Vorheriger Post
Seevas gleichmäßige Schritte hallten hohl von den schmucklosen Wänden des schnurgeraden Tunnels wider, der von dem tief herabstürzenden Lift direkt zum Eingang der Docks führte. Der „Armendocks“, wie man sie auf der Citadel hinter vorgehaltener Hand nannte. Sie waren isolierter, als der Rest der Citadel und führten direkt in die Tips. Wer hier landete, hatte sich den denkbar schwersten Start für ein Leben auf der Citadel ausgesucht. Es waren Leute von Omega, Leute aus den Kolonien, Leute ohne Perspektive oder mit zu großen Träumen, die hier strandeten. Oder solche, die nicht wahrgenommen werden wollten. Schmuggler. Drogendealer. Mörder.
Seeva T’Saari war nicht ohne Ziel unterwegs. Die Armendocks waren nicht das Terrain, in dem sie sich gerne aufhielt, obwohl man sie hier schon so oft gesehen hatte, dass sie still als Teil der Gesellschaft hingenommen wurde. Falls jemand wusste, dass sie zu den Spectre gehörte, schwieg dieser jemand es aus. Die Wahrheit war, dass man sie für eine Auftragsmörderin hielt, ein Image, dass sie wie einen Schild oder eine Verkleidung aufrechterhielt. Man übersah geflissentlich die an ihrer Hüfte schaukelnden Waffen, schaute weg, wenn ihre grünen Augen scannend über die schattenhaften Gesichter jener huschten, die eine Existenz am breiten Fuße der Citadel vorzogen. Die Leute erkannten die Zielstrebigkeit der Asari und ließen sie in Ruhe.
In den Docks hatte sich im Laufe der Jahrhunderte eine Subkultur gebildet. Eine Parallelgesellschaft, ähnlich wie jene, die in den Tips lebte. Tatsächlich bestand eine enge Verbindung zwischen dem Armenbezirk und diesen Docks. Viele der jüngst ausgelöschten Banden in den Devil’s Tips hatten hier ihre illegalen Vorräte aufgestockt. Es gab Händler mit einer Auslage, die bei neugierigen Blicken mit schmutzigen Tüchern abgedeckt wurden. Der Kram war eindeutig illegal, wenn auch nicht ganz so schlimm wie all das, was nicht in der Auslage zu finden war und nur auf Nachfrage und die Nennung eines Empfehlenden hervorgeholt wurde. Irgendwann vor gut hundertfünfzig Jahren hatte Seeva den Versuch unternommen, die Flut an illegalen Gerätschaften und Waffen einzudämmen, war aber schnell an ihre Grenzen gestoßen. Es schien so, als bestünde gar kein echtes Interesse seitens damaligen Justizapparates, den Verkauf von Waffen zu verringern. Seeva konnte sich daran erinnern, dass man ihr gegenüber tatsächlich geäußert hatte, dass die Waffen von den Gangs in den Tips bloß dazu genutzt werden würden, um sich damit gegenseitig zu erschießen – ein Umstand, den C-Sicherheit offenbar begrüßte. Ironischerweise reichte die Bewaffnung der Gangs so sehr an professionelles Equipment heran, dass der Bezirk sich bei dem Angriff der Geth vor wenigen Jahren effektiv verteidigen konnte. Dass C-Sicherheit die Tips vor einigen Wochen nahezu ohne Verluste ausräuchern konnte, grenzte in Seevas Augen an ein Wunder.
Ihre Schritte trugen die Spectre den in artifizielles Leuchten getauchten Gang zu einer billigen Kaschemme, die in klischeehaft flackerndem Neonlicht ihren batarianischen Namen in die Dunkelheit des Docks brannte. Hier gab es keine Batarianer, zumindest keine, die man sehen konnte. Stattdessen erkannte Seeva nach dem Eintreten in den geduckten Raum, dessen glaslose Fenster mit Fetzen alter Decken gegen neugierige Blicke abgeschirmt waren, mehrere Turianer, die sich auf einen wackeligen Tisch stützten. Die ihr zugedrehten Rücken waren mit blauem Stahl gepanzert – Blue Suns. Seeva ging auf den Tisch zu, die Turianer bemerkten sie und stoben lautlos auseinander, jeder in eine andere Ecke des Raumes. Seeva trat an den Tisch und sah dem einzigen Menschen in der Gruppe in die von Falten umkränzten Augen. John Coltrane sah sie mit wissendem Blick an.
