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    Irenicus-Bezwinger  Avatar von MiMo
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    Post [Story]Götterurteil

    Die Vorhänge der hohen Fenster waren zugezogen, sperrten das diffuse Licht der Straßenlaternen aus. Eine einzelne Kerze leuchtete sanft auf einem wuchtigen Schreibtisch. Während er in seinem weiträumigen Büro auf und ab schritt, warf die Kerze lange Schatten über die nackte, weinrote Tapete. Es herrschte vollkommene Stille, denn der dicke Teppich schluckte jedes Geräusch seiner Schuhe. Und die drei Frauen, die er herzitiert hatte, warteten wie versteinert darauf, dass er das Wort an sie wandte. Er genoss diesen Moment, in dem sie sich fragten, weshalb er sie gerufen hatte. Was sie wohl falsch gemacht hatten. Denn es war allgemein bekannt, dass er sich nur mit solchen Mitarbeitern persönlich befasste, die es fristlos zu kündigen galt. Er kannte das Getuschel über ihn, dass er sich an der Verzweiflung, dem Wanken, dem brechenden Blick seiner Opfer ergötzte.
    Abrupt stoppte er vor der ersten der drei Frauen. Sie war ein Strich in der Landschaft, mit randlosen Brillengläsern, hinter denen kluge, eisblaue Augen lagen. Ihr Blick hielt dem seinen Stand. Ein spöttischer Zug lag auf ihren Lippen. Ihr Abscheu war körperlich spürbar. Ihr langes, blondes Haar schimmerte im Kerzenlicht, solange er es nicht mit seinen breiten Schultern von der Lichtquelle abschnitt, so wie jetzt.
    „Frau Andersen“, sagte er und befeuchtete seine Lippen mit der Zungenspitze.
    „Herr Erwin-Edwein. Sie haben mich rufen lassen?“, antwortete sie mit nüchterner Stimme.
    „Können Sie sich vorstellen, warum?“ Er hielt die Vorfreude noch zurück, die sich auf sein Gesicht schleichen wollte.
    „Ich nehme an, weil Sie mir etwas mitteilen möchten“, blieb sie konsterniert.
    „Sie sind gefeuert“, schoss er geradeheraus und wandte sich auch schon wieder von ihr ab. Nur um ein weiteres Mal vor den drei Frauen auf und ab zu gehen. Keine von ihnen hatte bislang auch nur mit der Wimper gezuckt, nicht einmal jene, deren Haar nun wieder im Licht der Kerze schimmerte. Nicht umsonst hatte er sie für sein Unternehmen haben wollen. Ihre Qualitäten waren heute noch genauso offensichtlich wie damals. Und genau deswegen war sie heute hier. „Frau Andersen… Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass es für unser Unternehmen besser ist, wenn wir uns von Ihnen trennen, weil sie zu…“ Er war wieder vor ihr angelangt und tat so, als müsse er nach dem richtigen Wort suchen. „Weil sie zu zugfresch sind.“
    Frau Andersen hob eine Augenbraue über den Rand ihrer Brille hinweg. Ihr Blick sprach ihm widerwillige Anerkennung aus. „Das hatte ich nicht erwartet. Wenn das so ist, kann ich Ihnen Ihre Entscheidung natürlich nicht übelnehmen. Bis zum morgigen Arbeitsbeginn werde ich meinen Platz geräumt haben, seien Sie unbesorgt.“
    Er nickte. Sie hatte ihre Haltung perfekt gewahrt.
    Nun kam er zu der mittleren Frau. Sie war klein und untersetzt, die Stupsnase und das breite Kinn machten ihr Gesicht unansehnlich, doch er wusste genau, wo die Talente dieser Frau lagen. Er hatte sie eingestellt, nachdem er mitbekommen hatte, wie sie sich gegen einen Gast wehrte, der sich über ihren Kaffee beschwert hatte. „Frau Silbervogel.“
    „Sie können mir Ihre gewiss sehr gut einstudierte Show ersparen“, unterbrach sie ihn, bevor er überhaupt richtig begonnen hatte. Sie war nicht umsonst seine beste Telefonistin gewesen. „Nach außen mögen sie den Schein stets gewahrt haben, aber niemandem, der länger in dieser Firma arbeitet, kann entgehen, was hier in Wirklichkeit abläuft. Anfangs war ich Ihnen noch nützlich, weil ich Ihnen einen lästigen Konkurrenten vom Leib schaffen musste, aber jetzt bin ich für Sie zur Gefahr geworden. Unter diesen Umständen bleibt Ihnen gar nichts anderes übrig, als auch mich zu entlassen. Aber nichts von dem, was ich sage, könnte Sie daran hindern, Ihren wohlüberlegten Vers vorzutragen, also werde ich Sie gar nicht erst bitten, sich kurz zu fassen. Ich möchte Ihnen nur so viel sagen: Der Schinken ist ein Renztüfp. Aber das dachten Sie sich wahrscheinlich schon unlängst.“
    Er schenkte ihr ein anerkennendes Nicken. Nicht weniger hatte er von ihr erwartet. „Ich möchte Ihnen wenigstens einmal in die Parade fahren, wie man so schön sagt. Also werde ich mich tatsächlich kurz fassen: Sie sind entlassen, fristlos natürlich.“ Das Schweigen wurde nicht einmal vom so wortgewandten Silbervögelchen unterbrochen. Er musste zu seinem Leidwesen feststellen, dass es nicht einmal annähernd so ein quälendes Schweigen war wie erhofft. „Weil sie eine unausstehliche Urmdellung sind.“
    Sein Silbervögelchen warf den Kopf in den Nacken und lachte. Es war nun frei zu fliegen, wohin es wollte. Doch er war sich sicher, dass der Silbervogel zu den Arten gehörte, die in der freien Wildbahn nicht überleben konnten. Und dass es selbst sich dessen gar nicht bewusst war.
    Er schlenderte zu der letzten der drei Frauen hinüber. Der rothaarigen, kurvenreichen Schönheit. Sie strich gedankenverloren mit ihrem Zeigefinger über ihre Schläfe. Und als er ihr in die Augen sah, spürte er, wie er in sie hineingesogen wurde. „Du bist ein widerliches Arsch, Edwin.“
    „Deiner ist wie immer ganz hervorragend, Deborah“, sagte er und zwinkerte ihr zu.
    „Du denkst, dass ich wieder bei dir angekrochen komme, nachdem du mich rausgeworfen hast, nicht wahr?“
    Er hustete gekünstelt. „Ich weiß nur, dass du dir immer eingebildet hast, dass ich Interesse an dir habe. Dabei sagte ich dir schon so oft, dass du mir völlig gleichgültig bist. Ich habe viele Frauen wie dich.“
    „Jeder Mensch lebt in seiner eigenen Realität. Keine Realität kann die ganze Wahrheit für sich beanspruchen. Und du… bist ein Mensch, so ungern du das auch wahrhaben möchtest.“
    Er verzog den Mund, als hätte er in eine saure Kirsche gebissen. Er wusste, sie würde ihn ewig verfolgen, wenn er ihr nur das Gefühl gab, dass sie ihn durchschaut hatte. Er fasste sich an den perfekt sitzenden Krawattenknoten und rückte ihn scheinbar zurecht. „Es wird Zeit, dass ich mich auch von Ihnen trenne, Frau Balduin“, verkündete er distanzierter.
    „Und wie lautet Ihre Begründung?“ Unflätig kratzte sie sich mit ihrem Mittelfinger auf dem Rücken ihrer perfekten Nase.
    „Sie haben viereinhalb Mitarbeiter verungrunkt. Das ist Begründung genug, oder?“
    „Stimmt. Niemand darf hier mehr verungrunken als Sie. Das weiß wirklich jeder.“ Ihre Augen blitzten vor unterdrückter Wut.
    Er wandte sich ab und schritt hinter seinen Schreibtisch. Nun da er zwischen ihm und seinen ehemaligen Angestellten stand, fühlte er sich noch einmal um einiges mächtiger. Das Finsterglas hinter ihm klirrte.
    „Und nun verlassen Sie bitte mein Büro. Ich möchte keine von Ihnen jemals wiedersehen. Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt.“
    Wortlos wirbelten die drei Frauen zur Tür herum. Blondes, schwarzes, rotes Haar schwang durch die Luft. Die hohe Doppeltür öffnete sich von selbst. Gleißendes Licht flutete aus dem Gang dahinter in sein Büro. Nun schlich sich der frohlockende Ausdruck auf sein Gesicht, den er kaum zu unterdrücken vermocht hatte. Die Schemen der Frauen verschwammen vor dem Gegenlicht. Die Scheiben hinter ihm explodierten, doch der teure Vorhang hielt die Glassplitter auf, bevor sie ihm nahe kamen.

    Nerion erwachte jäh. Verwirrt blinzelte er sich den Schlaf aus den Augen. Sein Zimmer war in ein seichtes, blaues Licht gehüllt. Noch ehe sich die Wirre in seinem Kopf gelegt hatte, kam ihm in den Sinn, dass er wohl vergessen hatte, seinen PC herunterzufahren. Doch schon im nächsten Moment fiel ihm ein, dass er ihn heute gar nicht benutzt hatte. Und warum hätte er es auch vergessen sollen?
    Seine Schläfrigkeit war wie weggeblasen, als er plötzlich erkannte, welchen Ursprung das blaue Licht tatsächlich hatte. Es war viel größer als sein Röhrenmonitor und hatte die Form einer Ellipse, die an den Rändern in den Raum hinein zerfaserte und unablässig kleine blaue Fünkchen auf seinen verschlissenen Zimmerboden regnen ließ. Und durch die Ellipse erkannte er einen reißenden Strom von Bildern, die so schnell vorbeihuschten, dass er keines von ihnen richtig erkennen konnte. Doch die flackernden Bilder erhellten sein Zimmer im Gegensatz zu dem funkensprühenden Rand des Dings nicht, als wären sie gar nicht wirklich dort.
    „Heee, Gilbert!“, krähte auf einmal eine missgelaunte Männerstimme aus dem Halbdunkel hinter ihm.
    Nerion schrak hoch, war auf den Beinen, noch bevor er den Mann entdeckt hatte. Nach Luft schnappend presste er sich mit dem Rücken an die Wand. Sein Herz schlug so schnell, dass er glaubte, dass seine Brust gleich ähnlich Funken versprühen würde wie die Ellipse. Der Mann trug eine dunkel gehaltene Uniform und eine gewichtig wirkende Mütze mit vierzackigem Stern über dem kurzen Schirm. Mit der linken streichelte er sanft seine ausladende Plauze, während die Rechte eine Tasse in der Hand hielt, aus der es sanft dampfte. Das aufgedunsene Gesicht des Mannes konnte Nerion nur schwerlich beruhigen und dann kam auch schon sein Kollege um die ellipsenförmige Erscheinung in der Mitte des Raumes herum.
    „Mensch, Matteo. Hab ich dir doch gesagt, dass du zu laut bist. Jetzt haben wir das ganze Protokoll an der Backe!“ Der Mann trug dieselbe Uniform, doch sein Hemd hing in Falten herab, anstatt sich über einem Bierbauch zu spannend. Er wirkte drahtiger und sein langes Gesicht wäre von Nerion als verschlagen bezeichnet worden, wenn er solcherlei Vorurteile nicht vehement ablehnen würde. „Wenn der einfach in seiner Zelle wach geworden wäre, hätten die Kollegen von der U-Haft das für uns erledigen müssen, aber so…“
    „Ach, nun mach aber mal nicht so einen Wind, Gilbert, altes Haus“, brummte der füllige Matteo und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Fünf Minuten, dann haben wirs hinter uns und können uns wieder auf den Weg zu Snaf’n Donuts machen.“
    „Hast du denn gar nicht die Einsatzbeschreibung gelesen?“, entrüstete sich der hagere Gilbert. „Wir befinden uns hier auf keinem Mitglied der vereinigten intergalaktischen Sonnensysteme, das hier ist unzivilisiertes Buschvolk!“
    Matteo klappte die Kinnlade herunter. „Daaaann…“ Er schloss seinen Mund wieder, schluckte und begann von Neuem. „Dann übernimm du das mal. Ich hab schon den letzten Härtefall übernommen.“
    Gilbert stemmte seine Arme in die Seiten. „Komm mir nicht so! Der letzte Hintersystemler, den wir hatten, hat sich doch…“
    Nerion verstand nur so viel: Er träumte ganz offensichtlich immer noch. Und obwohl diese Schlussfolgerung ihm so glasklar kam wie das Ergebnis einer Addition ohne Zehnerübergang, wusste er doch, dass es nicht stimmen konnte. Er spürte nicht nur seinen Herzschlag, auch sein Bettlaken unter seinen nackten Füßen, hörte eine Katze auf der Straße draußen jammern. Für einen Traum war das hier viel zu detailliert. Obwohl dieser Chef, der seine Mitarbeiterinnen feuerte, auch so real gewirkt hatte.
    „Wenn du das nicht übernimmst, erzähl ich Willi, dass du beim letzten Skatabend eigentlich siebzig Miese mehr gemacht hast! Dann lässt er dich nie wieder die Punkte aufschreiben.“
    „Oooaaah…“ Genervt wandte Matteo sich zu dem Bett um, auf dem Nerion immer noch an die Wand gepresst stand. „Also Junge, dann hör mal zu.“
    „Wer sind Sie?“, fragte Nerion beklommen und sah zwischen den beiden Uniformierten hin und her.
    „Wir nehmen dich jetzt mit auf eine kleine Reise und der Rest erklärt sich dann von ganz von alleine, wirst schon sehen“, antwortete Matteo und setzte ein gezwungen freundliches Lächeln auf. „Dann kannst du auch deine Eltern anrufen und… Ach ne, darfst du nicht. Vergiss das mal wieder. Du brauchst dir jedenfalls gar keine Sorgen zu machen. Wenn du jetzt brav mitkommst, ist alles in Ordnung.“
    „Ich meine mich zu erinnern, dass das Protokoll an manchen Punkten etwas - Wie soll ich sagen? Ah ja - detallierter ist, Matteo“, bemerkte Gilbert trocken von der Seite.
