Alexandria, Provincia Romana: Aegyptus - Anno 920 AVC (167 n.Chr.)
Der Mann saß im Dunkeln.
Der Raum war nicht groß und das meiste konnte man kaum erkennen. Nur das Licht der Kerze erlaubte es den Tisch zu sehen, an dem der Mann saß. Er schrieb, fiebrig, als würde sein Leben von dem Geschriebenen abhängen.
Er hatte nicht ganz unrecht damit.
Der Verborgene verließ sein Versteck. Er war leise wie eine Katze und bewegte sich langsam auf den Mann zu, wissend, dass es kein Entkommen gab.
Der Mann legte die Feder nieder und blickte das Geschriebene nochmal an. Er atmete schwer, während er das Dokument durchlas. Als er damit fertig war, erhob er sich sprungartig und suchte etwas auf dem Tisch.
Der Verborgene war an ihn herangetreten und atmete hörbar aus.
Der Mann blieb schlagartig stehen. Seine Augen weideten sich, sein Mund öffnete sich und jede Bewegung in seinem Körper erlosch. Schweiß rann ihm die Stirn runter und er verzog das Gesicht in Verzweiflung. „Nein…“, wisperte er noch, als die verborgene Klinge sich bereits durch seinen Hals bohrte.
Blut spritze auf den Tisch. Der Verborgene ließ die Leiche los und sie fiel zur Seite hin.
Der Mörder bückte sich herunter: einige der Spritzer hatten das Dokument getroffen, aber der Text war noch zu lesen. Mit geübten Blick las er sich die Zeilen durch, wobei zwei Namen ganz besonders hervortraten: Titianus und die Viper. Unterzeichnet hatte der Mann nicht mit seinem eigenen Namen, Georgios Sergius Ocander, sondern mit dem Namen, unter dem der Verborgene ihn gesucht hatte: Oculus.
Er rollte das Dokument zusammen und verstaute es in seinem Gürtel, bevor er die Kerze mit feuchten Fingerspitzen löschte – nun war der Raum völlig dunkel. Er ging ohne zu Zögern zum Fenster und öffnete den aus leeren Schuppenformen gebildeten Fensterladen, bevor er einen Blick nach draußen warf: unter dem Fenster waren die geneigten Dachrinnen des unteren Geschosses und davor breitete sich der kleine Innenhof aus, wo eine Wache bei einer Feuerstelle saß. Die Wache dachte wohl, dass je näher sie am Feuer war, desto wahrscheinlicher konnte sie jemanden in der Dunkelheit erkennen – das Gegenteil war der Fall: er konnte nicht einmal den Verborgenen im dunklen Raum erkennen, obwohl dieser direkt in dessen Blickwinkel lag.
Leise aber doch rasch, sprang der Verborgene durch das Fenster, landete aber einer Feder gleich auf den Dachrinnen. Der Wachmann kämpfte sichtlich mit der Müdigkeit, blinzelte mehrmals. Der Verborgene bog nach links ab und begann die dortige Wand empor zu klettern: ein aus Rautenform bestehender Fensterladen hier, eine Ausbuchtung an der Wand da, reichten aus um die Wand geschwind hochzuklettern. Am Ende musste er einen gewagten Sprung von der Wand zur verlängerten Dachrinne vollführen, aber schlussendlich befand er sich auf dem Dach des Gebäudes.
Er passierte einen Schornstein und sah bereits in der Ferne das auf einem Hügel erbaute Serapeum: es erstreckte sich über die ganze Fläche des Hügels, bestehend aus Säulen, Dächern, hier und da in regelmäßigen Abständen Gebäuden und sehr vielen Statuen – zumindest aus diesem Blickwinkel. Der Verborgene ging nach rechts und bückte sich um vorsichtig auf das Seil zu treten, was am Gebäude vor ihm genauso befestigt war, wie auf dem, das er gerade verließ. Er hatte es nicht eilig, war es in dieser Situation sogar lebensgefährlich: während er auf dem Seil voranschritt, erstreckte sich unter ihm eine der Hauptstraßen der Stadt, die zu dieser Zeit von Wagen genutzt wurde.
Er balancierte sich auf die andere Seite und blieb für einen Moment stehen um auf die Gebäude zu blicken, die sich vor ihm ausbreiteten: die meisten von ihnen waren neuerer Natur, erbaut vor wenigen Jahrzehnten nach einer blutigen Zeit für die Stadt; sie nahmen den ganzen Platz zwischen ihm und dem Serapeum ein und dienten ideal als Treppe, da sie je näher sie dem Serapeum kamen, immer höher gebaut worden waren.
Der Verborgene beschleunigte nun, rannte auf dem mit diversen Ästen belegten Holzraster – das als Dach für eine Veranda diente – und sprang über die aufklaffende Lücke zum Dach des nächsten Gebäudes – nicht einen Blick auf den weiten Weg nach unten verschwendend. Er bog nach links ab und tat es erneut, und abermals nachdem er über das nächste Dach gerannt war, bevor er nach rechts abbog. Er rannte ein weiteres Mal über ein Holzraster und sprang dann auf eine Wand, sich an kleinen Löchern festhaltend, bevor er zum Dach hochkletterte. Dieses war schräger als die letzten, aber das half ihm die nächste Wand des höheren Stockwerks desselben Gebäudes hochzuklettern. Mittels diesem erreichte er bereits das hochgebaute Fundament des Serapeums – er musste nur erneut eine Lücke zwischen Gebäude und Fundament überwinden und hatte sein Ziel fast erreicht.
Er rannte vorwärts, zu seiner Rechten der steile Weg nach unten, und sprang auf eine Wand bestehend aus fein geschliffenen weißen Marmorziegeln – mit leicht zu erkennenden Rillen. Er kletterte blitzschnell hoch, bevor er einen prüfenden Blick über den Rand warf – keine Wache da, aber hier und da Fackeln, die angezündet worden waren. Er nutzte die Gunst der Stunde und kletterte hoch, bevor er wieder zu rennen begann um auf die Wand des nächstgelegenen Gebäudes zu springen – kantig geschliffene Ausbuchtungen entlang der Ecken des Gebäudes oder der Eingangstür nebenan, wie auch seine Sprungfertigkeit, erlaubten es ihm auch dieses geschwind zu erklettern.
Als er auf das Dach stieg, erhoben sich zu seiner rechten Statuen: drei an der Zahl, eine beim Dachfirst, zwei bei den Traufen, allesamt weiblich und fast nackt. Auf der anderen Seite des Gebäudes zu seiner linken war dasselbe Bild, nur befand sich dieses Mal ein Mann beim Dachfirst. Dort konnte er auch das Hauptheiligtum des Serapeums sehen: den Tempel, höher gebaut als das Gebäude auf dem er stand und mit der Statue des Serapis auf dem Dachfirst auf dieser Seite, während sich auf dem Giebel eine Szene aus den Mythen ausbreitete.
Er ging geradeaus weiter, sich umschauend, denn das Dach seines Gebäudes war mit dem Dach des nächsten mittels eines weiteren Daches – senkrecht zu seinem eigenen – verbunden. Er ging solange weiter bis er sah, wonach er suchte: neben einer der Statuen stand eine Person im Schatten verborgen. Sie war dunkel gekleidet, wodurch sie selbst im Licht des Mondes kaum zu erkennen war.
Als er ihr näher kam, hob die Gestalt eine Hand, als Geste des Wartens. Ihr Kopf war eindeutig nach unten gerichtet, zum Eingang des Serapeums. Mit zwei Fingern signalisierte die Gestalt, dass der Verborgene näher kommen sollte um selbst nach unten zu blicken – dies tat er auch. Die Felsen auf denen das Gebäude stand waren dort zu sehen, aber an einer Stelle auch Fackeln. Ungewöhnlich viele Fackeln, die direkt beim Felsen selbst brannten, während von Zeit zu Zeit Personen im Schutze der Dunkelheit vorbeihuschten – scheinbar in die Felsenwand hinein.
Die andere Gestalt fasste an die Schulter des Verborgenen und er blickte zu ihr rüber – die grauen Augen des Älteren blickten ihn wissend an. Mit dem Kopf, verborgen unter einer dunklen Kapuze, wies er weg vom Rand des Gebäudes und zusammen verließen sie diesen Bereich des Daches. „Waren das…?“, fing der Verborgene leise an zu sprechen.
„Christianí, ja.“, antwortete die Gestalt, wobei die Stimme rauchig klang, „Sie feiern hier jede Woche ihre Feste.“
„Direkt unter dem Serapeum?“, fragte der Verborgene, überrascht, bevor er grinsend hinzufügte, „Gewagt.“
Die Gestalt kicherte. „Sie werden immer mehr, Titos.“, erklärte er und strich sich über seinen grauen Bart, „Und je mehr sie werden, desto mehr wagen sie sich.“
Titos warf einen Blick zurück. „Solange sie sich nicht an ihren Peinigern rächen werden.“, murmelte er mehr zu sich selbst, bevor er wieder sein Gegenüber anblickte, „In Smyrna wurde viel Hass gesät, Sofós.“
Der Alte nickte. „Glücklicherweise gab es so etwas noch nicht hier in Alexandria.“, erklärte er, bevor er sich Titos vollends zuwandte, „Hast du deine Aufgabe erfüllt?“
Titos nickte und holte das Schriftstück hervor. „Er verfasste dies, bevor ich ihn gerichtet habe.“, erklärte er und übergab es dem Älteren.
Der Sofós nahm das Pergament, entrollte es und hielt es so, dass der Mond auf das Geschriebene schien. Er brauchte eine Weile um es zu lesen. „Es scheint unser Präfekt scheint des Nachts auch andere Dinge zu besuchen, als nur sein Lieblingsbordell.“, murmelte er laut genug, dass sein Gegenüber ihn verstand.
„Wenn Titianus in diese Sache involviert ist, könnte die Gefahr größer sein als wir ursprünglich angenommen haben.“, erklärte Titos, „Der Orden könnte sich bereits seit drei Jahren wieder in Alexandria eingenistet haben.“, und als der Sofós nichts erwiderte, fügte er hinzu, „Dies könnte genauso gefährlich werden wie als der Orden zuletzt versucht hatte die Stadt zurückzuerobern.“
Der Ältere rollte das Pergament wieder zusammen und blickte eine Zeit lang nachdenklich in die Leere. „Das Blut was er damals entfesselt hatte, will ich nicht erneut in dieser Stadt sehen.“, erklärte er, und warf einen Blick auf die neu erbauten Gebäude, „Die Bewohner haben sich ihren Frieden verdient.“
„Was sollen wir also tun?“, fragte der Verborgene, mit Eifer in der Stimme.
De Sofós warf ihm einen Blick zu und selbst im Schatten konnte er das Lächeln darauf erkennen. „WIR werden vorerst nichts tun, Titos.“, erklärte er, „ICH werde die anderen informieren und erst einmal Nachforschungen anstellen – wenn Titianus wirklich mit dem Orden involviert ist, war er in der Lage drei Jahre lang sein Unwesen zu treiben. Wir dürfen ihm nicht in die Falle laufen.“
Der jüngere nickte. „Und ich…?“, hakte er nach.
Das Lächeln wurde noch wärmer, während der Sofós sich zu ihm umdrehte. „Du gehst nach Hause.“, erklärte er schlicht, „Schlaf dich aus und gehe morgen deinem Handwerk nach. Wenn wir mehr wissen, wirst du es erfahren.“
Die Miene des Verborgenen war erstarrt. Er wollte etwas sagen, aber überlegte es sich im letzten Moment anders. „Natürlich Sofós.“, antwortete er nur, „Ich werde tun wie mir gehießen.“
Der Alte schüttelte seinen Kopf, immer noch lächelnd, bevor er dem Jüngeren die Hand auf die Schulter legte. „Nicht gehießen, Titos – ich befehle dir nichts.“, erklärte er, „Wir sind weder die Armee noch der Ordo biformis Dei – du kannst tun was du für richtig hältst solange du anderen helfen möchtest. Deswegen bist du ein Verborgener, wie deine Brüder und Schwestern.“, er beugte sich leicht vorwärts, „Aber voreilig zu handeln, kann meistens mehr schaden, als nützen – verstehst du das?“
Der Jüngere blickte dem Sofós in die Augen. Am Ende nickte er. „Natürlich, ich weiß.“, erklärte er und blickte auf die Hand mit der Klinge herunter, „Geduld. Ich verstehe.“, er blickte wieder auf.
Der Alte nickte wohlwollend. „Denkt darüber nach, wenn du zuhause bist.“, erklärte er und nahm die Hand herunter, „Wir sehen uns wenn ich mehr weiß.“
Er drehte sich um und rannte den Weg entlang, den Titos gekommen war. Der Jüngere blickte ihm eine Zeitlang nach, dann drehte er sich auch wieder um und rannte vorwärts. Er erreichte den Rand des Daches und vor ihm – direkt am Fuß des Hügels – breitete sich das Armenviertel von Alexandria aus. Es lag geradewegs zwischen Hügel und dem Kanal, der das Mittelmeer mit dem See Mareotis verband und wimmelte nur so von hastig erbauten Gebäuden, kleinen Gassen und vielen dunklen Winkeln.
Er ging zum nächsten Gebäude und benutzte dessen Außenwand um runter zu klettern. Er passierte ein paar gepflanzte Zedernbäume und ging zum Rand des Fundaments – die Ritzen zwischen den Ziegelsteinen nutzte er um runterzuklettern. Er erreichte die Felsen des Hügels und kletterte an ihnen runter bis unter ihm die ersten Gebäude des Viertels aufragten, die sogar so nah am Hügel gebaut worden waren. Er schlich sich auf einem flachen Dach vorbei zu den nächsten Treppen und erreichte schnell die erste Straße – sie war sogar dunkler als der Rest der Stadt, da hier keine Fackeln hingen – der perfekte Ort um jemand hinterrücks zu erdolchen.
Er nahm die nächsten Treppen gerade aus und erreichte bereits eine von innen verbarrikadierte Tür. Statt sie zu betreten, drehte er sich nach rechts um, wo Treppen zu der Tür eines anderen Gebäudes, wie auch zu einem kleinen Felsvorsprung führten. Von dort kletterte er auf das Dach, dass ein niedriges Geländer aus demselben Lehm hatte, wie die Gebäude selbst. Auf dem Boden des Daches befanden sich mehrere ausgeblichene Teppiche oder Planen und eine hob er hoch: eine kleine Holzlucke offenbarte sich, die er vorsichtig hochhob. Eine Leiter wartete unten in einem schlecht beleuchteten Raum und er kletterte sie herunter, nicht ohne vorher die Plane wieder zurechtzuschieben, sodass sie die sich schließende Lucke verbarg.
„Da bist du endlich.“, flüsterte eine Frauenstimme aus dem Dunklen. Sie trat ins Licht als Titos die Treppe heruntergeklettert war. Die junge Frau trug ausgeblichene Kleider, die mehr schlecht als recht ihren Körper einhüllten und hatte langes dunkles Haar. Ihre Haut war gebräunt, ihre Augen waren smaragdgrün und ihr Lippen einladend.
„Schläft sie?“, fragte Titos, sich an sie schmiegend, wobei auch er flüsterte.
„Natürlich.“, erklärte die junge Frau, aber man erkannte an ihrem Blick, dass sie andere Gedanken plagten.
Der Verborgene ließ sie los und ging in den schattigen Teil des kleine Zuhauses, dass neben einem Schlafplatz – bestehend aus einem Holzfloß und einer Decke darauf – vor allem aus diversen Behältern, Tischen und Regalen bestand, auf denen Kleider wie Nahrung zu finden war. Neben dem größeren Schlafplatz, für zwei Menschen ausgelegt, befand sich eine kleinere Variante in der ein kleines Mädchen – kaum älter als zwei oder drei Jahre – lag, die Augen fest geschlossen und in eine kleine Decke gehüllt.
„Ist es getan?“, fragte die Frau, während Titos seiner Tochter beim Schlafen zusah.
Nach einer Weile drehte er seinen Kopf zu ihr um. „Er ist tot, Lapis.“, erklärte er ihr und blickte wieder seine Tochter an, „Aber scheinbar ist er nur die Speerspitze des Ganzen gewesen.“
Sorge breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Was soll das heißen?“, fragte sie entsprechend, „Du sagtest nach heute würde es vorbeisein…“
Er wandte sich um und ging auf sie zu. „Er war nur eine Marionette.“, erklärte er, „Möglicherweise sogar für den Präfekten selbst.“
Ihre Augen weideten sich, während er vor ihr stehenblieb. Sie blickte herab, Wut und Sorge im Gesicht. „Wie lange wird es also noch dauern?“, fragte sie, wieder aufblickend.
„Solange es nun mal dauert.“, antwortete er ihr schlicht.
Die Sonne brannte hell auf das Deck der Triton und Neferu hob den Arm über die Stirn, um nicht geblendet zu werden. Es war heiß und die ganze Besatzung roch nach Schweiß und dem Salz der schäumenden See. Sie wusste allerdings, dass sie momentan nicht anders roch, wenn auch gerade der Geruch des Olivenöls dominant war, mit dem sie sich eingeschmiert hatte, um die Haut vor der Sonne zu schützen.
Sie ging einen Schritt zurück, um im Schatten des Segels zu stehen und entdeckte dann am Horizont was sie suchte. Der Leuchtturm von Alexandria war das erste was man von der Hafenstadt zu Gesicht bekam, ein wahrhaft beeindruckender Anblick, würdig als Weltwunder bezeichnet zu werden. Eine halbe Stunde schätzte sie, dann würden sie endlich das Hafenbecken von Alexandria erreichen. Natürlich würden als erstes wieder Zollbeamte auftauchen, aber während sie sich mit denen herumschlug konnte sie ja schon einen Boten an ihre Familie senden.
Der Hafen von Alexandria war ein Umschlagplatz für Waren aus aller Welt, dutzende Schiffe lagen in der prallen Mittagssonne und warteten darauf be- oder entladen zu werden. Es war heiß, laut und es roch nach Fisch, Meer und Unrat. Neferu sah wie auf dem Nachbarschiff Datteln und Feigen verladen wurden und ganz hinten meinte sie sogar zu erkennen wie ein Schiff das kostbare Elfenbein aus dem südlichen Afrika verlud. Ein gewinnbringendes Geschäft, allerdings brauchte man viel Kapital, um es überhaupt ankaufen zu können.
„Dann bräuchte ich noch hier euer Signum unter die Frachtpapiere und schon sind wir wieder weg domina.“, sprach sie einer der beiden Beamten an und riss sie aus ihren Beobachtungen. „Hm? Ja natürlich.“, erwiderte Neferu knapp und schrieb ihren Namen auf die Wachstafel des Beamten. „Sehr gut, dann denkt noch daran die Gebühr an den Hafenmeister zu zahlen. Wir wünschen euch einen schönen Tag. Vale!“ „Valete!“, erwiderte Neferu so höflich wie es nötig war.
Nachdem die beiden Männer den Steg heruntergegangen waren ging auch die Ägypterin auf das Kai. Dort erwartete sie auch schon Silos, ein ehemaliger Haussklave ihres verstorbenen Mannes. Silos war schon Mitte 50 und durch das Testament ihres Mannes frei geworden, jetzt aber von ihr als Assistent eingestellt. Sein Haaransatz schien von Woche zu Woche zu verschwinden und sein Schopf war vielerorts schon ergraut.
Begleitet wurde er von Hent einer jungen nubischen Sklavin die Neferu damals günstig erworben hatte und ihr als Dienstmädchen im Haushalt half. Sie war etwa ein Jahr jünger als ihre Besitzerin und ein wenig kleiner. Ihre Haut war vom dunklen Braun wie bei den meisten Nubiern und ihre Haare zu langen dünnen Zöpfen geflochten.
„Willkommen zurück domina. Ich hoffe eure Geschäfte liefen zu eurer Zufriedenheit?“, begrüßte sie Silos freundlich, während Hent einen kleinen Sonnenschirm ausklappte und über ihren Kopf hielt. Mit der anderen Hand bot sie ihrer Herrin ein Gefäß mit Wasser an. Neferu nickte ihr freundlich zu und ergriff das Gefäß, einen großen Schluck nehmend. Dann gab sie es der Sklavin zurück.
„Sie liefen gut. Ich habe die Datteln gut verkaufen können und für das Papyrus einen hervorragenden Preis erhalten. Von Ostia bin ich dann noch nach Rom gereist, wo ich einen Weinhändler besucht habe. Er hatte einen guten Preis gemacht und ich habe schon Interessenten für die Amphoren.“
Silos nickte lächelnd, während die Augen von Hent bei der Erwähnung von Rom anfingen neugierig zu leuchten. Eine Frage schien aufzukommen, aber sie traute sich nicht sie auszusprechen. Also stellte Silos sie: „Wie war euer Aufenthalt in Rom?“
Neferu schnaubte verächtlich. „Nun wie ist Rom? Laut, unfassbar dreckig und es leben einfach viel zu viele Menschen dort. Der Großteil von ihnen scheint auch nicht mehr zu arbeiten, sondern nur auf die nächste Getreidespende zu warten oder die nächsten Spiele im Amphitheatrum flavium. Lasst einmal die Getreideschiffe nicht von hier abfahren, ich bin sicher das Geschrei des Plebs hört man bis hierhin. Und jedes Jahr scheinen es mehr zu werden, obwohl man weiß das es in Rom nicht genügend Arbeit für alle gibt.“, erzählte Neferu leicht aufgebracht.
