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    Legende Avatar von Ajanna
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    [Story] Danach

    "Danach" ist die Fortsetzung einer früheren Geschichte hier im Forum; die beginnt hier: https://forum.worldofplayers.de/forum/threads/596965-Story-Murdra-trifft-Nela

    Jene Inhalte der Geschichten von Gothic Girlie und von dieser, die ich entwickelt habe, können nicht über dieses Forum erworben oder freigegeben werden, sondern nur über mich.


    Die Begegnung




    Denk dir eine Insel, umtost von graublauem Meer. Der Südwesten sumpfig, ein hölzernes Fort bewacht verschiedene Arme eines lehmigen Flusses, Schilfdickichte zwischen Pfützen, Kanälen und ein paar Feldern, kleine Dörfer mit Barrikaden oder Natursteinmauern. Im Süden ein wilder Hochwald, der bis direkt an die schwarzgraue Steilküste wuchert, steile Buchten mit fast schwarzem Sand. Doch wir sehen nun auf den Norden, wir fliegen wie ein Rabe dorthin, wo die höchste Gebirgskette bis über die Baumgrenze aufragt, und wo einzelne Pässe zwischen den hier hellgrauen Felsblöcken von oben aussehen wie Axthiebe in Vulkanglas.
    Auf einem dieser Passwege, den kalten Wind im Gesicht, die harte Sonne auf dem Scheitel, treffen sich zwei Männer.

    Der eine trägt ein makelloses, glänzendes weißes Seidenhemd, so ein unwahrscheinliches Kleidungsstück in dieser harten Zeit nach der Invasion, in der selbst die Bauern sich Holz- und Hornplatten in ihre grob gewebten Arbeitsfetzen nähen, dass dies allein schon eine kleine Sensation darstellt. Dazu kommt, dass es auch nicht wirklich zum Rest seiner Kleidung passt, denn er trägt eine dunkle Lederhose und ebensolche eisenbeschlagenen Stiefel, viel getragen und schartig, und das vor allem auf der linken Seite, außen an der Hüfte, wo der Schwertgurt reibt. Er ist ein mittelgroßer Mann, grauäugig, breitschultrig, mit der arroganten Kopfhaltung eines Kriegers und hartem Gesicht.
    Der andere ist größer, aber schmaler und bewegt sich sehr aufrecht und lautlos in weichen Stiefeln. Seine schwarzlila Kleidung aus Leder und Samt zeigt keine Falte, kein Staubkorn, keinen Glanz und keine Naht, und seine eleganten, leicht gebogenen Schwerter liegen an seinem Rücken wie gefaltete Flügel, scheinbar gewichtslos und ohne Reflexe auf den matt-ledernen Hüllen.
    Sein Gesicht ist dunkler als das des anderen, seine Augen grüngrau und er verströmt einen angenehmen Duft nach Leder und herben Kräutern.
    Beide Männer verbindet, dass sie mühelos über die Felsen schreiten, ihr Atem dabei nicht zu hören ist und keine Schweißperle auf ihre sonnengebräunten Stirnen tritt.


    Als sie aufeinandertreffen, bleiben sie stehen, messen sich mit Blicken, Muskeln in ihren Wangen arbeiten. Jeder kann sehen, dass sie sich kennen… und dass sie keine Freunde sind.
    Du lebst“, sagt der Dunkle, Samtige. Seine Stimme ist angenehm und sehr entspannt. „Es gab Gerüchte, du hättest deinen Meister gefunden in dem blonden zornigen Fremden, den ihr nicht in eurem Gefangenenlager halten konntet.“
    Der im Seidenhemd blickt ihn an, rauf und runter, als sei er ein widerliches Insekt. Er zelebriert die Pause, lässt die Provokation in die trockene Vegetation fallen und wartet, bis das Rascheln des Windes in ihr schließlich verstummt.
    Deine Informationen waren einmal eine harte Währung auf dieser Insel. Wo sind deine Schatten? Man erzählt sich, sie haben sich selbst und ihr Wolfsrudel von den Klippen gestürzt, um nicht mehr deinen Befehlen folgen zu müssen. Feuer war auch im Spiel sagt man. Magisches Feuer.“
    Der Dunkle zieht kurz die Augen zusammen, schmale grüne Feuer fokussieren aber nicht den anderen, sondern einen Punkt neben seinem Ohr. Dann kehrt sein Blick in das Gesicht des weiß Behemdeten zurück. Er wirft das Kinn leicht nach oben, dann nimmt er seinen Weg wieder auf, streift den anderen fast, geht an ihm vorbei und lässt ihn dort einfach stehen, im gleißenden Sonnenlicht, und verschwindet in den Schatten zwischen den grauen Felsen. Zeitverschwendung, denkt er. Dieser eitle Mann würde ihn seinem Ziel, diese Insel endlich zu verlassen, nicht näher bringen.
    Es gibt Tage, da bringt der Wind einen feinen, trocken Staub. Es sind diese Tage, an denen er seine Heimat vor Augen sieht. Die Weite, die Sonne auf den Sandbergen, die goldglühenden Felsen. Er muss dorthin zurück, er weiß, dass nun, da sich die Drachen gegenseitig zerrissen haben, das Land dort wieder auftauchen wird.
    Geändert von Ajanna (17.05.2023 um 21:48 Uhr)

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    Der Fall

    Als sich die Hölle vor ihm auftut, ist sie fast sanft zu ihm. Im ersten Moment denkt er, er sei nur abgeglitten im feinen, scharfkantigen, leichten, fast schaumigen grauen Vulkankies. Doch dann merkt er, dass er verloren hat, dass das Gewicht seiner Rüstung ihn stetig in den Abgrund zieht, der sich um ihn herum geöffnet hat wie eine staubige dunkle Stofftasche. „Ein Sinkloch“ denkt er, während er rutscht und gleitet und das fahle orange Licht der Halbdämmerung vom aufgewirbelten Boden verschluckt wird, wie er selbst. Er versucht, die Kontrolle zu bewahren, nicht wild zu zappeln, sondern steuernd auf dem Kies zu gleiten, wie auf einer Welle, aber seine schwere Panzerung zieht ihn unter die Oberfläche. Da packt ihn eine wilde Panik, und er löst die Verschlüsse, stößt die schwere Platte von sich fort, versucht, zurück an die Luft zu schwimmen, nur dass dies kein Wasser ist, sondern trockenes und hartes Geröll, und er fühlt nun – ohne die Brustplatte – die scharfen Kanten der Steine, die ihn aufschürfen und schneiden. Das Schwert hat er noch in der Hand, da ertastet er einen Sims und krallt sich mit der freien Hand an die Kante. Doch ihm wird schlagartig klar, dass seine Kraft nicht reicht, und in einem Bruchteil eines Moments trifft er die Entscheidung, lässt das Schwert los und gewinnt Halt mit beiden Händen.

    Von oben kommt wieder ein blasser Lichtschimmer durch den Staub und er nimmt wahr, dass er nicht alleine gefallen ist, zwei der jungen Kriegerbrüder seines Freundes sind ebenfalls auf dem schicksalshaften Weg nach unten.
    Sie rutschen zappelnd an ihm vorbei – außerhalb seiner Reichweite – und jetzt löst er auch das Schwertgehänge, um sich ganz auf den Sims ziehen zu können. Als einer der beiden anderen Verschütteten brüllt, gewahrt er den schrecklichen Fehler. Die kleine Phiole hat sich bei den vielen Aufprallen aus dem Lederbeutel gelöst, ist zerbrochen und ihr fahler Inhalt hat vor seinen Augen einen der jungen Orkkrieger getroffen, der sich nun vor seinen Augen in einen Untoten verwandelt, Fleisch, das schwarz wird und schrumpelt, Risse, die in der Haut aufklaffen und bläulich glimmende Knochen freigeben, und das alles in einem einzigen Augenblick. Der Ork begreift überhaupt nicht, was ihm geschieht, seine braunen aufgerissenen Augen sind das letzte, das an ihm lebendig ist, und Gero wird bis ans Ende seines Lebens von diesen Augen träumen. Der nun schon Skelettierte hält sich hilflos an dem anderen Ork fest, es ist dieser, der brüllt, und dann ereilt ihn das selbe Schicksal.
    In diesem Moment bricht der Sims, auf den sich Gero gezogen hatte, und er rutscht und fällt wieder. Vor seinem inneren Auge sieht er plötzlich den honigfarbenen Schimmer auf dem braunen Haar seiner Freundin, wie damals, als sie das erste Mal vor ihm stand, danach verliert er das Bewusstsein und fällt durch eine morsche Decke in einen der alten dunklen Gänge, die den Boden der heiligen Feuerinsel seit langer, langer Zeit durchziehen.
    Er weiß es noch nicht, aber er wird sehr lange brauchen, bis er die Sonne wiedersieht, bis er den Ausgang gefunden hat, bis er die Untoten besiegt hat – waffenlos, wie er ist – denn sie kennen ihn nicht mehr und hassen nun alles, was lebt.
    Eine fahle Blüte an einem dünnen gebogenen Stengel bewegt sich über Tropfen seines Blutes, die neben ihm auf dem alten schwarzen Steinpflaster hingeplatscht sind, und dann ist der Boden wieder trocken. Sie dreht sich in seine Richtung, langsam, fast flatternd.

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    Im selben Boot

    Eigentlich hat er zum Festland gewollt, denn nach seiner Entlassung aus dem Lehenseid musste er schwören, die Insel zu verlassen. Die erste Etappe ist auch schnell zurückgelegt, denn alle kleinen Handelssegler segeln gerade nach Kamorala, wo es noch Vorräte gibt und keine Invasion. Doch danach hängt er wochenlang in Kamoralas Hafenstadt herum, bis er keinen Reis und keinen Fisch und keine Algen mehr sehen kann, weil es ihm schon grün aus den Ohren kommt, wenn er das Zeug nur riecht.

    Alle kleinen Handelssegler schippern zur ihm nun verbotenen Insel zurück, denn dort zahlen die Menschen gerade die besten Preise für Lebensmittel und Wein, und er bleibt zurück und kommt nicht weiter.
    Er erkundet ein bisschen das Hinterland, findet allerdings keine Arbeit, und als sein Gold zur Neige geht, versteckt er sich im einzigen Wald dort, wo ihm sein Bogen wenigstens die eine oder andere Mahlzeit verschafft. Erst im nächsten Frühjahr nimmt ihn eins der großen Kriegsschiffe mit in den Westen, denn sie fahren mit halber Mannschaft, viele Verletzte dabei, und er kann sich die Überfahrt als Matrose verdienen.
    Allerdings – seine Pechsträhne reisst nicht ab.
    Eine Orkgaleere hat ihnen den Weg abgeschnitten und die Paladine haben ein Beiboot zu Wasser gelassen, von dem aus er und die anderen Bogenschützen die Orks im Halbkreis umfahren und mit Bögen beschießen sollen, während diese das Kriegsschiff versuchen, zu entern. Doch die Orks bemerken sie und alle im Beiboot werden getötet, nur ihn haben sie aus irgendeinem Grund nur niedergeschlagen und in der Bilge liegen gelassen, vielleicht ist es wegen des Amuletts, das ihm der junge Talakaidis zum Abschied gegeben hat.
    Als er wieder zu sich kommt, ist vom Kriegsschiff nichts mehr zu sehen, und nun treibt er schon ein paar Tage im Meer herum, und hofft, von einem anderen Schiff gerettet zu werden...


    Er ist ein großer Mann mit langen schwarzen Haaren, die er in einen Zopf gebunden trägt. Eine Narbe in einem seiner Mundwinkel verleiht ihm ein irritierendes Lächeln. Aber im Moment beisst er sich auf die Unterlippe, zieht sich sacht an der niedrigen Bordwand des Ruderbootes hoch und versucht, einen Fisch nicht zu vertreiben, der an einem der Ruder etwas zu knabbern zu finden glaubt. In seiner Hand einen Pfeil haltend, bewegt er sich unerträglich langsam auf das Ruder zu - und schnellt dann den Arm dorthin, wirft den zappelnden aufgespießten Fisch ins Boot und erschlägt ihn schnell mit einem anderen Ruder. Ab nun keinen Hunger mehr, nur noch Durst…


    Und er hat immer noch kein Glück, denn als er ein paar Tage später entkräftet von einem Schiff aufgenommen wird – schon in Sichtweite des Festlandes – ist es ausgerechnet ein Kriegsschiff, und sie interessieren sich dort wirklich SEHR für die Herkunft seines Beibootes… Seine Erklärungen sind gut genug, dass sie ihn nicht direkt an der Rah aufknüpfen, aber die Krieger sperren ihn unter Deck in ein dunkles Kabuff. Dort ist schon eine junge Frau gefangen und ihm fallen fast die Augen aus dem Kopf, als er die graue, mit brauen Tieren bestickte Gugel wahrnimmt, die sie trägt. Es ist völlig ausgeschlossen, dass auf dieser Welt ein zweites solches Kleidungsstück existiert. Und dann sieht er, dass sie schwanger ist, ziemlich weit fortgeschritten, soweit er das beurteilen kann, und ihre Hände sind fixiert mit metallenen Handfesseln, die einen bläulichen Schein auf ihre blassen Handgelenke werfen. Sie kommt ihm vage bekannt vor, aber er kann sich nicht erinnern, wann er sie schon mal gesehen hat. Sicher nicht zusammen mit diesem Benn, dessen Gugel und wohl auch Kind sie trägt. Dieser Mensch scheint ihn zu verfolgen wie ein böser Geist. Und hieß er nicht auch anders… Dann kracht die Tür ins Schloss und Dunkelheit umgibt sie beide wie eine stickige Decke. Er zieht sich an eine Wand ihres Gefängnisses zurück. Er hat kein Interesse an ihr, und schläft bald erschöpft ein.
    Als er wieder erwacht, fällt ein bisschen Helligkeit durch Ritzen in der Decke. Er hört Schritte auf Deck und richtet sich auf. Die andere Gefangene blickt ihn ruhig an. Sie hat braune, ziemlich kurz geschnittene Haare für ein Mädchen und ist in ein weites, rotbraunes, schmuddeliges Kleidungsstück gehüllt. „Kannst du mir die Fesseln abnehmen?“ fragt sie leise.
    Er starrt sie an. „Warum sollte ich das tun?“ knurrt er.
    Du willst doch hier raus, oder?“ Sie hält ihm den metallenen Verschluss entgegen. Er sieht die blauen Kristalle, die innen eingearbeitet sind und an ihre Haut drücken.
    Ohne Dietrich?“ fragt er spöttisch.
    In deinem Amulett da.“ Sie nickt mit dem Kinn darauf.
    Was weißt du über das Amulett?“
    Ich kenne den, der es gemacht hat.“ Sie grinst frech, und er ärgert sich.
    Aber dann, als er vorsichtig nachsieht, kann er tatsächlich einen Dietrich herausziehen, den das Lederband, mit dem die Einfassung gestickt ist, dort am Rand zwischen zwei Lagen Leder gehalten hat. ‚Sieh mal an, Orkmagie also‘, denkt der Mann und schüttelt den Kopf. Kurze Zeit später fallen ihre Fesseln leise klirrend zu Boden. „Und jetzt?“ fragt er sie.
    Jetzt muss ich schlafen.“
    Er merkt, wie gereizt er ist, sie aber liegt mit geschlossenen Augen wie ein Bündel Wäsche auf den schmutzigen Planken, und dies nimmt seinen bösen Ideen die Kraft. Er steckt den Dietrich wieder an seinen geheimen Ort, trinkt einen großen Schluck aus dem Wasserkrug, den er in einer Ecke stehen sieht und tut es ihr nach.
    Boommmh!“ Ein lautes Krachen weckt ihn plötzlich und es riecht scharf nach Rauch. Die Schiffswand neben seinem Kopf splittert in Trümmer und fällt nach draußen in die nachtkalte See. „Spring,“ ruft die junge Frau und ist selbst schon auf dem Weg nach unten.Er springt. Die See ist wärmer als erwartet. Es ist eine bewölkte Nacht und eine Strömung trägt sie vom Schiff fort. Sie kriegen nicht mit, ob sie verfolgt werden, sie schwimmen in der Dunkelheit der tosenden Brandung um ihr Leben, und beinahe hätten sie es nicht geschafft. Sicher nicht sie, er muss sie das letzte Stück über Wasser halten, sie an Land ziehen, sie ist völlig fertig, als er sie den Strand hochträgt. Dafür lässt er sie dann einfach dort sitzen und verschwindet in den Dünen. ‚Soll sie ihr Kuckuckskind doch mit weiß wem anderem bekommen“, denkt er. Er verdankt ihr seine Freiheit, aber er schuldet ihr nichts.
    Geändert von Ajanna (05.04.2021 um 11:57 Uhr)

