Yuika
Aufmerksam beobachtete Yuika das umliegende Gelände durch das Zielfernrohr ihrer Mantis. Vor ihr lag das Zielobjekt, ein verlassenes Gebäude. Scheinbar verlassen, denn am Fuß des vierstöckigen Gebäudes konnte man einige Gestalten auf den Straßen entdecken. Die Japanerin sondierte das halbe Dutzend Handlager, die am Eingang des Gebäudes herumlungerten. Ab und zu tauchten auch zwei weitere Bewaffnete auf, welche sich dann nach einem kurzem Plauderstündchen aufmachten. Nach längerer Beobachtung schienen sie die beiden umliegenden Straßen zu patrouillieren. Insgesamt fand Yuika nicht unbedingt das sie besonders viel hermachten. Sie waren zwar wachsam, aber nicht besonders motiviert, oder wirkten professionell in ihrem Treiben. Jemand mit Kenntnissen hätte sich anders aufgestellt, anders die Umgegend im Auge behalten. Ein paar von ihnen mochten Söldner sein, ihren Arsch schon ins Feuer gehalten haben. Aber Profis waren es nicht.
Sie schüttelte verächtlich den Kopf, wenn sie wollte hätte sie mindestens zwei der Männer von hier oben bequem ausknipsen können. Dann jedoch wären sie wohl im Gebäude verschwunden, dessen Haupteingang durch eine Barrikade verstärkt worden war. Und im Gebäude, wo dann hinter jeder Ecke ein Gegner lauern konnte, dort sähe es anders aus.
Sie zuckte mit den Schultern. Zum Glück war das nicht ihr Problem, sie hatte keine Intention sich mit den Burschen anzulegen. Die Japanerin zog das Gewehr wieder zurück ins Zimmer und legte es vorsichtig unter der Fensterbank ab. Sie klappte den Visor über ihrem rechten Auge hoch und ging dann vorsichtig vom Fenster weg. Langsam ließ sie sich an der grauen Wand ihres Beobachtungsposten nieder und setzte sich behutsam ab. Glücklicherweise waren die Gebäude um das Zielobjekt tatsächlich leer, dass erleichterte ihr die Arbeit sehr. An sich verwunderlich das es überhaupt leerstehende und verfallene Gebäude auf einer Raumstation gab, aber seit dem Geth Angriff waren wohl die Gelder etwas ungleichmäßig verteilt worden.
Ihre Finger glitten über der urban-grauen Panzerung des linken Arms und aktivierten das Omnitool. Diese leuchtete in mattorange auf umhüllte den Unterarm der Japanerin. Ihre Finger flogen über das Display und plötzlich materialisierte sich eine kleine runde Drohne. Die Drohne war etwa so groß wie ein menschlicher Augapfel und leuchtete anfangs in einem matten Orange, fast ins braune übergehend. Yuika aktivierte ein Programm und die Farbe der Drohne flackerte. Plötzlich schien sie zu schimmern, wurde kurz fast transparent. Dann nahm sie die steingraue Farbe der Wand vor sich an, schwebte dann zu der Japanerin und nahm dabei die Farbe der Panzerung an. Die Japanerin lächelte zufrieden und aktivierte einen kleines Display auf dem Omnitool. Zuerst konnte sie ihr eigenes Gesicht darauf erkennen, was daran lag das die Drohne jetzt auf Höhe ihres Gesichts flog. Ein kurzer Fingerstreich, dann flog sie aus dem Zimmer.
Die Japanerin ließ die Drohne zunächst vorsichtig das Gebäude umrunden, wobei sie am Boden kurz wieder die Patrouille erkennen konnte. Nach der ersten Umrundung hatte sie schon mehrere Zugänge neben dem Haupteingang entdeckt. Es gab mindestens zwei Hintertüren, eine schien verschweißt an der anderen standen zwei Wachposten. Außerdem hatte sie zwei Feuerleitern entdeckt, wobei eine zu metallenen Außenplateaus führte. Die andere war nur eine simple Leiter, welche entlang der Häuserwand führte. Insgesamt machte das Gebäude doch einen recht verfallenen Eindruck. Risse in der Fassade, eingeschlagene Fenster und Schäden an der Feuerleiter.
