Wikko? Ich habe den obersten Khorinis-Ork-Elite getötet, der die Sklaverei für Menschen aufrecht erhalten wollte. Während du im Dienst der Sklavenlagerwachen gestanden hast."
    "Sag das nochmal, du Wurm, du Stiefeldreck! Du bist ein Niemand, der sich mit Orkmagie an die Königin herangewanzt hat!"
    "Die Königin trifft ihre eigenen Entscheidungen, wem sie traut und wem nicht. In deinem Fall könnte ihre Entscheidung beeinflusst haben, dass du mit der gottlosen Truppe gefahren bist, die ihre Hauptstadt in Schutt in Asche gelegt und ihre Paladine erschlagen haben. Du kannst froh sein, dass du lebst."
    "Während du ihr Schwert gestohlen und dich in Heimlichkeit im Hinterland herumgedrückt hast."
    "Ich war dort in ihrem Auftrag. Deswegen hatte ich ihr Schwert. Und ich habe es ihr zurück gebracht. Während deine Bande ihren Verlobten abgeschlachtet, seine Leiche geplündert und ihn dann am Hafen zum Fraß der Tiere zurückgelassen hat."
    "Das lügst du. Innos-Krieger würden sich niemals so verhalten."
    "Ich habe ihn gefunden und beerdigt, Wikko."
    Gero sieht, wie sich Zweifel hinter Wikkos Stirn ausbreiten.
    Doch dann brüllt der plötzlich auf, zieht sein Schwert und stürzt sich auf Gero.
    Er ist voll eingerüstet, mit Schild, einem langen Schwert und hat den Vorteil eines jahrelangen Trainings mit genau diesen Waffen auf dem beengten Raum eines Schiffes. Gero hat zur Arbeit in den Wanten seine mattgraue Rüstung und den Fellmantel abgelegt und trägt nur das Kettenhemd und sein neues kurzes Breitschwert, das er noch nicht vollständig kennt. Dazu kommt, dass er die Holzpantinen noch an den Füßen trägt, weil er ausprobiert hat, welche ihm passen. Für seinen Kampfstil, der sich den Gegner stellt, der den Gegner durch schnelles Ausweichen, Finten und Körpereinsatz ermüdet und seine Abwehr umgeht, ist an Deck nicht viel Platz, denn der Kapitän hat schnell seine Männer dirigiert, ein Teil des Decks mit Seilen und ihren Schilden abzuteilen, und dieser Platz ist nur ein Rechteck von etwa acht Schritt Kantenlänge.
    Der Kampf beginnt sehr heftig, und Gero muss anfangs eine Menge Schläge einstecken. Wikko jagt ihn routiniert mit Kombinationen von Streichtechniken mit seinem Schwert aus magischem Erz von einer Ecke des Karrées in die nächste, ohne innezuhalten und ohne dass Gero eine Lücke in seiner Deckung finden kann. Während es Gero sehr ermüdet, mit den schweren Holzklumpen an den Füßen die Schwerthiebe seines Gegners so zu parieren, dass sein Schwert nicht schartig wird.
    Dabei fasst er Zutrauen in die neue Waffe - die Nordmarer Klinge steht der Paladin-Waffe in nichts nach. Er versucht von Anfang an, mit den Holzschuhen unter Wikkos Schild hindurchzutreten und landet ein paar schmerzhafte Treffer an Wikkos Knien und Schienbeinen, die den Paladin jedoch nur wütender zu machen scheinen. Erst als Wikko einmal der Reling zu nahe kommt und sein Schwertarm dadurch blockiert ist, wagt es Gero, hinter den Schild zu greifen und ihn durch eine kurze heftige Drehung aus Wikkos Hand zu hebeln. Das gelingt ihm nicht, weil Wikko den ganzen Unterarm hinter den Schildgriff geschoben hat, aber er verliert das Gleichgewicht und stürzt hart auf ein Knie. Gero dreht den Schild wieder anders herum und bekommt ihn so in die Hand. Er wirft ihn hinter die Reihen der Matrosen - dann muss er sich jedoch schnell zurückziehen, weil Wikko sein Schwert befreit hat und ihn wieder vor sich her treibt.
    Die unterschiedliche Länge der Klingen macht schon einen Unterschied - Gero muss immer noch stark darauf achten, in welchem Moment er sich vorwagt. Trotzdem sind jetzt ohne Wikkos Schild die Chancen ausgeglichener. Nun kann Gero seine Schnelligkeit besser ausspielen, und trifft Wikko ein paarmal hart in die Seite. Auch ist zwar Wikkos Stärke höher, doch im Verlauf des Kampfes zeigt sich, dass Gero über die bessere Kondition verfügt. Während Wikko schon laut schnauft, geht Geros Atem immer noch leise und er hat Reserven für Finten und Ausfälle. Als Wikko sein Schwert einmal zu tief fallen lässt, tritt Gero mit den Holzpantinen darauf, stößt ihn um und hält ihm sein Breitschwert vor die Kehle.
    "Das reicht jetzt," entscheidet der dicke Per. "Auf meinem Schiff werdet ihr euch nicht gegenseitig abschlachten. Hilf ihm hoch," befiehlt er Gero.
    Gero zögert einen Moment. Er hat die Kapitulation noch nicht von Wikko gehört. Doch der nickt. "Hast gewonnen, Bauernsohn. Aber jeder hier hat gesehen, dass du nicht wie ein Paladin kämpfst."
    "Das ist mir egal, wir sind hier nicht bei der königlichen Marine," mischt Per sich ein. "Und jetzt vertragt euch. Der nächste, der hier an Bord ein Schwert zieht, bekommt es mit mir zu tun. Und landet hinterher im geschlossenen Mannschaftslager. Und du," wendet er sich an Wikko, "...hast noch nichts für deine Überfahrt bezahlt."
    Gero, Tobar und Tonio beobachten schadenfroh, wie der Käpt'n Wikko dreihundert Goldmünzen dafür abknöpft.
    Von ihnen und Gero verlangt er nichts. Wobei Gero nicht sicher ist, dass da nicht nochmal was nachkommen wird - wenn erst der Schwefel eingeladen und die drei anderen von Bord gegangen sind.
    Was er noch nicht weiß, dass die dreihundert Goldstücke für die Überfahrt nach Nordmar sind, und dass Wikko ihm noch längere Zeit als sehr spezieller Begleiter und Kabinenkamerad erhalten bleiben wird.