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    Der Brief

    Die schwarze Äbtissin tritt an die steinerne Reling und blickt über die spiegelnde See, in der sich wie flüssiges Feuer die Strahlen der Morgensonne spiegeln. Es erstaunt sie immer wieder, wie ruhig die See von hier oben aussieht. Dabei ziehen über den dunkeltürkisen Fast-noch-Nachthimmel zerfetzte dunkle Wolken in rasendem Tempo. Sie steht neben einem alten runden Turm auf den Klippen, in die ein halbrunder Platz geschlagen ist, und einige noch dunkle Tür- und Fensteröffnungen öffnen sich auf ihn und der böige Wind singt an ihren Kanten. Es sind nun schon ein paar Wochen vergangen, seit ihre Freundin auf dem Weg in die Stadt verschwunden ist, und sie sorgt sich immer mehr, aber mit immer weniger Hoffnung.
    Sie ist noch eine junge Frau, mit klar konturierten Lippen und hohen Wangenknochen, und um ihre wilde lockige Haarpracht hätten sie viele Frauen beneidet. Seit die anderen Magierinnen sie gebeten haben, anstelle der Verschwundenen ihre Äbtissin zu sein, hat sie ihre üblichen bunten Tücher abgelegt und trägt das Haar aufgesteckt.
    Alles erscheint aussichtsloser, seit sie die Würde angenommen hat, doch die Unterrichtung der Novizinnen und anderen Schülerinnen lässt ihr keine Zeit zum Grübeln. Nur sehr früh morgens, oder sehr spät abends, schaut sie auf die See hinaus und schickt ihre Gedanken zur fernen Schwester. Ajanna trägt die Gabe der Sicht, und sie glaubt, dass Marlan noch lebt, denn sie glaubt an ihre Kraft, ihren Tod zu spüren. Eine, die so viel erreicht, eine, die so viel gegeben hat, kann nicht vom Antlitz der Erde verschwinden, ohne dass die Kraftlinien hinter der Materie erbeben. Doch es kommt kein Echo aus dem Äther, nichts verrät Marlans Vergangensein oder ihre Zukunft.
    Natürlich weiß Ajanna, warum Marlan gegangen ist. Die beste Ärztin und Hebamme des Klosters lebt seit einiger Zeit wieder in der Stadt, und Marlan hat bei ihr sein wollen, wenn das Kind geboren wird. Auch das Kind kann Ajanna nicht spüren. Traurig senkt sie den Kopf, lauschte dem Heulen des Windes noch einen Moment, und beschließt dann, eins der Mädchen ins Fischerdorf zu schicken. Die Fischer sollen heute nicht auslaufen. Sie sieht plötzlich Brecher und Gischt und riecht den scharfen Geruch nach Ozon, wie nach einem Blitz. Sie schreitet durch die Tür zum Turm, nimmt ein Buch von einem Stehpult, und in diesem Moment schlägt ein Blitz genau dort ein, wo sie gerade noch an der hohen Mauer stand. Sie lächelt leicht, dieses ihr Lächeln, das keines ist. Sie überquert den Hof, das Buch in der Hand, und in dem Augenblick, da sie gegenüber ins Treppenhaus zum unteren Stockwerk tritt, prasselt ein Hagelschauer nieder und füllt den Platz hinter ihr mit kleinen grauen Eis-Eiern. Nicht da-sein, denkt sie, das ist nicht immer schlecht. Vielleicht hat ihre Schwester einen Platz gefunden, an dem sie lieber lebt, als auf den Südklippen oder in der Hauptstadt. Alles in Allem ist der Vater ihres Kindes nicht nur im Gefecht verloren gegangen, er war auch vorher so etwas wie der Vertraute der Königin, und ein Zankapfel zwischen den unterschiedlichen Fraktionen ihrer Truppen, und es ist vielleicht besser für ein kleines Kind, fern von dem schwierigen Erbe aufzuwachsen. Hernemari und Taro, Zwillinge, weiß sie plötzlich, und ihre Namen. Sie läuft zurück auf den hohen Platz, streckt segnend die Hände aus, und ein blitzender Sonnenstrahl umfasst sie kurz. Dann grollt der Donner über sie hinweg. Sie schaut wieder über die steinerne Reling und sieht eine Halo um die von grauem Dunst umgebene Sonne.
    Es ist Zeit, einen Brief zu schreiben.


    Der Seepaladin durchquert den Innenhof mit dem gemusterten Pflaster und erklimmt zügig die Steigung im Turm an seinem Rand. Er erinnert sich noch gut, wie damals alles ausgesehen hat, nach der Invasion, Barrikaden und Brände, Schmutz und Tote. Diese zusammengewürfelte Truppe aus Bauern und Handwerkern hat damals hier aufgeräumt, sind über sich hinausgewachsen und in die Reihen seiner Krieger eingetreten. Trotzdem ärgerlich das Ganze. Sie sind immer noch zu wenige und die Neuen… sind eben nicht die Alten. Er erinnert sich an Gero, wie er ihn auf dem blutigen Sand des Straflagers das erste Mal in Rüstung kämpfen gesehen hat und kurz danach mit nacktem Oberkörper über dem riesigen Ork… Er vermisst ihn nicht, so viel ist sicher. Tapfer, aber gefährlich. Ein Aufsteiger, der zu viel Dreck in den eigenen Reihen hat schlucken müssen.


    Er klopft an die Tür des königlichen Gemachs und eine alte Magierin öffnet ihm, seine Großmutter. Etharia, die Königin, jünger als er, geht nicht mehr gerüstet in diesen Tagen. Er sieht sie am Schreibtisch sitzen, von dem sie sich erhebt, als er eintritt. Als er ihr festes Kinn und ihre kräftigen Handgelenke sieht, weiß er, dass sie immer noch kämpfen kann, wenn es nötig ist. Die Liebste seines Bruders, auch sie ist aus dessen Schatten getreten. So viel Veränderung. Und heute steht eine Falte auf ihrer Stirn, heute wird sie nicht huldvoll ein neues Schiff in Auftrag geben oder eine neue Expedition mit ihm besprechen. Er sieht einen Brief auf ihrem Schreibtisch liegen und das flammende Wappen darauf wie eine rote Blüte.
    Danke, dass du gleich aufgebrochen bist. Wie war deine Reise?“
    Es ist immer noch alles ruhig an der Nordküste. Die Adamanta ist ein mächtiges Schiff, und wir haben ein paar Umbauten an ihr vorgenommen, aber ich vermisse die Alca.“
    Dein erstes Kommando, sie wird immer etwas Besonderes sein.“ Etharia lächelt, aber ihre Augen strahlen dabei nicht. „Ich habe einen Brief bekommen, der mir Sorgen bereitet.“ Keine weiteren Nettigkeiten, direkt zur Sache. „Eine Magierin ist verschwunden, und das nicht im wilden Norden oder Osten, sondern irgendwo zwischen Grauben und hier, quasi vor unserer Nase. Hast du Berichte von anderen ungewöhnlichen Vorfällen?“ Sie blickt direkt in seine Augen unter dem hochgeklappten Gesichtsschutz, wie ähnlich er seinem Bruder sieht, und doch fühlt sie sich in seiner Gegenwart nicht wohl.
    Er runzelt die Stirn. „Wer ist es?“
    Die verschwunden ist? Ihre Äbtissin.“
    Marlan?“
    Sie nickt. Sie sieht, wie er rot wird, vor Ärger, nicht vor Verlegenheit. ‚Diese Frau ist ihm ganz schön auf die Eier gegangen‘, denkt sie, ganz unköniglich.

    Ich habe nichts gehört“, sagt er steif. „Ich war im Norden.“
    Diese Versicherung von etwas, das sie bereits weiß, ist seltsam. Aber die meisten Männer, die damals in den Süden gefahren sind, sind verändert zurückgekehrt. Die unmittelbare unhinterfragte Kameradschaft aus der Zeit der Invasion beginnt zu zerbröckeln. Und Tasso war nie einfach, er füllt eben nicht die Lücke seines Bruders. Er ist ein militärischer Kommandant, keiner, hinter dem sich alle wie hinter einem Banner versammeln würden. Und dass er sich nicht sofort verantwortlich fühlt, für etwas, was so nah an der Hauptstadt geschehen ist, lässt bei ihr Alarmglocken angehen, von denen sie dachte, sie bräuchte sie nicht mehr. Als er zackig gegrüßt hat und wieder über dem Platz zum Hafen geht, blickt sie ihm aus dem Fenster hinterher. „Morgen wieder die Rüstung, Amara, ich reite an der Westküste nach Süden bis zum Fort.“

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    Das Schiff

    Alle haben gegen das Versinken im Treibsand gekämpft, doch Nergali wurde erschossen, ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen. Sie ist am weitesten von der Spalte entfernt, und klemmt gerade ihren Stab mit dem Klingenblatt wie ein Geländer zwischen zwei Felsen fest, an dem sie sich festhält. Und plötzlich ist ihr Gewand über ihrer Brust ganz rot, Blut läuft ihr über die Seite und sie fällt in die Tiefe. Der Armbrustschütze: einer unserer eigenen Leute der Rüstung nach, ein älterer Mann, und es war kein Versehen. Einen Moment sieht er zu mir herüber, und ich habe Angst, dass er nun auch auf mich schießt, ich hänge gerade an meiner Bola, die ich zwischen die Felszacken geschleudert habe, und versuche, mich nach oben zu ziehen, ohne dass die Steinkugeln abrutschen: keine gute Position, um mich schnell in Deckung zu werfen. Doch er wendet sich wieder dem Schlachtfeld zu, als hätte er sich nur kurz die Stirn gewischt. Später habe ich seine Leiche gefunden, er ist gefallen, wie viele an dem Tag, und hat das zweifelhafte Glück, dass ihn nun die Vögel bekommen und nicht die Tiefe.

    Die Insel bebt pausenlos, und dem Boden kann man nicht trauen. Wahrscheinlich sind mehr durch Erdrisse und Treibsand gestorben als durch die feindlichen Krieger. Die Orks sind als erste verschwunden: als ich die Küste erreiche, sehe ich ihre Galeeren in der Brandung. Sie sind kaum dezimiert, anscheinend haben sie ihre Rache an die Vulkaninsel abgegeben und sind so davon gekommen. Von den Vengardern stimmt wohl das Gegenteil, nirgendwo sehe ich das Rotbraun ihrer Brünnen am nächsten Tag. Gero, Jaru und die beiden jungen Orks, die bei ihnen waren, hat wohl der Untergrund verschlungen, obwohl ich Jaru ziemlich lange gegen das Versinken ankämpfen gesehen habe, war er später nirgends zu finden, und ich habe lange gesucht. So lange, dass ich die Abreise der Seepaladine verpasst habe, und irgendwann glaube, dass sie mich ganz alleine zurückgelassen haben auf diesem gespenstischen Eiland.
    Einerseits ist das nicht schlimm; ich weiß, dass hier Schätze versteckt sind, aus denen man Reiche erstehen lassen kann. Weniger Leute zum Teilen, mehr Beute für die Übrigen. Die Piraten haben die Insel immer wieder angefahren. Und ich, Ganjouk, bin eine Piratin. Meistens jedenfalls. Sie werden mich mitnehmen. Auch wenn ich das eigentlich nicht mehr will.


    Ich laufe den ganzen Tag durch die düster und staubige giftige Vulkanluft und suche nach Überlebenden. Ich finde nur Ombhau‘, der dasselbe tut. Da habe ich schon mein Schultertuch voll Gold, Ringen, Amuletten und guten Waffen, genug, um einen kleinen Krieg zu beginnen oder einen mittleren Frieden. Aber irgendwann wende ich mich wieder der See zu, und da sehe ich ihn stehen, wie eine Statue, vor sich ein Beiboot voller Beute und mit Jaru, der einen Kopfverband trägt und schläft.
    Ich gehe zu ihm wie auf Rädern. Ich habe schon immer eine Schwäche für Ombhau‘ gehabt. Seine breiten Schultern, seine tiefe Stimme, seine Klugheit. Ich würde richtig töten für ihn, ein ganzes Kriegsschiff voller Paladine würde ich den Haien geben, um ihn zu schützen, nur, dass es nicht geklappt hat beim letzten Mal, und deshalb wurden wir getrennt.
    Du hast sieben Leben, wie eine Katze, Ganjouk,“ begrüsst er mich.
    Deine Schiffe werden leider immer kleiner, mon Capitán,“ antworte ich erleichtert.
    Ich habe die Alca... und eine Mannschaft.“
    Geändert von Ajanna (04.04.2021 um 08:23 Uhr)

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    Das Buch

    Es ist merkwürdig, dass wir alles wieder aufgebaut haben, statt es zu verändern. Ich kann es verstehen, solange es um Häuser oder Ställe geht… aber die Gesellschaft um uns herum, unsere Räte, wie wir handeln, die Zukunft? Es gab einen Moment, als wir die Südfeste erobert hatten, als wir alle ums Überleben kämpften, und darum, genug Fische und Brot und Fleischkeulen für die Menschen aufzutreiben, da glaubte ich wirklich an diese Insel. Seit die Königin gestorben ist, komme ich mir vor, wie gefesselt. Nun will ich nur noch fort. Ich will eine Bibliothek sehen, die mehr als hundert Bücher hat, ich will Paläste und Gebetshäuser sehen, in denen nicht nur alte Knacker hocken, ich will lernen, wie man ein Schiff baut und am besten auch noch eine Mühle. Ganjouk hat mir beigebracht, zu navigieren, ich vermisse sie mehr als eine Schwester.

    Nela hat mir das Gold gegeben, das Elwos Verwandte ihr gezahlt haben, damit sie ihn schnell findet. Ich werde davon eine Reise unternehmen, durch die ganze Welt.
    Und ich werde alles aufschreiben, was ich sehe und was ich denke. Am liebsten würde ich vom Schreiben leben, aber niemand bezahlt für Worte, egal, wie gut sie sind. Auch wenn ohne die Worte alle immer noch im Wald hocken und vor den Wölfen zittern würden, sind die, die sich richtige Worte ausdenken, die, an die sich keiner erinnert.
    Ich hab das mal Jaru erzählt, aber er hat nur gelächelt. Die Orks glauben nicht an Bücher. Für sie muss jeder ihrer Schamanen die Worte erinnern, es leben nur Worte, die in den Köpfen ihrer Leute überleben.
    Vielleicht ist das für sie richtig, aber ihre Worte sind dann eben nicht dort, wo keine Orks sind. Ich habe ein Buch in Marlans Truhe gefunden, das handelt von einer Zeit, in der hat noch niemand von uns gelebt. Darin waren Gedichte, so eine Schönheit. So möchte ich schreiben, und ich möchte, dass später Menschen dieses Buch lesen und staunen.
    Die Äbtissin sagt, ich sei zu zu jung, als ich ihr von der Reise und dem Buch erzähle. Aber Amara hat mich adoptiert, und nun trage ich einen Namen, der mich schützt. Vielleicht finde ich in der Welt ja auch meine Schwester wieder. Es ist solange her, dass wir zusammen im Kaninchenstall gesessen und uns unsere Träume erzählt haben.