So sehr sie auch die Vorzüge des Imperiums schätzte, die Stadt selbst schien nur noch dafür zu existieren die Reichtümer der Provinzen zu verbrauchen.
„Ich würde gerne mal das Amphitheatrum flavium sehen.“, verkündete Hent zaghaft und schien sich dann fast schon auf die Lippen zu beißen. Neferu drehte sich zu ihr um und warf ihr einen finsteren Blick zu. „Das ist ganz leicht, du musst nur jemanden umbringen. Oder ich verkaufe dich an die richtigen Leute, dann siehst du es sogar von Innen.“, entgegnete sie harsch und die Nubierin zuckte zusammen. Der Blick der Ägypterin entspannte sich wieder und sie lächelte wieder. „Ganz ruhig, das wird nicht passieren. Und ich kann dich verstehen, es ist wahrhaft ein beeindruckendes Bauwerk, fast noch mehr als unser Leuchtturm. Ein Hoch auf die Flavier.“
Die drei gingen das Kai entlang in Richtung des Hafens. „Es ist nur leicht verstörend wie der Pöbel sich um die kostenlosen Karten für die Spiele schlägt, als ob es nichts wichtigeres zu tun gibt.“
„Das Volk braucht Ablenkung domina und auch hier sind die Spiele beliebt.“, merkte Silos an. „Das stimmt. Hast du die Karten für die nächsten Spiele bekommen? Marcus der Getreidehändler ist bei den Spielen immer in guter Laune für Geschäfte.“ „Natürlich, ganz wie ihr es gewünscht habt.“
Neferu nickte zufrieden und die Drei betraten ein Gebäude, eine kleine Hafentaverne. Der Geruch von Garum stieg der Ägypterin sofort in die Nase, aber auch von Honig und verschiedenen Kräutern. Sie setzten sich an eine freie Bank und Silos schickte Hent los, um etwas zu trinken zu holen.
„Wie geht es Vater?“, erkundigte sich Neferu. „Gut, er erfreut sich bester Gesundheit, momentan sucht er nach einem Kapitän mit einem großen Schiff, ganz wie ihr es gewünscht habt.“ Hent kam zurück und stellte einen Krug mit Mulsum vor ihr ab. Neferu nickte und nahm einen Schluck von dem Würzwein. Wenn ihr Gespräch mit Marcus gut verlief, würde sie ein großes Schiff brauchen.
Fremdworte:
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domina= Herrin;
Vale= Lebe wohl!;
Amphitheatrum Flavium= Kolosseum;
garum= Fischsoße der Römer;
Mulsum= Würzwein mit Honig
Die Sonne brannte unaufhörlich. Der Angekettete hatte bereits aufgehört auf Wolken zu hoffen, die ihm Erleichterung bringen konnten.
Der Wagen fuhr über ein größeres Hindernis, wodurch Schmerz den Rücken des Angeketteten durchfuhr. Normalerweise würde er es ohne ein Murren wegstecken, aber sein Körper war nicht in der Stimmung den starken Mann zu spielen.
Er hörte das Kichern des Fahrers. „Tat es weh?“, fragte dieser mit einer gewissen Erwartungshaltung.
Der Angekettete hätte ihm gerne geantwortet, dass er sich seine ‚Sorge‘ sonstwo hinstecken könnte, aber seine Lippen waren porös, seine Stimme nur kehlig und das Fieber zu stark um ihn die Kraft aufbringen zu lassen.
„Hat’s die Stimme verschlagen?“, fragte der Fahrer höhnisch, „Glaub mir, wenn er mit dir fertig ist, wird es dein geringstes Problem sein.“
Der Angekettete hob seine Arme, aber die Ketten zwangen sie wieder herunter. Sie schmiegten sich eng um Hände, Füße und seinen Hals und erlaubten ihm nur das Sitzen in dem Käfig, der auf dem Wagen gelegt worden war – wobei er selbst diese Position aufgegeben hatte und einfach nur dalag. Nur Stroh war sein einziger Begleiter, denn obwohl der Käfig sicherlich ein halbes Dutzend Männer beherbergen konnte, war er ansonsten völlig leer.
Nicht das er jemanden zum Reden bräuchte. „Oh ich kann’s kaum erwarten, wenn er mit dir anfängt.“, setzte der Fahrer fort, „Er ist ein Künstler, weißt du? Ihm ist es egal, ob er deinen Wert zerstört, solange er dich bricht.“, und mit einer demonstrativen Pause, „Und er bricht jeden. Jeeeeden.“, wobei das letzte Wort besonders gestreckt wurde.
Der Angekettete versuchte den Fahrer zu ignorieren und blickte stattdessen geradeaus, hinter den Wagen. Dort zeigte sich der Weg, den sie genommen haben seit der Ankunft im Hafen. Zunächst war er sumpfig gewesen, dann nur noch feucht und mit diversen Bäumen hier und da. Hinterher aber wurde die Vegetation Stück für Stück durch Felsen, Sand, Hügel und bestenfalls Sträucher ersetzt – immer begleitet von der unbarmherzigen Sonne. So anders als zuhause…dachte der Angekettete, sich an die Zeiten erinnernd wo Schnee um sein Geburtshaus gelegen hatte – es war immer eine Zeit der Angst, der Unsicherheit, aber auch Geborgenheit, Familie und Schönheit gewesen. Er erinnerte sich nur mit Wohlwollen an die Zeit, wo ihm sein Vater den gefrorenen Wasserfall gezeigt hatte – ein Kunstwerk ohnegleichen. Werde ich es jemals wiedersehen?, fragte er sich nicht zum ersten Mal.
Die Landschaft veränderte sich langsam. Er fing an mehr Menschen zu sehen, genauso braungebräunt oder braun geboren, wie derjenige, der den Wagen fuhr. Ebenso wurden die Geräusche lauter, was den Angeketteten zum einzigen logischen Schluss führte: wir sind wieder in einer Stadt. Als die ersten Bauten, aus Holz oder Stein, erschienen war er sich sicher. Reiter passierten sie ebenso wie Fußgänger, wobei es die wenigsten interessierte, was da hinten im Käfig saß.
Sie stoppten und er hörte die Stimme des Fahrers, in der Sprache sprechend, die der Angekettete als ‚Griechisch‘ kannte.
Er verstand kein Wort. Er hatte zwar schon einige Worte kennengelernt, gehört, dass die Griechen Poeten sein sollen, aber die Sprache ist ihm bisher fremd geblieben. Nicht das das ein Problem gewesen wäre, dachte sich der Angekettete, diese Sprache spricht doch nur jeder in diesem Teil der gottverdammten Welt… Seine Lateinkenntnisse waren einen Dreck wert und er verfluchte Wodan für seine mangelhaften Sprachfertigkeiten. Nicht zum ersten Mal.
Er hörte eine weitere Männerstimme, die dem Fahrer antwortete. Sie redeten, für eine Weile, lachten, freuten sich scheinbar und der Angekettete glaubte, dass sie sich sogar umarmt hatten. Es dauerte eine Weile, aber schlussendlich hörte er Schritte, die näher kamen. Zu beiden Seiten erschienen zwei Männer, den linken kannte er, der rechte war ihm unbekannt. Der Linke war der Fahrer, eine dunkle Tunika tragend, die ursprünglich wohl sauber gewesen war, aber nach der kurzen Fahrt völlig verstaubt aussah. Er war nicht groß – typisch für diesen Teil der Welt – hatte ein ungepflegtes Äußeres, schwarze Bartstoppeln und schwarzes Haar über seinen Ohren, während seine Schädeldecke so kahl wie der Hintern eines Babies war – weswegen er sich wohl entschieden hatte einen Strohhut zu tragen anstatt des offensichtlichen Grundes, der Sonne.
Der Mann zur Rechten war anders. Er ist gefährlich…wusste der Angekettete nach einem kurzen Blick. Er war größer als der erste Mann, aber dafür dürrer. Er trug ähnliche Kleider, wobei seine älter aussahen und eher rot als dunkel waren. Sein Kopf war nahezu vollständig behaart, auch das Gesicht, mit dem dunklen, braunen Haaren, die ihn als Nicht-Einheimischen klassifizierten. Sei Gesicht war mager, er sah generell eher schwächlich aus – fand der Angekettete zumindest – aber seine Augen waren eine andere Sache: sie waren blau, wie Eis, und sein Blick tödlich. Von ihm kann ich keine Gnade erwarten…wusste der Angekettete auf der Stelle.
Er versuchte sich zu erheben, so sehr wie die Ketten es ihm erlaubten – am Ende saß er nur strammer an der Käfigwand, den Oberkörper völlig ausgestreckt. Die beiden Männer blieben vor dem anderen Ende des Käfigs stehen und der größere von ihnen blickte ihn an – in einer Art und Weise, die den Angeketteten an einen Schlachter erinnerte, der gerade darüber entschied welches Tier er als nächstes schlachten sollte. Er spannte seine Muskeln unwillkürlich an.
Sie sprachen wieder miteinander, wieder griechisch. Der Angekettete fluchte erneut innerlich, als sie anfingen sich ihm zu nähern – von der rechten Seite. Der Fahrer folgte dabei dem Neuankömmling und konnte kaum mithalten.
Die beiden blieben unweit des Angeketteten stehen und dieser konnte das Grinsen auf dem Gesicht des Neuankömmlings sehen. „Er versteht kein Griechisch?“, fragte er plötzlich in Latein, ohne sein Blick vom Angeketteten zu entfernen. Seine Stimme war fast wie ein Flüstern, aber doch klar und deutlich. Sein Gesicht sah aus, wie das Gesicht von jemanden, der dabei war ein Bordell zu betreten – die Lust war unverkennbar.
„Nicht eine Silbe.“, antwortete der Fahrer, „Obwohl ich vermute, dass seine ‚Kollegen‘ ihm das eine oder andere beigebracht haben.“
Der Neuankömmling streckte seinen Kopf in Richtung des Angeketteten aus. „Verstehst du mich?“, fragte er erneut in Latein, wobei jetzt klar wurde, dass er einen Akzent hatte. Der Mann im Käfig hatte diesen Akzent schon oft gehört, seit er im Osten war.
Er würde aber einen Teufel tun und ihm antworten. Trotzdem wurde das Grinsen auf dem Gesicht des Haarigen breiter. „Er versteht mich.“, erklärte er schlicht, „Gut, ich liebe es wenn meine Tierchen mich verstehen.“, sein Blick bohrte sich in die seines Gegenübers, „Ich heiße Babylas – ein Name, der für dich ohne Belang ist. Du wirst mich eh bald nur noch ‚Dominus‘ nennen.“
Der Angekettete spuckte und war hinterher überrascht, dass er überhaupt dazu in der Lage gewesen ist. Der Speichel traf direkt ins Gesicht.
„Du…!“, wollte der Fahrer bereits aufbegehren, aber die Hand des Größeren hielt ihn auf.
„Schon gut.“, erklärte Babylas, wieder grinsend, „Ich werde es ihm schon austreiben. Wie vieles mehr.“, wobei der letzte Teil wie eine Drohung klang. Der Neuankömmling drehte seinen Kopf zum Fahrer um und fragte diesen: „Wie heißt er?“
„Nun ich würde ihn einen undankbaren kathíki nennen…“, erklärte der Fahrer, „Aber er hatte die Nummer 46 unter den Sklaven meistes Meisters.“
Babylas drehte sich nun vollends zum Fahrer um. Der Angekettete konnte das Gesicht des stark gebräunten Mannes nicht sehen, aber die Stimme klang eisig: „Wie – heißt – er?“, wobei er jedes Wort entsprechend betonte, mit einer Pause dazwischen. Selbst dem Angeketteten fuhr ein Schauer den Rücken runter.
Das Verhalten des Fahrers sprach Bände: seine Augen waren geweitet, sein Mund offen und er tat unwillkürlich einen Schritt zurück – er hatte Angst. „Er heißt Sigurd.“, erklärte er, zitternd, mehr schwitzend als zuvor und mit bebender Stimme.
Babylas drehte sich augenblicklich wieder zum Angeketteten. „Sigurd.“, sprach er den Namen in der fast flüsternden Stimme aus, „Siiiigurd.“, er fing an wieder breit zu grinsen, „Wir werden so einen Spaß haben, Sigurd…“
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Vokabeln:
Dominus = lat. für Herr, Meister
Kathiki = griech. für Arschloch
Die Flammen der Fackeln tanzten im Luftzug des maroden Gebäudes und warfen merkwürdige Schattenspiele an die Wand.
Jedes Geräusch ließ die junge Diebin aufhorchen und sie ihren Körper anspannen, um bei einer noch so kleinen Chance zur Flucht, bereit zu sein, doch vergebens.
Sie wusste nicht einmal, wie sie hier her gekommen war, noch wo sie genau war. Sie war bewusstlos, als man sie hier eingepfercht hatte.
Die Zelle war klein und nicht unbedingt gerade für längere Aufenthalte ausgestattet. Zwei Holzbänke zum sitzen, einen Eimer mit Fäkalien, der schon länger nicht geleert wurde und der beißende Gestank in der ganzen Zelle hing und ihr den Magen umdrehte.
Lediglich ein mit Gitter versehenes Fenster an der Decke sorgte für ein wenig frische Luft. Links von ihr war die Gittertür, hinter der ein Gang wohl in die Freiheit führte.
Ab und zu partrollierte eine Wache durch den Gang und ließ seine dummen Bemerkungen los, ehe er wieder verschwand.
Doch seid Stunden kam keine Wache mehr und so wartete sie alleine, in Gedanken versunken auf ihre Hinrichtung.
Aber was war geschehen? Sie hatte eine Wache getötet. Eine VERDAMMTE WACHE!!!
Im Gerangel hatte sie ihm sein Schwert abnehmen können und stach einfach zu, es war ein Unfall.
Allerdings schien das hier niemand zu interessieren, in deren Augen war sie eine Verbrecherin, eine eiskalte Mörderin und als peregrini hatte sie garkeine Rechte.
Das Urteil fiel schnell... Hinrichtung!
So blieb Amany nichts anderes übrig, als auf die Vollstreckung des Urteil zu warten...
Der Wind drehte und trieb ihr den widerwärtigen, beißenden Gestank aus dem Eimer direkt unter die Nase. Übelkeit breitete sich in ihrer Magengegend aus und sie begann innerlich zu würgen.
Nach frischer Luft suchend, streckte Amany ihren Kopf zur Gittertür hinaus, als sie Schritte war nahm, die rasch näher kamen.
Eine Wache betrat den Raum, der vor sich einen Gefangenen hertrieb.
“Zurück Gefangene!“ befahl der Wachmann.
Amany gehorchte, wenn auch widerwillig.
Der Wachmann öffnete die Tür, schubste den Gefangenen achtlos in die Zelle hinein, schloss die Zelle wieder ab und verschwand.
Unsicher blieb die junge Diebin in der Ecke stehen, während sich der alte Mann mühsam auf die Beine kämpfte.
Sein eingefallenes und vernarbtes Gesicht waren Zeuge eines harten Lebens, welches er hinter einem buschigen grauen Bart verstecken versuchte. Der Rest des alten Mannes war unter einer verdreckten, zum Teil kaputten Tunika mit Kapuze verborgen.
Der Mann wirkte sehr schwach und als dieser drohte nach vorne um zu kippen, eilte ihm Amany zu Hilfe und stützte ihn von der Seite.
“Ich helfe dir!“ sagte sie leise und führte den Mann zu einer der Bänke, wo er sich gleich hinsetzte.
“Wer bist du?“ hakte die junge Diebin nach.
“Namen sind unwichtig, Amany.“ antwortete der alte Mann leise und blickte die junge Frau an.
Erschrocken wich Amany zurück. Woher wusste er, wie sie hieß? schoss es der Diebin durch den Kopf und musterte ihren Gegenüber genau.
“Überrascht? Ich habe dich schon länger beobachtet, gesehen.... wie du arbeitest. Deine flinken und geschickten Bewegungen beobachtet bei deinen Diebstählen, wie eine Katze auf Streifzug.“ sprach der Mann.
Unsicher wich Amany weiter zurück. Zumindest versuchte sie es, den der Mann griff nach ihrem rechten Handgelenk und hielt sie fest.
Fast schon panisch versuchte sie sich aus dem Griff zu befreien, doch vergebens. Verängstigt sah sie in das starre, alte Gesicht.
“Was willst du von mir?““ schrie sie und versuchte sich noch energischer von seinem Griff zu befreien.
“Pssst!“ fuhr er sie an und blickte rasch zur Gittertür, ehe er an Amany gerichtet ruhig weiter sprach.
“Ich bin alt, Amany. Ich habe einen Nachfolger gesucht, der meine Arbeit fortführt und habe mich für dich entschieden.“
“Arbeit? Wovon sprichst du?“ wollte die junge Diebin verzweifelt wissen.
Der Mann deutete mit einem Blick auf seine Handgelenke, aus dessen Armschützer und einer kurzen Bewegung jeweils eine Klinge hervor schoss.
Geschockt starrte sie auf die Klingen.
“Ich möchte, dass du diese verborgenen Klingen nimmst.“.......
07.12.2018
23:54
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Lucia Audacia Selene - Londinium, Provinz Britannien, Ende August 166 n.Chr.
„1200 Sesterzen, nicht mehr, nicht weniger.“, antwortete die junge Frau mit einer bestimmenden Stimme.
Der Händler blickte sie ungläubig an, schüttelte zunächst leicht den Kopf, fing dann aber an die Lippen zusammenzupressen. Du weißt, ich kann dafür sorgen, dass du keine deiner Waren hier verkaufen kannst, also schlag schon ein…dachte sie ungeduldig, während ihr Blick Unnachgiebigkeit ausstrahlte.
Der Seidehändler knickte schlussendlich ein. „In Ordnung, Domina…“, erklärte er fast schon Zähne knirschend, „1200 Sesterzen pro Pfund, insgesamt 50 Pfund.“
„Abgemacht.“, entgegnete sie und schenkte ihm ein Lächeln, „Sie haben sich richtig entschieden.“
Er lächelte ebenso, auch wenn verlegen. Er ist so leicht zu durchschauen…dachte sie, während er ihr höflich antwortete: „Sie sind eine harte Verhandlungspartnerin, Herrin.“
„Sie würden sich wundern.“, erwiderte die junge Herrin und drehte sich halb um. Mit Armanweisungen zeigte sie einem ihrer Diener, dass er sich um die Formalia kümmern sollte, während sie bereits das Forum verließ. Beim Vorgehen bei den anderen Händlern, heuschelte sie noch Interesse vor, indem sie mit Faszination in den Augen die Waren begutachtete, was ihr diverse Rufe zum Kauf der Waren einbrachte.
Sie erreichte das Ende des Forums mit ihrer Entourage recht zügig, wobei dort ihr Pferd wartete: ein weißer Iberier (Andalusier). Gehalten wurde er von einem kleinen Mann, der gerade so den Kopf streicheln konnte – auch wenn nur, weil das Pferd diesen gesenkt hatte. Er trug eine blaue Tunika über seinem Oberkörper, während seine Füßen Sandalen zu erkennen waren – wie bei seiner Herrin, auch wenn ihre deutlich wertvoller bearbeitet worden sind. Seine braunen Haare waren lockig und zerzaust und er trug einen stolzen Vollbart, selbst wenn dieser genauso ungepflegt aussah wie seine Haare – und das war auch ein gewisses Kalkül.
„Domina Selene.“, hieß er ihre Rückkehr willkommen, den Kopf neigend, während seine Stimme eine überraschende Tiefe aufwies.
„Gaelus.“, erklärte die junge Herrin ihren Blick nicht auf ihn werfend, sondern auf das Pferd, „Hilf mir rauf.“ Er und ein paar der anderen Diener halfen ihr auf das Pferd. Neben dem kleinen Mann bestand die Entourage noch aus ein paar Damen, ein paar Männern – allesamt Sklaven – und zwei Männern in Pelzmänteln, Schutzwesten und mit Waffen – ihre Wachen.
„Reiten wir nach Haus?“, fragte der kleine Mann, während sie das Pferd zum traben brachte. Sie überragte in dem Sattel ihre Entourage spielend, während sie ihr folgten, Gaelus gleich neben dem Pferd.
Sie schüttelte ihren Kopf. „Wir gehen zur Garnison.“, erklärte sie und wies mit dem Pferd den Weg, „Mein Bruder wollte mir etwas zeigen.“
„Ich verstehe.“, antwortete Gaelus und wollte noch mehr sagen, als sie ihn unterbrach: „Merk es dir: 50 Pfund Seide, 1200 Sesterzen das Pfund.“, erklärte sie ihm, „Ein Seidenhändler aus Gallien, Timon kümmert sich um die Formalia und wird dir die Details nennen.“, der kleine Mann nickte, „Schreib alles in den Kodex, mit meiner Empfehlung: nur ein Drittel in der Umgebung von Londinium weiterverkaufen, zum doppelten Preis, der Rest in der ganzen Provinz zum dreifachen. Aber erst in zwei Monaten, wenn die Handelsströme in den Herbststürmen versiegen.“
Gaelus nickte erneut, während ein Lächeln über sein bärtiges Gesicht huschte. „Glaubt ihr etwa nicht, dass Nelius selbst darauf kommen würde, Domina?“, fragte er ohne seinen Blick vom Weg zu nehmen.
