Mit zwei großen Schritten war Nura in ihrem Schlafzimmer, sie hörte über ihren hämmernden Puls hinweg noch ganz weit weg die Apartmenttür aufgleiten. Hektisch riss sie eine Schublade auf und wühlte nach der uralten Pistole, die sie für ihre Pilgerreise bekommen hatte. Der Griff fühlte sich fremd an, als sie die Waffe schließlich zwischen alten externen Festplatten und ein paar Kabeln fand, aber immerhin war etwas, an dem sie sich festhalten konnte. Sie drehte sich um, richtete die Pistole auf den Durchgang zum Flur und versuchte so gut es ging die Tränen zu unterdrücken, die immer stärker über ihre Wangen strömten.
Das Rauschen in ihren Ohren wurde immer lauter. Dennoch hörte sie Schritte auf dem Flur, vorsichtige Schritte.
,,Miss Kael“, rief jemand, eine Frau.
„Ich weiß, dass Sie hier sind und dass Sie mich hören können. Kommen Sie bitte hervor, es wird Ihnen nichts geschehen. Wir wissen, dass Sie Angst haben. Sie haben sich an einen gemeinsamen Freund gewandt, darum sind wir hier – zu Ihrem Schutz.“
Die Waffe in Nuras Hand fing noch stärker an zu zittern, sie spürte wie ihre Beine unter ihr nachgeben wollten.
,,Meint sie van Zan? Oder ein Trick? … Ich kann nicht mehr…“
„Miss Kael, ich gehöre zur Exekutive der Citadel. Kommen Sie bitte hervor. Ich verspreche Ihnen, es wird Ihnen nichts passieren.“
In Nuras Kopf begann es schummrig zu werden, ihr Herz konnte nicht mehr schneller schlagen. Mit kleinen, unsicheren Schritten ging sie vorwärts. Ob sie nun im Flur erschossen oder im Schlafzimmer ohnmächtig werden würde macht am Ende keinen Unterschied. Mit der Pistole in ihren zittrigen Händen trat sie in den Flur und stand einer ganzen Gruppe von Leuten gegenüber, die zwar alle Waffen trugen, diese aber komprimiert am Körper trugen. Nura schluchzte, ein Geräusch das ihr ebenso fremd und falsch vorkam, so wie die ganze Situation.
„Legen Sie die Waffe weg, ehe Sie noch jemanden oder sich selbst damit verletzen“, sagte die Asari, die die Gruppe anführte. Sie war groß, stark und Nura konnte mit einem Blick erkennen, dass sie nicht zum ersten Mal jemandem gegenüberstand, der eine Waffe auf sie richtete.
,,Keelah se‘lai …“, formte ihr Geist wie von allein, als sie die Waffe sinken ließ.
Sie konnte einfach nicht mehr. Sie merkte, wie ihre Beine jede Kraft verloren, jemand fing sie auf.
,,Miss Kael, mein Name ist Seeva T’Saari. Ich bin ein Spectre und Sie sind hier in meine Mission geraten. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Bitte, setzten Sie sich“, hörte sie die Asari durch den dunklen Schleier sagen, der sich über ihr Bewusstsein zu legen versuchte. Jemand verfrachtete sie mit sanfter Gewalt auf einen Stuhl. Niemand zog eine Waffe oder versuchte, ihr einen schwarzen Sack über den Kopf zu stülpen. Nura spürte, wie sich eine Last von ihrer Brust hob und sie besser Luft bekam.
,,Ihre mutige Aktion vor dem Hause Vhan hat Sie in den Fokus von Kräften gerückt, mit denen ich mich zu beschäftigen gezwungen bin. Diese Kräfte werden in Form eines großen Turianers in Kürze auch hier erscheinen. Was ich von Ihnen brauche ist Ihre Kooperation und Ruhe: Bleiben Sie versteckt und kommen Sie nicht raus. Das ist für Sie am sichersten“, erklärte T’Saari sachlich und schaute ihr dabei in die Augen. Nura kämpfte gegen die Dunkelheit um sie herum an, hielt sich an den Augen der Asari fest und merkte, wie es um sie herum langsam heller wurde. Gleichzeitig wurde ihr unfassbar übel und sie hoffte einfach, nicht in ihren Helm brechen zu müssen.
,,In Ordnung“, brachte sie unter Mühe hervor und nickte.
,,Ich verstecke mich im Schlafzimmer.“ Sie stand langsam auf, doch ihre Beine hatten wieder Kraft gefunden und trugen sie. Trotzdem leicht unsicher ging sie zurück ins Schlafzimmer, legte sich auf den Boden und krabbelte unter ihr Bett. Da würde es immerhin niemand mitbekommen, wenn sie sich doch übergeben musste.
Aus ihrem Versteck hörte sie, wie T’Saari und ihre Leute Aufstellung nahmen. Nura machte sich so klein sie konnte und hoffte, dass das Rettungskommando dem gewachsen war, was da kommen würde.
