Khorinis hält Ausschau nach dem hervorragenden Minnesänger

für MiMo, frohe Weihnachten 2015!



Es war ein ganz besonderer Tag in der Hafenstadt von Khorinis. Nicht nur dass heute der heilige Abend war und die ganze Stadt mit Kränzen, Sternen und weihnachtlichen Tüchern in edelsten Blautönen verziert war, nein. Das war es nicht. Weihnachten hatte man ja jedes Jahr, von daher war das wohl kaum etwas Ungewöhnliches. Was die Bewohner eigentlich in Aufregung versetzte, war die anstehende Finalveranstaltung von „Khorinis hält Ausschau nach dem hervorragenden Minnesänger“. Zugegeben, auch das hatte man jedes Jahr. Bloß dieses Mal – pünktlich zum 30-jährigen Jubiläum der Großveranstaltung – fielen das Finale und der heilige Abend zusammen. Sapperlot, was würde das für ein Fest geben!
Die im Stadtrat ihren Orden vertretenden Feuermagier unter ihrem Fraktionsvorsitzenden Daron hatten im Vorfeld heftig gegen diese Entscheidung protestiert, wussten sie doch, dass der Weihnachtsinnosdienst dieser beliebten Konkurrenzveranstaltung rein gar nichts entgegen zu setzen hatte. Auf höchst professionell erhobenen Daten basierende Prognosen ergaben sogar, dass Thorben der Tischler der einzige Besucher des Innosdienstes sein würde. Aber der kam ja fast jeden Tag in die Kirche des Herrn und die Kapelle von diesem Adanos gerannt, um ein kleines Privatkonzil abzuhalten. Allein der Gedanke, einen ganzen Gottesdienst nur mit Thorben durchführen zu müssen, grauste Daron. Da die Feuerfraktion das aber nicht öffentlich eingestehen konnte,hatte sie mit dem Sündenfron argumentiert, welcher hinter den Kulissen des Unterhaltungsgewerbes stattfand. Es soll dort in den letzten 30 Jahren seit der ersten Veranstaltung ab und an zu unehelichem Liebesakt zwischen irgendwem gekommen sein. Mindestens zwei Fälle seien belegt und über die Dunkelziffer sowie die erschreckende Möglichkeit von sogenanntem Gleichgeschlechtsverkehr wolle man gar nicht nachdenken. Diese Schlammschlacht zwischen der Kirche und der Unterhaltungswirtschaft erregte in der Öffentlichkeit größte Aufmerksamkeit und zeitweise bangten die Bürgerinnen und Bürger regelrecht um das entscheidende Gesangsduell des 30.Jahrgangs von KhAndhM. Letztendlich entschied mal wieder das liebe Geld über den Ausgang. Die Kollekte war längst nicht so ergiebig wie der Verkauf der Eintrittspassierscheine und außerdem wurde der Inhalt der ersteren ohnehin nur an irgendwelche Bedürftigen gespendet. Und die bekamen ja jedes Jahr etwas, da wäre es schon recht unverschämt, beschwerten sie sich darüber, mal ein Jahr etwas kürzer zu treten. Der Wirtschaft spendete man sonst nie einfach so Geld, von daher war das nur in Ordnung, auch sie mal ein wenig zu fördern. Diese Argumentation Dietrich Bollens, des Veranstalters von KhAndhM, erschien dem Statthalter Larius hieb- und stichfest, also musste die Kirche einlenken. Auf der letzten Sitzung des Stadtrates unterbreitete Daron nun den Vorschlag, das Finale in der Innoskirche und mit dem Innosdienst verflochten abzuhalten. Dieser Vorschlag sei als eine Einladung zur Versöhnung anzusehen und nicht als Verzweiflungsakt zu werten. Der hervorragenden Akustik der Kirche und der zu erwartenden Erweiterung der Zielgruppe um Thorben den Tischler wegen stimmte Dietrich Bollen dem Vorschlag schließlich zu. Seinem öffentlichen Ansehen würde das auch ganz und gar nicht abträglich sein, spekulierte er. Eine Skizze des besiegelnden Handschlags zwischen Daron und Bollen zierte am nächsten morgen die Titelseite des Khoriner Anzeiger.