    Irletia Talakaidis

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    Die Wahl

    Der Raum ist die Offiziersmesse gewesen. In der Mitte steht ein fest am Boden verschraubter Tisch und an den Seiten hängen Stühle, mit hölzernen Riegeln an der Wand befestigt. In den Ecken hat jemand Säcke und Felle ausgebreitet, und dort liegen mehrere Verletzte. Als Jaru zu sich kommt, denkt er zuerst, das Schwanken liegt an seinem Kopf, der wehtut. Dann merkt er, dass er auf See ist. Auf der Alca. Er erkennt die Messe wieder. Hier war die letzte Besprechung vor der Katastrophe. Er dreht den Kopf zur Wand. Er hat keine Lust, mit Tasso zu reden, oder einem der anderen Seepaladine. Er probiert vorsichtig seine Gelenke aus, seine Hände sind abgeschürft, und ein Ellbogen tut weh, aber sonst scheint er nicht in der Bewegung eingeschränkt zu sein. Jemand hat ihm die Rüstung abgenommen.
    Er versucht, sich aufzurichten, aber da schlägt sein Kopf Alarm. Trotzdem stützt er sich auf, und schiebt sich vorsichtig an der Wand in eine sitzende Position hoch. Er sieht zu den anderen Verwundeten rüber. Gero ist nicht dabei, und auch kein Ork. Er erkennt Jörg, den Schmied der Alca. Er trägt eiserne Handfesseln, und das beunruhigt Jaru. Haben die Invasoren gewonnen? Die anderen Verletzten kann er hinter Jörgs breitem Brustkorb nicht erkennen. Sie tragen alle nur ihre Hosen und Leinenhemden, keine Rüstung, aber das ist eigentlich normal in einem Lazarett. Er betastet vorsichtig den Verband an seinem Kopf. Er ist ziemlich dick und fest gewickelt. Jetzt würde er gerne etwas trinken, aber er möchte nicht rufen, weil er erst noch die Situation, in der er sich befindet, besser verstehen will. Als er Schritte hört, schließt er schnell die Augen und stellt sich schlafend. Aber damit hat er kein Glück, Ombhau‘ weiß, dass er eben noch flach auf dem Boden ausgestreckt war.
    Jaru.“
    Als er die tiefe Stimme hört, merkt er, dass Ombhau‘ einer ist, der zaubern gelernt hat. Er wappnet sich und blickt zu ihm hoch.
    Ombhau‘,… warum ist Jörg gefesselt?“
    Dir entgeht nichts, mhm? Was ist deine letzte Erinnerung?“
    Gero… wir müssen zurück, dahin, wo du mich gefunden hast! Gero ist auch verschüttet worden!“
    Da war sonst niemand, ich habe wirklich gesucht. Nur eine verdammt tiefe Spalte, und der Rand bröselte unaufhörlich nach unten. Die Erde hat den ganzen Nachmittag gebebt. Du hattest Glück, du hingst an deinem weißen Umhang fest, etwa sieben Mannslängen tief. Ich habe fast einen halben Tag gebraucht, um dich hochzuziehen, so kompliziert war es, dich zu bergen. Aber deshalb weiß ich auch, dass da sonst niemand war. Ich bin bestimmt zehn Mal um das Loch rumgelaufen, hab‘ Seile gespannt, und die musste ich erst von den Schiffen holen.“
    Jaru schließt die Augen und versucht, sich an den Ort zu erinnern, wo sie eingebrochen sind.
    Du hast meine Frage nicht beantwortet“, sagt er schließlich und schaut Ombhau‘ ins Gesicht.
    Jörg wollte uns nicht aufs Schiff lassen.“
    Wieso das nicht? Wer ist ‚uns‘?“ Er schluckt, sein Hals ist auf einmal trocken. „Wo ist Tasso?“
    Er hat jetzt ein anderes Schiff. Ein größeres. Er und Ingmar.“
    Er würde nie die Alca einfach aufgeben!“ Daran, wie sehr ihn der Gedanke aufregt, merkt Jaru erst, dass die Situation irgendwie falsch ist, gefährlich.
    Und er begreift auch, dass er jetzt vor allem klug sein muss, und vorsichtig.
    Die Alca ist ein Prototyp, schneller als jedes andere Segelschiff ihrer Zeit und völlig neuartig getakelt. Ihr Kapitän hätte sie niemals freiwillig verlassen. Und Ombhau‘ ist noch nicht mal ein Seepaladin, er gehört doch zur Küstenwache. Jaru stellt sich schwächer, als er ist, er braucht Zeit zum Denken. Aber Ombhau‘ durchschaut ihn.
    Jaru.“ Ombhau‘ wendet wieder diesen Tonfall an. Jaru sammelt seinen Widerstand. Aber als er die Augen öffnet, ist nichts davon zu erkennen.
    Ich habe das Kommando übernommen. Friedlich – abgesehen von Jörgs Gegenwehr. Die anderen, die du dort siehst, haben wir geborgen. Vor dem Erdbeben, aber ein paar sind auch im Gefecht verwundet worden. Entscheide dich, Jaru. Wir fahren nicht zurück. Unser Ziel ist das Festland, wo wir unbekannt sind, wo die Alca nicht erkannt wird. Ich biete dir an, unser Arzt und Alchemist zu sein. Du bist bestens dafür geeignet. Oder du wirst unser Gefangener. Deine Familie wird eine Menge Gold für dich bezahlen.
    Aber ich verlange deinen Treueschwur, wenn du frei sein willst. Und ich sehe, ob du ihn aufrichtig schwörst.“
    Jaru lässt sich ein paar Atemzüge Zeit mit der Antwort. „Du irrst dich,“ sagt er fest. „Die Alca wird überall erkannt als das, was sie ist. Es sei denn, du schneidest die Hälfte der Leinwand runter und segelst sie wie ein Idiot. Und selbst dann… Übrigens zweifle ich daran, dass Tasso viel für mich bezahlen wird. Ich bin zu den Orks gegangen, du erinnerst dich? Ich bin der halbnackte Wilde in Fell und Farbe.“
    Ombhau‘ sieht kurz aus, als ob er lächelt. „Dein Kopf ist unbeschadet geblieben. Morgen erwarte ich deine Antwort.“
    Jaru will eigentlich noch etwas antworten. Zu spät bemerkt er den Schlafzauber.
    Geändert von Ajanna (05.04.2021 um 22:58 Uhr)

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    Die Möwe

    Als er aufwacht, sieht er als erstes eine Möwe, die scheinbar schwerelos in einem grauweißen Himmel voll Nebelfetzen und feinem weißen Regenspray segelt. Das passt so wenig zu seiner letzten Erinnerung, dass er sofort hellwach ist. Trotzdem kann er sich nicht sofort von ihrem Anblick lösen: Ihre Beherrschung der Windströmungen und ihr Gleichgewicht sind so erstaunlich, dass er ihr noch eine Weile mit allen Sinnen folgt. Die Luft ist kalt und schmeckt nach Schnee, der Wind springt zwischen den Richtungen und zerfetzt den Regen in winzige kleine und kleinste Tröpfchen. Die Möwe lässt sich treiben und verschwindet hinter einem Felsen in seinem Rücken. Jaru ist mit schweren Fellen bedeckt, so, dass er sich kaum rühren kann. Sein Kopf ist etwas hochgebettet auf einem schrägen Stein. Die Felle riechen intensiv nach Holzfeuer und nach dem Öl aus einer gelben Blume, das viele Orks zur Körperpflege benutzen.
    Jaru versucht, sich hochzustemmen und umzusehen. Vor ihm fällt ein unebener gelblichgrüner felsiger Strand zur kabbeligen See ab. Zwei Orks beschäftigen sich an einem Hügel mit Treibholz.
    Er kennt einen von ihnen, Shaboz Ruzjap. Der andere ist größer, dunkler und älter. Wahrscheinlich einer von den ehemaligen Kriegsgefangenen, die sie befreit haben. Die beiden spüren seinen Blick und unterbrechen die Arbeit. Er hat nun endlich eine Schicht Felle von sich runtergezogen, wickelt sich den letzten Pelz und geht ihnen entgegen.
    Shaboz grinst ihn an. Als sie beide zu Kriegern wurden, war er in einer Gruppe mit Jaru. Ihre Oberarme ziert die gleiche flächige Tätowierung von einem Tier mit dickem Kopf und großen Reißzähnen. Das macht sie bei den Orks zu Brüdern.
    Der andere ist zurückhaltender.
    Kroar‘ck,“ nennt Jaru seinen Namen bei den Orks.
    Xhutuboc“. Normalerweise würden sie dabei einen Schnaps zusammen trinken.
    Jaru fühlt sich müde und sehr durstig.
    Was ist passiert? Gab es einen Sturm?“
    Nein. Sie haben uns hier rausgeworfen.“
    Was? Warum?“
    Der schwarze Schamane hat dich gut gelesen. Ärger gesehen, will er nicht. Sieht, dass du Schamane bist, stark im Herz, mutig. Dass Männer vielleicht folgen.“
    Shaboz hat recht, denkt Jaru.
    Was ist mit euch? Ich habe keine anderen Orks gesehen.“
    Wir haben gearbeitet, oben, auf dem Schiff.“
    Das konnte nur eins bedeuten: „Ihr wolltet mit ihm fahren?“
    Wir haben Treue geschworen ja. Er ist stark, kämpft gut. Navigator, Schamane wie du. Wir wollen die Welt sehen! Beute finden.“
    Und dann?“
    Wir wussten nichts von dir. Du hast geschlafen. Er kommt am Abend, sagt, du bist krank. Wir sollen helfen, dich an Land bringen, weil das Schiff wackelt und er sagt, es ist schlecht für deinen Kopf. Er will einen Zauber machen. Aber als wir dich hierher getragen haben, werfen sie uns unsere Sachen hinterher und fahren weg.“
    Wie lange ist das alles her? Seit der Schlacht?“
    Drei Tage auf der Feuerinsel, zwei auf dem Meer, hier seit gestern.“
    Fast eine Woche! Kein Wunder, dass er sich wackelig fühlt.
    Wisst ihr was von Tasso?“
    Dein Mutterbruder hat Frieden verhandelt mit anderen Paladinen, einem Teil von ihnen. Sie haben ihm ihr größtes Schiff gegeben, zum Pfand. Aber die Orks wollen nicht, sind gefahren. Nur nicht alle. Ombhau‘ hat vorher gefragt, wer weiterreisen möchte.“
    So so, weiterreisen, denkt Jaru.
    Tut mir leid, dass ich eure Weiterfahrt verhindert habe. Was habt ihr mit dem Treibholz vor?“
    Wir bauen ein Boot, Einbaum. Ist fast fertig, leider schlechtes Holz. Jetzt nur noch Ruder.“
    Ich helfe euch.“
    Nein. Du machst, dass dein Kopf heil wird. Wenn wir losfahren, brauchen wir, was du über Wind und Sterne weißt.“
    Und so schlappt Jaru unter seinem Fell wieder zu dem Lager, wo er erwacht ist. Er lehnt sich an den Felsen, packt sich wieder gut ein, denn der Wind ist eisig. Als er sich an den Felsen zurücklehnt, geht ihm sein Leben im letzten Jahr durch den Kopf: Gefangenschaft, eine Familie gefunden, die Küstenwache, Invasion, Freiheitskampf, Kriegerprüfung, Orkführer. Keine Pause. Und ihm fällt auf, dass ihm der Sturz so etwas wie den ersten freien Tag seit Monaten beschert hat. Sein Blick sucht wieder eine Möwe, und er gibt sich minutenlang ganz ihrem mühelosen Tanz in der Luft hin, ihrer entspannten, perfekten Kontrolle. Dieses Bild nimmt er mit hinüber in eine Meditation.
    Geändert von Ajanna (10.04.2021 um 22:50 Uhr)

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    Der Atem

    Jarus Atem fließt langsam durch seine Nase, zum Brustbein, in die Brust, tiefer, in den Bauch, hinten den Rücken entlang und dann bis unter die Schlüsselbeine. Er verharrt einen Moment unbeweglich und lässt die Luft dann wieder strömen, lässt sie los und damit auch seine Müdigkeit und Schmerzen. Er kostet einen Moment der Ruhe aus, der Bedürfnislosigkeit, und atmet dann wieder langsam ein. Dies wiederholt er, erst bewusst, dann übernimmt sein Körper selbst und er wandert mit seinem Gespür durch seine Glieder. Durch die kleinen Atembewegungen bewegen sich auch die anderen Gelenke, so leicht, wie ein Hauch, und Jaru merkt, wie sich kleine Veränderungen vollziehen, Lockerungen, Entspannungen und das eine oder andere leise Knacken. Er sitzt eine ganze Weile so, der Atem wird immer tiefer und langsamer.
    Jarus Bewusstsein wandert von seinem Mund – er wird gewahr, dass er sehr durstig ist – ins Genick, das steif ist, atmet dorthin, merkt, wie sich die Verspannung löst und wandert höher zu seiner Wunde. Über seinem linken Ohr ist ein langer Riss, er spürt, wie es dort juckt und wie dort der Verband gegen den Kopf drückt. Etwas ziept, wahrscheinlich sind Haare dort in dem Wickel festgeklebt. Er schluckt und macht einen Druckausgleich, und dabei merkt er, dass wahrscheinlich sogar der Knochen verletzt war, deshalb haben sie ihm so einen dicken Verband gemacht.
    Ombhau‘ muss sehr vorsichtig gewesen sein, als er ihn aus der Verschüttung gerettet hat, umso mehr, wenn das so kompliziert war, wie er gesagt hat. Er verdankt ihm sein Leben, und er hat das nicht gewürdigt, hat sich nicht bedankt. Jaru verweilt bei dem Gedanken, schickt seinen Dank mit seinem Atem auf die Reise, und freut sich plötzlich intensiv, dass er lebt, dass er sehen und atmen, gehen und hören kann und merkt, dass ihm plötzlich leichter ums Herz wird.


    Jaru ist ausgebildet, sich selbst und andere zu heilen. Ein Orkschamane hat ihn als seinen Schüler angenommen und ihm das Alte Wissen über den Atem, den Körper, die Kräuter und die Zauber weitergegeben. Bisher hat Jaru mit sehr einfachen Übungen angefangen, aber nun steigert er vorsichtig die Intensität und beginnt damit, leise vor sich hin zu brummen und die Schwingungen an die richtigen Orte zu schicken. Seine Atembewegungen werden wieder schneller, Schweiß tritt auf seine Stirn, und das übergeworfene Fell beginnt zu dampfen.
    Er merkt, dass ein Punkt hinter seiner Stirn zu leuchten beginnt und er steuert stetig die Meditation zu ihrem Ende. Am Ende sitzt er noch eine ganze Weile nur da, ruht sich aus und wartet, bis das Fell getrocknet ist.


