Die Zeit blieb niemals stehen, doch Hannas Wohnung entpuppte sich für die Blondine als Zeitkapsel. Während sie gekämpft und gelitten hatten, während hunderte gestorben waren, war ihr Apartment von dem Moment an, da sie es verlassen hatte bis zu dem Moment, in dem sie ihren Fuß über die Türschwelle setzte gleichgeblieben. Sogar die Flasche angebrochenen Biers stand noch auf dem Sofatisch. Wer sollte hier auch etwas verändern? Die Designermöbel, die moderne Küche, das große Bett mit den weißen Bezügen – alles war nur für eine Frau da: Hanna. Sie war allein. Und als sie die Wohnung betrat und sich die schwere Tür hinter ihr zuschob spürte sie die Erleichterung über sich kommen wie die immerwährenden Wellen des Meeres über den Strand. So ging es ihr immer, verstärkt aber in den letzten drei Tagen. Ihre Bleibe war zu ihrer Festung geworden.
Und so störte es sie, als sie kurz nach dem Niederlassen auf der Couch von einem Anruf Notiz nahm: Nummer unterdrückt. Das verhieß Ärger, das wusste Hanna sofort. Ihr Anrufsystem identifizierte so ziemlich jede jemals zugelassene Nummer auf der Citadel. Eine kostspielige Spielerei, die ihr Werbeanrufe und solche von rachsüchtigen Exen vom Leibe hielt. „Ein Anruf von: Unbekannt“, meldete ihr System mit nachgeahmter Freundlichkeit in der synthetischen Stimme. „
Zulassen“, sagte Hanna. „
Agent Ilias.“ Die Stimme hallte durch die Räume, Hanna erkannte sie sofort. „
Warum verbergen Sie Ihre Identität, Commander T’Saari?“ „Routine. Agent, ich rufe aus einem bestimmten Grund an“, sagte der Spectre.
„Kommt gleich zur Sache, muss heikel sein“, dachte Hanna und sagte mit einem Schuss Sarkasmus: „Wie kann ich dienen?“ „
Sie werden sich mit mir treffen; an einem sicheren Ort“, sagte T’Saari in einer Tonlage, die keinen Widerspruch zuließ. „
Einverstanden.“ Hannas Gedanken ratterten. „
Meine Wohnung ist sicher genug“, sagte sie schließlich. „
Klingt gut“, klang es im Raum. Hanna schloss daraus, dass T’Saari sich über Hanna mehr als gründlich informiert haben musste und die Sicherheit ihrer Bleibe somit gut einschätzen konnte. Abhörsicher abgeschirmt, panzerfestes Glas, abdunkelnde Jalousien. „
Ich bringe einen Besucher mit.“ Das missfiel Hanna, sie ließ es sich aber nicht anmerken. „
Wann kommen Sie?“ „
In zehn Minuten sind wir da.“
*
Hanna hatte gerade ihr zweites Bier geleert, da meldete sich der Besuch an. Über einen Bildschirm in der Küche erkannte sie die Asari – und einen Menschen. Sie öffnete die Tür, schob sich eine ihrer Pistolen in den Hosenbund und trat in den Raum mit Sicht auf den Vorflur. „
Willkommen in der Casa Ilias“, sagte Hanna. Seeva sagte nichts ehe sie sich nicht sicher war, dass ihr Begleiter in dem Gebäude und die Tür hermetisch verschlossen war. „
Wollen Sie n‘ Bier?“ Ihr Zeigefinger huschte fragend zwischen der Asari und dem Unbekannten hin und her. Seeva ignorierte die Frage, der andere schüttelte ablehnend den Kopf. Hanna zuckte die Achseln, winkte die beiden mit sich und bot ihnen Platz auf dem Sofa an. Sie stellte fest, dass weder T’Saari noch ihr Begleiter offensichtlich bewaffnet waren. Also holte sie ihre Waffe hervor und legte sie – vielleicht sogar demonstrativ – auf den Couchtisch zwischen sie und das ungleiche Paar.