„Ich find's gut, dass sie sich geeinigt haben“, kommentierte Thorben – allerdings nicht Thorben der Tischlermeister, sondern „einfach nur“ Thorben – die Schlagzeile der heutigen Tagesausgabe. „Und vor allem, dass es so kurzfristig noch geklappt hat! Es war mir schon angst und bange um das heutige Finale!“
Man muss dazu sagen, dass Thorben schon reichlich beschwipst war. Oder war vielleicht beschwupst das bessere Wort? Er und seine Freunde hatten den Doppelanlass dieses Abends nämlich genutzt, um ihren monatlichen Schwuppenabend abzuhalten. Das bedeutete, dass man sich traf, um bei Klatsch und Tratsch oder eben bei einem KhAndhM-Finale ordentlich Likör zu verschwupsen. Beim größten Teil der khoriner Bevölkerung hatte das Wort Schwuppenabend eine negative Konnotation,wahrscheinlich wegen dieser Likör-Sache. Sowas tranken doch echte Männer nicht. Thorben und seine Jungs störte das aber ganz und gar nicht und, eher im Gegenteil: Sie waren stolz auf ihren Schwuppenabend, egal was die anderen dazu sagten. Und so hatten sie in gewisser Weise ein dreifaches Highlight: Heiligabend, das Finale und ihren Schwuppenabend.
„Diese Krise hat der Dietrich Bollen wieder richtig gut gemeistert, muss man sagen“, stimmte Milton Thorben zu, „dass der selbst die Kirche so eiskalt abservieren kann, damit hätte ja nun wirklich niemand gerechnet. Der ist wirklich ein viel besserer Geschäftsmann als er ein Musiker ist. Wenn ich an die ganzen alten Balladen von Zeitgemäße Konversation zurückdenke graust's mir immer noch. Kirsche Kirsche Edelmaid sag ich da nur.“
Nun stimmte Moddar, der auch schon ziemlich beschwupst war, die Ballade an, nur um Milton zu necken. Thorben schenkte derweil demonstrativ noch eine Runde Kirschlikör aus, bevor er ebenfalls mit einstimmte. Milton hielt sich die Ohren zu, „Puh, das klingt ganz garstig! Ihr beiden wärt sicherlich schon in der Vorrunde ausgeschieden. Und zwar mit 'nem ganz deftigen Kommentar vom Bollen! So, jetzt beeilt euch mal. Ich will den Anfang nicht verpassen.“
Skeptisch warf Thorben einen Blick auf die Wanduhr, „So spät ist es doch noch gar nicht. Und das Vorprogramm, also der Innosdienst, wird doch sowieso voll langweilig.“
„Nein“, schüttelte Milton energisch den Kopf und grinste, „Sie lassen Mendoza ein Weihnachtslied singen. Das wird bestimmt ganz köstlich!“
„Mendoza?“, fragte Moddar und schien es nicht recht glauben zu können, „Der Typ, der jedes Jahr wieder bei KhAndhM antritt und es bislang nie in den Rückruf geschafft hat, bis Bollen ihm ein Teilnahmeverbot aussprach? Wahnsinn!“
„Ja, der ist das. Das wird sicher schön schräg!“

Bald darauf machten Thorben, Milton und Moddar – alle drei sehr, sehr angeschwupst – sich zur Kirche des Herrn auf. Sie staunten nicht schlecht, als sie die trotz des Schneefalls schier endlose Schlange an Menschen vor dem Eingang sahen. So viele Leute hat es sicherlich noch nie in Innos' heilige Hallen getrieben, wie an diesem Abend. Die jungen Leute, die die Eintrittspassierscheine verkauften, waren sichtlich in Stress. Es behagte den drei Freunden ganz und gar nicht, sich ganz hinten in diese Schlange einordnen zu müssen.
