Also ich fand es wurde noch sehr spannend. Speziell die Stelle, als sich die Jungs unter dem Gitterrost vor dem Zigarrenladen verstecken, der Vater begreift und seine erste Auseinandersetzung mit M Dark hat, fand ich grandios. Auch wegen dem Versteck, wie oft hab ich als Kind solche Gitter hinab gesehen und mich gefragt, wie es wäre da unten zu sein? Will ist bis dahin wirklich aktiver geworden. Nach der Prügelei mit Jim, fordert er seinen Vater heraus (was eine Annäherung bewirkt) und nimmt es schließlich im Alleingang mit der Hexe im Ballon auf.
Für mich nährt die Szene nochmal dieses Eis/Sturm Motiv des Zirkus. Jim bereut es in seiner Hybris den okkulten Blitzableiter vom Dach genommen zu haben. Wobei ich bezweifle, dass der etwas gegen den Zirkus ausgerichtet hätte, so wie M Dark in der Bibliothek über die Bibel spricht. S.255: „Haben Sie jemals darin gelesen M Dark?“ „Gelesen! Jede Seite, jeder Absatz, jedes einzelne Wort ist mir an den Kopf geworfen Sir! …Halten Sie Naivität wirklich für Ihre beste Waffe? ... Haben Sie erwartet, dass ich mich nun vor Ihren Augen in tausend zuckende Stückchen auflöse?“
Hier, bzw. spätestens bei der Konfronatation M Dark und Chris Halloway wechselt der Scheinwerfer von Jim weg, hin zu Wills Vater. Man könnte argumentieren, dass Jim seinem Freund bereits zu sehr entglitten ist, während sich der Vater ihm annäherte. Aber eigentlich waren die beiden doch nach dem Polizeirevier wieder auf Augenhöhe miteinander und Jim bereute seine Entscheidungen. Als der Vater in der Bibliothek die Kinder über den Zirkus aufklärt, bekommen wir auch eine zeitliche Einordnung der Geschichte, sie spielt ca. 1930 und damit in Ray Bradburys eigener Kindheit.
Manche der Erklärungen die Wills Vater gibt, finde ich extrem gut geschrieben und unfassbar zitierwürdig:
S.235: „Im ganzen Land liegen heute Abend Städte, Dörfer und winzige Ortschaften voller Narren. Der Zirkus fließt vorbei, rüttelt an jedem Baum. Es regnet Idioten."
S.245: „Die meisten Menschen sind doch begierig nach einer Gelegenheit, alles für nichts aufzugeben. Mit nichts anderem gehen wir so nachlässig um wie mit unseren unsterblichen Seelen. … Wozu braucht Mephistopheles eine Seele? … Diese Kreaturen brauchen das Leuchtgas aus den Seelen, die nachts keinen Schlaf finden und am Tage wegen alter Sünden fiebern. Eine tote Seele lässt sich nicht entzünden. Aber eine lebende, zerquälte Seele, heiß von Selbstanklage – ja, das ist das Richtige für solche wie die!“
- das ist für mich speziell eine Wow-Stelle, weil ich das Gefühl habe meine eigene Gemütsfassung darin wiederzuerkennen, was wohl jeden empfindsamen Menschen trifft
S.247: „Der Tod existiert nicht. Es hat ihn nie gegeben, es wird ihn nie geben. … Aber er ist nichts weiter als eine stehen gebliebene Uhr, ein Verlust, ein Ende. Nichts. Und der Zirkus ist klug genug zu wissen, dass wir uns vor dem Nichts mehr fürchten als vor dem Etwas.“
Die letzte Erklärung erschien mir eher banal, bis ich sie vorhin nochmal gelesen habe. Sie ist wichtig das Ende betreffend.
Die Auseinandersetzung zwischen Dark und Chris Halloway in der Bibliothek war nochmal ein Wow-Moment für mich. Denn die Art wie Dark den alten Mann verführen will, versucht Druck auf ihn auszuüben, die ist fantastisch. Das abzählen von Sekunden wie Jahre und anschließende betonen, wie der Mann seine Möglichketen verschwendet, ist diabolisch und gleichzeitig schon prototypisches Verkäufergeschwätz "Verknappung durch zeitliche Begrenzung." damit schaffen Verkäufer/Vertriebler die Illusion von Handlungsdruck.... alles für nichts.
Als die Staubhexe Wills Vater das Herz anhält, hatte ich tatsächlich Angst um die Figur. Es mag kitschig erscheinen, dass er ich ins Leben zurücklacht, weil er über sich selbst lacht und damit die Hexe in die Flucht schlägt, aber bei all dem "der Zirkus nährt sich von Leid & Trauer" Gerede ist das durchaus konsequent. Deswegen gefiel mir auch die Szene mit dem Gewehr und wie Chis Halloway mit der Hexe und der Menschenmenge umgeht.
Jim wird bis dahin nicht nur durch Passivitiät, sondern pure Nichtbeachtung für mich leider etwas degradiert. Er ist dann eben der Einsatz um den zum Schluss gespielt wird. Man hat nur zwischendurch nochmal etwas Jim-Action, weil Dark ihm das Angebot macht, den Zirkus mit ihm zu leiten, sollte M Cooger nicht zu retten sein. Cooger zerfällt schließlich zu staub. Ich glaube die Illustration von Nightshade & Dark trägt da viel zur Stimmung bei.
Schön finde ich, wie der Vater nicht auf Darks List hereinfällt. Die Szene in der sie Jim wiederbeleben, für die Chris seinen Sohn sogar schlägt, war ein einziges großer WTF für mich. Das wirkt nicht wie ehrliche Freude, eher wie ein manischer, an Wahnsinn grenzender Totentanz. Aber ok es wirkt... ich dachte gestern noch, das Ende versaut das ganze Buch. dann habe ich die Stelle über den Tod nochmal gelesen, die setzt die Szene für mich in eine neue Perspektive. Vielleicht war Jim gar nicht Tod, sondern das war die letzte Drohung des Zirkus, die letzte Illusion alles für nichts herzugeben, der Trauer einheimzufallen und den Zirkus zu füttern, bis er Will und Chris besiegt. Deswegen lässt sich diese Illusion genauso überwinden, wie die Spiegel oder die Hexe.
Das sie am Ende das Karussell zertrümmern, um nicht der Versuchung nachzugeben selbst der Zirkus zu werden, finde ich super konsequent. Es lässt aber die Opfer des Zirkus ungeheilt zurück. Bei Jim erscheint das weniger tragisch, er ist immerhin nur 2 1/2 Jahre oder so gealtert, was wohl einem Angleich an sein geistiges Alter entspricht, aber M Fury und die Lehrerin haben eben die Arschkarte gezogen.
Die letzte Szene als alle drei wie Jungen mit dem Wind laufen, ist ein schöner Abschluss,