„
Die Luft hier ist ja zum Schneiden.“ Charis‘ Stimme klang kehlig-hohl. Eine Atemmaske, die Mund und Nase bedeckte, ließ sie klingen als spreche sie in eine leere Chipsdose. „Den Mechs ist’s egal und die Volus mögen die Wärme“, sagte
Victoria hinter Charis. Die Stimme der anderen Asari drang gedämpft unter ihrem Helm hervor. „
Es wundert mich, dass die Vieraugen überhaupt unbemerkt auf der Citadel…“, begann Charis, wurde dann aber durch ein herrisches „Ruhe jetzt“ unterbrochen. Sonny, die ihre kleine Gruppe anführte, leuchtete in die verwinkelten, lichtlosen Gänge. In den Tips war vor kurzem die Hölle losgewesen, sämtliche kleine Banden in diesem Revier hatte es im Laufe eines blutigen Nachmittags, den man den theatralischen Namen „Devil’s Riots“ gegeben hatte, zersprengt, zerschlagen und zerfallen. Das entstandene Machtvakuum hatten sich die geschäftigsten Schmuggler der Citadel sofort zunutze gemacht und die ehemaligen Lagerplätze und Clubhäuser der Gangs für ihre eigenen Zwecke requiriert. Rötlicher Dunst waberte bis auf Kniehöhe zwischen den Asari und Charis vermutete bei jedem Schritt, dass sie gleich auf irgendetwas abartiges treten würde. Sonny hob ihre Lampe und deutete einen rabenschwarzen Korridor herunter. „Dort entlang.“
Wie Victoria trug Sonny die schwarz-gelbe
Kampfpanzerung der Eclipse-Schwestern, hatte aber ihre Atemmaske nicht auf. Sie baumelte ebenso nutzlos an ihrer Seite, wie die Tempest-Maschinenpistole an der von Charis. Die Schmugglerin, die in diesem Moment Teil eines Überfallkommandos war, schaute mit der ansteigenden Panik eines zur Schlachtbank geführten Schafes auf die Hintertentakeln ihrer Anführerin. Eine weiße Narbe glitzerte wie ein durch Staub fallender Lichtstrahl auf einer der Tentakel. Der Anblick wirkte seltsam beruhigend auf Charis. Sonny hatte einen Plan. Sie war eine Kämpferin, eine Asari und eine Eclipse-Schwester. „
Es wird schon gut gehen“, dachte sich die Schmugglerin und hoffte, dass sie Recht behielt.
Sonny blieb unvermittelt stehen. „Dort“, sagte sie und deutete durch Dunst und Dunkelheit auf ein fernes, kaltes Licht. In einem an ein Baucontainer erinnerndes Häuschen brannte Licht. Ein unbewegter Strahler warf seinen weißen Lichtkegel, der die fast stoffliche Dunkelheit nur zurückweichen lassen und nicht völlig verdrängen konnte. Charis erkannte über Sonnys Schulter hinweg die hageren Gestalten von zwei LOKI-Mechs. Sonnys Funk knackte vernehmlich. „Sonny, ich bin in Position. Hab zwei Mechs vor dem Gebäude und mindestens einen im Innern gesehen“, meldete sich ein weiteres Teammitglied. „Alles klar, Vezra“, sagte Sonny leise. „Nicht schießen, bis wir nicht bei der Tür sind.“ „Alles klar“, gab Vezra zurück. Charis und ihre Begleiterinnen drückten sich an die metallische Wand hinter ihnen. Charis spürte die abstrahlende Kälte des Stahls, ihr nackter Arm berührte eine der herausragenden Ausbeulungen und ließ sie erschauern. Leise aber bedächtig näherten sich die drei Asari den Robotern und dem flachen Bau, den sie bewachten. Charis konnte im fahlen Schein des Strahlers das Tag einer erloschenen Gang erkennen – die rassistischen White Flowers. Kein großer Verlust für diese Welt, dachte sich die Asari.
