Gute Fragen, also gerne:
Zitat von
foobar
Kann die Temperaturstabilität auch ein Faktor sein? Ich habe mir sagen lassen, dass Keramikkondensatoren (anders als Tantals) bei der Kapazität in Abhängigkeit von der Temperatur wohl gerne etwas durch die Gegend driften.
Das tun grundsätzlich alle Bauformen mehr oder minder. Es kommt auf die Feinheiten an, vor allem auf das Keramikmaterial:
Es gibt auch unter den Vielschicht-Keramikkondensatoren welche mit fast gar keiner Temperaturdrift, sog. NP0-Kondensatoren, die man z.B. für Oszillatoren oder Filter braucht.
Die haben aber einen Haken:
Da das dafür geeignete Material eine sehr kleine Permittivität (auch als Dieelektrizitätskonstante bezeichnet) aufweist, bräuchte man für eine genügende Kapazität für die Starkstromimpulse der GPU große Klopper, sodass das Produkt preislich wie auch mechanisch aus dem Rahmen fallen würde.
Man braucht Keramiken mit besonders großer Permittivität. Dabei kann die Drift tatsächlich groß werden. Weil die Drift von Tantaltypen bei gemütlichen Temperaturen gemessen wird (typ. -10 % bei 70...80 °C), denn viel vertragen die nicht (z.B. 2000h@105°C, nicht gut!), hinken die Vergleiche manchmal. Oder es wird mit veralteten oder schrecklich billigen MLCCs verglichen. Die -40% von der hochkapazitiven Variante der TDK-MLCCs dürfte praktisch selten erreicht werden.
Gucken wír uns mal an, was der Hersteller TDK für seine aktuellen Hochtemperatur-MLCCs an Kapazitätsdrift angibt:
NP0 0±30ppm/°C –55 to +150°C
X8R ±15% –55 to +150°C <- besser zusätzlich solche auf dem kürzesten Weg parallelschalten
X8L +15,–40% –55 to +150°C <- für den Hauptteil der Kapazität nötig
Das sind schon viel bessere Eigenschaften, als der Konkurrent Panasonic uns glauben machen will, wenn er für seine POSCAPs wirbt und dabei Panik gegen MLCCs schürt, zwar mit einem wahren Kern, aber im Endeffekt doch grob verzerrend. Die oben angeführten MLCCs schneiden bei allen hier relevanten Parametern besser ab. Die POSCAPs vertragen längst nicht die Temperatur, die ein Hochtemperatur-MLCC von TDK verträgt. Letztere sind z.B. dafür vorgesehen, direkt bei hochbelasteten IGBTs verlötet zu werden.
Das soll nur ein Beispiel sein. Speziell auf große C/V bei kleinen Spannungen und minimale Verluste hingezüchtete Typen habe ich nicht extra gesucht.
Wenn Kostengleichheit bei gleichem C/V verlangt wird, hinkt der Vergleich in der Reklame von Panasonic für die POSCAPs nicht mehr unbedingt, was ein legitimer Beweggrund sein könnte. Die POSCAPs haben ihre Daseinsberechtigung, das ist hier nicht als Kritik an dem Bauteil an sich gemeint. Da sind große Fortschritte gemacht worden. Noch vor rund zwanzig Jahren war alles mit Tantal drin unzuverlässig (ein potentieller Kurzschluss). Aber darum sollte es nicht gehen, wenn ein Produkt, das 800 Euro oder mehr kostet, wegen eines einstelligen Euro-Betrags versaut wird. Wir erwarten an dieser Achillesferse nicht so spottbillige MLCCs, dass der Vergleich aufgeht. Wir erwarten nicht mal, dass die Kapazität ganz die gleiche Größenordnung erreicht.
Tantal-Cs haben in der Phase des krassesten dI/dT größere interne Verluste und wären daher mehr als die Keramik-Cs thermisch belastet, wodurch der Temperaturvergleich hinkt. Normalerweise ist die Innenaufheizung der Keramic-Cs geringer, was die -40 % vom Worst Case des hochpermittiven X8L-Profils relativiert. Sie steigt aber relativ zu den Tantal-Cs wieder ein wenig dadurch an, dass die Keramik-Cs bei den Flanken überhaupt richtig funktionieren. Verteilt sich die Ladung wegen der Flinkheit gleichmäßiger, so ist die nutzbare Kapazität größer. MLCCs haben an den Flanken, wo die Situation besonders kritisch ist, im Vergleich mit POSCAPs eine relativ höhere nutzbare Kapazität. Ein stumpfer Kapazitätsvergleich ist also auch hier falsch. Er stimmt weder thermisch noch dynamisch.
