Niall O' Grady
Das kalte Licht über den Spinden warf diffuse Schatten auf die große Auswahl an Tötungswerkzeug. O’Grady musste das gesamte Gehalt eines Jahres für die Gewehre, Pistolen, Schrotflinten, Maschinenpistolen und Granatwerfer ausgegeben haben. „Scheiße…“, murmelte Hudson. Was auch immer der junge Ire plante, es würde blutig werden. „Wollen Sie einen Krieg anfangen?“ Die Frage blieb unbeantwortet als O’Gradys halbes Gesicht sich dem Detective zuwandte. Hudson widmete sich der Flut neuer Informationen. Eine Gang, die die Menschen im Block terrorisierte? Keine C-Sec und sie als einzige Chance, das drohende Unheil abzuwehren? „Wir sind hier nicht auf Omega“, murmelte Hudson und merkte, wie der Nebel des Alkohols sich langsam lichtete. „Ich schlage vor, dass wir versuchen mit ihnen zu sprechen. Das hier nutzen wir als Meinungsverstärker“, schlug der Detective vor und deutete auf die Waffen. „Und wir versuchen, den gekappten Funk zu C-Sec wiederherzustellen. Haben Sie da Technik?“
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Katharina Orlowski
Charis‘ Füße tippelten nervös auf dem Boden. Ihre Knie hoben und senkten sich fast in trommelwirbelartigem Rhythmus. Ihre Finger waren mittlerweile so stark durchgeknetet, dass sie beinahe taub waren. Charis hatte in ihrem Leben noch nie solche Angst verspürt. Nicht der Kontakt zu Gangmitgliedern hatte sie so nervös gemacht, nicht als sie nur wenige Meter vor Aria stand, die Schmugglern Omegas Aufträge erteilte und solche ermordete, die bei ihr in Ungnade gefallen waren und auch nicht, als der Angriff auf den Geth-Posten bevorstand. In allen Situationen standen die Chancen gefühlt 50/50, dass sie es überlebte. Und obwohl sie hier Rückendeckung hatte, fühlte sich Charis allein. Ihre Waffe hatte sie in den letzten Stunden tausendfach geprüft, wohlwissend, dass sie bei Tekklar kaum eine Möglichkeit hätte, diese abzuwehren. „Bei ihnen alles in Ordnung, Vale-kun?“, fragte die merkwürdig akzentuierte Stimme der einen Kunoichi, die Orlowski angeheuert hatte. Charis schluckte den Kloss im Hals herunter und antwortete mit gepresster Stimme: „Könnte nicht besser sein.“ Die Asari wünschte sich, dass jetzt endlich etwas passieren würde. Irgendetwas.
Doch es passierte nichts. Tekklar hätte laut der gefälschten Nachricht vor gut zwei Standardstunden die Chance gehabt, Charis zu töten. Stattdessen war nichts passiert. Die Schmugglerin spürte, wie die Nervosität in ihr bereits zu einem flachen Echo dessen gewesen war, was sie vor zwei Stunden verspürt hatte. „Charis“, knackte es im Funk. Es war Sonny. „Ja?“, antwortete die Schmugglerin mit trockener Kehle. „Es ist vorbei. Ich habe gerade von meinem Kontakt an den Docks erfahren, dass Kell mitsamt seiner gesamten Crew inklusive der weißen Turianerin von der Citadel aufgebrochen ist. Sie ist weg, Charis.“ Die Schmugglerin konnte den Cocktail aus gemischten Gefühlen nur schwer verdauen. Tekklar war fort, aber nicht tot. Die Konfrontation an diesem Tag würde ausbleiben – ein Grund für Erleichterung. Aber Tekklar lebte und Charis, die ihre Zukunft nicht auf der Citadel sah, wo sie selbst ins Visier der Fahnder geraten könnte, fürchtete die Turianerin. Was, wenn sie auf Omega auftauchte? Was, wenn Charis zu einem Auftrag gerufen wurde, der sie mit Kell und dessen Crew in Kontakt brachte? „Habe verstanden“, sagte die Asari und fühlte sich innerlich, als hätte man sie getötet. Sie spürte die Nässe von ausgestauten Tränen in den Winkeln ihrer Augen. Sie war tot. Die Erleichterung, die sie gespürt hatte, war die gefühlte Erleichterung des Loslassens, die dem Tod vorausging. In der Ferne sah sie die Gestalt der schwarzhaarigen Halbasiatin auf sie zukommen. Ihr zitternder, toter Leib erhob sich und eine Woge der Furcht brandete so heftig gegen ihre Brust, dass sie sich beinahe wieder gesetzt hätte. „Scheiße. Das war’s.