Niall O'Grady
„Sie können nicht verschwinden“, sagte Nate leise. Der Ire hatte den Ernst der Lage wohl nicht verstanden. Die Ansätze des älteren Cops brandeten gegen Niall wie Wellen gegen die schroffen Klippen seiner Heimat – Nate hätte ebenso gut den Stein anrufen können. „Sie sind verletzt und…“ Er schaute zu seiner Tochter, wies sie an, etwas Wasser zu holen. Sie durchschaute es zwar als Finte, folgte aber dennoch. „Und ich bin mir sicher, dass man Sie suchen wird. Anastasia Nix hin oder her, Sie ziehen mich mit hinein. Und noch schlimmer: Sie ziehen auch Riley mit hinein, meine Tochter, der Sie im Übrigen Ihr Leben verdanken.“ Nate stellte sich zwischen Niall und die Wohnungstür. „Bleiben Sie hier – vorerst. Dann können Sie sich überlegen, wie Sie weiter vorgehen und ob Sie sich nicht doch stellen sollten.“ Er verschränkte warnend die Arme. „Noch einmal kratze ich Sie nicht vom Boden auf, O’Grady.“
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Captain Karvas
Einsatzteam Alpha
„Von hier an müssen Sie allein gehen.“ John spähte um die Ecke und sah das Diner, vor dem sich mehr Polizei als an den Kontrollen drängte. Die eine Hälfte der Cops wirkte so, als wüssten sie nicht wohin, die andere Hälfte war bemüht keine Schwäche zu zeigen. Ethan bedankte sich bei John, dessen Motive ihm bis zum Schluss verhüllt blieben. „Wraith würde dasselbe für mich tun“, sagte der großgewachsene Mensch und nickte dabei knapp. „Sie könnten mir aber noch einen Gefallen tun…“, sagte Caine.
Dass Ethan in den Diner gelassen wurde deutete darauf hin, dass Karvas entweder dumm oder sich seiner Sache sicher war. Dem Journalisten zeigte sich ein Bild, wie er es seit vielen Jahren nicht mehr sehen musste: ein Tatort. „Ethan Caine vom CNM“, stellte sich der Reporter vor, obwohl er offiziell kein Angestellter des Magazins war. Der Polizist nickte und führte ihn knapp aber höflich zu Captain Karvas. Der hässliche Turianer hatte einen brechenden Blick drauf, den Ethan nicht deuten konnte. Er wiederholte seine Vorstellung und aktivierte sein Omnitool. „Was zum Henker ist hier passiert, Captain? Wieso die Razzia? Wer ist hier getötet worden und durch wen?“ In dem Moment checkte Caine die anderen anwesenden Personen. Es gab genug Zivilisten in dem Laden, die den Schuss vermutlich auch gesehen hatten. Karvas würde nicht lügen. Er konnte es nicht.
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Vincent van Zan
Die unterschwellige Vibration im Raum ließ sich nicht beschreiben. Ihr Feind war gelandet und die Operation nahm an Fahrt auf. Seeva konnte spüren, wie ihre Verbündeten sich gleich Raubkatzen zum Sprung bereit machten. „Gut“, sagte sie betont langsam. „Odessa, machen Sie das. Ich will stündlich einen Bericht. Van Zan, ziehen Sie Ihre Strippen. Lacan, … Wir sprechen noch.“
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Pater Lacan hatte seinen Segen gesprochen – was bedeutete, dass die Kommunikation des Teams sich in einem abgeschirmten, einem Intranet nicht unähnlichen, Feld bewegte. Der Priester hielt es wohl für lustig, den Kanal „Urbietorbi“ zu nennen. Odessa meldete sich über den gesegneten Komlink. „Commander, Vhan ist hier mit einem Turianer aufgetaucht, vor dem selbst ein Kroganer sich ducken würde. Die beiden haben sich unsere Ziele, die Leibwächter, geschnappt und sind mit Ihnen abgezogen. Vhan Junior wurde eine andere Person zugeteilt. Die sehen wir wohl nicht wieder…“ „Abwarten“, entgegnete Seeva. „Bleiben Sie dran, aber passen Sie auf, dass Sie nicht entdeckt werden.“ „Ich bin ein Schatten“, antwortete die Scharfschützin und beendete das Gespräch. Seeva checkte ihre Monitore. Tiberias war in einen der Clubs gegangen, in denen er gelegentlich gearbeitet hatte. Face to Face war noch immer das Mittel der Wahl, wenn es um das Anheuern von Söldnern ging. Er hatte sich noch nicht gemeldet. Der Spectre war dahingehend aber nicht misstrauisch. Seeva ließ ihren Leuten eine gewisse „künstlerische Freiheit“, die ihre Professionalität unterstrichen. Die Asari spekulierte und ließ sich verschiedene Optionen durch den Kopf gehen. Während sie das Skalpell ansetzte sah sie die Vorteile des Holzhammers. Vhan Senior war auf der Citadel und er operierte vorsichtig und hatte eine ganze Heerschar von Leuten mitgebracht. Der Spectre stellte sich vor, wie sie mit gezogenen Waffen in Vhans Anwesen stürmte und alles auf dem Weg dahin niederschoss. Sie würde Decius Vhan aus dem Spiel nehmen und sich auf dem Weg nach draußen, wo C-Sicherheit in Mannschaftsstärke warten würde, auf das Spectre-Recht berufen. Der Fall wäre erledigt. Seeva tippte sich an die Lippe. Bei jedem x-beliebigen Kriminellen hätte sie so vorgehen können und wäre nicht zur Rechenschaft schuldig gewesen. Bei Vhan Senior aber… Der Mann war gut geschützt.