Der Container, welcher der Gang wohl mal als Stützpunkt oder „Clubhaus“ gedient hatte, besaß nur zwei Eingänge. Einer lag am längeren Ende des an einen Schuhkarton erinnernden Containers, der andere an der Seite links daneben. Es gab mehrere Fenster, durch die man gegen ausbrechendes Licht die schemenhaften Umrisse von Gestalten erkennen konnte. „Los, los“, trieb Sonny sie zur Eile an. Sie huschten in den Schatten zwischen ihrer Wand und dem Container. „Bereit?“, fragte Sonny per Funk. „Bin ich“, meldete Vezra. Sonny tippte auf ihrem Omnitool, dann trat sie aus dem Schatten und richtete das Gerät auf einen der beiden Mechs.
Ein heller, zuckender Impuls schoss aus dem Tool, erfasste den Mech und ließ ihn, wie von einem Blitz getroffen, erzittern. Im Bruchteil einer Sekunde schmorten die Schaltkreise der Einheit durch. Auch der zweite Mech wurde vom Zucken befallen, die Überlastung erfasste ihn aber nicht völlig. Einsatz Vezra: Ein entfernter Schuss, so laut wie das heftige Zuschlagen einer Tür, zerriss die Stille der Halle. Der Kopf des Mechs explodierte. „Bereitmachen!“, rief Sonny und riss ihre Maske vom Gürtel. Während der kopflose Mech stürzte, Sonny ihr Gesicht hinter einem luftdichten Atemfiltersystem verbarg und im Innern des Gebäudes Hektik ausbrach, rannten Charis und Victoria auf ihre besprochenen Positionen. Charis riss die Tempest hoch, legte an und zielte auf den Eingang der langgezogenen Seite; die behelmte Victoria legte mit ihrer Schrotflinte namens „
Fleischwolf“ auf das Pendant der kurzen Seite an. Sonny pflückte sich den Granatwerfer vom Rücken. Es knallte, Glas barst und mit einem dumpfen Geräusch platze die Granate im Hausinneren. Lautes Geschrei ertönte, irgendjemand feuerte unkontrolliert eine Waffe ab. Sonny wiederholte die Prozedur, feuerte Granate um Granate in den Container, wo sich nun rasch dichter Nebel ausbreitete und heftiges Husten begann. Dann flogen die Türen auf.
Das erste was Charis sah, war ein Zwerg. Die Schmugglerin dachte zuerst, es sei ein Volus. Dann richtete sich die Person auf und entpuppte sich als Mensch, der schwer keuchte, hustete, stolperte. Er hielt sich am Türrahmen fest. Seine tränenverhangenen Augen erkannten die Asari, die sich mittlerweile hingekniet hatte und mit schweißnassen Händen den SMG-Schaft umklammert hielt. „Fuck!“, las Charis auf den Lippen des Mannes, dann drückte sie ab. Der erste Feuerstoß riss den Kerl gleich von den Beinen, hustete eine garstige Wolke roten Blutes in das Zwielicht des Scheinwerfers und schleuderte ihn zurück. Ein weiterer Kerl, ein Batarianer oder ein Mensch, Charis konnte es nicht erkennen, stolperte zur Tür, sah seinen getöteten Kameraden und wich unentschlossen zurück. Charis feuerte und war sich sicher, etwas getroffen zu haben. „
Scheiße, Scheiße, Scheiße“, atmete die Asari, während sie auf die verdächtigen Schemen im Rauch der Reizgasgranate feuerte. Neben ihr hörte sie das dröhnende Fauchen von Victorias Schrotflinte. Charis nahm aus den Augenwinkeln war, wie Sonny in einigem Abstand, direkt an der zulaufenden Ecke des Gebäudes stand, in der linken Hand eine Predator, rechts eine Carnifex. Der Granatwerfer lag achtlos am Boden, er hatte seinen Zweck vortrefflich erfüllt. Charis war sich sicher, dass Sonny lächelte, während ihre beiden Gefährtinnen ihren tödlichen Auftrag ausführten.