Sie verzog ihr Gesicht leicht. „Seit pater gestorben ist, ist er nicht mehr derselbe.“, erklärte sie, „Er ist in der Tat noch scharfsinnig, keine Frage, aber es scheint als wäre...“
„…etwas in ihm gestorben.“, vollendete ihr kleiner Sklave den Satz, „Ja das Gefühl habe ich auch. Aber bislang hat er bei Geschäften denselben Riecher bewiesen wie auch als eurer Herr Vater noch gelebt hat, Domina.“
„Nur deswegen riskiere ich dieses Unterfangen noch in diesem Jahr.“, entgegnete Selene, „Solange er seinen Riecher behält, ist er hier in Londinium von Nutzen. Anders könnte das Ganze in einer Katastrophe enden…wir haben immer noch keinen vernünftigen Ersatz für ihn?“, fügte sie fragend hinzu, während sie dem kleinen Mann einen Blick zuwarf.
„Leider nein, Herrin.“, antwortete Gaelus, den Blick erwidernd, „Leider vermiesen die Kriege im Osten die Suche gewaltig – man könnte auf die Idee kommen, dass die Kaiser fähige Männer benötigen würden.“
Selene pfffte. „Dann werden wir uns auf der Reise nach ihnen umschauen müssen.“, erklärte sie und blickte zu ihrem Sklaven runter, „Haben wir Nachricht von Tamon erhalten, während ich im Forum war?“
Gaelus nickte ein weiteres Mal mit dem Kopf. „Ein Bote kam vorbei, Domina.“, erklärte er, „Die Botschaft enthielt nur einen Satz: Es ist getan.“
Ein breites Lächeln erschien für einen Moment auf ihrem Gesicht, aber sie brachte es schnell wieder unter Kontrolle. Statt weiterzusprechen, konzentrierte sie sich nun aber auf den Weg und brachte das Pferd dazu sich schneller zu bewegen, wodurch ihre Sklaven und Wachen ebenfalls anfangen mussten schneller zu gehen – vor allem für Gaelus kein leichtes Unterfangen. Glücklicherweise erreichten sie ihr Ziel zügig.
Die Garnison von Londinium war im Fort der Stadt zu finden, im Nordwesten gelegen. Die Mauern des Forts bildeten ein Viereck und waren nahtlos mit den Mauern verbunden, die die ganze Stadt umschlossen. In diesem Teil von Londinium gab es kaum Häuser, was aber beabsichtigt war – das Fort wurde bewusst bisschen abseits von der Stadt gebaut. Und trotzdem musste die kleine Gruppe eine Reihe von Häusern auf dem Weg hierher passieren – die Stadt wuchs und wuchs und schien keine Anstalten zu machen, dass irgendwann zu ändern.
Am Tor warteten zwei Legionäre. Diese sahen ziemlich entspannt aus und einer von ihnen rief der Gruppe zu: „Domina, eurer Bruder erwartet euch im praetorium.“
Die Sklaven halfen ihr vom Pferd. „Gaelus, Pullo und Vorenus, ihr kommt mit mir.“, befahl sie mit einer Stimme, die dies gewohnt war, „Und der Rest kann sich amüsieren, während ich weg bin – aber nichts was ich später bereuen müsste.“
Sie wartete nicht ab um die grinsenden Gesichter ihrer Dienerschaft zu bestaunen, sondern ging voraus und die drei Männer folgten ihr, wobei Gaelus versuchte an ihrer Seite zu bleiben, während die beiden Wachen bewusst zurückfielen. Als sie das Tor passierten, konnte sie bereits das andere Ende des Forts erkennen, denn die Hauptstraße verband dieses Tor mit dem Gegenüber. Das Fort bestand in erster Linie aus Barracken der einfachen Soldaten, wie auch Gebäuden für die Anführer einer Legion oder auch für deren Organisation; zusätzlich dazu gab es einen zentralen Platz für das Exerzieren. Die Principia stellten dabei die Verwaltungsgebäude dar, aber eines davon diente auch als religiöses Zentrum der Legion. Obwohl in diesem Fort mindestens eine vollständige Legion Platz hätte, war es größtenteils verweist: keine Legion war Londinium zugewiesen und selbst wenn wäre sie in Kriegszeiten anderswo zu gebrauchen. Stattdessen bestand die Garnisonsbesatzung normalerweise aus einer Cohors equitata, einer Kohorte bestehend aus 600 Mann, gemischt mit Infanterie und Kavallerie. Ihr Bruder hatte aber weitere 400 Mann angeworben, teils um die Patrouillen in der Stadt zu vereinfachen – die Hauptaufgabe der Legionäre – teils aber auch um private Zwecke zu erfüllen. Die meisten von ihnen befanden sich aber aktuell im Dienst, weswegen das Dreiergespann quasi niemanden antraf.
„Ich bekomme immer so ein mulmiges Gefühl, wenn ich dieses leere Fort betrete…“, murmelte Gaelus, so leise, dass nur sie ihn hören konnte.
„Gebaut in einer anderen Zeit für einen anderen Zweck.“, entgegnete Selene schlicht, ohne sich umzudrehen, während sie sich ihrem Ziel näherten, „Diese Leere ist eigentlich gut – das heißt, dass Londinium sicher ist.“
„Ich hätte gerne eure Zuversicht in dieser Hinsicht, Domina.“, erwiderte Gaelus nur.
Vor ihnen baute sich nun das praetorium auf: es war ein zweistöckiges Gebäude mit einem einstöckigen Atrium als Eingangsbereich. Sie gingen durch die Tür und sahen hier und da gelangweilte Infanteristen, die plötzlich anfingen gerader zu stehen, als sie vorbeikamen. Selene warf einen genauen Blick in das Innere des Atriums, bevor sie es betrat: es war ein typischer römischer Garten mit einem Schrein in der Mitte – wobei die Statue der Göttin Minerva darin zu finden war – und war größtenteils verwaist, mit Ausnahme von zwei Soldaten, die eine weitere Person in einer Tunika bewachten; zusätzlich stand ein weiterer Mann in der Nähe, mit kurzem, rotblonden Haar, der die Ausrüstung eines Kohortenpräfekten trug und gerade dabei war ein paar Nüsse zu verdrücken, als sie in das Atrium trat – in diesem Moment warf er diese schwungvoll weg.
Kein Helm, immerhin etwas…dachte Selene sich, die Nüsse ignorierend, weil sie wusste wie gerne er diesen bei solchen Anlässen trug. „Schwester.“, begrüßte sie der Kohortenpräfekt mit einem Lächeln und ausgestreckten Armen.
„Fabius.“, erwiderte sie, kälter als er erwartet hatte, bevor sie einen Blick auf den Mann in der Tunika warf: diese war schäbig, genauso wie seine Sandalen, aber die Kleidung war es nicht, die ihre Aufmerksamkeit erregte; seine Arme waren kräftig, teils mit Narben übersät und auch am Oberkörper hinter der Tunika zeichnete sich ein durchtrainierter Körper ab; sein einziges Makel war sein Gesicht, viel zu dicht mit dem schwarzen Haaren behaart, so dass selbst seine Augen schwer zu erkennen waren; die Ketten an den Armen rundeten dann das Bild des Gefangenen ab, selbst wenn dieser so aufrecht und selbstbewusst dastand, dass man glauben könnte, dass die Soldaten zu seinen Seiten eher seine Bodyguards wären und nicht seine Gefängniswärter.
Selene musste beim Anblick des Körpers die Luft anhalten und spürte wie ihr die Röte ins Gesicht kroch. Sie brach die Inspektion des Fremden ab und wendete sich wieder ihrem Bruder zu, der aussah, als würde er schmollen.
„Liebste Schwester, ich…“, wollte Fabius gerade erklären, ab sie schnitt ihm das Wort ab: „Wer ist das, Fabius?“, wobei sie anfing in Richtung des Schreins zu gehen, um weniger Zuhörer ihres Gesprächs zu haben.
Fabius folgte ihr und sein Ärger war nun deutlich über seinem Gesicht geschrieben. „Musst du mich immer in Anwesenheit meiner Männer blamieren…?“, zischte er ihr viel zu laut zu, während er seine Schutzweste geraderückte.
Sie hätte am liebsten geseufzt, darüber, dass sie mit ihm immer wieder dieses Spielchen spielen musste. Wenn er wütend ist, wird es ewig dauern bis er endlich mit der Sprache herausrückt…wusste sie, weswegen sie zu einer anderen Taktik ansetzte, die mit einem Lächeln anfing, er mag es wenn ich lächele.
„Du hast mich nur überrascht.“, erklärte sie ihm, in sein Gesicht blickend, „Also wer ist das, liebster Bruder?“
Schmeicheleien und Demut kamen bei ihm immer gut an. „Der, denn du gesucht hast.“, erklärte er grinsend, „Für deine Reise…“
„Den ich gesucht hab?“, fragte sie unsicher und warf dem muskulösen Mann einen begehrlichen Blick zu.
„Ein Bodyguard.“, fügte Fabius hinzu, den Blick scheinbar nicht bemerkend, „Mit Sprach- und Ortskenntnissen. Er ist Punier – so jemanden wolltest du doch haben oder nicht?“
Sie konnte sich wage daran erinnern, dass sie mit Fabius darüber gesprochen hatte. Wobei ihr Erinnerungsvermögen wohl scheinbar besser zu sein schien als seines: sie konnte sich sehr gut daran erinnern, dass sie ihm gesagt hat, dass sie WÄHREND ihrer Reise einen Bodyguard UND einen Ortskundigen suchen und einstellen müsste –nun hatte sie beides in einem, bereits VOR der Reise. Sie hatte gewisse Mühe einen weiteren Seufzer zu unterdrücken und lächelte stattdessen noch süßer als zuvor. „Wo hast du ihn gefunden?“, fragte sie mit einer unschuldiger Stimme, ihren Bruder direkt anblickend.
„In den Kerkern.“, erklärte Fabius offenbar glücklich über diesen Umstand, „Soll einem Bürger in einer Taverne ein paar Knochen…und mehr gebrochen haben, als meine Jungs ihn aufgegabelt haben. Es bedurfte ein halbes Dutzend von ihnen um ihn zur Raison zu bringen.“ Kämpfen kann er also…dachte sie sich, während sie einen Finger in einer denkenden Pose auf ihr Kinn legte. „Ein Gefangener?“, fragte sie, mit einer leicht verängstigen Stimme, „Du willst mir einen Gefangenen als Bodyguard mitgeben?“
„Mach dir darum keine Sorgen, Schwesterchen.“, erklärte Fabius zuversichtlich, „Ich hab einen Deal mit ihm abgemacht.“
„Über was reden wir hier?“, fragte sie nach einer demonstrativen Pause, wobei sie nun versuchte interessiert zu klingen, „Was hast du ihm versprochen?“
Ihr Bruder pffte. „Was wohl?“, fragte er statt zu antworten, „Die Freiheit natürlich.“ Die er sich jederzeit nehmen könnte, wenn er wirklich so stark ist, wie du behauptest…dachte sie sich, wieder einen Blick auf den durchaus gebräunten Oberkörper werfend, Warum ist er also noch hier? „Also du willst ihn haben nicht?“, unterbrach Fabius ihren Denkprozess, breit lächelnd, „Du kannst ihn gleich mitnehmen.“, er warf seinen Männern einen Blick zu, „Hey, Jungs, öffnet die-“
„Liebster Bruder.“, unterbrach sie ihn augenblicklich, wobei es ihr teilweise gelang die Schärfe aus ihrer Stimme zu verbannen, „Kann ich zuerst mit ihm sprechen,…nur um zu sehen, dass er dich nicht belogen hat mit seinen Ortskenntnissen.“
„Er ist Punier, das sieht doch jedes Kind!“, entgegnete Fabius gereizt, weil sie ihm wohl unterstellt hatte einen Lügner nicht erkennen zu können, „Das reicht doch auch, er kann eh kein Wörtchen Latein oder Griechisch!“ Du musst wirklich deine Verkaufsstrategie üben, Brüderchen…dachte sie sich, während sie laut aussprach: „Vielleicht hat er ja nur Angst mit dir zu sprechen – lass mich mit ihm sprechen. Einem zarten Fräulein wie mir wird er wohl nicht dieselbe Angst und Respekt verspüren wie vor dir.“
Auch dieses Mal funktionierte das Schmeicheln. „Von mir aus.“, erklärte er, wobei er hinterher anfing zu grinsen, „Vielleicht sind die Waffen einer Frau ja wirkungsvoller.“
Sie drehte sich von ihm weg, bevor er ihr Seufzen sehen oder hören konnte. Mit einem Finger befahl sie Gaelus mit ihr zu kommen und sie blieb vor dem angeblichen ‚Punier‘ stehen, die Hände im Schoss zusammengefaltet. Sie hielt ihren Blick dabei direkt auf seinem Gesicht, obwohl er fast einen Kopf größer war als sie, einerseits um seine Mimik zu beobachten, andererseits aber auch um nicht auf seinen Körper starren zu müssen – sie brauchte all ihre Sinne jetzt. Das Haar erschwerte die Beobachtung, aber doch konnte sie die selbstbewussten Züge des Mannes vor sich gut erkennen.
Sie wartete ab, einfach nur sein Gesicht beobachtend. Selbst die Legionäre neben ihm blickten sich verwirrt gegenseitig an und auch ihr Gegenüber fing an die Augen zusammenzukneifen, sich wohl fragend, was das hier sein soll. „Wer bist du?“, fragte sie dann ganz plötzlich, als er wohl mit keinem Wort mehr gerechnet hatte und sich für einen Moment lang entspannt hatte.
Ein Grinsen trat schnell auf sein Gesicht, zu schnell wie Selene wusste. „Non intellego…“, erklärte er, den Kopf schüttelnd und mit starkem Akzent, wobei die Mimik eine völlig andere Sprache sprach.
„Wenn du nicht mit mir reden möchtest, kannst du auch in der Zelle verrotten in der du vorher gesessen hast.“, entgegnete sie kalt mit entsprechenden Blick, „Ich hab keine Verwendung für einen Lügner.“
Das überraschte den Mann ihr gegenüber sichtlich, wobei er schnell versuchte wieder ein Lächeln aufzusetzen. „Excuso, mea Astarte.“, fing er an sich entschuldigen, „Ich wollte euch oder eure Intelligenz nicht beleidigen. Ich-“
„Du wolltest nur deine Spielchen spielen.“, unterbrach sie ihn, weiterhin mit kaltem Blick und kalter Stimme, „Weißt du warum du hier bist?“
Das Lächeln auf seinem Gesicht wurde schwächer. „Weil mir die Freiheit versprochen wurde.“, erklärte er, versuchend die Stimmung bisschen aufzuheitern, „Wenn ich für euch den Bodyguard spie-…ich meine euch beschütze und führen werde, wenn ihr meine Heimat bereist.“ Ein schneller Lerner, dachte sich die junge Frau, wobei dass nicht die Spitze aus ihrer Stimme nahm. „Warum sollte ich jemanden wie dich als meinen Beschützer haben wollen?“, fragte sie mit einer leicht verhöhnenden Stimme, „Ich wette solche wie dich werde ich zuhauf finden, wenn ich die Küste Afrikas erreicht habe. Und sie werden mich wohl auch weniger kosten.“
Das löschte das Lächeln nun vollends von seinem Gesicht und leichte Wut war dort nun zu erkennen. „Es gibt niemanden wie mich.“, erklärte er, mit lauter werdender Stimme, „Ich bin Gisgo aus dem Geschlecht der Barkas, der letzte meiner Blutlinie.“, er bewegte seine Arme in bebender Weise, so sehr wie die Ketten es zuließen, „Ich habe hunderte Feinde erschlagen und gegen Löwen, Elefanten und anderes Ungeheuer gekämpft, immer siegreich! Ich habe die Meere des Sonnenuntergangs genauso befahren wie jeden Winkel der Syrische See; Ich kenne jede Straße, jeden Hügel, jede Schlucht und jedes Büschel Gras zwischen Cartenna und Leptis Magna und jeder kennt meinen Namen und fürchtet und respektiert ihn zurecht!“, er schnaubte, „Wenn ihr jemanden haben wollt, der euch den Rücken freihält, während ihr euch dort bewegt, dann bin allein ich der richtige Mann dafür.“
„Und doch seid ihr in einem römischen Kerker gelandet.“, entgegnete Selene scharf und nahm ihm auf diese Weise die Luft weg, „Die Frage ist warum?“
Sie hatte einen Nerv getroffen: hatte er sich vorher noch aufgeplustert, schien er plötzlich zusammenzuschrumpfen – auch wenn nur für einen Moment. Er knirschte mit den Zähnen, versuchend seine Wut im Zaum zu halten. „Das tut nichts zur Sache.“, entgegnete er und mied ihren Blick.
Sie fing an zu lächeln. Potential…dachte sie sich und warf einen Blick auf Gaelus. Auch er schien mit dem Gesehenen zufrieden zu sein und nickte. Daraufhin blickte sie zurück zu ihrem Bruder, der sein Schwert bereits halb gezogen hatte, obwohl sein Blick aussah wie das eines Rehs, dass in einer Falle saß. „Ich nehme ihn.“, erklärte sie und ging auf ihn zu um ihn auf die Schulter zu klopfen, „Du hast eine gute Wahl getroffen, Fabius. Schick ihn zu meiner Villa sobald du ihm die Ketten abgenommen hast und er sich gewaschen hat – mit dem Schmutz aus dem Kerker überschreitet er nicht meine Eingangstür, hast du mich verstanden?“
Fabius sah verwirrt aus, wechselte den Blick von ihr zu ihm. „Ja…natürlich…“, erwiderte er, langsam wieder aufrechtstehend und das Schwert loslassend, „Wird gemacht.“
„Danke sehr.“, antwortete sie mit ihrem schönsten Lächeln und ließ ihn bereits hinter sich, „Hat sich doch gelohnt, oder?“, wobei die letzten Worte an Gaelus gerichtet waren, flüsternd.
„Auch ein blindes Huhn scheint manchmal ein Korn zu finden.“, entgegnete der kleine Mann nur, wobei er sich das Grinsen nicht verkneifen konnte.
Spoiler:(zum lesen bitte Text markieren)
Vokabelliste:
Domina = lat. für Herrin
Pater = lat. für Vater
Praetorium = lat. für Gebäude des Legionskommandanten
Principium/Principia = lat. für Stabsgebäude Singular/Plural
Non intellego = lat. Nicht verstehen
Excuso = lat. für ich entschuldige mich
Mea Astarte = lat. für meine Astarte (Phönizische Göttin der Fruchtbarkeit, Sexualität und Krieg)
Meere des Sonnenuntergangs = Atlantik
Syrische See = Mittelmeer
Cartenna = Karthagische Stadt im heutigen Algerien gelegen
"Was soll das heißen, niemand will etwas gesehen haben?" herrschte Lati seinen Freund an. "Irgendjemand muss etwas wissen! Jeder hat doch irgendwo seine Augen und Ohren....."
"Vielleicht hast du mich nicht verstanden Lati." antwortete sein Freund Blaze. "Ich will dir sagen: Vergiss diese Sache."
Empört blickte Lati in das Gesicht des Diebes. "Du weißt genau dass ich das nicht tun kann. Ich bin es Shahin schuldig. Der Mord an ihm darf nicht ungesühnt bleiben."
"Du weißt nicht was du redest." sagte Blaze seufzend. "Um ehrlich zu sein weiß keiner es genau....nur dass niemand, der derlei Leuten nachstellt, ein gutes Ende nimmt. Der Schuss wurde präzise durch euer Fenster abgegeben. Von einem mindestens 4 Kasaba entferntem Dach. Und das Gift.....lass es mich so formulieren: Kein Alchemist in der Stadt kann sich einen Reim darauf machen."
"Darauf folgt?" knurrte Lati. "Das waren keine einfachen Ganoven. Es waren Meister im Leben nehmen. Und seien wir mal ehrlich." Spaßhaft schlug der Dunkelhäutige Lati gegen die Schulter. "Du warst nie der Kämpfertyp. Damals und heute nicht. Also begrabe deine Pläne. Betrauere Shahin...führe euer Handwerk in seinem Namen weiter....aber wirf nicht dein Leben für eine irrsinnige Sache weg."
Was sein Freund sagte ergab Sinn. Einige Momente kam er tatsächlich ins Grübeln. Doch dann schloss er mit bitterem Gesichtsausdruck die Augen und schüttelte den Kopf. "Nein Blaze....ich kann nicht."
"Nun, einen Versuch war es wenigstens wert." antwortete dieser mit einem gequälten Lächeln. "Also....sag schon......was wäre der nächste logische Schritt?"
Sein Freund sah sich einige Male nach rechts und links um. Dann begann er zu erzählen, in bedrohlich flüsterndem Tone. "Direkt gesehen hat den Meuchelmörder niemand....wie schon gesagt, es muss ein Meister gewesen sein, auch im verborgen bleiben. Allerdings gibt es eine Spur: Im Hafenverzeichniss war am selben Tag von Shahin's Ableben die Ankunft eines Schiffes aus Alexandria vermerkt."