    Matteo wandte sich wieder genervt seinem Kollegen zu. „Dann mach du es doch, wenn du so geil auf dieses verfickte Protokoll bist. Keiner kann Klugscheißer leiden!“
    Gilbert rollte entnervt mit den Augen und trat einen Schritt vor. Matteo setzte eine zufriedene Miene auf und schlenderte ans Fenster. Nerion verstand nicht, was hier los war. Wären es nur die beiden Männer gewesen, die so unvermittelt in seinem Zimmer aufgetaucht waren, hätte er sich ja noch allerlei Erklärungen zusammenreimen können. Verrückte, die aus der nahegelegenen Psychatrie entkommen waren und ihm nun einen grausamen Scherz spielten. Einbrecher, deren neueste Masche es war, ihre Opfer aus ihren Häusern zu gruseln. Aber keiner seiner Erklärungsansätze konnte diesen ellipsenförmigen Bilderstrom erklären, der noch immer die einzige Lichtquelle in seinem ansonsten so vertrauten Schlafzimmer war.
    Gilbert räusperte sich. „Sei gegrüßt, Nerion aus der Galaxie Milchstraße.“
    Matteo lachte brüllend. „Milchstraße? Heißt die wirklich so? Ist ja zum beömmeln!“
    „Ignoriere ihn einfach. Du bist gewiss verwirrt und kannst das alles noch nicht einordnen, doch ich kann dir versichern: Es besteht kein Anlass zur Sorge. Wir sind von der Intergalaktischen Vollstreckungskommission und es ist unsere Aufgabe die Rechte und die Sicherheit aller Lebewesen in allen Galaxien zu wahren und wiederherzustellen.“
    „Und ihr wollt mich mitnehmen“, erinnerte Nerion sich an den vielleicht beängstigendsten Teil der kurzen Ansprache des beleibteren Beamten.
    Gilbert seufzte schwer. „Dazu kommen wir später. Ich erzähle dir jetzt erstmal ein bisschen was darüber, dass es auch noch auf anderen Planeten Menschen gibt, deren magitechnischer Entwicklungsstand…“
    „Warum wollt ihr mich mitnehmen?“, unterbrach Nerion ihn. Solange er die Befürchtung hatte, gegen seinen Willen irgendwohin verschleppt zu werden, konnte er diesem sogenannten Protokoll einfach keine Beachtung schenken.
    „Dieses Protokoll ist für‘n Arsch. Sag ich schon seit Jahren“, fügte Matteo hinzu und nippte an seiner Tasse.
    Gilbert machte ein gequältes Gesicht, schien hin- und hergerissen zwischen der Einhaltung des Protokolls und einem bequemeren Weg. „Na schön“, sagte er schließlich. „Ich versichere dir noch einmal, dass du dich in keiner Gefahr befindest. Die Todesstrafe ist in jeder Mitgliedsgalaxie der VIS seit mindestens einer Milliarde Jahre abgeschafft. Das ist ein Aufnahmekriterium! Allerdings hast du gegen intergalaktisches Patentrecht verstoßen und das wird nicht ganz ohne Folge bleiben. Dafür hast du doch bestimmt Verständnis, oder nicht?“
    „Was?“, entfuhr es Nerion. Er wusste nicht, ob er lachen oder weinen oder schreien oder alles gleichzeitig tun sollte. „Ich weiß doch nicht mal von der Existenz irgendeines Lebens außerhalb der Erde. Wie soll ich gegen ein Patent verstoßen haben, dessen Rechteinhaber anscheinend nicht einmal in Kontakt mit der Erde steht?“
    „Die Struktur hat errechnet, dass du der magitechnischen Entwicklung deiner Galaxie um einige Jahre voraus bist, und zwar um… Ferflixt, sind das viele Nullen. Sehr weit jedenfalls. Diese Ziffer kann doch kein Mensch benennen! Wieso haben die aus der Zentrale keine Lesehilfe beigefügt? Matteo, weißt du, wer diese Einsatzbeschreibung verfasst hat? Der gehört dringend nachgeschult!“
    „Können Sie mir wenigstens sagen, gegen welches Patent ich angeblich verstoßen habe?“, fragte Nerion. Langsam legte sich seine Angst. Es konnte sich hier nur um einen Irrtum handeln. Nach allem, was er bisher gesehen hatte, waren diese beiden Beamten nicht die hellsten Kerzen auf der Torte. Bestimmt hatten sie irgendeinen Fehler gemacht.
    Gilbert tippte auf ein Gerät an seinem Handgelenk, woraufhin das Hologramm einer Tafel mit kryptischer Schrift erschien. „Du hast dich unerlaubt der Weissagungsmagie des Orakels von Xeshage bedient. Wenn ich mich recht erinnere, sind das die, die Ausschnitte der Zukunft vor ihrem inneren Auge erscheinen lassen können, oder Matteo?“
    „Was weiß denn ich. Können wir jetzt endlich los? Es ist vierfünfeinundneunzig und ich hab immer noch keinen Donut!“
    Nerion sah vom einen zum anderen. Keiner von beiden schien bewaffnet zu sein. Nicht einmal Handschellen trugen sie an ihrem Gürtel. Vielleicht waren sie wirklich aus einer anderen Galaxie, aber woher sollte er wissen, dass sie wirklich Vollstreckungsbeamte waren? Und selbst wenn: Er hatte doch gar nichts getan, was eine Inhaftierung rechtfertigen würde. Erst recht hatte er keine patentierten Weissagungstechniken irgendeines Orakels benutzt. „Könnt ihr beweisen, dass ihr die seid, für die ihr euch ausgebt?“
    „Das auch noch!“, jammerte Matteo und verdrehte die Augen.
    „Hm, könnte ein Weilchen dauern“, gab Gilbert zu. „Unsere Ausweispapiere und Dokumente sind natürlich in der Gemeinsprache der VIS verfasst und bis das Übersetzungsprogramm sich die Daten für deine Galaxie runtergeladen hat… Wir sind hier fernab jeglicher Zivilisation, deshalb ist die Verbindung schlecht.“ Er tippte missmutig auf dem Gerät an seinem Handgelenk herum.
    Nerion jedenfalls hatte genug gehört. Gilbert war abgelenkt und Matteo schien ihm ohnehin keine echte Bedrohung zu sein. Mit einem Satz sprang er von seinem Bett und an Gilbert vorbei, riss seine Zimmertür auf und wetzte über den Flur. Geübt drei Stufen auf einmal nehmend rannte er die Treppe herunter und an der Garderobe vorbei. Draußen würde es kalt sein, doch er wagte es nicht, anzuhalten und sich seine Jacke vom Haken zu nehmen. Wie jeden Abend hatte seine Mutter den Schlüssel in der Haustür stecken lassen. Hastig begann er aufzuschließen, als auch schon ein Lichtblitz das Milchglasfenster direkt vor seiner Nase springen ließ. Instinktiv kniff er die Augen zusammen, bis er spürte, dass die Tür endlich offen war und unter seinem Druck nachgab. Er stieß sie auf und floh aus dem Haus. Die kühle Nachtluft ließ ihn nach Luft schnappen, doch er flog ungebremst über den Rasen, sprang über das niedrige Gartentor und rannte die Straße hinab. Was auch immer das für ein Lichtblitz gewesen war, er wollte sich davon nicht erwischen lassen. Sie mussten eine Waffe bei sich getragen haben, die er nicht als solche erkannt hatte, oder die problemlos in einer Hosentasche Platz fand. Ein weiterer Lichtblitz zischte so dicht an seinem linken Ohr vorbei, dass er spürte, wie er seine Haut verbrannte. Rasch bog er in die nächstbeste Seitenstraße auf der rechten Seite. Der Kiosk auf der Ecke würde ihm für einen kurzen Moment Deckung geben. Direkt hinter dem Eckladen zweigte eine weitere Straße ab. Wenn er sich dort versteckte und Glück hatte, würden seine Verfolger geradewegs an ihm vorbeilaufen.
    Doch als er um die nächste Ecke bog, standen ihm zwei Männer gegenüber, die ihn um mindestens zwei Köpfe überragten, obwohl er selbst alles andere als klein war. Der eine trug ein mitternachtsblaues Gewand, das in dem Zwielicht fast schwarz wirkte. Seine Haut war von seinem zerzausten Haar bis zu dem eleganten Kragen seiner Robe mit fremdartigen Symbolen tätowiert und seine Augen leuchteten gelb. Der andere war so dürr, dass es kränklich wirkte, und trug nur dünne, zerschlissene Kleidung. Er sah auf zum Mond. Die dunklen Wolken, die am Himmel dahintrieben, spiegelten sich in seinen aufgerissenen Augen.
    Nerion stockte der Atem. Selbst wenn diese Männer nicht größer als jeder andere irdische Mensch gewesen wären, so hätte er allein aufgrund ihrer Ausstrahlung schon angenommen, dass sie genau wie Gilbert und Matteo von weit her stammten. Was war hier bloß los?
    „Sehr gut gemacht, Junge“, lobte ihn der Blaugewandete mit der Andeutung eines Nickens. Seine gelben Augen huschten zu der Straße hinter ihnen. „Ich bin Jharken und das hier ist mein Partner Tarelom.
    „Die Sonne wird weit im Norden aufgehen“, flüsterte Tarelom ehrfürchtig. „Der Hohe Rat des Klosters von Khorinis trägt schwarz. Und die Ordnungszahl von Blei ist hundertsechsundsechzigeinhalb.“
    Jharken schnippte mit beiden Händen. Augenblicklich erschien hinter ihm genau so eine leuchtende Ellipse, wie Nerion in seinem Zimmer zurückgelassen hatte. Steckten diese Erscheinungen etwa mit den Beamten unter einer Decke?
    Nerion erschreckte sich, als Tarelom plötzlich nach seinem Handgelenk griff und ihn mit seinen weit aufgerissenen Augen anstarrte. Der hagere Mann machte einen Schritt rückwärts und zog ihn mit sich auf das Portal zu.
    Jharken legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Geh schon einmal mit Tarelom vor. Ihm kannst du vertrauen, doch höre nicht zu genau hin, wenn er redet. Ich werde mich nun um dein akutes Problem kümmern.“ Dieses Mal schnippte er nur mit der Linken und verschwand augenblicklich.
    Nerion hatte sich auf das alles noch keinen Reim gemacht, als Tarelom ihn mit einem überraschend kräftigen Ruck in das Portal zerrte. Ein Kribbeln piesackte seinen Körper dort, wo das Portal ihn berührte. Der Bilderstrom hatte gestoppt, als Tareloms Finger die Grenze zwischen den Welten berührt hatte.

    Und schließlich fand er sich mitten in einer vollgestopften Kneipe wieder. Rauhes Gelächter übertönte die frivole Melodie irgendeines Saiteninstruments, Gläser klirrten, Stimmen lachten. Nerion warf einen Blick über die Schulter und sah gerade noch, wie das Portal verpuffte und nichts als die Eingangstür des Nachtlokals zurückließ.
    „Willkommen in der Taverne zum hungrigen Schattenläufer, der beliebtesten Retro-Taverne diesseits des Blutnebels“, sagte ein Kellner mit leichter Verbeugung, der schlichte braune Hosen mit einem karierten Hemd und einer Lederweste kombiniert hatte. „Wie kann ich euch behilflich sein?“
    Nerion war nicht imstande, dem Mann zu antworten. Mit offenem Mund sah er sich um. Der Raum war riesig und verwinkelt, alles vom Dielenboden bis zur Decke bestand aus rustikal gehaltenem Holz. An einer langen Theke drängten sich die Rücken auf windschiefe Barhocker und versperrten den Blick auf den Wirt, der dem Gläserklirren nach dahinter eifrig am Werkeln war. Die Taverne war voller Menschen, die mit Humpen voll schäumendem Bier anstießen, sangen, grölten und erbittert diskutierten. Einige von ihnen trugen ähnlich normale Kleidung wie der Kellner, der sie soeben begrüßt hatte. Andere wiederum waren in Stoffe gehüllt, die Nerion noch nie zuvor gesehen hatte und die in Winkeln abstanden, die jeder Anziehungskraft zu strotzen schienen.
    „Ein Tisch mit fünf Beinen hat zwei Beine zu viel“, hörte er Tarelom sagen. „Wer sich über Wein freut, der weint auch über Freude. Und wenn Bär und Ameise ein Kind gebären, so frohlockt der Scavenger.“
    Das geübte Lächeln des Kellners geriet ein wenig in Schieflage. Nerion wäre am liebsten im Boden versunken. „Wir suchen uns einfach ein freies Plätzchen, kümmern Sie sich gar nicht um uns“, beeilte er sich zu sagen, zog Tarelom am Ärmel und ging auf Geratewohl zwischen zwei Tischen hindurch. Erst als der Kellner sich von ihnen abwandte und er drei Stufen aufwärts genommen hatte, wurde ihm bewusst, wie groß die Taverne tatsächlich war. Der Architekt musste viel Wert darauf gelegt haben, dass man immer nur einen kleinen Teil einsehen konnte, doch es schien, als würden an allen möglichen und unmöglichen Stellen Stufen hinab oder hinaufführen, Wände mitten in den Raum hineinragen, Tische den Weg versperren, Leitern in den Boden verschwinden und sogar ganze Theken wie Pilze aus dem Boden wachsen.
    Nerion war froh, dass Tarelom ihm so bereitwillig folgte, doch er hatte vielmehr das Gefühl, als hätte er selbst jemanden gebraucht, der ihm voranging. Was hatte dieser Jharken sich dabei gedacht, ihn einfach hier mit seinem umnachteten Freund abzuladen? Was wollten all diese Menschen überhaupt von ihm? War er wirklich auf der Flucht vor dem Gesetz und wo befand er sich hier überhaupt? Irgendwie konnte er sich nicht vorstellen, dass es irgendwo auf der Erde so eine Taverne gab.
