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Lehrling
Großer Bauernhof, nahe Thorniara
Der Tag neigte sich dem Ende und Thorek machte mit einem Kohlestift einige Notizen auf eine Karte der Umgebung. Er hatte den ganzen Tag einen geeigneten Weg durch den Wald gesucht, der nicht vor wilden Tieren wimmelte oder das Lager von Banditen kreuzte. Er war sich noch nicht sicher, glaubte aber eine Route ausgemacht zu haben, die er weitestgehend gefahrlos bestreiten konnte. Am nächsten Morgen wollte er noch tiefer in den Wald vordringen, um seine Vermutung zu bestätigen.
Gerade als Thorek den Weg auf der Karte eingezeichnet hatte, betrat ein Tagelöhner des Bauern die kleine Scheune: "Hey! Äehm... willst du dich nicht zu uns ans Feuer setzen? Benjamin hat vorhin einen Hasen gefangen, den wir gerade zubereiten." Eigentlich war Thorek nicht nach Gesellschaft zumute. Er würde allerdings noch ein paar Tage auf dem Hof verbringen, ehe er nach Stewark weiterzog und da konnte es sicherlich nicht schaden, die Gastfreundschaft zuzulassen. "Klar, gerne! Danke!" erwiderte Thorek und lief nach draußen. "Ich heiße übrigens Rudolph und wer bist du?" fragte der Tagelöhner. "Thorek." war die knappe Antwort des ehemaligen Ordenskriegers.
Als sie das Lagerfeuer erreicht hatten, wurde Thorek freundlich begrüßt und setzte sich zu der kleinen Gruppe von Männern, die das harte Leben auf dem Bauernhof sichtlich gezeichnet hatte. "Und ihr seid alles Tagelöhner?" wollte Thorek wissen. "Jupp! Gibt zu wenig in der Stadt zu tun aber dafür genug auf den Bauernhöfen. Wenn wir uns gut anstellen, behält uns der Bauer vielleicht." antwortete einer der Männer. "Und was ist mit dir? Bist du ein neuer Knecht?" wollte Rudolph wissen. Thorek lachte auf. Die Vorstellung, er könnte ein Knecht sein, amüsierte ihn. "Nein, ein Knecht bin ich nicht." Thorek senkte seine Stimme und beugte sich nach vorne: "Ich bin ein Soldat des Ordens auf wichtiger Mission." Die Augen der Tagelöhner wurden größer. "Wichtige Mission? Was für eine Mission?" fragte Benjamin. Thorek schaute sich um und vergewisserte sich, dass ihn niemand sonst hören konnte: "Nun, ich darf es eigentlich nicht erzählen aber... ich kundschafte das Bluttal aus. Wir vermuten einen entlaufenen Häftling im Wald. Ich soll ihn finden und zurückbringen." fuhr er mit geheimnisvoller Stimme aus.
"Ein Häftling!? Ist er gefährlich?" wollte ein anderer wissen. "Oh ja, sehr gefährlich!" antwortete Thorek. "Deswegen bin ich ja geschickt worden. Man nennt mich 'Den Lautlosen', weil ich mich geräuschlos an meine Ziele heranschleichen kann." Die Männer staunten und wollten immer mehr Details über Thorek und seinen Auftrag erfahren. Der dachte sich liebend gerne weitere Einzelheiten aus und verbrachte einen spaßigen Abend auf dem Bauernhof von Bertram.
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Büßerschlucht
"Es gibt nur einen König auf Argaan", entgegnete Maris trocken. Der Streit der Reiche hatte schon zu viele Seelen aufgerieben, als dass er Ylvas lockere Bemerkung gutgehießen hätte. Doch woher hätte sie das wissen sollen?
"Das myrtanische Reich hat einen Brückenkopf auf der Insel, mit dem es aus der strategischen, beschränkten Sicht eines weit entfernten Großreichs alles von Wert auf Argaan besitzt. Ethorn ist der einzige Herrscher auf Argaan - egal, was man von ihm halten mag."
Zugegeben, in dieser Frage war er parteiisch. Immerhin lebte er seit über zehn Jahren in dem Reich unter König Ethorn, dessen Antlitz sich in dieser Zeit stark gewandelt hatte. Vor allem aber resultierte seine Haltung aus der Abneigung gegenüber dem Myrtanischen Großreich, das sich mit einer hochmütigen Selbstverständlichkeit jedes Stück Land einzuverleiben suchte, das auf den Karten dieser Welt verzeichnet war. So hatten sie es mit Nordmar und Varant getan - und auch wenn die Blechbüchsen dabei geholfen hatten, die verdammten Assassinen in den Staub zu schicken, waren sie doch letztlich nur die nächsten fremden Unterdrücker geworden, denen es nur um Besitz und Ausbeutung ging, und nicht um das wohl des Landes, das sie eroberten, und erst recht nicht um das Wohl des Volkes, das darin lebte. Nicht ohne Grund hatte er einst dabei geholfen, einen Aufstand der Bevölkerung in Mora Sul anzufachen. Doch je länger Maris seiner Heimat fern blieb, je länger er die Kämpfe des Großen Löwen ausfocht und mit ihm um die Vorherrschaft rang, desto weniger durfte er in die Belange der Menschen eingreifen. Ein Diener der Natur zu sein, hieß, seine Kräfte nicht für solche profanen Dinge wie Politik einzusetzen.
"Die Könige sind am Ende allesamt machtlos auf dieser Insel. Rhobar ist weit weg und sein Reich gibt sich mit der Kontrolle des einzigen Hafens auf der Insel zufrieden, weil alles andere für sie unwichtig ist. Ethorn kämpft Jahr für Jahr um das Überleben seines Reiches. Bei der Mutter, er wohnt im Haus des Barons von Stewark, weil er keinen eigenen Regierungssitz hat! Was zählt, ist das, was die Politik nicht in ihren Chroniken vermerkt. Die einfachen Menschen in beiden Städten und den Landstrichen dazwischen. Die Orks in ihrem Wald. Das Waldvolk in den Sümpfen des Südens. Einzig der Osten ist seit dem Fall Setarrifs von Menschen unbewohnt, so weit ich weiß - dort sind Dschungel und karge Schluchten. Naja, und das magische Kastell der Schwarzmagier ganz im Südosten, aber diesen Ort kann man kaum als Teil der Insel sehen."
Nein, das Kastell war so losgelöst von allem, was in der Welt geschah, dass es vollkommen bedeutungslos schien, welchen Ort es sich suchte.
"Steck jetzt die Axt weg", sagte er, als er in der Ferne die ersten Felsformationen erblickte, die sich entlang des weiteren Weges zur Büßerschlucht auswachsen würden. links und rechts ihres Pfads erhoben sich alte, zerklüftete Felsen, verwittert und rissig und so alt, dass sie Geschichten aus Zeiten erzählen mochten, in denen noch längst keine der Gräuel begangen waren, die den Orten des Argaaner Westens ihre Namen gegeben hatten. Je weiter sie kamen, desto höher ragten die Felswände auf, und schließlich erblickten sie die ersten Käfige, die in den Felsen zu ihrer Linken eingelassen waren.
"Das sind keine Zeugen der Vergangenheit", stellte er fest. "So weit ich weiß, werden die Käfige der Büßerschlucht immer noch genutzt, um gefangene Feinde des Reiches öffentlich auszustellen, bis sie nach dem Willen des Königshauses für ihre Taten gebüßt haben."
Sein Blick folgte dem nach rechts abknickenden Weg, der aus der Schlucht hinausführte. An ihrem Ende waren zwei Wachen der setarrifischen Armee postiert. Dahinter konnte er bereits die Zinnen der Burg Silbersee erkennen.
"Hoffentlich geht das schnell", brummte er und deutete auf die Wachen. "Man weiß ja nie, wie gerade die Wetterlage ist. Ich möchte heute noch die Panoramaroute am Silbersee entlang bis vor den Orkwald schaffen."
Maris sah zum Himmel auf, die Sonne stand bereits tief am Horizont. Die Tage waren kurz in dieser Zeit des Jahres. Blieb zu hoffen, dass der Mond ihre Schritte leiten würde, falls sie es nicht vor Einbruch der Dunkelheit schafften.
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Lehrling
Das Bluttal
Bereits seit den frühen Morgenstunden war Thorek unterwegs und durchquerte den dichten Wald des Bluttales auf der Suche nach einem geeigneten Pfad, der ihn sicher nach Stewark führen würde. Es führte zwar auch ein befestigter Weg durch den Wald, doch der wurde ganz sicher von Banditen der Umgebung beobachtet. Zwar gab es bei Thorek nicht viel zu holen aber andere wurden bereits wegen weniger getötet. Das Risiko konnte der ehemalige Ordenskrieger nicht eingehen.
Als Thorek gerade einige Heilpflanzen pflückte, die er auf seiner Route gefunden hatte, hörte er aus der Ferne einige Stimmen. Aus einer Deckung heraus versuchte Thorek die Richtung des Geräusches ausfindig zu machen und bewegte sich dann mit langsamen und behutsamen Schritten vorwärts. Die Stimmen wurden lauter und gelegentlich war Gelächter zu hören. Es dauerte einen Moment, ehe die Gruppe zu sehen war. Es waren einige Männer mit unterschiedlichen Rüstungen, die sich mitten im Wald ein kleines Zeltlager aufgebaut hatten. Zweifellos waren das keine Soldaten gewesen und für einfache Holzfäller waren sie viel zu gut ausgestattet. "Banditen!" sagte Thorek mit leiser Stimme, als würde er jemanden darauf hinweisen wollen. "Es sollte kein Problem sein, das Lager zu umgehen." dachte er sich und lief einige Schritte rückwärts, um aus Sichtweite zu kommen. Dabei jedoch stolperte er über einen großen Baumstamm und fiel unsanft zu Boden. Regungslos blieb Thorek liegen und lauschte, ob die Männer etwas gehört hatten. Die Stimmen waren verstummt und es zwar totenstill. Zweifelsohne hatten die Banditen etwas bemerkt.