"Aus Alexandria kommen täglich Handelsschiffe!" warf Lati ungeduldig ein.
"Lass mich doch zu Ende reden Freund. Es war kein Handelsschiff. Es war ein kleines Boot. Es ist keine Fracht vermerkt worden. Und was noch seltsamer ist: Es ist noch am selben Tag in die gleiche Richtung wieder aufgebrochen." Das war in der Tat ungewöhnlich. Sämtliche Schiffe die nach Baranis kamen blieben im Regelfall mindestens 2 Nächte. Die Anlege-Taxe war viel zu hoch um nur für einen kurzen Besuch sein Schiff im Hafen zu lassen. Lati legte seinem Freund beide Hände auf die Schultern. "Gesegnet sollst du sein Blaze!" Dieser schüttelte nur lächelnd den Kopf. "Danke mir nicht voreilig mein Freund. Wirst du die Stadt nun verlassen?"
Ein wenig reumütig ließ Lateef den Blick über das Treiben schweigen. "Ich muss. Wenn der Mörder meines Meisters wirklich in Alexandria ist, dann muss ich dorthin. Aber ich hoffe.....nein, ich weiß wir sehen uns wieder." "Mögen die Götter deine Wege leiten." Die beiden Männer umarmten sich kurz, dann machte Lati sich auf den Weg.
***
"As-salamu aleikum sadik! Führt euch euer Weg nach Alexandria?" Er hatte sich einige Zeit durchfragen müssen, ehe er fündig geworden war. Leider legte in Kürze kein weiteres Schiff in Richtung Alexandria ab. Also musste er die nächstbeste Alternative nehmen. "Wa aleikum as-Salam. Ja sayid, das ist mein Ziel. Hier werde ich nichts mehr von meinen Gewürzen verkaufen können. Meine Karawane ist bereits außerhalb der Stadt und wartet auf mich, dann reisen wir ab. In Alexandria werde ich ebenfalls nur einen kleinen Teil meiner Waren verkaufen, ich will dort ein Schiff entleihen um nach Ostia zu kommen. Wieso fragt ihr?" Der dunkelhaarige Händler beäugte ihn. "Ich möchte Euch begleiten, wenn es keinen Umstand macht. Ich habe Geld, aber vielleicht habt ihr auch Verwendung für einen Übersetzer auf eurer Reise? " Nachdenklich zwirbelte der Händler seinen Bart. "Das wäre in der Tat eine große Hilfe sayid."
"Oh bitte mein Herr, mein Name ist bloß Lateef."
"Ihr könnt mich Mutarrif nennen mein Junge. Darf ich fragen was euch nach Alexandria führt?" Lati machte einen unangenehm berührten Gesichtsausdruck. Der Händler lenkte sofort wieder ein. "Schon gut, ihr müsst es nicht sagen wenn es euch Unbehagen bereitet. Gerne dürft ihr uns begleiten. Aber es wird eine lange Reise. Wir sind sicherlich 3 Wochen unterwegs."
Das war wahrlich lange. Aber eine andere Wahl hatte er nicht. Es blieb wirklich zu hoffen dass die Spur bis dahin nicht erkaltete. "In Ordnung....ich packe noch schnell das wenige zusammen was ich mit mir nehmen möchte...."
08.12.2018
23:12
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Titos - Alexandria, Provinz Ägypten, Frühjahr 167 n.Chr.
„Ipsi! Ipsi!“, quietschte das kleine Mädchen, laut lachend, „Ipsi!“ „Noch höher?“, fragte Titos seine Tochter, mit einem Grinsen im Gesicht. „Ipsi!“, antwortete das kleine Mädchen, ein Lächeln über ihr ganzes Gesicht ausbreitend. Und der Vater warf sie erneut hoch, nur um sie gekonnt wieder zu fangen. Das Mädchen war wie die Freude selbst und Titos konnte nicht anders als sich auch zu freuen. „Ihr habt wohl euren Spaß…“, sagte eine Stimme von hinten, auch erheiternd klingend, „Während ich arbeiten muss, was?“ Titos drehte sich um und blickte mit seiner Tochter seine Ehefrau an. Sie grinste breit, während sie die gekauften Früchte in eine Amphore purzeln ließ. Ihr Ehemann überbrückte die Distanz zwischen ihnen blitzschnell und küsste sie auf ihre Lippen – das kleine Mädchen, immer noch in den Armen ihres Vaters, verzog angeekelt das Gesicht.
„Ich genieße nur das Vatersein.“, erklärte er ihr, grinsend, als der Kuss zu Ende war. „Schade nur, dass du die anderen Freuden nicht auch genießen kannst.“, erwiderte Lapis, kokett grinsend und ihr Blick verriet alles was er wissen musste. „Das ist nicht fair.“, antwortete Titos, kichernd, und drehte seinen Kopf wieder zu seiner Tochter, „Wir müssen wohl-“ „Ipsi!“, schrie das Mädchen die Hände in die Höhe hebend. Titos musste wieder kichern. „Später.“, sagte er stattdessen, versuchend ernst zu klingen, „Ich muss arbeiten gehen.“ Das Mädchen blickte ihn verwundernd an, bevor es wieder ihre Hände hob. „Ipsi!“, schrie sie erneut. „Willst du übernehmen?“, fragte der grinsende Vater. „Gib schon her.“, antwortete Lapis und nahm die Kleine in ihre Arme, nur um liebevoll Nase an Nase zu reiben. „Mama!“, erwiderte das kleine Mädchen, bevor es „Ipsi!“ schrie. „Ich weiße, Pennie, ich weiß.“, erwiderte die glückliche Mutter, ihre Freude kaum in der Lage zu unterdrücken, „Gleich.“ „Ipsi!“, schrie die kleine Penelope nur als Antwort, nun leicht verärgert.
„Ich geh dann mal.“, erwiderte der glückliche Vater, nach einer kurzen Weile kichernd, die viel länger schien, als sie das Recht hätte. „Pass auf dich auf.“, antwortete Lapis, ihn bedeutungsvoll anschauend. „Immer.“, antwortete Titos und verließ das gemeinsame Haus. Er erreichte das Ende des Armenviertels so schnell wie nur jemand es vermochte, der jeden toten Winkel und die chaotisch gezogenen Straßen kannte wie seine Westentasche – oder hier aufgewachsen war. Er erreichte die Hauptstraße von Alexandria, die die Stadt von West nach Ost die Stadt durchzog, wie eine Lebensader den menschlichen Körper. Wie immer, war der Verkehr so dicht, dass man nicht einmal ein entflohenes Kamel entdecken würde. Titos ließ sich aber davon nicht irritieren, denn er kannte den Weg zu seinem Arbeitsplatz, genauso wie jede Abkürzung dahin.
Es dauerte nicht lange und er hatte ihn erreicht. „Titos!!“, schrie jemand, gleich nachdem er durch die Tür gekommen war, „Wo beim Orcus bist du gewesen?! Mann kann bereits die Sonne im Osten sehen!“ „Entschuldigt, Magister Pupius.“, entgegnete Titos, seinen Kopf senkend, „Ich habe nur ein bisschen Zeit mit meiner Tochter verbringen wollen.“ Die harten Züge des anderen Mannes erweichten sofort. Er hatte eine Glatze, buschige, schwarze Augenbrauen und eine prominente Hakennase. Seine braunen Augen waren kaum zu erkennen, einerseits weil sie so klein waren, andererseits wegen der dicken Backen, die den größten Teil seines Gesichts ausmachten. Sein Körperumfang untermauerte nur seine Vorliebe für die kulinarischen Künste, auch wenn die breiten Arme und Beine nur so von Muskeln strotzten – ein Andenken an seine Jugend. Seine grüne Tunika und sein brauner Gürtel kamen gerade so mit der Extrabelastung zurecht, während seine Sandalen wie seit Jahren nicht gewaschen aussahen. „Das entschuldigt nicht das Zuspätkommen!“, entgegnete Pupius, schnell wieder ein strenges Gesicht zeigend, wobei seine tiefe Stimme mit einem starken Akzent durchsetzt war, „Die Brote kneten sich nicht von selbst!“, dann seufzte er, „Heiz den Ofen an, die nächste Ladung muss bereits rein.“
„Auf der Stelle, Magister.“, entgegnete Titos und ging gleich ans Werk. Das Erdgeschoss der Bäckerei bestand vor allem aus zwei Räumlichkeiten: den Backräumen und den Verkaufsräumen, beide durch einen türlosen Durchgang miteinander verbunden. Der Steinofen nahm dabei den größten Teil des Backraumes ein, quasi eine ganze Wand und ein Drittel der Fläche. Titos öffnete die untere Klappe, wo das Feuer bereits am verlöschen war, und legte neue Holzscheite hinein, die nebenan zu finden waren. Hinterher nahm er sich einen Schürhaken und stocherte so lange darin herum, bis das Feuer wieder schön brutzelte. „Fass mit an.“, erklärte der Bäcker und meinte damit eine Platte mit Teig, das später Brot sein würde. Zusammen schoben sie es in den oberen Bereich des Ofens und schlossen ihn. „Gut und jetzt geh kneten.“, entgegnete Pupius und wies zum Tisch im Backraum, wo bereits Teig bereit stand, „Wir müssen mindesten noch drei Ladungen fertig kriegen, bevor die ersten Kunden kommen.“
Ein weiterer junger Mann kam gerade zur Tür herein. Er trug ebenfalls eine grüne Tunika, die aber anders als die vom Bäcker frisch gewaschen war; er war schlank, aber die Muskeln in den Oberarmen bewiesen seine Arbeitsbereitschaft. Sein Gesicht sah wie die jüngere, dünnere Ausgabe des Bäckers aus, wobei er kurzes, gelocktes und schwarzes Haar aufwies, das er mit einem türkisen Haarreif versehen hatte. Er sah fast genauso alt wie Titos aus. Der Bäcker schnaubte. „Kleine Kinder sind ein Segen.“, erklärte er und wendete sich dem Durchgang zu, „Wenn sie aber aufwachsen, werden sie zum dem da.“ „Ich lieb dich auch, Pater.“, entgegnete der junge Mann mit einem Grinsen im Gesicht, wobei seine Stimme recht ähnlich klang nur ohne den Akzent, „Schön dich zu sehen, Titos.“ „Auch euch, junger Meister.“, entgegnete Titos frech lächelnd, während die beiden zum Knettisch gingen. „Du weißt doch, dass du mich Eliphas nennen sollst!“, entgegnete der um einen halben Kopf größere, junge Mann und klopfte Titos auf den Rücken. Beide Männer grinsten nur. Einen Moment später warf der Sohn einen Blick zum Durchgang, der inzwischen wieder leer war, weil der Vater in den Verkaufsbereich entschwunden war. „Du solltest mal hören, was er über Fabia sagt.“, flüsterte er ihm grinsend zu, „Das würde dir die Sprache verschlagen.“
„Ich weiß, was der Magister zu ihr sagt.“, entgegnete Titos nur und die beiden fingen mit dem Kneten an, „Er hält niemals weit hinter dem Berg, wenn er jemanden kritisieren möchte.“, er warf ebenfalls einen Blick auf den leeren Durchgang und fügte flüsternd hinzu, „Hat sie den armen Jungen endlich abgeschossen?“ Eliphas musste kichern. „Ich glaub sie bringt es nicht übers Herz ihm das seinige zu brechen.“, erklärte er, breit grinsend, ohne Blickkontakt, „Dabei müsste sie es nur unserem Pater beichten, der würde es gerne für sie übernehmen…obwohl ich nicht weiß, ob er beim Herzen stehenbleiben würde.“, und die beiden Männer lachten über den Scherz.
Titos blickte kurz auf, als er einen fertigen Teig beiseite legte. „Eliphas, was ist das?“, fragte er hinterher, weil er etwas sah: auf der gebräunten Haut seines Gegenübers war es schwer zu erkennen, aber Titos glaubte dunkelfarbige Pusteln auf dessen Schultern zu erkennen. „Was?“, fragte dieser und sah den darauf zeigenden Finger, bevor er einen Blick auf die Schulter warf, „Ach das? Nur ein Ausschlag, nichts Ernstes.“ „Wirklich?“, hakte Titos ein, klang nun besorgt, „Das kommt mir bekannt vor. Ich glaube ein paar Seeleute aus Pergamun haben davon mal erzählt.“, wobei er gänzlich verschwieg wo und wann er Seeleuten zugehört hatte, „In Europa soll so eine Krankheit ausgebrochen sein, wo solche Pusteln zu sehen waren. Vielleicht solltest du einen Arzt aufsuchen.“ Der junge Mann pfffte mit einem amüsierten Grinsen. „Mach dir doch keine Sorgen wegen ein bisschen Ausschlag!“, entgegnete er, „Und selbst wenn, zurzeit könnte ich eh keinen Arzt aufsuchen.“ Das ließ Titos stutzen. „Warum nicht?“, fragte er neugierig. Eliphas blickte ihn verwundert an. „Hast du’s noch nicht gehört?“, fragte er und Titos schüttelte nur seinen Kopf, mehr instinktiv als beabsichtigt, „Irgendjemand beim Präfekten soll krank sein. Familie oder so etwas in der Art. Die Ärzte wissen nicht, was der Person fehlt und der Präfekt verbietet jedem Arzt das Gelände zu verlassen, ehe sie herausgefunden haben, was los ist.“ „Das klingt wirklich unglaubhaft.“, erklärte Titos, obwohl er sich eine geistige Notiz machte, „Wann soll das passiert sein, dass ich davon noch nicht gehört hab…und wo hast du es gehört?“ „Beim Zechen.“, entgegnete der junge Mann frech grinsend. „Aha.“, antwortete Titos, „Also könnt’s nur eine Geschichte eines Betrunkenen sein.“ „Kannst mir glauben oder nicht.“, erwiderte Eliphas, ebenfalls einen Teig weglegend, „Aber der Arzt meiner Familie – ein guter Freund von Pater – war schon ne Weile nicht mehr in seiner Praxis.“ Das ist höchst interessant…dachte sich Titos und wollte noch weitere Fragen stellen, als vom Verkaufsraum der Schrei kam: „Ihr seid hier um zu kneten und nicht um zu labern!!“, schrie der Bäcker, „Wenn ihr so viel Zeit zum Labern habt, müsst ihr eindeutig etwas falsch machen! Bewegt eure verdammten Finger, beim Orcus, und nicht eure verdammten Zungen!“
Und genau das taten sie. Sie arbeiten den ganzen Tag, kneteten, schürten das Feuer, holten oder legten Brote in den Ofen und zwar so lange bis die Sonne bereits im Westen stand. Titos war gerade dabei zwei der Brote in einen Beutel zu tun, als man ihm etwas reichte: ein weiteres recht frisches Brot. Der junge Mann blickte auf und sah seinen Meister, der ihn nicht anschauen wollte. „Für die Kleine.“, erklärte er mit zugepressten Lippen, „Damit sie groß und stark wird.“ Ein Lächeln erschien auf Titos‘ Gesicht. „Danke, Magister.“, bedankte er sich herzlich. „Ja, ja…“, entgegnete Pupius nur, „Aber morgen kommst du rechtzeitig, hm?“ „Natürlich.“, Titos nickte eilig, „Danke nochmal.“, und drehte sich halb weg. „Geh schon.“, erwiderte der Magister und drehte sich auch schon um, zum Verkaufsbereich.
Titos verließ die Bäckerei in einer der Seitengassen, um den Kunden nicht in die Quere zu kommen. Hier war es aufgrund der hohen Gebäude schattig, aber Titos wusste aus Erfahrung, dass er sich noch für die nächsten Stunden auf die Sonne verlassen konnte. Er nahm dieses Mal einen Weg durch die Nebenstraßen der Stadt – um diese Uhrzeit wimmelte es meist von Reitern auf der Hauptstraße, die keinen Wert darauf legten, dass sie Passanten umfahren konnten. Er ging gerade um eine Ecke, wodurch er in das Schmiedeviertel der Stadt kam – glücklicherweise hatten die Schmiede ihre Betriebe meistens am Rande der Stadt, hier waren nur die Verkaufsräumlichkeiten. Ansonsten wäre es wohl sehr laut und sehr stinkig geworden. Schmiedewaren wurden aber selten um diese Uhrzeit gekauft, weswegen es recht leer war.
Titos ging an einer Seitengasse vorbei, als er etwas hörte. Er blieb stehen und blickte in die Gasse. Spielende Kinder?, fragte er sich beim ersten Anblick, als es klar wurde, Nein, sie verprügeln jemanden! Schnell ließ er den Beutel mit dem Brot fallen und lief in die Gasse, laut schreiend: „Hey ihr da! Weg! Weg!“ Die Kinder reagierten geschockt, blickten erst auf. Aber schnell kam ihnen die Einsicht, das Weglaufen die beste Option wäre – was sie dann auch geschwind taten. Mit ausgestreckten Arm erreichte Titos das Opfer – ein Mädchen, in eine zerfranste graue Tunika gesteckt, kaum älter als 10 oder 11. Sie hatte schwarzes, schulterlanges Haar, dass völlig zerzaust wirkte – Titos wusste jetzt nicht, ob wegen der Prügelei oder ob sie immer so aussah. „Bist du verletzt?“, fragte er besorgt und half ihr auf – er konnte zunächst nichts Auffälliges finden. Zumindest auf den ersten Blick – was ist das…?, wunderte er sich, als er einen Blick auf den nackten Rücken unter der Tunika warf. „Nein, nein, Dominus, nein, nein.“, versicherte sie ihm geschwind, schnell aufrechtstehend, versuchend Distanz zu wahren, „Chloe geht es, geht es gut.“ „Wenn du meinst…“, entgegnete Titos, sich unbehaglich fühlend. Kaum hatte er das gesagt, wollte sie sich quasi umdrehen und wegrennen, weswegen er sie aufhielt, „Hey warte deine Sachen!“ Sie blieb stehen und blickte runter wo eine Tasche lag – Ketten waren darin gut zu erkennen. Mit eiligem Schritt lief sie fast die wenigen Meter um die Tasche aufzuheben. Beim Herunterbeugen erhaschte Titos noch einen Blick auf das was ihm aufgefallen war. Ein eingebranntes ‚S‘…, wurde ihm klar, Wer brennt seinen Sklaven ein ‚S‘ in den Rücken? „Danke, danke, Dominus, danke, danke.“, erwiderte das Mädchen, die Tasche bereits hochgehoben – sie konnte sie kaum heben – und schon drehte sie sich um und verließ die Gasse so schnell es ihr möglich war.
Titos nahm einen tiefen Atemzug, mit geschlossen Lippen. Er ging zurück und sammelte sein Brot ein, bevor er sich daran machte das Mädchen zu verfolgen – kein schweres Unterfangen, da sie mit dem Extragewicht viel langsamer war. Er beschattete sie, bis sie zu einer Seitenstraße kam: dort wartete ein Wagen mit Pferdegespann auf sie. „Wo warst du solange?!“, schrie sie der körperlich besser aussehende Mann an – er sah aus wie ein Gladiator, nur war sein Gesicht durch diverse Klingen ziemlich missgestaltet worden. „War so schnell wie ich konnte, Bion, war so schnell wie ich konnte.“, entgegnete das kleine Mädchen, „War schwer…“ „Ja, ja, tue es hinten rein.“, erklärte er, „Du weißt doch, dass der Dominus es nicht mag zu warten.“ „Ja, ja ich weiß…“, entgegnete das kleine Mädchen und tat wie ihr gehießen. Titos verfolgte die Szene aus sicherer Entfernung und erkannte, dass auch der Gladiator ein ‚S‘ eingebrannt hatte – auf dem Oberarm. Das Mädchen hüpfte hinterher in den Wagen und der Gladiator schwang die Zügel – der Wagen fuhr weg, Richtung Hauptstraße. Titos folgte ihnen noch so lange wie sie diese erreicht haben – obwohl es noch nicht dunkel war, fuhren dort bereits die ersten anderen Wagen und der Verkehr wurde dichter. Er sah wie sie nach Rechts abbogen – nach Osten. Das muss ich untersuchen…, entschied sich der Verborgene und drehte sich um, Vielleicht wissen die anderen etwas über einen Sklavenhalter, der seinen Sklaven ein ‚S‘ einbrennt…
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Vokabular: Ipsi = Kindersprache, abstammend vom griechischen „ipsilóteros“ (höher) Orcus = „böse“ Interpretation des Herrn der Unterwelt Magister = Lehrer, Handwerksmeister, etc. Pater = lat. für Vater Dominus = lat. für Herr
Der Jüte wurde in seine Zelle geschmissen und landete äußerst unsanft. Vor allem das zuvor eingebrannte ‚S‘ auf seiner Brust, fing wieder an deutlich mehr zu schmerzen als noch zuvor. Er hörte nur wie die Tür in das Schloss fiel, während er sich auf den Rücken rollte. Ursprünglich war er angewidert über diesen Kerker in dem er steckte, aber seit Licht Mangelware geworden war, sah er eh nicht in was für einem Dreck er sich wälzte.