„Wie geht’s Angel?“, fragte Seeva und legte beide zu lockeren Fäusten geballten Hände auf der Tischplatte ab.
„Gut“, antwortete Coltrane. „Sie wird es überleben, auch wenn sie ihr Gesicht jetzt dauernd im Spiegel nach Narben absucht.“ Seeva nickte.
„Ist er hier?“
Diesmal nickte Coltrane und deutete mit einem Kopfrucken in den hintergelagerten Teil der recht leeren Kneipe. Die Wände waren durch fehlende Licht so schwarz, dass man den Gang in den Anbau nur erahnen konnte.
„Warten Sie hier“, sagte Seeva. Coltrane quittierte den Befehl mit einem erneuten Nicken.
Es gab keine Musik in dieser Bar, keine fleißigen Bedienungen. Irgendwo in der hintersten Ecke putzte ein Mensch oder Batarianer – es war durch die vielen Schals und die Mütze nicht klar zu erkennen – mit einem schmutzigen Fetzen ein noch schmutzigeres Glas. Hier und da leuchteten Augenpaare aus dem Dunkel auf, erloschen aber sobald Seeva einen Blick zu ihnen warf. Ihre Schritte federten auf dem offenbar mir gelöcherten Gummimatten ausgelegtem Boden, der den Tritt verschluckte und an dem die Sohlen der eigenen Schuhe unangenehm klebten. Seeva erkannte das fahle Spiegeln des flüchtigen Lichts auf dem Helmvisier, noch ehe ihr Ziel sie sah. Die Asari beschleunigte ihre Schritte geringfügig. Sie sah sich um. Hier, in dieser lichtlosen Ecke, war niemand außer ihr und dem, der vor ihr saß. Fast niemand.
Awan ´Rheda vas Verdune saß mit gebeugtem Rücken über den Tisch geneigt, zischelte seinem Gegenüber etwas zu. Er verstummte, als die Gestalt Seevas direkt an seinem Platz stehen blieb, aufgerichtet wie ein Schatten drohenden Unheils. Der Quarianer war in ein aufgeregt vorgetragenes Gespräch mit einer anderen Person vertieft gewesen, die Seeva nun als Artgenossin erkannte. Die Asari starrte die Spectre auf großen, blauen Augen heraus an. Seevas Blick huschte zu den Waffen, die sowohl die Asari als auch Awan trugen, allerdings machte niemand der beiden Anstalten, zu ihnen zu greifen. In der Mitte des Tisches lag ein kleiner Haufen verschiedenster Zahlungsmittel – Credit-Chips, Quasar-Taler, ausgebauter und polierter Platinen und sogar einige altmodische Münzen, die höchstens noch Sammlerwert hatten.
„Hallo Awan“, sagte Seeva kalt.
„C-… Commander“, stotterte der Quarianer. „W-.. was f-f-für ein Zufall.“ Er bemühte sich Contenance zu wahren und seine Stimme zu zügeln. Er räusperte sich und fuhr in etwas gefassterem Ton fort: „Ich habe nichts zu berichten. Ihr Befehl war eindeutig.“ Seeva bedeutete der Asari mit einem Wink ihrer Hand, dass sie auf ihrer Sitzbank durchrutschen solle. Sie gehorchte und machte der Spectre Platz, die ihre Augen nicht von dem Quarianer ließ.
„Was haben Sie vor?“, fragte Seeva und deutete auf den Haufen vor ihr. Ihre Stimme war zu einem unangenehmen Schnarren geworden.
„Ich… hab überhaupt nichts vor“, log Awan und gestikulierte mit den dreifingrigen Händen, als würde er sich über eine Petitesse austauschen.
„Ich dachte bloß, es wäre für uns von Vorteil, wenn…“
„Wenn Sie sich absetzen?“, beendete Seeva seinen Satz. Der Quarianer schwieg. Sie konnte seine Gedanken hinter dem Dunkel des Visiers arbeiten sehen. „Wissen Sie, es fällt schwer jemandem zu vertrauen, der sein Gesicht hinter einer verspiegelten Maske verbirgt. Trotzdem hätte ich gedacht, dass Geld und die Aussicht auf den Schutz der Spectre Ihnen Motivation genug wären, Awan.“
„Ich hatte nie vor…“, setzte Awan an, schwieg dann aber. Er wusste, dass jeder Versuch einer Ausrede unweigerlich in Abneigung gipfeln würde.
