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    Knight Commander Avatar von Hyperius
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    Das Königreich Argaan im Forenrollenspiel
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    (K)eine heile Welt

    Durch das einfallende Licht und die Spiegelungen im Wasser, entstand ein Bild das im ersten Moment chaotisch, fremd und vielleicht auch verkehrt wirken konnte. Denn wo das Licht auf die Wasser traf, wurde es teilweise reflektiert und teilweise brach es sich an der Oberfläche, so dass die Gewässer von farblos, über türkis bis hin zum tiefen Blau des Meeres aufleuchten.
    Wo die Strahlen auf die Eiskristalle oder feinen Wassertropfen in der Luft trafen, so schimmerten diese in den Farben des Regenbogens, während die kleinen Wolken, wenn man sie überhaupt so nennen mochte, einen Großteil reflektierten und weiß oder grau erschienen.

    Doch diese Anker des Gewohnten - wenn man von senkrecht nach oben fließenden Flüssen absah - machten immer noch einen verhältnismäßig kleinen Anteil der gesamten Sphäre aus. Klar gab es auch Wasser, das teilweise oder gar vollkommen im Schatten lag. Dies war es aber nicht, was den geneigten Beobachter mehrmals blinzeln ließ, sondern die Stellen, die nicht mit dem feuchten oder festen Nass bedeckt war.
    Sobald ein Lichtstrahl auf eine Fläche traf, die nicht mit Wasser bedeckt war, war es so als würde jegliches Licht vollkommen vom Licht verschluckt werden. Diese Flächen waren aber nicht schwarz und womöglich waren es noch nicht einmal Flächen.

    Der begrenzte menschliche Verstand versuchte bloß eine Erklärung dafür zu finden, wie das Nichts das Licht einfach verschlang und konnte natürlich nur mit Gesetzmäßigkeiten arbeiten, die er verstand. Deshalb erschien es wie ein Schwarz, das schwärzer als jedes andere Schwarz war, und das selbst den Beobachter bei der Betrachtung in sich hinein zu ziehen schien.

    An einzelnen Stellen trat das Wasser über die Ufer, oder fielen kleine Regentropfen in die unendliche Einöde. Wie zuvor die Leere jeden Gedanken erstickt hatte, so ergriff das Wasser mehr und mehr Bestandteile der Sphäre des Nichts. Und was zurück ins Wasser gezogen wurde veränderte sich. Es schimmerte plötzlich gelblich an den Ufer, bräunlich in den Bächen und grünlich an den Stellen, wo zuvor der Regen herabgefallen war.

    Während zuvor die Stille alles dominiert hatte, beschränkten sich die Geräusche nun nicht mehr bloß auf das Meeresrauschen bei der zentralen Quelle. Je nachdem, wo man sich in der Sphäre befand, konnte man das Plätschern eines Bergflusses, das sanfte Rascheln der Blätter und Zweige im Wind der Wälder Myrtanas, oder den rhythmischen Aufschlag der Tropfen eines Sommerregens auf einen kleinen mit Seerosen bedeckten Teich Argaans vernehmen.
    Wenn man genau hinsah, waren aus dem grünen Schimmern nun Grashalme geworden, die sich im Wind wiegten oder von herabfallenden Tropfen heruntergedrückt wurden. Das Flussbett bestand aus Schlamm und kleinen Steinchen; wohingegen das gelbliche Schimmern zu einzelnen Sandkörnchen an einem Strand geworden war.

    Doch dies war nicht der einzige Ort, an man Sand finden können. In einem großen Bereich in der Nähe der Hauptquelle, abseits von jeglichen anderen Wasserquellen, waren Sanddünen entstanden, die teilweise Meter hoch emporragten und über die ein Wind fegte, der immer wieder einzelne Sandkörnchen in die Urquelle blies. Dieser Sturm war nicht nur sichtbar, sondern auch hörbar. Das laute Rauschen und Blasen erinnerte geschulte Ohren an die Stürme wie sie durch die Wüste Varrants fegten.

    In Mitten dieses Sturmes, zeichnete sich im schummrigen Licht, das nicht von den herumfliegenden Sandkörner absorbiert wurde, ein menschlicher Schemen ab. Diese schattenhafte Gestalt stand nicht still, sondern er hatte ein klares Ziel. Und so stieg der geheimnisvolle Mann von der Düne herab und kämpfte sich vorwärts, Schritt für Schritt dem Quell entgegen.

  2. Beiträge anzeigen #42
    Knight Commander Avatar von Hyperius
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    Ein Spiegel durch die Zeit

    Wie lange sie gelaufen war, konnte die schemenhafte Gestalt nicht sagen. Sie hatte weder eine Erinnerung daran, was gestern, noch was vor einigen Stunden passiert war. Das Einzige was sie wusste - wobei "wissen" an dieser Stelle ganz sicher nicht das richtige Wort war – was sie fühlte, war dass es sie zu der Quelle hinzog. Jede Faser des Seins des schattenhaften Wesen verzehrte sich danach diese Quelle zu erreichen.
    Es war müde, geschunden und geschlagen, so als ob allein das Existieren in dieser Sphäre eine unglaubliche Kraft kostete und den Tribut an seinem Körper forderte. Jeder Schritt, den der Mensch machte, fiel schwerer und so hinkte er zunächst und stürzte schließlich. Wenige Meter von dem Quell des Wassers entfernt, robbte er sich voran wie ein durstiger Wanderer in der Wüste, der hoffte noch die rettende Wasserstelle zu erreichen und betete, dass diese keine weitere Fata Morgana wäre.

    Schließlich erreichte der Schemen den Rand des Meeres und schöpfte mit seinen zu einer Schale geformten Händen die Flüssigkeit vorsichtig ab. Bedacht möglichst keinen Tropfen zu verschütten, führte er das Wasser zu seinem Mund. Weder gierig noch schlürfend, sondern demütig und dankbar trank er einige Schlucke, bis seine Hände zwar noch feucht, aber wieder leer waren.
    Als das Wasser seine Kehle herab ran, spürte der Mensch, wie ein Teil der Schwere und Erschöpfung seinen Körper verließ. Während jedoch die Müdigkeit mit jedem weiteren Schluck schwächer wurde und schließlich nur noch eine störende, aber ertragbare Schwere zurückblieb, wich die Verwirrung nicht von seinem Geist und die fehlenden Erinnerungen kehrten auch nicht zurück.

    Als die Kräfte es dem Schatten schließlich wieder erlaubten, erhob er sich vom Strand, der das Ufer des mittlerweile zu einem Meer angewachsenen Urquells bildete. Er blickte herab auf seine Arme und Hände, denn obwohl er die Feuchtigkeit an den Fingern und die Handflächen gespürt hatte, als sie sich beim Schöpfen berührten, erstaunte ihn was er sah.
    Vor seinen Augen erschien sein Körper formlos, flüchtig wie ein Hauch dunklen Rauches, welcher von unsichtbaren Kräften zusammengehalten wurde, aber jeden Moment zerbersten konnte, wenn diese Kräfte nur minimal nachließen oder ihn ein heftiger Windstoß des Sandsturmes erfasste. Dies erschütterte den gerade wieder zu Kräften gekommenen Mensch und so wollte er sich ein vollständigeres Bild machen und trat an den Quell heran, um sein eigenes Spiegelbild zu betrachten.

    Doch als er in das Wasser blickte, sah er nichts weiter als den sandigen Boden, der sich einige Zentimeter unter der Oberfläche befand, keinerlei Spiegelung, kein verwirrtes Gesicht, das ihm entgegenblickte – einfach gar nichts. So blinzelte der Mann zwei Mal und konzentrierte seinen Blick auf eine Stelle des Wassers, die etwas ruhiger war und wo aufgrund fehlender Wellen eine Spiegelung vielleicht besser erkennbar sein musste.

    Und da war es nun, nicht sein Gesicht oder sein Körper aber wenigstens die Spiegelung einzelner Wolken, die sich wohl über ihm befinden mussten und die durch den leeren und schwarz-erscheinenden Himmel über ihm zogen. Wie das Blinzeln und die Konzentration ihm die Spiegelung von Wolken gezeigt hatte, so müsste doch auch er selbst zu finden sein, schien die Erkenntnis in der schemenhaften Gestalt zu reifen: er würde sich einfach nur noch stärker konzentrieren müssen.

    Also rieb er sich nun mit beiden Händen fest die Augen, atmete tief durch und blickte erneut ins Wasser einer kleiner Pfütze, die sich in der Nähe der großen Quelle gebildete hatte und in der die Flüssigkeit noch stärker in sich ruhte, was eine Reflektion begünstigte.
    Als der Schatten seinen Blick wieder auf die Oberfläche richtete, sah er zunächst nur die Wolken an einem schwarzen Firmament entlang ziehen, doch als er schon enttäuscht aufseufzen wollte, änderte sich plötzlich etwas. Der Himmel färbte sich in ein helles blau und vor den Wolken zogen auf einmal Möwen vorbei.

    In das Rauschen des Meeres und Krächzen der Vögel, mischte sich Gemurmel und Getuschel, wie man es von einem geschäftigen Markttreiben kannte. Fasziniert von dem was er da sah und hörte, drehte der Mensch seinen Blick und änderte leicht den Winkel, mit dem er auf die Wasseroberfläche schaute.
    Statt Himmel, Wolken und Möwen erkannte er Gebäude, Palmen und Menschen, die in einem kleinen Küstenstädtchen herumwuselten. Es schien ihm fast so, als wäre diese Pfütze hier, verbunden mit einer Wasserfläche an diesem anderen Ort. Viele weitere Gedanken konnte die Gestalt sich dazu aber nicht machen – ein Kind schien direkt auf ihn zuzukommen.

    Das Gesicht dieses Kindes, wirkte ganz verschwommen und dennoch irgendwie vertraut, als es aber schließlich mit großem Schwung mit beiden Füßen voran in die Pfütze sprang, war es dem schattenhaften Mann so, als wäre es ihm direkt ins Gesicht gesprungen. Während er sich also noch über seine schmerzende Nase streichelte, stieg ihm ein Geruch in die Nase der sein Bild des Gesehenen komplettierte.

    Er wusste plötzlich, was dieser Ort war, den er gesehen hatte - „es war Lago, seine erste Heimat“.

  3. Beiträge anzeigen #43
    Knight Commander Avatar von Hyperius
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    Kaleidoskop der Erinnerungen

    Mit einer Mischung aus Schock, Neugier und Erstaunen stand die schemenhafte Gestalt einige Augenblicke regungslos da, während sie über das Gesehene nachdachte. “Wenn also diese Pfütze mir den Ort zeigte, an dem ich aufgewachsen bin, können vielleicht andere Quellen mir andere Teile meiner Erinnerung offenbaren”, sinnierte sie vor sich hin, bevor ihre Schritte herüber zu einem der Flüsse lenkte und begann ihm zu folgen.