    Er wusste immer noch nicht so genau, wo er eigentlich hin wollte. Er hatte lose den Plan gefasst, einfach erstmal einen freien Tisch in einer möglichst versteckten Ecke zu suchen, um dort dann über den nächsten Schritt nachzugrübeln. Doch allmählich hegte er ernsthafte Zweifel, ob es in dieser Taverne überhaupt noch einen freien Platz geschweige denn eine Ecke gab. Er kam an Frauen vorbei, die ganze Kirschkuchen aßen, einem sehr weißgesichtigen Mann, der seinen Kaffee zurückgab, weil das darin schwimmende Haar ein echtes und kein Imitat aus Baumwoll-Heu-Geflecht war, einer Messerstecherei, bei der es wohl um den Namen des Türstehers ging und einer Gruppe blutrünstrig wirkender Söldner, die schweigsam an Traubensaft aus angelaufenen Trinkkelchen nippten.
    Doch als er um die nächste Ecke kam, blieb er abrupt stehen. Hier ging es besonders laut zu. An einem langen Tisch drängten sich die unterschiedlichsten Menschen. Leere wie volle Krüge standen vor den Zechenden und im Zentrum von ihnen saß eine Frau, die Nerion den Atem anhalten ließ. Von allen Merkwürdigkeiten, die er in dieser abstrusen Spelunke schon gesehen hatte, war dies die mit Abstand gruseligste. Die Frau hatte lange, rote Haare, die ihr in Locken über die freien Schultern fielen. Ihr modisch geschnittenes Oberteil betonte ihre Oberweite und ihre Fingernägel waren karmesinrot. Nerion starrte die Frau an, doch sie war so mit dem Leeren ihres Krugs beschäftigt, dass sie sein Starren gar nicht bemerkte.
    Erst als Tarelom zu ihr an den Tisch ging, merkte Nerion, dass er seinen Arm losgelassen hatte. Die Besoffenen rutschten bereitwillig auseinander, um Tarelom Platz auf der Bank zu machen. Er winkte Nerion, auch herüberzukommen, und Nerion folgte dieser Aufforderung nur zu gern. Er wollte die Frau unbedingt fragen, wer sie war. Vielleicht konnte er sich dann einen Reim darauf machen, warum er von ihr geträumt hatte. Die Frau vertrieb sogar die Frage danach, wo er sich hier überhaupt befand, kurzzeitig aus seinem Kopf.
    „Nyyyha!“, rief die fremde Frau, wischte sich den Schaum mit dem Handrücken vom Mund und knallte ihren leeren Krug auf die Tischplatte. „Noch eine Runde für mich!“, brüllte sie an niemand bestimmten gewandt, doch Nerion entging nicht das salbungsvolle Nicken eines Kellners, der nur auf ihre Bestellung gewartet zu haben schien.
    „Sie sieht mit den Augen einer Ratte, zahlt mit den Früchten ihres anderen Ichs und weiß doch, dass sie sich in einem Kampf auf Leben und Tod befindet“, sagte Tarelom so leise, dass nur Nerion ihn in dem Trubel verstehen konnte. „Doch nur wer das Schwert ergreift, kann verlieren. Nur wer stirbt, kann Falten kriegen. Und nur im Norden gibt es gute Schmiede.“
    Ratlos betrachtete Nerion das Profil des rätselhaften Mannes mit den glasigen Augen, doch er blieb unergründlich. Manchmal glaubte Nerion einen Sinn in seinen Worten zu finden, doch dann wiederum verschloss sich ihm ihre Bedeutung wieder so vollkommen, dass er nicht anders konnte, als Tarelom für verrückt zu halten. Er fragte sich, ob er irgendetwas antworten sollte, doch schon kam ein halbes Dutzend Kellner mit randvollen Humpen an ihre Tafel und schlugen vor jedem ein Getränk auf den Tisch, dass es nur so überschwappte.
    „Und mit welchen Schwerenötern habe ich es nun zu tun?“, fragte die rothaarige Frau und prostete Nerion und Tarelom zu. Während sie einen tiefen Zug nahm, genehmigte sich auch Tarelom einen Schluck. Nerion kaute zunächst auf seiner Unterlippe herum, bis er geradeheraus sagte: „Ich habe Sie irgendwo schon einmal gesehen. Wissen Sie vielleicht, wo das gewesen sein könnte?“
    Sie warf ihm ein spöttisches Lächeln zu. „Wenn du mich noch einmal siezt, gehe ich mit dir vor die Tür, Freundchen. Eine letzte kleine Kneipenschlägerei wäre genau, was mir heute noch gefehlt hat.“ Sie schob eine Hand in ihr Dekollete und kratzte sich ungeniert. „Ich bin Debbie, und nichts sonst. Heute ist nicht der Tag, in der Vergangenheit zu schwelgen, auch wenn die Erinnerung an sie alles ist, was mir noch bleibt. Hast du dich schon mal gefragt, was du tun würdest, wenn du weißt, dass du morgen schon tot sein wirst, Junge?“ Sie stieß mit ihrem halbleeren Humpen so heftig gegen seinen, dass ihm eine weitere Lache des Gebräus vor die Brust spritzte.
    „Ich würde natürlich versuchen, diesen Umstand zu ändern“, antwortete Nerion wahrheitsgemäß. „Niemand will sterben.“
    Debbie lächelte noch immer, dieses Mal jedoch um einiges schiefer. Er hatte das blöde Gefühl, dass er gerade stark in ihrer Achtung gefallen war. „Dann bist du genauso dumm wie die anderen beiden Schnepfen. Wenn das Ende unausweichlich ist, dann sollte man seine wenige verbleibende Zeit nicht auch noch damit verschwenden, sich dem Unvermeidlichen zu widersetzen. Darum mache ich heute einen drauf und erwarte ihn genau hier. Ich gebe diesem Schrumpelsack nicht das Vergnügen, das er sich von mir erhofft.“
    „Trachtet Ihnen…“, Nerion räusperte sich hastig, als ihre Augen sich verengten. „Trachtet dir jemand nach dem Leben, Debbie?“ Er fragte sich, ob Jharken sie genau hierher geschickt hatte, um diesen Mord zu verhindern.
    Tarelom stellte seinen leeren Humpen umsichtig vor sich ab. „Wenn der Wind weht, kann kein Drache fliegen. Und wenn eine Sonne implodiert, dann verlieren die Engel ihre Flügel. Aber wenn ein Mann sehen kann, wird keinem etwas geschehen.“
    „Ich würde ja mit dir auf diese Binsenweisheiten anstoßen, aber du hast einen krassen Zug drauf“, sagte Debbie anerkennend. „Du hast da einen merkwürdigen Mann an deiner Seite, Junge. Beißt er?“ Sie lachte über ihren eigenen Witz.
    „Ich kenne ihn selbst erst seit gerade eben“, antwortete Nerion wahrheitsgemäß. „Aber Debbie…“ Er verspürte den Drang, nach ihrer Hand zu greifen, damit sie ihm endlich richtig zuhörte. „Wenn dich jemand umbringen will, dann musst du etwas dagegen unternehmen! Geh zur Polizei! Versteck dich! Bring dich in Sicherheit!“
    „Hast du mir nicht zugehört?“ Ihre fröhliche Art war mit einem Mal wie weggewischt. „Ich tue hier das einzig vernünftige. Seitdem die Götter verbannt wurden, gibt es nichts, was diesen Mann noch aufhalten kann.“
    „Sie hat recht. Und sie hat unrecht. Aber du…“ Tarelom sah ihm direkt in die Augen. „…hast auf jeden Fall unrecht.“
    „Trink mit mir, Junge! Oder scher dich weg. Ich kann niemanden gebrauchen, der mir die Laune verdirbt!“ Debbie warf ihren leeren Krug achtlos fort. „Noch eine Runde auf mich!“, schrie sie und riss beide Arme in die Luft. Irgendwo hörte Nerion ihren letzten Krug zerschellen.
    Tarelom packte ihn plötzlich so fest am Arm, dass es wehtat. „Rezessive Gene verflüchtigen sich in der Hitze des Urknalls. Verwende niemals Dinosaurierknochen für Beschwörungsrunen. Papier schneidet in dein Nagelbett effektiver als jedes Breitschwert.“
    „Wie bitte?“, fragte Nerion heillos überfordert. Tarelom wirkte mit einem Mal aufgewühlt, gehetzt. Seine bisher so apathische Maske war vollkommen von ihm abgefallen.
    Und noch ehe Nerion begriffen hatte, was sein sonderlicher Begleiter ihm zu sagen versuchte, schrie Debbie wie am Spieß. Sie warf ihren Kopf so heftig in den Nacken, dass ihr Stuhl umkippte und gegen die nahe Wand hinter ihr schlug. Ungelenk rutschte sie an der Wand zu Boden und ihr Bauch blähte sich. Ohne zu wissen, was er tat, war Nerion mit zwei Sätzen über den Tisch hinweggesetzt und kniete neben Debbie. Sie atmete schwer, während ihr Bauch immer weiter anschwoll. Ihr schweißnasses Gesicht lief dunkelrot an und ihre Augen verdrehten sich in ihren Kopf. Blind schlug sie um sich, bis sie Nerion fand und die künstlichen Nägel ihrer rechten Hand in sein Fleisch grub. „Ich wusste, dass er sich für mich etwas Besonderes einfallen lässt“, lachte sie hysterisch. „Diese Fleischwanze! Ich werde in der Hölle auf ihn warten und dafür sorgen, dass er sein beschissenes Leben hundertmal zurückkriegt!“ Sie unterdrückte einen erneuten Aufschrei und zog Nerion mit überwältigender Kraft ganz dicht an ihr Gesicht. Nerion war vor Schreck erstarrt. „Dein Bauch…“, sagte er atemlos und konnte nicht fassen, dass er schon auf die Größe eines Gymnastikballs angeschwollen war.
    „Du, Junge!“, knurrte sie. „Tu mir den Gefallen und sorg dafür, dass dieses Arsch zur Hölle fährt. Scheiß auf die Wissenschaft, ich glaube fest daran, dass man sich immer zweimal sieht! Bring diesen Misthund zur Strecke, ja? Du bist so dumm, dass du bestimmt auch noch an so etwas wie Gerechtigkeit glaubst. Dann stirb für deine Ideale, hörst du!“
    Nerion konnte ihr nicht mehr zuhören. Gerade war ihr Bauch aufgebrochen. Ein blutverschmierter Arm ragte aus ihrem Bauchnabel und griff zuckend in der Luft herum. Dann ging alles sehr schnell und der Körper einer Frau rutschte aus Debbies Körper und ließ ihren Bauch ausgeleiert und leer zurück. Debbie fletschte die Zähne und sah dem ausgewachsenen Menschen ins Gesicht, den sie geboren hatte und der ihr bis aufs Haar glich. Nerion konnte nicht fassen, dass sie überhaupt noch lebte, als die neue Debbie einen Schrei ausstieß, der ihn an hundert wilde Tiere auf einmal erinnerte. Dann stürzte sie sich auf ihre halbtote Mutter am Boden, versenkte ihre ungewöhnlich spitzen Zähne in ihr und riss ein Stück aus ihrer Kehle. Tarelom hatte Nerion kurzerhand vom Boden gehoben und trug ihn nun vor sich durch die gaffende Menge. Plötzlich stießen sie mit Jharken zusammen, der wortlos nach ihren Handgelenken griff und eine kurze Formel murmelte. Blaue Funken wirbelten um sie und löschten die Taverne zum hungrigen Schattenläufer. Doch in Nerions Augen hatte sich das Bild eingebrannt.

    Als er das Bild der aufplatzenden Debbie endlich verdrängt hatte und er seine Umgebung wieder wahrnahm, hatten sich die Funken der Teleportation bereits gelegt. Der Raum, in dem er, Jharken und Tarelom sich befanden, lag im Dunkeln. An den Wänden zogen sich Regalreihen entlang, die mit den unterschiedlichsten Dingen beladen und einer nicht gerade dünnen Staubschicht überzogen waren. Leere Flaschen und zerfledderte Kartons, ausrangierte Dekogegenstände und Plüschtiere, der Käfig eines Nagetiers und Runensteine stapelten sich ohne jede Ordnung und verbargen wahrscheinlich noch ganz andere Sachen hinter dieser obersten Schicht des Durcheinanders. Gerade als Nerion sich fragte, warum er überhaupt etwas erkennen konnte und es nicht völlig finster war, fiel sein Blick auf einen Röhrenfernseher in der Ecke unter dem niedrigsten Regalbrett, der stumm ein farbloses Bildrauschen zum Besten gab. Er fragte sich, warum ihn niemand ausgeschaltet hatte und wieso er überhaupt an den Strom angeschlossen worden war, wenn ihn in diesem Raum doch ganz offensichtlich niemand zu benutzen beabsichtigte. Doch bevor er sich einen Reim darauf machen konnte, packte Tarelom ihn wieder am Arm und zog ihn hinter sich her. Nerion mochte diese grobe Behandlung keineswegs, doch eine Diskussion mit Tarelom anzufangen schien ihm aussichtslos.
    Jharken hatte eine der zwei gegenüberliegenden Türen der Kammer aufgestoßen. Warum mochte so ein staubiger Abstellraum als Durchgangszimmer genutzt werden? Die Wirre in Nerions Gedanken nahm weiter zu.
    Als sie in einen weitläufigen Raum mit niedriger Decke kamen, der voller kunstvoll zurechtgestutzer Bäumchen stand, beschloss er sich aufs Wesentliche zu konzentrieren.
    „Jharken?“, hob er an. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass der Mann in der Robe es nicht schätzte, angesprochen zu werden. So weit wie er mit seinen Beinen ausholte, schien er es eilig zu haben, und seine Miene war so umwölkt, dass er mit den Gedanken weit fort zu sein schien, so wie das Bett, dass Nerion vor so wenigen Augenblicken erst verlassen hatte.
    Zu seiner Verwunderung warf Jharken einen milden Blick über die Schulter. „Was gibt es?“
    „Wohin gehen wir?“, fragte Nerion das erste, was ihm in den Sinn kam.
