Zitat von
Jean-Luc Picard
Aus den Fällen, die in der Doku vorgestellt wurden.
OK - dazu müsste ich die erst ansehen. (Das geht leider auch gerade schlecht, daher kann ich nicht viel dazu sagen). Die StA kann selbstverständlich auch das Vorverfahren, d.h. die Ermittlungen einstellen, das ist bspw. dann der Fall wenn bereits aus der Anzeige hervorgeht dass das Verhalten selbst bei zutreffender Beschreibung keine Straftat darstellt. Das aber nur als allgemeine Information dazu - ich kann das nicht für den Einzelfall beurteilen. Es gibt aber durch § 172 StPO die Möglichkeit eines sog. Klageerzwingungsverfahrens, siehe im Skript das ich verlinkt habe S. 1/2.
Zu den von dir beschrieben Fällen grundsätzlich: Das klingt alles erst einmal schockierend, keine Frage. Um dazu aber wirklich etwas sagen zu können, ist die genaue Kenntnis der Umstände notwendig plus die entsprechenden Urteile (bzw. Urteilsbegründungen) im Volltext.
Zur Anklage kommt es dann aber wie durch Zauberhand immer nur gegen den Zivilisten, gegen den auf Widerstand gegen die Festnahme geklagt wird, wohingegen dem Gegenvorwurf offenbar wenig bis keine Beachtung geschenkt wird.
Hä? Wie kommst du darauf? Sorry, das stimmt einfach nicht - allein die Strafverfolgungsstatistik weist für das Jahr 2018 insgesamt 49 Abgeurteilte, davon 20 Verurteilte für den § 340 StGB aus, siehe S. 44. Aus dieser geht zwar nicht hervor ob all diese Polizisten sind, dass es aber keine (im Sinne von: Null) Verfahren / Anklagen gibt ist Unsinn. Eher bemerkenswert ist übrigens das Geschlechterverhältnis (nur sechs weibliche Angeklagte), sowie die Altersverteilung - es scheint, als wären ältere Jahrgänge (50-60 J.) am häufigsten vertreten.
Das Thema wird auch in den Rechtswissenschaften immer wieder diskutiert. Leider gibt es nicht viel dazu online verfügbar, ich empfehle jedoch auch hier den Lisken/Denninger "Handbuch des Polizeirechts", nur kommt man auch hier nicht zu echte Ergebnissen. Das hängt auch leider damit zusammen dass das Thema eben politisch aufgeladen ist (daher auch mein Verweis auf die "Rote Hilfe").
Für die Gruppierungen, die habituell jegliche rechtsstaatliche Ordnung ablehnen, sollte einerseits klar sein dass die Anzeige keineswegs immer aufgrund einer tatsächlichen Sachgrundlage erfolgt. Andererseits gilt, dass Menschen - auch Polizisten mit bester Ausbildung - natürlich Fehler machen können, und es zeigen gerade die jüngsten Vorkommnisse bzw. Aufdeckung von rechten Strukturen innerhalb der Polizei, dass auch in deren Richtung kein uneingeschränktes Vertrauen gewährt werden kann. Beides macht es fast unmöglich sich dem eigentlichen Problem zu nähern, weil man immer der Verdächtigung ausgesetzt ist, irgendwen zu decken.
Die schwierige Frage vor der ein Staatsanwalt eben steht ist diejenige:
- Versucht der Verdächtige eben, die Verfolgung seiner eigener Straftat oder sein gewalttätiges Verhalten gegenüber dem politischen Gegner (i.d.F. dem Polizist als Repräsentant des Staates) durch diesen Vorwurf als politische Verfolgung, und damit nicht strafwürdig erscheinen zu lassen?
- Oder aber: Hat hier ein Polizist seine Befugnisse überschritten - mit oder ohne Absicht?
- Welche Rolle spielt das situative Element? Haben Motive (planvolles Handeln) hierbei überhaupt den entscheidenden Ausschlag gegeben?