Er rieb sich vorsichtig über seine linke Seite – das ‚S‘ wurde direkt über seinen Herzen eingebrannt – und versuchte sich aufzusetzen, wobei er die anderen, frischeren Wunden versuchte nicht zu berühren. Auch dass nur pechschwarze Dunkelheit ihn begrüßte, war nicht mehr so ungewöhnlich wie am Anfang, denn seine Zelle hatte kein Fenster. Wie er überhaupt Atemluft in diesen Katakomben erhielt, war ihm völlig schleierhaft. Er konnte nicht einmal seine eigenen Hände sehen, was vermutlich sogar ein Glücksfall war: die Zahl der Narben dort hatte sich vervielfacht seit seiner Ankunft in dieser Gegend der Welt. Er wunderte sich nur darüber, dass Babylas ihm noch keine bleibenden Schäden hinterlassen hat.
Jetzt heißt es warten…wusste er inzwischen. Nach der Folter kam die Wartezeit und da es keine Fenster in der Zelle gab, war es auch unangenehm warm. Kein Training…dieser Babylas ist wirklich anders, überlegte sich Sigurd einen Gedanken, den er schon oft gehabt hatte. Aber in der Einsamkeit der Zelle gab es auch nicht viel mehr zu tun als zu warten, sich dieselben Dinge immer und immer wieder zu überlegen und darauf zu achten, ob Licht in der unteren Hälfte der Tür zu sehen war – dort war ein Gitter anstatt des robusten Holzes der Tür.
Er atmete tief ein – versuchend den Gestank zu ignorieren – und legte sich wieder vorsichtig auf den Rücken. Ist das mein Schicksal?, dachte er nicht zum ersten Mal, In einer fensterlosen, finsteren Zelle zu enden? Gefoltert, gedemütigt und gepeinigt von einer Missgeburt eines Menschen wie Babylas? Die Götter müssen mich wirklich hassen…er rieb sich die Nase, Immerhin ist der verdammte Schnupfen weg, der hat mich noch ganz kirre gemacht…, er kratzte sich an seinem Bauch, wissend, dass er wohl Flöhe haben musste, Wie komm ich hier nur raus…?
„Du bist ein Idiot.“, hörte er plötzlich eine leise Stimme.
Er schreckte augenblicklich auf und sah das schwache Licht jenseits des Gitters, aber es schien keine Person vor der Tür zu stehen. „Wegen dir wird der Meister nur wütend und Chloe verprügeln.“, sprach die Stimme erneut und er erkannte, dass es ein Mädchen sein musste, „Wieso bist du nur so ein Idiot?“
Die Gesichtszüge des Jüten verhärteten sich. „Ich bin kein Idiot!“, antwortete er gereizt, „Und was interessiert mich-“, ganz plötzlich brach er ab, als ihm etwas klar wurde, „Warte, du sprichst Latein?“
„Du bist ein Idiot!“, entgegnete das Mädchen, dass er nicht sehen konnte, „Meister hat bereits die liebe Zoe wegen dir verprügelt! Sie hat es nicht verdient, denn sie war immer nett zu Chloe, ja das war sie! Warum, warum, warum nur gibt’s du dem Meister nicht was er will? Was ist schon wertvoller als zu überleben?!“
Seine Stimme bebte. „Ich werde nicht vor ihm kriechen.“, antwortete er gereizt, „Ich werde mich nicht brechen lassen! Eher würde ich durch die merkwan von Nilfheim wandern, als sich ihm zu beugen!“
„Dann wirst du sterben!“, antwortete das Mädchen und er sah wie sich das Licht entfernte.
„Warte, warte…!“, schrie er ihr noch nach, aber sie war bereits fort.
Er fluchte lauthals. So viel zur Gesellschaft anderer…dachte er und blickte herab, Ist es dumm, ihm nicht das zu geben was er will?, er atmete schwer, Ich würde vermutlich hier raus kommen und wieder kämpfen dürfen. Ich könnte- „Bist du ein Mann oder ein Sklave?!“, halte die Stimme seines Vaters in seinem Kopf wieder und alle anderen Gedanken waren verbannt. Ich werde nicht brechen…war der letzte Gedanke, bevor er sich schlafen legte.
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Vokabeln:
Merkwan = german. für Finsternis, Dunkelheit
Nilfheim = german. Ort der Finsternis und Eiseskälte, Herkunft der Kälte in der Welt
„Nochmal…Nochmal!“, schrie der wutentbrannte Junge mit den kurzem, blonden Haar, „Ich sagte nochmal!“
„Publius, das ist genug!“, entgegnete Selene mit einer Stimme, die selbst von ihrer aktuellen Position zu hören war. Sie saß auf einer Gartenbank wenige Meter vom wütenden Jungen entfernt, aber ihre Stimme war trotzdem klar und deutlich zu hören.
„Aber mater, ich…!“, wollte der Junge bereits aufgebracht protestieren, wodurch er dieselbe Leidenschaft bewies, die seinen Vater zum Champion in der Arena gemacht hatte.
„Wie verhält sich ein Römer?“, schnitt ihm seine Mutter das Wort ab, mit einer Autorität in der Stimme, die jeden Widerstand brechen konnte.
„Das ist doch jetzt unwichtig!“, wütete der Junge weiter und bewies damit die Sturheit, die seinen Vater in ein frühes Grab gebracht hatte, „Ich-“
„Wie – verhält – sich – ein Römer?“, wiederholte Selene, jedes Wort einzeln betonend, wobei ein unheilvoller Unterton beim Sprechen mitschwang.
Dies schien auch der Junge zu bemerken, denn sein Aufplustern endete so schnell wie es angefangen hatte. „Zivilisiert.“, antwortete er, immer noch laut atmend und versuchend seine Wut im Zaun zu halten.
„Ganz genau.“, pflichtete ihm seine Mutter bei, ohne den Blick von ihm zu lassen, „Das zivilisierte Verhalten unterscheidet einen Römer von einem Wilden Barbaren, der in seinem Wäldchen hockt. Also was bist du? Römer oder Barbar?“
Der Junge hielt den Blick seiner Mutter nicht stand und schaute runter auf das Gras. „Ein Römer.“, erklärte er, leicht verlegen klingend.
„Dann verhalte dich gefälligst auch so.“, antwortete Selene scharf und beobachte was ihr Sohn als nächstes tat.
Publius drehte sich zum Sklavenjungen um, der ihn um einen Kopf überragte. „Können wir es nochmal versuchen?“, fragte er, sich soweit beherrschend wie er konnte.
Der Sklavenjunge blickte verunsichert zu Selene, die ihm zunickte. „Natürlich, Dominuculus.“, antwortete er ohne jeglichen Spott in seiner Stimme und hob den Holzschild und das Holzschwert hoch, dass er für diesen Besuch hatte schnitzen müssen. Der blonde Junge tat es ihm nach und sie fingen eine erneute Runde an, die teils Spiel, teils Sparring glich. Immerhin gibt er nicht auf…entschied seine Mutter, dass das die einzige gute Eigenschaft gewesen ist, die er hier zur Schau gestellt hatte.
Sie wendete sich wieder ihrem Gegenüber zu, die genauso wie Selene auf der Gartenbank saß. „Du wolltest sagen, mater?“, fragte sie höflich.
Muriel Saemus sah trotz ihres hohen Alters immer noch umwerfend aus. Die Götter hatten sie scheinbar gesegnet, denn sie besaß nicht einmal Halb so viele Falten wie Frauen ihres Alters üblich hatten und selbst ihr ganzer Stolz, ihre rotblonde, lockige Mähne, wies nur hier und da graue Strähnen auf. Zum Verdruss ihrer Tochter trug sie leider eine Tracht, die römische Kleidung mit dem karierten Mustern verband, die die Britonen so liebten, auch wenn man trotzdem zugeben musste, dass es ihr stand.
„Ich wollte fragen, wann ihr aufbrecht?“, fragte die Großmutter mit ihrer tiefen, verführerischen Stimme, nur halbherzig zuhörend. Ihre Aufmerksamkeit war gerade auf das kleine Geschöpf in ihren Armen gelenkt: ein kleines Mädchen, dass dieses Jahr erst ihren ersten Geburtstag gefeiert hatte, weswegen die Haare noch spärlich und kurz waren. Trotzdem konnte Selene bereits die tiefroten Haare am Kopf ihrer jüngsten Tochter erkennen, die auch ihr Vater gehabt hatte. Ob er es gut in Rom?, sinnierte sie kurz nach.
Fabia wurde gerade von ihrer Großmutter mithilfe ihres Knies hoch und runter geschwungen und lachte voller Freude währenddessen. „Die Pristis, die Sagitta und die Luna sind erst vor wenigen Tagen angekommen.“, erklärte die pflichtschuldige Tochter ihrer Mutter mit Demut in der Stimme, „Tamon bereitet sie bereits für die nächste Reise vor und meint in zwei bis drei Tagen könnten wir lossegeln.“
Muriel verzog für einen Moment ihr Gesicht. „Du willst wirklich meine Enkelkinder diesem Piraten anvertrauen?“, fragte sie und hob ihren Kopf. Sie hatte dieselben bernsteinfarbenen Augen, die sie ihrer Tochter geschenkt hatte.
„Ich vertraue Tamon, mater.“, erklärte Selene, den Blick nicht erwidert, denn sie wusste, dass ihre Mutter das mochte, „Er hat mich bislang nicht im Stich gelassen.“
Das befriedete die Großmutter keineswegs, wie ihre Stimme verriet. „Ich kann immer noch nicht verstehen, warum du die Kleinen überhaupt mit dir nimmst.“, erklärte sie, „Du weißt ganz genau wie gefährlich die Welt da draußen ist. Hast du etwa vergessen, dass Krieg herrscht?“ Es herrscht immer irgendwo Krieg…wollte Selene am liebsten erwidern, dass konnte sie sich für ein anderes Mal aufheben. „Und je früher meine Kinder das auch lernen, desto mehr wird es ihnen in Zukunft nützen.“, erklärte sie, ihren Blick leicht hebend, „Nur Fabia ist noch zu jung für diese ganze Reise, deswegen vertraue ich sie dir ja an.“
„Sie sind alle zu jung.“, erklärte die Großmutter, die gerade dabei war Grimassen vor dem Gesicht ihrer Enkeltochter zu ziehen, „Und so süß….Wie lange werde ich die beiden nicht sehen können?“
„Wenn alles so verläuft wie ich es geplant habe, dann werde ich in drei Jahren wieder in Londinium sein.“, erklärte Selene, ohne zu Zögern.
Ihre Mutter blickte sie an und dieses Mal konnte man Sorge auf dem Gesicht erkennen. „Drei Jahre?“, sinnierte sie, „Drei Jahre ohne meine Kleinen…“, sie nahm einen Atemzug, „Und du hast auch wirklich an alles gedacht?“
„Vater war ein guter Lehrer.“, entgegnete Selene, sich dieses Mal nicht zurückhalten könnend. Sie wusste, ihre Mutter wollte nie über ihren Vater sprechen, denn sie hasste es an ihn erinnert zu werden. Normalerweise wäre jetzt das Gespräch beendet, aber Selene wusste, dass ein Thema noch zur Sprache kommen musste und selbst der Hass ihrer Mutter auf ihren verstorbenen Vater konnte sie nicht daran hindern es anzusprechen.
„Auch er hat nicht immer an alles gedacht, egal wie sehr er es dich glauben ließ.“, erklärte sie bissig, „Er war kein Gott, auch wenn er es wohl gerne gewesen wäre. Nur die Götter kontrollieren all unsere Geschicke und schicken uns von Zeit zu Zeit Prüfungen, um sich nicht zu langweilen.“, jetzt kommt es, „Hast du auch an die Seuche gedacht, die scheinbar in Rom wüten soll?“
Selene unterdrückte ein Lächeln. „Das ist doch nur ein Gerücht.“, entgegnete sie, obwohl ihr Blick ihre Verunsicherung bezeugte.
„Nein, kein Gerücht.“, erwiderte ihre Mutter mit einer gewissen Leidenschaft, „Ich habe gehört, dass die Menschen in Asien und Achaia wie die Fliegen umgefallen sein sollen, bevor die ersten Fälle auf der italienischen Halbinsel bekannt wurden.“ Du hast genau das gehört, was meine Spione dir sagen sollten, erinnerte sich Selene an den genauen Wortlaut, den sie ihnen eingebläut hatte. Auf ihrem Gesicht hingegen war nun deutlich Verunsicherung und auch leichte Angst zu sehen. „Was soll ich deiner Meinung nach tun?“, fragte sie entsprechend.
„Bleib hier.“, drängte Muriel, „Blass die Reise ab.“
„Das kann ich nicht tun.“, erwiderte Selene, leicht verzweifelt klingend, „Du weißt ich kann nicht. Zuviel hängt vom Erfolg dieser Reise ab. Vaters Geschäft hängt von dieser Reise ab.“
Die Großmutter ließ sich nicht beirren. „Vergiss deinen Vater und denk an deine-“
„Mater, bitte.“, unterbrach ihre Tochter sie und man konnte den Kloß in ihrem Hals heraushören, „Ich werde Vaters Vermächtnis nicht aufgeben.“, sie blickte in die Augen ihrer Mutter, mit flehenden Blick.
Am Ende seufzte die ältere Frau. „Nun gut, dann nimm zumindest Hippolyt mit.“, bot sie schlussendlich an, „Er wird schon mit seinen Fertigkeiten dafür sorgen, dass weder dir noch den Kindern etwas passiert. Und selbst du hast noch nie einen fähigeren Arzt im ganzen Imperium gesehen.“ Endlich…dachte sich Selene mit einer gewissen Zufriedenheit, während sie ihre Rolle weiterspielte: „Das würdest du tun?“, fragte sie mit hoffnungsvoller Stimme, „Ich weiß wie viel er dir bedeutet…“, weil du mit ihm Vater betrogen hast und jetzt immer noch sein Andenken besudelst …
„Papperlapapp.“, entgegnete die Großmutter und schien zufrieden, als hätte sie gerade das Spiel gewonnen, „Meine Enkelkinder sind mir wichtiger, vor allem wenn ich nicht da sein darf um sie zu beschützen.“
Selene ergriff die freie Hand ihrer Mutter mit beiden Händen. „Danke mater, danke.“, antwortete sie und war sogar in der Lage eine Träne der Freude herauszupressen.
„Nichts für ungut.“, erwiderte die Großmutter und lächelte zufrieden, als die beiden Frauen unterbrochen worden.
Selene blickte auf und bemerkte, dass Publius das Sparring unterbrochen hatte. Ein Sklave ihrer Mutter war im Atrium erschienen und verneigte sich nun. „Was gibt es?“, fragte Muriel.
„Domina.“, entgegnete der orientalisch aussehende Sklave, „Ein kleiner Mann und ein rüpelhafter Mann warten an der Eingangstür darauf hereingelassen zu werden.“
Auf den Gesichtern beider Frauen war zu sehen, dass sie wussten wer gemeint ist. „Dann lass sie…“, wollte Muriel bereits sagen, als ihre Tochter sie unterbrach.
„Das musst du nicht, mater.“, erklärte sie und erhob sich bereits, „Es ist bereits spät…“, sie blickte zum bewölkten Himmel auf, „…und es sieht nach Regen aus. Ich würde gerne mit Publius nach Hause zurückkehren um mich auf die Reise vorzubereiten.“
„Es sieht zwar eigentlich immer nach Regen aus, aber wenn du meinst.“, gab sich die Großmutter geschlagen, „Soll Hippolyt bei den Schiffen warten, oder zu deiner Villa kommen?“
„Er soll zu meiner Villa kommen.“, antwortete Selene, bevor sie sich herunterbeugte und ihrer kleinen Tochter zum Abschied auf die Stirn küsste. Hinterher befahl sie ihren Sohn sich ebenfalls zu verabschieden. „Er muss auch die Liste seiner Utensilien mitgeben, damit wir sie verstauen können.“, fügte sie hinzu, nachdem sie ihre Mutter zum Abschied umarmt hatte.
„Ich gebe es weiter.“, entgegnete die Großmutter aufstehend um ihrem Enkel auf Wiedersehen zu sagen, „Pass bloß auf dich auf da draußen.“
„Mit Hippolyt an meiner Seite, was sollte mir schon passieren?“, antwortete Selene zuversichtlich, ein Lächeln zeigend.
Draußen wartete Gaelus und Gisgo auf sie, genauso wie ihr Iberier, den die beiden mitgebracht haben – sie waren genau zu der Zeit gekommen, die Selene ihnen befohlen hatte.
Gisgo sah besser aus, als damals als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte: er trug nun auch eine blaue Tunika, die sauber war, und Sandalen, die bisher nicht einmal repariert werden mussten; die gefährlichste Veränderung war aber der Umstand, dass er sich rasiert hatte und auch seine Haare auf ein vernünftiges Maß heruntergestutzt hatte – mit seinen schwarzen Augen sah er jetzt fast schon wie ein Adonis aus. Darauf werde ich aufpassen müssen…dachte sich Selene und fragte: „Gibt es Neuigkeiten?“
Gisgo verschränkte seine muskulösen Arme und schnaubte verächtlich, während Gaelus den Sprecher mimte: „Gute, wenn nicht sogar bessere.“, erklärte der kleine Mann mit einem Grinsen im Gesicht.
Selene trat zu Gisgo. „Hilf mir auf.“, befahl sie und erwartete das er das tat.
Der Punier blickte sie leicht gereizt an, wissend, dass er in der Lage war ihr diesen Befehl zu verweigern. Er hatte keine Ketten mehr und andere Wachen waren auch nicht in der Nähe – diese Villa lag eigentlich soweit ab vom Schuss, dass er niemanden erkennen konnte. Für einen Moment war er versucht, aber nur für einen Moment.
„Natürlich, mea Astarte.“, erklärte er und half ihr auf das Pferd, bevor er den kleinen Jungen vor sie auf den Sattel setzte.
Die ersten Tropfen gingen darnieder, selbst wenn noch spärlich. Selene lenkte das Pferd in die Richtung, die sie nach Hause führen würde und die beiden Männer folgten ihr. „Ich hoffe es sind die Nachrichten, die ich hören möchte.“, erklärte sie, ihren Blick nicht vom Weg wegnehmend.
„Wie bereits gesagt, besser.“, erklärte Gaelus und schien seine Schadenfreude kaum verbergen zu können, „Die Zerstörung von Cornelius‘ Schiff…nun wir dachten, wir würden seinen Geschäften einen schweren Schlag versetzen, aber jetzt scheint es so zu sein, dass wir ihn sogar ruiniert haben.“
Selene blickte überrascht zur Seite. „Ruiniert?“, fragte sie ungläubig klingend, wobei auch ihr ein Lächeln über das Gesicht huschte, „Hat er etwa all sein Vermögen auf die Ladung gesetzt?“
„Es scheint so.“, erklärte der kleine Mann, „Ich hätte echt gewusst, was auf diesem Schiff war, dass es so wertvoll war, dass er gerade dabei ist, seine Villa zu verkaufen.“, sie blickte ihn fragend an, „Ja das genau tut er gerade.“, bestätigte er grinsend, bevor er seufzen musste, „Leider liegt die Ladung am Grund des Oceanus Britannicus.“
Selene konnte es immer noch nicht fassen. „Und ich dachte ich würde ihn nur für die nächsten drei Jahre aus dem Rennen schmeißen…“, sie blickte auf und sah, dass die Wolkendecke über der Stadt dunkler war. Während sie den Toren der Stadt näherkamen, fügte sie hinzu: „Aber wenn ich ihn für immer rausschmeiße, umso besser. Leider heißt das, dass ich neue Anweisungen an Nelius hinterlassen werden muss.“
Sie passierten das Tor, als ein junger Mann an sie herantrat – Gisgo reagierte instinktiv und hob den Arm so, dass er ihn am Näherkommen hinderte. „Wer bist du?“, fragte er, Hand am Griff seines Schwertes, aber Selene beantwortete es ihm auch schon, „Einer meiner Sklaven. Lass ihn gehen.“
Der Arm senkte sich und der Punier verschränkte beide Arme, den Sklaven missbilligend anstarrend. „Herrin, schreckliche Nachrichten.“, fing der Sklave an mit einer Stimme an zu sprechen, die darauf hindeutete, dass er hierher gerannt war, „Jemand…jemand…“, er keuchte.
„Nimm einen tiefen Atemzug und sprich.“, kommandierte Selene, ungeduldig klingend.
Das genau tat er. „Jemand ist in die Villa eingebrochen und hat euren hohen Gemahl in seiner Gewalt.“, brachte der Sklave hervor.
Ihre Augen rissen für einen Moment weit auf. „Habt ihr die Stadtwache alarmiert?“, fragte sie mit gehetzter Stimme. „Nein haben wir nicht.“, antwortete der Sklave, „Der Entführer hat gedroht den Herrn zu töten, wenn wir die Stadtwache alarmieren.“
Das verärgerte Selene sichtlich. „Du wirst jetzt auf der Stelle zum Fort rennen und meinen Bruder mit allen Männern holen, die er gerade zur Verfügung hast, hast du das verstanden?!“, schrie sie fast schon. „Aber der Herr…?!“, entwich es dem Sklaven.