    Der dicke Per ist froh, dass er sich nicht mit dem Namenlosen auf einem Zweikampf am Strand eingelassen hat. Der Junge ist unberechenbar. Und einen Matrosen, der nach ein paar Worten drei Paladine mit auf sein Schiff bringen kann, hatte er auch noch nicht. Das verspricht, eine spannende Überfahrt zu werden.


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    Die Pastete

    In der Abenddämmerung des nächsten Tages passieren sie die Einfahrt zum Sund, der sich bis zur Nordfeste hinzieht. Gero, der diese lange Bucht mit der Vengarder Flotte gesehen hat, einem wilden Mastenwald der unterschiedlichen Schiffstypen, die Luft voller Gehämmer, Geschrei, Musik, Gefluche, voller Rauch, Gestank, Abfällen im Wasser und am Ufer, wundert sich über die dunstige Stille, in der scheue Vöglein zu hören sind und eine Walkuh und ihr Kleines vor dem Schiff nur sehr langsam fortschwimmen.
    Als die Feste vor ihnen auftaucht - in die dunkelgrauen Basalt-Felsen zur Linken geschlagen, auf der stabilen Landzunge, die den Sund zum nördlichen Meer begrenzt - ist er erleichtert, über ihr die Fahne der Königin flattern zu sehen.
    Das Jägerlager am anderen Ufer wurde inzwischen zu einer kleinen Festung ausgebaut.