    Dann denkt er an Gero und trauert. Das hat er bisher fortgeschoben, weil er nichts machen konnte, es war ja nicht möglich gewesen, an den Ort der Verschüttung zurückzukehren und nach ihm zu suchen. Wenn Ombhau dort Seile gespannt hat, müsste man auch in den Spalt absteigen können… zumindestens, wenn man gesund ist… müsste wenigstens nachschauen, ob man seinen Körper findet… An Gero als Toten kann Jaru noch immer nicht denken. Am liebsten würde er zur Vulkaninsel zurückfahren. Er sieht Gero vor sich, Gero, wie er grinst, wie sie im Wald nach seiner Flucht zusammen rennen, wie sie Beeren pflücken, Gero beim Baden, beim Klettern, beim Kämpfen, Gero, wie er an seiner Rüstung die Gurte festzieht, Gero auf See… es tut weh. Sein bester Freund – Jaru kann noch nicht fassen, dass er ihn nicht mehr sehen soll.
    Plötzlich fällt Jaru auf, was es bedeutet, dass ihm die Orks nichts zu trinken angeboten haben, als er aufgewacht ist: wahrscheinlich gibt es auf der Insel keine Quelle, und deshalb bauen sie auch so schnell das Boot und nicht zuerst eine Schutzhütte gegen den Regen. Er öffnet die Augen. Die Sonne steht schon ziemlich tief, in spätestens einer Stunde wird sie untergehen.
    Er schiebt die Felle von sich fort, und sieht sich um. Neben den beiden dicken Pelz- und Fellumhängen liegen auch die Helme und Waffen der beiden anderen in seiner Nähe. Und er hat sie ja gesehen, sie sind voll ausgerüstet mit Stiefeln, Lederhosen, Rüstungen, Gürteln mit Taschen, Amuletten und Schmuck.
    Bei ihm war Ombhau‘ nicht so großzügig. Er trägt nur ein grobes Hemd aus weichen Pflanzenfasern, eine abgewetzte Lederhose, Bundschuhe aus einem einzigen Lederstück, seine alte Weste aus Streifen vom Fell oder Leder verschiedener Tiere, ein orkisches Amulett und seine Feuerstein-Klinge im Gürtel. Er durchsucht die Taschen der Weste: da ist auch noch ein Funkeneisen, ein Magnetstab mit einem Loch, ein Stück weiße Farbe und ein paar Tiegelchen mit Salben und Fläschchen mit Heiltränken. Auf seiner Heimatinsel hätte Jaru nicht mehr gebraucht, aber hier fällt ihm schmerzhaft das Fehlen einer Wasserflasche auf.
    Er läuft zu den Orks an den Strand hinunter.
    Der Einbaum wird ziemlich klobig. Mit groben Hieben ihrer großen Schlachtäxte haben sie ihn ausgehöhlt, aber die Seitenwände sind dick. Jaru versteht sofort warum, als er ihn sieht: der Baumstamm, den sie gefunden haben, ist wohl schon eine Weile im Wasser gelegen und dann am Strand, das Holz ist fast weiß gebleicht, rissig und rauh. Wahrscheinlich wird sich der Stamm bald vollsaugen und weich werden, deshalb lassen die Orks die Wände relativ dick und schnitzen keinen spitzen Bug. Sich mit diesem Boot auf die See zu wagen, ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Sie werden etwas zum Schöpfen brauchen.
    Die Orks haben den Stamm zur Seite gedreht. Xhutuboc hat ein kleines Feuer angezündet, und streicht erwärmtes Erdpech – wo immer er das gefunden hat – auf die Unterseite und Seitwand. Shaboz schnitzt ein Paddel.
    Wasser?“ fragt Jaru. Sein Mund ist so trocken, dass er keine Lust hat, mehr zu reden. Shaboz schüttelt den Kopf, Xhutuboc zuckt mit den Schultern.
    Jaru geht zurück zu seinem Rastplatz und danach weiter einen felsigen Abhang hoch. Die trockenen Seiten der gelblichen Steine und Brocken leuchten weißlich vom Salz, die feuchten grün vor Algen. Er seht Krebse und essbare Muscheln. Aber er steigt weiter den Hang hinauf. Es geht ihm jetzt gut, er fühlt die Verletzung kaum noch.
    Nach ein paar hundert Schritt hat er schon einen kleinen Gipfel erreicht. Von dort kann er das winzige Eiland in Richtung Norden und Westen komplett überblicken: überall der gleiche steinige Strand, ein paar vorgelagerte Sandbänke. Direkt unterhalb seines Standortes wachsen ein paar große Aloe-Pflanzen und stachelige Sträucher mit gelben Beeren. Er isst ein paar Beeren und pflückt eines der saftigen Blätter der Aloe ab, lutscht das saftige hellgrüne Fruchtfleisch aus der harten Haut. Es ist ein bisschen schleimig und schmeckt leicht bitter, aber sein Durst ist gelindert. Er erntet noch ein paar Blätter und Beeren und bringt sie den Orks. Sie brummen beifällig, und machen eine kurze Pause.
    Zum Glück sieht es so aus, als gäbe es keine starke Brandung.“
    Ja. Haben wir schon gesehen. Aber leider keine Quelle. Noch nicht mal Eier von Seevögeln.“
    Von der Aloe gibt es noch mehr. Wir können davon mitnehmen.“
    Ist gut gegen Hunger und Durst, aber nicht für lange. Zu bitter auf Dauer. Auch nicht so gesund für Knochen.“
    Jaru nickt anerkennend. Er will auch ein Paddel schnitzen und durchsucht die Treibholzreste. Interessant, dass alles hier am Südstrand angeschwemmt wurde. Offenbar gibt eine Strömung im Meer, die das Holz hier ablädt. Wenn das dieselbe Strömung ist, wie vor der Feuerinsel, dann kann sie ihnen helfen, nach Hause zu paddeln. Dann können sie ihre Kräfte schonen und es schaffen, auch ohne viel zu trinken. „Hier, nimm meine Axt,“ sagt Shaboz. Sein Paddel hat nun schon die grobe Form und muss nur noch geglättet werden.
    Sie lassen das Pech auf dem Einbaum trocknen. Dann gehen sie zusammen noch mal über die Insel und sammeln alles Essbare in eins der Felle; Jaru findet einen bereits getrockneten Kürbis, den er vorsichtig am Stiel aufschneidet und die Kerne auf das Fell schüttelt. Jetzt haben sie ein Gefäß zum Schöpfen. Sie streichen noch die andere Seite ihres Bootes.
    Zuletzt zünden sie ein kleines Feuer an, in dessen Licht sie die Paddel fertig stellen. Gegen Mitternacht sind sie fertig. Sie legen sich alle nebeneinander unter die Felle und wärmen sich. Jaru ist das schon gewohnt von seiner Ausbildungszeit. Er schläft sofort ein.
    Geändert von Ajanna (25.04.2021 um 06:36 Uhr)

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    Die See

    Schon vier Stunden später, vor dem ersten Licht, schieben Jaru und seine beiden Orkfreunde den Einbaum ins Wasser. Er schwimmt, hat auch einen guten Schwerpunkt im Wasser, allerdings ist er mit den beiden voll eingerüsteten Kriegern, ihren Waffen und Pelzmänteln und dem Menschen fast schon überladen. An Bord haben sie etwa 40 große Aloeblätter, 20 gebratene Muscheln und mehrere Handvoll Beeren, letztere eher, um jeden Tag eine oder zwei zu essen, nicht als Proviant. Jaru richtet sich nach den Sternen und bestimmt vorerst einen Kurs nach Ostnordost. Ihre Heimatinsel liegt eher im Nordosten; er will jedoch erst in die Mitte des Meerstroms, der von der Vulkaninsel zu ihrer Heimatinsel fließt. Viele Schiffsbrüchige haben durch ihn bereits das Glück gehabt, die Südspitze zu erreichen. Kommen sie zu weit nach Westen ab, besteht die Gefahr, die Insel zu verpassen.
    Sie paddeln stetig, achten aber darauf, nicht zu schwitzen. Das kleine Eiland, von dem sie aufgebrochen sind, ist bereits vor Sonnenaufgang hinter dem Horizont verschwunden. Jaru sitzt vorne, wo der Einbaum am schmalsten ist. Er hat einen ungünstigen Winkel zum Wasser, deshalb hockt er sich mit einem erhobenen Knie an den rechten Rand. Er spürt wie Shaboz die Gewichtsverlagerung ausgleicht. Er fühlt Xhutubocs Blick in seinem Genick. Mit ihm ist er noch nicht richtig warmgeworden und er hat ein Gefühl, dass der große grauschwarze Kämpfer ihm nicht besonders wohl gesonnen ist.
    Das Wetter entschädigt sie für die eintönige Fortbewegungsart. Als die Sonne aufgeht, geschieht es in einer Explosion aus rotorangen Wolkenstreifen, die wie Flammen aussehen. Später tauchen dunkle dramatische Wolken auf verschiedenen Höhen auf und es regnet. Jaru und die Orks lecken die ledernen Mäntel ab. Dann saugt er an seinem nassen Schafsfell. Der Geschmack übertrifft an Ekelhaftigkeit alles, was Jaru je im Mund hatte, und er hat ein paar mal buchstäblich ins Gras gebissen – oder eher in Sand und Moorboden. Trotzdem weiß er, dass er das Wasser braucht. Jaru teilt jedem eine Beere aus.
    Ein großartiger, vollständiger doppelter Regenbogen tut sich vor ihnen auf. Später wird es windig, und sie paddeln nun stärker, weil ihnen kalt wird. So geht es den ganzen Tag. Als die ersten Sterne erscheinen, korrigiert er ihren Kurs etwas nach Norden. Keiner von ihnen schläft in dieser Nacht. Hin und wieder lutschen sie an einer Aloe. Das Boot liegt bereits etwas tiefer im Wasser. Zum Glück ist die See relativ ruhig, mit einer sanften Dünung ohne Schaum oder Brecher.
    Am nächsten Morgen sehen sie einen roten Schein am südöstlichen Horizont. Einen Moment erscheint ihnen das Schauspiel wie der Aufgang zweier Sonnen. Doch nur eine erhebt sich zu einer flach aussehenden Scheibe, die andere behält ihre Position und stumpfrote Farbe und verschwindet irgendwann im Meer. Das Meer ist nun warm und die Stärke der Strömung ist zu spüren, obwohl sie sich selbst mit ihr bewegen. Das erste Mal ruhen sie sich ein bisschen aus. Jaru schöpft eine Handhoch Wasser aus der Bilge. Die Seitenwände des Einbaums sind fast auf der Höhe der See. Nach einer kurzen Beratung schmeißen die beiden Orks ihre Rüstungen und einen der Fellmäntel ins Meer.
    Der Durst macht Jaru nun mehr zu schaffen. Er hat überall Muskelkater und sein Kopf schmerzt wieder stärker. Trotzdem taucht er weiter das Paddel ein und zieht es durch. Aber er wechselt öfter die Seite, und vor seinen Augen sieht er rosa und schmeißfliegengrüne Flecken. Als es dunkel wird und er wieder an den Sternen sieht, dass sie ihre Richtung gehalten haben, schöpft er nochmal, bis der Boden des Bootes fast trocken ist, und rollt sich dort zusammen. Sofort schläft er ein, aber er sieht Gero auf einem weißen Feld voller gespenstischer Blüten mit Untoten kämpfen, und die Blüten trinken sein Blut, sobald es zu Boden tropft. Das schlimmste ist, dass die beiden Untoten Kerr‘ontagh und T‘Bekhon sind, zwei von Jarus Freunden, die ebenso wie Shaboz die Kriegerprüfung mit ihm abgelegt haben. Wie gerädert wacht Jaru auf, und sein Blick trifft den unbewegten von Xhutuboc, der als einziger weiterpaddelt.
    Vom dritten Tag bleibt Jaru wenig Erinnerung. Er weiß, dass er Fieber hat und trinkt einen der Heiltränke. Aber von der Wirkung merkt er nichts, er wird nur unerträglich müde. Er trinkt noch einen, nun bleibt ihm nur noch einer. Einige Stunden paddelt er, aber er hebt den Blick kaum aus dem Boot. Von den Aloeblättern sind keine mehr übrig, von den Muscheln auch nicht, bis auf eine haben die Orks sie gegessen, Jaru hatte keinen Hunger.
    Als die Sonne untergeht, ist es diesig, es gibt keine Sterne zu sehen. Der Wind in ihrem Rücken bestärkt Jaru darin, dass sie wahrscheinlich noch auf Kurs sind. Es ist nun Shaboz, der als einziges das Paddel bewegt. Jaru traut sich, zu zaubern und eine Weile gleiten sie mit mit einer Bugwelle durch die Nacht. Am Morgen sieht er einen winzigen kleinen Buckel vor sich im Meer. Das Gefühl der Dankbarkeit, das ihn durchflutet, ist unbeschreiblich.

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    Das Muschelhorn

    Der vierte Tag, obwohl er so hoffnungsvoll beginnt, wird der härteste. Denn das Wetter wird rauer, und die Wellen werden spitz und hart. Der Einbaum verträgt das nicht mehr, er ist vollgesogen wie ein Schwamm. Einer muss nun immer schöpfen.
    Sie treiben mit der Strömung, und die Insel vor ihnen wird langsam größer. Jaru fühlt sich, als ob ihm Messer in den Kopf und in die Augen stechen. Alle drei stinken wie Raubtiere, und – so weit das Land auch noch entfernt ist – kleine Mücken finden sie, setzen sich in ihre Augen und stechen sie. Jaru ist schwindlig, einmal ertappt er sich, dass er fast einschläft und ihm das Paddel entgleitet. Im letzten Moment fischt Xhutuboc es aus der kabbeligen See. Er knurrt, als er es Jaru überreicht. Als der es greifen will, halb erhoben, trifft eine Welle das Boot und er geht fast über Bord. Shaboz hält ihn an der Weste fest und zieht ihn wieder nach unten. Jaru setzt sich hart, und eine zweite Welle klatscht einen Schwall Seewasser ins Boot. Die Orkhelme sind zum Schöpfen leider völlig unbrauchbar. Sie bestehen eher aus eisernen Bändern, die übereinander geschmiedet sind, und haben Spalte dazwischen. Fast jede Welle schwappt nun über die Bordwände. Die Orks entledigen sich ihrer Schilde, fast ihrer gesamten Kleidung, ihrer Helme und Armbrüste. Jaru schmeißt ohne Bedauern das fiese Schaffell über Bord. Sie schöpfen abwechselnd, aber es hilft nicht viel, es sieht so aus, als wolle der alte Stamm das immer noch zu ferne Eiland nicht erreichen, als habe er sich damit abgefunden, eine Heimat in der See zu finden.
    Und die ganze Zeit paddeln sie immer wieder, obwohl sich Jaru fühlt, als sei sein ganzer Rücken und sein Genick und beide Arme ein einziger wunder Knoten. Die Zeit scheint nicht zu vergehen. Die Sonne sticht, Jaru schmeckt Blut auf seinen aufgesprungenen Lippen. Er sieht jetzt schon die Brandung. Er hat Respekt vor ihr, einmal hat er einen Matrosen gesehen, der versucht hatte, sie zu durchschwimmen und der übel zugerichtet war. Spitze Felsen und Felsküste erwarten sie, mit nur sehr kleinen Buchten dazwischen.
    Plötzlich knackt der getrocknete Kürbis in seiner Hand. Ein Riss – Jaru muss nun sehr vorsichtig schöpfen. Er hört wie einer der Orks mit den zusammengelegten Händen das Wasser aus dem Einbaum wirft, er dreht sich kurz um. Es ist Xhutuboc und Jaru sieht Angst in seinen Augen. Er erinnert sich, was Gero erzählt hat: die Orks von Khorinis haben noch nicht mal ein Wort für das Schwimmen. „Wenn wir ins Wasser fallen – halte dich nicht an uns fest,“ sagt er und sieht Xhutuboc fest in die Augen. „Leg dich flach auf den Rücken, wir ziehen dich an Land, dafür müssen wir schwimmen können.“
    Xhutuboc zögert, dann nickt er. Aber sie sind immer noch zu weit vom festen Land entfernt. Die See trägt nun Schaumkronen, jede Welle bricht ein bisschen. Der Einbaum ist nicht mehr zu steuern, zu schwer. Sie haben die Paddel abgelegt, schöpfen und lassen sich treiben. Jarus Kopfverband ist nass geworden, und die Wunde brennt. Sein Hals brennt, seine Augen, die Hände sind wund und seine Knie auch. Die Möwen begleiten sie seit einiger Zeit, schreien sie an. Plötzlich erhebt sich Shaboz, in seiner Hand ein kleines Muschelhorn. Beim ersten Versuch muss er husten. Doch dann klagt ein wackeliger, rauer Ton über das Tosen der Brandung. Wieder und wieder bläst er - und sie werden gehört. Ein kleines Segel zeigt sich rechts von ihnen: ein Fischerboot. Nun ist eher die Frage, ob die Fischer sie erreichen, bevor sie in der Brandung kentern, denn dorthin kann der Fischer ihnen nicht folgen. Die drei paddeln nun wieder weg von der Insel, nach rechts, auf den Fischer zu. Jaru denkt bei jedem Atemzug, dass er nicht mehr kann, und trotzdem – sich aufrichten, das Pappel aus den Wellen gehoben, nach vorn, gesenkt und durchgezogen, bis er rote Wolken und die altbekannten rosa und grünen Flecken sieht.
    Plötzlich eine besonders hohe Welle – und der Einbaum ist plötzlich weg. Jaru, der gerade gedacht hat, dass er schon völlig durchnässt wäre, merkt, dass er jetzt wirklich im Wasser und ganz nass ist. Er lässt das Paddel los und sieht sich nach Xhutuboc um. Er und Shabaz halten ihn über Wasser, aber sie sehen nun den Fischer nicht mehr, auch die Insel nicht, nur noch aufgewühltes schaumiges Wasser und Seetang.
    Das scheint eine Ewigkeit so zu gehen, Jaru hat jegliches Zeitgefühl verloren. Er fühlt sich schrecklich müde, er träumt fast, dass er aufwachte, wenn er es nur schaffen könnte, nicht mehr zu schwimmen, der Gedanke ist verlockend.
    Dann schrappt ihm mit einem Mal ein eiserner Haken über den Rücken, verfängt sich in dem groben Hemd, und er fühlt, wie er gezogen wird. Er versucht, Xhutuboc festzuhalten. Rufe, Bewegung, jetzt ist der große Ork über ihm, und zieht ihn mit einem einzigen Schwung aus dem Wasser. Und Jaru findet sich auf Planken, es riecht nach Fisch und Erdpech, und die Fischer setzen alle Segel und kreuzen wieder in ruhigeres Wasser.
    Er erinnert sich noch, dass er getrunken hat, und dass er versucht hat, das langsam zu tun. Jemand hat ihm ein Stück Melone gegeben, und etwas Joghurt und Brot in einem kleinen Schüsselchen. Ein lächelnder Alter mit grauem Haar über dem dunklen Gesicht, der auf eine schmale Koje weist. Der Geruch der bunten Wolldecke, der ihn in der Nase kitzelt. Nun nichts mehr, nur Atem und Ruhe und Trockenheit.
    Geändert von Ajanna (25.04.2021 um 06:47 Uhr)