„Wen interessiert der Herr!?“, erklärte sie wutentbrannt, „Was ist mit meiner Tochter?!“
Der Sklave fing an zu stammeln. „Ich…ich…weiß es nicht.“, gab er zu.
Nun wurde ihre Stimme eiskalt. „Wenn diese Leute meiner Tochter etwas zu Leide getan haben, nur weil du dich um diesen Idioten gesorgt hast, dann bete zu allen Göttern, dass sie dir gnädig gegenüber eingestellt sind – ich werde es jedenfalls nicht sein!“, und zusätzlich bellte sie noch, „Lauf!“
Mehr Motivation brauchte der Sklave nicht. „Gaelus, Gisgo, ihr kennt den Weg.“, erklärte sie und hob ihren Sohn vom Pferd und gab ihn in die Arme des Puniers, „Ich bin schneller.“ Kaum hatte sie das gesagt, gab sie ihrem Pferd die Sporen und galoppierte los.
Die Villa der Familie Avillius war eher bescheiden als protzig: zwei Stockwerke, ein Atrium und das Material war auch überall zu bekommen; keine besonderen Kunstwerke, keine Mosaike, keine Statuen – der einzige Grund, warum Selene diesen Bau trotzdem bevorzugte, war dessen Lage: nicht weit von hier lag das Fort, das Forum, das Amphitheater und auch der Hafen, womit man von hier überall zügig hinkommen konnte.
Die Dienerschaft stand vor der Eingangstür, die zu einem kleinen Vorhof führte. „Macht Platz!“, befahl Selene und verschaffte sich den nötigen Platz mithilfe ihres Pferdes. Dabei blickte sie in die verängstigten Gesichter der Sklaven und freien Diener. Sie sah sich diese an und entdeckte eines, was ihr am Herzen lag: ihre Tochter stand neben ihrer Amme. „Mamma!“, schrie das kleine Mädchen, das die Haare ihrer Mutter geerbt hatte, aber die helle Bräune ihres Vaters.
Schnell war Selene vom Pferd gestiegen, selbst ohne Hilfe und bei ihrer Tochter. „Lucia, geht es dir gut?“, fragte sie mit Sorge in der Stimme, sich zu ihrer Tochter hockend.
„Es geht mir gut, mamma.“, erklärte das kleine Mädchen, dessen Gesicht wie eine jüngere Variante ihrer Mutter aussah, „Arin hat mich weggebracht, als die bösen Männer kamen.“
Selene richtete sich auf der Stelle auf und blickte in die keltische Sklavin. „Wer sind diese Männer?“, fragte sie, sie verhörend, „Wie viele sind es?“
Die Amme schüttelte ihren Kopf. „Ich weiß es nicht, Domina.“, gab sie zu, „Aber sie tragen sonderbare Rüstungen. Schwarz und Silber – sowas hab ich noch nicht gesehen.“ Schwarz und Silber?, wunderte sich die junge Herrin und warf einen Blick auf die verschlossene Tür.
„Wo ist Nelius?“, fragte sie ohne den Blick von der Tür nehmend.
Die Sklavin schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht Herrin.“, erklärte sie, „Aber er war nicht im Haus, als sie kamen.“, Selene blickte sie an, „Aber eurer Gemahl war es.“
Die junge Frau wedelte mit ihrer Hand, als wenn sie eine lästige Fliege davon scheuchen wollte. Das Schicksal ihres Gatten interessierte Selene genauso viel wie das Schicksal eines zum Tode verurteilten in der Arena, aber…sie sind in mein Haus eingedrungen…dachte sie, während ein Inneres Feuer sich in ihr ausbreitete, Sie haben es gewagt, mein Eigen anzufassen und ich weiß nicht einmal wer sie sind?! Hab sie nicht kommen sehen?!! Wer sind diese Leute?!!!
Der Regen wurde stärker und zwang die Diener sich irgendwo unterzustellen, als die Tür sich plötzlich öffnete und ein Mann herauskam. Er sah aus wie römischer Legionär, nur trug er keine rote Kleidung sondern schwarze und selbst die Rüstung sah deutlich wertvoller aus, als Selene es von römischen Truppen gewohnt war. Sein Schild war auf dem Rücken und der Knauf des Gladius war mit einem Maskengesicht verziert, dass man von Theaterstücken kannte. Obendrein trug er selbst eine solche Maske über seinem Gesicht, aus einem silberglänzenden Material bestehend, so dass seine Stimme seltsam gedämpft klang: „Die Herrin des Hauses, wo seid ihr?“
Selene hatte eigentlich nicht vor sich zum Erkennen zu geben, aber die Dienerschaft tat das für sie: sie fingen alle auf der Stelle auf sie zu starren, so dass der Soldat nur ihren Blicken folgen musste. Loyalität UND Denkvermögen sind wohl zu viel verlangt…dachte sie sich und gab der Amme mit der Hand Anweisung zurückzutreten und Lucia mitzunehmen. Sie hingegen ging auf den Soldaten mit stolzer Körpersprache entgegen, während sie ihre wahren Gefühle wieder hinter einer Maske versteckte. „Wer will das wissen?“, fragte sie den Soldaten.
„Der Dux.“, entgegnete der Soldat und trat zur Seite, sodass sie die Tür passieren konnte, „Ihr müsst euch nicht sorgen, Herrin, er will euch nichts tun.“
„Sagt jeder der einem etwas antut.“, entgegnete sie kalt und fügte sich. Sich gegen solche Kraft zu wehren, wäre eh sinnlos gewesen. Sie durchschritt die Eingangstür und betrat den Vorhof, als der Regen noch stärker wurde – ein richtiger Wolkenbruch brach aus. Zwei weitere Soldaten in derselben Aufmachung standen neben der offenen Eingangstür zum Gebäude. Sie nickten nur und sie trat alleine hindurch.
Der Kamin brannte und schenkte dem Raum Wärme. Vor dem Feuer stand ein Mann, dessen Unterkleider aus einem weißen Stoff zu bestehen schienen, das Selene nicht auf Anhieb erkannte. Der Raum war eher spärlich möbliert, weil zu dieser Jahreszeit normalerweise die wichtigsten Dinge im Atrium besprochen wurden – zwei Sitze, ein Tisch und hier und da ein paar Teppiche. Auf einem von diesen lag ihr Ehemann: er lag auf dem Rücken sodass sein übergroßer Bauch, der kaum vom Gürtel gehalten werden konnte, nach oben ragte.
Sie trat zu ihm und stellte fest, dass er atmete. Wie schade…dachte sie sich und warf einen Blick auf den Mann am Kamin, der bislang kein Wort gesprochen hatte. Er spielt auch das Wartespiel…erkannte sie und trat zu dem Sitz, der ihr in diesem Raum gehörte, und setzte sich hin.
„Wenn sie Angst um ihr eigenes Wohlergehen haben…“, fing der Mann nun an zu sprechen und seine Stimme klang äußerst rauchig, „…keine Angst. Ich habe ihren Gatten nur zum Schweigen gebracht, weil mich seine Ahnungslosigkeit aufgeregt hat.“, nun drehte er seinen Kopf zu ihr um, „Wie kann ein Mann sieben Jahre lang mit seiner Frau verheiratet sein und gar nichts darüber wissen, was sie so treibt?“
Er hatte kurzes, ungepflegtes, weißes Haar und sein Gesicht war leicht schrumpelig. Eines seiner Augen war erblindet, aufgrund einer Narbe die sich von Wange zur Stirn zog, aber er behielt es trotzdem offen – vermutlich um sein Gegenüber mit der milchigen Farbe einzuschüchtern. Er trug einen Drei-Tage-Bart und sein Oberkörper wurde durch die silberne Rüstung eines Legaten geschützt – selbst wenn er offenkundig kein normaler Legionär war. Anstatt aber die schwarze Kleidung zu tragen, wie seine Männer, fand sich überall der weiße Stoff. Ist das Fell?, wunderte sich die Herrin des Hauses.
Daraufhin legte sie ihre Hände in ihrem Schoß zusammen. „Genauso wie ein Mann eine private Armee aufbauen kann, sie mit bester Ausrüstung versorgt und niemand weiß auch nur ein Sterbenswörtchen.“, beantwortete sie seine Frage.
Für einen Moment blickte er sie ungläubig an, dann grinste er. „Gute Antwort.“, erwiderte er und drehte sich nun vollends zu ihr um, „Ich muss gestehen, dass es mich überrascht hat, dass ihr diejenige seid, die Cornelius in den Ruin getrieben hat.“, er blickte auf die Fingernägel seiner rechten Hand, „Das widerspricht dem was mir…zugetragen worden ist.“
„Dann sind wir wohl beide überrascht worden.“, erklärte sie, nicht einen anderen Muskel des Gesichtes rührend, „Sie, dass eine Frau ihren Auftraggeber ruiniert hat und ich, weil ein Fremder mit seinen Männern in mein Haus gewaltsam eingedrungen ist.“, wobei sie den letzten Teil äußerst scharf formulierte.
Das schien den halbblinden Mann noch mehr zu amüsieren. „Mein Auftraggeber?“, fragte er den Blick senkend, „Nein, Cornelius arbeitet für mich…für den Orden.“, er blickte nun auf zu ihr, „Erlaubt mir mich vorzustellen: ich bin der Dux Septentrionis, auch wenn ich den Namen Albus Cervus bevorzuge. Ich diene dem Ordo biformis Dei.“
„Der weiße Hirsch?“, wunderte sie sich, „Das ist also die Erklärung für das Fell, aber nicht für das Eindringen hier.“, sie konnte hören, dass es draußen lauter wurde und so erhob sie sich, „Am besten wäre es, wenn ihr mit dieser Erklärung fortfahrt, bevor mein Bruder euch in Stücke reißt.“
Er blickte sie verwundert an, aber auch er hatte die erhöhte Lautstärke von draußen wahrgenommen. Einer seiner drei Soldaten kam herein und erklärte: „Dux, Soldaten der lokalen Kohorte marschieren gerade vor der Villa auf.“
Sein Blick verriet nicht was er dachte – zumindest bis er anfing zu kichern. „Dux?“, fragte der verwirrte Soldat, als sein Meister ihn bereits mit Handbewegungen wegscheuchte.
„Erklärt ihr mir den Witz, Hirschlein?“, fragte sie ihn, leicht herablassend klingend.
Er blickte sie amüsiert an. „Ich arbeite für den Ordo biformis Dei…“, wiederholte er sich, „…und ich hab ein Angebot, was sie nicht ablehnen können.“
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Vokabelliste:
Mater = lat. für Mutter
Dominuculus = steht hier für die lateinische Version von ‚kleiner Herr, junger Herr‘
Asien = Provinz Asia, umfasst in etwa die Westküste der Türkei, einschließlich Pergamum und Ephesos
Achaia = Provinz Achaia, die das Kernland Griechenlands umfasst, einschließlich Athen und Korinth
Domina = lat. für Herrin
Oceanus Britannicus = lat. für Ärmelkanal
Dux Septenrionis = lat. für Führer/Meister des Nordens
Ordo biformis Dei = lat. für Orden des zweigesichtigen Gottes
"Wurde Vater ebenfalls informiert? Er lässt schon recht lange auf sich warten.", bemerkte Neferu ungeduldig und ließ ihren Tonkrug leicht genervt in der Hand kreisen.
"Ein Bote wurde zu ihm gesandt, sobald uns die Nachricht über eure Ankuft erreicht hatte. Leider war er zu der Zeit außer Haus, ein Treffen mit einem weiteren Kapitän. Oder Geschäftspartner, er kennt recht viele Seeleute wie ihr ja wisst.", erklärte Silos beschwichtigend und nahm einen Löffel von der Fischsuppe die sie noch zusätzlich bestellt hatten.
Neferu nickte wissend, manchmal hatte sie das Gefühl das ihr Vater den Halben Hafen von Alexandria kannte, was natürlich vorteilhaft war. Sie kannte nämlich die andere Hälfte, die Landratten, wie es ihr Erzeuger gerne scherzhaft formulierte. Unglücklicherweise fanden die meisten seiner Unterredungen in Schenken statt, frei nach dem Spruch In vino veritas.
"Gut, da wir wohl noch warten müssen..Was gibt es für Neuigkeiten in der Stadt?",sprach die Ägypterin zu Silos gewandt. Dieser kratzte sich kurz am Kopf und runzelte die Stirn. Nach einem Moment des Nachdenkens entspannte sich sein Gesicht wieder und er begann zu sprechen: "Nicht viel, es herrscht umtriebige Geschäftigkeit so wie immer. Jedoch, ein Mord hat die Händlerszene von Alexandria erschüttert. Vor wenigen Tagen wurde Georgios Sergius Ocander ermordet in seinem Haus aufgefunden. Gerüchte besagen das er sich in den letzten Tagen vor seinem Tod sonderbar und abweisend verhalten haben soll.", erzählte Silos während ihm Neferu und Hent aufmerksam folgten.
Neferu spielte nachdenklich mit einer ihrer Locken, dieser Georgios war ein großes Tier in der Alexandriner Gesellschaft gewesen, er hatte einen Riecher für gute Geschäfte gehabt. Bevor Neuigkeiten über Preisentwicklungen kamen schien er diese Waren schon längst aufgekauft haben. Sie bezweifelte das es nur Intuition gewesen war, vielleicht hatten diese Informationen einen Preis gehabt. Einer der jetzt mit Blut bezahlt worden war.
Die Tür sprang auf und riss die Ägypterin aus ihren Gedanken. Der Blick der Drei wanderte zum Eingang der Schenke und auf die Gestalt welche jetzt durch den Türrahmen schritt. Die Person hatte einen leichten wankenden Gang und schien gewisse Probleme mit ihrem Gleichgewicht zu haben. Die rechte Hand wanderte zur Wand der Schenke um sich leicht abzustützen, doch der Blick des Mannes war jetzt auf ihren Tisch gefallen. Er war etwa einen Kopf größer als Neferu, seine Haut wettergegerbt, der Körper kräftig. Dunkle Bartstoppeln bedeckten das markante Gesicht, das schwarze Haupthaar war mit Öl nach hinten gekämmt. Die dunkelblaue Toga hatte im Laufe des Tages scheinbar ein paar Flecken abbekommen. Es war Lucretius Antonius Pius Chanun, Neferus Vater.
"Neferu, filia. Wie schön dich wiederzusehen, meine kleine Nymphe.", brüllte er durch die Taverne als er seine Tochter erblickte. Diese rollte kurz mit den Augen als sie den Zustand ihres Vaters gewahr wurde, dann gab sie Hent mit einer Handbewegung zu verstehen ihn zum Tisch zu bringen.
"Scheinbar sind die Geschäftsverhandlungen abgeschlossen.", sprach sie stoisch an Silos gewandt. Dieser lächelte nur wissend und rutschte auf der Bank zur Seite.
Hent schritt beherzt auf den Seemann zu und legte unterstützend ihren Arm unter den seinen.
"Kommt dominus, ich führe euch zum Tisch." Lucretius lächelte.
"Sei bedankt meine nubische Prinzessin, der Boden ist heute so schwankend wie die See. Bei Junos Titten, das war ein zäher Brocken.", schwadronierte der Römer während er mit Hent zum Tisch spazierte. Ungeachtet seines Zustandes zog der kräftige Matrose die Sklavin mehr mit sich, als dass sie ihn stützte.
Schließlich ließ er sich neben Silos auf die Bank fallen und lächelte seine Tochter zufrieden an. Diese schenkte ihm auch ein Lächeln, ihr Blick sagte jedoch mehr als deutlich das sie nicht begeistert war. Entschlossen griff sie die Schöpfkelle des Topfes und füllte etwas Fischsuppe in eine Schale. Diese schob sie zu ihrem Vater.
"Esst pater, das sollte hilfreich sein. Und erzählt mir wie euer Treffen lief.", sprach sie respektvoll aber gleichzeitig fordernd. Ihr Vater schaute kurz irritiert auf die Schüssel, dann begann er zu löffeln. Zwischen dem Schlürfen der Suppe blickte er ab und zu auf und begann gleichzeitig zu sprechen:
"Kaum wieder in Alexandria und schon wieder an das Geschäft denkend. Die Götter schenkten mir eine eifrige Tochter.", verkündete er zufrieden und fuhr fort:
"Doch auch dein Vater war nicht müßig. Ich habe einen Kapitän gefunden, welcher noch keine Ladung aufgenommen hat. Ein Phönizier mit einem guten Schiff, erfahrener Bursche. Besitzt ein naves granariae, verlangt etwa 3000 Drachmen.",erzählte er weiter während Neferu kurz ungläubig blinzelte.
"3000 Drachmen? Er weiß aber schon das er nur nach Ostia fahren soll und nicht auf dem Styx die Säulen des Herakles passieren soll?", fragte sie scherzhaft.
"Das ist schon der verringerte Preis, die Reise nach Rom dauert lange, die Winde tragen Schiffe nach Alexandria, aber sie tragen sie nur ungern hinfort. Und wer kann es ihnen verdenken.", erklärte Lucretius malerisch.
Neferu nahm einen Schluck von ihrem Wein und schenkte ihrem Vater einen bösen Blick."Sonst gibt es keine freien Schiffe?"
"Nicht in dieser Größe nur kleinere Corbita. Die naves granariae sind fast alle im Besitz von Marcus und seinem Konsortium oder von diesem gemietet. Der Getreidehandel ist ein lohnendes Geschäft, garantierte Preise und ein stetig wachsender Absatz.",fasste Neferus Vater zusammen was sie schon längst wusste. "Ansonsten waren es nur kleinere Schiffe, ein Jude hatte noch eines in akzeptabler Größe, aber der vermietet sein Schiff fast nur an Händler seines Volkes. Die bleiben ja am liebsten unter sich. Kein Verlust, die sind eh schlechte Seeleute. Haben doch schon lieber das rote Meer geteilt um zu gehen, anstatt es einfach zu überfahren.", sprach der Römer und lachte über seine eigene Bemerkung.
Neferu dachte nach, sie hatte nicht soviel Kapital, vor allem wenn man noch den Preis für das Getreide mit einrechnete. Und die Zinsen für ein Darlehen waren bei Überseegeschäften bei über 30 Prozent. Vielleicht war es möglich den Frachtraum mit jemanden zu teilen und so die eigenen Kosten zu senken. Getreideschiffe hatten viel Stauraum und wenn man ihn nicht komplett belegte blieb Platz für kleinere aber teure Waren. Sie wandte sich an Silos.
"Silos, wann kommen wieder Karawanen aus arabia felix in der Stadt an?", fragte sie und schaute den ehemaligen Sklaven fordernd an.
"Wenn ich mich nicht irre, müsste bald eine aus Baranis ankommen, wann genau habe ich in euren Geschäftsräumen notiert. Zimt und andere Waren aus Indien werden wohl gehandelt, als auch Weihrauch aus der Region selbst.", sprach dieser nach einer längeren Denkpause.
Neferu lächelte leicht, auf das Gedächtnis von Silos war verlass. Wenn sie es geschickt anstellte konnte sie vielleicht eine Partnerschaft mit einem der Händler schließen, diese verkauften ihre Ware häufig weiter nach Rom und suchten in Alexandria nach Schiffen zum Transport.
"Gut, du wirst herausfinden wann sie in Alexandria ankommen und mich darüber informieren!", trug sie dem Ägypter auf.
"Wie ihr wünscht domina."
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filia(latein)= Tocher
naves granariae (latein)= Getreideschiff
corbita= Standard Handelsschiff im römischen Reich
Man schleifte ihn durch den dunklen Korridor. Sie hatten ihn dieses Mal länger in Ruhe gelassen, als beim letzten Mal – was es ihm erlaubt hatte bisschen auszuschlafen. Aber trotzdem wunderte er sich warum…
Sie bogen um die Ecke ab und der Jüte konnte Licht am Ende des Tunnels sehen. Sie passierten diverse Türen, während Sigurd versuchte Einzelheiten vor sich zu erkennen – die letzten Male, als sie ihn herausgeholt haben, war es immer dunkel und von Fackeln erhellt gewesen. Heute passiert wirklich etwas anderes…dachte er sich, als er eine Gestalt unweit der offenen Tür erkennen konnte: es war ein Mädchen, in eine ähnliche zerfledderte Tunika gesteckt wie er und eine Eisenkette um den Hals. Ihre Hautfarbe war dunkler und ihr schulterlanges, schwarzes Haar sah zerfranst aus – aber es war ihr Gesicht, dass Sigurd einen Schauer den Rücken runter laufen ließ: es wirkte ausgemagert, dreckig, geschlagen, häufig; die Augen sahen aus als hätte sie tagelang nicht geschlafen und ihr Blick verriet Nervosität und Angst. Und als er näher kam, erkannte er, dass auch ihr ganzer Körper nur ein Schatten dessen war wie ein gesundes Mädchen aussehen dürfte und sie zitterte unkontrolliert am ganzen Körper, während ihre Arme versuchten ihr Wärme zu spenden.
So werde ich enden, wenn man mich bricht…wusste Sigurd auf der Stelle und warf wieder einen Blick auf die Tür und das näherkommende Licht. Es wurde immer greller, mit jedem Schritt den er weitergezogen wurde, weswegen Sigurd anfing seine Augen zu schließen, nur um hier und da einen Blick zu riskieren um zu sehen wie weit er bereits gekommen war. Als er nur noch wenige Schritte von der Tür weg war, schloss er sie komplett.
