Rettet die goldene Nacht

„In einer Zeit, lange vor dem Orkimperium, lange vor den Königen Innos, der gesetzlosen Anarchie und dem Reiche Adanos, herrschten Kreaturen der Ewigkeit über jene Ländereien, die heute unter solch illustren Namen wie Varant, Myrtana, Nordmar und vielem mehr bekannt sind. Warum ich dir diese Geschichte erzählen kann, Sterblicher? Weil ich eine dieser ewigen Kreaturen bin. Warum ich sie dir erzähle, anstatt dich zu zermalmen, wo ich es doch jederzeit könnte? Das musst du selbst herausfinden.“

Am Rande Nordmars stand einst ein Tempel von eminenter Größe, geweiht dem Gotte Beliar, einer finsteren, mächtigen Dämonengestalt, die heute vor allem dafür bekannt ist, Mensch und Tier, zusammen mit seinem Gegenspieler, zum Krieg aufgewiegelt zu haben. Aber zu dieser Zeit kam ihr diese Rolle noch nicht zu, sondern er war nur einer von vielen Geistern, denen sich die Menschen andienten oder vielmehr anzudienen hatten. Herrscherin über diesen Tempel war zu dieser Zeit eine mir wohlbekannte Freundin. Mit eiserner Faust führte sie die Menschen, die in diesem Tempel dienten, aber das ist nur allgemein, herausgreifen möchte ich die Geschehnisse rund um ein spezielles hohes Fest, das die „Goldene Nacht“ genannt wurde.

So begab es sich, dass sie zur zweiten Vorwoche vor dem Feste zum Vorsteher ihres Tempels kam um sich den Stand der Vorbereitung auf jenes Fest zu vergegenwärtigen.

„Geehrte Lady, Sie sind dieses Jahr aber früh zugegen in unserem beschaulichen Tempel“, begrüßte der schwarzberobte alte Herr den gerade eingetretenen Gast. Dieser zeigte sich dazu betont unbeeindruckt. „Ich habe mich vor einem Monat schon angekündigt Oran, schon vergessen?“ Der Angesprochene zuckte in sich zusammen, verwandelte diese Nachlässigkeit jedoch hastig in eine Verbeugungsgeste. „Gewiss, gewiss, natürlich habe ich das nicht vergessen.“ „Und von beschaulich braucht auch keine Rede zu sein, in diese Halle würde ich selbst in meiner wahren Gestalt noch herein passen, abgesehen davon stinkt es schon seit zehn Meilen nach Blut“, fuhr die Lady fort. „Wünschen Lady, das Opfern einzustellen?“, gab sich der alte Mann gewieft und der Dame entfuhr ein lautes Glucksen, bevor sie wieder einen tiefen ernsten Ton annahm. „Noch so einen Witz und ich zerteile dich eigenhändig auf dem Opfertisch, nur damit du Bescheid weißt.“ Der Herr räusperte sich betreten. „Nun gut, also, Sie wollen sicher um den Stand der diesjährigen Produktion für die goldene Nacht wissen, ich führe Sie vielleicht erst einmal etwas herum, um einen groben Überblick über die Lage zu bekommen.“ Die Lady setzte ein begnügtes Lächeln auf. „Genau deswegen bin ich hier.“

