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„Nur zu. Die Welt ist fortgeschritten genug, dass auch Damen Eures Standes mit anpacken können.“
Curt machte es sich auf einem umgestürzten Baumstamm gemütlich und schlug die Beine übereinander. Was hatte er da nur vor sich? Diese Frau dachte nicht weiter als ihre dünnen Haarsträhnen reichten. Sie wollte kein Wasser holen, obwohl sie sich in einem Tal befanden. Einem Tal! Nicht einmal die Grundlagen der Orografie verstand diese arme Seele. Natürlich gab es hier Wasserstellen irgendwohin musste das Wasser schließlich landen, wenn es der Schwerkraft die Hänge der umliegenden Berge herab folgte. Felia war einfach nur zu faul - oder anders ausgedrückt - ihr Körper folgte ebenfalls der Schwerkraft.
Er fuhr sich durchs Haar und bemerkte tatsächlich eine lichte Stelle. Die war ihm neu, aber eine Erklärung dafür war schnell gefunden.
„Es ist Euch also aufgefallen“, meinte er, als Felia Stöckchen stapelte. „Die Stelle an meinem Kopf, an der Innos mich wachküsste. Ja, ich bin wirklich gesegnet.“
Er öffnete die Tasche, die sie ihm in die Hand gedrückt hatte und wühlte darin herum. Vor allem Klamotten. Wollte sie daraus ihr Zelt bauen?
Endlich fand er die Wasserflasche am Boden der Tasche und ließ Rüdiger davon trinken.
„Und Ihr …? Habt Ihr die letzten Jahre irgendwie sinnvoll nutzen können? Seid Ihr auch schon … gesegnet worden?“
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»Ihr meint abgesehen von meinem bezaubernden Äußeren und einer Stimme von solcher Schönheit, dass selbst unser Herr Innos höchstselbst meinem Gesang lauschen wollen würde?« Sie hob eine Augenbraue. Kein bissiger Kommentar? Fein. Es war ohnehin müßig, sich mit Curt zu streiten. Ihren magischen Studien würde das genauso weiterhelfen wie ihrem Fortschritt im Orden. »Die letzten Jahre waren... anstrengend.«, gestand sie. Ihr Bruder. Gabriel. Meister Lopadas. Der Bärtige hatte den Finger auf die Wunde gelegt. Sie war noch immer exakt da, wo sie damals gestanden hatte. Sicher - sie war bei Weitem nicht die einzige, deren Leben sich kaum merklich verändert hatte. Aber wenn sie so auf die Zeit zurückblickte, kam es ihr so vor, als sei sie das vergangene Jahrzehnt einfach... abwesend gewesen. Als habe sie nichts getan und die Jahre seien nur so an ihr vorbeigeflogen. Hatte sie die letzten Jahre etwa auch verschlafen?
»So fortgeschritten ist die Welt nämlich tatsächlich nicht. Im Orden gibt es noch immer Menschen, die das Vorankommen einer Frau nicht akzeptieren möchten.«, berichtete sie knapp und entzündete das Feuer, indem sie eine Flamme an der Spitze ihres Zeigefingers entstehen ließ. Es war nicht ganz so gut wie das Lagerfeuer, das einer von Ulrichs Kameraden aufgebaut hätte, aber es reichte alle Male.
Sie nahm dem Mann den Rucksack wieder ab, der für ihren Geschmack etwas zu lange in ihrer Wechselwäsche rumwühlte. Wortlos setzte sie sich darauf und blickte über den Feuerschein zu dem Novizen.
»Aber ich bin doch ein wenig neugierig. Zehn Jahre... Schlaf?« Sie besah sich den Bruder ihres Ordens. Er wirkte ein wenig hagerer, als sie ihn in Erinnerung hatte, das Haar war in der Tat etwas lichter und ab und zu verirrte sich ein leichter Grauschimmer in sein sonst so dunkles Haar. Aber abgesehen davon sah er erstaunlich frisch aus für jemanden, der das letzte Jahrzehnt im wahrsten Sinne des Wortes verschlafen hatte. »Das ist höchst ungewöhnlich.«, stellte sie fachmännisch fest. »Wie kam es dazu? Und - verzeiht die Frage - aber wieso seid ihr noch hier und nicht längst ins Reich Innos' eingekehrt?«
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Es schien ein wenig so, als hätte Felia ihre Streitlust direkt mit ihrer Magie ins Lagerfeuer befördert. Vielleicht war sie auch einfach ausgebrannt. Curt ging es ja ähnlich, er hatte lange nicht mehr so viel Wut im Bauch wie vor seinem Erwachen. War das etwa schon Altersmilde?
„Ich habe eine Theorie, warum ich in diesem … Zustand war, mehrere sogar“, antwortete er ruhig und blickte ins Feuer. „Es könnte sich um einen magischen Grund handeln oder sogar um einen göttlichen. Innos könnte gewollt haben, dass ich diese schreckliche Zeit von Drachen und Echsen nicht erlebe. Vielleicht wollte er mich schützen.“
Curt kramte in seinem eigenen Gepäck nach seiner Trinkflasche und nahm einen tiefen Schluck daraus. Dann blickte er kurz zu dem Esel, der sich an Felias Reserven sattgetrunken hatte.
„Hier, falls du Durst hast.“ Er reichte ihr seine eigene Flasche und fuhr fort: „Man hat sich in der Zeit gut um mich gekümmert. Ich war wohl … nicht mal völlig im Schlaf versunken, sondern habe gelegentlich geschlafwandelt und Nahrung zu mir genommen. Das muss seltsam gewesen sein. Wer weiß, welche Küchenreste man an mich verfüttert hat.“
Er winkte ab.