    Wie durch ein Fenster in eine andere Zeit, zeigten sich die Bäume Myrtanas und das saftige Gras entlang eines Flusslaufes. Man konnte das ruhige rascheln von Blättern hören und einige Tiere, die heruntergefallene Nüsse und Früchte der Bäume verspeisten oder sich am Wasser des Flusslaufes erfrischten.
    Die Ruhe wirkte fast zu idyllisch und hielt auch nicht lange an, weil plötzlich das Schlagen großer orkischer Kriegstrommeln zu vernehmen war, die sich mit menschlichen Kampfschreien mischten. Nur kurze Zeit später war der Kampflärm weiter angewachsen und die Schmerzensschreie der Verletzen und die metallischen Klänge aufeinandertreffener Waffen mischten sich unter die chaotischen Geräusche.

    Rasch wendete der Schatten seinen Blick und blickte stattdessen voll Scham und Trauer auf seine eigenen Füße. Zwar erschien dem Mann sein Körper noch immer wie immaterieller Rauch, aber trug nun nun eine bläuliche Adeptenrobe und begann sich zu erinnern.
    Er war nach Myrtana gereist, um eine blutige Schlacht zwischen Menschen und Orks zu verhindern, aber man hatte ihn nur ausgelacht, ignoriert oder fortgeschickt. Sein Versuch war vergebens gewesen und ein Teil seines Unterbewusstsein schien ihm auch zu signalisieren, dass es nicht sein einziges Scheitern war.

    Beim Wandern durch die Sphäre des Nichts, blieb sein Blick als nächstes an einigen Eiskristallen in der Nähe hängen. Da sich das Licht bei Ihnen nur bei einer kleinen Bewegung oder Veränderung des Winkels in einer anderen Weise brach, was es dem blau gewandeten Mensch dieses Mal nicht möglich eine zusammenhängende Szene zu erkennen.
    Vielmehr vermochte er es einzelne Bildfragmente zu erhaschen, bevor sie im nächsten Augenblick verschwanden. Ein junger Mann am Rande Varrants, der seiner Lehrmeisterin einen Eiskristall hervor zauberte - ein blau gewandeter Magier, der in einem Wüstentempel zu Eis erstarrte - ein Kampf, in dem Wassermagier bei der Verteidigung einer Burg alles gaben.

    Es schien also, als wäre er ein Magier gewesen, der sich gegen die Kämpfe stellte und dabei unter anderem auf die Kraft des Wasser setzte.All diese Gedanken, Erinnerungen und Bilder wurden dem Verwirrten für den Moment zu viel und so ließ er sich erschöpft auf den Boden sinken. Seine Blicke blieben dabei an einer vorübergehenden Wolke hängen und er ließ sich einfach treiben. Die Szenerie veränderte sich und statt wieder mitten im Geschehen zu sein, erschien nun alles aus der Vogelperspektive.
    Man sah den Kontinent Varrant und neben Lago erinnerte sich die Gestalt an die Wüstenstadt Al Shedim, die Nomaden und Diener Adanos, bevor die Wolken übers Meer trieben. Schließlich erreichten sie Argaan und über eine Stadt an der Ostküste - Setarrif, einen Platz den er auch einmal Heimat genannt hatte - fingen die Wolken an in einzelnen Tropfen zu Boden zu regnen.

    Obwohl es ihm widerstrebte, wurde sein Geist mit den Tropfen mitgerissen und so konnte er erneut auf seinem Weg nach unten das Schauspiel beobachten, dass sich ihm bot und wie in Zeitlupe vor seinem Inneren Auge ablief. Eine Gestalt, dessen Gesicht vom Rauch verdeckt war, und dessen Gewandung ihn an seine eigene erinnerte schien eine Gruppe von Kriegern, Bürgern und Freiwilligen beim Bau einer größeren Anlage anzuleiten.
    Als der Tropfen schließlich am Boden zerplatzte, kehrte sein Geist nicht wieder in seinen Körper zurück, sondern wohnte nun einer Szene in der Taverne in Al Shedim bei, wo die Wirtin gerade gestolpert. Eine Tasse Tee auf dem Boden zersprang und die Tropfen flogen in verschiedene Richtung davon. Auch dort konnte er eine Gestalt identifizieren, von der er einfach wusste, dass er es selbst war und die mit einer Mischung aus Trauer und Wut auf dieses Unglück mit dem Tee reagierte und aufgesprungen war.

    Nachdem auch dieses Tröpfchen Bekanntschaft mit dem Boden gemacht hatte, wurde seine Seele an den nächsten Ort transportiert und landete dieses Mal in einem kleinen karg eingerichteten Turmzimmer. Der Tropfen dieses Mal war eine Träne einer jungen Wassermagierin, die sich wohl um ihn kümmerte, wenn man den Utensilien und Medikamenten in der Nähe des Bettes eine größere Bedeutung zumessen wollte.
    Ihr Gesicht kam ihm vertraut vor und er spürte, dass es eine starke emotionale Verbindung zu ihr gab. Bevor schließlich auch dieser Tropfen auf seinem ausgemergelten Körper ein Ende finden sollte, konnte er noch einen Blick auf das Gesicht des Liegenden werfen.

    Bis auf die Augen, die noch immer vom Rauch verborgen war, sah er das Gesicht des Kranken. Es war ausgemergelt, bleich und was viel wichtiger war - er wusste nun, es war sein Gesicht. “Ist das wie es bald enden würde, schon geendet hat oder gerade endet?” - schoss es ihm durch den Kopf, als er wieder mit seinem Geist in die Einöde zurückkehrte.
    Die Gestalt wusste jetzt etwas mehr darüber, was sie ausgezeichnete und wohin es sie verschlagen hatte. Dennoch ob dies nun die Wahrheit, eine Illusion oder nichts als eine sinnlose Rückblende vor dem unvermeidlichen Tod war, blieb unbeantwortet.

    Wer er wirklich war, dies galt es noch zu klären. Diese brennende Frage hallte in seinem Herzen wider und so begab er sich auf die Suche nach einem Fragment, welches vielleicht nicht seine erste kindliche Erinnerung sein musste. Denn er suchte die eine Erinnerung, welche ihm die nötige Perspektive gab und half seine Reise einzuordnen - wie der Startpunkt auf einer Schatzkarte. Nach einer Weile des Suchen fühlte sich der Mann, der mittlerweile wirklich wieder mehr Mann als Schatten geworden war, zu einer in der Luft schwebenden Wasserkugel hingezogen.

    Als er in sie hinein blickte, erkannt er einen zum Marktstand vorbereiteten Tisch, auf dem einige Karten ausgebreitet waren und schließlich das Gesicht eines jungen Mannes, sein Gesicht. Dieser setzte gerade an zu sprechen und sagte: “Hört her werte Einwohner von Bakaresh, Leute aus Varrant und Reisende. Ich der junge Kartenzeichner Hyperius verkaufe hier ein paar Karten über die Stadt hier, das Dorf Lago und ein paar Abschnitte der Wüste. Jeder der heute oder morgen kauft kriegt noch einen kleinen Rabatt, weil ich gerade erst eröffnet habe”

    So hatte es also angefangen mit ihm, mit Hyperius aus Lago.
    Geändert von Hyperius (23.01.2022 um 19:52 Uhr) Grund: Link vergessen

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    Das Gefängnis zerbricht

    Nachdem diese neue Erkenntnis einige Momente gehabt hatte, in ihm zu wirken, schritt der Wassermagier zuversichtlich und eiligen Schrittes auf die nächste Wasserquelle zu. Als er in die vor sich liegende Pfütze blickte, sah er nun keine Szene aus seiner Vergangenheit oder ein Erinnerungsfetzen verblichener Momente, sondern ihm lächelte das Gesicht eines vielleicht erschöpften, aber doch wohl bekannten Diener Adanos’ entgegen.
    “Du hast aber auch schon bessere Tage gesehen, Hyperius”, scherzte er mit seinem Spiegelbild, das ihm natürlich prompt beleidigt die Zunge rausstreckte und zu zwinkerte Erheitert, ob seines eigenen Treibens, lenkte der Sohn Varrants seine Schritte wieder zu dem Großen Meer entgegen.

    Während er sich diesem Quell des Anbeginns in dem stetig schrumpfenden Nichts der unendlichen Einöde, musste er unweigerlich an eine Predigt denken, von der ihm einst ein anderer Wassermagier berichtet hatte:

    Aber dort, wo Adanos stand, ward ein Ort, an dem Innos und Beliar keine Macht hatten.
    Und an diesem Ort waren Ordnung und Chaos zugleich.
    Und so ward das Meer erschaffen.
    Und das Meer gab das Land frei. Und es entstanden alle Wesen. Bäume wie Tiere. Wölfe wie Schafe.
    Und zuletzt entstand der Mensch.

    Diese Leere war erst durchbrochen worden, als das Wasser seinen Weg in die Mitte der Sphäre gefunden hatte. Das Wasser war die Kraft der Veränderung geworden und dieses Geschenk Adanos’ galt es nun als Werkzeug zu verwenden, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Es lag nun an Hyperius, das ihm gegebene Werkzeug einzusetzen, um zunächst seine eigene Mitte zu finden und dann die Güte Adanos’ wieder hinaus in die Welt zu tragen. Deshalb griff er mit beiden Händen in das Meer vor sich, das nun gleichermaßen wie er hell bläulich zu leuchten begann und die Wellen immer größer heranwuchsen, über die Ufer traten und Wassermassen entlang der verschiedenen Flüsse und Verästelungen drückte.

    Es dauerte nicht lange bis die Wassermassen die Flüsse an den Rand der Sphäre getrieben hatten, die immer noch groß, aber lange nicht mehr so unendlich wie früher wirkte. Das Wasser breitete sich schrittweise über die ganze Fläche aus bis es so wirkte, als stünde der Wassermagier in der Mitte einer hohlen riesigen Kugel, deren Innenseite komplett mit Wasser bedeckt war.
    Dieses Wasser war nicht ruhig; sondern es brodelte und zischte, stürmte und brauste, verdampfte und gefror; und riss immer heftiger an den Grundfesten der Sphäre. In dem Gefängnis, das für Ewigkeiten alles in sich unterdrückt und es nur die Leere gegeben hatte, hatte ein einzelner Tropfen den Anfang vom Ende eingeleitet. Die Kugel platzte und ergoss sich in die Weite des Geistes von Hyperius.

    Im gleichen Moment konnte man im kleinen Zimmer in Stewark ein tiefes ein- und ausatmen des bewusstlosen Mannes bemerken, dessen Herzschlag und Atmung wieder an Kraft gewannen und es zumindest so schien, als wäre sein Gesicht etwas weniger bleich als es noch einige Momente zuvor der Fall gewesen war.

    Nun stand Hyperius dort, auf einer großen Insel, in Mitten eines weiten Meeres. Über ihm die strahlende Sonne, vor ihm die Küste und am Horizont kleine Inseln mit Gebäuden, Pflanzen und anderen Objekte und Lebewesen. Doch seine Augen vermochten auf die große Entfernung in vielen Fällen nichts genaueres zu erkennen.
    Aktuell schienen diese Inseln noch fern und unerreichbar zu sein, denn obwohl er das Gefängnis der Leere gesprengt hatte, schien es noch immer Orte innerhalb seines Geistes zu geben, die ihm verborgen blieben, wo Fragmente seiner Seele zu fehlen schienen.
    Nah und erreichbar, ja direkt vor seiner Nase lag - wenn seine Nase an seinem Hinterkopf gewesen wäre - stand ein monumentales Gebäude hinter ihm. Es erinnerte auf den ersten Blick an eine Mischung aus dem Tempel in Al Shedim und dem Haus der Magier in Setarrif. Es war ein eigenes Gedankenkonstrukt des Baumeisters, das er selbst über Jahre der Reflektion und zum besseren Umgang mit fröhlichen Erinnerungen und auch Traumata in seinem Geiste errichtet hatte.