    „Ich weiß es nicht“, gab Jharken zu und wandte seinen Blick wieder nach vorn. „Noch ist mir der Aufenthaltsort der anderen beiden unbekannt. Aber es ist wichtig, dass wir unsere Verfolger abschütteln, darum müssen wir in Bewegung bleiben.“
    „Wer verfolgt uns denn? Diese intergalaktische Polizei?“
    „Ein Buch hat viele Seiten“, antwortete Tarelom verträumt. „Ein Scavenger wird nicht nur von Wölfen, sondern auch von Menschen gejagt. Eine Zutat wird nie reichen, um Eintopf zu kochen.“
    „Was Tarelom sagen möchte“, übernahm wieder Jharken: „Es sind nicht nur Gesetzeshüter, die uns auf den Fersen sind. Obwohl sie bald den Löwenanteil ausmachen könnten.“
    Scheinbar wahllos öffnete Jharken eine der hundert Türen in der langen gestuckten Wand des Heckenraums. Dahinter lag ein Tunnel, der sie unter einem gigantischen Aquarium hindurch führte. Hinter den dicken Glasscheiben schwammen riesige Kalmare. Manche von ihnen waren im stillen Zweikampf miteinander verschlungen. Riesige Knochen ragten aus dem sandigen Boden.
    „Werden wir von denselben Leuten verfolgt, die auch für den Tod dieser Frau verantwortlich sind?“ Nerion versuchte sich von dem Ort nicht aus der Fassung bringen zu lassen. Jharken wiederum würdigte ihre Umgebung keines Blickes und schritt einfach weiter voran.
    „Auch.“
    „Warum?“
    „Die Antwort würde dich im Moment verunsichern. Später.“
    Nerion befand, dass Jharkens Antworten immer inhaltsleerer wurden. Aber immerhin hatte Tarelom ihn losgelassen und traute ihm zu, Jharken selbstständig zu folgen. Nerion fragte sich, ob er seine nächste Frage überhaupt stellen sollte. „Ich glaube, ich habe diese Frau aus der Taverne vorhin in einem Traum gesehen.“
    „Dann bin ich froh, dich rechtzeitig aufgesucht zu haben“, sagte Jharken. „Sonst wäre dir womöglich etwas Ähnliches zugestoßen wie Deborah Balduin.“
    „Was ist denn eigentlich mit ihr passiert? Es war…“ Er fand auf die Schnelle kein Wort, dass das Grauen zum Ausdruck brachte.
    „Was hat Deborah Balduin in deinem Traum gemacht, Nerion?“, ignorierte Jharken seine Frage dieses Mal komplett.
    Nerion wollte sich eigentlich nicht so leicht abwimmeln lassen, doch interessierte ihn natürlich, was für Schlüsse dieser Mann aus seinem seltsamen Traum ziehen würde. „Sie und zwei andere Frauen wurden von ihrem Chef gefeuert. Aus irgendwelchen albernen Gründen. Bei Deborah war es…“ Er brauchte einen Moment, bis ihm das komische Wort wieder einfiel.
    In der Zwischenzeit erreichte Jharken die Tür am anderen Ende des Tunnels. Als er sie aufzog, lag dahinter ein pikfein hergerichteter Speisesaal. Die Möbel waren aus schwerem, dunklem Holz, die blütenreinen Tischdecken mit Spitze besetzt und jeder Platz war mit blitzendem Geschirr gedeckt. Achtlos bahnte Jharken sich einen Weg durch die Mitte.
    „Ihr Chef meinte, sie habe viereinhalb Mitarbeiter verungrunkt.“
    Tarelom holte scharf Luft und warf Nerion einen entsetzten Blick zu. Jharken blieb abrupt stehen und kniete sich hin.
    „Scheinbar ein guter Grund, jemanden zu kündigen“, versuchte Nerion seine Begleiter zu einer hilfreicheren Antwort zu bewegen.
    „Scheinbar oder anscheinend?“, entgegnete Jharken.
    Nerion überging diese Gegenfrage und trat näher an Jharken heran. Er tastete den Teppich zu seinen Füßen ab. Dann nahm er die Ecke des schweren Läufers und warf ihn weit von sich. Eine Falltür kam zum Vorschein. Eine dumpfe Stimme war aus dem Raum unter ihnen zu hören.
    Jharken griff nach dem Eisenring und zog die Luke einen Spalt breit auf. Bei dem Klang der Stimme gefror Nerion das Blut in den Adern. „Was für eine saueinfallslose Geschichte! Die sollte gedruckt werden, damit man sich mit ihr den Arsch abwischen kann, falls mal wieder das Klopapier aus ist. Mensch, da war ich gerade so in Fahrt und jetzt ist mir die Stimmung richtig gründlich vergangen. Aber uuuh, die hat auch was Neues geschrieben! Erstmal Honig ums Maul schmieren, vielleicht steht sie dann auf mich. Hjaha, so macht man das!“
    Nerion hatte die Stimme sofort erkannt, doch erst als Jharken die Luke aufwarf und er das Zimmer unter ihnen einsehen konnte, wurde ihm schwindelig. In einem Zimmer, das dem seinen unangenehm ähnlich war, saß... er selbst. Und redete wild gestikulierend auf den alten Röhrenmonitor ein.
    Er stolperte rückwärts und stieß gegen einen der Tische. Ein Tischkärtchen fiel zu Boden. Sein Blick huschte kurz hinüber zu der Schrift auf der Karte. Sein Blick verschwamm, sodass er die Worte aus dieser Höhe nicht entziffern konnte, doch trotzdem lösten sie in ihm ein Grauen aus, das er sich nicht erklären konnte.

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    Irenicus-Bezwinger  Avatar von MiMo
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    Das Lachen aus dem Zimmer unter ihnen wurde immer schriller und überdrehter. Nerions Schwindel legte sich langsam, sodass er einen Schritt nach vorn wagte, um noch einmal einen Blick auf seinen Doppelgänger zu werfen, doch genau in diesem Moment ließ Jharken die Falltür krachend zu fallen und warf den Läufer wieder darüber. Hastig ging Nerion auf die Knie und griff nach den Rändern des Läufers, doch sie wollten sich nicht mehr vom Boden lösen, so sehr er auch an ihnen zerrte. Und dann wurde ihm mit wummerndem Herzen bewusst, dass Jharken ihn mit seinen leuchtenden Augen beobachtete. Er hielt inne und hob langsam den Kopf, bis er und Jharken sich direkt in die Augen sahen. Jharkens Miene war unergründlich. Das Lachen seines Doppelgängers war nur noch ein dumpfes Geräusch, das man kaum wahrnehmen konnte, wenn man nicht genau drauf achtete.
    „Obwohl der Wolf kein Bison ist, kann man sein Fleisch essen. Obwohl der Vogel nie den Wunsch danach äußerte, kann er fliegen. Und obwohl eine Gabel nie drei Zinken hat, wird oft auch dreizackiges Essbesteck als solche bezeichnet.“ Tareloms Stimme hallte merkwürdig in dem weiten Saal wieder, als stünden sie inmitten eines kahlen Treppenhauses.
    „Wir werden einen anderen Weg nehmen“, sagte Jharken bestimmt. Dann wandte er sich um und setzte seinen Weg fort, als sei nichts geschehen.
    „Moment mal!“, rief Nerion und wieder hallte der Raum so ungewöhnlich. Er war sich sicher, dass er das vor dem Öffnen der Falltür noch nicht getan hatte. „Ich geh keinen Schritt weiter, bevor du mir nicht erklärst, was das da unten ist!“ Er hätte auch wer fragen können, doch die Frage kam ihm irgendwie dumm vor.
    Jharken hielt inne und antwortete nüchtern, ohne sich zu ihm umzudrehen. „Wenn du hierbleibst, wird der Feind dich in seine Gewalt bekommen. Deborah Balduin hat dir gesagt, dass du für deine Vorstellung von Gerechtigkeit sterben sollst, aber sie hat gewiss nicht gemeint, dass du dein Leben derart sinnlos wegwerfen sollst. Du bist nicht dazu gekommen, ihr etwas zu versprechen, aber ich bin mir sicher, in deinem Inneren hast du einen Pakt mit ihr geschlossen, der für dein Gewissen kaum bindender sein könnte. Der Mann unter der geheimen Falltür ist für diesen Konflikt nicht von Bedeutung. Jedes Individuum wird früher oder später mit Seiten seines Ichs konfrontiert, die ihm bis dahin nicht bewusst waren, doch diese Begegnung kommt für dich zu früh, glaube mir. Du kannst nicht alle Aufgaben deines Lebens gleichzeitig angehen.“
    Nerion bemerkte, dass er seine Hände zu Fäusten geballt hatte, und lockerte sie rasch wieder. Kaum hatten sich seine Finger gelockert, griff Tarelom nach ihnen. Wie schon in der Taverne wollte er ihn führen und zog sanft an seinem Arm. Nerion stemmte sich kurz dagegen, doch dann fiel sein Widerstand in sich zusammen. Ihm blieb ja ohnehin nichts anderes übrig als den beiden zu folgen.
    Und in diesem Moment ertönte ein Krach, den Nerion ganz instinktiv einem zusammenstürzenden Haus zuordnete. Es war ohrenbetäubend und langanhaltend, und trotzdem konnte er den Ursprung des Lärms nicht ausmachen. Die gedeckten Tische warteten immer noch seelenruhig auf die Gäste, nicht einmal die Gläser klirrten.
    Jharken richtete sich zu voller Größe auf, wandte langsam den Kopf und seine Pupillen verengten sich zu winzigen Punkten. „Der Raum der Zermürbnis. Wieso vermuten sie uns dort…?“ Dann schien ihm eine Idee gekommen zu sein und er rannte los. Tarelom folgte ihm auf dem Fuße und riss Nerion mit sich.
    „Rot sind die grünen Rosen. Schattenläufer können so groß werden, dass ihr Horn ihren Schwanz berührt. Das Leben ist ein Geschenk und das Schicksal ist die Schleife“, hörte Nerion ihn vor sich hin murmeln.
    Jharken hatte sein Ziel offenbar erreicht, packte das alpinaweiße Tischtuch vor ihm und riss es zur Seite. Geschirr und Besteck, teure Weinkelche und Kerzenständer flogen klirrend durch die Luft, während Jharken auch schon seinen Fuß an die Tischkante setzte und ihm einen heftigen Stoß versetzte. Ohne auch nur ein kleines Bisschen abzubremsen rannte Tarelom mit ihm durch die herum wirbelnden Gegenstände. Nerion stockte der Atem als ihm klar wurde, dass sich dort, wo er eigentlich die untere Seite der Tischplatte erwartet hatte, ein Fenster in eine andere Welt befand.
    Im vollen Lauf sprang Tarelom hindurch und riss ihn mit sich. Plötzlich war von dem feinen Speisesaal nichts mehr zu sehen. Wind peitschte ihm ins Gesicht und blähte seinen Schlafanzug. Neben ihnen glitten schier endlose Reihen von Hochhausfenstern entlang. Nerion blickte sein eigenes erschrockenes Spiegelbild entgegen. Rasch wandte er sich von dem Hochhaus ab, nur um zu sehen, dass es hier anscheinend nichts anderes gab als diese endlos hohen Häuser mit ihren verspiegelten Glasfassaden. Als er den Blick nach unten wandte, um zu schätzen, wie viel Zeit ihnen noch bis zum Aufschlag blieb, konnte er den Boden nicht ausmachen. Endlos schienen die Hochhäuser sich unter ihnen zu erstrecken. Nerion wandte den Kopf nach oben, dort war es das gleiche. Bis plötzlich einige Trümmerteile an ihnen vorbeirauschten. Riesige Klumpen Schutt, die allem Anschein nach aus dem Wolkenkratzer herausgebrochen waren. Und dann wiederholte sich der infernale Knall, den er bereits im Speisesaal gehört hatte, nur dass die Welt hier auf den Krach reagierte. Das ganze Hochhaus bebte, einige der Fenster brachen und schleuderten ihre Splitter auf ihn und Tarelom, der in aller Seelenruhe seine Hand hielt und weiter fiel. Seine Lippen formten Worte, doch für Nerion war es in dem Wind unmöglich etwas zu verstehen.
    Neue Trümmerteile erschienen am Horizont und kamen wie in Zeitlupe näher. Doch noch etwas schoss bedeutend schneller auf sie zu: Jharken. Offenbar mit Leichtigkeit holte er sie ein, passte sich ihrer Fallgeschwindigkeit an und berührte sanft mit der flachen Hand das Gebäude neben ihnen. Ein blauschimmernder Kreis erblühte an der Fensterfront und Nerion spürte wie sich ihm der Magen umdrehte. Unerwartet schlug er auf dem Gebäude auf. Das Fenster knirschte unter seinen Fingern, als er sich verwundert aufzurichten versuchte, doch er stolperte und sank wieder auf die Knie. Es dauerte einige Augenblicke bis er verstand, dass sie nun von dem Gebäude angezogen wurden. Jharkens blauer Kreis schimmerte immer noch um sie herum. „Wie hast du das gemacht?“, fragte er etwas zittrig und kam schwankend auf die Beine. Es war schwierig zu akzeptieren, dass der Himmel nicht mehr oben war.
    „Ich bin ein Dimensionsmagier“, antwortete Jharken unerwartet offen. „Die meisten Menschen denken, dass unsere Magie nichts als Teleportation ist. Aber damit liegen sie falsch… Sehr falsch sogar. Bleib innerhalb meines Kreises, in seinen Grenzen habe ich zwei Raumachsen vertauscht, damit wir an der Fassade entlang laufen können.“
    „Hinter dir!“, schrie Nerion, denn eines der Trümmerteile rauschte keine Hand breit an der Fassade entlang direkt auf sie zu.