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    Der Fang

    Als Jaru erwacht, hört er laute Rufe und rennende Schritte an Deck. Er horcht, aber es ist wohl die normale Arbeitshektik während eines Fangs. Er hört die Stimme von Shaboz, der: „Nimm den großen Haken, Morra,“ brüllt. Jaru lächelt. Shaboz ist Fischer mit Leib und Leben, er ist schon auf Wal rausgefahren und hat Haie gejagt, bevor er Krieger wurde. Jaru beschließt, den Tag etwas langsamer anzugehen. Er sieht sich in der Kajüte um. An der Wand hängt ein Spiegel in einem Bastgeflecht, dort betrachtet er seine Kopfwunde, wobei er nicht viel sieht, weil sie hinter dem Ohr ist. Alles dort ist sehr verkrustet, auch mit Haaren, aber trocken. Er fühlt sich ausgeruht und sehr lebendig. Auf einem Klapptisch mit einem dicken Rand haben sie ihm einen Teller mit Essen hingestellt: Hirsegrütze mit Fischstückchen und einem gebratenen dunkelgrünen Gemüse. Es riecht lecker nach Zwiebeln, eine Zitronenscheibe liegt am Rand. Und dazu einen Krug mit Wasser, gemischt mit etwas Wein, hellgelb und bitzelnd von der leichten Säure. Das ist ein Frühstück nach den letzten drei Tagen! Er lässt sich Zeit beim Essen, schmeckt und genießt. Der Alkohol geht ihm sofort ins Blut.
    Dann steigt er durch einen engen dunklen Gang und eine steile Treppe an Deck. Sie sind in einer bewegten, aber nicht mehr aufgewühlten See mitten in einem Fischschwarm, der von größeren Fischen gejagt wird. Ein Teil der Fischer an Deck und Xhutuboc versuchen, ein Netz einzuholen, andere, darunter Shaboz, jagen die großen Fische mit Haken und Harpunen. Jaru sieht eine Harpune an der Außenwand des Aufbaus hängen und beteiligt sich. Er sieht nicht danach aus, schmal und mittelgroß, wie er ist, aber er ist einer der zielgenauesten Speerwerfer der Orks.
    Ein paar Stunden später sind sie alle über und über mit Fischblut und Schleim bedeckt, erschöpft, die Stimmen rau vom Schreien. Aber der Fang ist auch großartig, alle Körbe, Wannen und Fässer an Bord sind gefüllt, und an einem Gestell hängen an Haken und in Bastnetzen mehr als ein Dutzend der großen Jäger-Fische, die meisten fast so lang wie ein Mann oder länger und doppelt so schwer. Jaru sieht ihre blaugrau schimmernde Haut, ihre scharfen Nadelzähne und einen rötlichen Streifen vor den Kiemen.
    Einen Teil der kleineren Fische haben sie ausgenommen und mit Salz eingerieben in Fässer gestapelt. Das Salz brennt in ihren Hautkratzern und Abschürfungen, und als es dunkel wird, machen sie Pause, waschen und verarzten sich und sind immer noch ganz aufgekratzt von der erfolgreichen Jagd.
    Xhutuboc ist schweigsam. Man merkt ihm an, dass ihm die Menschen fremd sind. Obwohl auch er seine Körperkraft eingesetzt und mit den Netzen geholfen hat, halten die Fischer von ihm Abstand und er vor ihnen. Es sind elf Männer an Bord, alle dunkel. Der ältere mit den grauen Haaren, der Jaru am Abend vorher in die Kajüte gebracht hat, ist nicht ihr Kapitän. Das ist ein großer, sehr starker Mann, Arohep, von dem Jaru schon mal gehört hat. Er hat den Ruf, der beste Harpunier an der Südküste zu sein.
    Sie bereiten an Deck ein Sandbett und eine große Eisenschale mit einem Holzkohlefeuer vor. Später gehen sie in die Kajüte, bis auf eine Wache neben der Schale und Einem am Ruder, sie wollen die Brandung erst im Morgengrauen durchfahren.
    Der Alte verarztet Jarus Kopf mit einem stark duftenden, kühlenden Öl, unter dem sich die alten Verkrustungen lösen, und verbindet ihn locker mit einem Verband. Er besteht aus dünnem Stoff und dem gleichen Netz, mit dem sie auch manche von den Fischen an das Gestell gehängt haben, ist aber sauber und riecht nach Pflanzenfasern. Am Morgen wird sich darunter schon die neue Haut gebildet haben.
    Aber nun feiern sie erst mal, grillen über der eisernen Schale an Deck die kleinsten Fische, die ganz gegessen werden, und anscheinend irgendwie glücklich machen. Die Fischer singen, und Jaru und Shaboz diskutieren mit Arohep über die Vor- und Nachteile von verschiedenen Harpunenformen. Jaru merkt, dass er viel weniger davon versteht als die beiden anderen. Aber er redet und fragt, und lacht und trinkt, und freut sich einfach, gesund und am Leben zu sein. Ein Teil von ihm wundert sich, was eigentlich mit Gero ist und mit den anderen aus seinem früheren Leben, und als die Fischer nach und nach schlafen gehen, bleibt er alleine an der Glutschale zurück und lässt seine Gedanken wandern. Die See ist nun ruhig, fast friedlich, die Nacht ist bewölkt. Der Wind kommt vom Land und bringt einen Geruch von Kräutern und Staub mit. Wieder und wieder erinnert sich Jaru an den Moment, als er, Gero, Kerr‘ontagh, T‘Bekhon, Nergali und Ganjouk den Boden unter den Füssen verloren haben. Sie sind ein kleiner Stoßtrupp gewesen, mit einer geheimen Mission, sie haben sich abseits des Schlachtgeschehens auf kleinen Pfaden vorgetastet mit dem Plan, im feindlichen Lager Männer zu befreien. Jaru hat einen Teil des Wegs schon vorher in einem seiner Träume gesehen, und er erinnert sich, wie er erschrocken ist, als er den Ort erkennt, auch die unheimliche Quelle mit dem seltsamen Steinfriess. Gero hat die Beherrschung verloren, ist schreiend losgerannt, und dann sind ihre ganzen Pläne in Grauen zersplittert, als sie sich plötzlich mitten in der Schlacht wiedergefunden haben, und es ist eine der schlimmsten gewesen, die man sich vorstellen kann, Menschen eines Glaubens, Orks und Drachen auf beiden Seiten. Und alles in dieser falschen gelblich-roten Dämmerung, diesem unwirklichen Licht, da wackelt dann der Boden, den man sowieso wie unscharf wahrgenommen hatte, die groben porösen Bimsstein-Bröckchen, die vorher schon wenig Halt geboten haben, kommen auf eine fast gemächliche Weise ins Gleiten, die man erst nicht wahrnimmt, nicht wahrhaben will, und dann… Jaru erinnert sich nur noch daran, dass Geros glänzende Rüstung vor ihm in den Steinen und Staub versinkt… er hört ein schreckliches Gebrüll... Kerr‘ontagh… was noch? Jaru meditiert, versucht tiefer in den Moment einzudringen, näher an die Schwelle seiner Bewusstlosigkeit heranzugehen – und dann lässt er alles los, lässt sich treiben, sieht Wirbel aus braunrotem Staub, plötzlich fahl schimmernde Knochen, ein Skelett, ein Orkskelett ... – was ist das? Aber im Moment, als er seinen Geist fokussiert, ist alles wieder weg und er findet sich an Bord des Fischseglers wieder.
    Er fühlt es, er muss auf die andere Insel zurück, die Vulkaninsel, die düstere. Es wird ihm keine Ruhe lassen, er will wissen, was mit Gero und den vier anderen passiert ist. Dazu muss er zuerst eine Methode finden, um dorthin zu gelangen, denn nicht viele Schiffe können gegen die starke Meeresströmung ansegeln, die sie von dort hergetragen hat. Die Alca kann es, mit ihr ist es möglich, hart am Wind kreuzen, sie kann schnell genug immer wieder wenden, aber die Alca ist gefallen, außer Reichweite. Die Orkgaleeren rudern leicht gegen den Strom, mit doppelter Mannschaft an den Rudern, aber den Orks war die Insel immer unheimlich, und nach den letzten Geschehnissen dort wird ihre Furcht eher gewachsen sein.
    Jaru geht unter Deck, sucht sich eine Decke und rollt sich in einer Ecke der Kajüte zusammen. Er muss auch Marlan treffen, Geros Freundin… das wird nicht einfach werden. Und da er zuletzt unter dem Kommando Tassos und seiner Seeplaladine stand, muss er sich bei ihnen schnellstmöglich melden – abmelden – falls sie ihn gehen lassen – und er weiß nicht, wo sie sich gerade befinden. Aber vor allem ist er ja ein Orkschamane und als solcher verantwortlich, bei der Heilung seiner Leute mitzuarbeiten, und sie werden ihn brauchen nach der Gefangenschaft und dem Krieg.
    Er erwacht früh und geht an Deck, beobachtet die Fischer beim Durchqueren der Brandung. Es sieht leicht aus, aber er vermutet, dass man viel Erfahrung braucht, um zwischen den Felsen, in denen auch manchmal der Wind plötzlich dreht, eine sichere Passage zu finden. Xhutuboc taucht mit einem Mal neben Jaru auf, mit einem Satz auf einen nahen Felsen ist er von der See fort, und von dort springt er weiter über andere Steine, dreht sich um. Shaboz folgt ihm. Jaru sieht, wie sie über die vorgelagerten Riffe hüpfend die felsige Küste erreichen. Xhutuboc schwenkt seine große Axt und brüllt. Jaru ertappt sich dabei, wie er erleichtert ist, dass sie nicht mit ins Fischerdorf kommen, auch wenn die beiden ihm das Leben gerettet haben.
    Als das Boot anlegt, laufen alle Dorfbewohner an die Mole, es gibt ein lautes Geschrei und Gehandel, und die Fischer verkaufen einen Teil der Fische direkt vom Boot weg. Die Fässer und größten Fische werden wie in einer Prozession über den Marktplatz getragen. Jaru bedankt sich bei den Fischern für die Rettung, aber die wollen ihn sogar noch für die Mithilfe beim Fischfang bezahlen. Er lehnt freundlich ab, akzeptiert nur ein paar Stücke Räucherfisch und eine Weinflasche als Proviant. Dafür gibt er dem Alten seinen letzten Heiltrank. Sie schütteln sich die Hände, und Jaru weiß, dass er neue Freunde gefunden hat. Er fragt sich, ob sie verstanden haben, dass er zu den Orks gehört, und ob sie die beiden großen Orkkrieger genauso herzlich verabschiedet hätten. Aber es ist gerade nicht wichtig, und er fällt in einem langsamen Trab, seine liebste Fortbewegungsart, läuft durch die ruhigeren hinteren Straßen des Ortes und durch die schmalen Pfade der Felsküste auf den Orkwald zu, der oben auf den Klippen beginnt. Dort erwarten ihn seine beiden Orkbegleiter, was ihn ein bisschen wundert, und er hat auch eigentlich vorgehabt, zuerst Marlan im Kloster über der Südklippe zu treffen oder in die Stadt zur Königin zu gehen.
    Doch die beiden nehmen ihn ohne ein Wort in die Mitte, und ihre Richtung und damit auch ihr Ziel ist eindeutig: das große befestigte Orkdorf an der Ostküste, wo man von den auf Stelzen und auf Felsen stehenden Hütten über eine schattige Orkwaldsenke blicken kann. Dort ist Jaru ausgebildet worden, und dort wohnt sein Lehrer Krump‘tiaktl. Aber jetzt, während sie laufen, achtet er verstärkt auf seine beiden Begleiter und was ihm ihr Verhalten im gegenüber zeigt.
    Schaboz hat er schon kommandiert, als sie beide im selben Trupp und in der Ausbildung zum Krieger waren. Es sind Jarus Wille und seine Intelligenz, die ihn damals zum Führer gemacht haben, und seine energische und kreative Art, immer einen Weg zu finden. Auch seine Rangkämpfe hat er so gewonnen, mit Schnelligkeit und List, ohne je aufzugeben. Die Orks akzeptieren das. Und seit er Schamane geworden ist, bedeutet das: für die Orks ist er eine Respektsperson. Trotzdem fragen sie ihn nicht nach dem Weg oder der Richtung, so wie auf dem Meer.
    Jaru hat eine Zeitlang fünf Orkgaleeren befehligt, aber nun nehmen sie ihn in die Mitte und bringen ihn heim wie ein Kind zur Mutter. Wie kommt das? Nur wegen seiner Verletzung? Er beschließt, ihnen ein bisschen Respekt einzuflößen. Als sie von einigen Echsen angegriffen werden, die in diesem Teil des Orkwalds wohnen, trifft er eine von ihnen mit einem seiner Blitze, bevor die anderen überhaupt die Äxte heben können. Das Biest stoppt mitten im Lauf, reißt das gezähnte Maul auf, schnappt dann nach Luft und fällt platt auf den Bauch. Und die zweite erledigt Jaru nur mit seiner Feuersteinklinge, indem er unter den erhobenen Krallen seitlich neben sie springt, sie anrempelt, und ihr von hinten den Hals durchschneidet.
    Xhutuboc hält nun deutlich mehr Abstand zu Jaru, und meidet seinen Blick. Aber daran, dass sie ihn einfach, ohne zu fragen, zum Orkdorf bringen, ändert sich nichts. Als er an einem kleinen Bach anhält, nicht nur, um zu trinken, sondern auch, um eine paar Pflanzen zu pflücken, warten sie, wenn auch erstaunlich ungeduldig für Orks, bei denen Ungeduld als sehr unhöflich gilt.


    Gegen Abend taucht das Dorf vor ihnen auf. Sie laufen darauf zu, und Jaru wird wider Erwarten ganz eng im Hals. Auch wenn die Ausbildung sehr hart gewesen ist, und er, wenn ihm nachts alles wehgetan hat, sich manchmal sehr einsam und unzureichend vorgekommen ist, erinnert er sich auch an viel Lachen und an eine Kameradschaft, die er unter den Menschen nur mit Gero kennt. Und Gero… Gero ist… ist sein… komischerweise erinnert ihn das Orkdorf auch an Gero, weil er hier nachts oft an ihn gedacht hat, und was er wohl gerade tut, bei seinen Aufträgen, die ihn über die ganze Insel geführt haben.
    Der Wachposten hat sie nun gesehen, und er schlägt auf eine große Trommel, die über dem Tor aufgehängt ist. Dreimal schnell hintereinander, das ist für Freund, und dann noch mal dreimal lang hallend, das ist für Schamane. Komischerweise bleiben die anderen beiden nun stehen.
    Was ist?“ fragt Jaru. „Es wird bestimmt eine Feier geben. Wollt ihr nicht den Rest des stinkigen Meerwassers aus euch rausspülen?“
    Sie stehen vor ihm, zögern.
    Ohne euch wäre ich nicht zurückgekehrt. Wir haben zusammen Unglaubliches geschafft da draußen mit diesem morschen alten Baumstamm. Das sollten wir so feiern, dass wir uns für immer dran erinnern.“
    Wir erinnern uns.“ sagt Shaboz leise.
    Jaru stutzt. Er spürt plötzlich, dass sie sich innerlich von ihm abschotten, Xhutuboc sieht zur Seite und Shaboz kann seinen Blick nicht erwidern.
    Jaru versucht, in ihre Augen zu schauen. „Es tut mir leid, wenn ich euch die Reise in die Welt und die Beute verdorben habe.“
    Der Satz vergrößert ihre Verlegenheit noch.
    Und Jaru begreift plötzlich, dass die Reise und Beute für die beiden noch lange nicht verloren sind. Ombhau‘ ist nicht nach Westen gesegelt, wie er ihm gesagt hat. Er war die ganze Zeit da draußen, hätte sie vielleicht sogar gerettet, falls der Einbaum nicht gehalten hätte. Er wird heute Land anlaufen, und Shaboz und Xhutuboc werden mit an Bord gehen – an einem geheimen Ort, fern von den Paladinen. Ihre ganze große Paddeltour war ihr Auftrag, ihn sicher heimzubringen. Und nun, da ihn die Orks des Dorfes gesehen haben, werden sie mit ihm feiern wollen und er kommt hier erst mal nicht weg. Er ist sprachlos, starrt Shaboz an, der nun verlegen lächelt.
    Du bist klug, Morra. Schade, dass du nicht mitkommst.“
    Nenn mich nochmal Morra, und ich muss dich hauen.“
    Jetzt lachen sie beide. Shaboz und Jaru umarmen sich. Dann ist Jaru umringt von den anderen Orks, die ihn auf ihre Schultern heben und ins Dorf tragen. Er schaut noch mal zurück, aber die beiden Piraten sind fort. Was ein merkwürdiges Gefühl, eine Leibgarde gehabt und es nicht bemerkt zu haben. Und was sagt das über Ombhau‘, der eine ganze Weile an ihrer Seite gekämpft hat? Der Wind trage dich auf deinem Schiff, wohin du willst, die Nacht verberge dein Segel, deine Mannschaft sei treu und siegreich – außer gegen uns, denkt Jaru. Und dann feiert er.
    Geändert von Ajanna (24.04.2021 um 16:01 Uhr)

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    Der Schmied

    Die hölzerne Reede der kleinen Handelsinsel ist normalerweise ein geschäftiger, aufgeräumter, für eine Reede ziemlich sauberer, mit zierlichen Schnitzereien verzierter und sehr ehrenwerter Handelsplatz. Die Ladekräne sind gut geölt, die Scheiben der kleinen Buden geputzt, das Essen im Umkreis frisch und schmackhaft und die Preise nur mäßig überhöht.
    Es heißt, sogar in den Vergnügungslokalitäten bekäme man nichts, was nicht vorher gründlich gewaschen worden sei, es sei denn, das Nicht-Waschen sei Teil einer geschäftlichen Vereinbarung.
    Seit das große Kriegsschiff dort angelegt hat, ist allerdings der Standard ein bisschen gesunken, und eine Reihe einheimischer Handelshäuser haben deshalb ihre Buden geschlossen und verkaufen nur noch von Ihren Lagerhäusern aus an ihre Stammkunden, wobei gewisse spöttische und mutmaßlich gut informierte Kreise munkeln, das läge vor allem daran, dass sie nichts mehr anzubieten hätten, was die Seepaladine interessieren könnte.
    Nicht so die O-Hotoshi-Boshi. Ihr Zeichen, ein Siegel mit drei kleinen Schweinchen, die im Kreis einer Elster hinterherjagen, ein Glückssymbol, wie manche meinen – jedenfalls die, welche Reichtum für einen wichtigen Teil des Glücks erachten – ihr Zeichen sieht man auf allen Säcken, Kisten, Kannen, Körben und Krügen, die an Bord der Adamanta geladen werden. Zu besseren Zeiten hätte es dies wohl nicht gegeben – die O-Hotoshi-Boshi stehen im Ruf, auch mit Piraten zu handeln – aber die Zeiten sind gerade nicht besser und Lebensmittel und Rohstoffe knapp. Die Seepaladine werden bevorzugt bedient, denn sie zahlen mit Schwefel in exzellenter Qualität, und Schwefel ist nun mal in unsicheren Zeiten eine harte Währung.