Im Bruchteil einer Sekunde musste sich Thorek entscheiden. Blieb er liegen und wartete ab, versuchte er vorsichtig weiter zu kriechen oder stand er auf und rannte stattdessen davon. Aus einiger Entfernung hörte er Schritte, die in seine Nähe zu kommen schienen. Da traf Thorek seine Entscheidung: Er stand auf und rannte ohne sich weiter umzusehen davon. "Schnappt ihn!" rief einer der Männer, doch Thorek war Dank seiner leichten Rüstung aus Leder zu schnell und entwischte den Banditen nach einer Zeit. "Glück gehabt!" stieß der ehemalige Ordenskrieger erleichtert aus und stützte sich an einen großen Baum ab, um wieder zu Luft zu kommen.
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Misstrauisch beäugte Ylva die beiden Wachmänner, die ihre kleine Reisegruppe misstrauisch beäugte. Sie trugen Rüstungen, die die als Männer des Königs Ethorn auswiesen, von dem Maris eben erst geredet hatte. Dies wusste die Jägerin jedoch nicht, da sie zum ersten Mal diese Art von Rüstung sah und vor fünf Minuten das erste Mal von diesem Ethorn gehört hatte.
„Halt!“ sagte einer von ihnen und stellte sich ihnen in den Weg. „Wohin wollt ihr?“
Die Jägerin blieb überrascht stehen. Wer waren denn diese Typen, die ihnen einfach so den Weg versperrten? Mit welchem Recht wollten die denn entscheiden, wohin sie gehen durften und wohin sie nicht gehen durften.
„Dra åt helvete, arsle!“ fluchte Ylva lautstark in ihrer Landessprache. Die beiden Soldaten schauten sich verwundert an. Es kam wohl nicht häufig vor, das Menschen aus fernen Ländern kamen und in fremden Sprachen antworteten.
„Was redest du?“ fragte einer der beiden nach und hielt seine Hellebarde weiter in den Weg
„Ich sagte: Schöne Rüstung.“ übersetzte die Jägerin sehr, sehr frei ihre Worte.
„Hm.“ machte nun der andere der beiden Wachmänner und schien ziemlich unbeeindruckt zu sein. Schmeicheleien schienen nicht zu helfen, erst recht nicht, wenn sie im Tonfall einer Morddrohung ausgesprochen wurden.
„Wohin wollt ihr?“ wiederholte er die Frage seines Kollegen.
„Dämonensumpf.“ antwortete die Nordmarerin knapp und machte einen Schritt nach vorne, in der Überzeugung, dass die beiden Figuren ihr Platz machen würden. Stattdessen wurde sie schroff abgewiesen und von harter Hand zurückgedrängt.
Sie konnte förmlich spüren, wie Maris hinter ihr den Kopf schüttelte. Der Nomade trat nun vor und redete in seiner blumigen varanter Sprachmelodie etwas davon, dass sie eine Fremde war und über die Gepflogenheiten des Landes nicht viel wusste – was soweit auch stimmte.
Nach einigen Minuten des Honig-ums-Maul-schmierens, der schönen Worte und ausschweifenden Erklärungen ließen die Soldaten sie schlussendlich doch noch durch. Die Jägerin schätzte, dass sie einfach dem Redeschwall des Varanters entgehen wollten, doch er selbst sah das vermutlich anders.
„Das also war die Büßerschlucht.“ kommentierte die Jägerin, nachdem sie das karge Tal verlassen hatten. Es war ein dunkler Ort gewesen, mit all den Käfigen, und sie war froh ihn hinter sich zu lassen. Vor ihnen lag nun ein kleiner Abstieg, der zu der Ebene führte, an dem ein glitzernder See lag, dessen Oberfläche im Sonnenlicht glänzte wie ein Brillant. An seinem Ufer stand eine Burg, grau und mit aufragenden Zinnen wie ein Bollwerk.
„Und das ist dann wohl der Silbersee.“ sagte sie, nachdem sie die neue Umgebung aufgenommen hatte. Der erste Ort auf dieser Insel, dessen Name nicht an Mord und Totschlag erinnerte, und eine schöne Gegend noch dazu. Sie atmete tief ein. Vielleicht war manches auf diesem Eiland doch nicht so übel
Geändert von Ylva (16.11.2023 um 15:45 Uhr)
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Es dauerte eine ganze Weile, bis Harras wieder zurückkehrte. Hätte man ihm nicht versichert, dass der Fährtenleser gut aus sich selbst aufpassen konnte und wusste, wie man sich im Hintergrund hält, hätte sich Calan wohl Sorgen gemacht. Doch da der Rest ihrer kleinen Truppe sich eher darum Gedanken machte, wie man es mit den Banditen aufnehmen sollte, als darüber wie es Harras wohl ginge, beruhigte sich auch der Varanter. Er beobachtete den Waldrand, in den Harras verschwunden war und hoffte, eine Gestalt auf sie zukommen zu sehen, während sich Jacques zur gleichen Zeit mit einer der Töchter des Hofes unterhielt (auf eine Art und Weise, die dem Ordenskrieger stark missfiel)
Es waren Stunden, bis der Fährtenleser wieder zurückkam, das Warten kam dem Varanter wie Tage vor. Tatsächlich war er unverletzt und konnte die Pferdediebe wohl eine ganze Weile unbemerkt beobachten.
„Vier Pferde in einem behelfsmäßigen Gatter.“ bestätigte er seine Vermutung, die er früher ausgesprochen hatte. Die beiden Frauen vom Gestüt blickten auf und bestürmten Harras mit Fragen. Welche Fellfarbe? Stute oder Hengst? Sind sie unverletzt? Doch der Soldat winkte ab.
„Ich bin nicht von der Kavallerie“ meinte er lakonisch und wandte sich wieder den anderen Soldaten zu.
„Es sind fünf Männer, die ich sehen konnte, vielleicht sind noch mehr in der Nähe. Sehen eher schlecht ausgerüstet aus, schartige Schwerter und schwere Knüppel. Vermutlich ausgehungert und eher schwach, aber auch verzweifelt. Nicht zu unterschätzen, aber wir sollten genug sein, um es mit ihnen aufnehmen zu können.“
Calan blickte auf. Endlich, so spürte er, gab es etwas zu tun. Innos’ Gerechtigkeit würde in diesen Ländern wieder Einzug halten und sie wären seine Werkzeuge, sie würden seinen Willen ausführen und all jene die die Ordnung zerstören wollten mit seinen Lippen auf den Namen von dieser Welt tilgen.
„Wir greifen in der Dämmerung an.“ wurde beschlossen, nachdem sie kurz ihre Optionen durchgegangen waren. „Und überrumpeln sie in einem Überraschungsangriff.“
Calan nickte grimmig. Innos Zorn würde schnell und unbarmherzig über sie kommen.
Geändert von Calan (18.11.2023 um 12:04 Uhr)
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Das ist sie also, deine Bewährungsprobe…
Jacques überprüfte wahrscheinlich zum zwanzigsten Mal, ob der Riemen seines Helmes auch richtig verschlossen war und der Waffengurt saß. Er konnte nicht leugnen, dass er nervös war. Es würde nicht das erste Gefecht sein, das er erlebte, und verglichen mit dem Gemetzel, das sich zwischen Orks, Banditen und Ulrichs Männern damals im Gebirge zugetragen hatte, würde der bevorstehende Kampf gegen ein paar verlotterte Wegelagerer vermutlich ein Sonntagsspaziergang sein, aber das änderte nichts daran, dass es das erste Gefecht war, an dem er als Soldat teilnehmen würde. Seine Bewährungsprobe. Er durfte es nicht vermasseln, egal wie einfach die Aufgabe zu sein schien!
Unter Harras‘ Führung hatte sich die kleine Gruppe unauffällig dem Lager der Banditen genähert. Jetzt warteten sie, verborgen im Unterholz, auf das Signal zum Angriff. Die beiden Mädchen waren auch dabei, auch wenn sie natürlich nicht am Angriff selbst teilnehmen würden. Agnes hockte neben Jacques und lauschte gespannt, ob sie irgendwelche Geräusche aus der Richtung des Banditenlagers vernehmen konnte.
Während sie darauf gewartet hatten, dass Harras von seiner Kundschaftermission zurückkäme, hatte sie Jacques alles in allem fünf Äpfel angeboten – Jacques hatte sich zwar gewundert, weil er eigentlich geglaubt hatte, die Äpfel wären für die Pferde gedacht gewesen, aber scheinbar waren sie doch Teil der Verpflegung – und angefangen, ihn über das Leben in der Armee auszufragen. Nicht, dass er darüber viel hätte erzählen können, aber von seinem Entführungs-Abenteuer konnte sie gar nicht genug erzählt bekommen. Dass Jacques immer wieder versucht hatte, sie darauf hinzuweisen, dass er Wache halten musste, hatte sie nicht daran gehindert, ihm einfach weiter Löcher in den Bauch zu fragen.
Agnes reckte den Hals und schaute zu Jon, dem Anführer, der ein paar Schritte weiter vorn hinter einem Baum in Deckung gegangen war. „Worauf wartet er?“, flüsterte sie.
Jacques zuckte mit den Schultern. „Den… äh… richtigen Augenblick, denke ich? Ich meine, wir müssen sie überraschen und schnell und hart zustoßen!“, erklärte er ernst, woraufhin Agnes aus irgendwelchen Gründen leise kicherte und ihm gegen den Oberarm boxte.
Als der langgezogene Ruf eines Uhus ertönte, hob plötzlich Jon sein Schwert und deutete wortlos nach vorn. Das Zeichen zum Angriff! Jacques packte seine Hellebarde und erhob sich. Agnes fasste ihn am Arm: „Pass auf dich auf!“
Er nickte und schenkte ihr sein zuversichtlichstes Lächeln: „Keine Sorge! Innos ist mit uns!“
„Jacques, beweg deinen Arsch!“, knurrte Jörg im Vorbeilaufen. Der junge Späher sah konzentriert aus, von dem leichten Anflug von Spott, den seine Miene sonst zur Schau stellte, war nichts mehr zu sehen. Jacques spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss.