Oran bat die Frau in einen angrenzenden Flur, der gegenüber der großen Eingangshalle beklemmend eng wirkte. Zu den Seiten waren einige Türen zu sehen, manche davon standen offen und gaben den Blick auf mit Feldbetten ausgestattete Räumlichkeiten frei. „Irgendwie ist es ziemlich ruhig hier“, bemerkte die Frau, während sie voranschritten. „Die Jünger sind eifrig an der Arbeit, da bleibt nicht viel Zeit für den Aufenthalt in den privaten Gemächern“, erklärte Oran eilig. Die Frau schien sich damit zufrieden zu geben. Hammergeräusche überdeckten bald schon die Ruhe, ehe sie in eine Werkstatt einbogen. Feiner Staub lag in der Luft, an Brocken aus schwarzem Stein arbeiteten emsig Menschen. „Also, hier sehen Sie die Schreinproduktion, ganze fünf neue Exemplare konnten wir dieses Jahr den Jüngern zur Verfügung stellen. Von Meisterhand gefertigt von unserer Brunhilde hier. Der alte Mann stellte sich dabei demonstrativ neben eine Frau, die dafür die Arbeit am Herausmeißeln eines Kopfes unterbrach. „Aha, was ist denn mit Ugur passiert?“, zeigte sich die Besucherin gelinde überrascht. „Naja, also die Opfer, des letzten Winters waren...“, setzte Oran zu reden an, während der Blick der Dame immer strenger wurde und Brunhilde begann eine Geste zu machen, dass er lieber verstummen sollte. Nicht ohne dabei unbemerkt zu bleiben. Die Dame trat an die Steinmetzin heran und kneifte in ihre Seite. „Mädchen, nett, dass du hier in der Werkstatt schuftest, aber diese Hüften schreien danach Leben hervorzubringen“, säuselte sie ihr ins Ohr. „Unser aller Lieblingsgott hier“, sie tätschelte über die Statue „würde mir da sicher zustimmen.“ Die Handwerksmeisterin wurde bei jenen Worten merklich bleich. „Ähem, Brunhilde muss sich ja auch hier noch etwas einleben“, versuchte der Tempelvorsteher die Situation etwas zu entschärfen. „Vielleicht sehen wir uns doch erst einmal die Schmiede an, bevor wir uns zu sehr in Details verlieren.“ Die Frau lächelte noch einmal spitz die Steinmetzin an und wandte sich darauf ab. „Sicher Oran, ich folge auf dem Fuße.“ Wieder traten sie in einen Gang ein, bogen aber kurz darauf ab, um über Treppen in das Kellergeschoss zu gelangen. „Die neuen Schreine sehen übrigens hässlich aus, falls das nicht klar genug geworden sein sollte.“ „Ihr habt euren Standpunkt sehr klar gemacht, Mylady“, beruhigte Oran sie, ehe ihre Schritte langsam vom Klopfen feiner Hämmer übertönt wurden. „Oh, was habe ich diesen wohligen Geruch in der Nase vermisst“, fing die Dame an zu schwärmen. „Ja, der Holzkohlenrauch verbreitet eine gewisse Wohnlichkeit“, stimmte Oran ein und zog damit einen bösen Blick auf sich. „Halt den Mund, wenn du nicht weißt, wovon ich rede“, knirschte seine Meisterin zurück. „Gewiss die Dame“, murmelte Oran, als sie auch schon in eine größere Kellerhalle einbogen, in der ein Schmiedefeuer brannte und an mehreren Werkbänken Gesellen mit Augengläsern mit kleinen Hämmern arbeiteten. „Wir haben Besuch. Carlos, hast du mal ein paar Minuten?“, rief Oran in den Raum und ein etwas älter als der Rest wirkende Herr löste sich von seinem Platz. In den Händen hielt er dabei einen goldenen Armreif. Als er bei dem Besucherpärchen angekommen war, tat er eine Verbeugung und fing anschließend an zu reden. „Dieser Armreif ist die wohl am größten hervorzuhebende Neuerung in unserem handwerklichen Schaffen“, setzte er an und hob den Armreif in die Höhe, sodass die filigranen Verzierungen an den Ringen an beiden Enden und die feinen Querverstrebungen dazwischen, welche Schlangen nachempfunden waren, gut erkennbar für sein Publikum wurden. „Wie man sieht, ist die Konstruktion luftiger gebaut als in den vorangegangenen Jahren, was Ressourcen einspart bei gleichzeitig unvermindertem Oberflächenkontakt. Weiterhin, was Sie glücklicherweise so nicht erkennen werden, konnten wir den Schmuck nochmals leichter gestalten, indem wir in gewissen Elementen Goldfäden verwoben haben und nur die Oberfläche erneut angeschmolzen haben um die gewünschte Glätte zu erreichen. Da Blattgold ja ausdrücklich aufgrund der Wiederverwertbarkeit und der Interferenzen die sich bei unterschiedlichen Metallen ergeben, nicht gewünscht war, haben wir diese Technik nun im zweiten Jahr der Erforschung weiter vorangetrieben und sind damit nun bei einem glaube ich vorzeigbarem Ergebnis angekommen.“ Die Dame griff nach dem Armreif und legte ihn sich an. „Er ist tatsächlich ziemlich leicht. Und das Gefühl passt, soweit ich das als Zielpublikum beurteilen kann.“ Sie nahm den Armreif wieder ab und legte ihn zurück in die schroffen Hände des Mannes. „Gute Arbeit Carlos.“ Der ältere Herr verbeugte sich und ging wieder zurück an seinen Arbeitsplatz. „Ich denke ich habe genug gesehen und gehört Oran, wenn wir zu den Vorräten kommen würden, wäre ich...“ „Oh, ein sehr gutes Stichwort, die Haushaltsführung ist doch immer wieder einen Blick wert“, setze Oran hastig ein. „Das hatte ich nicht gemeint, aber wenn Ihr versuchen wollt mir mit ein paar Laiben Brot imponieren zu können, lasse ich euch diese Blamage“, giftete die Frau zurück. Oran setzte ein gezwungen wirkendes Grinsen auf. „Ich lasse es darauf ankommen“, sprach er und wendete sich ab von den Männern und der Hitze ihrer Öfen.

