Hier mal wieder ein reales Beispiel für Cancel Culture, eines der Beispiele über die Rechte gern schweigen, oder eben fleißig mitmachen. Kerem Schamberger, stabiler Aktivist für Kurdenrechte, und schon oft mit der Erdogan-hörigen bayrischen Justiz aneinandergeratener Doktorand an der Münchner Uni, hat folgendes erlebt:
Am 15. Januar 2021 hätte ich an der Universität Hildesheim einen Vortrag zum Demokratischen Konföderalismus und zur aktuellen Entwicklung in Rojava halten sollen. Es wäre um Rätedemokratie, Feminismus und Ökologie gegangen. Nun wurde ich wieder ausgeladen. Nein, es waren keine Erdogan-UnterstützerInnen, der Verfassungsschutz oder andere rechte Gruppierungen, die die Absage erwirkt haben. Verantwortlich sind studentische Strukturen an der Universität Hildesheim, die sich selber im linken Spektrum verorten. Mein Vortrag wurde abgesagt, weil bekannt wurde, dass ich nicht nur die menschenverachtende Politik des türkischen Staates kritisiere, sondern immer wieder auch die Besatzungspolitik Israels verurteile.
Leider gehört es hierzulande zum Alltag, dass Menschen, die sich für die Grundrechte der PalästinenserInnen einsetzen, nicht nur öffentliche Räume genommen werden, sondern sie sich oft auch innerhalb linker Strukturen nicht äußern können. Dass dies vor allem migrantische Personen trifft, insbesondere palästinensischer und israelischer Herkunft, sollte besonders zu denken geben.
Persönlich muss ich sagen, dass es ziemlich ermüdend ist, neben den ganzen Strafanzeigen und Anklageschriften des Staates und ständiger Drohungen türkischer und deutscher FaschistInnen, mich auch noch mit Diffamierungen „aus den eigenen Reihen“ beschäftigen zu müssen. Bisher habe ich es meistens ignoriert, Alternativen (Räume, ReferentInnen, VeranstalterInnen) organisiert und eher selten darüber gesprochen. Und das obwohl es mittlerweile seit Jahren bei fast jeder Veranstaltung von mir, bei der es thematisch um Kurdistan geht (wohlgemerkt: in keinem einzigen Fall um Palästina/Israel), Versuche von antipalästinensischen Gruppen oder Einzelpersonen gibt, diese zu verhindern. Oft erklären sich diese Gruppen sogar selbst solidarisch mit der kurdischen Freiheitsbewegung und den Entwicklungen in Rojava. Ob sie sich wohl jemals mit der Geschichte und Position der Bewegung zum Israel-Palästina-Konflikt auseinandergesetzt haben?
Egal, wie die Intention der KritikerInnen sein mag, de facto wird damit der Austausch über die Verbrechen des AKP-Regimes und die Errungenschaften der kurdischen Freiheitsbewegung erschwert, wenn nicht sogar verhindert. Insofern sind diese „Interventionen“ ganz im Sinne des deutschen Staates, der keinerlei fundamentale Kritik an seinem engen Verbündeten Türkei sehen will.
Meine Positionen gegen Unterdrückung und Rassismus überall in der Welt, auch in Israel-Palästina, werden sich dadurch natürlich nicht verändern. Die Prinzipien der internationalen Solidarität gegen Besatzung, Krieg und Ausbeutung, die so wichtig für die kurdische Freiheitsbewegung sind, gelten auch für alle andere unterdrückte Gruppen und Menschen. Die Verbundenheit mit meinen israelischen und palästinensischen GenossInnen, die ihre Stimmen gegen das Unrecht in ihrem Land erheben, sind Verpflichtung weiterzumachen.
Merke:
Bloß niemals für die Rechte von Palästinenser*Innen eintreten, wenn man jemals nochmal öffentliche Förderung erhalten oder einen öffentlichen Raum mieten will.