Hallo zusammen,
ich melde mich nach längerer Auszeit wieder, mit einem Thema das zwar keineswegs neu, aber durch gegenwärtige Ereignisse leider in seiner Dringlichkeit wieder sehr deutlich geworden ist. Konkret geht es um die Diskussion, die in der Nachschau des Terroranschlags von Halle stattfindet.
Innenminister Horst Seehofer äußerte gestern im ARD-Hauptstadtstudio die folgende Einschätzung im Wortlaut:
(Veröffentlicht auf Twitter.)"Das Problem ist sehr hoch. Viele von den Tätern oder potentiellen Tätern kommen aus der Gamer-Szene. Manche nehmen sich Simulationen geradezu zum Vorbild. Man muss genau hinschauen, ob es noch ein Computerspiel ist, eine Simulation - oder eine verdeckte Planung für einen Anschlag. Und deshalb müssen wir die Gamer-Szene stärker in den Blick nehmen."
Eine wichtige Differenzierung: Es geht diesmal nicht um "Killerspiele" oder deren vermeintlich enthemmenden Einfluss, sondern um die missbräuchliche Verwendung dieser bzw. die Undurchsichtigkeit einer Szene, die in ihrer Anonymität - so die Mutmaßung - auch einen Nährboden für politische Radikalisierung bietet.
Auch dazu kann man natürlich sehr viele verschiedene Ansichten vertreten. Nur eines ist wohl Realität: Auch Gaming ist ein Teilbereich des öffentlichen Lebens, der von den Problemen der anderen Teilbereiche nicht auf magische Weise verschont bleibt. Allein die Tatsache dass mehrere Millionen Menschen in Deutschland regelmäßig Spiele spielen spricht dafür, dass sich proportional zur gesellschaftlichen Relevanz auch gesellschaftliche Entwicklungen - positiv wie negativ - dort bemerkbar machen. Wirrköpfe gibt es selbstverständlich überall, dies ist keine Eigenart oder Schuld der Gamer, der Games oder der Gaming-Szene.
In der Tagesschau wurde die Problematik einer solchen Radikalisierung und rechtsextremer Subkultur im Kontext von Games thematisiert, u.a. mit Ausführungen einer Sachverständigen (lesenswert).
Auch die Grünen-Politikerin Renate Künast hat eine stärkere Beobachtung und Regulierung von Games gefordert (konkrete Hinweise darauf wie eine solche aussehen soll, gibt es allerdings bislang nicht).
In der Games-Branche hat die Mitteilung bereits für Reaktionen gesorgt. Der Verband Gameswirtschaft sah Gamer durch die Äußerungen von Seehofer unter einen "Generalverdacht" gestellt. Auch die hier sicherlich bekannte PCgameshardware schrieb:
Gut an dieser Stelle ist, dass von einem "Anschein" gesprochen wird - denn alles gesagte ist noch sehr wenig konkret. Genauso gut ist auch, dass die tiefer liegenden Probleme angesprochen werden, die zweifellos mehr für eine solche Entwicklung Ausschlag geben als ein PC-Spiel.Zitat von https://www.pcgameshardware.de/Killerspiele-Thema-158840/News/Innenminister-fordert-staerkere-Kontrolle-Spieler-1334550/
In der Rückschau tritt das Problem keineswegs zum ersten Mal zutage. Im Jahr 2007 veröffentlichte das Magazin "Panorama" im Zuge der damaligen Debatte über "Killerspiele" einen sehr kontrovers diskutierten Fernsehbeitrag. (Der Beitrag selbst ist hier zu finden) Interessant ist dieser, weil er neben der damals debattierten Thematik um die vermeintlich enthemmende Wirkung von PC-Spielen auch bereits den Aspekt des Aufkommens einer offenbar rechtsextremen Subkultur thematisiert. U.a. verweist die Panorama-Redaktion in einer Stellungnahme darauf, dass das Problem zum damaligen Zeitpunkt bereits schon länger bekannt und auch in der IT-Presse Gegenstand der Berichterstattung war. (Originalbeitrag nicht mehr online, aber hier noch nachzulesen), siehe Pkt. 5, 6 und 7. Auch bspw. die Amadeu-Antonio-Stiftung hat zu dem Phänomen eine Veröffentlichung von 2015.
Mir kam das gerade in Erinnerung, weil ich die damalige Diskussion 2007 schon mit einem gewissen Befremden verfolgt hatte. Das eigentlich Befremdliche und letztendlich auch Schlimme dabei ist aber, dass das Problem offenbar schon so lange bekannt ist und trotzdem kaum etwas dagegen getan wurde. Wer dafür konkret welche Schuld oder Verantwortung (Gesetzgeber, Spielehersteller, Plattformbetreiber, Spieler selbst) trägt ist natürlich eine komplizierte Frage, aber durch die aktuellen Ereignisse ist die Dringlichkeit von Antworten oder zumindest einer Diskussion bzgl. dieser, so fürchte ich, offensichtlich geworden.
Persönliche Einschätzung:
Vielleicht ist eine gute Idee, die nun wahrscheinlich folgende Diskussion als Chance für ein positives Signal zu verstehen und die gesellschaftliche Verantwortung der Spielehersteller, Community Manager / Admins und auch der Gamer selbst in den Vordergrund zu stellen. Politische Radikalisierung, Hassrede und vergleichbares dürfen keine Duldung erfahren, auch nicht im Kontext von Spielen und deren Plattformen (TeamSpeak, Discord, Foren, Livestreams auf Twitch u.ä.). Wie die Wahrnehmung dieser und konkrete Verpflichtungen durch den Gesetzgeber aussehen könnten, ist dabei natürlich die wesentlich schwierigere Frage.
Wie seht ihr die Sache?
- Sind euch im Kontext von Games bereits rechtsextreme Äußerungen, Symbolik, Inhalte aufgefallen?
- (Auch an die Admins gerichtet: Gab es derartiges schon hier im Forum?)
- Sind euch rechtsgerichtete Vereinigungen, die sich im Kontext von Games organisieren (Clans etc.) bekannt?
- Falls ja: Sind euch auch Werbe- oder "Anwerbeversuche" solcher aufgefallen?
- Sind euch bereits in eurem persönlichen Umfeld Gamer bekannt, bei denen eine derartige Isolation bzw. Realitätsflucht (auch verbunden evtl. mit mangelnder Lebensperspektive) auffällig wird, und die Anzeichen einer politischen Radikalisierung infolgedessen zeigen?
- Wie könnte man derartigen Isolations- und Radikalisierungsprozessen entgegenwirken?
- Was kann man eurer Meinung nach gegen Rechtsextremismus und auch andere politische Extremismen im Kontext von Games tun? (Etwa: Einheitlicher Verhaltenskodex?)
- Welche Verantwortung sollten Plattformanbieter wie etwa Steam, oder z.B. Serveradministratoren dabei haben?