Sie liefen wieder zurück in den Hauptgang. „Dann gehen wir doch erst zum Lebensmittellager, um nicht nochmal das Stockwerk zu wechseln“, säuselte der Führer durch die Untiefen der Anlagen, ohne eine merkliche Wirkung bei seiner Angeleiteten dadurch zu erzielen, welche sich dieses Mal ganz einer Antwort enthob. Nach kurzer Zeit kamen sie an ein verschlossenes Tor und Oran fing an seine Tasche, offenbar nach dem Schlüssel dafür, zu durchsuchen.
Drei jüngere Novizen kamen währenddessen des Weges und erblickten das ungleiche Paar. Ihr Trilog über die Qualität des letzten Kartoffelbreis endete dabei abrupt und fand eine Fortsetzung mit der deutlichen Frage an Oran, ob jener es endlich hinbekommen habe für Frischfleisch für die Gemeinde zu sorgen. „Haltet euer dummes Maul oder ich lasse euch zu Tode peitschen!“, brüllte dieser mit einem Mal ohne jede Hemmung das Grüppchen an, das verstört zurück wich. „Entschuldigung, wir wollten Sie nicht belästigen, Meister Oran, wir...“, stotterte jener, der sich zuvor geäußert hatte vor, während Oran schon auf ihn mit finsterer Miene zuschritt. „Hast du aber, du nichtsnutziger Idiot, also mach dich vom Acker, du elendes Stück Dreck.“ Eine Backpfeife ging auf den Jüngling hernieder, der kurz strauchelte, aber hernach mit seinen Freunden eilig das Weite suchte. „Der Meister ist heute wohl etwas dünnhäutig wie es scheint“, witzelte die Dame, als Oran, wieder nach dem Schlüssel kramend, zurück an ihre Seite kehrte. „Diese Äußerungen Ihnen gegenüber waren schlicht unverzeihlich, ich musste hier ein Zeichen setzen. Ich hoffe Sie tragen der Gemeinschaft das Verhalten dieser Bande nicht nach“, erklärte er sich. „Ich empfand sie als eine willkommene Abwechslung in dieser drögen Werksbesichtigung, keine Sorge“, beruhigte die Dame den Tempelvorsteher. Viel eher regt mich auf, dass ihr immer noch diesen Schlüssel sucht zu einer Kammer, die ich nicht mal sehen wollte.“

Sie griff nach dem Schlüsselbund in Orans Hand, zog einen Schlüssel nach vorne und öffnete die Tür. „Das gleiche Trauerspiel jedes Jahr“, beklagte sie und gab dem etwas verdutzt dastehenden Oran den Schlüsselbund zurück. „Führen wir nun die Tour fort?“ Der Angesprochene löste sich wieder aus seiner Starre. „Entschuldigung, ich vergaß.“ „Ich nicht.“ „Nun, jedenfalls“, Oran griff sich eine Fackel aus dem Gang, „ist die Ernte in diesem Jahr recht gut verlaufen. Keine Opfer durch Feldräuber, kein schlechtes Wetter, wie Sie sehen können, ist der Kornbestand fast mehr als wir hier fassen können und auch beim eingelagerten Gemüse müssen wir keine Abstriche machen, sondern haben die volle Fülle dessen was im Nordmarer Sommer zu bekommen ist.“ Die Frau sah sich im von Orans Fackel erhellten Gewölbe um. „Ja, es ist hier etwas voller geworden. Ich hoffe mal das liegt nicht einfach nur daran, dass Ihr weniger Vieh habt.“ „Ganz im Gegenteil, es wurde ordentlich gekalbt und da die Ernte so gut war, hat unsere Küchenbesetzung vermehrt Pflanzliches auf den Tisch gebracht. Wenn Ihr Euch die dabei entstandenen Kreationen zu Gemüte führen wollt, würde ich dann einfach unsere Unterhaltung am Herd fortführen.“ „Da wo der Herr im Hause sich am liebsten mit den Weibern unterhält, nicht?“ Oran hüstelte als Reaktion nur auf den Boden und verließ das Lager wieder. „Wenn ihr mir dennoch folgen würdet, dann kann ich das Lager wieder zuschließen.“ „Natürlich liebster Oran, desto schneller Ihr mir eure Knoblauch-Mangold-Suppe gezeigt habt, können wir ja auch zu den Dingen kommen, weswegen ich eigentlich angereist bin“, huschte die Dame wieder in den Gang. Der Vorsteher hatte den Schlüssel zum Ende ihrer Ausführung bereits wieder zur Hälfte im Schloss gedreht und versteinerte für einen Moment. „Sicher, aber alles zu seiner Zeit“, schloss er die Kammer zu. „Dann gehen wir direkt beim nächsten Aufgang zurück ins Erdgeschoss und am Refektorium vorbei zur Küche“ „Sicher, bin direkt hinter Euch“, gähnte die Dame.