Yuika ließ die Drohne nach oben steigen, zum Dach. Immerhin dort schien es keinen Zugang zu geben, von dem zentralen Aufbau der Hausbelüftung mal abgesehen. Sie bezweifelte jedoch das die Luftschächte breit genug für eine Person waren. Jedoch bot es einen hervorragenden Zugang für eine kleine Drohne, auch wenn es die zahlreichen Fenster wohl auch getan hätten.
Die Japanerin packte einen rosa Kaugummi aus und steckte in ihrem Mund. Gleichmäßig kauend fokussierte sie sich wieder auf die Steuerung. Lautlos schwebte die Spionagedrohne durch einen engen Belüftungsschlitz in den dunklen Luftschacht. Aufgrund der unzureichenden Beleuchtung konnte die Japanerin jedoch auch nur wenig beim steuern erkennen.
„Also gut, wollen wir ein wenig Licht wagen.“, murmelte Yuika und aktivierte ein schwaches Licht im Umfeld der Drohne. Wenig überraschend zeigte die Drohne einen Schacht. Ein leichtes Flackern fuhr kurz über den Monitor. Die Asiatin fluchte kurz, aufgrund der Wände konnte es später noch Verbindungsschwierigkeiten geben. Das Bild stabilisierte sich jedoch schnell wieder.
Yuika ließ zunächst die Drohne ganz nach unten fliegen. Der Luftschacht war größtenteils intakt, hatte jedoch einige Löcher und Risse bekommen. Im Erdgeschoß nutzte sie eines dieser Löcher in der Filteranlage und verließ den Schacht, zeitgleich schaltete sie wieder das Licht aus. Sofort bemerkte sie in einiger Entfernung eine Wache und ließ die Drohne an die Decke schweben. Vorsichtig manövrierte sie über den Flur, vorbei an mehreren Wachen. An einigen Gangkreuzungen hatte man sich provisorische Deckungen eingerichtet, ansonsten konnte sie nicht besonders viele Vorkehrungen erkennen. Keine schwereren Waffen, keine Kameras. Ein paar Türen waren verschlossen, die meisten standen jedoch einfach auf, wenn überhaupt noch Türen vorhanden waren. Keine Anzeichen von Drogen oder anderen Handelswaren an denen eine Gang Interesse hätte. Und abseits der Bewaffnung schien es auch keine großen Waffenvorräte zu geben. Einfache Handfeuerwaffen, Granaten. Damit konnte man einen Gangkrieg anfangen, aber dazu würde man sich dann auch aus dem Haus bewegen. Hier war nichts zu erkennen was eine so starke Bewachung wert war.
Sie nutzte einen Deckenschacht, um sich in das zweite Stockwerk zu bewegen. Hier war auch Bewachung, aber deutlich weniger als im Erdgeschoß. Ansonsten war auch hier nichts Besonderes, eingeschlagene Fenster, löchrige Wände. Ein paar verwittere Gangmarkierungen waren an die Wand gepinselt, aber sicher nicht von den derzeitigen Besitzern. Manche der Fenster waren verbarrikadiert, im zweiten Stock sogar auf der Seite mit der Feuerleiterplattform. Die Wachbereitschaft war verbesserungswürdig, die meisten spielten Karten oder plauderten miteinander. Allerdings waren es nicht wenig Wachen. Nachdem sie sich mit der Drohne einen Weg durch das Treppenhaus in den dritten Stock gesucht hatte, bemerkte sie wieder das Flackern. Je weiter sie sich im Inneren des Gebäudes bewegte, desto anfälliger wurde die Drohne. Die Entfernung, kombiniert mit den dicken Wänden verstärkte das Rauschen. Yuika kaute genervt auf dem Kaugummi herum, bis sich das Bild wieder stabilisiert hatte.
Auch im dritten Stockwerk waren wieder vereinzelt Wachen, ein paar beobachteten sogar von den Fenstern aus die umliegenden Straßen. Jedoch schien man auch hier keine interessanten Waren oder ähnliches zu lagern.