„Jetzt wirst du sterben.“, hörte er das Flüstern des Mädchens, als man ihn rauswarf, direkt auf den heißen Sand. Der plötzliche Schmerz ließ ihn aufschrecken und schnell auf den Rücken rollen, wo die Tunika ihn schützte. Dummerweise blendete ihn das Licht hier, trotz der geschlossen Lider, so dass er weiterrollte – bis der Sand unter ihm aufhörte zu brennen.
Er fluchte innerlich, lauter atmend, als er anfing etwas zu hören: lautes Lachen. Es kam von nicht weit weg, dass erkannte er, als er sich auf seine Unterarmen und Knien abstützte. Er öffnete die Augen, erst vorsichtig, und als er erkannte, dass er in einem eher schattigen Bereich war, vollständig, selbst wenn er anfänglich noch bisschen blinzeln musste.
„Αυτό είναι το καλύτερο;“, hörte er die Stimme griechisch sprechen, die vorhin gelacht hatte, „Τι αδύναμος!“
Er hob seinen Kopf leicht und erkannte, dass er in einer Art Arena war – sie sah genauso aus wie die, in der er bei seinem letzten Meister gekämpft hatte, nur war sie rechteckig. Der Stein der Mauern sah verstaubt aus und es gab nur zwei Türen, diejenige durch die er gekommen war und eine Gegenüber – beide waren durch Gitter verschlossen. Ebenso erkannte er dass lange Fensterreihen in die Wand eingebaut worden sind, die ebenfalls von Gittern geschützt wurden – dahinter konnte er Bänke aus irgendeinem holzartigen Material erkennen.
Das Licht brannte durch vier größere Öffnungen in der meterdicken Decke, ebenfalls vergittert, zwei über den Türen, zwei über anderen zwei Wänden. In der Mitte befand sich eine gigantische Säule, die wohl als tragende Säule die ganze Arena aufrechthielt, während in ihrem schattigen Abschnitten Fackeln aufgehängt worden waren. Sigurd selbst befand sich in einem dieser schattigen Abschnitte der Arena und stand nun langsam auf seine Beine auf.
„Babylas πού μπορείτε να πάρετε μια τέτοια σαλιγκάρι;“, hörte er die Stimme wieder sagen, deutlich verärgerter als zuvor, „Παίρνει για πάντα!“
Kaum hatte er sich aufgerichtet, flog bereits eine Faust auf ihn zu – instinktiv beugte er sich nach hinten und landete wieder auf seinen Rücken. Aus dem Augenwinkel sah er den stampfenden Fuß kommen und rollte sich entsprechend weg – und landete dabei wieder auf dem heißen Sand. Schnell rollte er sich weiter und sprang zeitgleich auf die wankenden Beine – nur um über etwas zu stolpern, was hinter ihm war und wieder auf den Rücken zu knallen.
Das presste ihm die Luft aus den Lungen, weswegen er nur bruchstückhaft wahrnahm, wie der Angreifer wieder anfing laut loszulachen. „Το καλύτερο? Το καλύτερο! Είστε mich verarschen!“, schrie er, nachdem er wieder gelacht hatte.
Sigurd versuchte sich aufzurappeln und berührte dabei etwas. Eine Hand?, wunderte er sich und bemerkte, dass er über eine Leiche gestolpert war. Das Gesicht des Toten starrte sogar direkt in seine Richtung, immer noch mit weit aufgerissenen Augen.
Der Jüte fluchte und kam stolpernd wieder auf die Beine. Jetzt erst konnte er einen genauen Blick auf den Lacher werfen: er war großgewachsen, mit bronzener Hautfarbe und muskulösen Armen. In seiner rechten Hand lag eine große Keule, während in seiner Linken ein Weinschlauch zu finden war, aus dem er gerade trank. Armschienen und Beinschienen stellten die einzige Rüstung da, während ein Militärgürtel die Tunica hielt, die den muskulösen Oberkörper nackt ließ. Genauso wie den außerordentlichen großen Bauch.
Wer zum…?, wollte Sigurd sich gerade fragen, als der Riese seinen Weinschlauch wegwarf. Seine Unterlippe war noch immer vom Wein leicht rotgefärbt, während er seine weinroten Zähne beim Kichern zeigte. Sein Gesicht besaß Falten, seine Haare waren wegrasiert und seine Augen sahen betrunken aus. „Έλα hier, μαϊμού!“, rief er ihm kichernd zu und wedelte mit dem rechten Zeigefinger, so dass er näherkommen sollte.
Sigurd sah hinter ihm eines der vergitterten Fensterreihen und erkannte dort ein bekanntes Gesicht: Babylas. Er sah äußerst unglücklich, wenn nicht sogar stinkwütend aus, während neben ihn ein Fettwanst selbst in einer Liegebank kaum Platz fand. Leider konnte der Jüte nicht das Gesicht des Sitzenden sehen, denn es war im Halbdunkel verschwunden, aber die Soldaten hinter Babylas sahen keineswegs wie Bodyguards aus.
„Είμαι hier!“, rief der besoffene Riese und sprang bereits auf Sigurd zu. Der Jüte hatte gerade genug Zeit sich einen Schild in der Nähe zu schnappen, sich hinunter zu beugen und sich hinter dem Rundschild zu verstecken.
Der Aufprall war hart. Der metallene Klang war in der ganzen Arena zu hören und Schmerz schoss durch Sigurds Arme, während er die Zähne zusammenpresste. Es vergingen nur wenige Sekunden, bis der Druck nachließ, weil der Riese seine Keule bereits wieder zurückschwang, für einen weiteren Schlag. Schnell rollte Sigurd, den Schild als Boden verwendend, weg, sprang fix auf und schaffte Distanz zwischen sich und ihm.
„Πάμε, πάμε!“, schrie plötzlich die Stimme des Fettwanstes, „Los Πρωταθλητής! Θέλω να δω αίμα!“
Der Riese blickte in diese Richtung, bevor er wieder anfing auf Sigurd zu starren, mit einer Mischung aus Wut und Amüsement auf dem Gesicht. „Μπορείτε να το ακούσει, αδύναμος;“, fing er an zu sprechen, wobei er mit jedem Wort wütender klang, „Ο Meister θέλει Blut. Έτσι είναι μια καλή Weichei και θα επανέλθω εδώ, έτσι ώστε να μπορώ να σας σκοτώσει !!“
Sigurd schaute sich schnell um: überall lagen Leichen und vor allem Waffen. Er griff die erstbeste, die er fand: ein Chepesch. Der Riese stampfte bereits auf ihn los, weswegen sich Sigurd entschied ihm den Schild direkt ins Gesicht zu schmeißen, mit der Außenseite voran. Der Schild traf voll ins Schwarze, aber Sigurd war bereits vorgesprintet und wollte das Schwert in den Bauch seines Gegners rammen – nur um überrascht feststellen zu müssen, dass dieser schneller war als gedacht: er hatte den Bauch gerade noch rechtzeitig zur Seite bewegt, so dass der Chepesch ihn nur ein dünne Wunde in die Haut ritzte.
Bevor sich Sigurd versehen konnte, flog er auch schon davon – der Riese hatte Schwung geholt und ihn mit der Rückhand seiner linken Hand weggeschleudert. Er prallte hart gegen die Säule in der Mitte und landete auf seinen Knien, während der Schmerz seinen Körper durchzog. Er hatte aber keine Zeit sich zu erholen, weswegen er mehr reflexartig ein Kurzschwert in der Nähe ergriff und auf die Beine sprang.
Nur um sich noch rechtzeitig vor der Keule weg zu ducken, die gegen die Säule hinter ihm prallte. Der Riese ließ seine Waffe auf der Stelle los und wollte Sigurd wieder eine verpassen, aber dem Jüten gelang noch rechtzeitig wegzuhüpfen – nicht ohne vorher das Schwert über die Rückhand seines Gegners zu ziehen und eine blutige Spur auf dem Sand zu hinterlassen.
Wenige Meter entfernt blieb Sigurd stehen, laut atmend. Sein Herz pochte lautstark und er versuchte den Schmerz in seinem Oberkörper zu ignorieren, die Zähne zusammenpressend.
Der Riese warf ihm einen wütenden Blick zu, während er sich runterbeugte um seine Keule aufzuheben. Dabei bemerkte Sigurd, dass der Riese scheinbar auch von seinen Vorgängern diverse kleinere Verletzungen erlitten hatte, denn er konnte überall kleine Schnittwunden erkennen. Und getrocknetes Blut.
„Καλύτερα από τα αναμενόμενα, αλλά ακόμα δεν είναι το Beste, Weichei!“, tönte der Riese und spuckte das Blut weg, dass sich durch den Verlust eines Zahnes im Mund angesammelt hatte.
Sigurd schaute sich um und sah ein Rete, gleich in der Nähe der Leiche eines vollausgerüsteten Retiarius, liegen. Er packte das Kurzschwert fester und lief zum Netz, bevor er es ergriff.
Währenddessen stürmte der Riese wieder auf ihn los, aber statt das Netz auf der Stelle auf ihn zu schmeißen, wartete Sigurd ab, bis sein Gegner nah genug war. Dann nur zwei Schritte vom Feind entfernt, schmiss er das Netz dem Riesen vor die Füße und dieser, nicht in der Lage rechtzeitig anzuhalten, fing an zu stolpern, kaum dass er auf den unstabilen Untergrund getreten war. Schnell sprang Sigurd vor, Kurzschwert vor sich ausgestreckt und die Brust seines Gegners flog auf ihn zu.
Leider verfehlte er: er traf nur die rechte Schulter des Riesen und durchbohrte sie glatt. Der Riese war früher runtergefallen, als der Jüte vermutet hatte und hatte ihn zeitgleich ebenfalls die Füße unter den Beinen weggezogen, so dass beide nun auf dem Boden lagen. Sigurd wollte sich auf der Stelle wegrollen, aber er konnte nicht: der Riese hatte seinen Fuß gepackt.
„Σε καταλαβαίνω.“, erklärte der Riese mit einem triumphierenden Lächeln, während Sigurd ihm einen Tritt in die Nase verpasste. Das machte den Gegner aber nur wütender und er ließ den Jüten los, nur um blitzschnell auf ihn zu springen: nun hielt das Gewicht seines Gegners Sigurd am Boden fest.
„Είναι πάνω, Weichei.“, erklärte er und verpasste Sigurd einen deftigen Schlag ins Gesicht – Sigurd spürte wie etwas brach. Dann traf ihn noch ein Schlag und noch einer – er konnte das Blut auf seinem Gesicht und in seinem Bart spüren. Es ist vorbei…dachte sich der Jüte als seinen Augen etwas erblickten: eine Axt, nur wenige Zentimeter von seiner rechten Hand entfernt. Seine Augen rissen auf und als der nächste Schlag kam, gelang es Sigurd sich noch rechtzeitig weg zu ducken, so dass die Faust auf dem Sand landete – der Riese brüllte vor Wut und Schmerz. Dadurch lockerte sich das Gewicht auf dem Körper des Jüten, für einen Moment.
Mehr brauchte er nicht. Sigurd ergriff die Axt und rammte sie seinem Peiniger direkt ins Gesicht.
Der Riese fiel zur Seite und befreite Sigurd von seinem Gewicht. Der Jüte konnte sich aber anfänglich nicht bewegen, zu groß war der Schmerz, der seinen Kopf und seinen Körper peinigte. „Neiiiiiiinnnn!!“, hörte er einen Schrei und erkannte ihn als den Schrei des Fettwanstes, „Nein, nein! Θα υποφέρουν γι 'αυτό!“
Sigurd musste Blut spucken, als der Schmerz ihn langsam übermannte. Das letzte was er zu Gesicht bekam, war das Gesicht von Babylas, das schadenfreudig grinste.
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Vokabeln:
Αυτό είναι το καλύτερο; Τι αδύναμος! = griech. für „Das ist der Beste?! Was für ein Weichei!“
Babylas πού μπορείτε να πάρετε μια τέτοια σαλιγκάρι; Παίρνει για πάντα!= griech. für „Babylas, wo kriegt man so eine Schnecke her? Der braucht ja ewig!“
Το καλύτερο? Το καλύτερο! Είστε mich verarschen! = griech. für „Der Beste? Der Beste! Du verarscht mich!“
Έλα hier, μαϊμού! – griech. für „Komm her, Äffchen!“
Είμαι hier! – griech. für „Ich bin hier!“
Πάμε, πάμε! Los Πρωταθλητής! Θέλω να δω αίμα! = griech. für „Los, los! Los, Champion! Ich will Blut sehen!“
Μπορείτε να το ακούσει, αδύναμος; Ο Meister θέλει Blut. Έτσι είναι μια καλή Weichei και θα επανέλθω εδώ, έτσι ώστε να μπορώ να σας σκοτώσει !! = griech. für „Hast du das gehört, Weichei? Der Meister will Blut sehen. Sei also ein braves Weichei und komm hierher zurück, damit ich dich töten kann!!“
Καλύτερα από τα αναμενόμενα, αλλά ακόμα δεν είναι το Beste, Weichei! = griech. für „Besser als erwartet, aber noch nicht der Beste, Weichei!“
Rete = lat. für Wurfnetz
Retiarius = Gladiatorentyp
Σε καταλαβαίνω = griech. für „Hab dich.“
Είναι πάνω, Weichei. = griech. für „Es ist vorbei, Weichei.“
Θα υποφέρουν γι 'αυτό! = griech. für „Das wirst du büßen!“
“Aber, ich bin keine..,“ wollte die junge Diebin widersprechen, doch der alte Mann viel ihr harsch ins Wort.
“Still, wir haben nicht viel Zeit.“ begann er, nahm die Klingen von seinen Handgelenken und legte sie sorgfältig um die zierlichen Handgelenken seines Gegenübers.
Sie fühlte sich ein wenig Unbehagen mit dem kalten Stahl an ihren Handgelenken, blickte auch immer wieder fragend zum alten Mann auf, von dem sie weder den Namen wusste, noch für wen er arbeitete.
Dennoch ließ sie es sich nicht nehmen, die Klingen selbst aus zu probieren. Eine schnelle, ruckartige Bewegung der Hände nach außen, ließ die Klingen hervor schnellen, eine weitere Bewegung wieder zurück.
Ein zufriedenes Lächeln huschte über das Gesicht des alten Mannes, während er seinen Schützling beobachtete.
“Wer bist du? Für wen arbeitest du?“ versuchte sie nochmal mehr über diesen Mann heraus zu finden.
“Wie ich schon sagte, Namen sind unwichtig. Du musst nur wissen, dass ich zu den Verborgenen gehöre.“ erklärte er mit gedämpfter Stimme, lauschte und sprach weiter, bevor sie nur irgendeine Chance bekam nach zu haken.
Schritte waren zu hören.
“Ich weiß, was du fragen willst, aber dafür haben wir keine Zeit. Also, höre zu.“ Der Mann packte sie an den Schultern und zwang sie, ihm ins Gesicht zu schauen.
“Du musst die anderen Verborgenen finden, ein paar von ihnen sind hier in Alexandria und zeige ihnen die Klingen, die wissen dann, von wem du sie hast.“ erklärte er rasch.
“Wo finde ich die Verborgenen, wie erkenne ich sie?“ hakte die junge Diebin nach.
Die Schritte kamen näher und Stimmen waren zu hören.
“Du wirst sie erkennen, sie zu finden wird deine Prüfung sein.“ antwortete der alte Mann schnell und sah ihr direkt ins Gesicht, eh er weitersprach.
“Da ist noch etwas und das ist sehr wichtig,“ begann er, wobei er sehr wichtig besonders betonte und sah Amany eindringlich an.
“Halte deine Klinge fern vom Fleisch Unschuldiger und verbirg dich in der Masse. Den Rest lernst du später.“
Im selben Augenblick ging die Tür auf und drei Männer betraten den Zellentrakt.
Erschrocken schauten die beiden zur Gittertür, wo sich einer der drei vor seinen Männern aufbaute. Im Gegensatz zu den anderen beiden, hatte dieser eine glänzende Rüstung an und einen Helm mit roten, eigenartig aussehenden Fusseln.
“Der Galgen wartet auf euch beide.“ gab der Mann höhnisch lachend von sich und öffnete die Gittertür. Was für ein aufgeblasener Gockel. Musste wohl der Hauptmann sein mutmaßte die junge Diebin in Gedanken
“Aufstehen!“ befahl der Hauptmann, während er mit seinen Männer die Zelle betrat.
Unsicher blickte Amany zum Verborgenen auf, der ihr einen aufmunternden Blick zu warf und kurz mit dem Kopf nickte, ehe er sich wieder den Wachen zu wandte.
Langsam standen die beiden auf und als die Wachen nach ihnen greifen wollten, griff der alte Mann an.
Mit einer schnellen, kraftvollen Bewegung sprang er den Widersachern entgegen und stieß sie zur Zelle hinaus. Einer der Wachen stolperte sogar über seine Füße und fiel hin. Der Verborgene setzte nach und beschäftigte die anderen beiden.
“Geh, Mädchen. Raus hier.“ sagte der alte Mann über die Schulter blickend und deutete auf ein offenes Fenster. Doch Amany zögerte.
Der Hauptmann und die andere Wache versuchten nach ihren Schwertern zu greifen. Doch im Handgemenge schaffte es der alte Mann, dem einen sein Schwert ab zu nehmen und stach zu. Das Schwert durchbohrte seinen Hals und der Wachmann sackte nach Luft japsend zusammen.
“Dafür zahlst du!“ rief der Hauptmann wütend und schlug mit dem Schwert zu, wobei der alte Mann geschickt auswich und parierte.
Amany sah gerade noch, wie der andere Wachmann wieder auf seine Füße kam und sein Schwert zog, um dem Verborgenen in den Rücken zu fallen.
Amany sprang dazwischen, doch der alte Mann stieß sie zur Seite, als der Schwertknauf des Wachmanns auf seinen Kopf donnerte.
“Verschwinde endlich!!!“ rief der alte Mann mit letzter Kraft, ehe er langsam bewusstlos zusammenbrach.
Amany rannte los, sprang zum Fenster hinaus und fand sich in einer unscheinbaren Festung wieder. Sie schaute sich kurz um. Glücklicherweise waren die ganzen Wachen durch den Tumult am anderen Ende des Gebäudes.
Geschickt kletterte sie die Wand hinauf, bis sie das Dach erreichte. Von dort aus sprang sie auf ein weiteres Dach, welches sie aus der Festung führte. Aus sicherer Entfernung beobachtete sie die Geschehnisse.
“Findet die kleine und hängt ihn an den Galgen.“ befahl der Hauptmann und fuchtelte wild mit seinen Händen herum.
Ein ganzer Trupp Wachposten schwärmte aus, während die anderen den Verborgenen zum Galgen brachten und ihm die Schlinge um den Hals legten.
Bald darauf kam der Trupp wieder zurück und auch wenn Amany nicht hören konnte, was gesagt wurde, konnte sie es an den Gesten sehen.
Das Schulter zucken der Truppe deutete daraufhin, dass sie ihre Spur verloren hatten, woraufhin der Hauptmann ziemlich wütend reagierte.
Mit einer einzigen Bewegung Richtung seines Halses deutete der Hauptmann dem Henker an, dass er das Leben des alten Mannes beenden sollte.
Der Henker nickte kurz und öffnete schließlich die Falltür.
Amany schloss die Augen und konnte förmlich hören, wie dem Mann das Genick brach, auch wenn es aus der Entfernung unmöglich war.
“Dummer, alter Mann. Warum hast du dein Leben für mich gegeben?“ fluchte die junge Diebin leise und mehr zu sich selbst, während ihr eine Träne über die Wange lief.
Als sie ihre Augen wieder öffnete, war alles vorbei und sie tauchte unter. Sie musste die Verborgenen finden oder wenigstens einen von ihnen....
Last edited by eis engel; 16.12.2018 at 20:21.
16.12.2018
20:06
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Titos - Alexandria, Provinz Ägypten, Frühjahr 167 n.Chr.
„Ipsi! Ipsi!“, quietschte das kleine Mädchen, laut lachend, „Ipsi!“ „Noch höher?“, fragte Titos seine Tochter, mit einem Grinsen im Gesicht. „Ipsi!“, antwortete das kleine Mädchen, ein Lächeln über ihr ganzes Gesicht ausbreitend. Und der Vater warf sie erneut hoch, nur um sie gekonnt wieder zu fangen. Das Mädchen war wie die Freude selbst und Titos konnte nicht anders als sich auch zu freuen. „Ihr habt wohl euren Spaß…“, sagte eine Stimme von hinten, auch erheiternd klingend, „Während ich arbeiten muss, was?“ Titos drehte sich um und blickte mit seiner Tochter seine Ehefrau an. Sie grinste breit, während sie die gekauften Früchte in eine Amphore purzeln ließ. Ihr Ehemann überbrückte die Distanz zwischen ihnen blitzschnell und küsste sie auf ihre Lippen – das kleine Mädchen, immer noch in den Armen ihres Vaters, verzog angeekelt das Gesicht.