Wenig später waren sie auch schon an ein paar versprengten Speisenden in die Küche eingetreten, deren Luft von Ruß und Fettschwaden gesättigt war. „Das ist jetzt natürlich ein leicht unglücklicher Zeitpunkt, da die Küchenarbeit heuer eigentlich schon beendet ist, aber vielleicht kann ich dennoch unsere Fortschritte an dieser Stelle kurz präsentieren, indem ich darum bitte die Aufmerksamkeit zunächst auf dieses Fass zu lenken.“ Oran deutete dabei auf ein größeres Behältnis, in dem sich auf den ersten Blick vor allem Speisereste und Küchenabfälle befanden. Die Frau sah gelangweilt und kritisch auf das Fass. Als sie gerade zur Beschwerde anheben wollte, kam jedoch Bewegung in die Abfälle und ein paar Fleischwanzen krabbelten unter ein paar Kartoffelschalen hervor. „Das ist unsere neuere Nutzung der sich ergebenden Abfälle. Unserer Köchin Fans ist die fleischige Struktur des Gewebes und der Nährwert dieser liebreizenden Insekten aufgefallen. Seitdem züchten wir sie mit unseren Resten und geben ihr Fleisch etwa als Einlage in Eintöpfe und derartiges. Zusammen mit Dunkelpilzen sind sie eine echte Spezialität des Hauses. geworden“ Erwartungsfreudig sah er seine Besucherin an. „Wollt Ihr, dass ich mich in Euer Gesicht erbreche, oder worauf wartet Ihr?“, knurrte diese nur zurück. Oran entfernte sich wieder von dem Fass und suchte nun stattdessen ein großes Tonbehältnis auf. „Gut, vielleicht findet der Inhalt dieses Kruges eher Ihr Wohlgefallen. Hier haben wir nämlich eine neuartige Fermentationsmethode für Kohl gefunden. Zusammen mit den scharfen Blättern der Nordspitze, Rettich und Fischschuppen, wird dieser zu einem wohlschmeckenden Produkt, das auch kalt genossen werden kann.“ Die Frau hatte während der Worte den Kopf in ihre Hand gelegt, der Hals vibrierte mit einem ungesund wirkenden Schimmer, von dem nicht zu sagen war, ob er von der Beleuchtung der Fackeln herrührte oder anderen Ursprungs war. „Oran, ich hatte ja schon befürchtet, dass du mir nichts Weltbewegendes zeigst, aber Schädlinge und vergammeltes Gemüse, das ich bis hierher rieche, wie weit kann man denn sinken?“ Oran schien betrübt ob dieser Aussage zu sein.