„Egal, ich will mir gar nicht so viele Gedanken darüber machen. An der Vergangenheit können wir nichts ändern, aber was noch kommen wird, liegt in unseren Händen. Diejenigen, die nur in der Vergangenheit leben, sind auch die, die dich zurückhalten wollen. Das darfst du dir nicht gefallen lassen. Wir haben es immer noch in der Hand, veraltete Zustände in der Kirche aufzuräumen. Dafür müssen wir uns aber doppelt so sehr anstrengen wie alle anderen, denn Bequemlichkeit ist eine der größten Sünden der Menschheit und das größte Hindernis für jeden Fortschritt.“
Apropos bequemlich. Wo war eigentlich Meister Neoras abgeblieben? Curt wusste ja, dass auch die Geschäfte im Alter langsamer abliefen, aber allmählich war er doch schon ziemlich lange weg.
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Mit ein wenig Ruhe ließ es sich gleich viel besser denken. Neoras lehnte an einen Baum und sog die kühle Nachtluft ein. Schon lange hatte er sich nicht um Novizen kümmern müssen. Besonders um solch streitbare. Der Alchemist war schon drauf und dran, zumindest Felia wieder zurückzuschicken. Schließlich war er kein Lehrmeister der Magie. Doch je mehr Neoras darüber nachdachte, desto weniger gefiel ihm diese Idee.
Wer auch immer dieser Gabriel war, offenbar hatte er die Novizin auf dem Kieker und wollte ihr durch seinen absurden Vorschlag eins auswischen. Diese Rechnung sollte nicht aufgehen. Als Gabriel sich dazu entschieden hatte, einen Feuermagier als Werkzeug in seinen niederen Plan zu involvieren, hatte er einen fatalen Fehler begangen. Neoras ging davon aus, dass der Primus nur darauf wartete, dass Felia unverrichteter Dinge zu ihm zurückkehrte.
»Novizen!«, sprach der Feuermagier, als er zum Lager zurückkehrte. »Ich will ganz offen sein. Ein Lehrmeister für Magie bin ich nicht, aber ich werde auch nicht den Intrigen eines Novizen anheim fallen. Deshalb werde ich dir, Felia, so gut es geht helfen und später ein gutes Wort bei einem richtigen Lehrmeister für dich einlegen. Das ist hoffentlich in deinem Sinne.«
Françoise
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Curts Worte trafen einen wunden Punkt. Und sie war noch immer tief in Gedanken versunken, als Meister Neoras schließlich nach seinem Ruf zur Natur aus dem Unterholz zurückkehrte und zu sprechen ansetzte.
»Nur zu gern Meister Neoras, ich danke euch vielmals!« Die Worte des Magiers hatten ihr Trübsal schnell beiseite gefegt. Sie konnte ein ehrliches Lächeln nicht mehr zurückhalten. Nicht nur, dass sie tatsächlich wieder von einem Feuermagier in der Kunst der Magie unterrichtet werden würde, nein, ganz offensichtlich war dieser auch noch durchaus angefressen von der Tatsache von Gabriels Verhalten. Sie hätte vor Freude laut kreischen und entzückt in die Hände schlagen können.
Ich habe dir doch versprochen, dass das noch ein Nachspiel haben wird, du kleiner, unwichtiges Männchen! Triumphierend ließ sie den Blick in die Richtung streifen, in der Sie Thorniara vermutete.
Nicht dass es noch irgendetwas anderes benötigt hätte, um ihre Laune in höchste Höhen zu heben, aber schließlich bot der Feuermagier auch noch an, ein gutes Wort bei einem anderen hochrangigen Mitglied des Ordens für sei einzulegen? Sie begutachtete sicherheitshalber schon einmal Neoras' Robe - denn allem Anschein nach würde sie schon bald ebenfalls eine solche tragen.
Gerade wollte sie mit einem gewitzten Spruch den Novizen darauf aufmerksam machen, dass Innos anscheinend auch sie gesegnet hatte, als sie einen Blick auf dem Gesicht des Bärtigen erblickte, den sie nicht so recht deuten konnte. Sie schluckte ihre Bemerkung herunter.
Was geschah mit ihr? Empfand sie gerade so etwas wie... Mitgefühl für diesen ungehobelten Waldschrat? Sicher - sie war ihm gegenüber etwas sanftmütiger geworden, um seinen fragilen Geist und seinen geschundenen Körper nicht zu überanstrengen. Aber diese... Schwere in ihrem Bauch. Das gefiel ihr ganz und gar nicht.
»Verzeiht, wenn ich mir anmaße euch um noch einen Gefallen zu bitten, Meister.« Sie schloss die Augen, so als könne sie sich selbst vor dem schützen, was sie gerade vor hatte. »Aber es erscheint mir sinnvoll, wenn ich einen...« Sie atmete tief ein. »Trainingspartner an der Seite hätte.« Sie blickte zu Curt.
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War Felias Blick gerade auf den Esel gerichtet? Trainingspartner Rüdiger, auf einem gemeinsamen Level die Kniffe der Magie lernen? Nein, das konnte sie nicht ernst meinen. Sie meinte eindeutig ihn - Curt. Wollte sie sich mit ihm messen? Wollte sie ihm etwa den Rang ablaufen? Das soll sie gern mal versuchen!
„Also ich … mhmh.“ Curt musste husten, als hätte er einen Kloß im Hals. „Solange wir dabei unser primäres Ziel nicht aus den Augen verlieren, habe ich wohl nichts dagegen, Meister Neoras bei deiner Ausbildung unter die Arme zu greifen. Sicherlich kann auch ich dabei noch den ein oder anderen Kniff lernen.“
Er rieb sich die Augen, er hatte wohl zu lange ins Feuer gestarrt.
„Ich schlage vor, wir beginnen eine Stunde vor Sonnenaufgang. Für Meister Neoras und mich selbst habe ich bereits ein paar Morgenrituale zur Gesundung von Muskeln und Gelenken entworfen. Daran solltest du auch teilnehmen. Die Bewegungen befreien den Kopf von negativen Gedanken und unterstützt das Fließen der magischen Säfte.“
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Magische was genau? Sie verzog angewidert das Gesicht.