Bewährungsprobe, verdammt! „Äh, jawohl!“
„Im Namen des Königs! Ergebt euch, und euch wird nichts geschehen! Leistet Widerstand, und ihr tragt die Konsequenzen!“
Jons Stimme hallte über die Senke, in der die Räuber ihr Lager aufgeschlagen hatten. Ein Dutzend Männer in einfachen, zerlumpten Kleidern, die um einen Kessel über einem Grubenfeuer hockten und sich gerade noch lachend unterhalten hatten, sprangen überrascht auf und starrten blinzelnd in die Dunkelheit. Sie schienen unsicher zu sein, was sie tun sollten. Einen Augenblick lang stand die Situation auf Messers Schneide. Würden die Räuber sich ergeben? Oder…?
„Scheiß auf deinen arschgefickten König!“, kreischte einer der Banditen, ein kleiner, dürrer Kerl, und zog ein altes Schwert, „Scheiß auf alle Könige!“
Damit war es entschieden. Die übrigen Banditen johlten zustimmend und griffen zu den Waffen. Jon lächelte kalt: „Ihr habt es so gewollt.“
Die Streiter des Ordens warteten nicht darauf, dass die Banditen erst zu ihnen kamen. Mit einem lauten „Für Innos!“ auf den Lippen stürzte sich Calan an Jons Seite in die Schlacht, Jacques und Jörg folgten ihnen auf dem Fuße. Indessen ließen Sarit, Harras und Bertram, die sich im Unterholz versteckt hielten, ihre Pfeile los. Der dürre Schreihals, der seine Kameraden so unklug zum Widerstand aufgewiegelt hatte, war der erste, der mit einem gefiederten Schaft im Hals gurgelnd zu Boden ging, kaum dass er einen Schritt in die Richtung der Angreifer hatte tun können. Das Momentum war dennoch nicht mehr aufzuhalten und Sekunden später tönte Waffengeklirr durch den abendlichen Wald.
Jacques sah sich mit einem breitschultrigen Kerl mit zotteligem grauem Bart konfrontiert, der einen einfachen Dreschflegel als Waffe führte. Einfach – aber nicht ungefährlich! Und der Kerl wusste damit umzugehen. Er nutze den Schwung eines jeden Hiebes aus, um direkt den nächsten Angriff auszuführen. Jacques versuchte, ihn zu unterbrechen, indem er mit seiner Hellebarde den Bewegungsablauf störte, aber die Wucht des Flegels war zu groß und schlug ihm beinahe die Waffe aus der Hand. Jacques blieb nichts anderes übrig, als langsam zurückzuweichen, während sein Gegner nicht müde zu werden schien, den schweren Flegel konstant durch die Luft schwingen zu lassen.
Jacques überlegte fieberhaft, wie er dagegen angehen sollte. Eine frontale Attacke würde nicht funktionieren. Er musste irgendwie aus dem unmittelbaren Bedrohungsradius des Flegels heraus! Mit einer schnellen Bewegung stieß Jacques noch einmal mit der Hellebarde zu, aber der Angriff war diesmal nur fingiert. Wie der junge Milizsoldat es sich erhofft hatte, schlug sein Gegner nach der Hellebarde, aber die hatte er längst schon wieder zurückgezogen. Jetzt war der Bandit aus seinem Rhythmus gebracht, Jacques machte einen schnellen Schritt zur Seite und zog den Haken seiner Waffe über den Oberschenkel des Wegelagerers, der vor Schmerz aufbrüllte, die Waffe fallen ließ und zu Boden ging.
Jacques hatte jedoch keine Zeit, sich über seinen ersten Sieg zu freuen. Gerade so konnte er einen Schwerthieb abwehren, der ihn beinahe am Hals getroffen hätte, und sah sich zwei weiteren Banditen gegenüber. Der Schwertkämpfer war ein langer, schlaksiger junger Kerl mit fürchterlicher Akne im Gesicht, sein Kumpan hingegen ein stämmig gebauter Mann, der einen Jagdspeer führte.
Jacques wich einem zweiten Schwerthieb aus und verschaffte sich mit ausholenden, weiten Hieben seiner Hellebarde erst einmal Platz. Die drei Kämpfer umkreisten sich lauernd, und Jacques merkte schnell, dass sie ihn in die Zange nehmen wollten. Er wich zur Seite, aber dauerhaft würde ihm das nicht gelingen. Einen der beiden musste er möglichst schnell außer Gefecht setzte…
Er entschied sich für den jungen Schwertkämpfer, da dessen Reichweite seiner eigenen weit unterlegen war – und im Gegensatz zu Jörg war der Bandit kein sonderlich geübter Krieger, der gewusst hätte, wie er diesen Nachteil hätte ausgleichen können. Mit einer schnellen, aggressiven Schlagkombination zwang Jacques ihn in die Defensive und bracht dabei auch noch etwas Abstand zwischen sich und den Speerkämpfer. Der Schwertkämpfer schien sich einen Moment nicht sicher zu sein, ob er angreifen oder sich weiter verteidigen und auf seinen Kumpan hoffen sollte – Jacques nutzte den Augenblick seines Zögerns, um seine Waffe überraschend herumzudrehen und dem Jungspund das Schaftende der Hellebarde genau ins Gesicht zu rammen. Blut schoss aus der Nase des Möchtegern-Wegelagerers, er schlug die Hände vors Gesicht und taumelte benommen rückwärts, bis er stolperte und unelegant auf dem Boden landete.
Blieb noch einer. Der Bandit mit dem Jagdspeer presste entschlossen die Lippen zusammen und attackierte mit schnellen Stößen. Jacques musste rasch feststellen, dass der Mann zumindest kein blutiger Anfänger war – seine Attacken waren schnell, gezielt, und er wechselte immer wieder Höhe und Angriffswinkel. Jacques parierte und versuchte zu kontern, aber der Gesetzlose hatte selbst auch eine solide Verteidigung. Die Kämpfer tauschten Hiebe aus, ohne dass einer von ihnen die Oberhand gewinnen konnte.
Bis Jacques einen Fehler machte…
In dem Versuch, den Speer seines Gegners mit dem Haken seiner Hellebarde einzufangen, gab er sich unbeabsichtigt eine Blöße, die der Bandit sofort ausnutzte. Er drückte die Hellebarde zur Seite, machte einen Ausfallschritt und stach zu. Die Speerspitze bohrte sich in Jacques Unterleib. Zwar konnte Jacques sich im letzten Moment noch zur Seite drehen, aber die Spitze durchstieß dennoch seinen gefütterten Waffenrock und fügte ihm eine schmerzhafte Wunde zu. Jacques fluchte, während der Bandit die Lippen zu einem zähnefletschenden Grinsen verzog.
„Hab ich dich, Bürschchen!“, knurrte er, „Wolltest wohl mal Soldat spielen, was? Dachtest dir, die Bauern drangsalieren ist einfacher als einer zu sein, was? Dachtest dir, Steuern erpressen und gemütlich vom Sold– “
Weiter kam er nicht. Jacques wechselte die Taktik, mit einem von oben geführten Hieb direkt auf den Schaft des Speeres schlug er seinem überraschten Gegner die Waffe aus der Hand und stach gleich darauf zu. Die scharfe Spitze der Hellebarde bohrte sich tief in die Brust des Banditen. Der schien im ersten Moment gar nicht zu begreifen, was gerade geschehen war. Rückwärts taumelnd starrte er Jacques mit weit aufgerissenen Augen an, bis er hustete und sich ein Schwall dunklen Blutes über seine Lippen ergoss. Schlussendlich brach er zusammen.
Bewährungsprobe… bestanden?
Jacques wandte sich ab. Ihm wurde übel.
Geändert von Jacques Percheval (17.11.2023 um 13:03 Uhr)
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Die Schlacht war kurz und blutig. Während die Banditen ums Feuer saßen, hatten sie zugeschlagen. Sie hatten den Überraschungsmoment genutzt, und dass ihre Augen an die Dunkelheit gewohnt waren, während sich die Pferdediebe erst akklimatisieren mussten. Trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit lag der größte Teil der Bande schnell am Boxen. Schwer verletzt oder tot, es war schwer zu sagen.
Calan nahm mit Wohlwollen wahr, dass sich der junge Jaques gut schlug und sogar zwei oder drei der Banditen erschlagen konnte.
Ruhe kehrte auf der Lichtung ein. Das Feuer prasselte noch immer, als wäre nichts passiert und ein paar der Männer keuchten noch etwas. Doch eine Bestandsaufnahme ergab, dass niemand ernsthaft verletzt war. Jacques hatte eine kleine Verletzung davongetragen, doch Innos sei Dank nichts ernsthaftes.
Drei der Banditen waren noch am Leben, wenngleich verletzt. Einer saß lehnend an einem Baum und atmete mit einem Pfeil in der Seite nur noch schwer und rasselnd. Die zwei anderen hatten wohl nur leichte Verletzungen und schienen noch ansprechbar. Sarit und Harras hatten ihre Bögen an sie angelegt, um sie an der Flucht oder Angriffen zu hindern.
Calan nahm seinen Speer und erlöste den Schwerverletzten von seinen Leiden.
“Möge Innos sich deiner Seele annehmen und Gnade walten lassen.” verabschiedete der Varanter ihn und wandte sich zu Jacques, der in etwas Abstand vor den anderen Banditen stand.
“Dann wollen wir mal sehen, was wir noch von ihnen herausfinden können, ehe wir sie ihrer gerechten Strafe zuführen” sagte er zu dem Waffenknecht und blickte zu dem toten Banditen am Baum, der bereits gestraft wurde.
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Jacques schluckte schwer und wandte sich von dem Gemetzel ab. Er atmete tief ein und aus in der Hoffnung, seinen Magen wieder beruhigen zu können, der gerade munter Purzelbäume schlug. Jetzt zu kotzen, vor all den anderen Kämpfern, nachdem sie die Banditen ihrer gerechten Strafe zugeführt hatten, wäre das letzte, was er wollte. Aber ganz einfach war das nicht – selbst der Geruch erinnerte ihn an das, was soeben geschehen war. Der Geruch von Blut und Scheiße. Der Geruch von Gewalt und Tod.
„Ich, äh… seh‘ mal nach den Frauen“, entschuldigte sich Jacques und versuchte, dabei möglichst selbstsicher zu klingen. Jörg nickte und zwinkerte ihm zu, Calan hob ein wenig die Augenbrauen, sagte aber nichts. Jacques hingegen war einfach nur froh, einen Vorwand zu haben, das Schlachtfeld verlassen zu können.