„Jetzt mach endlich diesen Scheißkrug wieder zu, bevor ich mich endgültig vergesse. Ich will zur Lagerstätte. Jetzt!“ Die Hände der Dame krampften, während sie lauter wurde. Oran setzte eilig den Deckel des Krugs wieder auf und setzte sich in Bewegung. „Jajaja, gewiss Mylady, folgen Sie mir, folgen Sie mir“, ratterte der mit einem Mal sehr nervöse Oran herunter und eilte voran durch das Refektorium hindurch zu einem großen Portal, um die Untertür davon aufzustoßen und sie der Besucherin aufzuhalten. Diese schritt schnell hindurch in eine große Halle, die auf mehreren Stöcken am Rande mit Beliarschreinen bestückt waren. Der Geruch von Eisen erfüllte die Luft. Vereinzelt knieten Novizen vor den Schreinen und führten unter Hilfe älterer Männer dem Anschein nach Aderlässe durch. In der Mitte der Halle war ein großes Gitter über einem Loch, dem sich die Frau eilig näherte. Oran folgte ihr etwas langsamer. „Zu wenig, viel zu wenig. Das ist zu wenig, Was soll ich denn? Das ist quasi nichts!“, murmelte die Dame, ehe sie zu Ende nicht mehr murmelte. Mit aufgerissenen Augen wandte sie sich an den Vorsteher. „Was habe ich letztes Jahr gesagt? Drei Nachkommen und alle brauchen ihren Hort!“, giftete sie, Oran wich mit abwehrender Haltung zurück. „Ich weiß, aber mit Aderlässen ist es auch schwer neue Leute für seine Gemeinschaft zu begeistern“, rechtfertigte er sich. „Ja, welch großes Opfer, wenn man damit tausende und abertausende retten kann, Ihr wisst wohl nicht mehr, mit wem Ihr es mit mir zu tun habt, Ihr“ Die letzten Worte verschmolzen mit einem Gurgeln und Fauchen. Der Schimmer auf dem Hals kehrte zurück, de Haut formte sich um und ein rotes Schuppenmuster wurde deutlich erkennbar. Die Frau fiel vornüber auf alle viere, während sich unter ihrem Rock ein Schwanz herausbildete und die Fingernägel zu Klauen wurden. Inzwischen hatten sich auch einige der Novizen und Aderlassnehmer dem Schauspiel zugewandt, in dessen Mittelpunkt die stets reptiloid wirkendere Dame auf ein Vielfaches ihrer Größe anzuwachsen begann. Oran lag bereits, den Kopf auf dem Boden, verbeugt vor der sich schmerzhaft windenden transformierenden Gestalt, die in wenigen Sekunden zu einem ausgewachsenen Drachen wurde.
„Ich bin immer noch Alzhara, oberste Drachenfürstin von Midland, ihr kleinen Würmer“, brüllte es aus ihrem gewaltig gewachsenen und verformten Schädel, dass die Anwesenden vor Furcht gelähmt wurden. Zur Bekräftigung folgte ein massiver Feueratem über Orans Kopf hinweg der das Tor zum Refektorium augenblicklich in Brand setzte. „Jahr für Jahr mache ich mir die Mühe mich für euer minderwertiges Geschlecht einzusetzen und versorge die Jungdrachen mit ihren Horten, aber ihr, ihr wollt offenbar, dass wir uns dem Tierischen hingeben, blutdurstig eure missratenen Siedlungen dem Erdboden gleich machen. 'Monster, Monster' schreien, obwohl ihr das Monster selber geschaffen habt.“ Ein starker Schlag des Schweifes zertrümmerte zu diesen Worten einen der Schreine. „Oran, Oran, ich fühle wie es mir entgleitet, öffne das Gatter wenn du nicht wie dein Vorgänger enden willst“, flehte der Drache, heftig atmend mit einem Mal und Oran erhob sich, um schnell einige Novizen anzuleiten das Gitter zu öffnen. Hastig setzten diese die Maschinerie in Bewegung, und Alzhara senkte ihren Schweif in das Loch, um sich wieder zu beruhigen. „Diese wohlige Aura des Goldes, so befreiend“, klang sie mit einem Mal wieder ruhiger.

„Aber Oran, nein, wie soll ich dir so das Leben lassen? Man könnte meinen du seist dessen schon selbst überdrüssig, bei so einem Ergebnis“, schüttelte die Drachenfürstin sich. Oran robbte sich auf Knien an das Ungetüm inmitten der Halle heran. „Ehrwürdige Fürstin Alzhara, nichts liegt uns ferner Sie zu kränken oder gar unserer Mission untreu zu werden. Hier vor Ort seht Ihr im Gegenteil all Jene, die um die Relevanz ihres Schaffens auch ohne Euren Feueratem in Ihrem Gesicht wissen. Doch wir sind wenige, unsere Lebenskraft begrenzt und der Dämon Beliar ein Partner, mit dem sich nicht feilschen lässt. Also bitten wir inständig um Eure Gnade mit unseren unwürdigen Leben“, rief er den Drachen an, der dabei auch die Hinterläufe in das Loch voll Goldgeschmeide steckte. Ein tiefes Atmen durch die Nüstern erfüllte den Saal, in dem die überwiegende Zahl der Novizen und sonstigen Zuschauer kaum einer Regung fähig waren. „Ich kann euch verschonen, meine Brüder und Schwestern werden es nicht tun. Sie werden nicht einmal wissen was Gnade sein soll ohne Hort“, schnaubte Alzhara. Eine Spur von Verzweiflung war aus der tiefen Drachenstimme herauszuhören. „Dann bitte ich Euch, wenn euer Gemüt beruhigt genug ist, uns zum Steinbruch zu folgen. Unserer sind nicht viele, doch wir haben einen Plan, den wir nur mit Euch an unserer Seite verwirklichen können“, bat Oran in tiefer Verbeugung. „Dann überschüttet mich mit Gold und gebt mir ein neues Paar Kleider, damit ich wieder zu meiner Menschenform komme. Ich werde es mir zumindest anhören, bevor ich Euch eurem Schicksal überlasse“, willigte die Drachenfürstin ein. Oran streckte seinen Hinterleib in die Höhe, um seine Verbeugung noch tiefer wirken zu lassen. „Es wäre für diesen Plan sehr von Nutzen, wenn Ihr uns in dieser Form euer Gehör schenken könntet. Wir öffnen das Tor zum Steinbruch, dort lässt es sich auch weniger beengt als in diesen Hallen reden.“ Ein paar der Novizen eilten in vorausschauendem Gehorsam zur Mechanik des, noch vor dem entflammten, größten Tors der Halle. „Ein falsches Wort und ihr alle könntet wie eure Küchenabfälle bei den Fleischwanzen enden, ob ich das will oder nicht, das weißt du“, fauchte es aus dem Drachenrachen. „Wir hoffen Euch nicht zu erzürnen, verehrte Alzhara“, blieb Oran dem Boden verhaftet. „Ihr müsst Euer Leben wirklich hassen“, giftete der Drache, als er sich wieder aus der Goldsammelstelle erhob. Mit bebendem Schritt stapfte er ins Freie, in jedem Atemzug die Agonie hörbar, die die nötige Anstrengung zur Selbstbeherrschung eines Drachens mit sich brachte, der unter Menschen wandeln wollte. Oran folgte seiner Herrscherin zusammen mit einigen Novizen, die er zu sich beordert hatte. Das Tor führte heraus aus dem Tempel in das kalte Wetter des Nordmarer Winters, hindurch durch eine enge Schlucht, von Menschen gehauen. „Ihr könnt gar nicht ermessen, wie es mich gerade drängt. Euch zu rösten und zu verspeisen“, beschwerte sich die Fürstin. Oran blieb ihr dicht auf den Fersen. „Wir haben zwei Kühe im Steinbruch postiert, sollte Euch der Hunger überkommen.“ Ein tiefes Schnauben signalisierte Zustimmung zu dieser Vorkehrung und Ablehnung der Gesamtsituation zugleich.

