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05.04.2020 15:52
#3
Auch wenn der Thread nicht extrem neu ist, gebe ich meine fünf Kopecken dazu.
Obwohl ich denke, dass das, was Alexander-JJ geschrieben hat, zum Teil für die Bücher zutrifft, würde ich behaupten, dass vor allem die Spiele in Sachen Ausarbeitung der Völker/Staaten durchaus mehr an Inhalt und vor allem an Diskussionsstoff liefern. Ich würde sogar behaupten, dass die Staaten dort sehr gut ausgearbeitet sind, denn die im Witcher oft gepriesene "lebendige Welt" und überzeugende Atmosphäre ist ohne eine vorherige Ausarbeitung nicht möglich und setzt genau diese voraus.
Allerdings geschieht diese Ausarbeitung weniger über irgenwelche Kodexeinträge, wo "X funktioniert soundso" drinsteht (wie, sagen wir, bei Mass Effect), sondern eher über die visuelle Darstellung und Referenzen zur unseren Welt und Kultur (Letzteres auch sehr, sehr viel in den Büchern). Finde ich persönlich interessanter, auch wenn es zugegebenermaßen weniger eindeutig ist und mehr der eigenen Interpretation überlässt. Aber für so etwas ist ja das Forum hier da, deswegen lege ich mal los. Selbstverständlich ist alles Nachfolgende meine Interpretation und nicht in Stein gemeißelt.
Nördliche Königreiche
Diese basieren sicher auf Mitteleuropa, allerdings weniger auf Mittelalter als auf der Renaissance bzw. der (sehr) frühen Neuzeit. Einerseits ist es sehr gut an der visuellen Ästhetik sichtbar - einen wie Rittersporn gekleideten Typen würde man viel eher am Hof von Heinrich IV. von Frankreich im 16. Jahrhundert als bei Richard Löwenherz im 12. Jahrhundert antreffen.
Andererseits sieht man das an der wirtschaftlichen Entwicklung, also sehr frei nach Marx - eine Zeit des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus. Da gibt es zwar noch Grundherren, die in Burgen von den Abgaben ihrer Subsistenzwirtschaft betreibenden Bauern leben und kleine Truppenverbände aufstellen bzw. selbst Kriegsdienst leisten, aber es entwickeln sich auch schon Seehandel, Banken und kaufmännische Gilden (Stichwort Novigrad). Es gibt auch schon erste Vorläufer der Massenproduktion, wie beispielsweise die Waffenmanufaktur in Wyzima in TW 1 zeigt. Folglich, wie an zahlreichen Stellen im Spiel sichtbar, fangen Adelstitel an, gegenüber Geld an Bedeutung zu verlieren. Auch die Entwicklung der Wissenschaft (Stichwort Uni Oxenfurt) und Hexenverfolgungen sind historisch alles Phänomene der frühen Neuzeit und nicht des Mittelalters.
Für eine Zuordnung der einzelnen Königreiche zu real existierenden Staaten gibt es dagegen mMn nicht genügend Anhaltspunkte. Ich habe im Internet Theorien gesehen, dass Redanien wegen des Wappens Polen repräsentieren soll, und Kaedwen wegen seiner Lage östlich von Redanien und der ausgedehnten Wälder - entsprechend Russland, aber das scheint mir ein wenig oberflächlich zu sein. König Radovid der Gestrenge hat, wie es mir scheint, einige Ähnlichkeiten zum russischen Zar Iwan IV. (im Westen auch als Iwan der Schreckliche bekannt) - Vater früh verloren, viele Hofintrigen als Kind erlebt, sich daher zum brutalen Paranoiker entwickelt und einen böse klingenden Spitznamen bekommen. Aber auch hier sind es eher eben Ähnlichkeiten als eine wirkliche eindeutige Referenz.
Nilfgaard
Ich klammere mal an dieser stelle die von Netflix gezeigten Augenkanzerogene von Rüstungen bewusst aus und behaupte, dass Nilfgaards visuelle Ästhetik mit schwarzen Rüstungen und strengen schwarzen Gewändern dem Habsburger Reich bzw. Spanien des 16. und 17. Jahrhunderts - zu der Zeit imperiale Mächte mit starkem Militär - nachempfunden zu sein scheint. Dies macht auch insofern Sinn, als dass Nilfgaard im Hinblick auf die Entwicklung der Industrie, der staatlichen Bürokratie und des Militärs den nördlichen Königreichen ein wenig voraus ist.
Die holländisch klingenden Namen (Declan Leuvaarden, Menno Coehoorn etc.) müssen zum oben geschriebenen nicht unbedingt im Widerspruch stehen, sondern könnten einen zusätzlichen Strich zu diesem Bild liefern, denn die historischen Niederlande waren in der frühen Neuzeit zwar territorial und militärisch keine Großmacht, wirtschaftlich und kulturell aber schon.