Da hatte man es ja mal wieder. Da erbarmte sie sich in ihrer grenzenlosen Großzügigkeit dazu, einem armen, benachteiligten Mann eine Chance auf eine vernünftige, magische Ausbildung zu ermöglichen und der dankte es mit unsittlichen Bemerkungen über irgendwelche Säfte - ob nun magisch oder körperlich war dabei unerheblich - und verkaufte es schlussendlich so, als sei er der große Gönner.
Das schwere Gefühl in ihrem Magen hatte sich somit auch wieder erledigt. Aber der Schaden war angerichtet. Sie hatte mit ihrer Großherzigkeit und ihrem schien unendlichen Mitgefühl dem Unhold einen Gefallen tun wollen und war dafür bestraft worden. Das würde ihr definitiv eine Lehre sein.
»Ich schlage vor, dass wir Meister Neoras darüber entscheiden lassen, wann wir beginnen - immerhin obliegt ihm dieses Recht als ranghöchstes Mitglied unserer illustren Runde.« Dieser Curt riss für ihren Geschmack zu oft die Zügel an sich. Und sehr zu ihrem Leidwesen nicht unbedingt die Zügel des Esels, so wie es sich für ihn gehörte.
»Bruder Curt, ihr seid doch ein selbst erklärter Mann so vieler Talente. Ich hoffe, dass das Kochen ebenfalls darunter fällt?«
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„Aber selbstverständlich“, erwiderte Curt mit einem feinen Lächeln. Er wusste, dass sie ihn nur dazu bringen wollte, ihr etwas zu Essen zu kochen. Doch wenn sich so eine gute Gelegenheit ergab, ein paar Pluspunkte bei Meister Neoras zu sammeln, dann würde er sie beim Schopfe packen. Zum Glück war Rüdiger mit einigen wertvollen Utensilien ausgerüstet, darunter eine kleine Pfanne, Besteck für zwei Personen und sogar zwei Schneidebrettchen. Die Menge an mitgebrachtem Proviant war nicht üppig, aber zumindest recht vielfältig. Er legte sich ein paar Möhren zurecht, eine Zwiebel, etwas Schafswurst und -käse, sowie das dunkle Roggenbrot.
„Wir können eine rustikale Schafswurst-Pfanne mit Röstbrot machen“, schlug er vor und rieb sich die Hände. „Das ist eine schöne Gruppenarbeit. Möhren und Zwiebeln müssen klein geschnitten werden, Wurst und Käse können ein bisschen gröber sein. Alles zusammen in die Pfanne bei etwa einhundertachtzig … also etwa eine Handbreit über der Glut gehalten. Die Brotscheiben auf ein paar Holzspießen rösten und falls jemand geeignete Kräuter dabeihat, können wir dem Ganzen noch eine angenehmere Würze verleihen.
Curt reichte Felia ein Schneidebrett und ein Messer.
„Möhren oder Zwiebeln, was darf’s sein?“
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»Zwiebeln, glasig angebraten, bitte.«, erwiderte Neoras und spürte das Grummeln in seinem Magen bei der Erwähnung des baldigen Essens. Er war froh darüber, dass sich die beiden Novizen in seiner kurzen Abwesenheit offenbar vertragen hatten. Es ziemte sich nicht für Anhänger ihres Ordens, sich untereinander zu streiten, und es war gut, dass er kein Machtwort sprechen musste.
Was er über Felias Bitte dachte, wusste Neoras nicht auf Anhieb. Letztlich kam er aber zu dem Schluss, dass es auf das gleiche hinaus käme, ob er nun einen oder zwei Novizen unterrichtete.
»Wir beginnen morgen Vormittag.«, sagte der Feuermagier. Er war kein Morgenmensch und auch wenn er hier auf dem Boden schlafen musste, würde er gewiss so viel Schlaf bekommen wie er wollte.
»Natürlich müsst ihr euch Gedanken machen, welche Zauber ihr denn lernen wollte. Nicht alle werde ich euch beibringen können, aber den ein oder anderen kenne ich dennoch.«
Françoise
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Am Rande des Bluttals
Es war in gewisser Weise befreiend, alleine loszuziehen. Hier draußen konnte er den einengenden Turban ablegen, und ohne Begleitung kam er weitaus schneller voran als mit Johanna an seiner Seite. Mit orkischer Ausdauer und einem energiesparenden Laufstil würde er es schnell bis an die Berghänge nördlich der Silberseeburg geschafft haben, von denen er wusste, dass eine dortige Verwerfung ausgezeichneten Porphyr ans Tageslicht befördert hatte. Andererseits spürte er, wie er mit jedem Schritt etwas hinter sich zurückließ. Etwas, was er zuvor viel zu lange nicht mehr gefühlt hatte. Gesellschaft. Kameradschaft. Gegenseitige Zuneigung. Wann war er vor Johanna zuletzt mit einem Freund an seiner Seite umhergezogen? Rudra konnte sich nicht erinnern. Selbst die gemeinsame Zeit mit seinem Bruder Khara mochte er nicht als Streifzüge in Freundschaft betrachten, wenn man bedachte, wie missbilligend sich die beiden in gewissen Punkten gegenüberstanden. Nein, er musste in seinen Erinnerungen so weit zurückgehen, dass der passende Augenblick noch vor dem Nebel der magischen Tätowierung liegen musste. Waren es die Jagden der Urkma gewesen, um die Teile des Ulu-Mulu zusammenzutragen? Diese Zeiten waren schon so lange vergangen, dass sie mehr Legende als Wirklichkeit waren.