    Per steuert sein Schiff geschickt vor die Kaimauer. Gero steht neben ihm und wundert sich etwas, dass Per nicht direkt zur Schwefelmine fährt, aber er schweigt. Offenbar wird der Handel über die Feste abgewickelt.
    "Wie heißt eigentlich deine Galeasse?" fragt er, nachdem die Anker in der See verschwunden sind. Obwohl die See gerade flutet, ragt die Kaimauer so hoch über ihnen auf, dass sie nicht mit Leinen anlegen können.
    "Das ist der 'Tzharstuk'".
    Per grinst, als er Geros verblüfftes Gesicht angesichts des Orknamens sieht.
    "Der... Schwert...fisch?", übersetzt Gero stockend.
    "Der 'Narwal'. Und jetzt pack an bei den Beibooten, Wunderkind, worauf wartest du!"


    Sie rudern vor die Mauer, in die eine glitschige Felstreppe geschlagen ist - im Profil, sie ist kaum zu sehen. Nun, von der Wasserlinie aus, wird Gero gewahr, dass der Tzharstuck über einen Rammzahn verfügt: deshalb der tiefe, lang gezogene Bug und die stabile Verbindung der beiden Seiten der Reling im Deck darüber.
    Er, Tonio und Tobar gehen mit an Land, und der Käpt'n hat drei seiner Krieger und einen Matrosen mitgenommen.
    Der Matrose und einer der Krieger bleiben beim am Fuss der Treppe vertäuten Ruderboot zurück. Die anderen quälen sich die Treppe hoch. Jemand muss sie regelmäßig von Muscheln und Tang befreit haben. Trotzdem ist es eine Einstimmung wie zu einem Bittsteller-Gang, weil sie hintereinander gehen und sich mit einer Hand an einem dicken Tau mühsam die hohen Stufen hochziehen müssen.

    Oben auf der Mauer erwartet sie der Kommandant persönlich, der Seepaladin Jeanbert mit zwei seiner Männer.

    "Machst du dich jetzt mit den Seepocken gemein - klebst am Felsen und setzt Kalk an?" begrüßt Per Jeanbert respektlos.
    "Kommt nicht jeder so leicht und schnell an ein Schiff wie du, mein unruhiger Freund. Ist der vorherige Kapitän deiner Galeasse inzwischen wieder aufgetaucht?"
    "Da musst du Adanos' Sturmfurien fragen. Bis zu meiner Kajüte hat er 's bisher jedenfalls nicht geschafft. Was ist nun, willst du hier auf der zugigen Mauer über das beste Geschäft diesen Jahres verhandeln?"
    "Das beste Geschäft wäre für uns, wenn du ordentlich was zum Beißen ausladen würdest."

    Jeanbert macht eine einladende Bewegung zu einem Aufgang hin. Durch eine offene Tür sehen sie eine Kammer mit einem gedeckten Tisch, die von einem warmen Feuer rötlich beleuchtet ist.

    "Ich kann dir ein paar Säcke Reis abgeben, und eine geräucherte Snapperseite - das reicht allerdings nur für deinen eigenen Tisch. Kamorala war leer gekauft, und wir sind nicht über Myrtana gekommen, sondern von den südlichen Inseln."
    "Ich nehme auch Rum und Gewürze. Bitte setzt euch. Wir haben eine Wildpastete mit Pilzen vorbereitet, außerdem Erdbeerkuchen."
    "Ihr zwei seid ja jetzt hier zuhause, oder?" scheucht der Dicke Per Tonio und Tobar weg. "Ihr schuldet mir nichts für die Passage, die war mit meinem Dragoman hier abgesprochen."
    Per schiebt Gero zum Tisch hin. Der kann den beiden Paladin-Kameraden nur noch kurz zuwinken. Dann trennt sie die Tür, die geschlossen wird.
    "Ich denke nicht, dass du für mich einen Dragoman brauchst."
    Jeanbert hat eine Augenbraue hochgezogen. Er hat wenig Sinn für Geros weitgehend irreguläre Beschäftigungen in der Vergangenheit, auch wenn diese im Auftrag der Königin stattfanden und wohl prinzipiell wertvoll waren, ohne dass er die Einzelheiten kennt.