Der Zugang zum vierten Stock war bei beiden Treppenhäusern gesichert. Ein Hinweis das hier etwas Interessantes gelagert sein musste. Die Japanerin navigierte die Drohne entlang der Wandecke und ließ sie dann vorsichtig über den Wachmann fliegen. Behutsam steuerte sie den Flur entlang, immer wieder durch Rauschen gestört. Angespannt kaute Yuika stärker auf ihrem Kaugummi herum, konzentriert auf das schlechte Bild starrend. Dann verbesserte sich das Bild wieder und zeigte eine geschlossene Tür. Vor der Tür stand erneut ein Wachposten. Sie flog an der Tür vorbei, jedoch schien es nur einen Zugang in diesem Raum zu geben. Plötzlich öffnete sich die Tür und einer der Söldner kam heraus, dem Wachposten etwas sagend. Aufgrund fehlenden Audios konnte die Japanerin nicht hören was es war. Der Mann runzelte genervt die Stirn, ging dann aber durch die offene Tür, während der andere seinen Posten einzunehmen schien. Die Möglichkeit ignorierend dann nicht mehr hinauszukommen, flog die Asiatin die Drohne in den Raum.
Dieser war schwach beleuchtet, im Hintergrund lief auf einem Monitor irgendein Extranet Programm. Der Wachposten warf einen Blick in die Ecke des Raumes, blaffte wohl etwas und setzte sich dann vor den Monitor. Die Japanerin schaute hingegen in die Ecke und sah..ein flackerndes Bild.
„Baka!“, fluchte sie leise und tippte etwas auf dem Omnitool. Langsam verbesserte sich das Bild. Die Asiatin entdeckte drei Gestalten, zwei Kinder und eine erwachsene Frau. Alle drei waren Menschen und was noch wichtiger war gefesselt und geknebelt.
„Sieh an, davon hat der Glatzkopf nichts erzählt. Wer zum Teufel seid ihr?“, murmelte die Japanerin und betrachtete die Gefangenen.
Die Frau war vermutlich Anfang 40, die Kinder schätzte Yukai zwischen 5 und 10. Schwer zu sagen bei dem störenden Flackern. Eine Verwandtschaft schien vorhanden, auch wenn die Kinder im Gegensatz zu der vermeintlichen Mutter asiatische Gene zu besitzen schienen. Beim Betrachten der beiden Kinder fror plötzlich das Bild ein, Yuika flucht erneut. Doch auch nach einigen Versuchen bekam sie kein neue Verbindung, das Rauschen war zu stark geworden. Grummelnd deaktivierte sie die Drohne, was bedeutete das sie sich in dem Raum dematerialisieren würde. Nachdenklich ließ sie ihre Aufnahmen der Drohne von vorne durchlaufen. Sie war sich nicht ganz sicher womit sie es hier zu tun hatte. Eine Entführung? Dafür waren es doch recht viele Wachen, aber wer wusste schon wessen Familie das war. Je mehr sie überlegte, desto sicherer war sie sich das sie es hier nicht mit der Vorbereitung eines Gangkrieges zu tun hatte. Schwer zu sagen was das hier war, oder zu was diese Aufzeichnungen nutze waren. Aber das war letztendlich nicht ihre Entscheidung. Sondern die ihrer Auftraggeberin.
Maran und Aeghor waren wieder in eine Diskussion über Mietrecht und Eigentumsschutz vertieft, weswegen Katharina auf Durchzug geschaltet hatte. Die Arbeit ging voran, sie hatten schon den Kauf einiger Objekte in die Wege geleitet, vornehmlich in den Green Meadows. Hinsichtlich der Tips hatten sie mehr Zeit, dort würden in absehbarer Zeit wohl nicht die Preise steigen. Allerdings waren sie auch schon seit gestern am Diskutieren, Kathys Gesicht war aufgequollen als hätte sie die Nacht durchgefeiert. Salarianer mochten ja nur eine Stunde Schlaf am Tag brauchen, sie sicherlich nicht. Vom ganzen Kaffee hatte sie schon leichtes Sodbrennen und dieses juristische Geschwurbel ließ den Kopf brummen. Aber es war nötig, also ertrug sie es mit stoischer Gelassenheit und kurzem Einnicken. Plötzlich bemerkte sie das ihr Omnitool blinkte, eine willkommene Abwechslung. Die Halbasiatin verließ kurz das Büro und nahm den Anruf an. Es war Yuika. Sofort war sie wieder wach.
