Man musste Hanna die Überraschung wohl im Gesicht ablesen können. Leif nahm das Gespräch an und beendete es so abrupt, dass ihr keine Zeit zum Antworten blieb. Hanna erkannte den obersten Rand einer gehobenen Augenbraue über dem Schwarz der Maske.
„Probleme?“, fragte die Fremde.
„Keine Ahnung“, antwortete Hanna wahrheitsgetreu. Sie starrte auf das erloschene Omnitool, schüttelte den Kopf und wandte sich wieder der Fast-Nackten zu. „Wo waren wir?“
„Australien“, sagte die andere und lächelte wieder. „Back in the game“, dachte Hanna und lächelte ebenfalls.
„In Australien bin ich ein paar Mal gewesen. Wunderbarer Kontinent, aber tödlich wie eine Supernova.“
„Und so heiß. Ich vermisse die Wärme dort noch immer.“
„Wo wohnst du jetzt?“
Wieder diese Augenbraue. Ein charmantes, fast süffisantes Lächeln kräuselte die Lippen der Maskierten.
„Was wird das hier?“
„Smalltalk“, gab Hanna mit einem Schulterzucken zurück.
„Willst du ficken, oder mich kennenlernen?“
„Diese Direktheit passt nicht zu dir, Süße“, sagte Hanna und der schneidende Tonfall, in dem sie das sagte, ließ die andere Frau – die von der Offensivität ihres Outfits Hanna weit überlegen schien – die Augen für eine Sekunde verunsichert auf den Boden huschen. Beinahe, davon war Hanna überzeugt, hätte sie sich entschuldigt. Sie gewann ihre Contenance jedoch wieder, zeugte das Blitzen ihrer perfekten Zähne und sagte: „Irgendwie will ich ja vorankommen.“
„Dann lass mich dir helfen“, sagte Hanna, stand vom Barhocker auf und überwand so die Distanz von einem halben Meter. Sie griff der Fremden in den Nacken, ihre Finger verfingen sich in den Haaren wie an diesem Abend schon bei Luceija und küsste sie. Intensiver, wärmer, feuchter als bei Luceija. Die Fremde stieg darauf ein, Hanna merkte, wie sich die Lippen der Geküssten wie zu einem breiten Lächeln öffneten – und ihre dadurch gleich mit. Sie spürte, wie die warme Zunge der Blondine in ihren Mund glitt, ihre Zungenspitze – die merkwürdig intensiv nach Pfefferminz schmeckte – gegen ihre Zungenspitze stieß, sie sanft drückte. Sie schmeckte die raue Art der Zungenoberfläche mehr, als dass sie sie spürte. Dann lösten sich die Lippen und die Frauen mit einem saugenden Schmatzen. Hannas grüne Augen schraubten sich tief in das Blau der Maskierten. Hannas freie Hand glitt zu einer nackten Pobacke. Sie fühlte, dass sie warm war. Drückte sie sachte. Der Geruch von Apfel lag Hanna bei jedem Luftholen stärker in der Nase.
„Das hat mir jetzt aber noch nicht so richtig geholfen“, hauchte die Fremde. Die Tonlage ihrer Stimme war merklich verändert. Ihre Worte waren dünner, wie blasser Nebel über morgendlichen Feldern. Ihr Lächeln verriet aber ihr Wohlgefallen.
Das akustische Signal einer eingehenden Nachricht setzte der Szene ein Ende, zerriss den lieblichen Nebel wie ein durch ihn fahrender, das Fernlicht aufgeblendeter Wagen, als sie sagte: „Herrje, du bist aber schrecklich gefragt.“
„Sorry“, sagte Hanna, nahm die Hände von der Frau und schaute auf ihr Tool. Natürlich war es Leif. Der Arzt hatte ihr eine klar formulierte Nachricht geschickt. „Marschbereitschaft herstellen“, schien der Grundton zu sein, wenn auch höflicher verpackt. Die Fremde gab ein hörbares Seufzen von sich.
„Aus der Traum?“, fragte sie mit dem Beigeschmack von Vorahnung.
„Sieht so aus“, gab Hanna zu, lehnte sich gegen den Hocker und las die Nachricht noch einmal. Was für ein Abend. Sie schaute zur Blonden.
„Hör zu: Ich bin ein paar Tage hier in Palermo, besuche meine Familie. Wenn du auch noch hier bist…“
„Du hast Glück: Ich bin noch hier. Urlaub. Heute ist mein erster Abend… Ich hätte allerdings nicht gedacht, dass er so ausgeht.“
„Tut mir leid“, sagte Hanna, setzte dann aber sofort ein: „Aber hey, dein Abend ist noch jung und dieser Club groß.“
„Ich bin schon seit Stunden hier. Ich hab dich ausgesucht. Von daher… Darf ich?“ Sie deutete auf Hannas Omnitool. Die Marsianerin nickte, entsperrte das Tool und ließ die Fremde ihre Kontaktdaten eintippen.
„Svetlana Ivanova“, las Hanna den Namen laut vor, den ihr die Nun nicht mehr ganz so fremde aufgeschrieben hatte. „Ich dachte du kommst aus Australien?“
„Komme ich auch, aber meine Eltern stammen aus Russland“, sagte die Blonde und lächelte munter. „Und bitte: nenn mich Lana. Niemand außer meiner Mutter nennt mich Svetlana.“
„Ich bin Hanna“, stellte sich die andere Blondine vor.
„Freut mich, Hanna. Und würde mich freuen, wenn wir uns wiedersehen.“
„Klar. Mach’s gut, Süße.“
Die beiden verabschiedeten sich mit einem Kuss, Hanna warf keinen Blick zurück.
Leif wartete dort, wo er angegeben hatte zu warten. Er wirkte geknickt, Hanna wollte ihn aber nicht darauf ansprechen. Heute schien irgendwie nicht sein Tag zu sein.
„Wir wollen los? Wo ist Luceija?“