Ob er wirklich das Zeug zum Ritter hatte? Mal wieder kamen ihm gewisse Zweifel. Vielleicht hätte er doch besser auf seine Eltern hören und auf dem heimatlichen Hof bleiben sollen. Andererseits, diese Männer… Sie waren Banditen gewesen, Wegelagerer, Räuber, Verbrecher – sie überfielen harmlose Reisende und Bauern. Und das war es doch, weshalb er überhaupt Ritter hatte werden wollen, oder? Um die Menschen vor solchem Gesindel zu schützen! Vielleicht hatte er unterschätzt, wie… dreckig der Job war. Aber er war richtig, und wichtig, und an den Dreck würde er sich wohl oder übel gewöhnen müssen.
Als er Agnes und Hedwig erreichte, die sich an Jons Anweisungen gehalten und im Versteck zurückgeblieben waren, bestürmten sie ihn mit ihren Fragen zum Ausgang des Kampfes und auch, ob es den Pferden gut ging, und nachdem er sie hatte überzeugen können, dass alles nach Plan verlaufen war, die Banditen besiegt und keiner der Krieger ernsthaft zu Schaden gekommen war, und dass es auch den Pferden gut ging – die Tiere waren von den Banditen ein wenig abseits des Lagers angebunden worden –, warteten sie auf die Rückkehr der restlichen Truppe. Agnes zeigte sich inzwischen sehr besorgt um Jacques Verletzung, egal wie oft er beteuerte, dass es sich nur um einen Kratzer handele. Sie bestand darauf, dass sie sich um die Wunde würde kümmern müssen, sobald sie wieder zurück am Hof waren, bis Jacques schließlich seufzend nachgab.
Es dauerte nicht allzu lange, bis die anderen Krieger ebenfalls wieder zurückkamen. Sie führten neben den Pferden auch die beiden gefangenen Banditen mit sich – den bärtigen Kerl, dem Jacques eine Wunde im Oberschenkel zugefügt hatte, und der daher mit zusammengebissenen Zähnen hinkte, und den aknegeplagten Burschen, dessen Nase deutlich schiefer in seinem Gesicht saß als vor dem Kampf. Jacques bemerkte, dass beide Gefangenen auf sein Konto gingen. Entweder hatte sich keiner der anderen Banditen ergeben wollen – oder…
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Lehrling
Großer Bauernhof, nahe Thorniara
Mit einem Kohlestift machte Thorek die letzten Notizen auf seiner Karte. Endlich hatte er einen geeigneten Weg gefunden, der sicher genug schien und genügend Ausweichmöglichkeiten bot, um wilde Tiere und durch die Wälder streifende Banditen aus dem Weg zu gehen. Noch vor Sonnenaufgang sollte seine Reise beginnen und ihn hoffentlich sicher durch das Bluttal führen.
"Ich will Euch nicht stören aber möchtet Ihr vielleicht ein Stück Kuchen?" fragte Bauer Bertram. "Aus den restlichen Äpfeln, die wir nicht verkaufen können. Es wäre mir eine Freude, den Kuchen mit einem Krieger des Ordens zu teilen!" fuhr der Bauer fort. "Und mir wäre es eine Freude, Eure Gastfreundschaft abermals anzunehmen." erwiderte Thorek. Der Bauer lachte und schlug sich mit den Händen auf seinen Bauch: "Sehr gut! Ist auch besser für meine Figur. Würde zumindest meine Frau Else behaupten!"
Als die beiden Männer die Stube des Bauern erreicht hatten, wurde Thorek von der Frau des Bauern herzlichst begrüßt: "Oh wie schön, dass Ihr gekommen seid!" Thorek nahm an einen großen Holztisch platz und hatte ein schlechtes Gewissen. Die Menschen waren so nett zu ihm, weil sie glaubten, er sei ein Krieger des Ordens und auf wichtiger Mission unterwegs. Er hoffte, dass sie niemals erfahren würden, wenn er bald unter den Diensten des rebellischen Ehtorns stand.
Als der noch warme Apfelkuchen serviert wurde, schaute ihn Else erwartungsvoll an. "Und? Wie ist er?" fragte sie neugierig. "Nun lass den Mann doch erstmal in Ruhe essen!" warf Bertram ein. "Oh sehr gut! Ihr könnt wirklich gut backen!" erwiderte Thorek hastig. Die Frau errötete und lächelte verlegen. "Ach was! Ich wette, in der Stadt gibt es bessere Kuchen!" sagte sie, nur um gleich zur nächsten Frage zu kommen: "Ich weiß, Ihr dürft uns bestimmt nichts verraten aber habt Ihr schon Fortschritte bei Eurer Suche gemacht?"
Scheinbar hatte sich die am Lagerfeuer erzählte Geschichte bereits rumgesprochen und so musste Thorek abermals improvisieren: "Nun... ich bin zur Geheimhaltung verpflichtet. Aber ich kann Euch zumindest so viel sagen: Ihr habt nichts zu befürchten. Die Gefahr ist vorüber." Wieder lächelte die Frau auf. "Das ist auch der Grund, warum ich morgen weiterziehen werde." fuhr Thorek fort. "Was denn? Morgen schon?" fragte Bertram sichtlich verblüfft und enttäuscht. "Das ist schade! Aber ich verstehe das. Wichtige Männer haben wichtige Aufgaben zu erledigen."
"Das stimmt." erwiderte Thorek. "Aber seid Euch meines Dankes gewiss! Ich werde Euch lobend in meinem Bericht erwähnen. Ihr habt mir und dem Orden einen großen Dienst erwiesen, indem Ihr mir hier Unterschlupf gewährt habt. Das werde ich Euch nicht vergessen, mein Freund." Nun lächelte auch Bertram. Er schien sichtlich stolz darüber gewesen zu sein, dem Orden geholfen zu haben. Zumindest vermeintlich.
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Ufer des südlichen Silbersees
Die lichten Wolken im Westen reihten sich in Stapeln feuerrot glühender Büschel aneinander, an denen vorbei die dem Horizont entgegen sinkende Sonne direkt auf die spiegelnde Oberfläche des Silbersees strahlte. Der Himmel hatte erstaunlich aufgeklart, seit sie die Silberseeburg passiert hatten, ohne sich lange mit dem Bau oder den darum postierten Wachen aufzuhalten, und am Ufer des Sees entlang gen Süden gezogen waren. Während Runa und Ylva sich die Zeit mit der Bewunderung der Aussicht oder dem gegenseitigen Überbieten mit wilden Geschichten vertrieben, die sie angeblich irgendwo einmal gehört hatten, war Maris stillschweigend vorweg gelaufen. Seine Gedanken waren bei dem, was vor ihnen lag. Natürlich, einerseits war da der Orkwald. Mit zwei wenig kampferprobten Begleiterinnen dort hindurch zu reisen und sich anschließend den Gefahren des Sumpfes auszusetzen, war herausfordernd. Doch was danach kommen würde, ließ ihn noch deutlich ratloser zurück. Das Mal auf seinem Arm hatte im Laufe des Tages deutlich an Kontur gewonnen, und ebenso der innere Drang, endlich zum großen Baum zu kommen. Tooshoo rief ihn, und Runa erging es ganz sicher ebenso. Die Frage war nur: warum? Sie würden es wohl nur herausfinden, wenn sie dem Ruf folgten. Hoffentlich war Ornlu zugegen, um ihm die nötigsten Fragen zu beantworten.
„Wir rasten hier“, verkündete er schließlich, als er im Dämmerlicht des scheidenden Tages in der Ferne hinter der offenen Ebene der südlichen Baronie die ersten Ausläufer des Orkwald erspähte. Näher wollte er nicht heran, und ohne eine Erholung wollte er nicht hinein. Die Sonne war mittlerweile in der glatten Oberfläche des Sees versunken und sandte nur noch einen fahlen Abglanz ihrer Pracht über die Ebene.
„Runa, du machst das Essen. Schau mal im Rucksack nach, was du findest. Ich denke, du bekommst das hin. Bist immerhin die Tochter eines Kochs.“ Er wandte sich Ylva zu. „Und wir beide schauen uns mal ein paar Grundpositionen und einfache Schläge an.“
Maris zog die Falcata aus seinem Rucksack und bedeutete ihr, dasselbe mit ihrer Axt zu tun.
„Ist keine Axt“, sagte er mit einem Blick auf seine Klinge, „verhält sich aber ähnlich kopflastig. Zum Zeigen wird es reichen.“
Er stellte sich in der Kampfhaltung auf, die er ihr bereits gezeigt hatte.
„Du erinnert dich? Sicherer Stand, leicht in die Knie, etwas nach vorn gebeugt. Nicht die Beine überkreuzen und immer schön die Füße bewegen. Mach mir nach.“
Er stellte den rechten Fuß vor und hob die Klinge in der Rechten in die Höhe. Mit angewinkeltem Arm hielt er die Falcata auf Augenhöhe.
„Nummer eins. Der Weg zum Gegner ist kurz, du kannst kraftvolle Hiebe nach unten ausführen und intuitiv verteidigen. Stell deinen Fuß nicht so weit vor, sonst ist dein Bein ein einfaches Ziel!“
Nun hielt er die Falcata über Kreuz vor die linke Schulter.
„Nummer zwei. Einfacheres Verteidigen, du deckst viel Fläche ab und kannst die Axt quer über den Gegner ziehen.“
Die Waffe sank auf Hüfthöhe, blieb aber auf seiner linken Körperseite.
„Nummer drei. Schwieriger, damit hohe Angriffe zu verteidigen, aber deine eigenen Angriffe sind auch schwieriger abzuwehren, weil tiefe und mittlere Schläge nur eine kurze Wegstrecke zurücklegen. Mit einem Seitwärtsschritt nach außen kannst du einen unvorsichtigen Gegner mit Nummer zwei und drei schnell flankieren. Aber wir bleiben erstmal bei den Stellungen und Grundschlägen. Die Bewegung kommt später.“
Maris wechselte den führenden Fuß auf die linke Seite und hielt die Falcata in tiefer Position offen auf seiner Rechten, leicht hinter seinem eigenen Körper.