Sie folgten weiter dem Pfad durch die Schlucht, ehe sich dieser in die Breite öffnete. Abgestellte Karren und Behältnisse mit Steinen säumten diesen Trichter, dessen weite Öffnung sich in eine schneebedeckte Brache ergab, an deren Ende aus dem Wasser knorrige Holzgerüste an den Felsen heranragten. In einem Gatter an der Seite standen die angekündigten Kühe mit vom Schnee befeuchteten Heu und schienen abgesehen der unwirtlichen Umgebung nichts von dem ihnen angedachten Schicksal zu ahnen. Doch lenkten sie Alzharas Blick auch zunächst nicht direkt auf sich. Jener war der Abbauwand bestimmt, inmitten derer eine große Lücke in den Holzgerüsten klafftein der eine Beliarstatuette, direkt aus dem Stein gehauen, erkennbar war, von weitaus größerer Höhe, als der ihrigen. Noch ehe sie ein Wort ergreifen konnte, setzte Oran schon zur Erklärung an. „Dies ist eine weitere Neuerung bei uns und Teil des Plans, den wir Euch näherbringen wollen. Wir dachten uns, wenn wir nicht genug Kraft zu geben haben, dann muss ein Wesen von größerer Macht Beliar seinen Dienst erweisen.“ Feuer verkohlte direkt die verlassenen Holzgerüste. „Ihr habt offenbar keine Ahnung von Drachen, Blut können wir nur so viel geben wie der Mensch in uns trägt.“, donnerte die Drachenfürstin. Mit zitterndem Schritt und zitternden Augen machte sie sich auf zum Gehege, griff eine der überraschten Kühe und riss ihren Mittelteil mit ihrem Maul ab, dass Blut und Gedärme ihren Kopf und weißen Schnee ringsum dunkelrot färbten. Noch zuckend fielen Vorder- und Hinterläufe auf den Boden, die zweite Kuh muhte in wilder Panik und versuchte aus dem Gatter zu entkommen. „Oooraaan, komm und ergib dich deinem Schicksal!“, rief sie den Tempelvorsteher zu sich, der zaghaft an das Ungetüm herantrat. „Nicht Ihr sollt knien, bitte hört uns zu Ende an.“ Die Drachenfüstin schnappte sich die Reste der Kuh und würgte sie in einem Happen herunter. Der Körper der Fürstin beruhigte sich wieder etwas.

