Zitat von
Luceija
Etwas durchflutete den Körper der Schwarzhaarigen völlig. Eine unendlich große, starke Welle, die sie komplett aufzuwühlen drohte. Blut rauschte in einer unnatürlich-heftigen Geschwindigkeit durch ihre Venen, in ihr Hirn, und setzte es unter Feuer. Sie drohte, auf eine gänzlich gefährliche Weise ihren Verstand zu verlieren und abseits dieser Realität zu leben. Sich abzukapseln von jeglichem Zustand den sie bis dato eingenommen hatte. Was war es, was dieser Mann mit ihr tat? Wie konnte er das Herz dieser Frau so bedingungslos in seinen Händen halten und es in jedem erneuten Schlag erobern? Es war so lächerlich einfältig genau jetzt nicht nur in seinen Augen zu versinken, sondern auch in den Bildern und den Erinnerungen, die sie von diesem benannten Tag hatte: Wie sie dort, in der Eingangshalle des Blackfriar Crown Court in London bereits jegliche Beherrschung verloren hatte. Diesen einen Schritt getan hatte der nicht der verdammten Norm entsprach. Sie hatte sich von nichts anderem leiten lassen als ihren Gefühlen. Hatte es einfach getan. War den unberechenbaren Weg gegangen, war ausgebrochen aus den Vorgaben, die sie einhalten wollte um ihm ein Leben zu retten, dass er selbst vermutlich nicht mehr wollte. Sie hatte sich aus dem Griff ihrer Schwägerin gelöst und war auf ihn zugegangen. Hatte sich nicht aufhalten lassen, als sie die Distanz zwischen ihnen auf einen absoluten Nullpunkt verringerte und ihn küsste. Ihm in einem der unwirtlichsten Momente in ihrer Beziehung gezeigt hatte, wie sehr sie ihn liebte. Brauchte. Und wie egal es ihr sein konnte, was drumherum passierte.
Und allein die Erinnerung daran generierte so viele neue Tränen, die ihr brennend heiß über die Wangen rollten. Das Makeup ins Wanken brachten. Als sei es dieser Hauch einer Maske, die er begann der Sizilianerin abzuziehen. "Oh, dio..", weinte sie, rieb sich mit der Kante des rechten Handballen das Wasser zur Seite, dass ihre Haut so sehr benetzte und gebrauchte dafür nichts geringeres mehr als ein Sizilianisch, dass sie begraben hatte. Unkontrolliert. So, wie ihr Emotionen hochzukochen begannen, die sie zunehmend unsicher werden ließen. Sie begann sich zu fühlen, als habe man sie ertappt. Als sei sie bei etwas aufgeflogen, was sie nicht war. Aber weinte schlicht auf einmal, brach zusammen, so viel zu offensichtlich vor ihm, weil keiner der Gedanken an vor acht Jahren weniger auslösen konnte als dieses heftige Herzklopfen und die Hoffnung auf etwas, was einfach tot schien. Und so weit entfernt und unmöglich. Doch er-..er hatte immer diese Gabe gehabt einer so schwachen Person wie ihr zu zeigen, dass es noch Hoffnung gab. Dass es mehr gab als die vielen Wunden auf ihrer Haut, die von langen Ärmeln verdeckt wurden, weil Dean nicht wollte, dass irgendjemand etwas von sah. Dass in ihrem Leben potenziell mehr auf sie warten konnte als ein Ehemann, der ihr derartig die Würde nahm, dass er im Zorn und verzweifelten Kinderwunsch seiner in Handschellen gelegten Frau das Gelenk mit einem gezielten Tritt brach. Und vorne herum das schönste und heiligste Lächeln aufsetzte und Charme versprühte, den sie höchstens von ihrer Anfangszeit kannte. Leif verursachte das hier.
Leif verursachte das, dass sie ihre linke, zerstörte Hand ausstreckte und ihn berühren ließ. Infizierte sie mit einer Idee nach einem anderen Leben. Mit diesem Silberstreif an einem Horizont den sie nicht sehen konnte. Er verursachte, dass sie so schonungslos offen vor ihm war, ihre sichtbar demolierte Hand zögerlich seine Wange berühren ließ weil sie nicht ausschließen konnte, dass sie irgendwo in einer siffigen Ecke voller Drogen liegen würde und sich all das hier nur einbildete. Er sah sie. Würde sie deutlich sehen, wenn er sie ansah. Würde Flecken sehen, die eine Frau ihres Zustandes nicht haben sollte. Keine Narben mehr. Nicht eine einzige. Aber dafür diese lediglich überschminkten Hämatome, die auch nur einem Arzt würden auffallen können und ihr im Zweifel immer nur Lügen entlockt hatten. "...ich liebe dich..", wimmerte sie ihm entgegen. Tat einen metaphorischen, utopisch großen Schritt. Die Bedienstete an der Bar sah sie nicht nur, sie hörte sie auch. Sah zwischen beiden hin und her, nicht aber, ohne eine gewisse Rührung zu zeigen. Was genau tat Luceija hier nur? Was brach aus dieser Frau aus, dass so wenig Worte fand? Dass sie so zittrig werden ließ? Sie hatte eine verdammte Angst. Doch die, diesen Mann wieder zu verlieren - irgendwie - war größer als jede die sie hatte, von Giusy, von Dean, von irgendjemandem erwischt zu werden oder der, ihr Mann könne Leif auch nur irgendetwas antun.