    Am Tisch sitzt bereits vor einem halbvollen Glas Wein der alte Feuermagier Cortez. Ein weiterer Feuermagier - Martos - hält sich vornehm im Hintergrund. Dort ist auch undeutlich im Halbdunkel eine weitere Robe zu sehen, wobei Gero nicht erkennen kann, ob die beleibte alte Person mit dem streng geschnittenen weißen Haar, die sie trägt, ein Mann oder eine Frau ist. Das muss Nertus sein, der legendäre Alchemist, nun die Vorsitzende des Minenrates.
    Dann geht eine Tür auf, die von Kerzen erleuchtete Pastete wird hereingetragen, weitere Paladine und Zivilisten nehmen Platz, Trinksprüche werden ausgesprochen und alle schmausen mit Appetit.
    'So würde ich mir das Handeln gefallen lassen' denkt Gero. Auch wenn er nicht mehr so ausgehungert ist wie auf der Feuerinsel, lenkt ihn das Essen doch eine Weile von den Gesprächen ab.


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    Finale

    Am Tisch zwischen Gero und Per sitzen ein vierschrötiger Zivilist in einem teuer aussehenden Gewand mit einem dunklen glänzenden Pelzkragen und Sverre, einer von Pers Kriegern.

    Der Mann im Pelzkragen stellt sich als Brandtrat vor, und Gero überlegt, ob das ein Name sein mag oder ein Amt. Aber ihm fällt nicht ein, wie er geschickt danach fragen könnte, und so fragt er ihn, ob er bei der Jagd dabei war, deren Erträge sie nun genussvoll verspeisen.
    Er lobt die Pastete - die wirklich erstaunlich lecker ist, fast so, als hätte Palissa sie gebacken.
    Brandtrat lächelt amüsiert: "Nein, das ist nicht meine Aufgabe," aber er sagt nichts weiter dazu. Überhaupt ist er recht schweigsam, und auch Geros weitere Versuche, Konversation zu betreiben, laufen ins Leere.
    Auch Sverre widmet sich hauptsächlich dem Mahl, wenn auch mit geringerer Eleganz.
    Der Paladin an Geros linker Seite hingegen ist mit großer Leidenschaft in ein Streitgespräch über eine Partie eines Kartenspiels beteiligt, bei der es um die Frage geht, ob ein Fremder dabei betrogen hat oder nicht, und die Lautstärke dieser Angelegenheit macht es Gero unmöglich, etwas von den Verhandlungen um die Ware mitzuhören, die der dicke Per Jeanbert abkaufen möchte.