    Jharken wandte sich um und sah dem Klumpen Stein entgegen, der sie, da war Nerion sich sicher, jeden Augenblick zerquetschen würde. Doch Jharken hob einfach die Hand und als er sie wieder sinken ließ, war der Stein bereits hinter ihnen, weiter auf seinem endlosen Fall gen nicht vorhandenem Erdboden. „Folgt mir. Und achtet auf den Kreis.“
    Jharken lief wieder los und dieses Mal beeilte sich Nerion gern, mit ihm Schritt zu halten. Er hatte schließlich keine Lust, wieder in die Endlosigkeit zu stürzen. Jharken folgte den Fenstern des Stockwerks und erreichte bald die Ecke des Gebäudes, über die er einfach hinweg schritt. Als Nerion selbst die Ecke erreichte, hatte er ein komisches Gefühl. Der Kreis folgte Jharken mit jedem Schritt, doch wenn Nerion seine Funktionsweise richtig verstanden hatte, mussten von der Ecke an zwei andere Achsen vertauscht werden, damit sie weiter an der Fassade entlang laufen konnten. Doch das schien Jharken bewusst zu sein, jedenfalls erfüllte seine Magie weiterhin ihren Zweck und sie konnten an der nächsten Gebäudeseite ohne Probleme weiterlaufen. Auch die nächste Seite überquerten sie ohne Zwischenfälle. Ein drittes Krachen ertönte und Nerion machte sich auf die nächste Welle Trümmer gefasst. Sie mussten nun genau gegenüber von dem Punkt sein, an dem Jharken seinen Kreis beschworen hatte. Der Dimensionsmagier rannte unbeirrt weiter geradeaus und überquerte auch die dritte Ecke. Nun war Nerion ernsthaft verwirrt, warum waren sie nicht einfach andersherum gelaufen, um hierhin zu gelangen? Jharken teleportierte ein weiteres Trümmerteil an ihnen vorbei. Diese Magie erschien Nerion unglaublich praktisch. Bisher hatte Jharken nicht das kleinste Anzeichen von Erschöpfung gezeigt, obwohl er bereits so viele erstaunliche Wunder vor seinen Augen vollbracht hatte. Doch seine Bewunderung schlug wieder in Verwunderung um, als Jharken auch die vierte Ecke des Gebäudes überquerte. Als Nerion ihm um die Ecke folgte, wollte er gerade den Mund öffnen, um zu fragen, warum sie im Kreis gelaufen waren, als ihm die Frage im Hals stecken blieb.
    Es stand für ihn außer Frage, dass sie wieder genau an dem Punkt standen, an dem sie die Fassade betreten hatten, doch plötzlich war die Tür eines Fahrstuhls in die Außenfassade des Wolkenkratzers eingelassen. Nerion kniete sich hin, um auf eine der Tasten neben dem Fahrstuhl zu drücken. Er wählte den Pfeil nach oben. Tarelom schloss zu Nerion auf und gähnte. „Warten ist immer blöd. Blondes Haar ist keine Garantie für Schläue. Und der sechshundertste Stock liegt direkt unter dem von der ehrenwerten Miss Basil.“
    Nerion hielt nach weiteren Trümmern Ausschau und fragte sich, auf Höhe des wievielten Stocks sie sich hier wohl befanden. Doch es erschien ihm unwahrscheinlich, dass jemand in diesen Häusern lebte. Wie schon der Speisesaal und die Räume davor wirkte diese Welt vollkommen unbewohnt. Wer auch immer diese Gebäude wozu auch immer erbaut hatte, würde ihre Etagen jawohl irgendwie nummeriert haben, auch wenn der Wolkenkratzer sich wirklich endlos in beide Richtungen erstreckte.
    Er war sich vollkommen sicher, dass er noch nie in seinem Leben so lange auf einen Fahrstuhl gewartet hatte, doch Jharken und Tarelom schienen dies vollkommen normal zu finden.
    Und dann gab es den vierten Knall. Viel näher als die ersten. Nerion wurde von dem aufflammenden Lichtblitz geblendet. Nur wenige Stockwerke über ihnen war der Wolkenkratzer einfach geplatzt. Eine Welle von Trümmern schwappte auf sie zu. Nerion starrte blinzelnd seinem Tod entgegen, sich sicher, dass diese Masse Jharkens Fähigkeiten überstieg.
    Doch mit einem leisen Pling öffnete sich die Fahrstuhltür. Tarelom packte ihn am Arm und riss ihn mit sich. Keine Sekunde zu früh erreichten sie das enge Innere des Fahrstuhls. Die Türen schlossen sich und nur ein dumpfes Rumpeln verriet, welcher Gefahr sie gerade entronnen waren. Jharken wirkte jedoch immer noch vollkommen gelassen. Nerion fragte sich mit wummerndem Herzen, ob er nicht doch an zwei Verrückte geraten war. Zum vielleicht hundertsten Mal an diesem Abend hoffte er, dass dies alles doch nur ein Traum war, aber das konnte schlichtweg nicht sein. Denn dann wäre er schon ein Dutzend Mal aufgewacht.
    Jharken hob den Finger um einen der vielen Knöpfe des Fahrstuhls zu drücken. Auf jedem Knopf stand eine Fünf in einer anderen Schriftart. Als Jharken den obersten Knopf gedrückt hatte, verschwanden die Fünfen und stattdessen erschienen Vieren. Jharken wählte eine im mittleren Segment und der Fahrstuhl setzte sich augenblicklich in Bewegung. Nach oben.
    Nerion hielt sich hektisch an den glatten Wänden fest. „Aber über uns ist eben doch alles in die Luft geflogen!“
    „Ein Rudel Primzahlen braucht sich nicht vor einem Troll zu fürchten“, erklärte Tarelom beruhigend. „Der frühe Vogel frühstückt nicht. Krumme Gurken sind schöner als krumme Hupen.“
    „Diese Welt ist nicht dreidimensional“, fügte Jharken hinzu.
    Der kleine Bildschirm über den Knöpfen hatte bei Beginn ihrer Fahrt mit roten Leuchtdioden eine Null gezeigt. Danach war er auf 166,5 gesprungen. Anschließend zeigte er einen Bruch mit fünfstelligem Zähler und siebenstelligem Nenner. Dann erschien Nerions Geburtsjahr und anschließend die Zahl Eins. Die Fahrt zog sich immer mehr in die Länge, doch spätestens als zwischenzeitig nur noch EuF angezeigt wurde, gab er den Versuch auf, das System hinter der Nummerierung zu verstehen.
    Die Anzeige wechselte noch viele Male zwischen ganzen und gebrochenen Zahlen, Buchstabenkombinationen und Schriftzeichen, die Nerion überhaupt nicht bekannt vorkamen. Die ganze Zeit über herrschte das peinliche Schweigen, das Fahrstühlen allzu häufig eigen war. Nerion hatte es aufgegeben, aus Jharken Informationen herauszubekommen. Er würde sie ja doch erst dann bekommen, wenn der Magier es für nötig hielt. Und Tarelom starrte mit seinen glasigen Augen in die untere linke Ecke der Fahrstuhltür, offenbar tief in etwas versunken, das nur er selbst wahrnehmen konnte.
    Als der Fahrstuhl zum Stehen kam, gab es ein erneutes Pling, das Nerion an eine fertige Mikrowelle erinnerte. Die Türen glitten auf und gleißendes Sonnenlicht blendete ihn. Den Arm vor die Augen gehoben wollte er seinen Fuß über die Schwelle setzen, doch Jharken packte ihn an der Schulter und hielt ihn zurück. Tarelom drängte sich an ihm vorbei ins Freie. Einen Moment lang hörte Nerion nichts außer ein paar dumpfen Geräuschen, die er nicht zuordnen konnte. Als seine Augen sich endlich an das grelle Licht gewöhnt hatten, konnte er Tareloms Umriss vor dem Hintergrund einer endlosen Wüste erkennen. Ein riesiger mechanischer Fuß senkte sich urplötzlich zwischen ihnen auf den Sandboden und erzeugte so das dumpfe Geräusch, das so häufig zu hören war, dass wohl noch viele dieser Füße unterwegs waren. Nerion konnte nicht erkennen, zu was für einem Wesen der mechanische Fuß gehörte, doch es musste viele Meter groß sein und Schritt einfach über Tarelom hinweg. Auf die beiden Vorderbeine folgte ein Paar Hinterläufe, doch auch die bestanden aus Metallplatten, Schläuchen und filigran gearbeiteten Gelenken. Als das Wesen vorüber war und sie wieder freie Sicht auf Tarelom hatten, rief er ihnen zu: „Im Garten Eden waren die Tiere häufig betrunken. Auf Hochmut folgt Einsicht. Wer einen Stapel Münzen besitzen will, kann sich von diesem nichts kaufen.“
    Jharken ließ Nerions Schulter los. „Aber sei vorsichtig. Diese Erschütterungen müssen einen Ursprung haben.“
    Nerion wusste nicht, ob er den Fahrstuhl überhaupt noch verlassen wollte, doch da Jharken ohne weiteres Zögern zu Tarelom aufschloss, blieb ihm nichts anderes übrig, denn allein zurückbleiben wollte er in dieser fremden Welt sicher nicht. Er war erst wenige Schritte in den weichen Sand gestapft, als er auch schon wieder staunend innehielt. Nicht nur, dass die Fahrstuhltür sich in einem Felsen geöffnet hatte, der gerade groß genug dafür war. Um sie herum stapften unzählbar viele dieser vierbeinigen Maschinen durch die Wüste, alle in dieselbe Richtung. Sie erinnerten ihn am ehesten an Dinosaurier, obwohl sie kein einziges organisches Körperteil zu besitzen schienen. Hätten er, Jharken und Tarelom nicht auf einer größeren Düne gestanden, sie hätten nur wenige Meter weit sehen können, so dicht marschierten die Maschinen voran. Ihre Augen leuchteten cyanblau und suchten unruhig die Umgebung ab. Von Zeit zu Zeit stob eine Dampfwolke aus einem Ventil an ihrem Hinterkopf. Ihre Bewegungen wirkten überhaupt nicht ruckelig, wie er es von einer Maschine erwartet hätte, sondern gleichförmig und grazil. Nerion staunte mit offenem Mund über diese Herde, die sich endlos in alle Richtungen fortzusetzen schien.
    Das einzige, was das gleichmäßige Bild störte, war eine mächtige Steinsäule nicht unweit ihrer Position, auf der eine mittelalterliche Burg thronte. Im Kontrast zu der modernen Technik zu ihren Füßen wirkte die Burg unfassbar alt. Über ihr wehten die verschiedensten Fahnen in dem steifen Wüstenwind.
    Erneut krachte es ohrenbetäubend. Der Sand unter seinen nackten Füßen vibrierte und er sank einige Zentimeter tiefer ein. Die vierbeinigen Riesenmaschinen stießen synchron einen Schwall Dampf aus ihren Hinterköpfen.
    Als Nerion der Burg seinen Rücken zuwandte, spürte er Hitze auf seinem Gesicht, obwohl nur weit in der Ferne etwas Glutrotes in den Himmel aufstieg. Natürlich hatte Nerion noch nie einen Atompilz gesehen und doch war er sich sicher, dass er diese Erfahrung in diesem Augenblick nachholte. Wie in Zeitlupe stieg die Hitzekugel immer höher und höher ohne ihre Form zu verlieren.
    „In einem Moment vollkommener Verwirrung kann es helfen, sich etwas zu trinken zu holen und es zu verschütten“, sagte Tarelom ernst. „Ein guter Zeilenabstand ist entscheidend. Menschen sind nicht das, was sie sein wollen, sondern das, was sie glauben.“
    Auf diese Entfernung war es schwer zu sagen, doch Nerion meinte zu erkennen, dass von der Explosionswolke kleine geschwärzte Umrisse in die Luft geworfen wurden, die verdächtig nach Maschinendinosaurier aussahen. Doch wenn die Maschinendinosaurier um sie herum irgendein Gefühl bei der Vernichtung ihrer Artgenossen empfanden, so zeigten sie es nicht. Trotz ihres lebendigen Aussehens blieben sie wohl doch bloß Maschinen.
    „Man nennt diese Kreaturen Adaman“, sagte Jharken. „Modernste magitechnische Waffen, die schon viele Kriege entschieden haben. Ich habe noch nie von einer so großen Horde gehört.“
    Ein Sirren bewog Nerion dazu, zum Himmel aufzuschauen. So sah er gerade noch wie etwas direkt in den Adaman neben ihnen einschlug. Die Maschine stieß ein Röhren aus. Der Aufprall hatte sie zur Seite geworfen. Einen Moment tänzelte sie auf ihren linken Beinen, dann begann sie auf Nerion zu zu fallen.
    Tarelom schnappte sich Nerion, hob ihn hoch und sprang mit ihm aus der Gefahrenzone. Als Nerion wieder auf eigenen Beinen stand, musste er sich Sand aus den Augen wischen. Jharken stand neben dem Einschlagskrater in der Flanke des Adaman. Ein humanoider Roboter kletterte aus dem Krater. Mithilfe von Düsen auf seinem Rücken stieg er in die Höhe.
    Nerion bemerkte noch, wie die Köpfe der Adaman sich zu ihm umwandten und ihre Augen von cyanblau zu karmesinrot wechselten. Dann brach das Chaos aus. Die Adaman öffneten ihre Mäuler und augenblicklich schossen Laserstrahlen auf den Humanoiden, der jedoch mit einem Sturzflug auswich und eine Klinge aus seinem Unterarm ausfuhr, die länger war als er selbst. Im Vorbeiflug schlitzte er einen der Adaman auf, als sei seine Panzerung bloß aus dem Sand zu seinen Füßen. Die Augen des Adaman erloschen sofort. Was dann passierte, konnte Nerion nicht mehr sehen, weil Jharken ihn an beiden Armen gepackt und fort teleportiert hatte. Zwischen die Füße eines Adaman deutlich näher an der Burg.
    „Was ist mit Tarelom?“, fragte Nerion, erschrocken darüber, dass sie ihn so leichtfertig zurückgelassen hatten.
