Kritik zu „Little Women“

Dieselbe Kritik von mir befindet sich auch auf Moviejones:

https://www.moviejones.de/kritiken/l...itik-5821.html

Lange habe ich mich auf „Little Women“ gefreut, und was lange währt, wird endlich gut.

Meine Kritik ist spolierbehaftet! Der Abschnitt "Zum Ende" sollte gemieden werden, wenn man den Film oder die Geschichte noch nicht kennt.

Grobe Handlung (kleinere Spoiler)

Bei „Little Women“ handelt es sich um die Adaption eines alten Romans aus 1868 / 1869 von Louisa May Alcott. Da ich die Vorlage nicht kenne, kann ich auch keine Beurteilung darüber abgeben, ob die Adaption dem Buch treu bleibt oder nicht.

Die Handlung spielt in den 1860er Jahren. Es handelt sich um ein romantisches Drama, das sowohl Tragik wie auch viel Freude beinhaltet. Die Handlung dreht sich um die vier Schwestern Meg, Jo, Amy und Beth March, wobei Beth zwar eine zentrale Person der Handlung ist, jedoch nur eher wenige Szenen auf der Leinwand hat. Ebenso sind die Mutter Marmee und die Tante March Nebenfiguren. Außerdem eine zentrale Rolle hat Nachbarssohn und Freund der vier Schwestern Laurie Laurence. Die Familie March ist im Mittelstand einzuordnen, während Laurence aus der Oberschicht kommt. Auch Tante March ist Teil der Oberschicht, jedoch ist sie viel zu egoistisch, als dass sie der Familie March Geld geben würde. Jedoch mag sie insbesondere Amy March sehr gern, die sie sogar mit auf eine Reise nach Paris nimmt. Haupt-Handlungsort ist Massachusetts, aber zum Teil auch New York und Paris. Der Krieg zwischen den Nordstaaten und Südstaaten findet nur randweise Erwähnung, obwohl Vater March als Soldat für die Nordstaaten kämpft.

Erzählstil (kleine Spoiler)

„Little Women“ springt in der Handlung häufig zwischen der handelnden Gegenwart und der Vergangenheit hin und her, wobei die Zeitspanne ungefähr sieben Jahre beträgt. Gespielt werden die Schwestern aber immer von den selben Schauspielerinnen, wodurch es anfangs mitunter etwas verwirrend für den Zuschauer ist, die Zeiten einzuordnen, da die Schauspielerinnen optisch immer recht ähnlich aussehen. Einzige Anhaltspunkte sind dann deren Kleidungsstile, Umgangsarten, Verhaltens- und Ausdrucksweisen. Hat man diese erstmal erkannt, wird es einfacher, die Handlungssprünge als solche sofort zu erkennen. „Little Women“ ist aber auch eindeutig ein Film, der mehrfach gesehen werden will, damit man auch jedes Detail richtig wahrnehmen und erkennen kann. Dahingehend hat der Film unglaublich viel Tiefe in der Handlung und in den Charakterentwicklungen zu bieten. Mir gefällt der Erzählstil im Nachhinein unglaublich gut.

Zum Ende (dicker Spoiler)

Das Ende regt zum Nachdenken und Diskutieren an.
Spoiler:(zum lesen bitte Text markieren)
Im Film ist es so, dass Jo das Buch „Little Women“ schreibt, das von ihrem Leben mit ihren Geschwistern handelt. Auf Anraten ihres Verlegers jedoch sollte sie das tragische Ende zu einem Happy End umschreiben, was sie dann auch tat. Am Ende bleibt also die Frage offen, ob wir Zuschauer die Verfilmung von Jos Buch oder die „Realität“ sehen und das Happy End, welches wir Zuschauer zu sehen bekommen, nur das des Buches von Jo ist oder ob es sich real so abgespielt hat und wir keine Nacherzählung ihre Buches, sondern die „echte“ Geschichte sehen. Angedeutet wird ja, dass das „echte“ Ende nicht so schön war, wie das von Jos Buch. Diese Frage wird für uns Zuschauer wohl für immer unbeantwortet bleiben. Die einzige, die das hätte beantworten können, wäre wohl die reale Autorin Louisa May Alcott gewesen. Aber dieser Teil des Films kann natürlich auch abgeändert sein und so gar nicht in der realen Romanvorlage vorkommen. Ich selbst kenne die Vorlage nicht.