Nein, diese junge Menschenfrau hatte ihm etwas gegeben, was er in diesem Leben nicht mehr zu erhalten gehofft hätte. Und deshalb tat er all das: aus Dankbarkeit für die unvoreingenommene Freundschaft, die sie ihm schenkte. Und er tat es, weil ihr Blick auf die Welt nicht verschleiert war von Zweifeln, Zauderei und immerzu im Kreis laufenden Denkschleifen, die einen blind machen konnten für das, was man mit Wagemut und Zuversicht erreichen konnte. Er war ihr dankbar für diese andere Perspektive, und er schätzte ihre Vorschläge für die Möglichkeiten, die sie eröffnen konnten. Als ob Rudra nach eingehenden Überlegungen ernsthaft in Erwägung gezogen hätte, in Verkleidung nach Stewark zu gehen und nach Arbeit zu suchen!
Das offene Stewarker Land blieb hinter ihm zurück und wurde abgelöst von den Wäldern des Bluttals. Die ersten Gesteinsformationen drängten sich auch hier bereits aus dem Boden, doch die guten Gesteinsvorkommen hatte er bislang alle weiter im Osten, an den Hängen des Weißaugengebirges, gefunden.
Der Weg war abfallend und bot eine gute Sicht durch die Lücken in den Baumkronen auf das Bluttal. Rudra verlangsamte sein Tempo, als er einen rötlichen Farbklecks auf dem unter ihm liegenden Abschnitt des Pfades entdeckte. Ein anderer Reisender, mit Sicherheit ein Mensch. Er ließ den Rucksack mit seiner Ausrüstung von den Schultern rutschen und holte seinen Turban hervor. Wer auch immer dort lief, sollte lieber davon ausgehen, es mit einem Menschen zu tun zu haben, so fremdartig er auch sein mochte.
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Mit einem Schnaufen lies Syrias den schweren Sack von seiner Schulter gleiten. Mit einem dumpfen Klang landete dieser auf dem einfachen Weg, die Erzbrocken darin klapperten leise als sie sich neu stapelten. Während er sich den Schweiß von der Stirn wischte, drehte er sich zu seinem Begleiter um. Na-Cron sah genau so verschwitzt aus die der frühere Söldner.
"Beim nächsten Mal nehmen wir nen Karren mit. Die Schlepperei ist scheiße." Murrte Syrias. Na-Cron konnte nur müde nicken, während auch er seinen Sack zu Boden gleiten lies.
Die beiden Männer hatten sich dazu entschieden, dass jeder von ihnen nur einen Sack mit sich trug, den Rest des geschürften Erzes hatten sie zurück lassen müssen. Aber Syrias hatte darauf bestanden, dass sie es versteckten, schließlich wollte er nicht, dass irgendein Fremder sich an den Früchten ihrer Arbeit gütlich tun würde. Deshalb hatten sie den Rest vergraben.
"Was ich dich noch fragen wollte..." Syrias zögerte einen Moment, bevor er fortfuhr. "Ich würd gern meinen Anteil nicht verkaufen. Das ist gutes Erz, da würde ich mir gern ein ordentliches Schwert draus schmieden. Aber wir sind beide aufs Gold angewiesen, dass weiß ich." Der frühere - und hoffentlich bald wieder - Waffenschmied in Syrias hatte erkannt, dass er mit dem geschürften Eisen und einer ordentlichen Schmiede sich etwas brauchbares schmieden konnte. Nur bräuchte er dafür das Einverständnis des Schürfers, hatte er beschlossen. Schließlich steckten ihrer beiden kompletten Ersparnisse darin.
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Na-Cron war dankbar über die kurze Pause, welche Syrias eingelegt hatte. Er hatte vergessen, wie anstrengend es war, wenn man das Erz in einem Sack durch die Gegend schleppen musste. Seine Familie hatte damals immer einen Karren mitgenommen, damit sie alles geschürfte Erz von ihrer Mine zurück zu ihr Heim transportieren konnten.
Auch fand er es ärgerlich, dass sie den Rest hatten zurück lassen müssen. Aber, wie Syrias eben wieder impliziert hatte, sie konnten eben nur jeder einen Sack schleppen. Sonst wären die beiden jeden Tag nur ein paar Kilometer weit gekommen. Und dafür würden ihre Vorräte nicht mehr reichen.
Aber, und das war das wichtigste, wenn sie zurück kämen und das restliche Erz - welches sie dank Syrias versteckt hatten - holen würden, dann hätten die beiden Männer genug zusammen, um eine ordentliche Summe Gold zu erhalten.
Doch Syrias Wunsch, etwas von dem Erz zurück zu halten und selbst zu verwenden, das überraschte den Schürfer. Auch wenn Syrias theoretisch mit seinem Teil machen konnte, was er wollte, sie hatten sich zu Beginn darauf geeinigt alles Erz zu verkaufen. Und jetzt gleich zu Beginn eine so große Menge zurück zu halten und nicht zu veräußern, dass würde schon etwas weh tun. Na-Cron hatte eine andere Idee.
"Lass uns das so machen: Wir verkaufen jetzt diese beiden Säcke. Dann leihen wir uns einen Karren, holen den Rest und dann veräußern wir alles bis auf das, was du brauchst für dein Schwert. Das wäre auf jeden Fall sinnvoller als direkt einen der Säcke zurück zu halten. Sonst werden wir uns noch tot schleppen."
Syrias schien für einen Moment zu zögern, bevor er mit einem kurzen Nicken Na-Crons Vorschlag zustimmte.
Etwas erleichtert hob Na-Cron seinen Erzsack wieder an und warf ihn sich über die andere Schulter. Sein Begleiter tat es ihm gleich. Und während die beiden Männer ihre Beute weiter Richtung Stewark schleppten, hoffte Na-Cron insgeheim, dass er am Ende immer noch genug übrig hätte um sich eine Ziege zu kaufen. Schließlich würde er diese brauchen.
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Bluttal - Westlicher Abhang
Zerlumpt und zerschlissen hing die einst strahlende Robe der Feuermagier an seinem Leib. Wie sehr doch diese Aufmachung sein Innerstes nach außen kehrte! Denn zerlumpt und zerrissen war er selbst. Wie lange war er schon unterwegs hier draußen, fern aller Zivilisation? Er hatte längst aufgehört, die Tage zu zählen, die Monde zu zählen, die Jahre zu zählen.
