Vier Mal piepte es, dann folgte der klickende Ton sich öffnender Schlösser. „
Lange ist’s her“, dachte Hanna und schaute in den Spint, der in ihrem Kleiderschrank einen besonderen Platz ganz weit hinten links einnahm. Die metallische Tür fiel neben den T-Shirts, Hosen, Kleidern und Jacken so lange nicht auf, bis Hanna den kleinen Punktstrahler an der Oberseite aktivierte. Hinter den sich öffnenden Türen kam ein Outfit zum Vorschein: ein Kriegsoutfit. „
Lange ist’s her“, murmelte sie diesmal halblaut und betrachtete die Panzerung, die fein säuberlich sortiert vor ihr lag. Es war Jahre her, seit sie ihren Kampfanzug das letzte Mal getragen hatte, länger sogar seit er das letzte Gefecht gesehen hatte. Grau, hart, voller Kratzer, Brandnarben, Abschürfungen – das perfekte Äquivalent zu Hannas Seele. Hannas Fingerspitzen fuhren über den unnachgiebigen Stahl, der schon so oft ihr Leben geschützt hatte. Beide – Träger und Rüstung – schienen vor Aufregung zu vibrieren. Die Blondine legte die Hand vollends auf die Brustplatte, dort wo im Tragen ihr Herz drunter schlug. „0- neg“, wies ein Symbol aus. Hanna packte den Brustpanzer, zog ihn hervor, wog ihn. Ein bekanntes Gefühl flutete sie. Sie merkte, wie sie lächelte.
Wie eine zweite Haut fühlte es sich an. Keine bequeme Kleidung, kein Bett, keine Entspannungsdecken konnten Hanna das Gefühl geben, das sie verspürte nun da sie ihre Panzerung trug. Kaum erstaunt hatte sie festgestellt, dass sie ihr noch immer wie angegossen passte. Routiniert befestigte Hanna ihre Waffen – Pistolen, Messer, Magazine. T’Saari hatte zugesagt noch weitere Waffen zu organisieren. Sie schnappte sich ihren Visor, verstaute Zigaretten, Tabletten und Co. in einer Tasche am Gurt und machte sich auf zum Treffpunkt.
*
Seeva betrachtete die Teams. „
Ordentliche Truppe“, dachte sie zufrieden. Selbst die Sportlerin sah aus, als könnte sie an der Front dienen. Was ihr an Taktik fehlte würde sie zweifelsohne durch ungezügelte Wut wettmachen. Van Zan wirkte wie immer bereit. Seeva würde es nie gestehen, aber sie mochte den Pragmatiker. Sie legte ihn in der Kategorie „nützlich“ ab, sollte er den Kampf überleben. Angesichts dessen, dass er von Anfang an dabei gewesen und selbst ein feindliches Zusammentreffen mit ihr überlebt hatte, standen ihre Chancen nicht schlecht auch in Zukunft auf den Mann in Schwarz zurückgreifen zu können. Hanna Ilias hatte sich in Schale geworfen und ließ keinen Zweifel daran, dass sie zum Kämpfen hier war. Nämliches ließen auch Syren Vox und Saenia Sorax erkennen. Der Politiker trug eine Panzerung, ebenso wie seine rechte Hand. Die gewählte Ausrüstung war die eines professionellen Söldners, neueste Technik. Vox setzte seine Gelder offensichtlich nicht nur für wohltätige Zwecke ein. Vermutlich konnten Turianer gar nicht anders als sich an Kriegsgerät zu erfreuen. In dieser Beziehung standen sie Batarianern oder Kroganern nicht nach.
Der Gedanke an diese Spezies ließ Seeva einen Blick auf das Vorfeld werfen. Einen Kroganer hatte sie nirgends erkannt. Gilles schien Recht zu behalten; die patrouillierenden Waffenträger hatten den zivilen Shuttlebus mit dem Seeva die Gruppe zum Treffpunkt geflogen hatte entweder nicht gesehen oder nicht als Bedrohung bewertet. Seeva pflückte ein Fernglas vom Gürtel. Sie selbst trug eine komplette Panzerung in mattem Weiß. Die Farbe hellen Knochens akzentuierte das Blau ihrer Haut und das Schwarz der feinen Linien des Kampfanzugs, die zwischen den flexibel angebrachten Panzerplatten aufblitzten. Die Asari ließ den Blick schweifen, zählte Gegner, analysierte. Glück, so hieß es, sei schließlich das Ergebnis von Vorbereitung.
