Ärgerlich deaktivierte Nura das Holodisplay ihres Computers und steckte das Gerät ein. Überall um sie herum redeten die Leute an den Café-Tischen mit gedämpften Stimmen aufeinander ein und zeigten sich gegenseitig Beiträge in ihren News-Feeds. Umgebungsgeräusche hinderten sie sonst nie am Schreiben, doch wusste sie ohne genau hinhören zu müssen, dass es in all den Gesprächen um sie herum nur ein Thema gab: Den Anschlag auf den Terra Firma-Politiker Kalanidou.
Nura war extra nicht ins Apollo’s gefahren, um zu schreiben weil sie befürchtet hatte, dass Jeremy oder Jon ihre Meinung zu dem offensichtlich politisch motivierten Attentat hören wollen und sie so ablenken würden. Nun raubte ihr das Thema trotzdem die Konzentration. Resigniert ließ Nura sich tiefer in den Sessel sinken und aktivierte ihr OmniTool, um nun selbst durch die überkochenden sozialen Medien zu scrollen. Die Spekulationen und Anschuldigungen überschlugen sich. Dass das Attentat auf die Rechnung von Martin Trumbo ging war für viele Kommentatoren offensichtlich, auch wenn Kalanidou zuletzt deutlich schlechter abgeschnitten hatte als Tumbo und höchstens ein theoretisches Risiko den toupierten Demagogen gewesen wäre.
Die Quarianerin schüttelte den Kopf und griff zu ihrem Milchshake, während sie sich durch den Feed arbeitete. An sich würde sie sich freuen, wenn Trumbo würde zurücktreten müssen, schließlich hatte er nie einen Hehl aus seiner Verachtung für Aliens gemacht. Doch sein Abtreten mit dem Blut eines anderen Lebewesens zu erkaufen, war kein Deal, den Nura hätte gutheißen können. Frustriert schloss sie den Newsfeed und stand auf, um sich auf den Heimweg zu machen. Just in diesem Moment klingelte ihr Tool, auf dem Display erschien der Name Varik. Nura nahm ab.
,,Hast Du das Bekennerschreiben von Terra Front gelesen?", legte der Turianer direkt los.
,,Terra Front? Bist Du sicher?“
Der militante Auswuchs von Terra Firma schreckte bekanntermaßen nicht vor Gewalt zurück, doch Nura konnte sich nicht vorstellen, dass sie den Anschlag auf Kalanidou verübt hatten. Wäre der Name des Opfers Vox gewesen, sähe die Sache anders aus, aber derart direkt auf einen Menschen loszugehen klang nicht nach Terra Front.
,,Das ist es ja grade! Können wir uns treffen? Ich muss dir etwas zeigen.“
Während Varik sprach ging um Nura herum ein Raunen durch das Café. Das Bekennerschreiben machte offensichtlich die große Runde durch die Nachrichten.
,,In Ordnung. Wo wollen wir uns treffen?“
Einige Stunden zuvor
Während der Fahrer aus dem Rachmaninov Vincent nach Hause chauffierte ging der Mann in Schwarz auf der Rückbank Pressemitteilungen und C-Sec-Berichte durch, die seine V.I.s zutage gebracht hatten. Der alte Vhan war sehr rigoros in seinem Umgang mit Günstlingen und Alliierten: Entweder konnte er jemanden so fest an sich binden, dass er sich seiner Loyalität stets gewiss sein konnte oder er gebrauchte ihn solange, wie er selbst davon profitierte und demontierte ihn dann nicht weniger gründlich als Agent Menos, um sicherzugehen, dass er nie wieder eine Gefahr würde darstellen können.
Vincent schnaubte unzufrieden. Wirklich aussichtsreiche Kandidaten, die man ausstaffieren und medienwirksam auf Vhan würde hetzen können, gab es nicht. Er löste seinen Blick von dem Bildschirm vor sich und schaute aus den getönten Fenstern des SkyCars. Irgendwo dort draußen saß Vhan und schmiedete seine Pläne, ebenso wie Vincent es tat.
,,Wie lange wird es dauern bis er merkt, dass Trumbo nicht allein auf den Steuerbetrug gekommen ist?“, fragte er sich und überlegte, von wo aus er den nächsten Schlag gegen Vhan würde führen können.