„Hätte ich doch meinen Schneemantel mitgenommen!“, schimpfte Milton, „Hier holen wir uns ja den Tod! Oder noch schlimmer: Sie lassen uns gar nicht mehr rein, weil die Kirche zu voll wird!“
„Die Liebe des Herrn bietet allen Menschen Unterschlupf“, rezitierte Thorben irgendsowas Religiöses, was er irgendwo mal aufgeschnappt hatte, und erhob dabei mahnend den Zeigefinger, „also sollte seine Kirche das ja wohl auch heute tun!“
„Ja, das macht Sinn“, bestätigte Moddar, „Dann lasst uns das mal durchstehen hier.“
Eine gute Dreiviertelstunde später bekamen auch sie ihren Passierschein ausgestellt und durften die Kirche betreten. Diese war tatsächlich schon sehr überfüllt und Sitzplätze waren beim besten Willen nirgendwo mehr auszumachen.
„Hauptsache, wir sind drin“, kommentierte Thorben diesen Umstand achselzuckend. Ob er nun saß oder stand war ihm egal. Die positiven Vibrationen der wunderbaren Stimmen in Kombination mit dem ganzen aufgeschwupsten Likör würden ihn an diesem Abend ohnehin in bisher unbekannte Sphären schweben lassen.
Einen richtigen Favoriten unter den Kandidaten hatte Thorben in diesem Jahr nicht. Er mochte sowohl Danjièl de Kublbook, der für seine hibbeligen Gute-Laune-Einlagen bekannt war, als auch Greta, die eher so das Herzschmerz-“Oh mein armer Mann, er ist ertrunken! Oder hat er mich doch verlassen? Ich weiß es nicht und es reißt meine Seele entzwei!“-Klientel bediente. Allerdings hatte Thorben auch den Draufgänger-Stil von Valentino bewundert, welcher in der letzten Veranstaltung ausgeschieden war und in seiner Wut für einen großen Eklat gesorgt hatte, als er das Publikum für seine Entscheidung tätlich angreifen wollte. Und dass Thorben auch Valentino gut gefunden hatte, konnte er ohne zu zögern zugeben, trotz der persönlichen Dispute, die die beiden seit Jahren trennten... Plötzlich wurde er an der Schulter gepackt.
„Da kommt jemand auf die Bühne!“
Es war der Magier Daron, der nun aus der Sakristei in den vorderen, abgesperrten Teil der Kirche schritt und hinter dem Altar Halt machte, wo er fromm mit seiner Rechten das Feuerzeichen formte. Mit einem würdevollen Schweigen blickte er in die Menge. Diese wiederum schien vom Schweigen gerade nicht allzu viel zu halten. Das Geplapper verebbte nur langsam und Daron musste einiges an Geduld aufbringen.Schließlich erhob der ehrenwerte Magier das Wort.
„Es erfüllt mein Herz mit großer Zufriedenheit, die Kirche unseres Herrn Innos so voll von frommen Menschen zu sehen. Menschen, die am heiligen Abend nicht nur an den Weihnachtsscavenger und die anderen Köstlichkeiten denken; Kinder, die den Worten des Herrn lauschen wollen und diese für wichtiger befinden, als das schnöde Spielzeug, das man ihnen heutzutage in so enormen Massen darreicht. Hier gibt es Menschen, denen noch das Feuer der heiligen Flamme in den Herzen lodert! Ein Feuer, das nicht zu löschen ist, ganz gleich welche Beliarei als nächstes eingesetzt wird, um nach unserem Glauben zu trachten. Und so erfüllt auch der Umstand mein Herz mit Liebe, dass heute ein großer und populärer Freund unserer Kirche zugegen ist, um dem Innosdienst – ausnahmsweise einmal – ein etwas jugendlicheres Gewand zu verleihen. Ich begrüße auf der Chorbank: Dietrich Bollen!“
Rasender Applaus, Pfiffe, Händeklatschen erfüllten die Kirche. Auch wer einen Sitzplatz hatte stand nun auf, um die lebende Legende zu sehen, die Daron nun aus der Sakristei folgte. Bollen winkte der Menge mit seinem blitzenblanken Grinsen zu, während er auf den Magier zuschritt.