    Nahe dem Steuerruder des riesigen Kriegsschiffes, das alle Häuser im Seeviertel überragt, stehen zwei Männer, beide voll gerüstet: Der Kapitän und sein erster Offizier. Der Kapitän ist ein muskulöser Mann in den besten Jahren, gut aussehend, wäre da nicht dieser unzufriedene Zug um den Mund. Er läuft unruhig hin und her, dabei bewegt er sich geschmeidig und trotz der Rüstung fast lautlos. Der andere ist älter, fast schon zu alt für einen Seepaladin im aktiven Dienst. Er hat den Helm abgenommen und man sieht sein kurz geschnittenes, dichtes weißes Haar.
    Vor ihnen sitzt auf einem kleinen Lackstuhl ein schlanker Mann in nüchtern grauem Tuch. Nur seine goldenen, mit Smaragden besetzten Ohrringe und sein langes, in einem Knoten hochgebundenes Haar zeigen seinen Status. Es ist Oschan O-Hotoshi-Boshi selbst, der Chef des Clans. Sein Diener, der den Lackstuhl gebracht hat, ist nach einer Verbeugung wieder von Bord gegangen.
    Ich freue mich immer, wenn die ehrenwerten Geschäfte zur Zufriedenheit meiner Kunden verlaufen,“ sagt Oschan O-Hotoshi-Boshi eben mit leiser kultivierter Stimme. „Die Waren werden in drei Stunden fertig verladen sein. Da ihr bereits abgelehnt habt, den für uns alle erfolgreichen Abschluss in meinem Gästehaus mit mir zu feiern, möchte ich euch ein kleines Geschenk anbieten.“ Er macht eine kleine Pause, in der seine Augen beide Männer kurz in den Blick nehmen. „Dies ist ein Beweis meines besonderen Vertrauens.“
    Die Männer schweigen. Niemand mit seinen Sinnen beisammen unterbricht Oschan O-Hotoshi-Boshi nach solch einer Einleitung.
    Ihr müsst verstehen, dass die kleineren Handelshäuser nicht immer über unsere Erfahrung verfügen. Sie machen Fehler, sie vertrauen den falschen Leuten, sie kaufen Waren… die nicht auf den Markt gehören. Auch deshalb haben die O-Hotoshi-Boshi ihnen vor kurzem angeboten, sie mit Rat und klugen Weisungen zu unterstützen. Aus einem dieser kleinen Häuser – bitte vergebt mir, wenn ich den Namen nicht nenne, der Betreffende ist bereits bestraft worden – erreichte mich unlängst ein verwerfliches Angebot. Ihnen wurde einer eurer Leute angeboten, für eine nicht unerhebliche Summe, was sich wohl auch daraus erklärt, dass der Mann, um den es geht, ein gut ausgebildeter und geschickter Handwerker ist, stark dazu und kaum durch die unfreiwillige Übernahme beschädigt.“
    Der Kapitän des Kriegsseglers ist abrupt stehen geblieben, auf seiner Stirn und am Hals schwellen Adern. „Wir wissen, dass euch stets das Wohl von unschuldig in Schwierigkeiten Geratenen am Herzen liegt,“ sagt der weißhaarige Alte schnell.
    Ich danke euch. Dies ist eine auch für mich unangenehme Situation, der wir am besten mit gegenseitigem Respekt begegnen. Seht, ich habe die Summe, ich sagte bereits, dass sie nicht eben klein war, aufgrund meiner bevorzugten Stellung erheblich herunterhandeln können, und ich bin mir sicher, dies in eurem geschätzten Sinne zu tun, denn leider konnten meine Männer trotz energischer Befragung der Schuldigen den Aufenthaltsort des Schmiedes nicht ausfindig machen.
    Es handelt sich wohl nur um Mittelsmänner, die wir in unserem Kerker haben.“
    Alle drei Männer schweigen. Je früher die beiden Paladine etwas sagen, desto höher wird der Preis sein, dass ist sogar Tasso klar.
    Er runzelt die Stirn, blickt über die kleine Stadt, kratzt sich am Kinn, knibbelt ein bisschen an seinen Fingernägeln, sieht einem Kormoran hinterher… zuckt die Achseln, sieht ratlos zu Ingmar rüber. „Vermissen wir einen Schmied?“
    Vielleicht gehört er zu den Paladinen vom Festland, du wirst gehört haben, dass wir nicht gerade kooperieren.“
    Bis auf das ihr gerade eins ihrer Schiffe segelt, das Flaggschiff, wenn ich mich nicht irre. Bis vor kurzem die Adamanta, gebaut vor Vengard vor etwa zehn Jahren. Aber natürlich kann man auch Schiffe kaufen und verkaufen. Es ist alles eine Frage des Preises, nicht wahr?“
    Die beiden Seepaladine schweigen. Die Möwen schreien, aber auf dem Schiff scheint die Zeit langsam zu vergehen.
    Was haben diese hart bestraften Mittelsmänner über den Schmied und den Preis gesagt?“ fragt Tasso schließlich. Wenn es wirklich Jörg ist, wird er ihn nicht im Stich lassen. Sie haben Blut an der Stelle gefunden, wo die Alca angelegt hatte, und einige tote Männer, die keine Paladine waren und die sie nicht kannten.
    Sie wollen gar kein Gold, kein Erz, keinen Schwefel. Sie sind dumm. Sie wollen bloß ein paar wertlose Steine.“
    Was für Steine?“
    Es gab sie mal in der Südfeste eurer Heimatinsel. Ihr müsst mit den Magierinnen dort sprechen. Oder mit eurem Neffen, er besitzt auch einen dieser Steine.“
    Mit… Jaru? Jaru lebt?“
    Ich sehe schon, es gibt viele Neuigkeiten, die euch zuhause erwarten. Ich möchte euch nicht aufhalten, die Familie ist so wichtig, und ich denke, dass ihr viel zu besprechen habt. Drei solcher Steine, und euer Schmied kehrt zu euch zurück… So wie Jaru.“
    Er steht auf, wirft seinen Schemel über Bord. Dann geht er hoch erhoben Hauptes die Stufen zum Deck hinunter, gleitend, lächelnd, aber ein bisschen schwitzend im Nacken.
    Tasso krallt die Hände in die Bordwand. „Eines Tages werde ich ihn...“
    Eines Tages,“ antwortet Ingmar.
    Geändert von Ajanna (25.04.2021 um 13:13 Uhr)

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    Die Mütze

    Hatte er nicht was von einem Geschenk erzählt?“ Es ist Abend, das große Schiff hat die Reede von Kamorala verlassen und ihr Bug zeigt nun wieder Richtung Nordosten, wo dunkle Wolken die Nacht vorzeitig erscheinen lassen. Tasso sitzt in seiner Kapitänskajüte, legt Stück für Stück die Rüstung ab, und er und Ingmar trinken ein Glas bernsteinfarbenen Dessertwein zusammen.
    Mhmm… tatsächlich, ja.“
    Es war verdammt klug von ihm, das Thema nicht anzuschneiden, solange die Schwefelfässer noch hier verstaut waren. Ich wäre zum Festland weitergefahren, ehe ich sie ausgerechnet ihm verkauft hätte.“
    Äh… sicher. Vielleicht sollten wir das in Zukunft tun. ‚Für uns alle erfolgreicher Abschluss‘ heißt wahrscheinlich auch, dass wir zu viel für unsere Waren bezahlt haben.“
    Hast du eine Vorstellung, was er für Steine meinen könnte?“
    Aus der Südfeste? Nein, ich dachte, da gibt es vor allem Perlen.“
    Wer weiß, was die Frauen da gefunden haben...“
    Jedenfalls haben sie es nicht an die große Glocke gehängt.“
    Nein. Sicher nichts Wertloses, was immer er gesagt hat. ‚Wir wissen, dass euch stets das Wohl von unschuldig in Schwierigkeiten Geratenen am Herzen liegt,‘ ich habe dich selten so mühelos lügen hören.“
    Die Weisheit des Alters lehrt uns Gelassenheit.“
    Ich weiß nicht, ob ich je so alt werde… Jaru soll ja auch so ein Ding haben...“
    Hmm.“
    Jaru! Den habe ich jetzt zum zweiten Mal im Stich gelassen. Für den Kerl, der mir erzählt hat, dass er verschüttet wurde, werde ich mir morgen eine spezielle Aufgabe ausdenken. Eine, bei der Kopfweh oder Muskelkater garantiert ist – am besten beides.“
    Es gibt bestimmt eine Erklärung dafür.“
    Ich weiß nicht, ob ich sie hören will.“
    Vielleicht hätte man länger auf der Insel nach Überlebenden suchen können.“
    Du hast Recht. Ich wollte die Alca einholen… aber wer weiß, ob sie wirklich vor uns weg war. Vielleicht hat auch der Zeuge ihres Aufbruchs gelogen… der ist ja auch sofort verschwunden, kaum dass wir Kamorala erreicht hatten… Wie hieß der: Bushi?“
    Boshi.“
    So wie O-Hotoshi-Boshi?“
    Es heißt einfach ‚Mütze.‘“
    Oschan O-Hotoshi-boshi heißt ‚Mützen-Hotoshi‘?“
    Sie heißen so, weil sie als erste in den Norden zum Handeln gefahren sind und ihre Bambus-Hüte gegen Mützen getauscht haben.“
    Dann ist es vielleicht kein Name, sondern eine Zugehörigkeit?“
    Das wissen wir nicht. Boshi hatte jedenfalls eine Mütze auf.“
    Pass auf, das wird der nächste Spleen hier an Bord. Die Männer werden alle diese Mützen haben wollen. Sie werden darum spielen, darum streiten, darum kämpfen, darum die Wachen und diese speziellen Bildchen tauschen...“
    Ich denke, ich werde morgen eine Übung ansetzen. Was hältst du von: ‚Vorbereitung einer Verteidigung gegen einen Angriff mit Brand- und Spitterbomben‘?“
    Die Ladung umschichten. Alles in Glas nach unten und innen. Sandsäcke- und Wassereimer-Schleppen. Kein Munitionsverbrauch. Muskelkater. Perfekt.“

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    Der Streit

    Jarus Befürchtungen erweisen sich als wahr – die Orks überlassen ihn nicht so einfach seinen persönlichen Plänen. Das große Bündnis zur Befreiung der Insel, vor kurzem siegreich, hat die Sonnenkrieger der Hauptstadt an der Westküste, die Bauern im Inland, die Minenarbeiter an der Grenze zum Orkwald, die dunklen Fischer im Süden, die Jäger im Norden, die scheuen Waldbewohner im Nordosten und die Orks an der Ostküste einander näher gebracht. Gemeinsam haben sie die Fremden vertrieben, sich zum Teil das erste Mal zu Verhandlungen getroffen und Allianzen und Handelsabkommen geschlossen.

    Doch der Friede bröckelt. Es sind keine großen Konflikte, keine Gefahr, kein Hass, sondern tägliche kleine Spannungen, Streitereien, Unfälle und einzelne Hahnenkämpfe, die das freundliche Miteinander und das Vertrauen der Menschen zueinander untergraben. Und Jaru wird gebraucht: als Arzt, als Seelsorger, als Spurenleser, als Mittler zwischen zwei Kulturen.
    Ein Unfall in der Mine, die er geerbt hat, entfremdet die Arbeiter den Wachen. Ein Händler hat Wachen in der Nordfeste und Orkwachen der Schwefelmine dieselbe Ladung Getreide und Wildbret verkauft. Ein fremder Jäger überfällt Frauen von Cor-dal-Pesch in ihren Waldgärten.
    Eine merkwürdige Krankheit, manche sagen, ein Giftmischer, sucht die Westküste heim. Ein sehr altes Gasthaus dort ist eines Nachts abgebrannt – Brandstiftung – aber niemand hat etwas gesehen, die Wirtsleute hatten keine Feinde. Nun liegen sie in einem gemeinsamen Grab, bedeckt mit den Steinen ihres Hauses, und um sie herum verrotten die schwarzen Balken ihres Anbaus, in dem früher Hochzeiten und andere Feste gefeiert wurden. Jarus Mutter hat dort geheiratet, aber auch ihr hat das Gasthaus kein Glück gebracht.
    Und die Orks beschäftigt immer noch ein alter ungesühnter Mord an zwei Schiffswachen und das Leid ihrer eigenen Leute, von denen einige nach der vergangenen Fronarbeit in den Bergwerken nicht in ein neues Leben finden können. Dazu kommt die schlechte Versorgungslage. Auch wenn niemand verhungert, ist doch kaum jemand satt, alle sind gereizt, viele werden krank. Wassereinbrüche in der Schwefelmine verärgern die Seepaladine, die unvorteilhafte Verträge mit überseeischen Händlern eingegangen sind, um die dringend benötigten Vorräte importieren zu können. Die Nerven der Menschen und Orks liegen blank.
    Jaru reist kreuz und quer über die Insel, ermittelt und heilt, vermittelt und verarztet, und dabei isst und schläft er zu wenig, träumt schlecht und quält sich mit Kopfschmerzen. Gero fehlt ihm, der ebenfalls zwischen Menschen und Orks vermitteln könnte, aber Jaru vermisst ihn nicht nur deswegen.
    Einige Tage lang hat er den betrügerischen Händler verfolgt. Der Personenbeschreibung nach ein mittelgroßer schlanker Mann, mit ausdrucksvollen Katzenaugen, schwarzen Haaren und einer Schildkrötentätowierung am Hals. Aber seine Spur verliert sich, er spielt mit Jaru, dabei hat der ein Dutzend der besten Orkjäger unter seinem Kommando. Buri-Buri, wie er sich genannt hat, scheint über Felsen zu fliegen, sich im Luft aufzulösen, es erscheint, als müsse er nie essen oder schlafen. Mitten in der Jagd, als Jaru denkt, sie haben ihn in ein Tal getrieben, findet ihn ein Bote und berichtet, im Jägerlager stachle gerade ein Falschspieler die Männer gegeneinander auf, Yatoki, ein ein mittelgroßer schlanker Mann, mit ausdrucksvollen Katzenaugen, schwarzen Haaren und einem Brandmal am Kinn. Kaum ist Jaru dorthin geeilt, senden die Leute von Cor-dal-Pesch einen Segler, dessen Besatzung wirres Zeug über einen blutgierigen Geist berichtet, kahl und böse, mittelgroß, mit Katzenaugen und Krallen an Händen und Füßen, der Seilbrücken durchschneidet, Katzen aufhängt und Kürbisse platt haut.
    Jaru ist müde. Seine Orkspäher sind hungrig und rüpeln die Jäger an. Und in all diesem Chaos trifft ein Seepaladin im Jägerlager ein und bestellt ihn in die Hauptstadt. Mit einem Brief von Tasso, der erstaunlich knapp gehalten ist dafür, dass Tasso, wie Jaru immer noch denkt, vielleicht von seiner Rückkehr noch nicht erfahren hat. Denn er hat vorgehabt, erst ein bisschen das Hinterland aufzuräumen, bevor er sich seiner Verwandtschaft und seinem letzten Oberkommandierenden stellt. Schweren Herzens muss er die Jagd abbrechen.