Das ist alles nur sehr schwer zu beantworten. Das merkt man auch in den einschlägigen Veröffentlichungen. Siehe hierzu beispielsweise diese hier - sorry, habe online keine bessere dazu gefunden:
Zitat von
Singelnstein, Tobias: Institutionalisierte Handlungsnormen bei den Staatsanwaltschaften im Umgang mit Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt gegen Polizeivollzugsbeamte, MschrKrim 86. (2003), 1, S. 11
2.3.2.2 Besondere Probleme der Beweisführung
Weiterhin könnte die abweichende Erledigung [von Ermittlungsverfahren gegen PVB, Anm.] mit tatsächlich vorhandenen besonderen Beweisschwierigkeiten bei derartigen Verfahren zu erklären sein. Nach Berichten von Richtern und Strafverteidigern kommen hierbei zunächst Probleme bei der Identifizierung der Beschuldigten in Betracht. Insbesondere bei Demonstrationen aber auch bei sonstigen Einsätzen von Bereitschaftseinheiten sind die Handelnden aufgrund der Schutzkleidung und mangels Kennzeichnung im Nachhinein auch bei Gegenüberstellungen kaum zu ermitteln. Sodann steht bei Verfahren nach § 340 StGB in der Regel Aussage gegen Aussage, andere Beweise sind oft nicht vorhanden. Während der beschuldigte Polizeibeamte meistens mit Kollegen aufwarten kann, die zu seinen Gunstenaussagen, fällt es den Anzeigenden v. a. bei Fällen im Zusammenhang mit Demonstrationen schwer, im Nachhinein Zeugen zu ermitteln. Hinzu kommt, dass Polizeibeamte die Zeugenrolle gewöhnt und dafür geschult sind. Für die Anzeigenden und andere Zeugen hingegen handelt es sich um eine Ausnahmesituation. Aufgrund dieser Gegebenheiten entsteht nicht selten ein quantitatives und qualitatives Zeugenverhältnis, das notwendigerweise zu einer Einstellung durch die StA nach § 170 II StPO führt.
Das Problem liegt - zumindest teilweise - einfach in der Natur der Sache. Eine Kennzeichnung von Polizeibeamten kann hierbei möglicherweise Abhilfe schaffen, genauso die Einführung der sog. BFE-Einheiten, die Einsätze auf Video dokumentieren. Soweit ich informiert bin hat das aber zu keiner echten Veränderung geführt, in NRW wurde die Kennzeichnungspflicht wieder abgeschafft; u. a. auch deshalb weil es in anderen Bundesländern zu Übergriffen auf die Familien von Polizeibeamten durch den linksextremen Mob - etwa hier in Hitzacker, oder auch Aufrufen zur Verfolgung von Polizeibeamten gekommen ist.
Als Innenminister steckt man hier in der Zwickmühle, weil sich unweigerlich der Eindruck aufdrängt dass es linken Gruppierungen hier keineswegs darum geht, nur Fehlverhalten der Polizei ahndbar zu machen, sondern eben so viel wie möglich gegen die Polizei an sich zu unternehmen. Früher oder später führt dies zur Verunmöglichung der Arbeit dieser und damit dem Durchsetzen von Gesetzen - und das ist es, was entsprechende (linksextreme) Gruppierungen auch wollen: Rechtsfreie Räume. In denen das Recht des Stärkeren gilt.
Es ist wichtig zu verstehen, dass hieraus im Ergebnis ein Schaden für die Opfer tatsächlichen Fehlverhaltens der Polizei resultiert.
Und zwar deshalb, weil die Verfolgung dieses Fehlverhaltens praktisch unmöglich wird.
Weiter im Text:
2.3.2.3 Hohes Maß unberechtigter Anzeigen
Außerdem könnte noch eine besonders hohe Zahl unberechtigter Anzeigen als Erklärung für die erhöhte Einstellungsquote dienen. Bei einem Großteil der Ermittlungsverfahren nach § 340 StGB gegen Polizeivollzugsbeamte läuft zugleich auch ein durch die Polizei eingeleitetes Verfahren gegen den Anzeigenden, zumeist wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 StGB. Die Innenverwaltungen und StAen erklären dies sowie die überdurchschnittliche Einstellungsquote in der Regel damit, dass die Anzeige wegen Körperverletzung im Amt meistens eine "Retour-Kutsche" auf das eingeleitete Ermittlungsverfahren und also unberechtigt sei. Strafverteidiger, Betroffene und Bürgerrechtsgruppierungen hingegen berichten übereinstimmend, dass es sich bei den Anzeigen durch die Polizei meistens um eine Gegenanzeige nach dem Motto "Angriff ist die beste Verteidigung" handele. Teilweise würde gemäß den Angaben von Anwälten sogar nach rechtswidrigen Übergriffen präventiv Anzeige erstattet, um bei einem eventuellen Ermittlungsverfahren nach § 340 StGB gewappnet zu sein, und die Anzeige je nach Schwere der Verletzungen mehr oder weniger ausführlich begründet. Gegen die Einschätzung, dass ein außergewöhnlich großer Teil der Ermittlungsverfahren nach § 340 StGB auf unberechtigte Anzeigen zurückzuführen ist, spricht auch, dass das Verfahren für den Anzeigenden mit erheblichem Aufwand und ggf. Anwaltskosten verbunden ist und selten zum gewünschten Erfolg führt (s. o. unter 2.2.1). Vor diesem Hintergrund erscheint das Vorliegen eines besonders hohen Maßes an unberechtigten Anzeigen als Erklärung für die erhöhte Einstellungsquote zumindest zweifelhaft. Allerdings ist denkbar, dass Anzeigen wegen § 340 StGB aufgrund des Drucks durch das Gegenverfahren des öfteren zurückgezogen werden, was dann im Regelfall zu einer Einstellung mangels Beweisen führen dürfte.