„Was ist Euer Plan?“, fragte sie mit starker Betonung jedes einzelnen Wortes. „Danke für eure unermessliche Güte, geehrte Lady Alzhara“, versuchte Oran zu schmeicheln, ohne Gehör zu finden. „Erzähle endlich statt meine Zeit zu stehlen“, brüllte die Drachendame schon wieder. „Also, in diesen Bergen lebt ein schwarzer Troll, den wir uns über das Jahr hinweg so freundlich stimmen konnten, dass er unsere Gaben, die wir ihm bereitstellten, nahm und uns verschonte, obwohl wir in seiner Sichtweite weilten. Wir wollten ihn dazu bringen, Beliar ein Opfer zu bringen. Von uns beherrscht nur keiner die Sprache der Bestien, aber Ihr, als Drache, könnt ihn vielleicht irgendwie dazu bringen mit uns einen Handel einzugehen. Unsere Speisekammern sind gut gefüllt, der Viehbestand groß und wir sind bereit Ihm jede Annehmlichkeit zu verschaffen, die er wünscht“, endete Oran.
Der Drachenkörper seiner Herrin kam wieder in Wallung. „Ihr wollt mich also zu einem Troll schicken, einem dieser stinkenden Einsiedler, grausig in der Stimme, von so ungelenker Natur, dass sie selbst untereinander ihren Anblick nicht ertragen?“ Oran fiel in den Schnee. „Bitte Meisterin, tut uns diesen einen Gefallen, wenn er auch unter Eurer Würde ist, was wir allesamt hier bestätigen können.“ Ein tiefes Krächzen drang aus dem Drachenmaul heraus. „Ich dachte immer, wenn ich eine solche Bitte bekäme, erinnerte ich mich nicht daran, so ungeheuerlich ist diese Zumutung. Aber Ihr, Oran, ihr amüsiert mich vor allem. Ein ganzes Jahr schmiedet ihr einen Plan, von dem ihr wisst, dass es einem Wunder gleich käme, gelänge er. Ich könnte jetzt schon davonfliegen, euch zerfetzen oder mich in eurem Gold wühlen und wieder abreisen und es wäre vorbei“, spottete Alzhara. „Herrin, es ist Eure Entscheidung, was Ihr tut. In Eure Krallen empfehlen wir unseren Geist.“ Ein paar zusätzliche Novizen warfen sich neben Oran in den Schnee, um dessen Bitte zu verstärken. „Idiotenpack“, grummelte die Drachenfürstin. Im Gatter nebenan muhte die Kuh weiterhin verzweifelt. Der Kopf war schon blutig aufgeschlagen von ihren Versuchen aus dem Gatter zu entkommen. Alzhara knipste ihr mit einem beherzten Griff den Kopf ab und beendete damit das leidige Schauspiel. „Ich werde Eurer Bitte nachkommen, erwartet Nichts. Erwartet auch, dass es das letzte Mal ist, dass ich euch einen solchen Dienst erweise“ „So bitten wir euch auch um nicht mehr“, versprach Oran, das Gesicht immer noch fast mit dem Boden verwachsen. „Der Troll lebt auf einem Plateau nicht weit von hier im Norden, kurz neben einer Felswand mit einem Überhang“, knüpfte er nach einigen Momenten der Stille an. Momente der Stille folgten, dann hob Alzhara ab.
Der Himmel war an jenem Tag klar, die Suche nicht schwierig. In einer ausgedehnten Hochebene hatte sich der Troll niedergelegt und war dort eingedöst. Am anderen Rand landete Alzhara ungestüm, dass ihr Aufprall deutlich hörbar war. Der Troll wachte auf und ging ruckartig in die Höhe. Ein lauter Schrei ließ die Luft erzittern. „Komm nicht näher, was immer du auch bist“, warnte der Troll und schlug zur Warnung mit seiner Rechten auf den Boden, sodass dieser anfing zu beben. „Ich...“, wollte, Alzhara zu reden beginnen, doch der Troll sprang schon auf sie zu. „Verschwinde, du Ungetüm“, schrie der schwarze Troll und wollte offenbar schon mit seiner Faust ausholen, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen. Die Drachenfürstin schwang sich wieder in die Lüfte, dass der Troll nur noch in die Leere schlagen konnte und kaum mehr vor dem Abhang neben dem Plateau zu bremsen vermochte. „Hör gefälligst zu, bevor du zuschlägst“, forderte Alzhara genervt. Der Troll versuchte ihre Umkreisungen zu verfolgen, um angriffsbereit bleiben zu können. „Was will eine Bestie wie du mir sagen? Zerhauen muss man euresgleichen“, sprach der Troll. Die Drachenfürstin kreiste weiter. „Nichts, ich überbringe nur ein Angebot, du stinkender Felllappen“, verlor sie ihre Contenance. Der Troll blieb trotz dieser Beleidigung stehen und ließ sie wieder landen. „Von wem?“, zeigte er sich interessiert, unterdessen Alzhara wieder auf dem Erdboden ankam. „Von ein paar Menschen am Fuß des Berges, die meinten dir bekannt zu sein.“ Der Troll kratzte sich am Kopf. „Gute Wesen leben am Fuß des Berges. Sie geben mir Essen. Aber gute Menschen lassen sich nicht mit Monstern ein.“ „Dann bin ich wohl keines“, erwiderte Alzhara. „Was wollen denn die Menschen von mir?“, erkundigte sich der Troll. „Sie wollen, dass du dem Geist Beliar dein Blut opferst.“ Der Troll sah den Drachen schräg an. „Warum sollte jemand etwas so Furchtbares von mir wollen?“, fragte er verständnislos. Alzhara räusperte sich. Ihre Gedanken gerieten einen Moment ins Stocken, so selbstverständlich, so offensichtlich war der Zweck des Beliardienstes für sie über die Jahrhunderte geworden. „Der Dämon gibt im Gegenzug zum eigenen Blut Gold als Gegenleistung“, haspelte sie zusammen. „Aber ich brauche doch gar kein Gold“, erwiderte der Troll. „Die Menschen brauchen es“, fuhr Alzhara mit ihrer Erklärung fort. „Und wofür?“, hakte der Troll interessiert nach. Der Fürstin gefiel der Gang des Gespräches nicht. „Willst du nicht lieber über eine Gegenleistung reden?“, versuchte sie auf einen anderen Aspekt überzuleiten. Doch der Troll zeigte kein Interesse daran. „Wenn ich etwas tun soll, will ich schon wissen warum“, machte er seinen Standpunkt klar. Der Lady wurde die Kehle trocken. „Das Gold wird gebraucht, um die Jungdrachen damit zu versorgen, damit der Instinkt des Monsters unterdrückt wird. Das Gold hat eine beruhigende Wirkung. Und wenn ein Drache hemmungslos wütet, bringt er Pein und Zerstörung über die Welt“, erklärte sie sich voll von Scham. Die Gesichtszüge des schwarzen Trolls versteinerten sich. „Ich sehe kein Gold an dir. Bist du nun ein Monster oder keines?“, ließ der Troll nicht locker. Der Körper Alzharas begann sich zu schütteln. Eine drängende Wut wollte ihren Abdruck in der Welt hinterlassen, doch noch konnte sie sich dagegen stellen. „Nein, es ist nur unheimlich schwer mich zu beherrschen, auch jetzt. Ein falsches Wort von dir und ich werde dich mit allem was ich habe versuchen zu vernichten.“