„Nummer vier. Sieht erstmal nach einer schlechten Idee aus, die Waffe so weit hinten zu halten, für Angriff und Verteidigung. Aber in Bewegung, wenn du Griffe mit der freien Hand ins Spiel bringst oder – noch sinnvoller – mit einem Schild bist du so in direkter Position für Konter mit einem ordentlichen Beschleunigungsweg für die Axt, und der Gegner kann diese Angriffe schwieriger einschätzen als die anderen Hiebe.“
Ylva hatte sich redlich bemüht, die Haltungen halbwegs seinen Anweisungen getreu nachzuahmen, doch das war nur der erste Part.
„Jetzt zu den Hieben selbst. Mach dir bewusst, aus welchen Gelenken dein Axtarm besteht. Mit allen kannst du Hiebe ausführen.“
Er drehte die Falcata aus dem Handgelenk.
„Schneller Angriff. Für Äxte eher ungewöhnlich, weil das Handgelenk zu schwach für effektive Bewegungen mit solch kopflastigen Objekten ist. Solltest du aber mal etwas Feingliedrigeres in die Finger bekommen, denk daran, dass sich deine Möglichkeiten und deine Strategie in diese Richtung ändern können.“
Nun hielt er seinen Oberarm statisch und drehte ausschließlich den Unterarm.
„Das sind Angriffe mit mittlerer Schnelligkeit und hervorragender Kontrolle über die Waffe, wenn man sie verinnerlicht. Eine schnellere Schlagfolge mit verschiedenen Angriffsrichtungen kann einen Gegner so beschäftigen, dass er die Initiative an dich abgibt und gar nicht dazu kommt, die Lücken in deiner Deckung anzugreifen.“
Danach ließ er die Schlagbewegung vornehmlich aus dem Schultergelenk kommen.
„Große Bewegungen, langsame Angriffe. Aber es steckt Kraft dahinter. Davon solltest du nicht zu viele einsetzen, denn sie ermüden dich schnell und du bist leicht ausrechenbar. Wenn man eine schwache Deckung brechen will, kann das aber sehr reizvoll sein. Wenn du dir wirklich sicher bist, was du tust, kannst du durch ein Eindrehen deines Oberkörpers sogar noch mehr Kraft hineinlegen. Sei dir aber immer bewusst, dass dich jeder eigene Angriff für einen Gegenschlag verwundbar macht. Je ausladender deine Bewegungen, desto mehr entblößt du dich.“
Maris senkte die Waffe. „So, Wollnashörnchen. Probier dich mal durch, und dann versuchen wir aus jeder Haltung eine Folge von Handgelenk-, Ellbogen- und Schulterschlag, damit du das Gefühl kennenlernst. Das wird sich in manchen Haltungen seltsam und vielleicht sogar anfühlen, und du kannst dir sicher sein, dass du morgen einen ordentlichen Muskelkater in Regionen haben wirst, die dir gar nicht bewusst sind. Aber daran gewöhnt man sich – glaub mir.“
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Mit stoischer Gelassenheit eines erfahrenen Kriegers hatte Ulrich kampfbereit, etwas abseits des Lagers der Banditen, das Geschehen mit recht gemischten Gefühlen verfolgt. Einerseits war es sehr amüsant den Einsatz der Männer zu verfolgen, andererseits war es erschüttert mitanzusehen wie dilettantisch das wirkte und letztlich auch war, wenn man nach den einfachen Strategien der Armee vorging. Ulrich hatte Jon angewiesen, bei diesem einfachen Manöver, mehr war es Angesichts ein paar lausig bewaffneter Banditen wahrlich nicht, mit den Männern sozusagen nach Lehrbuch vorzugehen. Also stürmten die Männer, angeführt von Jon, mehr oder weniger blindlings ins Lager der Banditen und versuchten so den Überraschungsmoment zu nutzen. Eine Angriffsvariante die durchaus erfolgreich sein konnte, jedoch zu viele Unwägbarkeiten barg und somit jederzeit das Risiko bestand, das die Situation außer Kontrolle geriet. In diesem Fall setzten sich die Banditen wider den Erwartungen zur Wehr und schon herrschte kurzzeitig das reinste Chaos, die Männer des Kommandanten waren nicht Herr der Lage. Mit unerfahrenen Soldaten konnte so ein planloses Vorgehen schnell ein paar Leben der falschen Partei kosten, wie Ulrich in seinen Anfangszeiten bei der Armee oft genug beobachtet konnte, manch Kamerad war also völlig umsonst gestorben.
Es war gut das alles noch mal mit eigenen Augen zu sehen, resümierte Ulrich nach dem Kampf, denn wie gefährlich und ineffektiv so ein Einsatz verlief, wenn man streng nach Vorschrift vorging, das hatte er in der Tat schon längst vergessen, oder erfolgreich verdrängt. Es gab einige Gründe warum die königliche Armee noch nicht die Weltherrschaft erlangt hatte, der Hauptgrund war ohne Zweifel, das es an erfahrenen Kämpfern mangelte, die in der Lage waren den Überblick zu behalten und ihre Kampfkraft sinnvoll einsetzen. Mit den derzeitigen Ausbildungsmethoden der Armee, würde sich daran so schnell auch nichts ändern, soviel stand für den Kommandanten nach diesem Trauerspiel fest. Daraus folgte zwar keine neue Erkenntnis, aber es erinnerte Ulrich daran, das er mehr Wert auf die gute Ausbildung williger Soldaten legen müsse, nur so könne es mit königlichen Armee vorangehen.Immerhin war die Sache,wenn man es so nennen wollte, recht glimpflich ausgegangen, keiner der Männer kam ernsthaft zu Schaden und würde im besten Falle seine Lehre aus dieser Erfahrung ziehen.
Der Kommandant steckte sein Schwert zurück und betrat gemächlichen Schrittes das Lager, bis auf 2 der zwielichtigen Gestalten waren alle Banditen ums Leben gekommen. Nach einem kurzen Lagebericht von Jon, trat Ulrich vor die überlebenden Banditen und schaute ihnen tief in die Augen. Ihr Blick verriet, das sie innerlich im Begriff waren, sich von ihrem erbärmlichen Leben zu verabschieden, ihnen war offensichtlich bewusst, das sie nur noch den Tod zu erwarten hatten. „Habt ihr mir irgendwas zu sagen“ fragte der Kommandant mürrisch, obwohl er sich sicher war, das diese Gestalten nichts sagen würden. Dem Anschein nach, was Kleidung und Bewaffnung anbetraf, waren es nur glücklose Taugenichtse die versuchten durch Diebstählen ein kärgliches Dasein zu fristen. Die Wegelagerer waren sicherlich nicht Teil einer organisierten Banditenbande, mutmaßte Ulrich, dazu agierten sie zu stümperhaft, mit den Pferden als Beute hätten sie längst schon über alle Berge sein müssen.
Wie erwartet schwiegen die Burschen, der Kommandant wollte es dabei belassen, es machte keinen Sinn die Gesetzlosen zu verhören, sie würden ohnehin nur Lügengeschichten erzählen, die Mühe konnte er sich also sparen. Für ihn war die Sache auch so klar, allein der Pferdediebstahl reichte aus um die Beiden mit der Höchststrafe zu belegen, „ihr habt euer Leben verwirkt“ verkündete der Kommandant knapp. Er gab Jon ein Zeichen, das er das Urteil vollstrecken soll, „sammelt die Toten ein und übergebt sie dem Feuer – danach gehen wir erst mal zum Reiterhof zurück.“
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Jacques riss die Augen auf, als Ulrich, der sich während des Kampfes abseits gehalten hatte, sein Urteil über die beiden Gefangenen verkündete. Hinrichtung?
Die Gefangenen reagierten jeder auf seine Weise. Während der Bärtige Ulrich nur mit einem finsteren Blick bedachte und ausspuckte, während Jon ihn in die Knie zwang, fing der pickelgesichtige Bursche an, weinend um sein Leben zu flehen:
„Bitte Herr! Bitte nicht! Ich flehe Euch an! Ich … unser Hof ist im Krieg niedergebrannt worden, und ich wusste nicht, wohin! Es tut mir leid! Herr! Bitte! Ich will nicht sterben …“
Seine Beine gaben nach und er sank von selbst auf die Knie. Ulrich allerdings verzog keine Miene, und auch von den anderen Männern schien niemand dem Jammern des Burschen groß Aufmerksamkeit zu schenken. Jörg sorgte lediglich dafür, dass die Mädchen nicht in der Nähe waren, um der bevorstehenden Hinrichtung beiwohnen zu müssen.
Jacques räusperte sich und trat einen Schritt nach vorn.
„Äh… Sir? Darf ich sprechen?“ Er hatte Ulrichs Wutausbruch auf dem Hof noch allzu gut in Erinnerung, aber trotzdem brachte er es nicht über sich, einfach nur zuzusehen. Der Kommandant zog kurz die Augenbrauen zusammen, nickte dann aber.
„Also… äh… Sir, also, bei allem Respekt, meint Ihr wirklich, dass die Todesstrafe angebracht ist? Ich meine… wäre es nicht sinnvoller, ähm, sie nach Thorniara zu bringen und vor Gericht zu stellen? Ich meine, sie haben doch niemanden umgebracht, Sir! Jedenfalls nicht, dass wir wüssten. Es kann natürlich schon sein, dass sie mal … aber … äh …“ Jacques schluckte und sah sich ein wenig hilfesuchend um, aber niemand schien bereit zu sein, seine Partei zu ergreifen und er bekam immer mehr das Gefühl, sich geradewegs in den nächsten Fettnapf gestürzt zu haben. „Aber sollte man das nicht zumindest vorher untersuchen?“, schloss er sein Plädoyer im Sinne der Angeklagten.