„Mit freundlichen Grüßen von Special Agent Hunter.“ Nathaniel Hudson überreichte Hanna eine Waffe. Die Blondine schaute beinahe gerührt drein. Es war nicht irgendeine Waffe, es war
ihre Waffe. Die M-55 Argus, das modifizierte Sturmgewehr das sie ebenso wie ihre Panzerung durch die Zeit beim Militär begleitet hatte. Hanna umfasste den Griff, spürte wie die Waffe zuckte und sich dekomprimierte. „
Endlich ist mein Arm wieder vollständig“, raunte sie und lächelte tiefsinnig. „Haben Sie…?“ Hudson schüttelte den Kopf. „
Er wäre sicherlich mitgekommen“, sagte Hanna. In ihrer Stimme lag mehr Zuneigung als Hudson, als sie selbst, gedacht hätte. Sie vermisste Will Hunter und die Leichtigkeit der Fälle, die sie mit ihm assoziierte. Hudson erkannte die Verbindung zum Partner und nickte traurig. „
Sorry, Hudson. Hatte nicht dran gedacht“, sagte Hanna, der schlagartig bewusst wurde, dass sie Will nicht an das Nichts verloren hatte. „
Wir kriegen sie. Heute endet es.“ Sie packte Nate an dessen gepanzerter Schulter, gab ihr einen aufmunternden Stoß. Nathaniel Hudson trug die einfachen aber guten Schutz bietenden Panzerungen im Blau der Citadel-Security. Der Detective schulterte eine Avenger, ein Standardmodell. „
Waren Sie beim Militär?“, wandte sich Hanna an Nate und fragte sich, ob sie ihm die Frage bereits gestellt hatte. „War ich“, bestätigte er. „Marines, Portalbewachung. Das einzige Gefecht in dem ich dabei war wurde gegen ein paar Piraten geführt.“ „
Sie haben sich beim Angriff auf die erste Basis gut geschlagen“, versuchte Hanna ihn zu motivieren. Nate nickte. „Ja, ganz toll. Am Ende…“ Nate merkte, wie ihm die Tränen in die Augen traten. Hanna zückte ihre Zigarettenschachtel, zündete zwei an und reichte Nate eine davon. „
Hey, Hudson. Reißen Sie sich zusammen. Mit den Tränen in den Augen können sie schlecht zielen.“ Der andere Cop lächelte gequält, zog an der Zigarette und blies Rauch und Schmerz fort. Nervös trommelte er mit den Fingern auf seinem Helm. „Das wird hart, oder?“, fragte er. „
Es ist nur eine weitere Schlacht“, sagte Hanna und zuckte mit den Schultern. „Entweder wir schaffen es oder eben nicht. So wie jedes Mal. So wie jeden Tag, an dem wir aufstehen und zum Dienst gehen.“ Hanna entließ Rauch durch die Nase. „
Macht doch keinen Unterschied ob du heute stirbst oder morgen.“ Nate lachte voller bitterer Ironie. „Ich hab eine Tochter, wissen Sie?“ „
Nicht daran denken, Nate. Machen Sie sich keine Sorgen um ihre Zukunft. In den nächsten Minuten, Stunden, sehen Sie nur das Ziel, kapiert? Dann kommen Sie auch nach Hause.“ Nate nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Dann deutete er auf seinen Kopfschutz. „Wo ist Ihr Helm?“ „
Ich trage keinen. Er hilft nicht und er stört beim Kämpfen“, antwortete Hanna.
*
Yuhki hatte sein eigenes Team auf die Beine gestellt. Seeva erkannte neben dem Captain und seinem turianischen Gegenpart Rarkin auch ihre muskulöse Artgenossin mit dem Spitznahmen Jezz. Drei Männer mit mittelschweren Kampfpanzern aufgerüstet warteten auf Yuhkis Befehl. Zu ihnen zählten jene Störenfriede, die in der Bar eine Schießerei angefangen hatten sowie ihr vermeintliches Opfer, Nathaniel Hudson. Gavros hatte offenbar die seltene Gabe aus Feinden Freunde zu machen. Zusammengenommen bestand ihre Truppe aus zwölf Mann – Gilles nicht mitgezählt. Selbst Gavros müsste die Aussichten auf einen Sieg angesichts dieser Schlagkraft beerdigen. Vor dem Komplex hatte Seeva zehn Leute gezählt, dazu vermutlich mindestens vier auf der anderen Seite und nochmal diese Anzahl im Innern. Nathan Gilles schätze die Zahl der angeheuerten Schläger auf dreißig. Allerdings war er der Ansicht, dass mindestens die Hälfte von ihnen bei angedeuteter Niederlage fliehen würde.