Charis war in ihrem Leben schon oft dazu genötigt worden zu töten. Sie hatte es nie gerne getan und auch nie, wenn sie nicht der Meinung war, dass es sein musste. Als Schmugglerin und Kriminelle, die ihren Geschäften auch auf Omega nachging war ihr klar, dass sie hin und wieder ein Leben nehmen musste, wenn sie das ihre behalten wollte. Die jetzige Aktion aber empfand sie als schrecklich und widerwärtig. Und dennoch schickte sie Salve um Salve in diese Todeszone aus Stahl und Rauch. „
Scheiße!“ Blut spritze gegen eine nicht völlig zersplitterte Scheibe, als Vezra einen Mann aus der Entfernung erschoss. Eine Frau kroch auf allen Vieren aus der Tür, quälte sich über die Leichen der Erschossenen. „
Verdammte Scheiße!“, fluchte Charis. Ihr Magazin war leer. Mit zittrigen Fingern, so nass und klebrig, als hätte die Schmugglerin ein Messer und nicht eine Maschinenpistole benutzt, riss sie das leere Magazin aus der Waffe und fingerte ein neues hervor. Die Frau hatte die Türschwelle überwunden, rieb sich die Augen, schrie und richtete sich auf. Charis steckte das Magazin an und lud durch. Sie legte an – und hielt inne. Die Frau war nackt, zumindest fast. „Eine Nutte“, schoss es ihr durch den Kopf. Die Frau, eine Menschenfrau, sah Charis an, sah den Tod in ihren Augen und Händen, schrie in heller Panik und rannte dorthin, wo der feine Rand des Lichtkegels endete und die Dunkelheit begann. Charis legte an und stockte erneut. Ihre Waffe verfolgte die fliehende Gestalt, dann knallte es laut. Ein Fächer aus Blut spritze auf, als der dunkelhaarige Kopf der Frau perforiert wurde. „Keine Gefangenen, Charis“, rief Sonny. Die Schmugglerin brauchte sich nicht umdrehen, sie konnte den dampfenden Lauf der Predator-Pistole vor ihrem geistigen Auge sehen.
Sonnys Handschlag war gelungen. Das Reizgas verzog sich langsam, die Schreie waren bis auf ein Minimum abgeebbt. Vezra hatte den verbleibenden Mech – die einzige echte Bedrohung – durch das Fenster hindurch abgeknallt. Sonny, Victoria und Charis stiegen in den halb verqualmten Container. Das heftige, durch Filter gedämpfte Atmen der drei Frauen erfüllte die Luft, in der das Hintergrundrauschen von aktivierten Systemen und hier und da wimmernden Getroffenen zu hören war. Charis zuckte zusammen, als Sonny einem mit Kugeln förmlich durchsiebten Mann aus keinem Meter Entfernung in den Kopf schoss. Charis erkannte, dass er dasselbe Tag auf der Jacke trug, das sie schon an der Containerwand gesehen hatte. Sonny fand, nach wem sie gesucht hatte. Auch Victoria tötete auf dem Boden liegende Menschen – es waren vornehmlich Gangmitglieder hier. „Chhht, neeeein!“, schrie der Volus, als die Asari den kugeligen Alien unter einem Tisch hervorzerrte. „Halt die Schnauze, Aldu!“, fauchte Sonny und versetzte dem Wesen einen Schlag mit dem Carnifex-Knauf. „Vic, durchsuch die Räume.“ Die Asari folgte dem Kommando. Nur wenige Sekunden danach meldete Victoria den ersten Erfolg in Form eines siegverheißenden „Yeah!“ Sonny lächelte hinter ihrer Maske. „Hättest du unsere Schwestern auf Illium nicht so verarscht und deinen Anteil abgetreten, dann würdest du diese Nacht überleben, du kleiner Haufen Scheiße.“ „Chhht, ich habe…“, versuchte Aldu und verstummte. Victoria kam zurück. „Alles da, Sonny.“ Die Anführerin nickte. Die Drogen, die der Volus auf die Citadel geschmuggelt hatte, würden den Eclipse-Schwestern einen großen Batzen Geld einbringen. Der Volus hätte den größten Teil davon einstreichen können, schließlich wollte die Schwesternschaft nur eine geringe Gebühr für den sicheren Transport der Ware ins System haben – die Eskorte, um die Piraten abzuschrecken, die in Volus-Frachtschiffen leichte aber lohnenswerte Beute sahen. Charis war sich sicher, dass Sonny mit ihrem Angriff gerade Aldus geplante Vertriebswege ausgelöscht hatte. Nun, die Drogen an die maroden Gangs zu vertreiben wäre ohnehin nicht die Idee der älteren Asari gewesen. Sonny visierte die Clubs an, auch wenn sie vom Drogenverkauf genau so wenig Ahnung hatte wie von Elcorpoesie.