    „Tarelom hat eine andere Aufgabe. Wir beiden müssen uns jetzt beeilen in diese Burg zu kommen. Lange wird sie den Angreifern nicht mehr standhalten.“
    „Aber kämpfen diese ganzen Adaman nicht auf der Seite der Burgherren?“
    „Du hast gesehen, wie mühelos ein Soldat mit Blutrüstung ihre Panzerung durchbricht, oder? Sie haben aus magisch aufgeladenem Runenstein geschmiedete Langschwerter. Kurzlebig, aber kaum aufzuhalten.“
    Da konnte Nerion wieder einen Blick auf den Roboter erhaschen. Er stieg senkrecht in den Himmel auf, scheinbar auf der Flucht. Doch schon teilte ihn ein Laser aus der Menge der Adaman auf Bauchhöhe entzwei. Blut tropfte vom Himmel.
    „War das ein Mensch?“, fragte Nerion fassungslos. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass Jharken Blutrüstung gesagt hatte.
    „Keine Technologie ist in der Lage, ein Schwert so präzise zu führen wie ein Lebewesen. Und jetzt komm endlich.“
    Es war das erste Mal, dass Jharken gehetzt wirkte, doch Nerion musste noch verdauen, was er soeben gehört hatte. Es war kein Roboter sondern ein Mensch gewesen. Der es überlebt hatte, von einer Atomexplosion kilometerweit durch die Luft geschleudert zu werden. Und nun doch gestorben war. Sein Magen zog sich unangenehm zusammen. Noch nie war in seiner Gegenwart ein Mensch gestorben.
    Als er Jharken endlich folgte, hatte der schon zwei Adamanlängen Vorsprung. Nerion fiel auf, dass Jharken zwar gehetzt wirkte, aber gar nicht mehr so schnell ausschritt, wie er es noch zu Beginn ihrer merkwürdigen Irrwanderung getan hatte. Es dauerte nur einen Augenblick, da hatte er ihn auch schon wieder eingeholt. Nerion glaubte auch, dass Jharkens Atem schwerer geworden war. Doch gerade als er genauer auf den Atem des Mannes neben ihm lauschen wollte, erfüllte ein Pfeifen die Luft, das schnell lauter wurde.
    Nerion wandte sich um und sah eine metallisch glänzende Kugel direkt auf sie zu fliegen. Sie selbst hatte offenbar keinen Antrieb, musste wohl einfach von irgendetwas geworfen oder abgefeuert worden sein. Nerions Magen zog sich unangenehm zusammen, als er an den Atompilz dachte. War das die nächste Bombe?
    Doch auch wenn ihm der Anblick des näher kommenden Geschosses Angst einjagte, dann war das nichts gegen den von Jharkens Gesichtsausdruck. Jharken hatte stets sein Pokerface gewahrt, doch nun fletschte er die Zähne und starrte mit weit aufgerissenen Augen der näher kommenden Kugel entgegen. Er öffnete seine Robe und entblößte so zwei Schwerter an seiner Hüfte. Er zog eines der Schwerter aus seiner Scheide. Ein im Sonnenlicht weiß glänzendes Kurzschwert, dessen Klinge mit Schriftzeichen verziert war. Jharken holte mit seinem Schwert aus, fasste die vermeintliche Bombe ins Auge, die jeden Moment in einen der Adaman direkt neben ihnen einschlagen würde, und warf das Kurzschwert. Schnurgerade sauste es durch die Luft, traf auf die Bombe und im nächsten Moment waren beide verschwunden. Nur ein blaues Glitzern blieb über dem Adaman zurück.
    Dann erschütterte das nächste Beben den Sand zu ihren Füßen und als der Adaman neben ihm einen Schritt weiter ging, konnte er am Horizont einen weiteren Atompilz in den Himmel steigen sehen, noch näher als den ersten.
    „Weiter habe ich es in der kurzen Zeit nicht geschafft“, erklärte Jharken und es klang fast wie eine Entschuldigung.
    Nerion wollte gerade fragen, wie er das gemeint hatte, als Jharken ein Keuchen unterdrückte. Allmählich machte Nerion sich ernsthaft Sorgen. Diese Welt war so gefährlich wie keine andere zuvor und nachdem Tarelom verschwunden war, wollte er auf keinen Fall, dass auch noch Jharken als sein Führer ausfiel. Bei diesem Gedanken kam er sich herzlos vor, doch irgendwann durfte er jawohl auch mal an sich selbst denken. Die Adaman um sie herum wurden unruhiger, verließen ihre Formation. In nicht allzu großer Entfernung meinte Nerion zu hören, wie einige Exemplare ihre Laser abfeuerten.
    „Jharken!“, rief Nerion seinen verbliebenen Reisegefährten und war kurz davor, ihn am Revers zu packen und zu schütteln, so teilnahmslos starrte er ins Leere.
    „Ich musste mich sammeln“, antwortete Jharken seelenruhig. Dann sank er auf ein Knie. Der Schlachtenlärm kam immer näher und Nerion hatte große Angst, dass noch eine Bombe auf sie zuflog. Jharkens Kurzschwert war nicht zu ihm zurückgekehrt und an seiner Hüfte hing nur noch ein weiteres Schwert, das aber ganz anders war als das erste. Viel länger und breiter.
    „Ich fürchte, wir haben keine Zeit mehr. Verzeih, wenn du gleich kurz auf dich allein gestellt bist.“
    Nerion öffnete seinen Mund, wusste aber nicht, was er zuerst sagen sollte.
    Plötzlich standen sie direkt vor der alten Burgmauer. Jharken fiel sofort auf die Knie, sein Atem rasselte. Nerion hockte sich neben ihn und wollte ihm irgendwie helfen, doch da lenkte ihn die Aussicht von seinem Reisegefährten ab. Sie waren nun ganz oben auf der Felssäule, die aus dem Heer der Adaman ragte. Und von hier oben konnte er Hunderte endlose Reihen dieser gepanzerten Kriegsmaschinen sehen. Scheinbar endlos zogen sich die Reihen bis in die weite Ferne. Aber eben nur scheinbar. Denn dann kamen riesige Krater, in denen es rot glühte oder die von schwarzem Qualm verdunkelt wurden. Zerstückelte oder halb geschmolzene Adaman bedeckten den schmalen Grat zwischen den Kratern. Und in der Luft flogen Menschen in diesen roboterähnlichen Rüstungen umher. Dieses Bild zog sich viel weiter als das der marschierenden Adaman. Vom linken bis zum rechten Ende seines Sichtfelds. Und bis sich Ödland und Himmel am Horizont trafen.
    „Jharken, was wollen die?“, fragte Nerion verängstigt, wusste selbst nicht mal genau, wen er mit die meinte. „Haben die es auf uns abgesehen?“
    „Wenn sie wüssten, dass wir hier sind, hätten sie es“, brachte Jharken zwischen zwei Hustern hervor. „Meine magische Kraft ist vorerst aufgebraucht. Ich muss mich regenerieren. Geh schon mal allein vor. In der Burg bist du sicher.“
    „Allein?!“, stieß Nerion schockiert aus. „Was ist mit Tarelom? Kann er nicht…?“ Nerion verstummte, als ihm auffiel, dass auf dieser Seite der Burg weit und breit kein Eingang zu erkennen war. Wie sollte er schon mal vorgehen, wenn…?
    Jharken legte eine Hand an den uralt wirkenden Mauerstein. Doch seine Finger berührten die Mauer nur kurz, da tat sich auch schon ein Loch in ihr auf. Ein Portal, ähnlich dem, das diese beiden Polizisten in seinem Schlafzimmer erschaffen hatten. Nerion staunte noch, als er auch schon einen Stoß zwischen seine Schulterblätter bekam und durch das Portal stolperte. Gerade wollte er sich zu Jharken umwenden, um sich über die grobe Behandlung zu beschweren, da erlosch das Portal und mit ihm seine einzige, richtige Lichtquelle.
    Plötzlich war er ganz allein in einer nur diffus beleuchteten Bibliothek. Starrte nur ein Regal mit Atlanten an, wo zuvor noch die Aussicht auf das Schlachtfeld gewesen war. Hier drin hörte er nichts mehr von der tobenden Schlacht.
    Nerions Magen zog sich zusammen. Worauf hatte er sich nur eingelassen, als er mit Jharken und Tarelom aufgebrochen war? Nun, da er zum ersten Mal ganz auf sich gestellt war, seit er seine eigene Welt verlassen hatte, kam er sich leichtsinnig, ja wahnsinnig vor. Doch was hätte er tun sollen? Sich von den Polizisten gefangen nehmen lassen?
    Er schüttelte seinen Kopf, um die Gedanken loszuwerden. Er musste sich auf das Jetzt konzentrieren. Und kaum konzentrierte er sich wieder auf seine Umgebung, hörte er schwere Schritte hinter sich. Er wandte sich um und starrte in rot glühende Augen inmitten eines künstlichen Gesichts. Blutrüstung erinnerte Nerion sich schaudernd an den Begriff, den Jharken ihn Minuten zuvor erklärt hatte.
    Der Mann in der Rüstung stürzte sich auf ihn. Das Langschwert in seiner Hand blitzte auf. Nerion warf sich zur Seite in den nächsten Gang. Die Abstände zwischen den Bücherregalen waren zwar klein, doch das Schwert verhakte sich nicht in dem schweren Holz, sondern schnitt hindurch wie durch Luft.
    Nerion warf sich schreiend auf den Boden, als er das Schwert erneut durch die Luft sirren hörte. Eine Kaskade Bücher brach über ihn herein, als das Regal horizontal in zwei Hälften geschnitten wurde. Der Geruch von staubigem Papier und Druckerschwärze stieg Nerion in die Nase. Es kostete ihn all seine Kraft um sich hochzustemmen und die dicken Folianten von sich abzuschütteln.
    Doch der Soldat ragte über ihm auf und die Spitze seines Schwertes war nur eine Hand breit von Nerions Nasenspitze entfernt. Nerion wagte sich nicht, sich zu regen. Der Soldat rührte sich nicht. Stumm starrte Nerion die glatte, steinerne Schwertschneide entlang, auf zu den glühend roten Augen. Der Moment schien eine Ewigkeit zu dauern. Nerion wollte nicht sterben und hoffte inständig, dass Jharken kam und ihn rettete. Doch der Moment dauerte immer länger an und immer noch gab es keine Spur von dem Dimensionsmagier. Nerion wurde klar, dass er sterben würde. Nie und nimmer konnte er dem Schwert noch einmal ausweichen.
    Er ertrug den Blick in das Gesicht seines Richters nicht länger und sah zu Boden. Dass er seinem Gegenüber so den ungeschützten Nacken präsentierte, war ihm gleich, denn es machte keinen Unterschied.
    Unter ihm lag ein aufgeschlagenes Buch. Das ist also das letzte, was ich sehe, dachte Nerion. Ein fetter Mann in einem durchschnittlichen Anzug, mit einem selbstzufriedenen Lächeln auf dem Gesicht, der der Kamera seine erhobenen Hände entgegen streckte. Es wirkte lächerlich. Mehr aus Reflex las Nerion die Bildunterschrift: Um lästige Hausierer ein für alle mal loszuwerden, treten sie ihnen einfach entgegen, heben beide Hände und sagen klar und deutlich: „Stopp! Lassen Sie mich in Ruhe!“ Sie werden sehen, wie effizient diese Methode ist!
    Vor Nerions innerem Auge spielte sich eine lächerliche Szene ab. Er stellte sich vor, wie er dem Soldaten seine flache Hand entgegenstreckte und die Worte sprach. Und der Soldat sich entschuldigte und fortging.
    Nerion kamen die Tränen, als ihm klar wurde, dass von ihm nichts zurückbleiben würde. Von ihm gab es keine Bücher, in denen er selbstgefällig grinste. Dieser dicke Mann hatte so gesehen mehr erreicht als er, der vor seinem Mörder nur kniete und sämtliche Gegenwehr aufgegeben hatte. Er fasste einen Entschluss. So wollte er nicht sterben.
    Er hob den Kopf und funkelte den Mann in der Blutrüstung an. Der Soldat erwachte aus seiner Starre, holte mit dem Runenschwert aus, halbierte dabei auch noch das Regal auf der anderen Seite. Nerion hob seine Hand und streckte die flache Seite dem Soldaten entgegen. „Stopp!“, brüllte er, „Lassen Sie mich in Ruhe!“
    Nerion spürte noch einen Luftzug an seiner Wange. Doch das Schwert aus dem magisch aufgeladenen Runenstein hatte gerade noch rechtzeitig gestoppt, bevor es seinen Kopf ebenso halbiert hätte wie die Regale. Der Soldat ließ das Schwert verschwinden und deutete eine Verbeugung an. „Entschuldigung“ sagte er mit verzerrter Stimme, wandte sich um und verschwand in den Schatten der Bibliothek.
    Nerion war wie gelähmt. Als ihm klar wurde, dass er die ganze Zeit den Atem angehalten hatte, schien es schon fast zu spät. Röchelnd schnappte er nach Luft und atmete schwer. Als sein Atem sich wieder beruhigte, wischte er sich den kalten Schweiß von seiner Stirn.
    Sein Blick fiel auf das Buch. Neugierig zog er es zu sich heran und schlug es zu. „Von Wolfgang Rademacher“, las er vom Einband ab. Ob dieses Buch verzaubert war?
    „Manchmal sind zwei weniger als keins. Auf dem Festland hatten die Runen einst ihre Macht verloren. Und Myriaden von Sternen sehen alles und verraten nichts.“
    Nerion wusste nicht, wann er zuletzt so erleichtert gewesen war, jemanden zu sehen. Tarelom stand milde lächelnd am anderen Ende der Regalreihe.
    „Tarelom!“ Nerion beeilte sich zu ihm zu kommen, wobei er den Rademacher-Ratgeber fest an seine Brust drückte. „Hast du den Soldaten in der Blutrüstung vertrieben? Oder war es das Buch?“
    Tarelom schüttelte nur stumm den Kopf, griff nach einem seiner Handgelenke und zog ihn wieder einmal mit sich. Nerion wusste nicht, was ihm das Kopfschütteln sagen sollte und bereute es zwei Fragen auf einmal gestellt zu haben. Eins von beidem musste es ja gewesen sein!