Es geht nur um krasse dI/dT. Cs zum glätten langsamer Anteile kann und sollte man nach woandershin wegbauen. Wenn man die Anbindung mit geringen Verlusten schafft, dann genügen ausschließlich Keramikkondensatoren mit relativ geringer Kapazität. Das Problem ist aber, dass die Größenordnung so krass ist, dass jeder Millimeter Leiterbahn einer zu viel sein kann und dass der Rotstift die dicken Drahtbügel (oder breite Blechbänder), die man dazu auf der Unterseite bräuchte, nicht erlaubt. Weil es an einer verlustarmen Zuführung an einen entfernteren Ort mangelt, sitzen die hochkapazitiven Kondensatoren beim Referenzdesign so dicht am Chip. Vermutlich lassen sie sich aber mit etwas Zusatzaufwand wegbauen, sodass direkt unter dem Chip nur noch (umso mehr) Keramikkondensatoren verbaut werden müssten, bei gleichzeitig größerer Kapazität als zuvor. Erst damit hätten wir die für mehr Leistung bei ordentlicher Zuverlässigkeit nötige Skalierung.
Gigabyte versuchte, gemäß eigener Darstellung, mit großen Kapazitäten zu kompensieren, was gegenüber MLCCs an guten Eigenschaften fehlt. Aber das geht nur bis zu einem gewissen Grad, und wenn die Alterung ins Spiel kommt, nimmt die verlustbedingte Kettenreaktion Fahrt auf. Die Innenaufheizung steigt immer weiter an, bis zum Durchschmelzen der empfindlichen Polymerfolien. Damit die Innenaufheizung gering ausfällt, müssen für große dI/dT qualifiziertere Kondensatoren ergänzt werden.
Keine Ahnung, ob das hier eine Rolle spielt (verstehe ja eh nix davon), aber so ganz naiv könnte ich mir schon vorstellen, dass bei einer Grafikkarte, die ständig zwischen 10 und 300W wechselt, auch die Temperatur regelmäßig und stark schwanken dürfte.
Wird sie wohl. Trotzdem kann man auf keramische Kondensatoren nicht verzichten, siehe die vielen anderen, die üblicherweise in noch größerer Anzahl unter solchen Chips verlötet sind. Sogar auf dem Träger des Chips finden sich oftmals welche. Das hat man inzwischen gut im Griff. Die hier angedachten, etwas größeren Typen, sind noch nicht zu groß. Erst wenn die Belastung zur Fremdbeheizung hinzukommt, wird es eng. Es mangelt an Platz, um viele Kondensatoren, zur Aufteilung der Ströme, dicht am Chip und dabei mechanisch unaufwändig, also kostengünstig, unterzubringen.
Grundsätzlich sind POSCAPs nicht besonders hitzestabil. Sie degradieren allmählich und sicher, nicht ganz wie normale Elkos, aber schon etwas ähnlich. Dafür ist es weniger wahrscheinlich als bei MLCCs, dass ihre Kappen abreißen. Demgegenüber hat man es beim Referenzdesign gleich mit mehreren, parallelgeschalteten, Keramikkondensatoren zu tun. Einen Ausreißer würde man, solange ein Kurzschluss ausbleibt, gar nicht bemerken. Da wir uns in einem Grenzbereich bewegen, gibt es sowieso keine Rechtfertigung für schlechte MLCCs, die leicht Risse bekommen oder denen leicht die Kappen abreißen. Aber tun wir mal so, als ob: Besser zerberstet ein MLCC unter vielen, als dass ein POSCAP den für ihn typischen Kurzschluss bekommt. In jedem Fall ist sicher, dass nach einem defekten POSCAP die Graka nicht mehr richtig laufen wird, wogegen zwei oder drei defekte MLCCs, wenn sie keinen Kurzschluss bekommen, wofür es wenigstens eine Chance gibt (bei POSCAPs eher nicht), unbemerkt bleiben sollten.
Aber wenn die Kapazitäten kritisch für die Schaltung sind (kontrollierte Impedanz und so Gedöhns),
Es kommt auf eine möglichst niedrige Impedanz an, über den gesamten Verlauf (keine bestimmte). Resonanzstellen sind zu eliminieren. Und das geht am besten mit einer Parallelschaltung, also nicht ohne MLCCs (oder einem raumgreifenderen Äquivalent).
würde eine Teilbestückung mit Tantalkondensatoren nicht auch die maximale Drift begrenzen?
Es gibt MLCCs, die den POSCAPs auch in dieser Disziplin mindestens ungefähr ebenbürtig sind (s.o.). Sollte dieses aus irgendwelchen Gründen trotzdem nicht erreicht werden (z.B. wegen eines anderen MLCC-Typs aufgrund anderer qualitativer Prioritäten oder aus Kostengründen), so hilft die Parallelschaltung (hilft ggf. auch wegen eines größeren C/V). Das ist richtig (kommt jedoch bei guten MLCCs nicht zum Tragen, bei ziemlich beschissenen oder bis an die Kotzgrenze C/V-optimierten evtl. schon). Der Kapazitätswert an sich ist, innerhalb sinnvoller Grenzen, ziemlich egal. Die Exemplarstreuung und die grobe Rasterung der regelmäßig verbauten Normwerte unterstreichen das aus einer anderen Perspektive.
Bei diesen wenigen winzigen Kondensatoren wäre mir wegen der Anforderungen sowieso mulmig zumute, und zwar auch schon beim Referenzdesign. Angesichts der Größenordnungen, mit denen wir es zu tun haben, fühlt sich das für mich nicht gut an.