Alles war zerstört und vergangen. Das Mädchen, das er aufgenommen und behütet hatte wie seine Tochter, war fort. Ein Funke tröstlicher Wärme glomm auf, wenn er an das kleine Mädchen dachte, das mit Innos‘ Willen die Pest von Thorniara besiegt hatte. Die heilige Johanna! Doch die Heilige war gefallen, trotz der Obhut durch den eifrigsten aller Diener des Herrn. Vicktar hatte versagt. Und nachdem er ihr Zerwürfnis und Johannas Fall in die Sündhaftigkeit nicht hatte verhindern können, war sie zu allem Überfluss auch noch geflohen! Nicht ein einziges Lebenszeichen seiner Ziehtochter hatte er in all der Zeit ausmachen können, nicht einen einzigen Hinweis darauf gefunden, wohin sie gegangen sein konnte. Er war überall gewesen – in den Tiefen der Sümpfe, im Grün der Wälder, auf den Hügeln der Berge und in den Tiefen der Täler. Ob das Mädchen überhaupt noch lebte? Er wusste es nicht, doch er gab den Willen und die Hoffnung nicht auf, sie eines Tages zu finden und wieder auf den rechten Weg zurückzuführen. Es war seine Pflicht gegenüber seinem Herrn Innos. Das war die Bürde, die er zu tragen hatte.
Nur wenige Orte waren verblieben, an denen er noch nicht gesucht hatte und an denen eine wirkliche Chance darauf bestand, dass Johanna noch lebte. Der gewaltige Baum in den Sümpfen des Südens. Stewark, die Stadt des falschen Königs. Und schließlich das von Beliars verkommenen Schergen verseuchte Kastell im äußersten Südosten der Insel. Vicktar hatte sich für die Stadt auf dem Fels entschieden, das Nest von Ethorn und der Sitz der verblendeten Wassermagier, die allen Ernstes dachten, es gäbe einen Gott des Ausgleiches! Nein, das war der Dunkle in der Gewandung des Versuchers. Sie sahen es nur nicht, dass sie Beliar in anderer Gestalt dienten. Als ob diese Lehre des Ausgleiches etwas anderes gewesen wäre als ein kümmerlicher Versuch des Bösen, die Ausbreitung der Herrlichkeit Innos‘ über die gesamte Welt aufzuhalten!
Zerlumpt und zerschlissen schleppte sich der alte Mann vorwärts, doch längst nicht gebrochen. Seit er aus der Sicherheit Thorniaras aufgebrochen war, hatte sich ihm Innos immer öfter gezeigt. Regelmäßig kam das gleißende Licht über ihn, das sein Denken hinfort brannte und ihn schlussendlich verdreckt und verwundet am Boden wieder erwachen ließ, oft so lange Zeit später, dass die Sonne sich bei seinem Erwachen bereits hinter den Horizont zurückgezogen hatte. Vicktar nahm dies als Zeichen, dass er auf dem richtigen Weg war. Innos wies ihm die Richtung, in der er Johanna finden konnte. Dass sein einfacher Verstand mit der Pracht des Herrn nicht umzugehen wusste, war nur eine unwichtige Randbemerkung.
Zerlumpt und zerschlissen war der Stab, auf den er sich stützte. Über tausende, zehntausende Schritte stützte ihn dieser einfache Begleiter jeden Tag, rastlos auf der Suche, rastlos über Stock und Stein, Berg und Tal, Bach und Sumpf, Wald und Ödnis. Er war kürzer geworden, abgenutzt von den vielen Stößen auf beinahe jeden Quadratzoll dieser Insel, einen Schritt nach dem anderen. Nun führte er ihn diese Anhöhe hinauf, gen Westen hinaus aus dem Bluttal, dem stummen Zeugen vergangener Schlachten. Das lange, graue Haar klebte Vicktar in dicken Strähnen auf der Stirn. Seine Robe leuchtete schon längst nicht mehr in dem feurigen Zinnoberrot der Feuermagier. Längst war der Stoff vom Dreck verdunkelt und ergraut.
Unwillig nahm der Alte wahr, dass sich vor ihm etwas regte in den Wäldern, ein Stück den Weg hinauf, der ihn gen Stewark führte. Ein Wanderer, gehüllt in Stoff von Kopf bis Fuß. Mit jedem Schritt aufeinander zu erkannten die Reisenden mehr voneinander. Groß und grobschlächtig war der Mann, der Vicktar entgegenkam. Das Gesicht verbarg sich unter einem Turban, auf seinen Rücken geschnürt trug er ein Bündel mit sich. Beide Männer reisten nur mit leichtem Gepäck. Beide verlangsamten ihren Schritt, als sie sich erreichten. Beide hielten sich nach außen zurück, beobachteten die Bewegungen des Anderen aber auf das Genaueste, wie zwei Raubtiere, die sich in fremdem Revier begegneten.
„Innos zum Gruße, Reisender.“ Die Stimme des alten war rau und heiser, nicht gewohnt, genutzt zu werden.
„Wohin geht die Reise? Liegen Gefahren und Hindernisse voraus?“
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Am Rande des Bluttals
Es bedurfte nur eines einzigen Blickes auf diesen Menschen, um Rudra in eine Haltung größter Vorsicht zu versetzen. Das Erscheinungsbild des Mannes war völlig verwahrlost, und einem unaufmerksamen Beobachter wäre dieser Alte wie ein bedauernswerter Streuner oder Eremit erschienen. Doch der scharfe Blick seiner Augen, das Funkeln von unterdrückter Brutalität verriet ihn. Dieser Mensch war ein gefährlicher Jäger, getrieben von einer Aufgabe, die er um jeden Preis zu erfüllen gedachte. Die Robe des alten Mannes ließ kaum noch eine Farbe erkennen, doch Rudra konnte sich ausmalen, dass das undefinierte, rötliche Graubraun einmal einem Stoff von strahlendem Rot entsprungen sein musste. Rot wie die Robe eines Feuermagiers.