    Mit einem Schmunzeln im Gesicht trat der Diener Adanos’ ein und erinnerte sich nur gut daran, wie er diesen Gedankenpalast und den Zauber Schlichten einst eingesetzt hatte, um Noxus Exitus von seinen inneren Dämonen zu befreien. Diese waren damals im Irrgarten seines Geistes völlig verloren gewesen und ausreichend abgelenkt gewesen, dass das gemeinsame Ziel der beiden Männer erreicht werden konnte.
    Nun aber war das Ziel ein anderes und der Teeliebhaber sah sich selbst vor einem riesigen Labyrinth aus verschlungenen Treppen, Türen und verwinkelten Durchgängen. Hinter manchen Pforten wohnten schöne Erinnerungen, wie an einen köstlichen Tee, den man in guter Gesellschaft genoss, wohingegen andere Durchgänge dazu einluden, bereits erlittene Folter erneut zu durchleben.

    Auf letzteres könnte der Wassermagier selbstverständlich gerne verzichten und auch für die schöneren Erinnerungen blieb momentan wenig Zeit, denn es galt den Ausgang zu finden. Der Ausgang fungierte normalerweise in umgekehrter Weise als Eingang und ermöglichte es Hyperius’ im wachen Zustand durch Meditation in seinen Geist einzutreten. In der aktuellen Situation, so hoffte er, würde dieser Eingang gleichermaßen als Ausgang in sein Leben auf Argaan dienen.

    Deshalb lauschte er tief in sich hinein und vernahm nach einigen Minuten der Ruhe schließlich ein gleichmäßiges Atmen und einen regelmäßigen Herzschlag, der aus der Mitte des Labyrinths kam. So hatte er neben der Karte und dem Startpunkt, nun auch einen Kompass gefunden, der ihn hoffentlich bald zu seinem ersehnten Ziel führen würde.

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    Mamka  Avatar von Aniron
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    Aniron ist offline
    Was für ein langer Tag wieder hinter ihr lag - Aniron seufzte. Neben ihr lag Fianna schon längst tief versunken im Schlaf. Anirons Atem hatte sich ihrem angepasst. Runa und Sinan waren ebenfalls zum Schlafen in die Kammer gekommen. Nicht ohne Lärm machten sie sich bereit für die Nacht. Aber Fianna störte der Lärm nicht und Aniron war zu sehr in Gedanken versunken, um die Zwillinge zu ermahnen.

    Es war kein leichter Tag gewesen. Die Priesterin hatte Abschied nehmen müssen. Ein Abschied einer lieben Freundin, den sie hatte kommen sehen, aber nicht wahrhaben wollen. Letzlich hofft man immer bis zuletzt, aber nun gab es keine Hoffnung mehr. Heute war die Welt ein Stück dunkler geworden und es fiel ihr schwer, nicht alles zu verwünschen. Es fiel ihr schwer, das Gute zu sehen und Adanos' Lehre zu verbreiten und zu wirken. Es fiel ihr schwer, nicht der Angst und Schwere ihrer Gedanken nachzugeben und darin zu versinken.

    Sie starrte in die Dunkelheit, dort, wo das kleine magische Licht ihre Kammer nicht erhellte. Sie wollte noch warten, bis Maris ebenso ins Bett kam. Wo er sich allerdings gerade rumtrieb, wusste sie nicht.
    "Gute Nacht, Mama", sagte Runa und drehte sich auf die Seite.
    "Gute Nacht, mein Schatz", erwiderte die Wehmutter.
    Sinan hatte sich auch hingelegt, starrte aber ebenfalls in die Dunkelheit.
    "Gibt es noch was?", fragte Aniron ihren Sohn.
    "Ich denke nur über heute nach, was geschehen ist."
    "Ich auch."
    "Ich wünschte, wir könnten jede Krankheit heilen."
    "Ich auch."
    Sie schwiegen einen Augenblick.
    "Lass uns morgen gemeinsam zum Gebet gehen", schlug Aniron vor.
    Sinan nickte.
    "Wir müssen außerdem die Bestände in der Heilkammer überprüfen", sagte Sinan. Aniron musste schmunzeln. Immer so ernst und erwachsen ihr Sohn.
    "Das machen wir."
    Dann drehte er sich auf die Seite mit dem Gesicht zu ihr und gähnte.
    "Ach, weißt du was, als ich vorhin bei Hyperius war, hat er gewirkt, als hätte er geträumt. Das war komisch."
    Mit einem Schlag horchte Aniron auf: "Er hat was?"
    "Ja, ich könnte schwören, dass er anders geatmet hat. Das hat er nicht gemacht, seit er so ist, oder?"
    "Nein, hat er nicht. Das ist bemerkenswert", murmelte Aniron. "Ich werde gleich morgen Früh mal nach ihm sehen. Das interessiert mich."
    Aber für heute war sie zu müde. Einfach zu müde.
    "Gute Nacht, Sinan."
    "Gute Nacht, Mama."

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    Hyperius ist offline

    Von Durchgängen und (Fall-)Türen

    Immer dem Herzen folgen, war ein kluger Spruch, den man vielen jungen Menschen leichtfertig mit auf den Weg gab. Doch in der aktuellen Situation war es genau das, was Hyperius tun musste, wenn er wieder zurückgelangen wollte in die Welt, von der nun seit Ewigkeiten getrennt war. Ob es sich dabei nur um Tage, Wochen, Jahre oder gar Jahrzehnte gehandelt hatte, wusste er nicht. Ob seine Freunde und Bekannten noch lebten, auch dass wusste er nicht.

    Aber was er wusste, war dass sein Lebensquell noch nicht versiegt war und das bedeutete zumindest, dass der Novize ihn nicht hatte auf dem Feld liegen lassen und sich irgendjemand seiner angenommen war. Trotz all der Leere, die seinen Geist gefangen genommen und nun verschwunden war, hatte er gefühlt, dass ihm Menschen nah waren, erinnerte sich an Stimmen und Worte, die er so nicht erlebt hatte. Wenn schon nicht für sich selbst, dann für die Menschen und Adanos‘ da draußen, musste er den Ausgang finden und sich bedanken.

    So kletterte er die verwinkelten Treppenstufen im verworrenen Gebilde seines Geistes empor und immer, wenn der Wassermagier den Herzschlag und das Atmen nicht mehr so genau hören konnte, hielt er inne und machte eine der Türen auf, oder las zumindest die kleinen Hinweis-Schildchen, die er vorsorglich angebracht hatte.
    Man konnte sich gar nicht so leicht vorstellen, wie schnell man in ein Traumata reinstolpern konnte, das man am liebsten im stillen Kämmerlein hätte ruhen lassen. „Verprügelt von einer Horde wütender Nomaden“, las er das Türschild und musste darüber schmunzeln, wie ganz und gar unzufrieden die Wüstenbewohner damals von seinem Friedensvorschlag mit den Orks in Lago gewesen waren.

    Die Nachbartüren mit „Bei der Rettung einer holden Schwarzmagierin lebendig von einem Feuerwaran verspeist“ und „Von Suzuran als Sumpfmonster identifiziert und mit einem Pfeil malträtiert“ waren auch nicht viel einladender. So langsam dämmerte es dem Pazifisten, dass er in der Gasse der Schmerzen gelandet war, wo sich hinter jeder Tür ein Erlebnis verbarg, das seiner körperlichen Zuversichtlichkeit unzuträglich gewesen war.

    Da sich der Kartograph jedoch in seinem eigenen Geiste befand, hinderte ihn nichts daran, sich dies auch zu Nutzen zu machen und so befand sich ein Blinzeln später eine Karte in seiner Hand. Nur kurze Zeit später, fand er die Gasse der Schmerzen, die direkt unter der Gefängnis-Passage lag, wo der geneigte Spaziergänger eine Auswahl vergangener Gefängnisaufenthalte von Varant, über Myrtana bis hin zu Setarrif bestaunen konnte.
    Es galt jedoch weiterzugehen und so erreichte der Diener Adanos‘ kurze Zeit später einen runden Platz. „Der Marktplatz der Freundschaft“, an dessen Markständen und Häusern Hyperius sehr gerne länger verweilt wäre, um bei Stand „Tinquilius‘ Allerlei“, der Marktlaube „Ptahs Tausend & Eine Gesprächsrunde“ oder dem Haus „Anirons Güte“ in alten Erinnerungen zu schwelgen.

    Aber es gab eine Zeit für Träumereien und es gab eine Zeit, um sich zu erheben und der Wirklichkeit zu begegnen. Und auch wenn der Pazifist liebend gerne bereits Geschehenes durchlebt hätte, um im Kreis seiner Freunde, die schwierigen Momente hinter sich zu lassen, war dies es nicht Wert weiter in seinem Traum gefangen zu bleiben.
    So gelangte der Wassermagier schließlich zu seiner Zieletappe, dem „Plateau der Selbstzweifel“. Dieses galt es zu überwinden, da an dessen Ende das Tor zu seinem Bewusst eingelassen in das feste Mauerwerk des Hauses seiner Erinnerungen verheißungsvoll thronte.

    Diese Ebene war mit Vorsicht zu genießen, denn es gab hier keine offensichtlichen Türen und Durchgänge, sondern der Staub des Vergessens hatte sich wie Sand über den Boden gelegt und versperrte die Sicht auf verborgenen Falltüren und gaben so ein trügerisches Gefühl der Sicherheit.
    Ein falscher Schritt und man konnte genauso gut in eine tiefe Glaubenskrise oder etwas weitaus Schlimmeres stürzen, von dem man sich nicht so ohne Weiteres erholen konnte. Der Wassermagier zögerte, denn er wollte nicht all den Fortschritt verspielen, den er sich nun erkämpft hatte. Doch gerade, als er umdrehen und sich zunächst einen anderen Plan überlegen wollte.
    Hörte er flüsterleise und weit entfernt eine Stimme, die seinen Namen rief. „Es fühlt sich so vertraut an und kommt doch von der anderen Seite des Tores“, ging es ihm durch den Kopf, als er nun doch den ersten Schritt auf das Plateau machte.

    „Hyperius“ – so hallte sein Name erneut durch die Ebene und es war so, als wäre er von der vertrauten Stimme getragen. Er war nicht allein, er konnte auf seine Freunde zählen und ihre Fürsorge und Liebe lenkten seine Füße sicher vorbei an all den Fallen bis zu dem großen Tor. Schließlich stieß er es mit seiner ganzen Kraft auf und ging in das leuchtende Licht ein.
    Während sich sein Körper in dieser Welt auflöste und das Wort „Danke“, über seine Lippen kam, hallte dies für einen Augenblick in beiden Welten wider. Denn bereits im nächsten Moment, war er nur noch im Turm in Stewark und seine Augen öffneten sich langsam und sahen eine ihm bereits verloren geglaubte Welt.