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Die letzten Sonnenstrahlen versuchten vergeblich das Land zu wärmen und legten es in ein tiefes, schwindendes Rot, das von der Oberfläche des Silbersees reflektierte. Die Jägerin fiel es nicht schwer zu erkennen, wie man auf den Namen 'Silbersee' gekommen ist. Während des Tages funkelte und glitzerte der See im Schein der Sonne, die Wellen streuten das Licht in tausenden Farben in alle Richtungen, dass es fast blendete. Es erinnerte sie an das weite Meer (möge sie es nie mehr befahren müssen!) und den Geschichten, die man sich im Norden darüber erzählte. Darüber, wie eine magische Salzmühle einst im Streit in die Tiefen des Ozeans sank und dort unablässig mahlte, bis das gesamte Meer ungenießbar war. Über den Kraken, jenes urtümliche Wesen, das in den Weiten des Weltenwassers zuhause war. Mit Armen, größer als die höchsten Bäume und einem Körper einer Insel gleich riss es Seefahrer in die Tiefe. Nicht einzeln, sondern mit dem gesamten Schiff, das es mit einer tödlichen Umarmung umschlang und erst langsam, dann mit immer mehr Kraft - schneller werdend, Wellen schlagend, Gischt aufschäumend, sprudelnd und gurgelnd, in einen Sog, dem kein Mensch gewachsen war – in den Abgrund zog.
Während Runa gerade selbst eine Geschichte erzählte (es ging um einen Wüstendämon namens Ghul, der verschiedene Formen annehmen konnte und Menschen lebendig verschlang), rief Maris zur Rast auf und hatte wohl schon die nächste Lektion für Ylva im Kopf. Während seine Tochter begann das Essen zuzubereiten, zog die Jägerin ihre Axt und stellte sich auf, wie es ihr vom Varanter geheißen war. Leicht angewinkelte Knie, leicht vornüber gebeugt, als wäre man stets bereit nach vorne zu schnellen.
Sie gab ihr bestes, die Grundstellungen, die er ihr zeigte, zu imitieren. Die erste schien ihr intuitiv zu liegen. Ein einfacher Hieb nach unten, der die natürliche Bewegung des Armes ausnutzte und in den man viel Kraft legen konnte.
Die zweite und insbesondere die dritte Stellung schienen ihr jedoch nicht ganz so einfach von der Hand zu gehen. Die Axt schien ihr vor dem Gesicht zu hängen und gemeinsam mit ihrem Arm einen großen Teil des Blickfelds einzunehmen, die Grundbewegung war weniger flüssig, doch noch immer natürlich. In der dritten Grundstellung sollte sie ihre Waffe weiter unten halten. Zwar hing ihr nichts mehr vor dem Gesicht, doch fühlte sie sich nun entblößt und angreifbar. Außerdem empfand sie die Bewegung von links unten als wenig angenehm. Weitaus weniger Kraft konnte in diesen Schlag gelegt werden, doch dies wurde wohl dadurch ausgeglichen, dass kaum jemand mit einem solchen Hieb rechnen würde.
Die letzte Positon, die der Nomade ihr zeigte schien für den Moment völlig unbrauchbar. Sicherlich, mit einem Schild in der Hand wäre sie wohl sinnvoll und anwendbar, doch so, völlig bar?
Nachdem sie die Grundhaltungen durchgekaut hatten, machten sie sich an einfache Schläge. Aus dem Handgelenkt (was mit einer Axt leider nicht kontrollierbar war), mit dem Unterarm, mit Oberarm und Unterarm und Schultergelenk, für maximale Kraft. Die Jägerin nickte. Soweit so gut. Das Wollnashörnchen nickte verstehend und stellte sich auf, damit sie die verschiedenen Kombinationen an Schlägen und Haltungen probieren konnte. Am ausladendsten, aber auch am mächtigsten fühlte sich die Kombination der ersten Haltung an, gepaart mit einem Schlag aus dem gesamten Arm. Ein kraftvoller, unaufhaltsamer Hieb quer nach unten, der vermutlich alles zerlegte, was ihm im Weg war. Doch auch nur aus dem Unterarm, für einen kürzeren Weg, fühlte sich für die Jägerin gut an.
Überraschenderweise sah sie nun auch den Sinn darin, den Arm und die Waffe oben vor dem Gesicht zu halten. Abgesehen vom Schutz, erlaubte es auch einen schnellen Befreiungsschlag, wenn man nur aus dem Unterarm die Kraft zog. Ein voller Schlag, in den sie all ihr Momentum legte, fühlte sich hier jedoch nicht richtig an. Als Vorbereitung, um aus der anderen Richtung zuschlagen zu können vielleicht, doch nicht als einzelnen Hieb.
Von unten auf der anderen Seite verhielt es sich genau umgekehrt. Ein kurzer Hieb würde hier wohl sein Ziel komplett verfehlen. Ein weitere, ausholender jedoch würde wohl fast jeden Gegner überraschen.
Ein paar mal musste Ylva die Haltungen und Schläge durchexerzieren, unter Verbesserungen und Ermahnungen von Maris, der sie dabei stets beobachtete und sie ab und zu aufforderte auf ihre Füße zu achten, die Waffe anders zu halten und das Handgelenk etwas zu drehen, damit die Schneide stets auf den Gegner zeigte. Nach einiger Zeit, die Sonne war bereits untergegangen, winkte die Jägerin ab. Es reichte für heute. Sie konnte kaum noch sehen, was sie da tat und der Geruch von Essen in ihrer Nase half auch nicht.
„Ich glaub ich hab heute schon den Muskelkater.“ stöhnte sie, als sie sich neben Runa niederließ und sich lang hinlegte, die Beine angewinkelt. Die Arme von sich gestreckt lag sie da, ächzte und schnaufte eine Weile, ehe sie wieder zu Atem kam.
„Also, was gibt’s zu Essen, Runa?“ war das erste, das sie fragte, als sie wieder zu Kräften kam.
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Der Kommandant stöhnte als Jacques anfing, in seiner naiven Art unbeholfen ein gutes Wort für die Banditen einzulegen, der junge Soldat schien einfältiger zu sein, als Ulrich bislang glaubte. Hatte er sich wirklich so sehr in dem blonden Jüngling getäuscht?, war der Kerl am Ende nur ein Weichling, der nur davon träumte ein Ritter zu werden, aber gar nicht das Zeug dazu hatte? Oder war Jacques gerade nur etwas verwirrt und wusste nicht mehr was er sagte?, aber das würde die Sache auch nicht besser machen. Fest stand, das Jacques offensichtlich die Lage nicht richtig einschätzen konnte und sich allen Ernstes vor versammelter Mannschaft dazu hinreißen ließ, das Urteil des Kommandanten anzuzweifeln. Normalerweise würde er den Jüngling wegen Meuterei auf der Stelle aus der Truppe entfernen, aber er versuchte sich zu beherrschen. Stattdessen warf er einen Blick in die Runde um die Gesinnung seiner Männer an deren Gesichter abzulesen, die letztlich bestätigten das Jacques mit seinem Ansinnen allein auf weiter Flur stand.
„Wenn mich nicht alles täuscht“ begann Ulrich, „wollten diese Taugenichtse und ihre Kumpanen dir und den anderen Männern kürzlich nach dem Leben trachten. Was glaubst du wohl wie die Sache ausgegangen wäre, wenn sie nicht so grottenschlecht gekämpft hätten?, hm... Ich sage es dir, dann würdest du und die Anderen nicht mehr unter den Lebenden weilen, denn dieser Abschaum kennt keine Gnade. Gib diesem Gottlosen ein Messer in die Hand und dreh ihnen den Rücken zu, sie werden keinen Augenblick zögern dich zu töten, das kannst du gerne ausprobieren, falls du wirklich lebensmüde bist.“ Der Kommandant hielt kurz inne, „es wäre zwar schade um dich, aber immerhin hätten wir dann Gewissheit, das die Burschen nichts weiter als ruchlose Banditen sind. Also wenn du nicht vorhast hier dein vorzeitiges Ende zu finden, lässt du die Sache auf sich beruhen und gehst mir ganz schnell aus den Augen. Und vielleicht solltest du mal ernsthaft über deine Moralvorstellungen nachdenken, da scheint einiges im Argen zu liegen.“
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Küste südwestlich der gespaltenen Jungfrau, südliche Baronie Stewark
Das kleine Feuer war längst heruntergebrannt. Im Osten schoben sich erste zaghafte Ausläufer des Morgengrauens über die Gipfel des Hauptkamms des Weißaugengebirges.
Yared zog die Decken, in die er gehüllt war, nochmals enger um den Körper. Er hatte bereits geschlafen und nun die zweite Nachtwache übernommen.
Am späten Abend waren sie in Südstewark angelandet, nachdem sie in der Abenddämmerung die hoch über dem Meer aufragende Festungsstadt umfahren hatten. Nach dem Aufbruch in den frühen Morgenstunden und einem langen Tag war die Ruhepause mehr als willkommen.
Unweit von ihm schlief Larah selbst äußerlich erkennbar immer noch von Unruhe erfüllt. Yared war froh, dass sie überhaupt Schlaf gefunden hatte. Es wurde sichtlich besser, je näher sie Tooshoo kamen, aber noch waren sie nicht da. Der Paladin vermutete, dass die Waldvölklerin erst dann wirklich Ruhe finden würde, wenn sie sich am Fuß des Riesenbaumes eingefunden hatten.
Yared hatte eine natürliche Abneigung gegen diese Naturgeistspielchen. Auch wenn er die Motive und Ziele des Herrn der Sümpfe nicht kannte, was Garaghs Methoden anging, war er nicht besser als die Ratte. Er respektierte jeden, der sich für ein Leben auf dem Pfad der Göttin entschied. Auf dieses Herumschubsen derjenigen, die sich in ihrem freien Willen der Natur verschrieben, reagierte der ehemalige Waldläufer jedoch allergisch – und er machte sich Sorgen um Larah. Die Fischjägerin konnte auf sich selbst aufpassen, aber niemand war wirklich bereit, es allein mit einem ausgewachsenen Naturgeist aufzunehmen – und Larah war weit weg von ihrer Familie, weit weg von allen, die ihr nahestanden.
Deswegen hatte es für den Kapitän auch außer Frage gestanden, dass er sie nach Tooshoo begleiten würde. Er maßte sich nicht an, sie vor allem beschützen zu können, aber er würde tun, was er konnte, um sie bei dem zu unterstützen, was da auf sie zukam.