“ In ihr breitete sich das Gefühl aus, sie könne sich auch gleich hier die Kugel geben. „Ich schätze, unsere Wege trennen sich hier. Ein Ende. „Wie merkwürdig“, dachte Charis als sie Katharina Orlowski vielleicht das letzte Mal betrachtete. Sie hatte sich fast an ihren Anblick gewöhnt. Die Asari wandte den Kopf gen Himmel, verengte die blauen Augenlider zu schlitzen, während sie in das gleißende Licht der Station schaute. „Es passt, dass wir uns hier verabschieden, Miss Orlowski“, sagte sie und wusste nicht, ob Kathy den Zusammenhang herstellen konnte. Ihre gemeinsame Reise hatte nicht im entfernten Sektor der Unzivilisiertheit begonnen, sondern genau hier: Auf der Citadel. Charis schaute zu Katharina herab und unterdrückte ein Seufzen, dem mehr Nostalgie inne gelegen hätte, als es die Schwarzhaarige verdiente. Stattdessen streckte sie ihr die behandschuhe Hand entgegen. „Ich wünsche Ihnen alles Gute, Orlowski. Ehrlich.“ Sie sah Kathy eine Augenbraue heben. „Hey, das überrascht mich ebenso wie Sie. Vermutlich hinterlässt ein gemeinsamer Absturz auf einen Dschungelplaneten irgendwo Spuren.“ Die unzähligen Streits, Schießereien und Fluchten sparte Charis aus…
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(Captain) Yuhki
Caine nickte dankend, als die Rezeptionistin ihm anbot, den Wunsch nach einem Getränk oder ähnlichem zu äußern. Er war nicht auf allen Revieren der C-Sicherheit so höflich behandelt worden. Tatsächlich war seine Fanzahl unter den höherrangigen Beamten relativ gering. Der normale Officer schätzte Caine gegebenenfalls, schließlich hatte der Journalist ein Ohr für Missstände, aber ein Vorgesetzter, dem dieser Missstand zulasten gelegt wurde, der konnte auf Jahre nachtragend sein – vor allem, wenn es sich um einen Asari-Captain handelte. Auch bei der Asari mit dem Rang Commander hier direkt im Raum hatte Caine das Gefühl, dass sie sich sicherlich nicht dazu bereiterklären würde, dem Kreis der inoffiziellen Kontakte beizutreten, den Ethan pflegte. Yuhki hingegen begrüßte den Journalisten überaus freundlich. Er war in Ethans Augen schon immer höflich gewesen, obgleich Caine ihn in seiner Berichterstattung – den Fakten entsprechend – nicht gerade als Helden dargestellt hatte. Nach einem kurzen Händedruck setzten sich die Männer so, dass Caine den Polizisten schräg von der Seite sah. Er öffnete sein Notizheft und deutete auf sein Aufnahmeprogramm am Omnitool. „Okay?“ Seeva nickte knapp und auch Yuhki gab sein Einverständnis.
„Gut, dann wollen wir mal“, begann Ethan betont locker. „Sie, Captain Yuhki, waren der leitende Ermittler im Fall Vhan. Nach dem Anfangsverdacht mussten Sie ja feststellen, dass Beyo Vhan ein zu offensichtlicher Killer war und für Sie eine falsche Fährte. Können Sie den Verlauf der Ermittlungen für den Leser knapp zusammenfassen?“ Caine warf einen Blick zu T’Saari herüber. Ihr Blick war arktisch aber beherrscht; sie rührte sich nicht.