„Seid gegrüßt, alter Mann“, entgegnete Rudra und nutzte weiter den akzentuierten Singsang, den er sich in seiner Rolle als der torgaanische Künstler Mungu zueigen gemacht hatte. „Seid unbesorgt, denn voraus erwarten Euch nur freie Wege und weites Land, so Ihr einmal diese Steigung überwunden habt.“
Der Alte stützte sich auf seinen schmutzigen Stab und ließ den Kopf hängen, dass ihm die langen, ergrauten Haare in das Gesicht hingen. Doch die Augen – die wandten sich keinen Moment lang von ihm ab. Der Mann wirkte wie eine Raubkatze vor dem Sprung. „Hmm. Gut.“
„Wohin führt Euch der Weg, alter Mann? Wollt Ihr die Wunder des neuen Tempels in Stewark bestaunen? Ich bin auf dem Weg an den Rand des Bluttals, um guten Stein für ein Kunstwerk zu besorgen, mit dem ich die Wassermagier genug beeindrucken kann, um Auftragsarbeiten für diesen Tempel zu bekommen. Mein Name ist Rungu, Bildhauer von der Insel Torgaan.“
Rudra deutete die Verbeugung nur im Ansatz an. Er wollte den Lauerer ihm gegenüber nicht unbeobachtet lassen. Rudra witterte höchste Gefahr in der Nähe dieses Mannes, doch er musste einer Vermutung auf den Grund gehen. Wenn der Mann tatsächlich ein Feuermagier war, dann war es möglich, dass Johanna in größter Gefahr schwebte. Denn der Greis passte zu gut auf die Beschreibungen, die Johanna von ihrem mörderischen Ziehvater gegeben hatte.
„Oder führt Euch Eure Reise eher in Richtung der Taverne südlich von Stewark? Ihr seht nicht aus, als ob Ihr euch oft in Städten aufhaltet.“
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Bluttal
Erneut ging es aufwärts für die wandernden Frauen. Aber nur leicht. Ein sachter Anstieg, der ihnen verriet, dass sie dabei waren, das Bluttal zu verlassen und dass sie noch einmal eine kleine Anstrengung hinter sich bringen mussten, um aus dem Tal zu kommen, bevor sie endlich ins Stewarker Umland kamen.
Danee war immer noch entschlossenen und beschwingten Schrittes.
"Wenn wir so weiterlaufen, könnten wir morgen schon ankommen", warf Vocea ein.
"Ha", sagte Danee, "das sind doch mal wunderbare Neuigkeiten."
Wie würde es in Stewark aussehen? Wie würde der Kreis des Wassers reagieren, dass sie kam? Wie würde Aniron reagieren? Und wie die Kinder? Konnten sie sich überhaupt noch an sie erinnern? Wie war das andere Kind, das Danee noch nicht kannte?
Ein wenig Sorgen machte die Alte sich schon. Ja, ein paar Zweifel nagten an ihrem Herzen, ob es wirklich so einfach war und sie mit offenen Armen würde empfangen werden. Doch die Zuversicht und der Glaube an Adanos' Weg für sie gaben ihr Hoffnung.
Ihr fiel ein, dass sie Mera noch eine Antwort schuldete. Ob sie zweifelte, hatte die junge Frau die alte Heilerin mehr oder weniger gefragt.
"Ja", sagte sie schließlich und spürte Meras fragenden Blick auf sich ruhen. "Jeder zweifelt irgendwann einmal. Das ist normal und gehört zum Leben dazu. Auch wir Diener Adanos' sind davor nicht gefeit. Nicht immer ist unser Weg klar und deutlich vor uns ausgebreitet. Nicht immer verstehen oder sehen wir Adanos Willen, manchmal erschließt er uns gar nicht oder manchmal müssen wir feststellen, dass Adanos gar nichts mit dem, was geschieht, zu tun hat."
Ja, diese Momente gab es. Dunkel waren sie, als ob Beliar sich dem eigenen Geist annehmen wollte.
"In solchen Moment ist es wichtig, dass man seine Gemeinschaft hat. Und damit komme ich genau zu deiner weiteren Frage, wie der Rest der Wassermagier ist ... Nein, nicht alle sind nett. Obwohl wir eigentlich ein gleiches Ziel haben, nämlich das Bewahren des Gleichgewichtes, sind wir doch alle unterschiedlich. Und auch unser Kreis ist nicht sicher vor Menschen, die sich über andere erhebn wollen, die unlauteres und finsteres Gedankengut in sich tragen. Das können natürlich nie die wahren Diener Adanos' sein!"
Danees Worte wurden leidenschaftlich. Sie dachte an Oktavian und seine Intrigen! Wie Tinquilius sich hatte gegen ihn behaupten müssen oder Hyperius sich angeklagt im Gerichtsstand wiederfand! Nein, sie waren leider ganz und gar nicht gefeit gegen das Böse im Inneren mancher Seelen. Denn oft trugen sie es nicht auf ihrer Stirn spazieren.
"Soweit ich aber weiß, ist es ruhig im Kreis des Wassers im Moment und es gibt natürlich auch viele wunderbare Seelen, das wirst du sehen. Außerdem, Liebes, solltest du dir nicht allzu sicher sein, dass ich immer so nett bin."
Sie grinste ein bisschen hinterhältig. Mera hatte das Glück gehabt, sie noch nicht zu erleben, wie sie gegenüber Männern war. Danee konnte nämlich äußerst bissig gegenüber dem anderen Geschlecht sein, besonders in der Heilkammer. Denn Danee war davon überzeugt, dass Männer der Ursprung allen Übels in dieser Welt waren. Und das ließ sie das andere, angeblich ach so starke Geschlecht gerne wissen.