Drei Killer an einem Tisch. Die Aura der Tafelrunde reichte aus, als dass jedem von ihnen klar war, mit welchem Kaliber sie zu tun hatten. „
Ich wiederhole meine Frage: Wie kann ich dienen?“ „Sie können mir helfen Braelyn Gavros zu erledigen. Ohne Prozess“, sagte T’Saari. Hanna lehnte sich lässig zurück, überschlug die Beine. „
Nichts lieber als das, Commander, aber wie stellen wir das an?“ „Wir greifen zur Gewalt“, beschrieb die Asari ihren Plan knapp. „
Feuer und Gnadenlosigkeit – wir wenden ihre Waffen gegen sie.“ Hanna hob die Mundwinkel, nicht zu einem Lächeln sondern skeptisch und machte ein schmatzendes Geräusch. „
Klingt einfach.“ „
Klingt nach Arbeit für Sie.“ „
Ich stimme zu. Aber wenn Sie nicht wollen, dass ich die ganze Citadel in ein schwarzes Loch verwandle…“ „Ich weiß, wo Gavros ist.“
Der unbekannte Mann hatte sein Schweigen gebrochen. Hanna legte den Kopf schief, dann schaute sie fragend zu dem Spectre. Die Asari nickte. „
Traumhaft.“ Die Agentin konnte ihre Überraschung kaum verbergen. Das ganze passte fast zu gut: Kurz nach dem größten Terroranschlag seit Beginn ihrer Dienstzeit meldet sich jemand, der plötzlich den Aufenthaltsort des Kryptogrammkillers kennt; etwas, was C-Sicherheit über Wochen nicht gelungen war. „
Und Sie sind? Geheimdienst? Undercover-Agent?“ „Niemand von Wichtigkeit.“ Hanna lehnte sich nach vorne. Sie fixierte den Mann während sie sich eine Zigarette anzündete. Erst nach zwei kurzen Zügen sagte sie: „
Für mich ist es wichtig. Ich will wissen, wie verlässlich Ihre Informationen sind.“ Dabei legte sie, die Anwesenheit des Spectre ignorierend, die Hand auf die auf dem Tisch liegende Waffe. Der Mann bewegte sich leicht, Hannas geschultes Auge erkannte jedoch, dass sein Körper sich kampfbereit machte. „
Er hat vielleicht keine Pistole dabei aber zumindest ein Messer“, schlussfolgerte sie. Wenn sie schnell wäre, würde sie den Kerl zu einem Sieb verarbeitet haben, ehe er über den schmalen Couchtisch hinweggesetzt war. Seine Augen verengten sich leicht, die Pupillen zogen sich zusammen. „Das hier ist nicht unsere erste Begegnung, Agent“, sagte er. Seine Stimme war tonlos, von neutraler Bosheit. Die Stimme eines Mannes, der viele Augen für immer geschlossen hatte. „Das letzte Mal schleppten sie Gavros hinter sich her – und ich bin der Grund dafür, dass Sie Ihren Sieg nicht auskosten konnten.“ Auch Hannas Augen wurden nun zu schlitzen. Das leichte Glimmen ihrer Zigarette fraß Papier und verwandelte Tabak zu Asche während die Sekunden verstrichen. „
Dann sind Sie Gilles“, sagte Hanna mit derselben Neutralität. Der Mann nickte langsam. Hanna fragte sich, warum T’Saari nicht eingriff und in dem Moment tat sie es. „
Nathan Gilles ist so etwas wie Gavros‘ rechte Hand. Zumindest war er es. Jetzt arbeitet er für uns.“ „
Sie meinen, er arbeitet für Sie.“ „
Irrelevant“, sagte T’Saari. „
Nicht für mich.“
Hanna packte ihre Pistole, im selben Moment schoss Gilles in die Höhe. Es blitze und die gebogene Klinge eines Karambit-Messers kam zum Vorschein. Hanna richtete die Pistole auf Gilles der die Zeit wiederum genutzt hatte um halb auf den Tisch zu springen. Das Mundstück der Pistole drückte gegen seine Stirn während Hanna die rasiermesserscharfe Klinge an ihrer Kehle spürte. „
Schluss jetzt!“ Seevas Stimme war ein Befehl, heftig und fest hervorgebracht. „
Gilles, senken Sie die Klinge.“ „Wie Sie wünschen“, knurrte der Attentäter und das leichte Brennen der permanenten Hautverletzung verschwand von Hannas Hals. „
Agent“, beharrte der Spectre. „
Waffe runter.“ Hanna ließ die Pistole langsam sinken.