„Moin Daron, gud dich zu seh'n. Alles klaa?“ Er schüttelte dem sichtlich irritierten Robenträger die Hand und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. Ohne eine Antwort abzuwarten begab Bollen sich zu seinem Platz. Der Applaus währte fort.
„Ähm ja, äh...“, Daron bemühte sich, den Faden wiederzufinden, „Ein paar wenige von euch, meinen frommen Schäfchen, haben es ja vielleicht schon im Khoriner Anzeiger gelesen. Unser heutiger Innosdienst wird gleichzeitig Schauplatz des großen Finales von „Khorinis hält Ausschau nach dem hervorragenden Minnesänger“ sein, einem großartigen Hervorbringsel myrtanischer Kultur und natürlich in vollkommenem Einklang mit unserem Glauben. Ich bitte euch also, auch nach dem Empfangen der Hostie noch zu verweilen und nicht zu denken, der wichtige Teil sei ja vorbei, da könne man nach Hause gehen. Es soll ein schönes und frommes Fest werden! Bevor wir jedoch zum Festakt kommen, möchte ich euch aus den „Lehren der Götter“ vorlesen. Zur Feier des Tages aus allen drei Bänden!“
Die khoriner Bevölkerung ertrug „Die Lehren der Götter“ geduldig. Es wollte ja auch eigentlich niemand Daron vor den Kopf stoßen, der schließlich so beliebt war, wie es ein Pfaffe nur sein konnte. Ja, es hatte schon deutlich schlimmere als ihn gegeben. Nach der Lesung knieten sich alle hin, machten brav das Feuerzeichen und sprachen das Glaubensbekenntnis in der Hoffnung, es möge doch bald vorbei sein.Die Leute schlossen mit einem wenig überzeugenden „Amen“.
„Und nun, meine Herde“, Daron legte eine Kunstpause ein, „lauschen wir einem Weihnachtslied. Und ich begrüße als Vorsänger Mendoza, einem seit vielen Jahren bekannten Mitbürger, der sich unermüdlich immer und immer wieder bei den KAh... AhKnd... KhAdm... Na, beim „Khorinis hält Ausschau nach dem hervorragenden Minnesänger“-Vorsingen versuchte! Applaus für Mendoza!“
Und während Mendoza ebenfalls aus der Sakristei geschritten kam und der Menge winkte, entrollten die Messdiener hinter dem Altar ein großes Banner mit dem allseits bekannten KhAndhM-Schriftzug, welcher in seinen Blautönen hervorragend zur weihnachtlichen Stimmung passte. Die Menge tobte und das Orchester begann zu spielen. Mendoza, dessen Stimme von Daron magisch verstärkt worden war, begann seine überaus schräge Interpretation von „Letzte Weynacht, ich überreychte dir mein Herz“ zum besten zu geben.
„Wie großartig, dass sie ihn singen lassen!“, lachte Thorben seinen Freunden entgegen, doch sie hörten gar nicht zu, da sie gefühlvoll mitschunkelten. Sogar Thorbens Namensvetter, der Tischler, der eine Reihe vor ihnen saß, konnte dem ganzen etwas abgewinnen, obwohl ihm ein klassischer Weihnachtsgottesdienst ohne Spaß sicherlich lieber gewesen wäre.