"Aber sag mal, Mera, kannst du eigentlich lesen? In der Eile unseres Aufbruches habe ich noch gar nicht meinen Brief verlesen lassen."
Aniron
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Es sollte keine Überraschung sein, dass es auch unter den Wassermagiern unangenehme Menschen gab. Denn letztendlich waren sie auch nur das: Menschen. Es war leicht, diese Tatsache zu vergessen, wie auch bei anderen Ständen, die weit über (oder unter) einen standen. Auch Könige und Magier waren Menschen, die abends müde waren und morgens Hunger hatten, die zweifelten, lachten, Hoffnung hatten und zu Großzügigkeit und Habgier gleichermaßen fähig waren, zu Milde und zu Gnadenlosigkeit. In ihren Adern floss Blut, genau wie durch Meras und Danees. Sie waren nur in ihrem Leben einmal am richtigen Ort zur richtigen Zeit gewesen, oder waren das Kind ihrer privilegierten Eltern, doch wenn man es herunterbrach… sie waren nicht anders als der niedrigste Bauer.
Sie hatten die leichte Anhöhe hinter sich gebracht und der Wald begann langsam sich zu lichten. Strahlenbündel schienen durchs Blätterdach und erhellten den Weg vor ihnen, auf dem sich die ersten gelben Blätter des Herbstes sammelten. Einige Formationen an weißen und roten Steinen türmten sich zwischen den Bäumen auf und durchbrachen die farbenfrohe Szenerie, die vom Zwitschern der Vögel untermalt wurde.
„Nur ein bisschen“ gab Mera zu, während sie noch über die Worte der Heilerin sinnierte. Sie sollte sich nicht sicher sein, dass sie immer so nett wäre? War das eine Drohung? Eine Warnung? Ein Witz? Sie sagte es mit einem Grinsen im Gesicht, als ob es ein Scherz wäre, doch sicher war sich die Setarriferin nicht.
„ich hab es nie richtig gelernt und kann nicht alle Buchstaben. Aber ich kann es ja mal versuchen.“ bot Mera an, als sie Stimme auf dem Pfad vor sich hörten. Zwei Männer, wie es klang, die auch nach der nächsten Wegbiegung ins Blickfeld gerieten. Ein Alter, in einer verschmutzen Robe gewandt, die einst rot gewesen sein könnte, und ein stämmiger, komplett vermummter Mann. Die Frauen grüßten die beiden kurz (Vocea etwas fröhlicher und mit breiterem Lächeln als Danee und Mera) und ließen sie dann hinter sich. Irgendwie schien die Stimmung zwischen den beiden angespannt, doch sie konnte nicht recht sagen, warum. Sie war froh, als sie die Männer passiert hatten.
„Aber ich kann leider nichts versprechen...“
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Danees Stirn legte sich in Falten, jedoch nicht wegen Meras Äußerung über ihre Lesefähigkeit, sondern wegen den zwei Gestalten, die sie gerade passiert hatten. Die alte Heilerin hatte den Mund zum Gruß nur geöffnet, aber kein Laut war über ihre Lippen gekommen. Gerade noch hatte sie über ihre Abneigung Männern gegenüber gescherzt und auf einmal war die Situation so anders und ernst. Danee hatte die Auren der beiden Männer deutlich im magischen Strom sehen können: die eine von einem dunklen Rot, das auf eine unangenehme Art und Weise an Blut, Schmerz und Zorn erinnerte statt an eine samtene Wärme. Der andere hatte einen braunen bis grünlichen Ton als Aura, der weitaus weniger unangenehm aber ganz untergründig bedrohlich wirkte. Das stimmte etwas nicht. Zu allem Überfluss wirkte die Stimmung zwischen den beiden angespannt. Das war keine einfache Begegnung zwischen zwei Reisenden, das waren zwei Raubtiere, die sich belauerten.
Als sie die beiden passiert hatten, flüserte Danee ihren Begleiterinnen zu:
"Lasst uns schnell viel Weg zwischen die beiden bringen. Das ist mir alles andere als geheuer!"
Also gingen sie so rasch Danees Füße es zuließen zunächst die Steigung hinauf und dann wieder hinab und allmählich nahm Danees Anspannung wieder ab. Es war unklar gewesen, was für eine Chance sie gehabt hätten, wenn es zu irgendeinem Zwischenfall gekommen wäre und Danee war froh, dass sie es erst einmal nicht herausfinden mussten.
Sie liefen eine Weile schweigend nebeneinander her und die alte Heilerin merkte schon bald ihre Erschöpfung.
"Lasst uns eine Pause machen", bat sie daher. Das taten sie dann auch, sie rasteten erst einmal.
Endlich hatten sie das Bluttal hinter sich gelassen.
"Jetzt können wir Stewark bald schon sehen", jubilierte Vocea. "Oh, 'tschuldigung!"
Danee lächelte das erste Mal seit sie die Männer passiert hatten. Nun zog sie den Brief aus ihrem Gewand und reichte ihn Mera:
"Möchtest du dich daran versuchen?"
Aniron
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Wer auch immer wann auch immer und in welchem Kontext auch immer gesagt hatte, dass Essen besser schmeckt, wenn man es selbst gekocht hat, war ein vollkommener, unvergleichlicher Idiot. Weder das gestrige Abendbrot, noch das Frühstück am heutigen Morgen waren in irgendeiner Weise besser geworden, dadurch dass sie sich mit dem Schneiden von Zutaten hatte abmühen müssen. Im Gegenteil! Alleine schon die Tatsache, dass ihre Finger vermutlich für den Rest des Tages nach Zwiebel riechen würden, war so viel mehr Strafe, als das Essen oder dessen Geschmack je an Belohnung hätte sein können. Nein. Felia bevorzugte es definitiv, wenn das Essen ihr standesgemäß serviert wurde und sie ansonsten neben der Bestellung nichts mehr damit zu tun hatte.