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    Lehrling Avatar von Die Schurken
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    Die Schurken ist offline

    Auf dem Weg zum Irrenhaus

    Auf der Mauer, auf der Lauer, sitzt ein Fleischwanze.
    Bei der Mauer noch viel schlauer, steht der kluge Franze.
    Seht ihr mal den Franz, er beherrscht den Mummenschanz.
    Vor der Mauer jeder Bauer, ist ganz angetan.
    Seht die Frau und Mann an, treten fasziniert heran und dann.
    Vor der Mauer wird der Magen flauer, denn es läuft nach Plan.
    Seht ihr dieses Paar da, bald wird es ihnen klar, ja.
    Vor der Mauer wird man sauer, ist’s Gold dann nicht mehr da”

    Dieses eigens für sich selbst gedichtete Liedchen singend, schlenderte Franz Möller, wobei ihn die meisten nur Franz die Wanz’ nannten durch die eher schmalen und düsteren Gassen am Rande Stewarks. Es war einmal wieder zu einfach gewesen, die jungen Leute aus der Stadt oder die reisenden Bauern mit seinen Würfel- und Taschenspielereien, um ein paar Münzen zu erleichtern.
    Der Trick war stets der gleiche, anfangs ließ man einen Spieler, zumeist einen Mittelsmann, manchmal aber auch gönnerisch einen echten Gast, ein paar Runden gewinnen, um die Gruppe anzulocken, bevor man einen nach dem anderen schön über den Tisch zog. Denn eine wirkliche realistische Chance für die Spieler bestand nie, wenn der Spielmeister richtig zu manipulieren wusste.

    Solche Spielereien stellten vielleicht ein nettes Zubrot dar, aber waren schon lange nicht mehr die einzige Einnahmequelle, die der Ganove aufgetan hatte. Naturkatastrophen, Krieg, Echsenmenschen und Drachen waren die perfekten Zutaten, um ein Königreich zu destabilisieren.
    Zwar hatten es die Herrschenden geschafft zumindest so etwas wie Normalität herzustellen und für Sicherheit zu sorgen, aber für den Gewieften fielen in den letzten Jahren doch immer mehr Krümel herab, an denen er sich laben konnte.
    Aktuell war Franz auf dem Weg ins Irrenhaus von Stewark. Dieses nahm sich den Kranken und Schwachen an, die ihrer Familie zu sehr zu Last fielen, oder den verrückten Verbrechern, die sowohl im Gefängnis als auch auf Freiem Fuß zu viel Ärger machen würden, es aber nicht Wert waren, sie hinzurichten. Zusammenfassend ließ sich also sagen, dass die Ungewollten und Vergessenen hier ihr Dasein fristen mussten.

    Niemand wollte neben dieser Einrichtung wissen, niemand konnte sich aufraffen sie zu renovieren und an eine solide Finanzierung dachte auch niemand. So hielten sie sich mit Resten über Wasser und bettelten um Gold oder Sachspenden. Das dies nicht für eine ausreichende Versorgung der Verwirrten reichte, wusste jeder, aber es reichte sie in einem heruntergekommenen Haus im Armenviertel wegzusperren und so die Reichen und Gesitteten von ihrer moralischen Pflicht zu entbinden, die ihnen ein solcher Anblick auferlegt hätte.
    Was wollte die Wanz‘ nun also hier – denn er war weder zwar wahnsinnig gutaussehend, aber verrückt nannte man ihn eigentlich nicht. Die Bürger der Baronie hätten ihn auch als keinen Wohltäter beschrieben, sondern es war das Geschäftliche was ihn zum Sanatorium führte. Eine so unterfinanzierte Einrichtung, musste sich manchmal auf zwielichtige Geschäfte einlassen, um sich über Wasser zu halten. Denn wenn das Leiden eines Ausgestoßenen ausreichte, um genug Essen für den Rest der Einrichtung für eine Woche zu kaufen, konnte man es den Helfern auch nicht verhehlen, dass sie Geschäfte mit solch zwielichtigen Gestalten wie ihm machten.

    Hyperius

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    Im Irrenhaus bei Stewark

    Franz grinste als er vor dem heruntergekommenen Gebäude stand und dem Wachmann freundlich zunickte. Dieser kannte ihn bereits von früheren Besuchen. Die Hände wurden zum Gruß ausgestreckt und als sich nach einem kurzen Händeschütteln die Handflächen der beiden Männer wieder trennten, hatten ein paar Goldmünzen den Besitzer gewechselt. Klaus hatte wieder nun etwas mehr Spielraum, um seinen Kindern etwas hochwertigeres zum Essen zu kaufen oder seiner Frau eine Kleinigkeit vom Markt mitzubringen.

    Die Wanz' auf der anderen Seite wusste ganz genau, dass der Wachmann bei seiner Abreise es wohl nicht so genau nähme, wenn er nicht alleine, sondern in Begleitung die Irrenanstalt verlassen würde. Man konnte es dem Aufpasser ja auch nicht verübeln, dass er sich ein bisschen was dazu verdiente, schließlich tat er einen Dienst an der Allgemeinheit für schlechten Lohn und ohne gesellschaftliche Anerkennung. Darüberhinaus schaute er ja nur weg, wenn Leute das Sanatorium verließen, er war weder derjenige, der sie auswählte oder freigab und somit ihr Schicksal bestimmte. Dies machte ihn vielleicht zu keinem Heiligen, aber um nachts ruhig schlafen zu können, reichte es aus seiner Sicht allemal.

    Drinnen angekommen, bog der Schurke direkt rechts ab und lenkte seine Schritte die Treppe nach unten. Im Keller wurden diejenigen unter den Irren und Verwirrten verwahrt, die keinerlei lebenden Bekannten mehr hatten oder eine Gefahr für sich und andere darstellten. Somit fielen sie entweder in die Kategorie "Vermisst schon keiner" oder "Gott sei dank sind sie weg".
    Das waren genau die Kategorien, die Spielraum für Geschäfte boten, an denen Franz interessiert war. Dieses Mal ging es darum, dass es im Wald der Baronie in einer abgelegenen Höhle einen Tränkepanscher gab, der sich bei der Zusammensetzung einiger seiner Tinkturen noch nicht so ganz sicher war und dafür einige "Freiwillige" brauchte.

    Die Wanz' kam also als Vermittler, um das hohe Angebot an Freiwilligen in dieser Einrichtung mit dem Bedarf des Forschers außerhalb der Festung zu verbinden. Zurecht konnte man also von einer Forschungszusammenarbeit sprechen, wo er bloß als bescheidener Mittelsmann und Kurier fungierte. Dies legte der redegewandte Schurke auch dem Assistenten des Sanatoriumsleiter Krilian Berg dar. Dieser war noch nicht so lange im Geschäft und besaß noch manchmal so etwas, das andere Leute als Skrupel bezeichnen würde.

    Der Vorgänger von Assistent Berg war zusammen mit einigen Anhängern als Mitglied eines verbotenen Beliar Kultes hochgenommen und Innos' Strafe zugeführt worden. Verglichen mit den damaligen Zuständen war Herr Berg ein harter Brocken, der sich jedoch auch den harten Realitäten beugen musste, dass die Einrichtung chronisch an Geld Mangel litt. Und auch der Wanz' war es damals fast etwas suspekt mit welcher Sorglosigkeit mit dem Leben der Irren umgegangen worden war.
    Er selbst nahm es mit Gesetz und Moral zwar auch nicht so genau, würde aber nie jemand aus dieser Einrichtung holen und ihn in den sicheren Tod führen, wenn dieser nicht zumindest selbst mit einer Schuld beladen war, die ein solches Szenario rechtfertigen könnte. Darüber lange nachzudenken, hatte er nun aber keine Zeit und so fragte er nun nun nach einiger Zeit erneut: "Hast du einen Insassen, der daran interessiert wäre, ein paar dieser Mixturen auszuprobieren?" und lies parallel dazu ein gut gefülltes Beutelchen auf den Tisch neben dem Angestellten fallen.

    Hyperius

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    Irrenhaus, Keller

    Unruhig tippelte Radzinsky in seiner kleinen Zelle auf und ab. Seine Anspannung hatte sich schon in den letzten Tagen hochgeschaukelt, sie beeinflusste seinen Schlafrhythmus und auch seinen Appetit. Die Augen waren müde und wach zugleich, als wolle sich sein Geist von seinem Körper lösen. Er spürte jede Faser seines hageren Körpers, jeder Kiesel fraß sich in seine Fußsohlen, jeder Windhauch löste ein Kribbeln auf seiner blassen Haut aus. Wie lange noch? Wann war es endlich soweit?

    "Jetzt komm doch endlich!", zischte er zum Fenster empor. Zu diesem einen kleinen Kellerfenster mit den Gitterstäben, die nur symbolischen Charakter hatten. Es war eh viel zu hoch, als dass er es erreichen konnte und es führte lediglich in einen eng ummauerten Hinterhof. Eine Flucht durch das Fenster hätte er nie in Betracht gezogen, und kein Mensch war jemals draußen auf dem Hof unterwegs, als dass er mit ihm hätte kommunizieren können, warum also die Gitterstäbe? Alles, was er durch das kleine Fenster sehen konnte, war ein kleiner Ausschnitt des Himmels. Es war alles, was er brauchte. Sein Fenster zur Weisheit.

    Aber allmählich breitete sich eine immer größer werdende Unruhe in seinem Körper aus, denn das, was er durch sein Fenster beobachtete, was er erwartete, trat nicht ein und dies zu verpassen wäre eine Katastrophe sondergleichen. Einmal war ihm das schon passiert, da hatte es geregnet. Wie lang war das her? Ein Blick an die Wand verriet es ihm. Neunhunderteinundachzig Tage, er dokumentierte sie alle, mit einem Stück weißer Kreide auf einer verwaschenen Steinwand. Zu Beginn seiner Gefangenschaft hatte er eine Strichliste geführt, aber irgendwann, als die Wand voll war, entschied er sich, nur noch einen Strich alle zehn Tage zu ziehen, es sei denn, etwas Interessantes fand an einem Tag statt. Das konnten so prägnante Dinge sein wie der Besuch dieses kleinen Salamanders, der sich in sein Verlies verirrt hatte oder der Tag des Krieges, an dem Stewark wieder in die Hand König Ethorns überging. Beides war für Radzinsky gleich interessant oder uninteressant, es war besser, als ein langweiliger Regentag, aber schlechter als eine Nacht wie heute.

    "Sag mir, dass ich nicht verrückt bin", seufzte Radzinsky verzweifelt und raufte sich das dünne Haar. Es war grau geworden, das wusste er aber nur, weil er sich immerzu einige Strähnen herausriss, wenn er aufgeregt war. Er erhielt keine Antwort. Die einzige menschliche Stimme, die er manchmal vernahm, war die des Wärters, der ihm sein Essen brachte oder seinen Eimer ausleerte. Aber der hatte auch schon seit Jahren kein Wort mehr mit ihm gewechselt. Es war vielmehr ein Brummen, manchmal sogar ein Niesen, das er zur Kommunikation verwendete. Aber Radzinsky hatte immer noch nicht begriffen, ob die Wache ihm mit seinem Husten Signale senden wollte. Dieses Rätsel hatte er noch nicht gelöst. Aber es stand weit oben auf seiner Schaffensliste.