Lange Zeit passierte gar nichts, sie hörte nichts außer ihrem Herzschlag, der immerhin etwas langsamer war als vor T’Saaris Eintreffen. Auch die Übelkeit ließ im Liegen nun etwas nach.
Das leise Zischen der Apartmenttür ließ Nuras Herz wieder einen Satz machen, gefolgt von erneutem Stakkato in ihren Adern.
„Huhu, Kael“, sagte eine unbekannte Stimme aus dem Flur.
„Du hast Besuch vom Sensenmann.“
Nura merkte, wie sich beim Klang dieser Stimme eine Gänsehaut den Weg ihren Rücken hinab suchte. Sie spürte einen Stich im Herzen, denn plötzlich war sie sich sicher, Simon nie wieder zu sehen. Diese Stimme, das wusste sie, war das letzte, was ihr Freund in seinem Leben gehört hatte.
,,Du wirst dafür bezahlen, bosh’tet!“, schwor sie sich, während sich ihre Fäuste ballten und sich ihre Kiefer aufeinander pressten.
,,Du und deine ganze Bande von Rassisten, die glauben alles tun zu können, weil sie stärker sind.“
,,Jetzt!“, rief T’Saari und wie nach einem Startschuss folgte ihrem Befehl der Lärm eines Handgemenges, dann Schüsse und Schreie. Das ganze Spektakel hielt nur Sekundenbruchteile an, bevor wieder T’Saari zu hören war:
,,Bringt ihn weg. Coltrane, sie kümmern sich um Ihre Leute. Qatar, sorgen Sie dafür, dass hier keine Spuren zurück bleiben.“
Erneut brach im Flur Geschäftigkeit aus, Schritte, Dinge, die bewegt wurden, Gemurmel, halblaut geflüsterte Flüche. Als T’Saaris Stiefel in Nuras Blickfeld auftauchten, schob sie sich unter dem Bett hervor und stand auf. Sie erschrak, als sie die roten Spritzer auf der weißen Rüstung der Asari sah und schluckte schwer. T’Saari schien keinerlei Notiz davon zu nehmen und wirkte auch nicht außer Atem.
,,Miss Kael, es wird noch eine Weile dauern, bis Ihre Wohnung wieder im von Ihnen gewohnten Zustand ist. Gibt es einen Ort, einen sicheren Ort, an dem Sie sich solange aufhalten können?“
Nura merkte erst nach einigen Sekunden, dass ihr der Mund offen stand. Immerhin konnte die Spectre nichts davon gesehen haben.
,,Ich könnte bei einigen Freunden unterkommen…“, begann sie und merkte dann, dass sie nicht nur bei keinem davon sicher wäre, sondern ihre Freunde zudem in Gefahr bringen würde, wenn Vhan den nächste Schergen auf sie ansetzen würde.
,,Ich muss untertauchen….“, dämmerte es ihr plötzlich.
Nura schüttelte den Kopf, um Ordnung hineinzubekommen. T’Saari beobachtete die sichtbaren Gedankengänge der Quarianerin mit einer Mischung aus höflicher Distanzierung und schlecht verborgener Ungeduld.
,,Nein, warten Sie, ich habe eine bessere Idee!“, rief sie dann plötzlich und aktivierte ihr OmniTool.
,,Ich muss nur kurz eine Nachricht schreiben, dann kann ich mich direkt auf den Weg machen.“
,,Gut. Ich lasse einen meiner Männer hier, bis Sie aufbrechen. Passen Sie auf sich auf“, sagte T’Saari und wandte sich dann wieder dem Chaos im Flur zu.
*
,,T’Saari und ihre Truppe sind grade mit einem turianerförmigen Paket aus dem Gebäude gekommen“, berichtete Vas, der den Hauseingang aus der Ferne beobachtete.
,,Ist Kael bei Ihnen?“
,,Ich kann sie nicht sehen und ein quarianerförmiges Paket haben sie auch nicht dabei.“
Der Mann in Schwarz nickte zufrieden. Wenn T’Saari einen von Vhans Handlangern lebend zu fassen bekommen hatte würden sie bald alle Informationen haben, die sich brauchten. Wenn Kael die Auseinandersetzung überlebt hatte, umso besser. Auch mit angenehmen Überraschungen musste man rechnen.
,,Wenn sie rauskommen sollte, folgst Du ihr. Wenn sie in zwei Stunden nicht rausgekommen sein sollte, gehst Du rein und überredest sie dazu, dass ein Umzug fällig ist. Leichtes Gepäck.“
,,Geht klar“, bestätigte Vas und beendete das Gespräch.
Es dauerte keine halbe Stunde bis Kael, gekleidet in einem weiten, verhüllenden Mantel des Gebäudes verließ. Vas erkannte sie nur an den dunkelroten Zierbändern an ihrem Helm, die prompt unter einer Kapuze verschwanden, als die Quarianerin auf den Gehsteig trat.
Ein paar Minuten später hielt ein Taxi bei ihr an und nahm sie mit. Vas startete den Wagen und scherte in den Verkehrsfluss ein, um Kael zu folgen.