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    Die Überfahrt 1

    Ich bin zuerst mit meinem Onkel nach Kamorala gefahren – er ist nicht wirklich mein Onkel, aber er ist der Enkel von Amara, die mich adoptiert hat. Er ist der Onkel von Jaru, der uns früher manchmal besucht hat, als wir noch im Wald gewohnt haben.
    Jaru ist spannend, er kann sprechen wie ein Ork. Sie haben ihm ein böses Tier auf seinen Arm tätowiert, als er betrunken war. Aber es hat ihm trotzdem gefallen. Einmal habe ich uns eine Fahne genäht mit dem Bild von diesem Tier. Wir wollten, dass die Orks, wenn sie die Fahne sehen, uns nicht angreifen. Das hat auch funktoniert, aber unser Haus ist trotzdem abgebrannt... abgebrannt worden. Das war aber im Krieg. Zum Glück ist der vorbei.


    Mein Onkel kommandiert ein Schiff. Es ist größer als alle Häuser, in denen ich je gewohnt habe. Aber die meisten Räume sind Lagerräume, keine Wohnräume. Obwohl er der Kapitän ist, wohnt er in einem ziemlich kleinen Zimmer. Das beste daran ist eine Kiste mit Büchern. Zwei davon kannte ich schon, meine Schwester hat sie abgeschrieben. Das eine beschreibt die Sterne, und wie sich ihre Bahn im Lauf eines Jahres verändert, das ist ein Buch, das man zum Navigieren braucht. Obwohl Ganjouk es auch anders kann.
    Das andere Buch ist über Alchemie, damit habe ich Kochen gelernt. Marlan hat mich ausrechnen lassen, wieviel Zucker man in die Butter schütten muss, damit das Karamell gut wird. Aber man kann damit auch Medizin herstellen, oder Farbe, oder anderes. Ich bin eine gute Alchemistin, und meine Heiltränke wirken nicht nur, sie sind auch haltbar. Dafür muss man sehr sauber arbeiten.
    Mein Onkel möchte, dass ich eine Menge Heiltränke für die Männer auf seinem Schiff herstelle. Sie sind aber nicht krank. Es ist ein Kriegsschiff.
    Er lässt mich auch alleine einkaufen. In Kamorala habe ich Ingwer und Gelbwurz gekauft. Ingwer hilft bei Fieber, bei Alter und Kopfweh. Gelbwurz ist gut gegen Sonnenbrand und Magenschmerzen.
    Eigentlich habe ich noch ein paar andere Sachen kaufen wollen, aber die waren entweder zu teuer oder zu schlecht. So ein Schnösel im Laden hat mich die ganze Zeit vollgequatscht, aber das Einzige gute dort waren seine Ohrringe. Ich habe ein bisschen so getan, als ob ich noch was kaufen will, weil ich auf eine Gelegenheit warten wollte, ihn zu fragen, ob er sie mir verkauft. Aber er hat mir dann nur noch etwas Mohnsaft verkauft, das war auch gut, aber das ist für die Verletzten. Wenn man das nimmt und nicht verletzt ist, wird man krank davon.
    In einem anderen Laden habe ich ein paar gute Linsen gefunden. Damit kann ich Fernrohre bauen oder etwas, mit dem man Navigieren oder Feuer machen kann. Aber auf dem Schiff ist gerade leider kein guter Schmied. Tasso, mein Onkel, hat gesagt, er ist indisponiert, aber er holt ihn bald ab. Er wartet nur noch auf eine Nachricht, wo.
    Beim Abendessen haben wir dann über die Läden auf Kamorala gesprochen. Tasso hat erzählt, dass sie ihm viel Geld geboten haben für irgendwelche Steine aus der Südfeste. Da habe ich eine Weile gewohnt. Meine Schwester war dort die erste Äbtissin. Aber ich rede nicht gerne über unsere Geheimnisse, und deshalb habe ich Tasso gesagt, in der Südfeste gibt es nur grauen Sand und glitschige Klippen.

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    Die Familie

    Als Jaru vor der Hauptstadt ankommt, hält er einen Moment inne, weil Erinnerungen auf ihn einstürmen. Er war hier für einige Monate bei Verwandten zu Besuch, bevor dann durch eine Invasion die Stadt zerstört und die meisten seiner Verwandten getötet wurden. Es ist ihm nur Tasso geblieben, der Seepaladin, den er als Kind verehrt hat, und eine alte Magierin, die nun Beraterin der Königin ist.
    Tasso ist während der Invasion auf See gewesen, und Jaru fällt wieder ein, dass er damals dachte, er sei in einer Seeschlacht umgekommen. Später ist ihr Verhältnis zueinander belastet, weil Tasso nicht versteht, was Jaru an den Orks so faszinierend findet, dass er sein Zuhause verlässt und sich ihnen anschließt. Jaru verlässt sogar den Weg des Glaubens, der durch seine Familie viele Jahrhunderte lang vorbestimmt gewesen ist, und wird einer ihrer Schamanen, ein Zauberer, einer, der auf Geistreisen geht, bemalt durch die Nacht schleicht und merkwürdige Dinge tut, wenn der Sturm über die Klippen heult.
    Allerdings auch einer, der kämpfen und heilen kann, und weil Tasso das gesehen und übereinstimmend von vielen gehört hat, denen er vertraut, hat er Jaru zuletzt auf die große Reise auf der Alca mitgenommen. Und beide verloren.

    Jaru vor der Stadt aber erinnert sich an das Orkjunge, dass er damals gerettet und den Orks zurückgebracht hat, und daran, dass er dadurch das erste Mal eine Person getroffen hat, die seine merkwürdigen Träume versteht und ihn nicht deshalb für unzuverlässig oder beschädigt hält.
    Damals ist Tassos Bruder gefallen und sein Elternhaus abgebrannt, aber als Jaru durch die Straßen geht, sieht er, dass es wieder aufgebaut ist. Er hält inne – und klopft.
    Niemand öffnet. Er geht weiter in Richtung Hafen. Schon vor der Stadt hat er die hohen Aufbauten der Adamanta erblickt, die die Stadtmauer und die meisten Häuser überragt.
    Ein paar Häuser sind immer noch beschädigt, aber auf den Straßen laufen und arbeiten viele Menschen, Handwerker, Händler, Hafenarbeiter. Er wird genau betrachtet, denn seine orkische Leder- und Fellkleidung ist ungewöhnlich, und sein Gesicht, das manche kennen könnten, liegt im Schatten einer matt kohlegrauen Kapuze, am Rand mit grünschwarzen Federn und einer ebensolchen Finne in Form einer Schlange besetzt. Der weiße Umhang verdeckt, was er für Waffen trägt und auf seiner Brust prangt ein Amulett mit einem Stern aus Krallen und Zähnen in einer Sonne aus blauschwarzen Federn. Kroar‘ck, der Rabe. Aber seinen Raben hat er vor der Stadt gelassen, genauso wie seine Orkjäger. Er kommt nicht als Gesandter.
    In Hafennähe sind die Hausmauern oft geschwärzt, manchmal in Streifen, Schlieren, rußigen Blüten. Hier ist bald jedes zweite Haus in Trümmern, leere Fenster mit Bohlen vernagelt, die Dächer zerfetzt und zersplittert in den Innenhöfen, Gräber zwischen Grundstücken, weniger Wäscheleinen.
    Weil die Stadtmauer wieder aufgebaut wurde, muss er über den Wehrgang in den Hafen hinunter gehen, es ist hier der einzige Weg. Der Aufgang auf die Mauer: der Ort, an dem Ombhau‘s bester Freund gefallen ist, Galaro, Gero hat ihm davon erzählt. Der eine Freund fällt in Verteidigung der Hauptstadt, der andere stiehlt ihr bestes Schiff, beides Fremde. Es ist typisch für diese Zeit.
    Auch Jaru ist fremd. Seine Mutter stammt von hier, aber er hat die Stadt vor etwa einem Jahr das erste Mal betreten, lebte davor beim Großvater auf dem Festland, auf Khorinis, auf See. Und in einem Gefangenenlager.
    Als Jaru zum Kai absteigt, kommt ihm ein Trupp Seepaladine entgegen, die Rüstungen glänzend, ein greller Sonnenstrahl auf jedem der Helme. Einen Moment ist er versucht, sich zu verteidigen. Aber es ist tatsächlich eine Ehrengarde. Tasso hat vor, ihn zu beeindrucken. ‚Der Herr Kapitän will etwas,‘ denkt Jaru. Er hätte doch ein paar Orks mitnehmen sollen. Er pfeift seinem Raben. Als der herabstößt, groß, fast so groß wie ein Adler, lässt er etwas auf einen der polierten Helme fallen, das sich von dort grünlich blubbernd in den Nacken des Seeoffiziers ergießt. Jaru nimmt sich vor, ein schönes Stück Braten vom Abendmahl für seinen gefiederten Freund aufzuheben – oder Kirschen, wenn es welche gibt. Sein Rabe liebt Kirschen.
    Als er unter Deck geht, nimmt er seinen Umhang von einer Schulter und setzt den Raben dort ab.


    Er wird in einen Raum im Heck des Seeglers geleitet. Die Nachmittagssonne fällt durch ein Halbrund an geschliffenen Kristallscheiben, teilweise bunt, die eine festliche Atmosphäre erzeugen. Der große Ovale Tisch ist aber leer bis auf eine Schale mit roten Äpfeln und aufgeräumt. Im Raum stehen nur Tasso, Ingmar und die Königin, letztere gekleidet wie ein Paladin ohne jegliche Rangabzeichen. Jaru wirftt die Kapuze nach hinten und verbeugt sich vor ihr. Er hat ihr nie Treue oder Gefolgschaft geschworen, aber wie sie die Stadt und das Land verteidigt und wieder aufgebaut hat, verdient seinen Respekt. Sie herrscht durch Ordnung, durch Gerechtigkeit, und dadurch, dass sie nichts befiehlt, was sie nicht selbst bereit ist, zu tun. Und immer, immer hat sie die Orks als Teil ihres Volkes begriffen. Das vor allem unterscheidet sie von allen ihren Vorgängern.
    Sie muss nicht wissen, dass Jaru die Krone ihres Vaters am Strand gefunden hat und im elegant gebogenen Dachbalken eines seiner Baumhäuser aufbewahrt. Die Orks sagen: ‚Wenn du Streit willst, musst du stark sein. Aber wenn du Frieden willst, musst du schweigen können.“
    Der Rabe hüpft auf den Tisch, verbeugt sich auch vor der Königin, macht ein kleines freundliches Krächzgeräusch und nimmt sich einen Apfel. Er ist noch jung. Die Königin lacht. Das Eis ist gebrochen.


    Ich bin so froh, dass ich dich wohlbehalten wiedersehe,“ sagt sie freundlich, ohne jede Förmlichkeit. Jaru verbeugt sich noch einmal. Wie macht sie das? Er spürt keinen Zauber. Aber er könnte ihr ohne Bedenken folgen.
    Zum Glück ist da noch Tasso. Er wird Jaru schon wieder daran erinnern, dass er zu den Orks gehört.
    Ich bin auf der Feuerinsel auf den Kopf gefallen,“ antwortet Jaru, angesteckt von ihrer Direktheit, „und habe dadurch die Abfahrt meiner Mannschaft verpasst.“
    Tasso beißt sich auf die Lippe und schaut auf den Raben.
    Wir haben uns auch sehr gefreut, als wir gehört haben, dass du lebst.“ Ingmar nickt Jaru zu. „Und die Umstände waren so merkwürdig, dass wir gleichzeitig sehr gewünscht haben, dich bald persönlich zu treffen.“
    Von wem habt ihr es gehört?“ fragt Jaru.
    Tasso und Ingmar erzählen abwechselnd von ihrer Begegnung mit der Elster und den drei Schweinchen. Jaru bemerkt, dass Tasso froh ist, eine gute Geschichte zu erzählen. Er kann ihm immer noch nicht in die Augen sehen.
    Jaru berichtet von seiner Rettung, nur seine Gedanken über Shaboz und Xhutuboc behält er für sich. Da setzt Tasso sich in Bewegung, geht direkt auf Jaru zu, zögert einen winzigen Moment vor ihm, aber dann nimmt er ihn plötzlich in die Arme. Etwas in Jaru schmilzt. Seine Augen brennen. Darauf war er nicht vorbereitet.
    Ausgerechnet sein Schamane-Sein hilft ihm, seinem Paladin-Onkel zu verzeihen. Er erwidert die Umarmung und lächelt... ein bisschen. Fast nur mit den Augen und sehr kurz. Sehr Jaru. Er sieht aus dem Augenwinkel, wie die Königin ihn anstarrt und rot wird. Oh, nein, bitte nicht DAS. Monate später wird ihm klar, dass sich in diesem Moment ihr Schicksal entschieden hat... Als er aufbricht, sie zu suchen. Und sie findet. Und trotzdem versagt.
    Aber heute sprechen sie weiter, als ob nichts geschehen wäre. Über Jörg vor allem, seine Treue und seinen Mut.


    Und was für Steine wollen sie?“ will die Königin wissen. Jaru greift in eine Tasche und zeigt einen rauen grauen Stein auf seiner Handfläche, leicht abgegriffen, mit etwas Glimmer und dunkelgrünen Einschlüssen und einem schwarzen Kristall, der nur an den Kanten ein bisschen hervortritt.
    Tasso zieht die Luft ein.
    Was ist das?“ fragt die Königin.
    Eine Blitzrune,“ antwortet Ingmar. „Schwarze Magie“. Jaru runzelt die Stirn.
    Die werden wir auf keinen Fall den Piraten überlassen,“ poltert Tasso. „Nicht eine. Da kann ich die Adamanta auch gleich selbst versenken und meine Männer nach Hause schicken, dann weinen weniger Witwen und Waisen.“


    Das Interessante ist, dass ich nicht weiß, woher ich sie habe“, Jaru macht eine Pause. „Meine eigenen Runen hat Ombhau‘ behalten, und ich hatte die Rune noch nicht, als ich nach dem ersten Aufwachen auf dem kleinen Fels-Eiland meine Taschen durchgesehen habe.“
    Kannst du damit umgehen?“ fragt Ingmar.
    Ja. So, dass ich es dir hier im Hafen nicht zeigen werde. Ich habe sie auf dem Heimweg in mein Orkdorf benutzt. Vielleicht war das ein Fehler.“
    Du meinst, dabei hat dich jemand gesehen.“
    Dann müssten dir ja die Piraten gefolgt sein“, knurrt Tasso. Dumm ist er nicht.
    Jaru schweigt. Er verdächtigt Xhutuboc, sie ihm zugesteckt zu haben, als Dank dafür, das Jaru ihn nicht hat ertrinken lassen. Das Schlimme ist, dass dann Shaboz das mit der Rune Ombhau‘ verraten haben muss. Und das schmerzt Jaru wirklich.