doch am übernächsten Tag, da gabst du es fort. DIEEESES JAHR, DAMIT ICH NICHT WEYN' geb' ich es jemand anders...“

Nach dem viel gerühmten und von nun an auf ewig im kollektiven Gedächtnis aller KhAndhM-Liebhaber verewigten Auftritt Mendozas, setzte Daron den Innosdienst mit der Verteilung der Hostien fort. Diese kleinen unscheinbaren Gebäcke sollten den Leib Innos' darstellen, den sich alle Gläubigen symbolisch einzuverleiben hatten. Die vom Bösen reinigende Flamme, die mit dem Herrn einherging, wurde traditionell durch einen ordentlich dicken Rote-Tränen-Pfeffer-Belag auf dem heiligen Gebäck imitiert. Zufrieden sah Daron zu, wie seine wenig frommen und stattdessen sündhaft sensationsgierigen Schäfchen hustend und röchelnd durch die heilige Flamme in ihren Hälsen geläutert wurden. Er selbst schlürfte derweil das Blut seines Herrn, symbolisiert durch eine edle und lieblich-vollmundige Rotwestmarker Spätlese.
„Nur noch der Scheiterhaufen wirkt reinigender – ich hoffe, ihr bemerkt die wohltuende Erleichterung um eure Sünden bereits?“ Die Menge nickte überschwänglich. „Schön schön. Dann sei somit der hochoffizielle Teil des Gottesdienstes beendet und das Gesangsduell möge beginnen! Es ist mir eine große Freude euch mitzuteilen, dass ich, Daron aus dem Herzogtum zu Tymoris, das diesjährige Finale von „Khorinis hält Ausschau nach dem hervorragenden Minnesänger“ moderativ gestalten werde!“
Im Publikum regte sich kein Unmut. Wie auch? Es waren alle noch mehr oder minder mit ihrer persönlichen heiligen Flamme beschäftigt.
„... und als Einstieg in das große Spektakel“, donnerte Darons magisch verstärkte Stimme, „wird es nun ein Duett der beiden Kontrahenten geben! Begrüßt mit mir die wundervolle und ehrbare Greta sowie Danjièl de Kublbook!“
„Oh mein Innos, es geht los!“, fieberte Thorben dem Auftritt seiner diesjährigen großen Idole entgegen. Auch Milton und Moddar sah man das Glück ins Gesicht geschrieben. Und da kamen sie auch schon hinter dem Vorhang der Sakristei hervor, die am heutigen Abend wohl als Hinterbühnenbereich herhalten musste. Greta, so schön wie noch nie, und Danjièl, über den Thorben nur selbiges denken konnte. Sie traten vor den Altar, fassten sich bei der Hand und verneigten sich einmal tief vor dem Publikum. Dann drehten sie sich zu Dietrich Bollen um und verneigten sich auch vor ihm. Thorben spürte, wie er angestupst wurde. Es war Milton.
„Du? Ist Dietrich Bollen heute eigentlich das einzige Jury-Mitglied?“
„Ja, die drei anderen sind wohl alle irgendwie krank geworden. Aber ist ja auch egal. Heute im Finale wird ja ohnehin im Publikum darüber abgestimmt, wer der bessere von beiden ist!“
Milton nickte und wandte sich wieder dem Ort des Geschehens zu. Daron sprach gerade die Zauberformel, die die Stimmen der beiden Sangeskünstler verstärken sollte.
Ich... hatte... die Zeit meines Lebens! Und ich fühle mich wie niemals zuvor.“, begann Greta das herzzerreißende Duett, „Ich schwöre bei Innos, es ist wahahahr! Und ich verdanke es dir, denn ich hatte die beste Zeit meines Lebens...“
Und nun stimmte Danjièl mit ein und jeder Ton passte: „Ich war-tete so lang auf dihihich! Nun habe ich endlich jemanden gefunden, der bei mir bleibt. Wir sahen die Runen an der Wand und es fühlte sich an wie Magie...“
Thorben fühlte sich wie im Himmel ob dieser wunderbaren Klänge. Er schwebte in Gedanken die hohen Wände der Kirche hinauf bis in ihren Turm, um dort persönlich die Glocken zu läuten. Er fühlte, wie die Poesie dieses erlesenen Liedguts ihn beflügelte. Und schließlich sangen die beiden wirklich zu zweit. Nicht nur jeder eine Strophe, sondern ein richtiges Duett.