Hier werden zwei Dinge geschildert, erstens: Die Kontroverse verbleibt, was wenig verwunderlich ist, zwischen Anklageseite und Beklagtenseite. Zweitens: Bereits an den Formulierungen "scheint zumindest zweifelhaft" / "ist denkbar" sollte deutlich werden, dass nur vage Schlussfolgerungen über die tatsächlichen Sachzusammenhänge möglich sind. Weiterhin:
2.4 Schlussfolgerungen
Die ausgewerteten Quellen lassen den Schluss zu, dass Ermittlungsverfahren gegen Polizeivollzugsbeamte wegen Körperverletzung im Amt mit hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich anders behandelt werden, als vergleichbare andere Verfahren. Insbesondere muss von einer besonders hohen Quote an Einstellungen v. a. nach § 170 II StPO ausgegangen werden. Erklären lässt sich dies zum einen mit dem Wirken institutionalisierter Handlungsnormen bei den StAen. Es kommen aber auch andere Erklärungsansätze – wie besondere Beweisschwierigkeiten und weniger effektive Ermittlungsarbeit durch die Polizei – in Betracht.
Soweit diese (eine) Meinung. Es gibt leider noch sehr viele weitere anderslautende. Und Vorsicht, Bias: Welchen Erklärungsansatz man für am wahrscheinlichsten hält, sagt vielleicht am ehesten etwas über die eigene politische Haltung aus.
Meine persönliche Einschätzung soll euch auch nicht vorenthalten bleiben. Das Leitproblem ist, dass die Kontrollmechanismen, die für die vorliegende Problematik vorgesehen sind, von extremistischen Gruppierungen missbraucht werden. Das schadet leider insgesamt, weil es die möglicherweise tatsächlich bestehenden Probleme verhärtet, was von besagten Gruppierungen auch durchaus gewollt ist. Linksextremisten wollen eine brutale und unverhältnismäßig agierende, oder jedenfalls als solche wahrgenommene Polizei, weil diese ihrem Weltbild entspricht und ihren Wunsch nach dem gewaltsamen Umsturz legitimiert. Und sie tun alles, um den Eindruck einer solchen zu erwecken, bzw. durch Aggression, Provokation und Agitation vermeintliches oder tatsächliches solches Handeln hervorzurufen. Und es ist ihnen dabei wirklich völlig egal, ob Unschuldige oder Unbeteiligte dabei mit verletzt oder hineingezogen werden.
Eine Studie über Rechtsextremismus in der Polizei ist, finde ich, übrigens eine gute Idee. Jegliche Befürchtung, dass diese der Institution Schaden zufügt, ist unbegründet, das Aufdecken von Missständen und ihre Beseitigung ist normal und wünschenswert. Die entsprechenden Motivationen derer, die solche Studien fordern, müssen jedoch auch berücksichtigt werden. Recht treffend kommentierte das Jasper von Altenbockum in der FAZ:
Zitat von
J. v. Altenbockum: Die Polizei, dein Punchingball und Hassobjekt
Es wäre die Krönung eines bis heute gepflegten Misstrauens gegen die "Bullen" gewesen, wenn Grüne und Linkspartei sich durchgesetzt hätten und mit Hilfe der SPD den Generalverdacht des Rassismus "wissenschaftlich" in die Polizeiwachen hätten tragen dürfen. Warum dabei ein objektiver Befund herauskommen sollte, ist unerfindlich. Es gibt höchst wissenschaftliche Studien über Extremismus, aus denen die Hälfte der Bevölkerung als potentielle Faschisten hervorgeht. Erkenntnis gibt es eben nicht ohne Interesse.
(...)
Es geht um Ursache und Wirkung: Vernachlässigung macht etwas aus Polizisten, was der Gesellschaft nicht egal sein kann. Sie macht sie anfällig für Resignation, für das Denken in Sündenböcken, für Wagenburgmentalität, für Corpsgeist, für Radikalisierung. Das entschuldigt Rassismus nicht. Aber es ist ein Ansatz, ihn zu bekämpfen. Deshalb bewirkt die Studie in dieser Form hoffentlich Gutes.
Kritisch sehen muss man neben einem Problem, unabhängig von dessen Bestehen oder Schwere, auch eben immer Instrumentalisierungsversuche. Es steht zu hoffen, dass mit tatsächlicher wissenschaftlicher Arbeit diese durchschaubar und von den Problemlösungen isoliert werden. Aber ich bin da recht zuversichtlich.