„Ja bitte?“ „Ich habe das Gebäude untersucht für deren Schutz die Söldner angeworben werden.“, erklärte die Japanerin.
„Sehr schön. Wissen sie jetzt womit wir es zu tun haben?“ „Nicht richtig Orlowski-san. Am besten bilden sie sich ihre eigene Meinung. Ich sende ihnen meine Aufzeichnungen.“ Kurz darauf ploppte eine Videodatei auf der Oberfläche des Omnitools auf.
Kathy spielte sie ab und verfolgte aufmerksam den Flug der Drohne. Als das Bild bei den gefesselten Kindern einfror kratzte sie nachdenklich am Kopf.
„Eine Entführung? Keine Schmuggelwaren, keine Waffen, keinerlei Aktionen?“, fragte sie nochmal skeptisch nach.
„Sie haben das gesehen was ich gesehen habe. Und ich konnte keine großen Aktivitäten außerhalb bemerken. Ein paar Türen waren natürlich verschlossen, aber es deutet nur wenig darauf hin, dass sie sich für einen Gangkrieg rüsten. Soll ich sie weiter observieren?“, fragte die Japanerin arbeitsam. Katharina überlegte kurz. Natürlich konnte sie die Japanerin weiter dort ausharren lassen, vielleicht sogar persönlich in das Gebäude eindringen lassen. Aber das klang nach einem Verlustgeschäft. An diesem Ort war zweifellos etwas im Gange, aber nichts was unmittelbar ihre Geschäfte beeinflussen würde. Es war wohl sinniger ihr Augenmerk mehr auf die Akteure in den Tips zu richten.
„Nein, nicht nötig. Unterstützten sie lieber ihre Schwester, ich denke das ist lohnender.“
„
Wie sie wünschen. Haben sie Anordnungen für das Video? Ich schätze, wenn sie es an einen Informationsbroker verkaufen, könnten sie eventuell etwas Gewinn machen.“, schlug die Yuika vor. Vielleicht waren die Frau und die Kinder ja wirklich die Familie von jemand wichtigen, diese Person würde für solche Informationen sicherlich zahlen.
Kathy betrachtete erneut die Bilder der gefesselten Familie. Eine Idee keimte in ihr auf.
„Nein. Wir verhalten uns wie rechtschaffene Bürger. Lassen sie das Material anonym C-Sec zukommen.“, verkündete sie entschlossen und lächelte schmal. Am anderen Ende gab es kurz eine Pause.
„Sind sie sicher?“ „Ja, senden sie es den Behörden zusammen mit dem Standort und unterstützen sie dann ihre Schwester.“
Die Japanerin bestätigte kurz und legte dann auf. Kathy deaktivierte das Omnitool. Es war nicht komplett auszuschließen das diese Bewaffneten ihr später nicht noch Schwierigkeiten machten. Außer natürlich, C-Sec schickte ein Squad, um diese Familie zu befreien und nebenbei das Gebäude dort auszuräuchern. Dann waren sie für niemanden mehr ein Problem. Ein zufriedenes Lächeln umspielte den Mund der Halbasiatin. Etwas besser gelaunt ging Kathy zurück ins Büro, der Immobilienmarkt wartete auf sie.
Yuika war zwar ein wenig verwundert über die Anweisung, jedoch nicht unzufrieden. Sie hatte nichts dagegen, wenn jemand der Familie dort drinnen half. Sie überlegte an wen bei C-Sec sie das Video am besten schicken sollte. Aufgrund der aktuellen Lage konnte es leicht untergehen. Nach kurzer Recherche hatte sie sich entschlossen. Das 12. Revier schien eine gute Wahl, größtenteils Menschen das erhöhte für die Japanerin die Chance das man sich tatsächlich der Sache annahm. Außerdem war der Leiter des Reviers ein Japaner, für Yuika ein weiterer Pluspunkt. Zuerst löschte sie ihre eigene elektronische Signatur und alle Hinweise auf sich selbst aus dem Video. Dann schickte sie es mit den Koordinaten des Gebäudes über einen verschlungenen Pfad von Servern schließlich an die Revierleitung. Ihr Teil war getan, der Rest lag in anderen Händen.