„
Er ist eine Chance, die Sache schnell zu beenden, ich brauche ihn“, erklärte der Spectre. „
Und wozu brauchen Sie mich?“ „
Für den Kampf, Agent.“ Hanna ließ die Waffe an ihrer Seite baumeln, hob ihre Zigarette auf, die während der anschwellenden Konfrontation auf ihrem Mundwinkel und auf den Tisch gefallen war. „
Warum wenden Sie sich nicht an die Eingreiftruppe? Der Executor? Die Captains Yuhki oder Rarkin?“ Seeva schnaubte verächtlich. „
Der Executor ist, ganz seiner Natur entsprechend, überaus korrekt und würde alles doppelt und dreifach prüfen. Ehe er Gilles als zuverlässligen Informanten zulässt hat er die Hälfte seiner Lebenszeit verlebt. Yuhki ist ein Idiot…“ Hanna nickte eifrig: „
…und Rarkin weiß vor lauter Selbstgefälligkeit nicht, wo ihm der Kopf steht. Allesamt untauglich.“ Seeva setzte sich, die anderen beiden folgten ihrem Beispiel. Der Spectre lehnte sich nach vorne. „
Ich haben Sie kämpfen sehen und laut Mister Gilles hier haben Sie Gavros schon einmal besiegt. Gute Voraussetzungen.“ Hanna zog an ihrer Zigarette. „
Ich kenne Ihre Akte“, fuhr Seeva fort. „
Ex-Special Forces, Top-Ergebnisse in allen offiziellen Trainings, Sternenorden von Terra,… Und als Cop haben Sie nicht nachgelassen. Das reicht mir und zu sehen, dass Sie eine gute Wahl für die kommende Schlacht sind.“ Hanna seufzte und drückte die Zigarette aus. „
Scheiß drauf, ich bin dabei. Sie wollen Gavros erledigen? Sie haben einen Plan? Eine bessere Chance auf eine Revenge bekomme ich wohl nicht.“ Commander T‘Saari lächelte unwillkürlich. „
Perfekt. Aber der Angriff wird nicht einfach. Der gute Mister Gilles hier hat für Gavros eine Menge Abschaum angeheuert und bewaffnet.“ „Es sind größtenteils Versager“, kommentierte der Attentäter. „
Schon. Aber auch der Schuss eines Versagers kann einen zu Fall bringen. Oder mit einer Redensart eurer Spezies: Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn.“ „
Also C-Sec?“ „Zu langsam. Zu auffällig. Ich brauche flexible Kämpfer“, sagte T’Saari. Hanna überlegte. „
Wann?“ „
Im besten Fall heute, spätestens in zwei Tagen.“ Die Blondine nickte nachdenklich. „
So schnell kriege ich kaum ein paar meiner alten Freunde zusammengetrommelt. Meine Kontakte hier auf der Citadel haben meistens einen C-Sec-Backround.“ „Was ist Vox?“, fragte Nathan Gilles. Hanna hob eine Augenbraue. „Tun Sie nicht so überrascht, Gavros hat auch den Turianer beobachtet. Der hat doch eine ganze Armee an Söldnern.“ Der Gedanke war tatsächlich interessant. Und wenn nicht welche von seinen Söldnern, dann wenigstens Saenia Sorax. „
Ich hätte da eine Idee“, sagte Hanna und legte ihren Plan dar.
*
Hann tippte die Nachricht rasch und im Beisein der anderen beiden. „
Sie wollen B.G.? Ich habe ihren Aufenthaltsort. Die Information ist zu 100 Prozent war und für Sie kostenlos. Interesse an einer Pyjamaparty?“ An die Nachrichten an van Zan, Sorax und Vox war ein Link mit den Koordinaten zu Hannas Wohnung. Ihre Festung der Einsamkeit sollte nun zu dem Bollwerk werden, in dem der Sturz von Braelyn Gavros geplant wurde.