Denn ich... hatte die Zeit... meines Lebehens! Ich suchte hinter jeder Tür... bis ich die Wahrheit... endlich fahahand! Und ich verdanke alles dir...“
Und das Orchester spielte den letzten Akkord, die beiden hielten sich immer noch bei den Händen und der Jubel in der Kirche überstieg jeden, der Innos jemals gewidmet worden war.
„Na, das war doch wunderbar!“, versuchte Daron sich als gut gelaunter Unterhalter, „aber wollen wir erst einmal hören, was du dazu zu sagen hast, Dietrich! Haben deine Schützlinge sich gut geschlagen?“
Der Applaus endete abrupt, waren doch alle gespannt, was der große Meister Dietrich Bollen zu dieser Einlage zu sagen hatte.
„Also erstmal, Daron“, setzte Bollen seine Rede an, „ne megaoberaffengeile Ballade – ich find's klasse von den beiden, dass die das hier zusammen durchgezogen haben. Beinah' merkt man gar nich' dasse Konkurrenten sind, weil die beiden wirklich per-fekt aufeinander abgestimmt waren.“
Der Applaus begann erneut.
„Aber“, Totenstille, „das muss ja echt nichts Gutes bedeuten. Es klang halt bei beiden wie Murks, so leid mir das für so ein Finale tut. Du Danjièl...“ Der Sänger zuckte zusammen, „Weißte, wenn Alwin seine Schafe schlachtet klingt das gefühlvoller. Du hast dich kein Stück auf die Ballade eingelassen. Machst immer so auf fröhlich und rumzappeln und das is' ja auch an sich ganz gut. Aber hier sieht man dann mal, dass das einfach nicht immer ankommt. Und dabei ist das Lied nicht einmal traurig, aber doch schon ein bisschen was zum Nachdenken, wo du Gefühl reinlegen musst. Und das hab ich bei dir einfach Null gesehen. Null! Also wenn du auf der Partymeile in Lago enden willst – meinetwegen. Für mehr reichte das gerade nämlich nicht. Und du Greta...“ Sie versank beinahe jetzt schon im Boden, „Erstmal vorweg: Was hast du eigentlich für ein Kleid an? 'tschuldige die direkte Wortwahl, aber das sieht scheiße aus. Und man sieht auch überhaupt gar nichts dadurch. Prüde wie 'ne Nonne im Frauenkloster von Trelis. So funktioniert das in diesem Geschäft einfach nicht. Und gesungen haste auch so in der Art Kirchenchor bei ner Beerdigung. Aber eher so in Richtung Kinderchor bei ner Beerdigung. Dass du die Zeit deines Lebens noch nich' gehabt hast, war das einzige, was so an Emotionen durchkam. Ich kenn' Fischhändlerinnen im Hafenviertel, die strahlen mehr Lebensfreude aus als du. Und dabei ackern die sich tagtäglich die Hände wund, was du ja so noch nie erlebt hast... Ich hoffe echt, dass wenn ihr gleich alleine singt das etwas besser klingt. Sonst is' das hier heute abend echt'n derber Reinfall, muss ich ganz ehrlich so sagen.“
Dietrich Bollen hatte geendet, der Meister hatte gesprochen. Die Leute johlten und klatschten, hatten sie doch endlich das bekommen, wofür die meisten am heutigen Abend die teuren Eintrittspassierscheine erworben hatten: Die öffentliche Demütigung ihrer Mitmenschen. Thorben gehörte zu den Wenigen, die das nicht ganz nachvollziehbar fanden.