Schauspieler/-innen und Charaktere (kleine Spoiler)

Die absolute Hauptrolle hat Saoirse Ronan als zweitälteste Schwester Josephine (Jo) March inne. Es scheint, als sei Jo Ronan wie auf den Leib geschnitten, oder anders ausgedrückt: Ronan spielt diese Rolle nicht nur, sie lebt sie. War ihre Leistung in „Lady Bird“ bereits sehr gut, so ist sie hier einfach nur grandios. Man könnte meinen, Ronan „sei“ Jo. Nach vier Oscarnominierungen sollte sie den Oscar hier meiner Meinung nach definitiv bekommen.

Jo March ist eine sehr eigensinnige und auch launige junge Frau, die emotional wohl die labilste der vier Schwestern darstellt. Sie ist gänzlich fixiert auf das Schreiben und ihre Zukunft als Schriftstellerin. Dies gelingt ihr jedoch nur teilweise, weil sie sich zum Einen selbst im Wege steht und zum Anderen durch ihre Erlebnisse der Vergangenheit. So emotional sie auch ist, so willensstark ist sie aber auch. Sie ist die unabhängigste von allen vier Schwestern und denkt gar nicht an sowas wie heiraten. Ihr ist es auch wichtig, Geld in die Familienkasse zu bringen und ihre Mutter so gut es geht zu unterstützen.

Die zweite Hauptrolle fällt Florence Pugh als drittälteste Schwester Amy March zu. Amy steht in vielen Dingen im Schatten ihrer beiden älteren Schwestern Jo und Meg, weil sie nicht so alt ist wie die beiden, jedoch wiederum älter als die jüngste Beth. Sie steht quasi zwischen den beiden Welten, was zu gewissen Spannungen zwischen den Schwestern führt. Jo und Meg schließen sie in jüngerem Alter oft aus, wodurch sie sich unterdrückt und alleingelassen fühlt. Sie ist aber quasi auch die eleganteste der vier Schwestern und ihre Leidenschaft ist die Kunst der der Malerei. Auf Grund ihrer Art ist sie der Liebling ihrer Tante March, die sie zur Weiterentwicklung ihrer Kunst auch mit nach Paris nimmt, aber auch darauf pocht, dass sie einen reichen Mann heiratet, um ihre Familie damit zu unterstützen. Auch sie kann sich mit diesem Gedanken nicht so recht anfreunden, weil sie auf ihr Herz hören will. Sie mag den Nachbarssohn Laurie, der jedoch wiederum nur Interesse an Jo hat, die wiederum kein Interesse an einem Mann hat. Auch dies führt natürlich zu gewissen Spannungen zwischen Amy und Jo.

Auch Florence Pugh schafft es auf wunderbare Weise, Amy Leben einzuhauchen, als wäre auch sie für diese Rolle wie geschaffen. Sie bringt die Emotionen von Amy sehr glaubwürdig zur Geltung.

Dritte im Bunde ist dann Emma Watson als älteste Schwester Meg March. Meg March ist die wohl vernünftigste und bodenständigste der vier Schwestern, die eine Leidenschaft für das Theater und die Schauspielerei hat, diesen Wunsch jedoch um der Liebe Willen hinten anstellt. Sie stellt quasi den Stützpfeiler der vier Schwestern dar. Da ihre Rolle jedoch etwas kleiner ausfällt, als die von Jo und Amy, bleibt Emma Watson keine echte Chance, schauspielerisch auszubrechen. Ihre Rolle ist das, was man von Emma Watson ohnehin gewohnt ist: bodenständig, vernünftig, lieb und freundlich. Dennoch spielt sie ihre Rolle glaubwürdig und überzeugend.

Eliza Scanlen mimt die jüngste der vier Schwestern, Beth March. Beths Leidenschaft ist die Musik, aber gleichzeitig ist sie auch das Herz der vier Schwestern. Sie kommt mit allen gut klar und stellt sich immer wieder als Bindeglied heraus, das die Schwestern zusammenhält. Leider fällt ihre On-Screen-Rolle recht klein aus, obwohl ihr Charakter in der Geschichte eine tragende Rolle spielt. Gerne hätte ich von ihr noch mehr gesehen. So fällt ein Urteil über Elizas Schauspielkunst recht schwer, da sie zu wenig Präsenz zeigt.