Seevas Komkanal blinkte. Es war Qatar. Der Turianer kam gleich zur Sache: „Ich habe jemanden gefunden, der unseren Anforderungen gerecht wird. Leitet ein kleines, aber erfahrenes Team. Bei Interesse kann ich den Kontakt herstellen.“ „Gut. Melden Sie Interesse an, aber nennen Sie keinen Zeitplan. Die Ereignisse überschlagen sich und unser Ziel befindet sich aktuell hier“, entgegnete Seeva. Das Schicksal warf mehr und mehr Figuren auf das Schachbrett.
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Cheyenne Garcia
Jane Cohen
Werner Neumann
Der Ärger über die verpatzte Partie hielt nicht lange an – er wurde zu schnell von dem Ärger über den Barkeeper, einen gewissen Charlie, ersetzt. Der Kerl ließ sich so viel Zeit, dass Sam fast über die Bar gegriffen und sich selbst bedient hätte. Stattdessen tauchte aber der Captain der Marines neben ihm auf und öffnete eine Flasche Scotch. „Mein Vertrauen in diesen Abend ist zum Teil wiederhergestellt“, sagte Fraser und schwenkte den Drink in der Hand. Rauchig. Die Kehle des Soldaten bereitete sich auf den kratzigen Nachgeschmack vor. Boudiccans Attaché, der Deutsche, hatte sich derweilen an Cheyenne gewandt. Die Pilotin hatte nach einem Drink verlangt und der Blondschopf schien auf das Äußerste bemüht zu sein, ihr diesen zu liefern – und ihr zu gefallen. Sams rechte Oberarm zuckte einmal heftig. Sollte er doch. Er hatte keine Lust mit einem Marine um die Aufmerksamkeit der jungen Pilotin zu buhlen. Stattdessen widmete er sich der rothaarigen Soldatin, die auf ihre gemeinsamen Wurzeln aufmerksam machte. Die Galaxie war ein kleiner Flecken, wenn sich Menschen aus demselben, kleinen Land hierher verirrten. „Das ist wahr, Captain“, sagte er, auf Boudiccas legendäre Namensvetterin anspielend. Vermutlich war der Marine eine späte Reinkarnation der ursprünglichen Kriegerfürstin – Sam hatte sie in jeder Überlieferung als rothaarige Kämpferin in Erinnerung. „Ich stamme aus den Highlands, aus einem Dorf, das viel zu klein ist, als dass Sie es vermutlich kennen. Es ist allerdings nicht sehr weit von Loch Ness entfernt.“ Er zuckte die Achseln. Dann hob er das Glas. „Slàinte mhath!“ Es klirrte kurz, dann folgte eine genussvolle Pause, während sich die beiden Schotten den Whiskey auf der Zunge zergehen ließen. „Hm, gut“, sagte Fraser und nickte anerkennend. „Auf den meisten Schiffen gibt es immer nur diesen amerikanischen Whiskey-Mist. Das ist wirklich nur die halbe Freude. Aber das hier, das ist wirklich lecker.“
Charlie lief von einer Seite der Bar, an der er gerade ein Gespräch beendet hatte, zur anderen, um dort eins anzufangen. Fraser langte quer über den Tresen und packte den Koch am Arm. Der Gesichtsausdruck des Kerls verriet, dass ihn gerade ein Schraubstock traktierte. „Typ, ich stehe hier jetzt seit X Minuten. Wie wäre es mal mit etwas Bedienung?“ Die Zwinge ließ Charlie los, der sich den Arm rieb und nach dem Getränkewunsch fragte. Fraser schob den Whiskey respektvoll auf eine Servierte und orderte Tequila. „Sie trinken mit, Captain?“ Boudicca schüttelte den Kopf, Whiskey auf der Zunge schmeckend. „Drei dann. Du da, Fliegerass! Komm her!“ Fraser deutete auf Chey. „Und du auch, Marine“, sagte er und zeigte auf Werner. Die beiden traten an. „Ohne Meldung“, sagte Fraser ohne Ernsthaftigkeit und wartete bis die Kurzen gefüllt waren. „Den Scheiß mit der Zitrone und dem Salz sparen wir uns.“ Er reichte den beiden eines der Gläser. Er nahm das Glas zwischen Daumen und Zeigefinger. Die farblose Flüssigkeit im Innern versprach ein Brennen im Hals und mit Pech einen Kater. Er hob das Glas. „Zum Wohle der gerechten Sache! Und nieder mit den Hurensöhnen!“ Mit einem Satz stürzte Sam den Tequila seinen Rachen herab. Das Zeug machte sich auf den feurigen Weg durch seine Eingeweide.
Sam winkte Charlie an den Platz, damit dieser bei Bedarf nachschenken konnte.