Zitat von
AeiaCarol
"Liebling, komm schon!", zwei Hände, die über seine Schultern hinweg über seine Brust strichen und ein sanfter Kuss, den volle Lippen auf seine Wange setzten. Giusy verlieh ihrer schwindenden Geduld auf die wohl charmanteste Weise ausdruck, als sie zu ihrem Ehemann zurückkehrte, nach seiner Hand fischte und ihn zum Aufstehen zwang. Er setzte ein derart gespieltes Lächeln auf, dass sie ihn nach seinem Befinden fragte. "Alles bestens, ist nur nicht ganz mein Ding hier-...", gab er flüchtig zurück, trottete der Italienerin hinterher und suchte mit den grauen Augen die Tanzfläche ab. Dean war schnell gefunden. Er und Luceija. Allein dieser flüchtige Augenblick, in dem er die beiden sah, bevor sie hinter einem anderen Paar verschwanden, fühlte sich wie ein erneuter Herzstillstand an. Giusy trat ihm indes auf die Füße, was weniger ihre, als viel mehr seine Schuld war. "Tut mir leid.", murmelte er geistesabwesend und sah aus den Augenwinkeln, wie seine Tanzpartnerin den Kopf schief legte und ihn eindringlich ansah. "Dir gefällts hier wirklich ganz und gar nicht, oder?", hakte sie nach und die Enttäuschung ließ sich kaum verbergen. Er zwang sich zu einem grinsen und dazu, wenigstens für einige Augenblicke in das Gesicht seiner Ehefrau zu sehen. "Ist halb so schlimm wie erwartet.", versicherte er ihr und irgendwie war das einerseits eine Lüge doch andererseits, wäre er nicht hergekommen-...Der Gedanke spielte wohl keine Rolle. Da war sie. Zog diese seichte Schleppe ihres weißen Spitzenkleides hinter sich her und tanzte in den Armen eines anderen. Wie oft hatte sie das in den letzten Jahren wohl getan? Ohne ihn? Schwirrte in genau diesem Moment auch in ihrem Kopf der Moment der Hochzeit ihres Bruders umher? Leif konnte an nichts anderes denken. Und er wusste so vieles wieder, was sich in acht Jahren hatte verdrängen lassen. London, Singus, Luceija, die ein unerträgliches Nervenbündel gewesen war, zahllose Postkarten, diese Hochzeit, die in einer Nacht auf der Tanzfläche und in diesem Weinkeller endete, der alles, aber auch wirklich alles zu besiegeln schien. Jedenfalls für eine Weile. Dieses Krankenhaus, der-...Elch, den sein Freund irgendwann mit warmen Worten an ihn zurückgesandt hatte, als es längst vorbei gewesen war und den Leif doch nie entsorgt hatte. Giusy fand ihn albern, aber seine erlogene Geschichte zu dem Stofftier rührte sie genug, ihm es nicht heimlich wegzuwerfen, sondern in einem Sessel in seinem Arbeitszimmer sitzen zu lassen. Er hatte lange nicht mehr dort gesessen, geschweige denn einen Gedanken an diesen Elch und seine Bedeutung verschwendet. Und jetzt kam all das zurück. Auch der Rest. Proteus, diese Dinge, die er gesagt, getan und bis heute bereut hatte. Und schlussendlich ein weiteres London. Dieses Gericht, ihre Aussage, die Behauptung, dass Luceija nie existiert hatte, so wie Leif sie geglaubt hatte zu kennen. Er war nie hinter eine andere, mögliche Wahrheit gekommen und jetzt-...jetzt war vielleicht diese Chance da, die Möglichkeit, aber-...War es richtig? Tat er nicht Dean und vor allem Giusy Unrecht, als er seine Frau ansah, ihr einen Kuss auf die Stirn drückte und um diesen Gefallen bat. "Hast du was dagegen wenn ich Mrs. Rhodes zum tanzen auffordere? Ich geb dich nur ungern an ihren Ehemann weiter, aber-...", beendete der Arzt seinen Satz nicht, da grinste seine Frau bereits und nickte in Richtung des Tanzpaares, das kaum noch außer Hörweite war, "...ich könnte mir vorstellen, er ist der bessere Tanzpartner als du. Sieh ihn dir an.", stichelte die Mittdreißigerin mit einem breiten Lächeln und übernahm ein weiteres Mal die Führung, indem sie sich dem Paar weiter näherte. Der Tanz der beiden sah perfekt einstudiert aus oder-...nein, Luceija war nie eine Tänzerin solcher Stücke. Sie konnte sich unglaublich bewegen, aber das hier war wenigstens früher nicht ihr Steckenpferd. Nicht einmal die halbwegs modernen Stücke der Live-Band. Aber wie viel hatte sich womöglich in acht Jahren geändert. "Luceija, bitte, nehmen Sie mir diesen Trampel für wenigstens ein paar Minuten ab und leihen mir Ihren Ehemann? Ich würde gerne tanzen, statt mir ein Bein zu brechen.", lachte die Italienerin herzlich und nahm ihren Mann auf die Schippe, der keines ihrer Worte als Demütigung, noch als lustig empfand. Er bewegte sich schlicht wie angetrieben, ferngesteuert, sah Luceija nicht an, die jetzt ganz in seiner Nähe war, als nicht sie antwortete, sondern Dean. Das Lied wechselte ohnehin. Passend unpassend, wenn man Leif fragte, der nicht so plötzlich mit einem Partnertausch gerechnet hatte, als eine Hand urplötzlich auf seiner Schulter lag, um ihm von seiner Frau zu trennen. "Sie bekommen Sie ohne etwaige Brüche oder Verletzungen zurück.", scherzte Dean, der seiner Frau keinen Entscheidungsspielraum gegeben hatte. Und wie unfassbar ironisch diese Aussage seinerseits war, mochte niemand erahnen oder wissen, außer der Siebenunddreißigjährigen, die plötzlich allein da stand. Auf dieser Tanzfläche, ebenso wie der blonde Arzt, der das erste Mal einen geraden, unverbauten Blick auf seine Ex-Freundin warf. Seit gottverdammten acht Jahren.