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    Die Überfahrt 2

    Heute hat der Kapitän eine Erkundungsreise ins Hinterland von Kamorala angeordnet. Ich freue mich, dass ich dabei sein darf und habe einige Vorkehrungen getroffen um Pflanzen zu sammeln und Mineralien zu bestimmen. Wir müssen als zivile und dekadente Händlergruppe getarnt gehen, und das heißt, weitgehend ohne Waffen. Ich habe meine alte Rune hervorgekramt aus der Zeit, als ich noch Magierin werden wollte, und ein paar dünnwandige Picknick-Fläschchen mit etwas befüllt, das wie Kinderbrause aussieht. Was es wirklich ist… manches davon ist experimentell. Aber ohne Luft ist es einfach nur hübsch anzusehen.
    In meiner Brotdose ist zwar Brot, aber mit einer Paste bestrichen, die sehr lange satt macht, und meine feuerfeste, aber mit albernen bunten Perlen bestickte Tasche kann auf das Vierfache der Größe erweitert und auf dem Rücken getragen werden. Außerdem windet sich ein Seil um meine zarte Mädchentaille, da gibt es eine Axt in meinem Sonnenschirm und einen Kompass linken Ohrring. Der rechte enthält Gift. Solche Sachen hat mir Ganjouk beigebracht. Aber ich hoffe, dass wir das alles nicht brauchen.
    Alte Schriften in Tassos Truhe haben verschiedene Mineralvorkommen in den dunklen Bergen erwähnt. Kamorala war früher Teil einer Feuerinsel, die so groß war, dass die heutige Insel nur ein Teil ihres Fluss-Deltas mit dem fruchtbaren Schlamm aus den Hochwäldern am Vulkankegel war. Dann ist – Puff – der ganze Gipfel in einer Explosion weggeflogen. Die Menschen mussten ihre Häuser ein zweites Mal aufbauen. Deshalb lieben sie Boote und Schiffe. In den brauen Bergen wächst immer noch ziemlich wenig. Dazwischen gibt es genau einen größeren Wald und viele feuchte Terrassen, in denen sie ein Gras mit weißen Samen anbauen, die man sehr gut essen kann.
    Es gibt wenige große, aber viele giftige Tiere.
    Die Menschen von Kamorala essen am liebsten Hühner, dabei sind aber manche Hähne richtig böse und verteidigen die Höfe, während die Menschen in den Terrassen arbeiten.


    Mit auf Erkundungsreise sind noch Palissa und Elko, die beide sonst als Köche und Gewürzhändler in der Hauptstadt arbeiten. Elko ist der beste Messerwerfer, den ich kenne. Dann noch Jerkha, ein Dieb und Taugenichts, und zwei Matrosen von der Adamanta, die neu auf dem Schiff sind, aber gut klettern können. Tasso hat nur Leute ausgewählt, die Ombhau‘ nicht kennt. Ich kenne ihn zwar, aber damals war ich noch ein Kind, und er weiß nicht, dass ich bei den Magierinnen war. Mädchen werden normalerweise nicht beachtet. Sicherheitshalber trage ich die Haaren nicht mehr in Zöpfen, sondern habe mir von Palissa Locken machen lassen. Das hat leider den Effekt, dass mich die Männer beachten. Palissa hat mir daraufhin noch ein paar Geschirrtücher unter das Mieder gesteckt. Mit zwei Knoten. An strategischen Stellen, wie sie sagt. Ich bin froh, dass ich keine langweilige Novizin mehr bin.
    Zuerst fahren wir in einem rumpeligen Ochsenwagen mit zwei fetten Ochsen, die das Arbeiten nicht kennen. Es geht langsam voran und Palissa erzählt mir leise von ihrem Leben. Sie war früher die Frau von einem Paladin, aber der wurde umgebracht.
    Die Männer laufen voraus und werfen Steine in die Löcher auf dem Weg, damit der Wagen nicht stecken bleibt. Jerkha ist irgendwo im Gebüsch verschwunden. Am frühen Nachmittag erreichen wir ein Dorf oberhalb der Reisterrassen, am Fuß der brauen Berge. Dort stellen wir die Ochsen unter und kaufen Gewürze, Reis, und Hühner in Käfigen und laden sie so auf den Wagen, dass ein Hohlraum in der Mitte bleibt. Palissa und ich jammern ganz viel und sagen, dass wir nicht zurückfahren möchten, weil uns der Hintern so weh tut. Daraufhin bleiben Elko und Palissa in der Gaststube und Elko fängt an, mit den anderen Männern Karten zu spielen.
    Ich schlendere ein bisschen in den Gassen herum, bis ich zufällig am Dorfrand die anderen drei finde. Gemeinsam laufen wir schnell in die Berge hoch. Wir folgen den Pfaden, auf denen die Hirten ihre Ziegen auftreiben. Einen, dem wir begegnen, fragen wir, wo man hier Ziegenkäse kaufen kann, und er zeigt uns einen Weg, der zwischen zwei Felsspitzen führt. Wir steigen den ganzen Nachmittag und die Nacht auf. Im Morgengrauen sehen wir auf der anderen Seite der Berge das Meer. Nun sind wir an der wenig bewohnten Westküste, wo immer ein Nebel zwischen den Felsen entlangzieht. Hier gibt es die seltenen Pflanzen und Tiere, und vielleicht noch mehr zu entdecken.
    Wir trennen uns. Ich habe eine kleine Sichel dabei, und beginne zu ernten, was ich an Pilzen, Heil- und Giftpflanzen kenne; und ein paar Exemplare von Pflanzen, die ich nicht kenne.
    Außerdem Steine, die interessante Farben haben. Die anderen klettern in Felswände, sie suchen Höhlen, Mineralien, und eine Krebsart, die eine bestimmte Drüse hat, aus der man Medizin machen kann. Was Jerkha macht, weiß keiner so genau, aber als wir uns am Abend mit unseren vollen Säcken treffen, hat er Goldsand gefunden, einen kleinen Eimer voll, und ein bläuliches Metall, das in Nadeln auf Felsen sitzt. Nun müssen wir schnell wieder zurück; eine zweite Nacht ohne Schlaf. Ich gebe allen ein paar Blätter, von denen man wach bleiben kann. Auch, um diese zu finden, bin ich hierher gekommen.
    Palissa hat den ganzen Tag so getan, als ob sie furchtbar krank ist, und Elko hat sich rührend um sie gesorgt, und das ganze Gasthaus mit Suppe-Kochen und Laken-Wechseln beschäftigt. Als wir auf dem Rückweg von Weitem die Ziegenhirten sehen, schicken wir Jerkha zu ihnen, ein paar Käse zu kaufen. Jeder von uns legt dann einen Käse oben in den Sack. Als wir in das Dorf kommen, ist es dunkel. Wir hängen die wertvollsten Funde von unten an Haken im Boden des Wagens. Andere legen wir in den Hohlraum zwischen den Reissäcken und Hühnerkisten oder in eine doppelte Plane, die den Himmel über der Ladefläche bildet. Dann legen wir uns vor den Wagen und schlafen.
    Morgens kommen Palissa und Elko, steigen unter viel Gejammer auf den Bock und fahren los. Es geht nun bergab, und der Wagen läuft von selbst. Aber wir alle müssen beim Bremsen helfen. In nur drei Stunden sind wir am Hafen, spannen die Ochsen ab. Und Tasso lässt sofort alles ganz schnell verladen. Ich gehe gleich in mein Labor, die Pflanzen müssen zügig verarbeitet werden. Ingmar hilft mir. Leider bin ich irgendwann so müde, dass ich nicht mehr kann. So verpasse ich manche von den Experimenten, die er und Tasso mit den gefundenen Steinen machen. Aber sie haben versprochen, es mir später noch mal zu zeigen.
    Es ist gar nichts Besonderes passiert, es war nur furchtbar anstrengend. Als ich aufwache, sind wir schon auf See.
    Geändert von Ajanna (30.04.2021 um 17:15 Uhr)

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    Das Abendessen

    Ein Abendessen gibt es auf der Adamanta dann doch noch. Die Königin ist wieder gegangen, und Jaru speist mit Tasso und den Offizieren der Adamanta. Zunächst ist die Stimmung etwas kühl, denn einige der Offiziere fremdeln etwas wegen seines exotischen Erscheinungsbilds. Aber ein paar kennen ihn auch, Ingmar, Wikko und Jasim zum Beispiel, sie erinnern sich, dass er und Gero schon mit ihnen zusammen gekämpft haben. Trotzdem – das letzte Mal trug er eine Rüstung wie sie, und heute nicht mehr.
    Die Frauen von Kamorala haben es Boris hier angetan,“ spottet einer der neuen Offiziere. „Aber leider wollte keine auf ihn warten, bis sein Dienst zu Ende ist.“
    Trifft das nicht auf alle zu, die man in Häfen so trifft?“ meint ein anderer. „Ich schreibe manchmal Briefe, wenn mir jemand gefallen hat, aber Antworten habe ich noch keine bekommen.“
    Was schreibst du denn als Absender drauf?“ wundert sich der verspottete Boris. „Adamanta, ehemalige Königliche Marine, Offiziersmesse, eventuell nördliche Eysensteyn-See, möglicherweise irgendwo zwischen Suiurrá und Varant, oder vielleicht östlich von Kamorala, aber nur, wenn das Postschiff die richtigen Signale sendet?“
    Alle lachen und es gibt eine Runde leiserer Zweier- oder Dreiergespräche.
    So einen großen Raben habe ich das letzte Mal an der Grenze zu Nordmar gesehen,“ meint Wikko und nimmt sich Grünkohl.
    Jaru nickt. „Er stammt nicht von hier. Die Orks haben Raben von dort mitgebracht. Aber schon vor Generationen.“ Er gibt seinem Raben ein Hühnerbein am Knochen, das der Rabe zierlich in eine Kralle nimmt und abknabbert. Er sitzt auf Jarus Schulter, futtert und schweigt. „Hat jemand von euch beobachtet, was passiert ist, nachdem wir auf der Feuerinsel eingebrochen sind?“
    Eine gewisse Verlegenheit breitet sich im Raum aus. Es ist nicht angenehm, wenn man sich eingestehen muss, dass man Kameraden zurückgelassen hat.
    Du fragst wegen Gero,“ sagt Ingmar schließlich. „Die meisten von uns sind mit den Vengardern zu den Schiffen zurückmarschiert, nachdem die sich ergeben haben. Du siehst hier ja auch myrtanische Offiziere im Raum. Es waren die Mannschaften, die nach Verletzten gesucht haben, darunter auch Leute von der Küstenwache. Die haben einige zurückgebracht, aber dann waren sie plötzlich verschwunden. Kurz darauf kam ein Bote, der sagte, die Alca sei gekapert worden und laufe gerade aus, und wir sollen uns beeilen, sie in der Brandung abzufangen, solange sie noch nicht alle Segel gesetzt habe. Unsere eigenen Leute hatten sich schon wieder zurückgemeldet, mit den Beibooten voller Verwundeter, also sind wir ausgelaufen.“
    Denkst du, dass Gero noch lebt?“ fragt Tasso. Die Namen der Orks und der Magierinnen hat er sich nicht gemerkt.
    Jaru zuckt mit der rabenlosen Schulter. „Ich weiß es nicht. Ombhau‘ sagt, da war niemand mehr, nur eine tiefe Spalte… Trotzdem würde ich gerne bald zur Feuerinsel zurückfahren und nachsehen.“
    Vielleicht findest du einen Fischer… ich brauche gerade die ganze Flotte für die Versorgung der Inselbevölkerung. Bis zur Ernte in ein paar Monaten.“
    Haben die Orks nicht auch seegängige Schiffe?“ fragt Jasim. „Zwei Galeeren haben uns doch begleitet.“
    Jaru sagt nichts und schiebt eine Gabel Sauerbraten mit Kirschmarmelade in dem Mund. Gero hat für diese Blechkasper den Arsch hingehalten, aber er ist so unwichtig für sie, als sei er ein Deserteur gewesen. Der Rabe schüttelt sich und krächzt.
    Später dreht sich das Gespräch um Himmelserscheinungen, es gibt gerade mehr Sternschnuppen als sonst um diese Zeit.

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    Tasso und Jaru

    Wieso denkt Oschan O-Hotoshi-Boshi, diese Blitzrunen kämen aus der Südfeste?“
    Es ist später am Abend, und Tasso und Jaru sitzen alleine in Tassos Kajüte. Da es nur einen Stuhl gibt, hat sich Jaru auf die Bücherkiste gesetzt. Es ist eine automatische Reaktion, schon als Kind hat er manchmal auf Tassos Bücherkisten gehockt – wechselnden Kisten auf wechselnden Schiffen. Tasso bemerkt es, und freut sich still. Der Rabe sitzt auf dem Schreibtisch und untersucht eine Schere.
    Dort waren doch die Schwarzmagier,“ meint Jaru.
    Dann sind es deren Runen? Aber wir haben keine erbeutet, obwohl wir einige besiegt haben.“
    Jaru zuckt die Schultern. Er ist müde, die letzten Tage waren anstrengend, und plötzlich merkt er es. Er beginnt, Tasso von der Lage auf der Insel zu berichten, es ist kein militärischer Bericht, sondern ein persönlicher.
    Tasso vergisst den Kapitän und hört zu. Er kann es noch. Und während Jaru erzählt, und Tasso zuhört, wächst wieder das alte Band der Vertrautheit und der Freundschaft. Tasso staunt, was Jaru sieht, was er alles wahrnimmt, aber auch, wie er wahrgenommen wird, dass ihm die Menschen vertrauen und die Orks folgen. Und ihm wird klar, das Jaru Verantwortung übernimmt, die früher auf mehr Schultern verteilt war, unter anderem auf Tassos Bruder, die Küstenwache, die Männer in der Nordfeste, und die Paladine in der Stadt.
    Und du denkst, es ist ein einzelner Mann, der im Norden Unruhe stiftet?“
    An einen Geist glaube ich jedenfalls nicht. Zuerst habe ich nicht viel Bedeutung in seinen Handlungen gesehen, eher etwas Böses, aber seit du mir von eurem Ausflug nach Kamorala und dem Preis für Jörgs Befreiung erzählt hast, ergeben sie Sinn. In der Nähe des Jägerlagers, und überhaupt im ganzen Norden, waren die Schwarzmagier auch. Und das Glücksspiel ist eine gute Gelegenheit, nach kleinen Gegenständen zu suchen, die Menschen aufheben. Er setzt vielleicht selbst einen ungewöhnlichen Stein, und bringt die Leute so auf die Idee, etwas Ähnliches zu setzen. Umso mehr, wenn sie schon Gold an ihn verloren haben.“
    Also ist Ombhau‘ nun mit den Schwarzmagiern verbündet?“
    Er kann selbst zaubern. Aber er allein braucht ja keine drei…“
    Da war doch noch dieser Tizgar. Und Faid.“
    Aber die haben wir nie gefunden; die haben alle ihre Runen noch, die sie je hatten. Sie waren auch beide eher Schwertkämpfer, nach dem, was Gero erzählt hat. Tizgar ist noch Alchemist, ein ziemlich fähiger.“
    Und Sallah aus Grauben.“
    Stimmt, den kennt Ombhau‘ sogar am besten. Aber ich hatte nie den Eindruck, dass sie befreundet sind.“
    Wir können ihnen jedenfalls nicht geben, was sie verlangen.“
    Nein. Allein schon deswegen nicht, weil wir es nicht haben. Von meiner Rune abgesehen.“
    Warum gehst du nicht als nächstes ins Kloster, sprichst mit ihrer Äbtissin,dieser Marlan. Ich habe ja nie verstanden, warum du...“
    Sie hat mich mal geheilt, als ich krank war. Nachdem Gero mich befreit hatte. Damals hat sie noch allein in einer Klause im Wald gelebt.“
    Tasso schweigt eine Weile.
    Und Gero… er hat dich befreit, er ist dein Freund, du musst ihn heimbringen?“ fragt er leise.
    Ja.“
    Gut. Du solltest mit der Königin sprechen. Sie hat geplant, die Alca nachzubauen, allerdings etwas kleiner, weil wir gerade keinen Baum für einen Mast haben, der groß genug wäre, die Invasoren haben auch in dieser Hinsicht die Wälder geplündert.“
    Ein Schiff zu bauen… da warte ich eher die Erntezeit ab.“
    Du weißt doch nicht, wie lange sie schon daran arbeiten. Sie haben begonnen, als Gero in den Norden aufgebrochen ist, da wollte die Königin ein eigenes Schiff.“
    Unter Invasionsbedingungen? Und wie haben sie das hinbekommen?“
    Ich kann es nicht sagen. Aber ich habe ihr zwei Männer von der Alca überlassen. Handwerker.“
    Es entsteht eine Pause. Der Rabe knabbert an einem Bleistift.
    Ich kümmere mich um die Situation im Norden, Jaru. Die Schiffe werden gebraucht, aber ich kann Männer entsenden. Gute Männer. Vielleicht kann dir Marlan helfen, wieder auf die Feuerinsel zu gelangen. Die Magierinnen waren vor uns da, damals.“
    Hast du unter denen, die du schicken kannst, einen, der mit den Orks zurechtkommt?“
    Marik – ich kenne ihn nicht so gut, wie Ireg ihn kannte, aber...“ „Marik ist gut.“
    Geändert von Ajanna (05.05.2021 um 19:17 Uhr)

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