    Und so blickt er auf der Tafel herum und wartet darauf, dass der Erdbeerkuchen serviert wird.
    Plötzlich hat er einen Einfall: "Wer bist du? Und um was ging es denn bei diesem Kartenspiel?" fragt er den Paladin.
    Sein Hintergedanke gilt natürlich dem Mann, der im Wald hinter dem Orkdorf an der Brücke gesägt hatte und nun Tushik'atts Kontaktmann zu den O-Hotoshi-boshi ist. Jaru hatte ja vermutet, dass er hinter dem Streit um das Falschspiel stecken könnte.
    "Ich heiße Elwan. Wegen den Einsätzen: das weiß nicht mehr genau. Er war an Kram von den Schwarzmagiern interessiert: Dolchen, Tränken, Runen... ich hab ihm ein altes Gewand angeboten, da war er beleidigt."
    "Was hat er gesetzt?"
    "Schmuck, aber mir kam der nicht echt vor. Blech mit Glas, wenn du mich fragst. Brauch' ich alles nicht. Ich wollte mich dann aus der Partie verabschieden, da war er sauer. Ein Kamerad hat ihm wohl erzählt, ich hätte eine Blitzrune."
    "Und... hast du?"
    "Keine Ahnung. Ich habe bei einem ihrer Toten einen grauen Stein gefunden. Aber ich wollte ihn nicht setzen, sondern vorher Tassos oder Ingmars Rat einholen."
    "Mach das, das ist eine gute Idee. Oder frag Jaru. Hast du bei der Befreiung der Schwefelmine mitgekämpft?"
    "Ja, aber nicht am Ufer. Ich war Verbindungsmann zu den Jägern, nachdem die mit der Königin zurückkamen. Wir haben den Treck der Orks aus Braunwacker beschattet. Ich weiß nicht, was schlimmer war, diese verdammten Blutfliegen oder die Giftpfeile von Tizgars Schergen."
    "Hattet ihr auch Probleme mit dem Adler?"
    "Anfangs ja, da konnten wir nicht nah ran. Später ist Tizgar mit dem Adler an die Küste gezogen. Du bist Gero, oder? Den wir befreit haben?"
    "Ich war damals schon wieder frei. Aber es war richtig, die Orks da rauszuholen, das war eine verdammte Hölle."
    "Wenn du das sagst. Ich habe die Wunden der Braunwacker-Orks gesehen - kein schöner Anblick. Aber immerhin waren sie Kriegsgefangene."
    "Nein, nur die Wenigsten von ihnen. Die Sklavenlagerwachen haben auch irgendwelche Leute eingebuchtet, die ihnen krumm kamen. Oder die hilflos waren, Schiffbrüchige zum Beispiel."
    "Was für ein mieser Haufen. Ich bin wirklich froh, dass wir die los sind. Wobei sich ein Rest von ihnen in der Rotmühle verschanzt hat. Sie bauen da ihr Kraut an."
    "Sallahs Leute... sie waren zeitweise mit Marik verbündet."
    "Wirklich? Ich blicke da nicht mehr durch."
    "Weißt du, wo Marik sich aufhält?"
    "Er ist hier, aber bei der Königin in der Jägersiedlung. Sie kam kurz vor euch an, zusammen mit Shakyor. Ihre Schiffe liegen weiter hinten im Sund."
    "Wer ist Shakyor?"
    "Sag bloß, du hast noch nie von ihm gehört - Shakyor, der Löwe? Ein Führer der Nomaden aus Varant, ihr Bräutigam. In drei Tagen soll die Hochzeit sein. Wusstest du das nicht? Deshalb kauft Jeanbert alles auf, was sich mit Ansehen servieren lässt. Morgen erwarten wir die Leute aus Cor-dal-Pesch. Da hat Shakyor Verwandte, sie sind vor langer Zeit aus Varant eingewandert."

    Geros Interesse an Pers Handel ist schlagartig erloschen. Sobald Per und Jeanbert den Raum verlassen, vermutlich, um in privaterem Rahmen weiterzuverhandeln, verdrückt er sich, um Marik zu suchen. Er durchstreift die Gänge und gewendelten Treppen unter der Nordfeste, bis er vor dem Eingang zum Thronsaal steht. Überall wird aufgeräumt und geputzt, aber es fällt ihm auch auf, wie wenig Leute in der Feste sind. Vor dem Thronsaal steht gerade mal eine einzige Wache, der erkennt Gero vom Sehen und lässt ihn durch.
    Zielstrebig sucht Gero den hinteren Raum auf und passiert den Tunnel ins Jägerlager. Er ist erstaunt, dass das immer noch möglich ist. Die Gitter sind alle offen. Er trifft auf keine Menschenseele. Selbst als er am anderen Ufer des Sunds aus dem Tunnel klettert, scheint ihn niemand zu bemerken. Das macht ihn besorgt um Etharias Sicherheit.