Bald würde er sie wecken müssen, damit sie ihre Fahrt die Küste hinab fortsetzten.
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Am Rande des Thorniarer Landes
„Ich …“ Jacques schluckte schwer und lief knallrot an. „Äh, jawohl, Sir. Entschuldigung, Sir …“
Er trat ein paar Schritte zurück und versuchte, die letzten Reste seiner Würde zu bewahren, indem er sich in Pose warf und die Hellebarde fest auf den Boden stellte.
Es fiel ihm schwer, Ulrichs Worte zu akzeptieren, wenn er dieses Rotz und Wasser heulende Häufchen Elend sah, das der junge Bandit war. Wie alt mochte er sein? Siebzehn, achtzehn? Und war er wirklich zu den Wegelagerern gekommen, weil er ein böser Mensch war? Der Krieg hatte das Land verheert, die Spuren waren überall um sie herum sichtbar, viele Menschen hatten ihre Lebensgrundlage verloren und sich aus Verzweiflung nicht anders zu helfen gewusst.
Auf der anderen Seite aber hatte der Kommandant auch recht. Wenn dieser Junge ein besserer Kämpfer gewesen wäre oder sich ihm einfach eine Gelegenheit geboten hätte – er hätte sein schartiges Schwert wahrscheinlich, ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, in Jacques Eingeweiden versenkt. Und vielleicht hatte er das bereits getan, bei anderen, die weniger wehrhaft waren. Was auch immer ihn dazu gebracht hatte: Er war ein Bandit, ein Wegelagerer, ein Räuber, ein Verbrecher.
Jacques‘ legte seine Hand auf den Griff der Keule, die er am Gürtel trug. Die grobschlächtige Waffe, die er Mik abgenommen hatte, einem der wohl verkommensten und niederträchtigsten Menschen, die er sich vorstellen konnte, und die ihn daran erinnern sollte, wofür er kämpfen wollte. Wer wusste schon, was Mik dazu gebracht hatte, so zu werden, wie er war? Aber was zählte das am Ende? Nichts. Mik war, wer er war, und sein Tod war nichts anderes als verdient gewesen.
Nicht anders war es mit den beiden Banditen jetzt. Verlust und Armut hin oder her, es hätte andere Wege gegeben, aber sie hatten sich entschieden, diesen Weg einzuschlagen und mussten jetzt dafür bezahlen. Jacques atmete schwer ein.
„Sei Innos euren Seelen gnädig“, murmelte er.
Die Hinrichtung selbst ging schnell und routiniert von statten, und Jacques zwang sich selsbt, hinzusehen, egal wie sehr er sich abwenden wollte. Jon zog seinen Dolch und ging zu dem Jungen, der von Harras gehalten auf dem Boden kniete, legte ihm die Hand auf den Kopf und sprach ein kurzes Gebet für den Sünder, dann beugte er sich herab und stach zu. Ein einziger, gezielter Stich, mit sicherer Hand geführt, direkt ins Herz. Der Bandit riss kurz die Augen auf, gab noch einen kleinen, winselnden Laut von sich und sackte dann tot zu Boden. Dasselbe Schauspiel wiederholte sich mit dem Bärtigen, und nach kaum einer Minute war die Hinrichtung ganz unzeremoniell über die Bühne gebracht.
Im Anschluss half Jacques den anderen, einen provisorischen Scheiterhaufen zu errichten, und die Toten darauf abzulegen. Er arbeitete schweigend und nachdenklich. Die Schreie der Verwundeten und Sterbenden während des Kampfes gellten noch immer in seinen Ohren, und das Flehen des zum Tode verurteilten Burschen noch viel mehr.
Ob er sich je daran gewöhnen würde?
Immer wieder fuhr seine Hand kurz über den Griff von Miks, von seiner, Keule. Offensichtlich war der Weg, den er zu gehen beschlossen hatte, steiniger und dreckiger als er erwartet hatte. Aber er hatte diesen Weg aus einem guten Grund gewählt.
Und er würde ihn zu Ende gehen!
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Ufer des südlichen Silbersees
Die Sonne lag noch tief hinter den Kämmen des Weißaugengebirges verborgen, als Maris sich aus seinem Nachtlager erhob und von Runa und Ylva entfernte, die – in Ylvas Fall vollkommen ruhig, in Runas Fall von ebenso viel Unruhe erfüllt, wie er sie selbst in seinem Inneren verspürte – immer noch schliefen. Er stapfte durch den Bodennebel des heraufziehenden Tages bis hin zum Ufer des Silbersees. Dort setzte er sich zu Boden und legte seine Hände auf die feuchte und kalte Erde.
Maris spürte die Ströme, er sah den Fluss, das stete Pulsieren der Welt, in der sich alles bewegte und nichts jemals so blieb, wie es war. Und er sah, was er erwartet hatte. Es waren nicht nur Runa und er, die zum Baum gerufen wurden. Wenn man es nicht wusste, übersah man es leicht, doch überall um ihn wurden die magischen Ströme hin nach Tooshoo gelenkt. Der große Baum musste eine unsägliche Menge an Kraft fordern, wenn er so viel Energie aus der Umgebung abzog. Was bei Adanos war nur geschehen? Er war sich sicher, dass Runa und er nicht die einzigen Menschen waren, die dem Ruf folgen würden. Was würde sie wohl erwarten, wenn sie am Fuße von Tooshoo angelangten? Es war kein Hilferuf, da war er sich sicher. Einen solchen hatte er schon einmal gehört, vor langer Zeit, als der Drache die Insel noch in Angst und Schrecken versetzt hatte. Das hier aber war anders. Nur… was war es?
Als er zurückkehrte, weckte er Runa mit einer sanften Berührung aus ihrem aufwühlenden Traum und strich ihr über den Kopf, als sie ihn verwirrt und desorientiert anblinzelte.
„Bald sind wir da, Schatz. Dann können wir hoffentlich wieder Frieden finden.“
Ylva erwachte ebenfalls beim Klang seiner Stimme und schlug gähnend und ächzend vor Schmerz die Augen auf.
„Guten Morgen, Axtschwingerin. Ich hab dir was mitgebracht.“
Er warf ihr einen dicken Ast vor die Füße, gerade so lang wie ihr Unterarm.
„Von nun an bist du Ylva Buchenschild, bis wir einen richtigen Schild für dich auftreiben können. Und da wir mit dem Betreten des Orkwalds warten müssen, bis die Sonne er über das Gebirge geschafft hat, haben wir noch ein wenig Zeit zum Üben. Also schüttel den Muskelkater aus und komm in die Gänge!“
Ohne Frühstück und insgesamt einen reichlich zerstörten Eindruck abgebend stand die Nordfrau kurz darauf vor Maris und sah sich erneut seiner erhobenen Klinge gegenüber.
„Vielleicht hast du gestern Abend gemerkt, dass einige der Positionen sich gar nicht gut anfühlen mit der Axt. Du wirst sehen, dass das ganz anders ist, wenn du durch einen Schild geschützt bist. Wir machen also nochmal das Gleiche wie gestern, aber diesmal manövrierst du deine Axt um den Schild herum.“
Er griff die Scheide seiner Falcata und hielt sie am ausgestreckten Arm vor sich.
„Falls du später mal nicht gerade einen wahnsinnig unhandlichen Turmschild mit dir herumschleppen willst – und das willst du sicher nicht – ist nicht nur der Schild selbst deine Verteidigung, sondern auch der Angriffswinkel, den er abdeckt. Deshalb streckst du den Schild vor deinen Körper. Und jetzt probier mal, die Haltungen und Hiebe von gestern um deinen Buchenschild herum. Frühstück gibt’s, sobald ich zufrieden bin. Und dann machen wir uns auf zum unangenehmen Teil der Reise.“
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Gestüt am Rande des Thorniarer Territoriums
Agnes und Hedwig schienen das unfreiwillige Abenteuer gut überstanden zu haben, zumindest machten die Töchter des Reiterhofes nicht den Eindruck als würde sie das irgendwie belasten. Vermutlich half den jungen Frauen die Tatsache, das es tatsächlich gelungen war 4 Pferde wieder in den Besitz der Familie zu bringen, über manch schreckliches Erlebnis hinweg. Und auch den Pferden ging es wohl gut, die Tiere waren unverletzt und zeigten keine Anzeichen von Verstörung, das sagten jedenfalls Agnes und Hedwig. Dem Anschein nach musste das wohl stimmen, die Pferde liefen, nur locker an einem Seil geführt, den jungen Frauen treu und brav hinterher, also sollte alles in bester Ordnung sein. Nebenbei fiel Ulrich auf, das er überhaupt keine Ahnung von Pferden hatte, es hatte sich in Vergangenheit einfach nie ergeben sich näher mit diesen nützlichen Tieren zu beschäftigen. Es gab sicherlich schlimmeres als sich nicht mit Pferden auszukennen, hakte Ulrich den Gedanken vorerst ab, es gab noch genügend andere Dinge um die er sich einen Kopf machen konnte.
Der Erkundungstrupp wurde auf dem Reiterhof schon mit Spannung erwartet, scheinbar hatte Luthger von einem Baum aus die Gegend beobachtet und die Anderen auf dem Hof informiert. Martha strahlte als sie ihre Töchter und die Pferde wohlauf sah, ihr fiel sichtlich ein großer Stein vom Herzen. „Vielen Dank werter Herr..., wir stehen Alle tief in eurer Schuld“ sagte die Gutsherrin und verbeugte sich demütig, „papperlapapp, ihr seid uns gar nichts schuldig“ versuchte Ulrich die leichte Anspannung zu lockern, „wir helfen gern.“ Martha schenkte dem Kommandanten ein dankbares Lächeln, “dürfen wir uns denn mit einer guten Mahlzeit erkenntlich zeigen?“, Ulrich musste kurz lachen, „ja Weib, ich bitte sogar darum.“
Nachdem sich das Begrüßungskomitee aufgelöst hatte winkte der Kommandant Cenfar zu sich heran, Ulrich war neugierig wie die Arbeiten am Stall bislang verliefen. „Es sieht schlechter aus, als Anfangs vermutet“ begann der Nordmann, „der Baum ist kein Problem, den kriegen wir schon klein, aber der Stall ist ein Problem, der hat bei dem Unwetter arg gelitten. Es sind einige tragende Balken gebrochen, die müssen erneuert werden. Die Scharniere der Tore sind ziemlich ramponiert, auch die müssen ersetzt werden, ebenso einige Bretter der Wände, die taugen nur noch als Feuerholz. Mit dem Zeug das es hier auf dem Hof gibt, können wir die Schäden nicht beseitigen, das ist das Dilemma, ohne richtiges Material kein Wiederaufbau des Stalls. Und ob die Nägel reichen ist auch noch sehr fraglich, das ist die Lage“, schloss Cenfar seinen ernüchternden Bericht ab.