Der Troll brummte in sich hinein. „Also machst du das Problem von dir und deinen Freunden zu dem dieser Menschen. Redest davon, dass du das Gold brauchst und stehst doch ohne Gold da. Was immer du mit diesen Menschen zu schaffen hast, es kann nichts Gutes sein. Ich dachte noch es mit einem Monster zu tun zu haben, aber du bist sogar böse.“ Alzhara konnte nicht mehr an sich halten. Ein Feuerstoß entrang sich ihrem Hals, direkt auf den Troll zu. Alles was zu sehen war, war ein einziges Flammenmeer, durch das plötzlich jedoch die wuchtige Faust des schwarzen Trolls schlug und die Drachendame einmal über das Plateau schleuderte. Ein Abrollen verhinderte das Schlimmste. Alzhara erhob sich in die Lüfte, versuchte mit ihren Krallen den Kopf des Trolles zu erwischen, doch dieser griff sie stattdessen beherzt an ihren Beinen und schmetterte sie erneut auf den Boden. Empfindlich getroffen und Blut hustend, kam die Fürstin wieder zu sich, während der Troll mit versengtem Fell zum Gnadenstoß ansetzte. „Bitte lass mich! Die anderen Drachen wissen doch nicht einmal, woher ihr Gold kommt, ich versuche nur Unheil zu verhindern“, begann die Drachendame zu schluchzen. Der Troll verlangsamte seinen Lauf. „Mich interessiert nicht, was du für Spielchen treibst. Aber dass du es tust“, sprach der Troll eisern. Alzhara versuchte aufzustehen, doch die Schmerzen waren zu stark. „Verdammt, was willst du denn von mir?“, schrie sie flehend. „Lass die Menschen zufrieden, lass mich zufrieden und wenn sie dir etwas wert sein sollten, sag deinen Artgenossen, dass sie sich selber darum kümmern müssen sich zu beherrschen.“ Alzhara hustete nochmals Blut. „Aber, das werden Sie nicht so schnell schaffen, die Neugeborenen brauchen einen Start“, wandte Alzhara ein. Der Troll war inzwischen wieder vor ihr angekommen und hob sie dieses Mal auf die Beine. „Fliege weg, fang an zu arbeiten, was es noch braucht wird sich dann ergeben oder nicht“, erklärte der schwarze weise Troll. Die Drachendame wollte noch einmal etwas dagegen einwenden, doch der Troll machte klar, dass er keine Erklärungen mehr wünschte. „Im Steinbruch, dort wo die Menschen Holz zu Gerüsten gebaut haben ist eine Beliarstatue, wenn du das wissen musst“, sprach Alzhara noch und flog wie befohlen von dannen.

Wenige Tage später fand sich ein großer Goldschatz inmitten eines Sees aus Blut im Steinbruch des nördlichen Beliartempels. Eine blutige Spur führte in die Nordmarer Berge. Noch ein paar Tage später war das Gold verschwunden. Die Drachenfürstin sah man an jenem Ort in Nordmar nie mehr.

Im dreizehnten Jahr nach jenen Ereignissen brachen die Drachen über Midland und Nordmar herein und brachten Schrecken und Verwüstung über das Land.