,,Wir sind in etwa einer Viertelstunde da. Wenn Sie wollen, kann ich eine Abkürzung nehmen, dann dauert es nur zehn Minuten“, meldete sich der Fahrer unvermittelt zu Wort.
Der Mann in Schwarz schaute in den Rückspiegel und so in die Augen des Mannes.
,,Na dann nehmen Sie doch diese Abkürzung“, schlug er vor.
,,Wieso sollten wir den längeren Weg nehmen, wenn es einen kürzeren gibt?“
,,Nun ja, es ist nicht die schönste Gegend, durch die wir fahren müssten und manche Gäste … sie sehen nicht gerne, wie es da aussieht“, erklärte der Fahrer drucksend.
Er schien zu bereuen, dass Thema überhaupt angeschnitten zu haben.
Augenrollend nickte Vincent und gab dem Fahrer mit einer Geste zu verstehen, dass er die Abkürzung nehmen solle.
,,Ich wird’s überleben“, sagte er und wandte sich wieder dem Fenster zu.
An der nächsten Kreuzung bog das SkyCar in eine Seitenstraße ab. Es dauerte nicht lange, bis sich das Stadtbild sichtbar änderte: Die Fassaden wurden trister, das Grün verschwand. Nichts im Vergleich zu den heruntergekommenen Gassen, in denen Vincent schon gekämpft und gehaust hatte, aber er konnte sich vorstellen, dass mit Diamantenstaub gepuderte Oligarchen Anstoß an der urbanen Einöde nehmen konnten. Als er weit unter sich einige dunkle Gestalten in einem Hauseingang verschwinden sah, kam Vincent eine Idee. Er aktivierte sein OmniTool und warf seinen dienstbaren Geistern neue Suchbegriffe zum Fraß vor. Wie immer wurden die Geister in der Maschine schnell fündig.
Als der Chauffeur vor dem Rachmaninov anhielt und Vincent die Tür öffnete, wählte dieser grade Vas‘ Nummer.
,,Du musst jemanden für mich auftreiben“, trug der Mann in Schwarz dem Weißrussen auf, als dieser abnahm und erklärte ihm dann die Details des Auftrags. Telefonierend ging Vincent durch den Haupteingang und am Empfang vorbei. Aus dem Augenwinkel sah Vincent, wie die Rezeptionistin winkte, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Er schüttelte den Kopf, zeigte auf sein OmniTool und ging weiter.
,,Gut. Du meldest Dich“, beendete der Mann in Schwarz das Gespräch und trat durch die aufgleitende Tür aus dem Fahrstuhl. Er schaute sich auf dem langen Flur im Obergeschoss des Hotels um. Außer der dunklen Doppelflügeltür ganz am Ende gab es keine weiteren Abgänge, beide Wände waren mit prächtigen Gemälden in schweren Goldrahmen behangen. Der dichte bordeauxrote Teppich unter Vincents Füßen schluckte jedes Schrittgeräusch. Er schenkte den Bildern keine Beachtung, durchquerte den Flur und betrat seine Suite durch die sich von selbst öffnende Tür aus Kirschbaumholz.
Der prunkvolle, teils überladene Stil des Rachmaninov setzte sich in der Suite konsequent fort: Kein Beistelltisch ohne goldene Löwenfüße und keine ebene Fläche, die nicht aus Marmor, dunklem Holz oder einem Edelmetall bestand. Mit einem Blick zur Garderobe stellte Vincent fest, dass seine Sachen bereits aufgehangen und eingeräumt waren und ging direkt ins Bad. Die pechschwarzen Fliesen sagten ihm zu, aber vor allem die heiße Dusche war eine Wohltat.
Er trocknete sich ab, band sich das Handtuch um und ging ins Schlafzimmer, das Licht im Bad verdunkelte sich selbstständig hinter ihm. Vincent war überrascht, als er eine Frau auf dem Bett liegend vorfand.
,,Und Sie sind?“, fragte er. Wäre sie eine von Vhan angeheuerte Attentäterin, hätte sie ihn gleich beim Hereinkommen getötet. Kein Meuchelmörder, der sein Geld wert war hatte die Zeit, sein Opfer noch in Ruhe duschen zu lassen.
Die Dame lächelte, sagte etwas auf Russisch und zog dann einen
Gegenstand unter der Bettdecke hervor.
Der Mann in Schwarz hatte keine Ahnung, was sie gesagt hatte, aber es musste wohl ,,Willkommensgeschenk“ bedeuten.