„Verstehe“ brummte der Kommandant, der gleich anfing nach Lösungen zu suchen, er kam schnell auf den Gedanken Balken und Bretter in Thorniara zu besorgen. Aber Beschläge für die Tore?, so was musste von einem Schmied extra hergestellt werden?, aber auf gut Glück eine Bestellung aufgeben war wenig sinnig, so der Gedanke von Ulrich. Am Besten wäre es wohl wenn sich ein Schmied die Sache vor Ort ansieht, das ergab Sinn, langsam reifte ein Plan heran. Einfach mit allen Männern in die Stadt gehen um das Zeug zu besorgen und einen Schmied anzuheuern, würde allerdings einiges an Zeit kosten. Zeit die sie dann vielleicht nicht mehr hätten um nach den anderen Pferden zu suchen. Es war jetzt schon sehr optimistisch davon auszugehen, das man die Tiere noch wiederfinden würde, aber es musste versucht werden. Das war also keine Option, nach weiteren Überlegungen hatte Ulrich endlich eine Lösung.
Der Kommandant marschierte zu Martha und bat um Erlaubnis Agnes oder Hedwig in die Stadt zu schicken, die Gutsherrin willigte ein. Mit Hedwig im Schlepp ging Ulrich dann zu Calan, „du hast den Lagebericht von Cenfar gehört, Hedwig wird dich nach Thorniara begleiten. Deine Aufgabe ist es das benötigte Material und einen Schmied aufzutreiben, lass dir von Cenfar eine Liste geben. Du kannst bei den Händlern mit meinem Namen bürgen, ich bin kein Unbekannter in der Stadt, ich werde mich später um die Bezahlung kümmern. Und passt auf die Pferde auf, ich würde sie ungern nochmal suchen müssen, viel Erfolg..., für Innos Kamerad.“
Geändert von Sir Ulrich (25.11.2023 um 14:05 Uhr)
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Noch immer mit vom Schlaf verklebten Augen und einem Gähnen im Gesicht rappelte sich die Jägerin auf, blinzelte ein paar mal und blickte in Maris’ Gesicht. Der Nomade schien putzmunter und war wohl schon eine Weile wach, denn er war bereits in der Gegend umtriebig gewesen, um einen Ast zu finden. Einen Ast, den er ihr jetzt zur Begrüßung vor die Füße warf. Und vermutlich lag es an der Müdigkeit, dass sie verstand, dass sie ihn als Schild nutzen sollte. Es musste die Müdigkeit sein. Müde machte ja bekannterweise albern. Wie der Vorschlag.
Kurze Zeit später stand sie mit einem Ast in der Hand dem Nomaden gegenüber. Ihre Haare waren noch immer die unbändige, verstrubbelte Masse, mit der sie aufgewacht war und hing ihr nervig im Gesicht. Mit einem Grummeln versuchte sie sich freie Sicht zu verschaffen, damit ihr nichts vor den Augen hing, wenn sie mit der Axt hantieren sollte.
„Ich bin ja keine Expertin, aber ich glaube, Schilde sehen anders aus“ murrte sie noch immer genervt, dass sie geweckt wurde. Trotzdem musste sie zugeben, dass Ylva Buchenschild einen gewissen Wohlklang hatte. Auch wenn ihr der Name irgendwie bekannt vorkam…
Obwohl sie grummelte und murrte und über die Ungerechtigkeit der Welt schimpfte, tat sie wie Maris ihr geheißen hatte. Mit dem Ast als Faksimile eines Schildes in ihrer linken Hand (er hatte einen nützlichen Knubbel, an dem man ihn gut halten konnte) rief sie sich die Lektionen der vergangenen Tage ins Gedächtnis. Die Stellung der Beine, das Halten der Waffe, die vier Grundstellungen.
Nach einer Korrektur des Nomaden befand sie sich wieder in der ersten gezeigten Haltung, die Axt erhoben. Intuitiv und mit ein wenig gesunden Menschenverstand drehte sie den Körper nun ein wenig ein und hielt den Schild… pardon: den Ast vor sich. Wäre es ein guter Nordmarer Rundschild würde sie ihren Oberkörper gut abdecken und schützen.
In der zweiten Stellung konnte sie nun noch mehr ihres Körpers hinter der Deckung halten, während es ihr bei der Dritten schwer fiel, sich nicht selbst in die Quere zu kommen.
Einen enormen Unterschied konnte sie jedoch bei der letzten Grundhaltung sehen. Während sie ohne Ast völlig entblößt war, ergaben sich nun neue Möglichkeiten. Ein weit ausholender Schlag, ohne die eigene Deckung aufzugeben, eine Kombination aus Defensive und Offensive.
Ylva begann zu Grinsen, als sie verstand, wie sich die Technik zusammenfügten.
„Ganz gut, was?“ meinte sie zufrieden mit sich selbst zu Maris, der sie in der Zeit beobachtet hatte. Vermutlich hatte er wieder Verbesserungsvorschläge, doch von denen würde sie sich heute nicht den Wind aus den Segeln nehmen lassen.
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Ufer des südlichen Silbersees
In der Tat, das war schon ganz gut. Natürlich fiel es Ylva noch schwer, die beiden Objekte in ihren Händen so zu koordinieren, dass die Bewegungen flüssig waren und sie sich nicht selbst in die Quere geriet, aber den Dreh würde sie mit der Zeit schon noch herausfinden.
"Ja, Schilde sehen anders aus, aber in der Not kann dir alles hilfreich sein, das sich zwischen dich und die Waffe des Gegners bringen lässt. Denn manchmal reicht es schon, die Klinge von ihrer Bahn abzubringen oder den Hieb ein wenig zu verzögern und dadurch eine Öffnung in der Deckung des Gegners zu erzeugen. Wenn wir an unserem Ziel angelangen, sollten wir freilich zusehen, dass wir einen richtigen Schild für dich auftreiben."
Maris klopfte auf seinen freien Arm und hielt ihn ausgestreckt vor sich, um Ylva zu bedeuten, dass sie den Ast heben sollte.
"Gut. Daran arbeiten wir noch weiter, aber jetzt schauen wir uns mal den Gegenpart dazu an. Die Verteidigung ist noch wichtiger als der Angriff, denn sie hält dich am Leben. Den wichtigsten Aspekt der Verteidigung hast du in deinen Ohrfeigenkämpfen schon kennengelernt: Beinarbeit und das Abschätzen des Abstands zu deinem Gegner. Idealerweise bleibst du immer genau so weit auf Abstand, dass du nicht direkt getroffen werden kannst - also außer Schlagweite - aber so nah, dass du mit einem Ausfallschritt zuschlagen kannst, wenn sich die Gelegenheit bietet. Was aber, wenn der Gegner den Abstand zwischen euch überbrückt und in den Nahkampf geht? Dann musst du reagieren und den Angriff abwehren. Auch hier hilft dir die Beinarbeit. Begib dich aus der Angriffslinie durch einen Seitwärtsschritt, oder setze zurück durch schnelle, kleine Schritte. Und gleichzeitig schließt du die Linie der gegnerischen Waffe entweder mit deinem Schild, oder mit deiner Axt."
Ohne Vorwarnung ließ Maris seine Waffe zunächst nach hinten schnellen und dann in einer Kreisbewegung über seinen Kopf herabschnellen. Ylva hob instinktiv den Ast und wehrte den nur allzu offensichtlichen Angriff ab. Der Klingenrücken der Falcata ruhte noch auf dem improvisierten Schild. Maris grinste. Er hatte die Waffe absichtlich falsch herum gehalten, um ihr im Zweifel höchstens eine Mordsbeule zu verpassen und nichts Schlimmeres.
"Gut. So einfach wird es dir im Kampf natürlich keiner machen, aber nutze deine Reflexe und Instinkte. Ein Reflex lässt dich schneller reagieren als eine überlegte Handlung. Beim nächsten Mal aber versuch, den Schlag nicht frontal abzuwehren. Das ist höllisch unangenehm für deinen Arm und bringt dich nicht weiter. Stattdessen solltest du die gegnerische Waffe in die Richtung lenken, die am ungefährlichsten für dich ist und die Deckung des Gegners öffnet."
Er bewegte seinen ausgestreckten Arm an Ylva vorbei auf ihre rechte Seite und zeigte mit der freien Hand auf seine durch die Bewegung nun völlig entblößte Seite.
"Alles frei. Keine Chance zur Abwehr, wenn du hier eine Waffe hinbekommst."
Maris ließ die Falcata sinken und stellte sich wieder locker vor Ylva auf.
"Wir gehen noch einmal die Grundhaltungen durch, zuerst einmal ohne Schild und danach mit. Ich werde dich in allen Haltungen erst einmal ganz langsam mit Schlägen von verschiedenen Seiten auf verschiedene Teile deines Körpers angreifen und du bewegst dich ebenso langsam, um die Schläge abzuwehren. Dann werden wir nach und nach immer schneller. Und danach gibt es Frühstück - in Ordnung, Runa?"
Er sah zu seiner Tochter hinüber, die bleich und zerstrubbelt und in ihre Decke gehüllt neben der Ausrüstung saß und ihnen zusah. Sie nickte und machte sich an die Arbeit, ihnen etwas herzurichten. Maris wandte sich wieder Ylva zu.
"Acht ja, und achte bei der Abwehr mit der Axt darauf, dass deine Finger ungeschützt sind. Wir wollen doch keine Knochenbrüche riskieren, bevor wir uns in den Orkwald aufmachen. Na dann: los geht's!"
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