    "Warum sagst du nichts, Rumpel? Glaubst du selbst nicht daran?"
    Sein Blick wanderte zu der kleinen Ratte, die auf seinem Bett saß. Es war eine Erinnerung an die Zeit der Pest in Thorniara. Er war der Rattenfänger und Rumpel war eines der wenigen Exemplare, die nicht krank waren. Er hatte mit ihm Experimente durchgeführt und tat dies auch heute noch. Leider war Rumpel nicht mehr so lernwillig wie früher. Der Taxidermist sagte ihm, dass man einem ausgestopften Nagetier auch keine andere Aufgabe als die eines hässlichen Briefbeschwerers geben konnte. Aber der Kerl hatte keine Ahnung! Rumpel war zu einem Werkzeug geworden, zu einem Maß aller Dinge! So wusste Radzinsky, dass er ungefähr sieben Rumpel großwar - wenn man den Schwanz des Tieres nicht mitzählte. Und seine Zelle war ein idealisierter Würfel mit Seitenlänge von zwölf Rumpel. Er hatte sogar mal ausgerechnet, wie viele Rumpel es brauchte, um damit einen Overall auszufüllen und andere Menschen damit an der Nase herumzuführen, aber die Idee hatte er schnell wieder verworfen. Er hatte nur diesen einen Rumpel. Irgendwo im Irrenhaus gab es eine Katze und die kümmerte sich um alle anderen Rumpel, auf dass Radzinsky seine Pläne nie in die Tat umsetzen konnte. Sie war sein verhasster Gegenspieler.

    Dann vernahm er plötzlich Schritte jenseits seiner Zellentür. Das konnte doch nicht wahr sein. Nicht jetzt, nicht ausgerechnet jetzt! Konnte ein genialer Wissenschaftler denn niemals seine Ruhe haben? Gleich würden sie sich über den Himmel bewegen und Radzinsky würde Zeuge davon sein. Die Michailiden - Sternschnuppen, die jedes Jahr um diese Zeit genau durch diesen Himmelssektor flogen, den sein kleines Fenster ihn zu betrachten gewährte. Und für den brillianten Wissenschaftler der endgültige Beweis dafür, dass sich die Welt ringsum in ständiger Bewegung befand. Jedes noch so kleine Objekt kehrte irgendwann wieder an den Nachthimmel zurück, der Mond, die Sonne und die Sterne. Nur er selbst konnte nicht weg. Er war hier gefangen, war der Ankerpunkt des Universums. Der magnetische Nordpol. Und es gab keinen Gott, der eine solche Konstanz hatte, wie Radzinsky.

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    Im Irrenhaus

    Kurz gab der Schurke dem Assistenten Zeit, um die Münzen und das Gewicht des Beutels zu begutachten, bis er sich sicher war, dass der andere bereit war sich auf das Geschäft einzulassen. Franz merkte so etwas meist schon allein an der Mimik seines Gegenübers und daran, ob sich seine Körperhaltung entspannte oder nervös versteifte. Als also alle Zeichen gut war, säuselte er schließlich zuckersüß in die Ohren von Herrn Berg: "Habt ihr denn einen Patienten, dem ein bisschen frische Luft gut tun würde und der nicht so aggressiv ist, dass er sich oder dieses Forschungsunterfangen gefährden würde?

    Man konnte den Mitarbeiter der Heilanstalt wirklich innerlich mit sich ringen spüren, dem Verbrecher einen seiner Patienten mitzugeben, aber dennoch ließ sich nicht der Fakt aus de Welt schaffen, dass diese Münzen sicherlich für knapp einen Monat Essen für die meisten Insassen sichern würde. Sicherlich war es kein Essen, das man jemandem außerhalb auf den Tisch packen würde, aber solange das Fleisch madenfrei, das Gemüse noch nicht ganz verfault und sich das trockene Brot zumindest im Wasser aufweichen ließ, reichte es für die Patienten hier. Es war eher ein überleben und vor sich hin vegetieren, als eine wirkliche Existenz, aber immerhin musste hier niemand verhungern oder wurde umgebracht - es kam bloß manchmal jemand abhanden, damit die Versorgung des Rests sichergestellt war.

    "Okay, ich denke, dass ich da einen Patienten habe, der für diesen 'Forschungsaustausch' in Frage kommen könnte. Er ist schon länger in der Einrichtung als ich, war aber nie groß aggressiv und scheint zumindest immer wieder wache Momente zu haben"
    , sprach Krilian an die Wanz' gewandt, nachdem er sich den Geldbeutel eingesteckt hatte.
    Er nahm eine kleine Kerze vom Tisch und einen großen Schlüsselring von der Wand und bog in einen kleinen Gang mit zwei Türen zu seiner rechten ein. "Die Unterlagen wiesen explizit daraufhin, dass man sich von ihm fernhalten sollte, also hat kaum einer mit ihm gesprochen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum er mit seiner Ratte herumspielt. Aber ob er mit euch reden wird, kann ich nicht sagen, ergänzte der Assistent als er vor der Tür angekommen war und die Kerze auf eine kleine Halterung neben der Tür gestellt hatte.

    "Sein Name ist..", setzte Herr Berg noch als er jäh von dem Schurken unterbrochen wurde. "Mich interessiert nicht, wie er heißt", schnitt Franz dem anderen das Wort ab, nachdem dieser die Tür aufgeschlossen hatte, bevor er seinen Blick auf die jämmerliche Gestalt in der Zelle warf und sich nun an diese wandte und sagte "Ich bin Franz, wir machen jetzt einen kleinen Ausflug nach draußen zu den Sternen und zu dem Wald. Wenn du dich gut verhältst, kriegst du sogar vielleicht ne kleine Belohnung und falls nicht, dann hau ich dir volles Pfund aufs Maul."

    Dann trat er in die Kammer ein, um dem Irren auf die Beine zu helfen, wenn das denn nötig war. Die rechte Hand zum Gruße ausgestreckt und die linke Hand verborgen in seiner Tasche zu einer Faust geballt. Denn nur weil dieser Patient in der Vergangenheit keine Probleme gemacht hatte, schadete es nicht sich eine Rückversicherung zu schaffen, falls dieser ausgerechnet jetzt damit anfangen wollte.
    ​Hyperius

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    Irrenhaus, Keller

    Radzinsky zuckte unwillkürlich zusammen, als diese laute, fordernde Stimme an sein Ohr drang. Wie lang war das her, dass jemand ganze Sätze zu ihm gesprochen hatte? Wie gern würde er diesen Tag als Ereignistag in seine Liste aufnehmen, wenn er doch nicht zu gänzlich ungünstigsten Zeit kam?

    Der Erfinder konnte dem Fremden keinen Blick schenken. Er musste am Fenster bleiben.

    "Hat euch die vermaledeite Katze geschickt, um mich wieder abzulenken? Ist das denn zu fassen Rumpel, hm? Aber darauf fallen wir nicht rein, nicht noch einmal!"

    Ja, es war schon einmal jemand zu ihm gekommen und hatte ihm die Tür geöffnet, hatte ihn in ein Gruppenzimmer gesteckt, wo nur Bekloppte unterwegs waren. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was er mit diesen Gestalten anstellen sollte. Radzinsky und Rumpel hatten sich dann so lange beim Aufseher beschwert, bis sie wieder in den Keller durften. Und da wollte er auch bleiben.

    "Wenn Ihr Lust habt, Herr Franz, dann könnt Ihr euch auf mein Bett setzen und dieses Schauspiel mit mir gemeinsam beobachten. Haltet nur den Blick zu der Zickzack-Sternenkonstellation rechts vom Mond gerichtet. Konstellation Ratte. Die Michailiden sollten von Osten herniederregnen, schon in wenigen Augenblicken. Rumpel, jetzt mach doch mal Platz für den Herren!"

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    Im Irrenhaus

    Naja zumindest gesprächig scheint er ja zu sein und scheinbar völlig besessen von dem Fenster und Sternenhimmel, dachte sich der Schurke, als er sich dem Mann näherte. Dieser war etwas älter, aber noch lange kein alter Mann, aber bei den Insassen in solch einer Einrichtung lies sich das meist schwer sagen.
    Mangelernährung, fehlenden Sonnenlicht und das ständige Eingesperrtsein zehrten nicht nur psychisch sondern auch physisch an den Körpern. Bei diesem Exemplar schien der Zustand jedoch noch ganz passabel zu sein. Wäre der Herr zu alt oder schwach gewesen, hätte das ein Problem für die Experimente dargestellt, so dass man der Wanz' ein zufriedenes Lächeln ansehen konnte.

    Was dieser Kerl da von einer Katze faselte und wer oder was ein Rumpel war, waren keine Themen, über die sich Franz Gedanken machen wollte, obschon ihm in der Nähe des Eingangs zu der Anstalt eine Katze über den Weg gelaufen war. "Herr Rumpel", setzte er er nun an, vermutend, dass es sich dabei um den Namen des Irren handeln müsste, ich verstehe, dass ihr die Sterne mögt, aber durch dieses kleine Fenster, könnt ihr sie doch kaum sehen. Draußen auf der Straße unter freiem Himmel und dann erst auf den Wegen vor der Stadt ohne das störende Licht - dort ist es wo man die Sterne gut sehen kann. Nicht nur die Ratte, sondern auch den Jäger und den Bären

    Ob das wirkliche Sternkonstellationen waren, wusste der Ganove natürlich nicht und es interessierte ihn auch nicht groß, da er schließlich mit einem Irren sprach und sich auch gar nicht sicher war, wie viel von dem Gesagten ohnehin im Schädel des Vernebelten ankam.
    Mittlerweile war es bis an Radzinsky herangetreten und blickte neben ihm auch hinaus durch das Fenster zum Hof. Die Hand auf die Schultern des anderen legend, unterstrich er somit noch einmal freundschaftlich die eben gesagten Worte. Franz wollte eine Szene vermeiden, wenn es möglich war, um zukünftige Geschäfte nicht zu gefährden. Wenn es aber nicht im Guten klappen sollte, war er durchaus gewillt, bald andere Saiten aufzuziehen.

    Hyperius

  13. Beiträge anzeigen #53
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    Irrenhaus, Keller

    "Verspottet Ihr mich etwa? Soll das ein Ablenkungsmanöver sein?", der Wissenschaftler rümpfte die Nase, "Nein, Rumpel sitzt da drüben auf dem Bett. Ich bin Radzinsky, Michail Radzinsky."

    Er wandte den Blick nur einmal kurz zu diesem Franz, um ihm die Hand zu schütteln. Der Kerl schien ja ganz in Ordnung zu sein. Er wollte mit Radzinsky rausgehen, richtig raus. Unter den freien Himmel. Wann hatte er den zuletzt gesehen? Das musste vor etwa eintausendeinhundert Tagen gewesen sein.