Gavros‘ Ende musste schnell kommen. Yuhkis Verdacht ihres nächsten Ziels basierte nur auf Mutmaßungen, konnte aber bei dem Wahnsinn in dem sich die Turianerin befand zutreffen. „
Melden Sie Ihren Verdacht den Kollegen. Und dann machen Sie sich kampfbereit“, sagte Seeva und ließ Yuhkis Frage nach ihrer Quelle unbeantwortet zurück. Dann rief sie den Rest der Truppe zusammen. Sie projizierte die Karte des Gebäudes auf den Boden, um die herum die Anwesenden einen Kreis bildeten. Als Seeva sicher war, dass jeder sehen und sie hören konnte, begann sie ihren Plan zu erklären. „
Generell ein guter Plan, den Sie vorgeschlagen haben, Captain. Aber ich habe bereits einen Mann im Gebäude. Er hat Befehl die Barriere am Haupteingang zu deaktivieren und die Türen zu öffnen. Prinzipiell haben wir mehrere Optionen.“ Die blauen Finger deuteten auf die Zugänge. „
Ein Hintereingang, ein Vordereingang, die oberen Etagen und“, sie tippte auf die Mauer: „…Durchbrüche mit Sprengstoff.“ Seeva hatte eine heimliche Vorliebe für das Hochjagen von Objekten. „
Wichtig ist, dass Gavros uns nicht entkommt also müssen wir nach Möglichkeit alle Eingänge bedienen. Captain Yuhki, Sie nehmen Ihre beiden Männer und Agent Ilias. Sie soll Ihren Trupp befehligen.“ Jeglichen Protest verbat sich der Spectre. „
Ich schätze, dass sie mehr Kampferfahrung besitzt als Sie drei zusammen. Captain Rarkin, Sie und Ihre Kollegin nehmen die Leiter, um in die nächste Etage zu gelangen. Sie müssen nicht stürmen, nur aufhalten, verstanden? Miss Cas’tivera, folgen Sie den beiden und halten Sie die Stellung dort mit Ihnen.“ Der hässliche Turianer warf der Asari-Sportlerin einen Blick zu und nickte. „
Mister Vox! Sie, Miss Sorax, Mister van Zan und Detective Hudson greifen den Haupteingang an. Sobald die Barriere fällt sollten sie einen guten Zugang haben. Wenn nicht, dann lege ich meine Hoffnung auf Sie, Mister van Zan. Sie wirken wie ein Mann, der nicht unvorbereitet in einen Kampf zieht und der über genug technischen Spielkram verfügt, um sich in derlei Systeme zu hacken und diese zu umgehen. Detective Hudson, Sie werden diesem Mann nicht von der Seite weichen, verstanden?“ „Ma’am“, sagte Nate zustimmend. „
Ich selbst bleibe auf dieser Position oder bewege mich über das Schlachtfeld und gebe weitere Anweisungen per Funk. Der Auftrag aller lautet jedoch: Halten Sie Gavros auf! Sie darf das Gebäude nicht verlassen!“
„
Was ist mit den Geiseln?“, fragte Hanna und knirschte mit den Zähnen. Der Plan missfiel ihr zusehends. „
Gavros wird hunderte töten, tausende vielleicht. Der Verlust dieser Menschen wäre bedauerlich aber ist unter Umständen ein notwendiges Opfer.“ „
Bullshit“, sagte Hanna. „Sie sind unschuldig, oder? Entweder wir retten alle oder gar keinen.“ Seeva drückte ihr Kreuz durch. Auf ihrer Miene lag ein bedrohlicher Schatten. „
Das hier ist nicht der richtige Platz für Idealismus, Agent. Sie haben einen Auftrag. Erledigen Sie ihn.“ „
Ich habe bei Dienstantritt einen Eid abgelegt: Diejenigen zu verteidigen, die es selbst nicht können.“ „
Agent Ilias, ich habe Sie aus einem bestimmten Grund für diese Mission ausgewählt. Lassen Sie mich jetzt nicht an meiner Wahl zweifeln. Die Geiseln sind wichtig, aber sie haben keine Priorität.“ Hanna schaute in die Augen der Asari und erkannte eine Kälte, die selbst Braelyn Gavros einen Schauer den Nacken hinabgejagt hätte. „
Verstanden“, sagte Hanna unzufrieden. „
Sie sind ein Profi. Verhalten Sie sich so.“
Schweigen breitete sich aus. „
Also. Irgendwelche Anmerkungen zum Plan oder letzten Worte?“, frage der Spectre.