Zitat von
AeiaCarol
Es war ein Damm, der da brach. Aus vollkommenen, perfekten Gefühlen, sich mischend mit Erkenntnissen und einer Einsicht, die er zu keiner Zeit auf dem Schirm hatte. Er war der Idiot. Der dümmliche Narr, der bei Weitem nicht alles für sie getan hatte, aber der sich mit ihr so verändert hatte. Und es war positiv, so dachte er. Befreiend. Eine Art des Gefühls, das er nie wieder finden würde. Nicht in einem Jahr oder zehn, nicht kurz bevor er starb, nicht einmal im nächsten Leben. Denn sein Herz raste nicht mehr, es sog sich, müde und ausgelaugt, mit schier dem ganzen Blut seines Körpers voll und wollte ihm mit den nächsten beiden Schlägen umbringen. Leif wünschte nichts mehr, als dass diese absurde Vorstellung seines Inneren wahr wurde. Dass er starb. Auf der Stelle. Denn was ihn ausmachte, was sonst seine Identität bedeutete, war weg. Jeder Funken, jedes Echo seiner erhobenen Stimme. Stattdessen kratzte eine Träne über sein kalkweißes Gesicht. Nicht einfach mehr nur erschöpft von dieser Verhandlung, sondern jedes Lebenszeichens beraubt.
"Okay-...", er flüsterte das Wort, wahrscheinlich verstand ihn gar niemand, bis er aufstand, wobei der Stuhl unter ihm unangenehm über den Boden krächzte. Vollkommene Stille herrschte. Wieder einmal. Nur Talbot merkte etwas an, wollte den Richter daran erinnern, dass das hier keine Seifenoper war und wurde letztlich selbst gemaßregelt.
Der Schwede ließ sich nicht beirren. Und Alicia sah voller Sorge zu. Auseinandersetzungen in Prozessen, in denen es um Familie, gar Ehen ging, waren selten ruhiger als dieser hier. Doch es erstaunte, dass Oostvenn Leif so einfach gehen ließ. Nicht etwa den Raum verlassend, sondern auf die Kanzel zu. Er merkte, wie zweifellos sie alle, dass von dem Blonden keine Gefahr ausging, als er sich auf die Schwarzhaarige zubewegte. Sich keiner Scham bewusst war, als er vor ihr hielt und sie unmittelbar ansah.
"Okay.", wiederholte er seine Zustimmung und fixierte ihr typisches Grün. Es war fremd. Zu fremd, um sie in dieser Sache einfach nur perfekt zu tarnen. Und das bedeutete, dass er schlicht und ergreifend einer Realität ins Auge sehen musste, die sich nur noch auf eine einzige Weise ändern ließ: Indem er ihr diese Maske vom Gesicht riss, sie zurück auf seine Seite zog, hoffentlich mit der Folge, aufatmen zu können.
"Ich flehe dich an, mir zu verzeihen. Alles was ich getan habe, während wir zusammen waren, kommt mir jetzt falsch vor, Luceija. So ziemlich alles jedenfalls, verstehst du?", fragte er sie und erinnerte, den Blick kurz, aber nicht minder beschämt abwendend, an die letzten Ereignisse auf Proteus. An jeden Moment, in dem er sie hatte hängen lassen.
"Ich weiß nicht, wieso du dir jetzt-...Wieso du allen hier einredest, dass wir nichts von Bedeutung waren, aber wenn du, wenn-...Ich meine, du tust das nicht für mich, verstehst du? Das hier ist es, was uns endgültig kaputt machen wird. Die Behauptung, dass da einfach nie etwas war."
Endlose, beschämende Verzweiflung war es, die er noch ausstrahlen konnte, als er in einer ganz und gar unerlaubten Geste ihre leicht zittrige Hand griff. Sanft, aber zu rasch, um ihr eine Fluchtmöglichkeit zu geben. Er hielt sie einfach. Eingeschlossen in seine beiden Hände, die schmale Gestalt seiner einstigen Freundin etwas zu sich nach vorn zwingend, um diese Verbindung mit seinen Lippen zu berühren. Zu beten. Etwas, das Leif sonst kaum tat. Es war das dritte Mal. Nach den flehenden, gedanklichen Gebeten an einen Gott, den es zweifellos nicht gab, als seine Eltern starben und sein kindliches Ich sie nicht wirklich tot wissen wollten. Dasselbe hatte er auch bei seinem Sohn getan, aber nicht einmal, als er kurz vor dem eigenen Tod stand. Auf Elysium. Dort wo er den Krieg gesehen hatte, den er fürchtete bis ins Mark, doch der es nicht im geringsten hiermit aufnehmen konnte, während er stumm weinte. Vor all diesen Leuten. Demaskiert und gedemütigt. Flüsternd, durch die Stille aber in alle Richtungen treibend, obgleich die Frage nur für Luceija bestimmt war. Eine allerletzte, absolute Frage, während er die Wärme ihrer Hand fühlte. Spürte, wie trocken und ungerührt sie war. Wie gut ihr Körper hierauf vorbereitet gewesen war, weil es die Wahrheit war. Nichts, das sie anstrengte.
"Du liebst mich nicht?"
"Die Zeugin darf-...Ganz dem eigenen Ermessen nach, eine Antwort aussprechen, aber bitte, Doktor-...", formulierte van Oostven voller Respekt und hörbar, aber deutlich leiser als je zuvor, "Bitte setzen Sie sich. Ich will in dieser außerordentlichen Situation keine erneute Sanktion gegen Sie verhängen."