„Ich finde, er geht etwas zu hart ins Gericht mit den beiden“, wandte er sich an seine Freunde, „mir hat der Auftritt wirklich sehr, sehr gut gefallen...“
Doch eine Antwort bekam er nicht, passierte doch in diesem Moment etwas durchaus Seltsames: Danjièl de Kublbook und Greta lösten sich in Schleiern blauer Magie auf.
„EY WAS LOS?“, grölte jemand aus dem Publikum, „WO SINDSE HIN? KÖNNEN SICH DOCH NICHT EINFACH WEGTELEPORTIER'N! ICH HAB GELD DAFÜR BEZAHLT HEUTE ABEND HIER ZU SEIN! UND ZWAR NICHT WENIG! GELD HAB ICH BEZAHLT!!!
Und bevor Moderator Daron auch nur einen Versuch unternehmen konnte, die Lage wieder unter Kontrolle zu bekommen, erschien an der Wand hinter dem Altar, direkt über dem Abbild des Herrn, eine magisch projizierte Botschaft.

Wenn nicht ich, dann keiner. -V.

Das Publikum hielt den Atem an, war so etwas doch in den langen Jahren seit der ersten KhAndhM-Veranstaltungsreihe noch nie vorgekommen.
„In Dreigötter Namen! Was geschieht hier?“, entfuhr es Daron, der mit der Lage sichtlich überfordert war. Dietrich Bollen stand von der Messdiener-Bank auf.
„Da kann doch nur einer dahinter stecken!“, rief er, den wütenden Blick auf die magische Botschaft gewandt, „Und zwar Thmoas Andas! Der will sich rächen für einige Abschnitte aus meiner Autobiografie! Wenn ich den inne Finger krich'...“
„Aber da stimmt doch etwas nicht...“, bemerkte Thorben und tippte sich nachdenklich mit seinem rechten Zeigefinger auf die Unterlippe, „Wofür steht das 'V', wenn Thmoas Andas hinter der Entführung steckt?“
Obwohl er eigentlich mehr zu sich selbst gesprochen hatte, brachte Thorbens Frage auch Milton und Moddar ins Grübeln.
„Wer könnte denn noch ein Interesse daran haben, das Finale zu stören?“
„Und wer würde dann mit einem 'V' unterzeichnen?“
Aber natürlich gab es nur einen und Thorbens Blick verfinsterte sich.
„Nun gut, bis unsere tüchtige khoriner Miliz diese Affäre restlos aufgeklärt hat“, unterbrach Darons verstärkte Stimme ihr Gespräch, „werde ich eine ausführliche Lesung der Weihnachtsgeschichte vornehmen, um uns die Zeit ein wenig zu verkürzen – raus darf hier nämlich auf spontane Anweisung Lord Andres, der es mir gerade aus der ersten Reihe zugerufen hat, aus ermittlungstaktischen Gründen niemand. Also hört gut zu und vernehmt diese seligen Verse...“
„Sie sind auf einer völlig falschen Spur“, erklärte Thorben, „Es ist Valentino. Er will sich für sein Ausscheiden in der letzten Runde rächen, aber offenbar hätte er es wohl noch ein wenig eindeutiger angehen müssen, damit die Miliz was merkt. Mit vollem Vor- und Zunamen und am besten noch seiner Anschrift und einem Passportrait. Wir müssen ihn aufhalten und Greta und Danjièl befreien!“
„Aber Thorben! Hast du eine Ahnung, was es für das Finale bedeutet, wenn es jetzt abgebrochen werden muss?“, fragte Milton ängstlich.
„Was es für ganz „Khorinis hält Ausschau nach dem hervorragenden Minnesänger“ bedeutet?“, ergänzte Moddar.
„Ja“,bestätigte Thorben und seine Stimme verdüsterte sich, „Es ist der erste Cliffhanger der KhAndhM-Geschichte.“

Eine Fortsetzung möge folgen.