    Er sieht sich um. Das feste Haus mit der Küche und den edel eingerichteten Räumen, wo die Gemächer der Dame Melandra und Tizgars waren, sieht noch aus wie damals und ist schwer bewacht.
    Die alte Scheune, in der Silvio sein "verpilztes Lager" hatte, musste allerdings einer befestigten Wachstube weichen, und das ganze Lager ist von Palisaden, teilweise sogar einer Mauer umgeben, ein hölzerner Turm an der Seeseite ist ebenfalls gut bemannt. Und nun fällt ihm auch auf, dass die Schmiede in Betrieb ist, und er erkennt Jörg.
    Er begrüßt ihn. "Wie konntet ihr so schnell hier sein? Ihr müsst uns in der Nacht überholt haben."
    "Nein, du hast wahrscheinlich nur auf deinem Fußweg in die Hauptstadt zu lange getrödelt. Wir sind aufgebrochen, kurz nachdem du verschwunden bist. Es gibt großartige Neuigkeiten: die Adamanta ist zurückgekehrt, zusammen mit fünf Schiffen von Shakyor! Wir werden den Orks auf Khorinis so richtig den Arsch aufreißen."
    "Dann muss ich dringend mit Tasso sprechen."
    "Das ist allerdings nicht möglich. Die Adamanta wurde auf dem Weg nach Myrtana gekapert, und ein Teil der Mannschaft ist nicht zurückgekehrt. Tasso ist unter den Vermissten."

    Der harte Schmerz. Sein Begleiter, seit er Khorinis verlassen musste. Gab es jemals eine Zeit, in der nicht jemand verletzt, verschwunden, entführt oder getötet war? Für ein paar Momente wird Gero stumm, wünscht sich, einfach mal allein zu sein und Frieden zu finden.
    Er verabschiedet sich hastig von Jörg und wendet sich der Küche zu, auch, um die Tränen in seinen Augen zu verbergen. Manchmal kommt es ihm so vor, als müsse sein Herz sichtbare Sprünge haben, und er fragt sich, wie viel er noch aushalten kann, bevor sein Herz kalt und unempfindlich wird, und ob das jemals passieren wird.
    Doch dann ist der Moment vorbei, er holt tief Atem und geht weiter.


    Palissa verlässt gerade mit einem Eimer voll Küchenabfällen das Haus.

    Gero tritt auf sie zu: "Palissa! Ich wusste die ganze Zeit, dass nur du solche Pasteten backen kannst."
    "Dieses mal ohne Karte, Gero, gut dich zu sehen. Geh in den ersten Stock, sie sind alle dort versammelt."
    "Ich habe dich und Elko in der Hafenstadt vermisst..."
    "Ja, wir sind mit den Seepaladinen gefahren, und Elko hatte einen geheimen Auftrag, von dem noch nicht einmal ich etwas wusste. Aber jetzt wird alles gut, und wir brauchen uns weder um Faid, noch um die Khorinis-Orks mehr Sorgen zu machen. Ich freue mich, dass du gesund aus dem Krieg heimgekehrt bist, Junge. Nun beginnt hier eine neue Zeit."
    "Ganz so einfach ist es nicht." Gero berichtet Palissa kurz, warum er nach Nordmar aufbrechen muss.
    "Mit dem dicken Per... der ist ein harter Hund, aber noch niemand hat sich bei ihm über fehlende Gerechtigkeit beschwert. Du hättest es schlechter treffen können. Werdet ihr zur Hochzeit bleiben?"
    "Ich weiß es nicht. Er verhandelt noch mit Jeanbert. Wahrscheinlich erfährst du es vor mir, wegen der Bestellung zum Festessen. Wie geht es Irletia?"
    "Wir haben sie bei den Bootsbauern in Ardea zurückgelassen. Sie hat dort ihre Schwester gefunden."
    Der Schock trifft ihn unvermittelt, stärker als die Nachricht von Tasso. Und plötzlich erscheint ihm der graue Tag wie ein Vorhang, den er nur zur Seite wischen muss.
    Geros Gesicht leuchtet, er zwinkert ihr zu und erklimmt die Treppe zum ersten Stock.
    Das Leben ist gut.

    Geändert von Ajanna (05.04.2024 um 12:32 Uhr)

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