Einerlei! Der Schaden war angerichtet. Es war ein schweres Laster, das zu tragen sie für die Dauer der Ausbildung durch Neoras zu tragen bereit war. Aber keinen Tag länger.
»Ich danke euch für die Zubereitung des Essens, Bruder.« Sie wandt sich an Curt, der bereits in den frühen Morgenstunden des heutigen Tages unter lautem Ächzen und Stöhnen unaussprechliche Verrenkungen auf dem Waldboden vollzogen und beständig Meister Neoras zu Mitmachen animiert hatte. »Hattet ihr schon Gelegenheit, euch Gedanken darüber zu machen, welche Zauber für euch in Frage kommen? Ich kann euch gern die ein oder andere Empfehlung geben - immerhin hat Meister Lopadas höchstselbst mir einst den Umgang mit Magie beigebracht und auch das ein oder andere über die Zauber der höheren Kreise der Magie erklärt.«
Geändert von Felia (03.09.2023 um 22:07 Uhr)
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Felia schien große Stücke auf Meister Lopadas zu halten. Curt hatte selbst ebenfalls die Erfahrung einiger Lehrminuten mit ihm gemacht, doch wirkte der Magier auf ihn immer sehr kurz angebunden. Er wollte nicht schlecht von ihm reden, denn über Verschollene sollte man nicht herziehen, doch Curt persönlich wollte sich nicht nur auf eine Einzelmeinung berufen. Hier kam es auf theoretisches Wissen an, aber auch auf Praxisbezug und die Erfahrung der Expeditionsteilnehmer. Was, wenn Neoras‘ Expertise in eine Richtung ging, die Curt nicht vertiefen wollte? Er wollte sich erst einmal ein allgemeines Bild über die Lage machen, ehe er sich festlegte.
„Es wäre mir eine Freude, wenn Ihr mich an Eurem reichen Erfahrungsschatz teilhaben lasst, Schwester Felia“, erwiderte er, während er mit beiden Händen seine ausgestreckten Zehen berührte. Ein bisschen Zuckerbrot schadete bei ihr sicher nicht. Er fand es sogar ein bisschen schade, dass sie bei der höflichen Ansprache blieb, kehrte aber ebenfalls dorthin zurück.
„Ich denke, dass jeder Magier eine gewisse … Veranlagung für bestimmte Zauber mitbringt. Dem einen mag das Element Feuer mehr liegen, während andere die Kräfte des Windes bändigen. Und wieder andere sind begnadete Redner, die das Wort unseres Herren verbreiten können. Wie ist es bei Euch?“
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Curt blieb höflich und pflegeleicht, sowie es sich für einen weniger erwähnenswerten Nebencharakter in ihrem Leben geziemte. So handzahm war der Novize vielleicht doch ganz erträglich - immerhin waren seine Mahlzeiten recht bekömmlich, umsonst und in den bisherigen Fällen auch recht schnell zubereitet. Er musste sich seinen festen Platz in ihrer Entourage sicherlich noch verdienen, aber einstweilen war er als vorübergehende Reisebegleitung geduldet.
»Ich habe dieselbe Erfahrung gemacht.«, erwiderte sie auf die Ausführungen des Bärtigen. Binnen eines Herzschlags flutete Magie ihren Körper und sammelte sich in ihren Stimmbändern. »Meine Stärke liegt im Auftritt.« Mühelos vermochte sie es, ihre Stimme während des Satzes unschuldig und harmlos, beinahe kindlich klingen zu lassen und dennoch einen gewisse Ausdrücklichkeit innewohnen zu lassen. Sie klimperte mit den Augen und verbeugte sich. »Ich habe gelernt, mit der Macht der Magie meine Stimme zu beeinflussen. Und ich plane, meinen Auftritt mit dem Zauber Ehrfurcht entsprechenden Nachdruck zu verleihen. Dafür...« Sie hielt kurz inne. »benötigt es aber eine gewisse Eignung, fürchte ich.«, fügte sie schließlich an. Curt war eine durchaus auffällige Person, allerdings fehlte ihm das gewisse je ne sais quoi, das einer Felia inhärent geschenkt war. Dieser Zauber war also nun wirklich nichts für einen Mann wie ihn.
Sie verstaute einige Vorräte in ihrem Rucksack, während sie fortfuhr. »Ich musste jüngst erneut meine Magie im Kampf einsetzen.«, berichtete sie und ließ eines der aufregendsten Geschehnisse der letzten Jahre so beiläufig wie möglich in die Unterhaltung mit einfließen. »Ich habe an der Seite eines Paladins gegen Orks und Banditen gekämpft und musste leider feststellen, dass der Feuerpfeil, so sinnvoll er auch sein mag, gegen besser gerüstete Ziele leider nicht die gewünschte Wirkung zeigt. Die Diener Beliars sind leider oftmals besser gerüstet als mir lieb ist. Ich kann euch daher den Feuerball nur ans Herz legen. Wir Diener Innos' müssen schließlich gerüstet sein im Kampf gegen die Feinde unseres Herrn.«
Sie richtete den Blick wieder auf den Bruder des Ordens. »Ob euch nun der Kugelblitz oder der Zauber der Flammenhand mehr liegt, vermag ich nicht zu beurteilen - ich habe dahingehend selbst noch keine abschließende Entscheidung treffen können. Mit dem Feuer bin ich vertraut - aber ich möchte ungern irgendjemanden nahe genug an mich ran lassen, um vom Einsatz der Flammenhand profitieren zu können. Der Kugelblitz hingegen ist eine ganz andere Form der Magie - sicherlich eine spannende Herausforderung.«
Die letzten Dinge waren verstaut und Felia schloss die Reisetasche.
»So oder so fällt die Rauchwolke als Zauber weg.« Sie straffte die Schultern. Wer wollte schon ein Äußeres wie das ihre verbergen wollen? Das erschien ihr wenig sinnhaft.
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