    Dieses Angebot konnte natürlich nur ein Trick sein, aber sicherheitshalber wollte Radzinsky ihm in die Augen schauen. Immerhin waren die Augen ein Spiegel der Seele. Doch bei diesem Anblick zuckte der Wissenschaftler erschrocken zusammen. Dieser Franz war groß, breit und hatte finstere Augen, wahrlich so schwarz wie die Nacht. Radzinsky konnte keine Lügen darin erkennen.

    "Ihr... ihr meint es wirklich gut mit mir? Ich würde so gern mit nach draußen kommen, jedoch... ich kann ich den Blick nicht vom Himmel abwenden. Was, wenn ich verpasse, dass -"

    Beim abermaligen Blick durch das Fenster zuckte er zusammen. Eine Wolke hatte sich vor den Mond geschoben, eine verdammte Wolke!

    "Brunzprophet und Arschmonarch! Wir müssen nach draußen, geschwind! Komm Rumpel!"

    Er schnappte sich das ausgestopfte Tier und sein Notizbuch und wirbelte aufgeregt herum, dass sich Franz und der Wachmann in Bewegung setzen sollten.

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    Die Reise aus dem Irrenhaus

    Dieser Irre schien zu wissen, was gut für ihn ist, obwohl sicher auch die auftauchende Wolke eine Rolle bei dessen Kooperationswilligkeit gespielt haben schien. Doch der Wanz' war das ganz recht, denn mit jedem weiteren Satz, den dieser Kerl sprach der nicht Rumpel, sondern Radzinsky hieß, sah der Verbrecher mehr Goldmünzen in seinen Beutel purzeln.
    Das was Herr Radzinsky sprach, wirkte zwar komisch und verwirrt aber nicht völlig gaga. Dementsprechend sollte es sogar möglich sein, die Auswirkungen der Mixturen des Alchemisten auf den mentalen Zustand zu überprüfen. Nicht gefordert im Anforderungsprofil, aber etwas - das wusste der geschäftige Ganove nur zu gut - essenziell war für jede Markstudie, wenn man ein medizinisches Produkt auf den Markt bringen wollte.

    Also ging er heraus an Assistent Berg vorbei, schnappte sich dessen Kerze, nickte ihm noch kurz zum Dank zu, bevor er Michail und Rumpel im Gang verschwanden und den armen Krilian im Dunkeln zurückließen, was jenem das Abschließen der Kellertür nicht gerade erleichterte. Darum scherte sich Franz aber nicht, denn es war schließlich nicht seine Aufgabe sich die Probleme anderer zu eigen zu machen, wenn er davon nicht profitierte.

    Oben angekommen, näherten sich die beiden Männer und die Ratten raschen Schrittes dem Ausgang. Glücklicherweise konnte der Ganove keine Katze erblicken, da er auf einen Anfall seines Begleiters verzichten konnte, was natürlich nicht hieß, dass ihnen dieses Glück auch auf der weiteren Reise hold bliebe. Bevor sie das Grundstück schließlich verließen, schnippte der Schurke dem Wachmann vor dem Eingang noch eine weitere Goldmünze zu.

    "So Herr Radzinsky, guckste nach oben ist die Wolke immernoch da und du hast nix verpasst", begann er zu sprechen, seine Schritte bereits in Richtung des Stadtausgangs richtend, "Wir haben noch ein bisschen Zeit bevor die Sperrstunde beginnt und sie das Außentor schließen, deshalb sollten wir uns ein wenig beeilen. Besser überlässt du am Tor auch mir das Sprechen, wenn du deinen Himmel ohne die störenden Lichter der Stadt sehen willst

    Dass dies alles aber völlig ohne Probleme abliefe, bezweifelte er, denn dafür war er schon lang genug im Geschäft. Er hatte einen Verrückten bei sich und nachdem es bisher so gut gelaufen war, musste bestimmte noch irgendwas passieren, das ihm den Tag vermieste. Womöglich hab ich aber auch heute mal Glück, das darf man ja auch nicht ausschließen, murmelte er leise vor sich hin, während sich die ungleiche Gruppe auf die Reise machte.

    Hyperius

  15. Beiträge anzeigen #55
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    Lichtemission, die Geißel eines jeden Astronomen. Aber nichts im Vergleich zu den verfluchten Wolken.

    "Ihr seid gescheit für einen Mann eurer Statur", brachte Radzinsky wohlwollend hervor, "Und ihr scheint ein Gespür für Optik und Naturkunde zu haben. Allerdings wird uns selbst der Weg auf einen Berg oder auf das freie Feld nichts nützen, solange sich diese Schlechtwetterfront auf uns zubewegt. Es ist zum Haareraufen, dass das ausgerechnet heute passiert!"

    Keine Maschine dieser Welt konnte den Kräften der Natur Herr werden und die einzige Möglichkeit, jetzt die Sterne zu sehen, war, einen hohen Berg zu erklimmen. Das Weißaugengebirge zum Beispiel. Auf einer Hähe von etwa 15.000 Rumpeln könnten sie sich über der Wolkendecke befinden. Doch Radzinsky fühlte sich körperlich nicht in der Lage, einen derartigen Marsch zurückzulegen. Außerdem fehlte ihm dafür das passende Schuhwerk.

    "Es ist völlig egal, ob Stewark von den Innostreuen und ihren Milizen besetzt wird oder dem Widerstand und ihren Wassermagiern, am Ende sind sie alle machtlos gegen die Kräfte der Natur. Ja, selbst das Zentrum des Weltengefüges wird von seiner Umgebung verspottet! Moment, was?"

    Radzinsky patschte sich gegen die Stirn. Wieso war er da noch nicht früher drauf gekommen?

    "Die Wassermagier! Donnerknall und Wolkenbruch! Behaupten diese Kuttenträger nicht, sie seien die Herrscher über Wind und Wasser? Ist hier vielleicht irgendwo so ein Magikus zugegen? Wir müssen schnell zu ihrem Tempel und sie bitten, ihre Macht zu demonstrieren und den Himmel freizulegen."

    Der Erfinder entdeckte zwei bewaffnete Gestalten, die offensichtlich zur örtlichen Schutztruppe gehörte. Die mussten wissen, wo man hier zu dieser Stunde einen Heiligen des Wassers antreffen konnte. Radzinsky flitzte unvermittelt los und schilderte den beiden Wachmännern in hektischen Sätzen die Situation.

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    In der Nähe der Tore von Stewark

    "Der Kerl labert, labert und hört nicht mehr auf zu labern. Vielleicht hätte ich doch nen brabblenden Dummkopf mitnehmen sollen - weniger Geld, aber auch weniger Probleme", ging es Franz durch den Kopf, als sich ein wirrer Redeschwall nach dem andere auf ihn ergoß. Er musste halt mit dem Arbeiten was er bekam und das unterschied den Profi schließlich vom Amateur. Andere sahen vielleicht nur einen Klumpen, wo er das Potenzial für eine teure Vase erblickte.

    Aber eben jener teuren Vase galt es so langsam mal den Mund zu stopfen, bevor die beiden noch in größere Schwierigkeiten kamen. Die wirren Gedanken Michails hatten sich irgendwie von Wolkenärger, über eine Besteigung des Weißaugengebirges bis hin zu einem illusorischen Bild von Wassermagiern als Beherrscher des Wetters gesponnen. Solche Schlussfolgerungen, so lange sie nur bei Gebrabbel blieben, störten die Wanz' nicht, machten sie doch gute Fortschritte im Hinblick auf die Erreichung des Stadtores.

    Als der Ganove dann aber mal einen Moment wegschaute, um zu überprüfen, ob sie beobachtet oder verfolgt wurden, konnte er seinen Augen nicht glauben, da sich der Verrückte schnurstracks auf die nächstbesten Wachen zu bewegte und sie über die gesammte Situation aufklärte. Am Liebsten hätte der Schurke in diesem Moment sein Gesicht einfach nur in seinen Händen vergraben und laut losgeschrien, aber nun galt es rasch einzuschreiten, bevor noch mehr Schaden angerichtet wurde.

    "Guten Abend die Herren, wie ich sehe, haben Sie schon meinen Begleiter Herr Radzinsky kennengelernt.", säuselte er ohne seine Miene zu verziehen, als er bei den Gesprächspartnern angekommen war und richtete sich dabei an die Wachen, bevor er sich seinem Begleiter zuwendete "Feuermagier sind für den Wind zuständig, die Wassermagier können sich nur um das Wasser kümmern, das hier auf dem Boden ist und Eis vielleicht auch noch. Lass uns doch gehen, der Wind bläst gerade in Richtung des Meeres, so dass wir vielleicht im Landesinneren eine bessere Chance haben die Sterne zu sehen.

    Nachdem er das gesagt hatte, holte er noch ein paar Münzen aus seinem Beutelchen, strich sie mental von dem zu machenden Profit, und reichte sie den Wachhabenden, damit diese sich nach Schichtende ein Bier zur Wiedergutmachung der unnötigen Störung genehmigen könnten. Ob dies klappte, war aber schwer zu sagen, da die Stewarker Wachleute, eher mal ein Auge zudrückten, seit die Setarrifer hier waren, das aber auch nicht immer galt und er zudem nicht jedes Wort mitbekommen hatte, was der Verrückte den Soldaten erzählt hatte und deshalb hoffte, dass das Schlamassel nicht allzu groß war.

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    In der Nähe der Stadttore

    Radzinsky beäugte Franz mit der kindlichen Faszination, die einem eine plötzliche Erkenntnis ins Gesicht zauberte. Er hatte es bei diesem Kerl wohl mit einem Gelehrten zu tun, anders konnte er sich dessen fundierte Kenntnisse der praktischen Magie nicht vorstellen. Radzinsky selbst hatte die Magie lange Zeit für Mumpitz gehalten, allerdings gab es praktische Beispiele, die er schon selbst erlebt hatte und sich vom reinen Naturverständnis her nicht erklären konnte. Dazu gehörte zum Beispiel das Feuerentzünden durch Fingerschnippen oder das Heben von Gegenständen mit der Kraft der Gedanken. Wobei Gedanken allein es nicht sein konnten, denn davon hatte Radzinsky so einige, allerdings hatten diese nie einen Stein anheben können. Er hatte sich aber nie wirklich Gedanken darüber gemacht, dass Magier verschiedene Fähigkeiten besaßen. Er nahm immer an, dass Feuermagier einfach ein Faible fürs Kokeln hatten, hätte ihnen aber nie zugetraut, auch Wind zu erzeugen. Wenn das wirklich so war, dann konnten sie durchaus die Wolken einfach wegblasen. Also war er hier bei den Wassermagiern an der falschen Adresse?

    Nein!

    Wenn Wassermagier das Wasser beherrschten, dann doch auch die Kondensation. Könnten sie die Wolken nicht einfach abregnen lassen? Dann wären sie ihnen doch trotzdem eine Hilfe. Trotzdem machten die Wachen keine Anstalten, seine Frage zu beantworten. Sie wirkten eher besorgt.