„Sie hätten nicht fliehen sollen.“
„Nein! Ich hätte niemals mitmachen sollen. Dieses ganze Spionieren, Entführen, diese Kämpfe…“ Seeva hörte den Graus in seinen Worten, empfand aber wenig Mitleid. Feiglinge wie Awan waren der Grund dafür, dass Männer wie Decius Vhan ihr Werk ungestraft fortsetzen konnten.
„Vermutlich haben Sie Recht. Sie waren der falsche Mann für den Job. Tut mir leid.“ Ein unangenehmes Schweigen, nur unterbrochen von den heftiger werdenden, pfeifenden Atemzügen des Quarianers und dem nervösen Herumrutschen der Asari neben Seeva.
„Und… jetzt?“
Seeva zuckte mit den Schultern. „Ich denke, dass wir jetzt einen Schlussstrich ziehen müssen. Ich kann mir keine losen Enden leisten.“
„Hören Sie, Sie müssen sich keine Sorgen machen, um mich… Ich finde schon…“
Vor Seevas geistigem Auge sah sie Awan an dem ausgestreckten Arm dieses Monsters von Petalin baumeln, das Helmvisier gebrochen, wehrlos strauchelnd. Eine lange Klinge schälte seinen Überlebensanzug von seinem Körper.
„Glauben Sie mir, Awan, wenn ich Ihnen sage, dass mir das hier keinen Spaß bringt“, sagte Seeva mit leisem Bedauern in der Stimme.
„Was? Warten Sie…“
Der Knall der Pistole war so laut, dass er die ganze Kaschemme erzitterte. Seeva war schnell, hatte ihre Waffe aus dem Halfter und auf das Herz des Quarianers gerichtet, noch ehe er dazu kam seinen Satz zu beenden. Merkwürdig gefärbtes Blut spritze gegen die Rückseite seiner Sitzbank. Einen Moment leuchteten die Augen hinter dem Visier in grellem Weiß, dann erloschen sie und der tödlich getroffene Quarianer schlug dumpf auf dem Tisch auf, den Kopf inmitten der Credits.
„Fuck!“, schrie die Asari neben Charis. Auch sie war schnell, sogar schneller, als Seeva es erwartet hatte. Sie war weggerückt und hatte zu der an ihrem Gürtel hängenden Predator gegriffen. Seeva aber war schneller, packte ihre Artgenossen im Nacken und schlug deren Kopf mit Wucht auf die Tischplatte vor ihr. Benommen taumelte sie hoch, da stand Seeva bereits. Ihre Wange war von dem Schlag aufgeplatzt, Blut sickerte aus dem feinen Riss und aus ihrer Nase. Sie blinzelte zu der Spectre hinauf, die kurz zu dem toten Awan schaute, dann zu der anderen. Sie wandte sich der Asari zu, die Pistole locker in der Hand. Sie richtete sie beinahe lässig auf die Brust ihrer Artgenossin.
„Scheiße, ich habe nichts gesehen! Ich werde nichts sagen“, schrie die Asari panisch und hob sich ergebend die Hände.
„Ich weiß“, antwortete Seeva mit der Abgebrühtheit eines Killers.
„Nein! Bitte! Ich… ich kann Ihnen nützlich sein!“, rief die Asari. Tränen liefen ihr über die Wange und vermischten sich mit dem Rinnsal an Blut.
Seeva hielt inne. Die andere Asari bewies Überlebensinstinkt und nutzte das Zögern des Spectre.
„Ich habe ein Schiff, ein nicht registriertes Schiff. Ich bin eine Schmugglerin und kann Sie oder Ihre Waren oder was auch immer ungesehen von der Citadel schmuggeln.“
Seeva hob eine tätowierte Augenbraue und dachte nach. Den Finger noch immer am Abzug spielend, wog sie den Nutzen der anderen ab.
„Sie sind sehr jung“, stellte Seeva schließlich fest. „Ich bezweifle, dass Sie genug Erfahrungen haben, um meinem Anspruch gerecht zu werden – und der Aufgabe, die ich zu erfüllen habe.“ Sie biss sich auf die Unterlippe und hob die Waffe.
„Nein!“ Die Asari riss die Hände hoch, als könnten ihre bloßen Hände ein Profil abhalten. „Ich habe auf Omega geschmuggelt, in den Terminus-Systemen, im Rats-Sektor. Ich habe Kontakte zu den Eclipse-Schwestern. Ich…“
Die Specte ließ die Waffe sinken.
„Wie ist dein Name?“
„Charis“, antwortete die Asari hektisch. „Charis Vale.“