    Jetzt, wo Tarelom wieder einen seiner Arme für sich beanspruchte, fiel es Nerion zunehmend schwerer, den wuchtigen Ratgeber nicht fallen zu lassen, doch er klammerte ihn verbissen an sich. Er war sich sicher, dass es mit diesem Buch etwas Besonderes auf sich haben musste.
    „Die Quadratwurzel von vier ist nicht fünf. Noch nie hat jemand rot blühende Heilkräuter gesehen. Und man kann einen Menschen nicht ertränken, wenn man keinen Ballast an ihm befestigt.“
    Als Nerion das dicke Buch aus der Hand rutschte und er sich danach bücken wollte, zog Tarelom ihn erbarmungslos weiter. Nerion warf einen letzten Blick zurück auf das Buch, das ihm wahrscheinlich das Leben gerettet hatte, und fragte sich, ob Tarelom es gerade als lebensgefährlichen Ballast bezeichnet hatte. Und wie immer, wusste er keine Antwort.
    Sie erreichten eine große Flügeltür, deren eine Seite offen stand. Sie führte in einen geräumigen Korridor, der sich fensterlos endlos in beide Richtungen erstreckte. Nichts deutete hier auf das moderne Zeitalter hin, das um die Burg herum einen Vernichtungskrieg führte. Fackeln brannten in Halterungen an den Wänden und rußten.
    „Wurde diese Burg… aus einer anderen Zeit hierher teleportiert?“, fragte er laut, ungeachtet dessen, dass nur Tarelom bei ihm war.
    „Wenn man alt werden will, rät das Apothekerblatt zu fettarmer Ernährung“, erwiderte Tarelom, „Doch wo Adanos stand, ward ein Ort, an dem Ordnung und Chaos zugleich waren. Morgenstund hat Asche im Mund.“
    Sie nahmen eine enge Wendeltreppe nach oben. Nerion hatte erwartet, dass sie zu einem Gang über dem Korridor führte, den sie gerade verlassen hatten, doch sie führte einfach nur immer weiter nach oben. Nerion hatte das Gefühl schon zehn Stockwerke erklommen zu haben, als die Wände erneut erzitterten. Das Grummeln, das das Zittern begleitete, klang selbst durch die dicken Burgmauern bedrohlich.
    Und dann öffnete sich die Wendeltreppe plötzlich in einen riesigen Raum, der im Flimmerlicht einiger überdimensionierter Bildschirme lag. Die Bildschirme spulten komplizierte Zahlenreihen und Grafiken ab. Nur ein ganz kleiner in der unteren Ecke zeigte das Schlachtfeld in schlechter Auflösung. Gegen das Licht des größten Bildschirms hoben sich deutlich zwei Silhouetten ab. Die Rückenlehne von einem Thron sowie eine hoch gewachsene Gestalt mit zwei leuchtenden Augen.
    „Selena“, drängte Jharken. „Du musst uns begleiten. Tot nützt du Edwin Erwin-Edwein mehr als dem Widerstand. Das ist tautologisch.“
    „Offensichtlich ist nur, dass ich heute sterben werde“, antwortete die Person, die mit dem Rücken zu ihnen auf dem Thron saß. Nerion konnte nur die angespannt auf der Armlehne tippelnden Finger ihrer linken Hand erkennen. „Aber bevor es soweit ist, werde ich so viele von Edwins Lakaien mit in den Tod nehmen, wie nur möglich. Jede Sekunde, die ich hier bleibe, kosten ihn Unsummen. Mein Mann und ich haben uns jahrzehntelang auf diesen Tag vorbereitet. Drei Milliarden Adaman kämpfen dort draußen gegen Edwin. Auch seine Macht ist endlich. Er mag noch so oft behaupten, dass seine Finanzreserven unendlich sind. Irgendwann geht auch ihm das Geld aus.“
    Nerion bemerkte erst, dass Tarelom nicht mehr neben ihm stand, als der schon zwischen Jharken und die Fremde getreten war und aufsah zu den Monitoren, die in der Dunkelheit über ihnen hingen. „Enzyan schmeckt auch nicht mit Salbei. Der Tropfen auf dem heißen Stein ist nur von poetischer Tragkraft. Und frisst ein Minecrawler schwarzes Erz, dreht sich die Zeit auch nicht zurück.“
    „Ich stimme zu“, sagte Jharken, der ebenfalls die Zahlen und Grafiken studierte, die über ihnen schwebten. „Erwins Vermögen wächst selbst jetzt noch, in genau dieser Sekunde. Er bezahlt riesige Söldnerheere und stattet sie mit der modernsten Kriegstechnologie aus, die man in allen Welten und Dimensionen finden kann. Du bist kein Tropfen auf dem heißen Stein. Du bist ein Tropfen, der den Stein nicht einmal trifft. Sein Vermögen ist so unermesslich, dass es keinen Unterschied macht, ob es endlich ist oder nicht. Auf diese Weise kann man ihm nicht beikommen.“
    „Ich habe in den letzten Jahren nach einer Möglichkeit gesucht, ihn von seiner Einnahmequelle loszuschneiden, doch es scheint einfach keine zu geben. Das hier ist die einzige Chance, die ich habe! Ich selbst werde nicht zum Ziel kommen, das ist richtig. Aber je länger ich ihm standhalte, desto mehr Informationen liefere ich dem Widerstand. Ich glaube fest daran, dass es dort draußen noch mehr Menschen wie dich und mich gibt.“
    „Unwahrscheinlich“, sagte Jharken einfach.
    Nerion trat vorsichtig ein paar Schritte vor. Seine Vermutung wurde bestätigt. Auf dem Thron, den Blick stur geradeaus, saß eine untersetzte Frau mit breitem Kinn und schwarzen Locken. Frau Silbervogel, die zweite Frau aus seinem Traum, die unausstehliche Urmdellung.
    „Selena, ich möchte dir Nerion vorstellen. Er ist der Junge, von dem ich dir eben erzählt habe.“
    Jharken legte eine Hand auf seine Schulter. Nerion war froh, dass sein Beschützer nicht mehr erschöpft wirkte, wurde durch ein weiteres Beben aber daran erinnert, dass sie immer noch in großer Gefahr waren. Der Bildschirme in der unteren Ecke flackerte und erlosch.
    „Mir ist ganz egal, ob dieser Junge die Gabe des Orakels von Xeshage besitzt“, sagte Selena Silbervogel ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. „Edwin ist hier irgendwo ganz in der Nähe. Er würde es sich nie entgehen lassen, wenn die Todesstunde seines Opfers gekommen ist. Diesen Moment werde ich abpassen und für mich nutzen. Das ist der eine Moment, in dem sich der reichste und gottloseste Mensch der Galaxien eine Blöße gibt. Verschwindet lieber, solange ihr noch könnt. Wenn ich scheitere, schleust ihn als Mitarbeiter in das Unternehmen ein.“
    „Bis dahin wird es zu spät sein“, widersprach Jharken entschieden. „Die Gabe ist bereits erwacht und hat begonnen sich zu prägen. Der zeitliche Rahmen ist zu eng gesteckt, darum brauchen wir deine Erfahrung.“
    „Wer ist denn dieser Edwin eigentlich?“, wagte Nerion zu fragen. Wenn er es richtig verstand, wollte Jharken, dass er diesem übermächtigen Finstermann das Handwerk legte. Und noch immer hatte Jharken ihm eigentlich nichts über ihn erzählt! Und auch jetzt schwieg Jharken unerbittlich.
    „Wie ich bereits sagte, der reichste und gottloseste Mensch, den es gibt“, antwortete stattdessen Selena.
    „Was soll das heißen? Gottlos?“
    „Als die Götter uns alle verließen, wurden Edwin die Zügel durchgeschnitten“, überwand Jharken sich. „Seitdem ist er unkontrollierbar. Er ist der eine Mensch, der von dem Verschwinden der Götter profitiert.“
    „Wenn es heute noch so etwas wie einen Gott gibt, dann ist es er“, hakte Selena wieder ein. „Er hat so viel Gold, dass er sich ganze Planeten und Galaxien kaufen kann. Er hat Magierzirkel und Labore gesammelt und ihre Zauber und Technologien ausgeschlachtet. Früher sagte man, Geld allein mache nicht glücklich. Doch dieser Mann hat Zugriff auf jede Magie und jede Technologie, jede Ressource und jedes Lebewesen der intergalaktischen Vereinigung. Lehnt sich ein Planet gegen ihn auf, existiert er nur kurze Zeit später schon nicht mehr. Lehnt sich ein Land gegen ihn auf, hetzt er den Rest des Planeten gegen es auf. Erhebt sich ein ganzer Planet gegen ihn, hetzt er ihm den Rest ihrer Galaxie auf den Hals. Er kann mit seinem Geld und seinem Einfluss die Wirtschaft, die Politik, die Armeen kontrollieren wie er will. Niemand kann ohne sein Wohlwollen überleben.“
    „Aber wie kann denn jemand so reich geworden sein?“ Nerion verstand es immer noch nicht.
    „Je weiter sich das Leben ausbreitete“, fuhr Jharken mit unheilsschwangerer Stimme fort. „Desto mehr Kriminalität gab es auch. Immer mehr Ordnungshüter wurden mit immer besserem Equipment ausgestattet, ganze Planeten wurden zu Strafvollzugsanstalten erklärt. Tausende Kriminelle wurden jeden Tag in die Sträflingskolonien gebracht und immer mehr Planeten wurden zu den Müllhalden der Gesellschaft. Die Götter sahen, dass es so nicht weiter gehen konnte. Sie zogen die Notbremse. Sie erließen, dass sich fortan jeder von seinem Verbrechen freikaufen konnte, gleich was es auch war.“
    „Egal, ob man Hunderte Menschen getötet hatte?“, entfuhr es Nerion entsetzt.
    „Du denkst in zu kleinen Dimensionen“, schalt ihn Jharken ungehalten. „Es gab Versuchsreihen mit schwarzen Löchern, die ganze Galaxien vernichtet haben.“
    „Die Summen, mit denen man sich freikauft, sind enorm“, erklärte Frau Silbervogel. „Selbst ein einfacher Mord kostet schon Milliarden. Die Götter haben strenge Regeln aufgestellt, was die Ermittlung des Freistellungsbetrags angeht. Sie orientierten sich daran, wie viel Geld nötig ist, um das Unheil, das die verurteilte Person angerichtet hatte und mutmaßlich noch anrichten wird, wieder aufzuwiegen. Niemand will für den Rest seines Lebens in einer Gefängniskolonie verrotten. Und so gaben die Verurteilten alles um Freistellungsbeträge aufzubringen. Die Götter erschufen für die Freistellungsbeträge eine eigene Behörde, die dafür Sorge trug, dass mit dem Geld unheilbare Krankheiten erforscht, technischer Fortschritt vorangetrieben, bedrohte Arten gerettet, unbewohnbare Planeten wieder aufgewirtschaftet wurden.“
    „Anfangs funktionierte das System sehr gut“, fuhr Jharken fort. „Unter der strengen Aufsicht der Götter wurden mit den Freistellungsbeträgen wahre Wunder geleistet, während die freigelassenen Straftäter meist zu mittellos waren, um noch eine Rolle zu spielen. Ihnen war außerdem klar, dass sie sich kein zweites Mal würden freikaufen können.“
    „Von den Freistellungsbeträgen wurden auch umfassende Resozialisierungsmaßnahmen finanziert, musst du wissen“, warf Selena ein.
    „Aber dann…“, Jharkens Stimme wurde plötzlich rauh. „verließen uns die Götter. Niemand konnte die Behörde mehr kontrollieren. Und ihr damaliger Leiter konnte sich das Geld ungehindert in die eigenen Taschen wirtschaften und umfassende Änderungsmaßnahmen einleiten. Ehe die Nationen bemerkten, was vorging, war Edwin Erwin-Edwein zum mächtigsten Mann aller Galaxien geworden. Seine Widersacher rottete er gnadenlos aus, während er sich immer weiter bereicherte und immer mehr Macht aufhäufte.“
    „Und ich… soll diesen Mann erledigen?“ Nerion konnte kaum fassen, was Jharken von ihm erwartete. Mit einem Mal wünschte er sich, nicht mit ihm gekommen zu sein.
    „Ordinalzahlen sind hübscher als quadratische Teller“, sagte Tarelom in die aufkommende Stille hinein. „Die unscheinbare Zwiebel bringt selbst einen Berserker zum Weinen. Und wer fest an sich glaubt, ist sein eigener Gott.“
    Tareloms Stimme, die für ihn sonst immer auf fast magische Art beruhigend gewirkt hatte, half ihm dieses Mal kein bisschen. Nerion hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, so erdrückend waren die jüngsten Offenbarungen für ihn. Die Stimmen von Jharken und Selena wurden für ihn zu einem dumpfen Hintergrundgeräusch. Nach Luft schnappend suchte er nach den richtigen Worten, um Jharken zu erklären, dass er nicht tun konnte, wofür er ihn mitgebracht hatte, dass er nicht einmal im Traum die Macht hatte, etwas aufzuhalten, das eine ganze Armee dieser riesigen Adaman ausradierte.
    Doch noch ehe er die richtigen Worte gefunden hatte, durchschnitt ein Pfeifen sein Trommelfell. Licht blitzte auf. Nerion kniff seine Augen zu und presste sich beide Hände auf seine schmerzenden Ohren. Selbst durch seine Augenlider hindurch wurde er geblendet und als er seine Augen langsam wieder öffnete, blinzelte er in einen hellblauen Himmel, der zusehends von schwarzen Wolken verfinstert wurde. Weil die Mauern der Burg noch um sie herum aufragten, konnte er nichts sehen außer diesem Fleck Himmel. Doch schon fiel ein ellenlanges Runenschwert wie ein Fallbeil herab und trennte die Burg in zwei Hälften. Die eine, auf der Nerion, Jharken, Tarelom und Selena waren, und die andere, die nun langsam zur Seite kippte und in Tausende Stücke zerbarst.