Insgesamt also, wie im Fall der Nördlichen Königreiche, hat Nilfgaard keine eindeutigen historischen Entsprechungen, es gibt aber viele Referenzen, die das Bild einer militarisierten und hierarchisierten, aber eben auch vergleichsweise fortschrittlichen frühneuzeitlichen Gesellschaft zeichnen. Was südlich von Nilfgaard liegt, ist aber tatsächlich nicht bekannt.
Skellige
Die Parallelen zu Wikingern drängen sich natürlich sofort auf, ich würde aber noch ergänzen, dass es auch viele Referenzen zu Irland und Schottland gibt - Druiden, Clans, Tartans, keltische Namen wie Cerys an Craite, Bran Tuirseach etc. Auch der Name "Skellig" soll, wie ich irgendwo gelesen habe, aus dem Irischen kommen und "Felsen im See" oder so etwas bedeuten. Leider leider sieht es mit Whiskyproduktion weniger gut aus - in TW3 sehen wir nur eine einzige verlassene Brennerei. (Als Liebhaber dieses Getränks würde ich persönlich an Geralts Stelle eine Brennerei auf einer malerischen Skellige-Insel einem Weingut in Toissant jederzeit vorziehen, aber das nur am Rande. )
Insgesamt wäre also meiner Meinung nach nicht so sehr Skandinavien, sondern das Königreich der Inseln Skellige als Prototyp am Nächsten, eben weil sich dort skandinavische und keltische Kultur verbanden.
Ophir und Zangwebar
Leider gibt es zu wenig Informationen, aber das Wenige, was wir wissen bzw. gesehen haben - Name, orientalisch/arabisch aussehende Trachten und Zebras - lässt mich persönlich an das Sultanat von Sansibar denken.
Korath
Koraths geographische Lage (relativ klein, im Inneren des Kontinents gelegen und von Bergen umgeben) macht es in meinen Augen eher mit asiatischen Wüsten wie Gobi oder Taklamakan als mit Sahara vergleichbar. Und mein Eindruck aus den Beschreibungen in den Büchern war, dass dort überhaupt keine Menschen wohnen (können).
Zerrikanien
An Elefanten in Zerrikanien kann ich mich nicht erinnern und wäre für einen Hinweis auf ihre Erwähnung dankbar. An was ich mich erinnern kann, ist die Anbetung von Drachen, tätöwierte, Tierfelle tragende und Krummsäbel schwingende Kriegerinnen und fortschrittliche Alchemie. Allgemein scheint mir Zerrikanien tatsächlich wenig ausgearbeitet zu sein und momentan stelle ich es mir als recht generisches "Fantasy-Orient" (aber eher im Stil von Conan als von Tausendundeiner Nacht) vor.
Hakland
Es gibt so gut wie keine Informationen darüber, aber der Vergleich zu Mongolen ist gar nicht so unpassend, wenn man bedenkt, dass in den Büchern eine große Invasion aus Hakland irgendwo erwähnt wird.
Dank und Gruß an alle, die diese Textwand lasen
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18.04.2020 15:40
#4
Zitat von NamelessRebel
Nilfgaard
Ich klammere mal an dieser stelle die von Netflix gezeigten Augenkanzerogene von Rüstungen bewusst aus und behaupte, dass Nilfgaards visuelle Ästhetik mit schwarzen Rüstungen und strengen schwarzen Gewändern dem Habsburger Reich bzw. Spanien des 16. und 17. Jahrhunderts - zu der Zeit imperiale Mächte mit starkem Militär - nachempfunden zu sein scheint. Dies macht auch insofern Sinn, als dass Nilfgaard im Hinblick auf die Entwicklung der Industrie, der staatlichen Bürokratie und des Militärs den nördlichen Königreichen ein wenig voraus ist.
Die holländisch klingenden Namen (Declan Leuvaarden, Menno Coehoorn etc.) müssen zum oben geschriebenen nicht unbedingt im Widerspruch stehen, sondern könnten einen zusätzlichen Strich zu diesem Bild liefern, denn die historischen Niederlande waren in der frühen Neuzeit zwar territorial und militärisch keine Großmacht, wirtschaftlich und kulturell aber schon.
Insgesamt also, wie im Fall der Nördlichen Königreiche, hat Nilfgaard keine eindeutigen historischen Entsprechungen, es gibt aber viele Referenzen, die das Bild einer militarisierten und hierarchisierten, aber eben auch vergleichsweise fortschrittlichen frühneuzeitlichen Gesellschaft zeichnen. Was südlich von Nilfgaard liegt, ist aber tatsächlich nicht bekannt.
Ja, ich denke auch, dass das riesige Habsburgerreich die Hauptvorlage hierfür gewesen ist. Außerdem gehörten Teile des heutigen Belgiens als "spanische Niederlande" eh dazu. Unter den Soldaten der Habsburger muss es auch Flamen gegeben haben, Kaiser Karl V. ist schließlich selbst im belgischen Gent auf die Welt gekommen.
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