    Während sein Begleiter auf die beiden Herren einredete, prüfte der Wissenschaftler mit angelecktem Finger die Windrichtung. Landabwärts, Franz hatte ganz recht. Wenn sie keinen Magier für ihre Sache gewinnen konnten, mussten sie eben schnell weiter ins Landesinnere vordringen, um noch noch eine Chance zu kriegen, die Sterne zu sehen.

    "Ihr habt den Mann gehört!", rief Radzinsky den beiden Kriegern der Klinge aufgeregt entgegen, "Zum Stadttor, aber dalli!"

    Doch so leicht wollten sich die beiden Herren dann doch nicht abspeisen lassen.

    "Mir kommt das fischig vor", brummte der eine, "Wieso wollen zwei so unterschiedliche Gestalten mitten in der Nacht die Stadt verlassen?"

    Der andere zuckte nur mit den Schultern und ließ den Zuverdienst sorglos in seiner Tasche verschwinden.

    "Und das da riecht nach Bestechung", fuhr der Erste fort und wandte sich noch mal an Radzinsky, "Hey mein Alter. Willst du wirklich jetzt noch die Stadt verlassen? Solltet ihr beide nicht lieber ein Rasthaus für die Nacht aufsuchen?"

    "Fasst mich nicht an! Ihr haltet den Fortschritt auf! Wir sind Wissenschaftler auf einer wichtigen Mission, deren Ausmaß eure Spatzenhirne gar nicht erfassen können. Komm Franz, zu den Stadttoren, bevor es zu spät ist!"

    Die beiden Krieger ließen von ihnen ab. Gut so. Sollten sie doch erst einmal vor ihrer eigenen Haustür kehren, ehe sie sich in die Probleme anderer Leute einmischten.

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    Die Schurken ist offline

    Außerhalb Stewarks auf den Weg gen Osten

    Da hatte er ja gerade nochmal Glück gehabt, dass die eine Wache dem kleinen Zubrot nicht abgeneigt gewesen war und die andere sich schließlich doch noch von dem Geschwätz des Alten überzeigen ließ. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte Franz fast selbst geglaubt, dass Herr Radzinsky gar nicht verrückt war, sondern eher zur Kaste der verschrobenen Magier und Gelehrten gehörte, deren Exzentrik man mit einer gewissen Mischung aus Argwohn und Erstaunen entgegentrat.

    Je länger der Ganove darüber nachdachte, während sie die Außentore der Stadt passierten, umso wahrscheinlicher war auch ein solches Szenario. Womöglich handelte es sich bei seinem Begleiter gar nicht um einen Verrückten, sondern einen unliebsamen Gelehrten der Wahrheiten verbreitete, den die Herrschenden nicht hören wollten. Wäre nicht das erste Mal, dass die Hetzer Rhobars oder irgendwelche fanatischen Inquisitionsmitglieder irgendwelche Andersdenkenden wegsperrten oder mit Macht versuchten ihnen ihr eigenes Dogma zu indoktrinieren.

    Doch das machte aktuell keinen Unterschied für die Wanz', die es sichtlich genoss außerhalb der Stadtmauern zu sein und vom kühlen Rückwind den Nacken massiert bekommen. Auch wenn Michail in Wahrheit nicht verrückt war, änderte das nichts an dem Auftrag, den der Schurke zu erfüllen hatte. So etwas wie Mitleid war ihm fremd und er würde seinen Plan höchstens ändern, wenn sich aus seiner Begleitung in anderer Weise ein größerer Gewinn schlagen ließe. Bei der Menge an Worten, die über die Lippen des ehemals Inhaftierten flossen, konnte man wahrlich von einem Wasserfall sprechen.

    Für Jahre mit einem Korken im Keller des Irrenhauses verstopft, entlud sich nun ob seiner imaginären Fessel entledigt, Redeschwall um Redeschwall. Die meisten Worte gingen aber an Franz vorbei, der nur beiläufig zuhörte und vermutete, dass es weiterhin um Sterne, Wolken und irgendwelche kruden Magietheorien ging. In der Ferne konnte man die Lichter von einigen der Bauernhöfe sehen, die Schritte lenkten die Gefährten aber auf einen kleinen Hügel, etwas abseits der Haupthandelsstraße.

    Der Ort, zu dem der Gauner die kleine Gruppe navigierte, war ein Schmuggleraußenposte am Rande einer Waldgruppe, die eine gute Sicht Richtung Stewark, aber auch zum Himmel versprach. Dort, so war es sein Plan, wollte er die Nacht mit dem Verrückten verbringen, nachdem der kritischste Part der Reise, das Verlassen der Stadt vor dem Morgengrauen geschafft war. Da sich hier im Landesinneren langsam die Wolken verzogen, wäre der Sternengucker bestimmt ohnehin daran interessiert, eine Pause zu machen, um Beobachten und Aufschreiben zu können, welche verrückten Eingebungen die Sterne in seinem kranken Hirn erzeugten.

    Hyperius

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    Veteran Avatar von Lukar
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    Lukar ist offline

    Stewarks Steilküsten

    Es war ein ganz und gar widerlicher Abend. Eine fast schwarze Decke wanderte vom Horizont über das Himmelszelt, verschluckte die Reste des Zwielichtes ebenso wie den aufgehenden Mond. Statt eines kühlen, trockenen Sternenhimmels von Ost bis West präsentierte sich eine Wand, die alles Licht verschlucken wollte. Die Wolke zog langsam, unaufhaltsam über den Himmel, nur hier und da durchbrochen von kreisrunden, fetzigen Löchern durch die das Mondlicht fiel, weiße Fenster in die Unendlichkeit. Neben Lukar schlugen Wasserpeitschen gegen das Gestein und schwappten auf den winzigen Strand unterhalb der Festung Stewark. Das Meer, schon bei Tageslicht eine gefährliche Suppe, sah aus wie eine einzige schwarze Masse, die nach dem Blut unvorsichtiger Wanderer gierte. Lukar hatte Respekt vor dieser Naturgewalt. Er hätte sich zu dieser Zeit niemals freiwillig hier her begeben. Aber er war nicht ganz freiwillig hier. Und jetzt, wo er schon einmal vor der beißenden Gischt stand, spürte er ein seltsames Zucken in seinen Eingeweiden, als sein Kopf das Tosen der Wellen in den Klang menschlicher Schreie verwandelte. Doch während ihm seine Gedanken einen teuflichen Streich spielten, mischten sich sehr reale menschliche Töne dazu. Schritte. Schwere, langsame Schritte. Lederstiefel im Sand.

    „Lukar.“ Grüße ihn eine Stimme völlig formlos und ohne auch nur die geringste Spur von Freundlichkeit. Lukar hätte diese Stimme überall wiedererkannt. Warrick. Einst Mitglied im Verbrecherring Setarrifs, Überlebender des Drachenangriffes, Slicers bester Freund und einer von Lukars innigsten Verbündeten. All das war Warrick in Lukars Augen gewesen … bis zu jenem Tag, an dem Warrick die Seiten gewechselt hatte, um in die Dienste eines gewissen Reinhard zu treten. Der Reinhard, der Lukar um sein Erspartes gebracht hatte. Warrick war ein Verräter. Und die Stimme eines Verräters brannte sich wie glühendes Eisen ins Gedächtnis. Der Verräter blieb unweit des Klippenschattens stehen, wartete. Als Lukar jedoch keine Reaktion zeigte, sondern einfach weiter grüblerisch aufs offenen Meer hinaus starrte, trat Warrick noch einen entschlossenen Schritt auf ihn zu. Er lächelte triumphierend, doch im blassen Lichtstrahl eines Wolkenfensters sah es wie eine wutverzerrte Grimasse aus
    „Wie ich sehe, hast du meine Nachricht erhalten.“
    Lukar öffnete halb den Mund, atmete schwer, seufzte. Er hob den Blick zum Himmel.
    „Leider habe ich das, ja. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wie lange es wohl dauert. Fast habe ich sogar zu hoffen begonnen, ich höre nie wieder von dir. Aber, hier stehst du.“

    Widerwillig wand Lukar sich zu dem schmierigen Kleinganoven herum. Warrick. Wie er leibte und zu Lukars Verdruss noch immer lebte. Ein wenig kam er ihm Älter vor. Müder als bei seinem letzten Besuch vor knapp einem Jahr. Das ewige Intrigieren, Planen und Meucheln forderte von Warrick seinen Tribut. Selbst die schneidige Kleidung die er neuerdings trug konnte das nicht verbergen. Reinhard entlohnte ihn offensichtlich gut. Doch dafür zahlte Warrick einen anderen, kostbareren Preis für all das Gold und Geschmeide. Lukar blickte weiter an Warrick hinab. Am teuren Ledergürtel trug der Handlanger ein simples Kurzschwert. Die schmalen Augen des Händlers zogen sich misstrauisch zusammen. Der Schoßhund seines alten Erzfeindes bemerkte den abschätzigen Blick Lukars und lächelte amüsiert.
    „Deswegen bin ich nicht hier. Kein Blutvergießen.“
    Lukar nickte langsam. Also war er deswegen hier.
    „Warum bist du dann gekommen?“
    „Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für dich.“
    „Die Schlechte zuerst.“ Brummte Lukar. „Und wage es nicht, mich noch länger auf die Folter zu spannen. Meine Zeit ist knapp bemessen.“
    „Die Krähe ist tot.“
    Schäumend schlug eine Welle gegen die felsigen Klippen. Wasser spritzte ihnen entgegen. Lukar rührte sich nicht von der Stelle um dem kalten Nass auszuweichen. Stattdessen grinste er spöttisch. Die Krähe. Der große Anführer des myrtanaweiten Verbrecherkartells war den Weg alles irdischen gegangen.
    „Und was ist die gute Nachricht?“
    Wortlos griff Warrick in seine Tasche und warf ihm einen winzigen Ledersack entgegen. Lukar fing ihn nur halbherzig, beinahe wäre die seltsame Beute über seine Schulter ins offene Meer gesegelt. Kurz wog er den Beutel in der Hand, ehe er ihn über seine aufgehaltenen Handfläche umstülpte. Etwa wurmartiges fiel heraus. Fingergroß. Nein, verflucht, das war ein Finger! Der widerliche Gestank nach Verwesung stieg Lukar in die Nase und er würgte, Angewidert ließ er den feuchten Beutel fallen, warf jedoch noch den Finger nicht beiseite. Quälende Sekunden zwang er sich zu einer Musterung des toten Fleisches. Ein silberner Ring steckte dran. Das Zeichen des Lehner-Handelssyndikats. Die Botschaft war eindeutig. Lukar fluchte, warf das zweifelhafte Erinnerungsstück an seinen alten Partner in die Fluten und spuckte ihm nach.