    Nun hatten sie freie Sicht auf die Umgebung der Burg, die sie nur wenige Minuten zuvor verlassen hatten. Und doch erkannte Nerion sie nicht wieder. Rot glühende Seen aus geschmolzenem Metall. Krater, so tief, dass sie sich in den Schatten verloren. Rauchsäulen stiegen überall empor. Von der Adamanherde waren nur noch hie und da halb geschmolzene Körperteile zu sehen. Von dem Sand der Wüste keine Spur mehr.
    Statt den Adaman bevölkerten unzählige Soldaten in Blutrüstungen die Landschaft. Manche suchten in den Kratern nach irgendetwas. Andere flogen durch die Luft und bildeten ein undurchdringliches Netz aus tödlichen Schwertern um die Überreste der zerstückelten Burg, einen Käfig aus Runenschwertern. Einer von ihnen ließ gerade ein schier endlos langes Schwert wieder in seinem Handgelenk verschwinden.
    „Selena Silbervogel“, hallte es so laut vom Himmel, dass Nerion schon wieder überlegte, seine Hände auf die Ohren zu pressen. Doch ihn beunruhigte es viel zu sehr, dass er nicht ausmachen konnte, aus welcher Richtung die Stimme kam. Sie kam nicht nur von oben, sondern auch von allen Seiten, und doch war es nicht die Kakofonie Tausender Lautsprecher sondern ein klarer Ton, als stünde der Sprecher direkt neben ihnen. Nerion konnte den Gedanken nicht verhindern, dass es so klingen musste, wenn Gott zu einem sprach.
    „Edwin“, antwortete Selena scheinbar vollkommen ruhig. „Ich habe dir nichts mehr zu sagen. Fahr zur Hölle.“ Und sie legte einen Finger auf ein Armband an ihrem Handgelenk. Eine Lampe an dem Armband wechselte von rot zu grün. „Tut mir ehrlich leid, Jharken. Ich hatte dich gewarnt, dass du dieses Schlachtfeld verlassen solltest.“
    Jharkens Augen weiteten sich erschrocken.
    Nerions Knie gaben nach, als um ihn herum die Welt explodierte. Die Atompilze am Horizont waren nicht mit der Detonation zu vergleichen, die Selena ausgelöst hatten. Es waren keine einzelnen Explosionen auszumachen. Überall verschwand der Boden einfach in einem Feld aus Feuer. So wie Quecksilber in einem Thermometer steigt oder auch einfach Wasser in einer Badewanne, so stieg die Feuersbrunst empor. Wie in Zeitlupe fraß die Zerstörung sich den Felsen hinauf, auf dem die Burg errichtet worden war. Und als Nerion bemerkte, dass auch die Soldaten sich quälend langsam bewegten, sie keine Chance hatten, der Explosion zu entkommen und einer nach dem anderen von den weiß glühenden Flammen verschluckt wurde, da wurde Nerion klar, dass Jharken etwas mit der Zeit in seiner unmittelbaren Umgebung gemacht haben musste. Dass für sie die Zeit langsamer verging als für die Soldaten.
    In größter Konzentration streckte Jharken seine Hände nach links und rechts aus, dann vor und hinter sich. Er streckte seinen rechten Arm gen Himmel und bückte sich um mit dem linken den alten Steinboden zu seinen Füßen zu berühren.
    Dann endete der Zeitraffereffekt jäh. Nerion schrie, als überall um sie herum nichts als Feuer war. Selbst das Ende der Welt hatte er sich nicht so vorgestellt.
    „Beruhige dich“, sagte Jharken. „Alles wird gut.“
    „Die Farbe der Apokalypse ist grün wie das Leben“, hörte Nerion Tareloms Stimme und er verstummte, um den Worten zu lauschen. „Eine vierbeinige Katze wird nie so tanzen können wie eine sechsbeinige. Zentrifugalkraft ist weder nach innen noch nach Norden gerichtet.“
    Nerion brauchte einen Moment, bis er begriff, was vor sich ging. Doch er erinnerte sich daran, wie Jharken den Felsbrocken an der Glasfassade einfach durch sie hindurch teleportiert hatte, um ihn unbeschadet zu überstehen. Genau so schien es auch jetzt. Nur dass sie in einem perfekten Würfel standen, der die Explosion von rechts nach links, von vorn nach hinten, von unten nach oben teleportierte. Vor seinen Augen stieg das surreale Bild auf, dass Jharken ihren Aufenthaltsort aus der Realität herausgeschnitten und das Loch wieder zugenäht hatte.
    „Ich hatte nicht vor, diesen Moment zu überleben“, sagte Selena und wirkte zum ersten Mal verblüfft. „Das ist nicht gut.“
    Nerion verstand nicht, was daran nicht gut sein sollte. Wenn sie unbedingt sterben wollte, würde sie schon eine Möglichkeit dazu finden. Die Verständnislosigkeit musste ihm ins Gesicht geschrieben stehen, denn Selena fing seinen Blick auf und schüttelte mitleidig den Kopf.
    „Edwin ist der mächtigste Mann der Welt, schon vergessen? Wenn Jharken diese Explosion überleben kann, dann er erst recht.“
    „Das ist nur allzu wahr“, pflichtete Jharken ihr bei „Als er im letzten Jahr unser Kloster ausfindig machte, löschte er alle Dimensionsmagier aus und verleibte sich all unser Wissen und unsere Fähigkeiten ein. Ich bin der letzte Dimensionsmagier. Man könnte also denken, dass ich begabter bin als meine Kollegen es waren, doch ich neige nicht dazu, mich zu überschätzen. Es gibt viele Möglichkeiten, wie Edwin dieses Inferno überlebt haben kann.“
    Die Flammenwände verschwanden plötzlich und gaben den Blick auf die Welt außerhalb des schützenden Würfels frei. Nerion hatte geglaubt, dass ihn nach all dem nichts mehr aus der Fassung bringen konnte, doch sie schwebten mitten im Weltraum. „Wurden wir ins All geschleudert?“, fragte er atemlos.
    „Nein, die Raumkoordinaten meiner Raumschnitte sind fix“, antwortete Jharken schlicht.
    „Ich habe den ganzen Planeten in die Luft gejagt. Dabei wurde er natürlich restlos ausgelöscht“, erklärte Selena. Ihr Blick wanderte über die schimmernde Membran, die sie umgab. „Praktisch, dass uns so auch noch ein bisschen restlicher Sauerstoff bleibt.“
    „Den ganzen… Planeten?“, wiederholte Nerion fassungslos.
    „An deiner Entgeisterung kann man erkennen, wie neu die Situation noch für dich ist“, entgegnete Selena kaltschnäuzig. „Für eine Chance, Edwin zu vernichten, ist jedes, wirklich jedes Opfer angemessen.“
    „Ich kann dich immer noch von hier wegbringen, wenn du nun endlich überzeugt bist, dass deine Pläne fehlgeschlagen sind“, sagte Jharken. „Nerion ist die beste Chance, die wir seit Jahrhunderten hatten. Aber ohne dein Wissen ist er aufgeschmissen.“
    Nerion zog sich bei diesen Worten erneut der Magen zusammen. Wenn Edwin dieses Inferno überlebt hatte…
    „Bogenfertigkeiten sind vom Geschick des Anwenders abhängig“, sagte Tarelom. „Fliegende Fleischwanzen sind entweder tot oder untot. Die Melodie des Dugongs ist wie der Hammerschlag auf einem Amboss.“
    Nerion beobachtete angespannt, wie Selena dieses Mal tatsächlich über Jharkens Angebot nachdachte. Wenn sie ihn auch noch zu diesem Wahnsinn drängen wollte, für den Jharken ihn scheinbar ohne jedes Mitspracherecht eingesponnen hatte, fürchtete er, dass es noch schwieriger werden würde, aus der Sache wieder herauszukommen.
    „Das war ein sehr guter Versuch, werte Frau Silbervogel.“
    Jharken, Selena und Nerion zuckten zusammen, als vor ihnen ein Mann erschien, der scheinbar mühelos durch die Leere des Alls spazierte. Nerion erkannte den Mann aus seinem Traum wieder und für einen Moment trafen sich ihre Augen.
    „Was für eine wundersame Gesellschaft du da um dich versammelt hast“, bemerkte er und streckte einen Arm nach dem Würfel aus, doch als seine Finger auf die Membran trafen, ragten sie einfach aus der gegenüberliegenden Seite des Würfels wieder heraus. Edwin zog den Arm zurück und begutachtete seine Fingernägel, anerkennend nickend. „Ich wusste nicht, dass ich einen Dimensionsmagier verloren habe. Eine beachtliche Leistung, das ist wirklich ganz wunderbar. Nicht viele Menschen schaffen es zu existieren, ohne dass ich sie billige. Du wirst ein wunderbares Ziel abgeben.“ Er schenkte Jharken ein joviales Lächeln, dann widmete er seine Aufmerksamkeit Selena. „Du bist weiter gekommen, als ich dir zugetraut habe. Sehr strunzsinnig von dir, wirklich sehr strunzsinnig.“
    Nerion beobachtete genau, wie Jharken und Selena auf Edwins Worte reagierten, doch sie zeigten keinerlei Regung, die darauf schließen ließ, dass er etwas in ihren Augen völlig Sinnloses gesagt hatte.
    Noch während Nerion in Selenas Gesicht nach einem Hinweis darauf suchte, welche Bedeutung strunzsinnig haben mochte, traf ein dünner roter Laser ihre Stirn.
    Nerion zuckte zurück, sich sicher, dass der Lichtstrahl direkt durch sie hindurch schneiden und ihr Gehirn im Würfel verteilen würde, doch nichts dergleichen geschah. Selena gab einfach nur ein Seufzen von sich, das irgendwie erlöst klang. Dann, urplötzlich, schmolz sie. Ihre Gestalt fiel einfach in sich zusammen. Während ihre Kleidung verdampfte, einfach verpuffte, floss ihr Körper zu Boden und bildete eine große geleeartige Lache auf den Steinfliesen, die die letzten Überreste der Burg waren.
    Nerion wich hektisch zurück, als Edwin den Laserpointer in seiner Hand auf die Pfütze am Boden schwenkte. „Ich wollte dieses kleine Spielzeug schon immer mal ausprobieren“, freute der Mann in dem maßgeschneiderten Anzug sich. „Er lockert die Struktur organischer Moleküle, ohne ihre Verbindungen zu trennen. Und nun komme ich auch gleich zu Phase zwei. Dem Verdampfen.“
    Nerion starrte gebannt auf die Pfütze, als ein zweiter, blauer Laserstrahl auf die Oberfläche traf. Augenblicklich begann die Pfütze zu qualmen und dicke Schwaden abzusondern. Nerion schlug sich beide Hände vor die Nase, um ja kein Stück Selena einzuatmen, doch im selben Moment spürte er auch schon, wie ihn jemand durch ein Portal zog.
    Er stolperte wieder in den Raum mit den vielen nobel gedeckten Tischen. Jharken ließ das Portal verschwinden und nichts war mehr zu sehen von dem Würfel, Edwin und der Pfütze.
    „Immerhin wissen wir jetzt, dass dieser Laser selbst durch Raumschnitte schneidet“, sagte Jharken.
    Tarelom packte Nerion wieder am Arm. Sonst waren sie ja schon immer zügig unterwegs gewesen, doch dieses Mal riss es Nerion glatt von den Füßen. Jharken und Tarelom rannten so schnell sie konnten, holten mit ihren langen Beinen weit aus und Nerion flatterte hinter Tarelom her wie eine Fahne im Wind.
    „Entschuldige, Nerion, wir müssen hier schnell weg“, erklärte Jharken hastig. „Die Portalmagie haben wir nur in Fällen benutzt, in denen es nötig war, weil wir wissen, dass Edwin sie observieren kann. Er weiß immer genau, wo jemand ein Portal beschwört. Er weiß also auch genau, wo wir uns gerade befinden. Wir müssen die kurze Zeit nutzen, die er noch mit Selena beschäftigt ist, um zu Fuß den nächsten Planeten zu erreichen.“
    „Was hat er mit Selena gemacht?“, rief Nerion, der vor seinen Augen immer noch das grauenvolle Bild hatte, wie sie zur Pfütze wurde.
    „Er hat sie bei lebendigem Leibe geschmolzen“, antwortete Jharken zögernd. „Obwohl sie nur noch aus Flüssigkeit bestand, hatte sie immer noch ein Bewusstsein und ihr Nervensystem war intakt. In diesem Augenblick erfährt sie am eigenen Leib, wie es ist, zu verdampfen.“
    Nerion hatte noch nie etwas so Befremdliches gehört. Sein Denken setzte einfach aus, war an einen Punkt gekommen, an dem es einfach nicht weiter konnte. Vollkommen teilnahmslos ließ er all die gedeckten Tische an sich vorbeiziehen, während er versuchte, die Vorstellung zu verarbeiten, was Selena gerade durchmachte.
    Tarelom riss eine Tür auf und sprang über die Schwelle. Etwas grob warf er Nerion auf einen freien Platz des U-Bahn-Waggons. Jharken zog die Tür hinter sich zu und in genau dem Moment begann der Wagen sich ruckelnd in Bewegung zu setzen. Hinter den Fenstern war nur Schwärze. Nichts deutete darauf hin, wohin sie diese Bahn führen würde. Doch für Nerion waren in der Dunkelheit hinter dem Glas Gesichter. Das Gesicht einer Frau, die vor Schmerzen schrie, während ihr Bauch aufplatzte, der die Kehle herausgerissen wurde von ihrem neugeborenen Ich. Und immer wieder Selena, die zu einer Pfütze zusammenfiel. Und zu guter Letzt das Gesicht des Mannes, der nicht nur diese beiden Frauen auf dem Gewissen hatte.
    „Wir fahren zu der dritten Frau, oder?“, fragte Nerion sein Spiegelbild in der Fensterscheibe. „Frau Andersen.“
    Und Tarelom antwortete: „Ein Einzelkämpfer verbannte den Schläfer. Barbara hatte noch nie Rhabarber. Und jede Pfütze hat ihre ganz eigene Entstehungsgeschichte.“

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