„Was zum Henker ist das denn?“, fragte plötzlich Victoria. Sonny, die gerade darüber nachdachte, welches Augenglas sie dem Volus zuerst einschlagen würde, hielt inne. Auch Charis trat heran, aktivierte ihren Scanner. „Was bei Athames kurvigem Arsch ist das denn?“, raunte auch Sonny, als die Datenprüfung auf dem Omnitool der Schmugglerin verrücktspielten. „Das…“, begann Charis zögerlich. „
Das ist Geth-Technik, glaube ich.“ „Geth? Sicher?“ „
Hmm“, machte Charis und erinnerte sich nur ungern an ihre Begegnung mit der Roboterrasse zurück. „Vielleicht ein Teil des riesigen Geth-Schlachtschiffs, das damals die Station angegriffen hat“, meinte Victoria. „Auf jeden Fall ist es wertvoll“, schloss Sonny, denn das Teil, das einer Speicherkarte aus blutroter Platine ähnelte, lag sorgsam geschützt und einzeln auf einem Tisch. Und es war durch ein aufwendiges, elektronisches Kraftfeld geschützt. Sonnys Augen leuchteten beinahe in dem Rot der Platine. „Das nehme ich“, beschied sie. „Charis, töte den Volus.“ „Neeeeeiiiiiin!“, schrie der kleine Alien laut. Charis zögerte und betrachtete ihre Anführerin. Fast so, als würde sie ein Baby aus einer Wiege heben, nahm Sonny das Stück Technik auf ihren Arm, schaute es verzückt an und wandte sich zum Gehen. „Ich habe Geld, Credits, Kontakte“, pfiff der Volus-Schmuggler. Charis zog ihre Pistole. „
Tut mir leid“, sagte sie traurig, richtete die Waffe aus und krümmte den Finger.
Und dann piepte ihr Omnitool. Charis war so verwirrt, dass sie gar nichts mehr tat. Ein Anruf? Um diese Uhrzeit? Perplex starrte sie auf das orangene Leuchten. Der Volus nutzte die Chance nicht, sondern begann erneut zu betteln. Sonny, die das Gebäude bereits verlassen und an der Schwelle des Lichtkegels stand, zog ihre Carnifex. Charis sagte nichts, als sie ahnte, was passierte. Sie schloss die Augen, konzentrierte sich auf den Anruf, der ihr Handgelenk vibrieren ließ und überhörte so fast den Schuss, der das Volusleben beendete. Sie spürte etwas Warmes ihre nackten Unterarme benetzen und erschauerte, wie sie zuvor bei der eiskalten Wand erschauert war. Dann öffnete sie die Augen und sah Sonny, die auffordernde Geste tat. „Geh ran, aber mach’s kurz“, sagte sie und zog sich in die Dunkelheit und die Rolle einer Nemesis zurück.
Und Charis nahm den Anruf an, unwissend, was folgen würde.