    „Reinhard ist ebenfalls tot.“ Krächzte hinter ihm Warrick überflüssigerweise und mit einem verboten selbstgerechten Grinsen. Lukar bückte sich vornüber, zerrieb zwischen seinen Fingern etwas nassen Sand um die Hände zu reinigen. Nur langsam wich der Würgereiz der Erkenntnis. Tot. Reinhard. Mausetot. Reinhard Lehner. Die Worte klangen in seinem Unterbewusstsein eigentlich zu schön, um wahr zu sein, zugleich blieb jedoch jede Gefühlsregung in ihm aus. Beängstigend. Wo war die hämische Freude? Die Erleichterung für seine schwarze Seele? Wahrscheinlich wollte es sich schon alleine deshalb nicht einstellen, weil der Drahtzieher des Verräters just in diesem Moment vor ihm stand und ihn fröhlich angrinste. Warrick stand für all die Dinge, die Lukar an Reinhard gehasst hatte. Für den Verrat, die Hinterhältigkeit, das absolute Fehlen von waschechter Diebesehre. Lukar spürte den Zorn in sich aufsteigen als er in diese selbstgerechte Fresse blickte.

    „Haben sich die Krähe und Reinhard gegenseitig umgebracht?“ Fragte er, so ruhig wie es ihm möglich war. Die Vorstellung gefiel ihm. Eine Pest, die eine andere Pest beseitigte. Warrick schüttelte langsam, schrecklich langsam den Kopf.
    „Die Krähe ... hat einfach am falschen Kadaver gepickt, fürchte ich. Berufsrisiko. Aber Reinhard ... „
    Schmunzelnd reckte Warrick den Daumen in die Höhe und lies ihn dann in Richtung seiner selbst kippen. Warrick hatte seinen eigenen Boss kaltgemacht.
    „Warum?“ Lukars Frage verhallte Dumpf im Nichts. Warrick schwieg einige Atemzüge lang, legte den Kopf schief, wunderte sich offenbar. Der alte Lukar war immer mehr berechnend als emotional gewesen, aber diese völlige Kälte überraschte den Verräter dann doch. Wenn es je ein Thema gegeben hatte, das einen Lukar Durand in Rage gebracht hatte, dann Reinhard Lehner.
    „Reinhard war mir im Weg. Ballast. Der Kampf gegen die Krähe hatte ihn ausgesaugt.“
    „Bin ich dir ebenfalls im Weg?“ Lukar hob die Augenbraue ein Stück weit. Der Verräter sah es in der Düsternis der Nacht nicht, aber er schüttelte den Kopf. Es war eine überraschend langsame Geste. Fast zögerlich. Menschlich.
    „Ich hatte gehofft, dass wir die Vergangenheit hinter uns bringen.“ Die Antwort kam wie ein erleichterter Seufzer von den Lippen. Lukar dagegen starrte nur zurück. Starrte. Starrte. Und stieß dann die Luft in einem leisen Glucksen aus.
    „Also so sieht's aus. Wir begraben das Kriegsbeil, strecken uns wieder die Hände entgegen und sorgen für einen florierenden Handel über die Meere hinaus. Warrick, ganz im Ernst … kein Interesse.“
    „Noctal ist mit von der Partie.“ Würzte Warrick sein Angebot mit einem unschuldigen Lächeln.
    „Noctal?“ Lukar blinzelte angestrengt. Er überlegte lange. Nicht, dass es ihn wirkliche Mühe kostete, sich an den haarlosen Nacktmull zu erinnern. Sie hatten ihre ersten Tage auf dieser Insel gemeinsam bestritten, sich zeitgleich mit Slicer angefreundet, sich beim Ring in Setariff hochgearbeitet und immer den Rücken gestärkt. Bis zu diesem Drachenangriff. Noctal war verschwunden, in Lukars Augen lange tot, tot und verkohlt. Es war ein Name aus einer Vergangenheit, mit der erabgeschlossen hatte. Und so suchte er in seinem Kopf nicht nach Erinnerungen, sondern nach einer Regung, nach Interesse. Doch der Name mochte nichts mehr zu wecken. Ihre Wege hatten sich vor viel zu langer Zeit getrennt. Lukar entschied sich für ein Schulterzucken. „Der arbeitet also für dich, ja? Schön. Jeder muss sehen, wo er bleibt.“
    „Ich weis, dass es nicht einfach wäre, Lukar. Ich schlage dir nicht vor, dass alles wieder gleich so wird wie früher. Wir können langsam beginnen. Zumindest das Blutvergießen beenden. Verdammt, wenn du keine Lust mehr darauf hast, habe ich sie auch nicht.“
    Warrick zog beim Reden die Waffe aus dem Gürtel. Der Händler zuckte nur einen Sekundenbruchteil; Lukar sprang zurück, hielt sein treues Kurzschwert in der Hand ... und sah Warrick mit leeren Händen dastehen. Das Schwert des Verräter lag im Sand, Warrick hob die Hände in den Himmel. Lukar gab nach, senkte den Kopf und ließ das Schwert ebenfalls fallen. Dumpf schlug es im Sand auf. Der alte Mann lachte.
    "Warrick, ich werde zu alt für sowas.“
    Weiterhin grimmig lachend trat er sein Schwert am Boden von sich. Lukar streckte den Rücken durch. So würdevoll wie möglich trat er auf den Attentäter zu und streckte die Hand aus.
    „Du willst Frieden? Du sollst ihn haben. Aber halte mich in meinen letzten Tagen aus diesem Geschäft raus.“
    Warrick zog die Lippen zu einem Strich. Ein Teil von ihm wollte nicht glauben das Lukar, der Mann, der jetzt schon mehrmals aus dem völligen Nichts wieder ein Geschäft für sich und seine Leute aufgezogen hatte, diesmal tatsächlich sie Segel strich und aufgab. Doch der Blick des Alten war aufrecht und ernst, selbst im fahlen Mondlicht glaube er das vertrauende Glitzern in dessen schmalen Augen zu erkennen. Aber auch etwas anderes. Müdigkeit. Erschöpfung.Warrick sog die Luft tief ein, hob den Arm und reichte ihm Lukar.
    „Du sollst deinen Frieden haben, alter Mann.“
    Die beiden ehemaligen Feinde reichten sich die Hände. Lukars Händedruck war erstaunlich kräftig. Ein letztes Händeschütteln des Vertrauens. Lukar lächelte freundlich, löste den Griff leicht … und lies die linke Faust geballt nach oben schnellen. Warrick bemerkte den Schlag erst, als seine Nase mit einem widerlichen Knirschen nachgab. Er brüllte auf und wäre zurückgetaumelt, wenn Lukar nicht seine rechte Hand weiterhin fest umklammert hätte. Der Glatzkopf zog den brüllenden Warrick an der Hand zu sich wie einen Tanzpartner, nutzte den Schwung aberkeinesfalls für einen Liebeskuss, sondern um dem Ganoven die Nase mit einem beherzten Stoß der Stirn endgültig plattzudrücken. Lukar stieß den vor Schmerz schreienden Mann von sich, verkeilte seinen linken Fuß jedoch unter dessen Bein und brachte ihn so zu Fall. Warrick kippte dumpf zur Seite, fühlte den nassen Abgrund hinter sich und versuchte sich in letzter Verzweiflung wieder auf den Strand zu Rollen. Lukar trat ihm brutal nach, immer wieder auf ihn ein und drückte den winden Körper weiter Richtung Abgrund. Warrick fiel zur Seite, schrie auf und umklammerte mit letzter Kraft eines von Lukars Beinen. Doch es brachte ihm keine Rettung. Lukar wankte, fiel über den Attentäter und riss ihn mit sich hinab in die Finsternis. Eine schwarze, gierige Welle verschlang sie, ihr dröhnendes Rauschen verschluckte den Schrei der beiden Ganoven.

  20. Beiträge anzeigen #60
    Waldläufer Avatar von Radzinsky
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    Radzinsky ist offline

    Stewark, Küste

    "Zu spät", schniefte Radzinsky und machte sich kaum die Mühe, den nassen Rotz unter seiner Nase wegzuwischen. Er saß auf dem höchstgelegenen Felsen, den er hatte finden können. Der kalte Wind fegte ihm durch die viel zu dünnen Häftlingsklamotten. Er konnte das Salzwasser vom nahegelegenen Meer auf seinen spröden Lippen schmecken.

    Sein Blick war beständig gen Himmel gerichtet, doch allmählich hatte die Wolkendecke auch den letzten Fleck des freien Firmaments verdeckt. Er würde die Michailiden nicht zu Gesicht bekommen, wahrscheinlich hatte er sie längst verpasst. Endlich ließ er den Kopf unter seine Schultern sinken und gab seinen Gefühlen freien Lauf. Warme Tränen brachen aus ihm heraus, rannen seine eisigen Wangen herab und wurden bald vom immer stärker werdenden Wind fortgetragen. Gut, dass sein Forscherkollege Franz ihn so nicht sehen konnte, denn der hatte sich längst am Waldrand schlafen gelegt. Der Kerl würde womöglich seinen ganzen Respekt vor Radzinsky verlieren. Das wäre zwar nichts Neues, aber für den Wissenschaftler dennoch eine nicht unerhebliche Blamage, immerhin war Franz der einzige, mit dem er seine Entdeckung hätte feiern können. Jetzt blieb ihm nur noch Rumpel, aber der verstand auch nicht viel von Astronomie. Er war ja auch nur eine ausgestopfte Ratte.

    "Ob das die Macht der verfluchten Katze war?", fragte Radzinsky seinen pelzigen Kameraden und seufzte schwer. Die Ratte in seinen Händen starrte ihn nur ausdruckslos an.
    "Ach ja, dann sag du mir doch mal, wie ich in der kurzen Zeit einen der Wassermagier hätte ausfindig machen können?!", schimpfte er. Die Ratte hatte keine Antwort parat.
    "Weil ich Franz vertraue, deshalb bin ich mit ihm hier hinaufgestiefelt. Die Wahrscheinlichkeit war einfach größer, der Wind stand gut. Ich dachte, ich hätte dir wenigstens die Grundlagen der Stochastik beigebracht."
    "..."
    "Da fehlen dir die Worte, war ja klar."
    "......."
    "Jetzt werde bloß nicht frech! Ich mag zwar ein Träumer sein, aber ich bin zumindest nicht tot. Ich habe noch viel Zeit."
    "..."
    "Ich weiß, dass in fünfhundert Tagen viel geschehen kann."
    ".........."
    "Sie sind vielleicht grau, aber es sind nicht weniger geworden. Ich finde sogar, dass der Kranz voller geworden ist."
    "...! ...?"
    "Natürlich können Haare nachwachsen!"
    "..."
    "Nein, du bist bekloppt!"

    Mit einer impulsiven Bewegung warf er Rumpel die Klippe hinunter. Sollte er doch bleiben, wo der Pfeffer wächst. Radzinsky hatte jetzt Franz, der war ein viel besserer Assistent.
    "!!!"
    "Verdammt, kannst du nicht einfach die Klappe halten?!"
    Radzinsky klatschte sich mehrfach gegen den Kopf. Warum musste Rumpel ihm jetzt so ein schlechtes Gewissen machen?
    "Ich weiß, dass du immer für mich da warst, aber das muss aufhören. Ich bin jetzt ein freier Mensch!"
    ".............."
    "...................."
    "..."
    "Du... du bist auch mein einziger Freund... oh ihr Götter!"
    Eine weitere Träne rann seine Wange herab. Was hatte er nur getan? Hastig sprang er auf und stolperte in Richtung der Klippen.

    "Halte durch, Rumpel! Ich komme und rette dich!"

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