Saoirse Ronan, Florence Pugh, Emma Watson, Eliza Scanlen harmonieren als die vier Schwestern einfach perfekt miteinander. Es wirkt, als ob diese vier ihre Rollen als March-Schwestern seit vielen Jahren bereits gelebt hätten, so, als wären sie mitten aus dem echten Leben gegriffen. Die vier sind die perfekte Wahl für ihre jeweiligen Rollen, was das gute Gespür von Regisseurin Greta Gerwig beweist.

Laura Dern verkörpert die Rolle der Mutter Marmee March. Auch sie hat nur eine Nebenrolle, doch das, was man von ihr sieht, überzeugt auf ganzer Linie. Ihre Leidenschaft ist die soziale Stärkung von unterdrückten und ärmeren Menschen. Sie missioniert viel und gibt lieber, statt zu nehmen, obwohl sie selbst nicht sehr viel hat.

Zuletzt noch eine wichtige Rolle, nämlich die von dem Nachbarssohn Laurie Laurence, gespielt von Timothée Chalamet. Lauries Vater gehört ebenfalls der Oberschicht an, ist aber auch ein sehr sympathischer Mensch, der auch sehr interessiert an der jüngsten Beth und ihrem Musiktalent ist, erinnert sie ihn doch an seine eigene, verstorbene Tochter. Zurück zu Laurie: Laurie ist die Art von reichem Sohn, der mehr Schabernack als Sinnvolles im Sinn hat. Er ist faul und des Lernens unwillig. Schnell freundet er sich mit Jo March an, für die er auch etwas empfindet. Ntürlich freundet er sich auch schnell mit Meg, Amy und Beth an und ist fortan immer ein wichtiger Part der Geschichte. Auch Chalamet spielt seine Rolle sehr überzeugend und mit viel Begeisterung.

Setting / Ausstattung / Kostüme

Das Setting der 1860er Jahre wurde perfekt eingefangen. Es wurde auf jedes Detail geachtet, sofgar der Buchdruck der damaligen Zeit wird im Detail gezeigt. Auch die Gebäude und die Innenausstattung und Architektur ist einfach total authentisch. Auch die Kostüme sind eine absolute Wucht und strotzen vor Detailverliebtheit zur der damaligen Zeit. Wenn für die Kostüme kein Oscar drin ist, läuft etwas schief, denn diesen hat „Little Women“ absolut verdient, mehr als jeder nominierte Konkurrent. Außerdem sehr schön sind die Aufnahmen, die einfach auch perfekt zu der Zeit passen, auch von der Farbgebung und den Filtern her. Die Kameraarbeit ist absolut klasse.

Musik

Auch wenn ich jetzt nicht so der Kenner von Klassik-Musik bin, so muss ich doch sagen, dass die ausgewählten Stücke von u. A. Bach immer perfekt zum Geschehen passen, ohne sich zu sehr aufzudrängen. Auch die neu geschriebene Musik ist ein Genuss für die Ohren. Auch für die Musik sollte der Oscar greifbar nahe sein.

Fazit

„Little Women“ ist ein herzensschönes und rührendes Romantik-Drama, das mich mit jeder Sekunde emotional mitgerissen hat, als wäre ich dabei gewesen. Der Film hat mich mit wunderbaren und schönen Gefühlen aus dem Kinosaal entlassen. Schauspielerisch absolut spitzenklasse, vom Setting her wunderschön und authentisch, von der Kamera her sauber und von der Musik her sehr ergreifend. Die Köstüme sind alleroberste Güte und absolut oscarreif. Ich würde mir den Film gerne jetzt sofort noch ein zweites Mal ansehen. Der Kauf der Blu-Ray ist sicher. Für mich bisher der stärkste Film des Jahres 2020, und auch, wenn das Jahr noch jung ist, bin ich fest davon überzeugt, dass „Little Women“ auch am Ende des Jahres noch weit oben auf dem Treppchen steht. Es würde mich auch sehr freuen, wenn "Little Women" den Oscar für den "besten Film" bekommen würde. Verdient hätte er es allemal.

10/10 Punkte – Hoher Wiederschauwert