„Ich genieße nur das Vatersein.“, erklärte er ihr, grinsend, als der Kuss zu Ende war. „Schade nur, dass du die anderen Freuden nicht auch genießen kannst.“, erwiderte Lapis, kokett grinsend und ihr Blick verriet alles was er wissen musste. „Das ist nicht fair.“, antwortete Titos, kichernd, und drehte seinen Kopf wieder zu seiner Tochter, „Wir müssen wohl-“ „Ipsi!“, schrie das Mädchen die Hände in die Höhe hebend. Titos musste wieder kichern. „Später.“, sagte er stattdessen, versuchend ernst zu klingen, „Ich muss arbeiten gehen.“ Das Mädchen blickte ihn verwundernd an, bevor es wieder ihre Hände hob. „Ipsi!“, schrie sie erneut. „Willst du übernehmen?“, fragte der grinsende Vater. „Gib schon her.“, antwortete Lapis und nahm die Kleine in ihre Arme, nur um liebevoll Nase an Nase zu reiben. „Mama!“, erwiderte das kleine Mädchen, bevor es „Ipsi!“ schrie. „Ich weiße, Pennie, ich weiß.“, erwiderte die glückliche Mutter, ihre Freude kaum in der Lage zu unterdrücken, „Gleich.“ „Ipsi!“, schrie die kleine Penelope nur als Antwort, nun leicht verärgert.
„Ich geh dann mal.“, erwiderte der glückliche Vater, nach einer kurzen Weile kichernd, die viel länger schien, als sie das Recht hätte. „Pass auf dich auf.“, antwortete Lapis, ihn bedeutungsvoll anschauend. „Immer.“, antwortete Titos und verließ das gemeinsame Haus. Er erreichte das Ende des Armenviertels so schnell wie nur jemand es vermochte, der jeden toten Winkel und die chaotisch gezogenen Straßen kannte wie seine Westentasche – oder hier aufgewachsen war. Er erreichte die Hauptstraße von Alexandria, die die Stadt von West nach Ost die Stadt durchzog, wie eine Lebensader den menschlichen Körper. Wie immer, war der Verkehr so dicht, dass man nicht einmal ein entflohenes Kamel entdecken würde. Titos ließ sich aber davon nicht irritieren, denn er kannte den Weg zu seinem Arbeitsplatz, genauso wie jede Abkürzung dahin.
Es dauerte nicht lange und er hatte ihn erreicht. „Titos!!“, schrie jemand, gleich nachdem er durch die Tür gekommen war, „Wo beim Orcus bist du gewesen?! Mann kann bereits die Sonne im Osten sehen!“ „Entschuldigt, Magister Pupius.“, entgegnete Titos, seinen Kopf senkend, „Ich habe nur ein bisschen Zeit mit meiner Tochter verbringen wollen.“ Die harten Züge des anderen Mannes erweichten sofort. Er hatte eine Glatze, buschige, schwarze Augenbrauen und eine prominente Hakennase. Seine braunen Augen waren kaum zu erkennen, einerseits weil sie so klein waren, andererseits wegen der dicken Backen, die den größten Teil seines Gesichts ausmachten. Sein Körperumfang untermauerte nur seine Vorliebe für die kulinarischen Künste, auch wenn die breiten Arme und Beine nur so von Muskeln strotzten – ein Andenken an seine Jugend. Seine grüne Tunika und sein brauner Gürtel kamen gerade so mit der Extrabelastung zurecht, während seine Sandalen wie seit Jahren nicht gewaschen aussahen. „Das entschuldigt nicht das Zuspätkommen!“, entgegnete Pupius, schnell wieder ein strenges Gesicht zeigend, wobei seine tiefe Stimme mit einem starken Akzent durchsetzt war, „Die Brote kneten sich nicht von selbst!“, dann seufzte er, „Heiz den Ofen an, die nächste Ladung muss bereits rein.“
„Auf der Stelle, Magister.“, entgegnete Titos und ging gleich ans Werk. Das Erdgeschoss der Bäckerei bestand vor allem aus zwei Räumlichkeiten: den Backräumen und den Verkaufsräumen, beide durch einen türlosen Durchgang miteinander verbunden. Der Steinofen nahm dabei den größten Teil des Backraumes ein, quasi eine ganze Wand und ein Drittel der Fläche. Titos öffnete die untere Klappe, wo das Feuer bereits am verlöschen war, und legte neue Holzscheite hinein, die nebenan zu finden waren. Hinterher nahm er sich einen Schürhaken und stocherte so lange darin herum, bis das Feuer wieder schön brutzelte. „Fass mit an.“, erklärte der Bäcker und meinte damit eine Platte mit Teig, das später Brot sein würde. Zusammen schoben sie es in den oberen Bereich des Ofens und schlossen ihn. „Gut und jetzt geh kneten.“, entgegnete Pupius und wies zum Tisch im Backraum, wo bereits Teig bereit stand, „Wir müssen mindesten noch drei Ladungen fertig kriegen, bevor die ersten Kunden kommen.“
Ein weiterer junger Mann kam gerade zur Tür herein. Er trug ebenfalls eine grüne Tunika, die aber anders als die vom Bäcker frisch gewaschen war; er war schlank, aber die Muskeln in den Oberarmen bewiesen seine Arbeitsbereitschaft. Sein Gesicht sah wie die jüngere, dünnere Ausgabe des Bäckers aus, wobei er kurzes, gelocktes und schwarzes Haar aufwies, das er mit einem türkisen Haarreif versehen hatte. Er sah fast genauso alt wie Titos aus. Der Bäcker schnaubte. „Kleine Kinder sind ein Segen.“, erklärte er und wendete sich dem Durchgang zu, „Wenn sie aber aufwachsen, werden sie zum dem da.“ „Ich lieb dich auch, Pater.“, entgegnete der junge Mann mit einem Grinsen im Gesicht, wobei seine Stimme recht ähnlich klang nur ohne den Akzent, „Schön dich zu sehen, Titos.“ „Auch euch, junger Meister.“, entgegnete Titos frech lächelnd, während die beiden zum Knettisch gingen. „Du weißt doch, dass du mich Eliphas nennen sollst!“, entgegnete der um einen halben Kopf größere, junge Mann und klopfte Titos auf den Rücken. Beide Männer grinsten nur. Einen Moment später warf der Sohn einen Blick zum Durchgang, der inzwischen wieder leer war, weil der Vater in den Verkaufsbereich entschwunden war. „Du solltest mal hören, was er über Fabia sagt.“, flüsterte er ihm grinsend zu, „Das würde dir die Sprache verschlagen.“
„Ich weiß, was der Magister zu ihr sagt.“, entgegnete Titos nur und die beiden fingen mit dem Kneten an, „Er hält niemals weit hinter dem Berg, wenn er jemanden kritisieren möchte.“, er warf ebenfalls einen Blick auf den leeren Durchgang und fügte flüsternd hinzu, „Hat sie den armen Jungen endlich abgeschossen?“ Eliphas musste kichern. „Ich glaub sie bringt es nicht übers Herz ihm das seinige zu brechen.“, erklärte er, breit grinsend, ohne Blickkontakt, „Dabei müsste sie es nur unserem Pater beichten, der würde es gerne für sie übernehmen…obwohl ich nicht weiß, ob er beim Herzen stehenbleiben würde.“, und die beiden Männer lachten über den Scherz.
Titos blickte kurz auf, als er einen fertigen Teig beiseite legte. „Eliphas, was ist das?“, fragte er hinterher, weil er etwas sah: auf der gebräunten Haut seines Gegenübers war es schwer zu erkennen, aber Titos glaubte dunkelfarbige Pusteln auf dessen Schultern zu erkennen. „Was?“, fragte dieser und sah den darauf zeigenden Finger, bevor er einen Blick auf die Schulter warf, „Ach das? Nur ein Ausschlag, nichts Ernstes.“ „Wirklich?“, hakte Titos ein, klang nun besorgt, „Das kommt mir bekannt vor. Ich glaube ein paar Seeleute aus Pergamun haben davon mal erzählt.“, wobei er gänzlich verschwieg wo und wann er Seeleuten zugehört hatte, „In Europa soll so eine Krankheit ausgebrochen sein, wo solche Pusteln zu sehen waren. Vielleicht solltest du einen Arzt aufsuchen.“ Der junge Mann pfffte mit einem amüsierten Grinsen. „Mach dir doch keine Sorgen wegen ein bisschen Ausschlag!“, entgegnete er, „Und selbst wenn, zurzeit könnte ich eh keinen Arzt aufsuchen.“ Das ließ Titos stutzen. „Warum nicht?“, fragte er neugierig. Eliphas blickte ihn verwundert an. „Hast du’s noch nicht gehört?“, fragte er und Titos schüttelte nur seinen Kopf, mehr instinktiv als beabsichtigt, „Irgendjemand beim Präfekten soll krank sein. Familie oder so etwas in der Art. Die Ärzte wissen nicht, was der Person fehlt und der Präfekt verbietet jedem Arzt das Gelände zu verlassen, ehe sie herausgefunden haben, was los ist.“ „Das klingt wirklich unglaubhaft.“, erklärte Titos, obwohl er sich eine geistige Notiz machte, „Wann soll das passiert sein, dass ich davon noch nicht gehört hab…und wo hast du es gehört?“ „Beim Zechen.“, entgegnete der junge Mann frech grinsend. „Aha.“, antwortete Titos, „Also könnt’s nur eine Geschichte eines Betrunkenen sein.“ „Kannst mir glauben oder nicht.“, erwiderte Eliphas, ebenfalls einen Teig weglegend, „Aber der Arzt meiner Familie – ein guter Freund von Pater – war schon ne Weile nicht mehr in seiner Praxis.“ Das ist höchst interessant…dachte sich Titos und wollte noch weitere Fragen stellen, als vom Verkaufsraum der Schrei kam: „Ihr seid hier um zu kneten und nicht um zu labern!!“, schrie der Bäcker, „Wenn ihr so viel Zeit zum Labern habt, müsst ihr eindeutig etwas falsch machen! Bewegt eure verdammten Finger, beim Orcus, und nicht eure verdammten Zungen!“
Und genau das taten sie. Sie arbeiten den ganzen Tag, kneteten, schürten das Feuer, holten oder legten Brote in den Ofen und zwar so lange bis die Sonne bereits im Westen stand. Titos war gerade dabei zwei der Brote in einen Beutel zu tun, als man ihm etwas reichte: ein weiteres recht frisches Brot. Der junge Mann blickte auf und sah seinen Meister, der ihn nicht anschauen wollte. „Für die Kleine.“, erklärte er mit zugepressten Lippen, „Damit sie groß und stark wird.“ Ein Lächeln erschien auf Titos‘ Gesicht. „Danke, Magister.“, bedankte er sich herzlich. „Ja, ja…“, entgegnete Pupius nur, „Aber morgen kommst du rechtzeitig, hm?“ „Natürlich.“, Titos nickte eilig, „Danke nochmal.“, und drehte sich halb weg. „Geh schon.“, erwiderte der Magister und drehte sich auch schon um, zum Verkaufsbereich.
Titos verließ die Bäckerei in einer der Seitengassen, um den Kunden nicht in die Quere zu kommen. Hier war es aufgrund der hohen Gebäude schattig, aber Titos wusste aus Erfahrung, dass er sich noch für die nächsten Stunden auf die Sonne verlassen konnte. Er nahm dieses Mal einen Weg durch die Nebenstraßen der Stadt – um diese Uhrzeit wimmelte es meist von Reitern auf der Hauptstraße, die keinen Wert darauf legten, dass sie Passanten umfahren konnten. Er ging gerade um eine Ecke, wodurch er in das Schmiedeviertel der Stadt kam – glücklicherweise hatten die Schmiede ihre Betriebe meistens am Rande der Stadt, hier waren nur die Verkaufsräumlichkeiten. Ansonsten wäre es wohl sehr laut und sehr stinkig geworden. Schmiedewaren wurden aber selten um diese Uhrzeit gekauft, weswegen es recht leer war.
Titos ging an einer Seitengasse vorbei, als er etwas hörte. Er blieb stehen und blickte in die Gasse. Spielende Kinder?, fragte er sich beim ersten Anblick, als es klar wurde, Nein, sie verprügeln jemanden! Schnell ließ er den Beutel mit dem Brot fallen und lief in die Gasse, laut schreiend: „Hey ihr da! Weg! Weg!“ Die Kinder reagierten geschockt, blickten erst auf. Aber schnell kam ihnen die Einsicht, das Weglaufen die beste Option wäre – was sie dann auch geschwind taten. Mit ausgestreckten Arm erreichte Titos das Opfer – ein Mädchen, in eine zerfranste graue Tunika gesteckt, kaum älter als 10 oder 11. Sie hatte schwarzes, schulterlanges Haar, dass völlig zerzaust wirkte – Titos wusste jetzt nicht, ob wegen der Prügelei oder ob sie immer so aussah. „Bist du verletzt?“, fragte er besorgt und half ihr auf – er konnte zunächst nichts Auffälliges finden. Zumindest auf den ersten Blick – was ist das…?, wunderte er sich, als er einen Blick auf den nackten Rücken unter der Tunika warf. „Nein, nein, Dominus, nein, nein.“, versicherte sie ihm geschwind, schnell aufrechtstehend, versuchend Distanz zu wahren, „Chloe geht es, geht es gut.“ „Wenn du meinst…“, entgegnete Titos, sich unbehaglich fühlend. Kaum hatte er das gesagt, wollte sie sich quasi umdrehen und wegrennen, weswegen er sie aufhielt, „Hey warte deine Sachen!“ Sie blieb stehen und blickte runter wo eine Tasche lag – Ketten waren darin gut zu erkennen. Mit eiligem Schritt lief sie fast die wenigen Meter um die Tasche aufzuheben. Beim Herunterbeugen erhaschte Titos noch einen Blick auf das was ihm aufgefallen war. Ein eingebranntes ‚S‘…, wurde ihm klar, Wer brennt seinen Sklaven ein ‚S‘ in den Rücken? „Danke, danke, Dominus, danke, danke.“, erwiderte das Mädchen, die Tasche bereits hochgehoben – sie konnte sie kaum heben – und schon drehte sie sich um und verließ die Gasse so schnell es ihr möglich war.
Titos nahm einen tiefen Atemzug, mit geschlossen Lippen. Er ging zurück und sammelte sein Brot ein, bevor er sich daran machte das Mädchen zu verfolgen – kein schweres Unterfangen, da sie mit dem Extragewicht viel langsamer war. Er beschattete sie, bis sie zu einer Seitenstraße kam: dort wartete ein Wagen mit Pferdegespann auf sie. „Wo warst du solange?!“, schrie sie der körperlich besser aussehende Mann an – er sah aus wie ein Gladiator, nur war sein Gesicht durch diverse Klingen ziemlich missgestaltet worden. „War so schnell wie ich konnte, Bion, war so schnell wie ich konnte.“, entgegnete das kleine Mädchen, „War schwer…“ „Ja, ja, tue es hinten rein.“, erklärte er, „Du weißt doch, dass der Dominus es nicht mag zu warten.“ „Ja, ja ich weiß…“, entgegnete das kleine Mädchen und tat wie ihr gehießen. Titos verfolgte die Szene aus sicherer Entfernung und erkannte, dass auch der Gladiator ein ‚S‘ eingebrannt hatte – auf dem Oberarm. Das Mädchen hüpfte hinterher in den Wagen und der Gladiator schwang die Zügel – der Wagen fuhr weg, Richtung Hauptstraße. Titos folgte ihnen noch so lange wie sie diese erreicht haben – obwohl es noch nicht dunkel war, fuhren dort bereits die ersten anderen Wagen und der Verkehr wurde dichter. Er sah wie sie nach Rechts abbogen – nach Osten. Das muss ich untersuchen…, entschied sich der Verborgene und drehte sich um, Vielleicht wissen die anderen etwas über einen Sklavenhalter, der seinen Sklaven ein ‚S‘ einbrennt…
Spoiler:(zum lesen bitte Text markieren)
Vokabular: Ipsi = Kindersprache, abstammend vom griechischen „ipsilóteros“ (höher) Orcus = „böse“ Interpretation des Herrn der Unterwelt Magister = Lehrer, Handwerksmeister, etc. Pater = lat. für Vater Dominus = lat. für Herr
Titos trat an die liegende Frau heran. „Sari…bist du das?“, fragte er verwundert. Die junge Frau sah aus, als würde sie schlafen, aber als sie ihren Namen hörte, öffnete sie ihre großen Augen. „Titos, biste das?“, fragte sie zunächst verunsichert, aber hinterher fing sie an zu lächeln, „Ja, das biste! Man was machste denn hier?! Lang nicht gesehen?“ „Was ich hier mache?“, fragte Titos mit Verwirrung im Gesicht, „Was machst du hier? Warum bist du nicht beim Fischhändler? Ich hab dich gesucht.“ „Der Fischhändler?“, Sari verzog ihr Gesicht, „Den hab ich verlass‘n.“ „Was?!“, entgegnete Titos schockiert, „Was meinst du mit verlassen? Hat er dich etwa gefeuert?!“ „Anfänglich nicht.“, drückte sich die junge Frau um die Antwort, „Aber nachdem ich ihm gesagt hab, was ich von ihm und seine ‚Den-Ganzen-Tag-arbeiten‘-Philosophie halte, ging das sehr schnell. Kannste das glauben?! Ich soll den ganzen Tag Fische verkaufen, mit Leuten palavern, den Gestank aushalten und auch noch obendrein diesem Tyrann zuhör‘n?!“ „Dafür warst du doch da!“, entgegnete Titos fassungslos, „Du solltest dich unter die Fischhändler mischen, mit ihnen reden, Informationen sammeln und vor allem NICHT AUFFALLEN!“, er schüttelte seinen Kopf, „Weißt der Sofós, dass deine Tarnung aufgeflogen ist?“ „Aufgeflogen? Wat? Wovon redeste?“, entgegnete Sari entgeistert, „Hab doch bereits ‘nen neuen Job gefunden.“ „Ein neuer Job?“, Titos klang interessiert, „Wo hast du einen neuen Job gefunden?“ „Na im Palast!“, entgegnete die junge Frau grinsend. Die Augen des Mannes weiteten sich. „Du hast es geschafft den Palast zu infiltrieren?!“, fragte er, „Wie hast du das denn angestellt? Ich dachte selbst die Geister hätten Schwierigkeiten da reinzukommen.“, er freute sich wie ein Kind mit einem Geschenk, „Als was arbeitest du dort?“ „Als was?“, entgegnete Sari, „Ja noch als nix.“ „Was?“, Titos stutzte. „Muss doch erst ‘nen Plan entwerfen um den Job dort zu ergattern.“, entgegnete die junge Frau als wäre das ganz normal, „Deswegen liege ich doch hier: ich denke über ‘nen Plan nach.“ Titos‘ Augen wurden ganz klein. „Du hast also noch keine Tarnung.“, erklärte er, nahm einen tiefen Atemzug und rieb sich die Stirn, „Ok, lassen wir das. Ich hab dich gesucht…“ „Ja, genau, warum denn?“, fragte Sari neugierig klingend. „Ich suche Informationen über einen Sklavenhalter, der im Osten lebt und seine Sklaven brandmarkt.“, erklärte der Verborgene, „Weißt du irgendetwas darüber?“ Die Frau verzog erneut das Gesicht. „Sklavenhalter?“, fragte sie angeekelt, „Du weißt doch, dass ich mit solchen dreckigen Gesellen nix am Hut haben möchte. Frag doch lieber Raneb – der kennt sich mit solchen Dingen aus.“ „Hatte ich vor, aber ich hab keine Ahnung wo er ist.“, erklärte Titos, die Arme verschränkend, „Einer der Gründe warum ich dich gesucht hab. Weißt du zumindest WO er ist?“ Die junge Verborgene schüttelte ihrem Kopf, immer noch liegend. „Ich und Raneb…nun…“, fing sie an, überlegend, „…wir versteh‘n uns nicht so. Nicht so wirklich. Böse Schwingungen weißte? Sein Vibe stört mein inneres was-auch-immer und ich fühl mich in seiner Gegenwart immer so…depressiv.“ „Aha.“, erwiderte Titos nur. „Ganz dunkler Typ, dieser Raneb.“, fuhr die junge Frau fort, „Immer so pessimistisch, sieht hier den Tod, dort den Tod – ich kann’s nicht mehr hören. Da wird man noch wahnsinnig.“ „Ich kann es mir lebhaft vorstellen.“, entgegnete Titos nur und seufzte, „Okay, wenn du nichts über den Sklavenhalter weißt und nicht weißt wo Raneb ist…nun dann mach ich mich wohl alleine auf die Suche. Danke nochmal.“, und schon drehte er sich um. „Keine Ursache!“, rief die junge Frau hinterher, während sie anfing ihren Rücken zu bewegen um es sich bequemer zu machen, „Und jetzt weiter im Text….zzzzzzz…..“
„Nochmal…Nochmal!“, schrie der wutentbrannte Junge mit den kurzem, blonden Haar, „Ich sagte nochmal!“
„Publius, das ist genug!“, entgegnete Selene mit einer Stimme, die selbst von ihrer aktuellen Position zu hören war. Sie saß auf einer Gartenbank wenige Meter vom wütenden Jungen entfernt, aber ihre Stimme war trotzdem klar und deutlich zu hören.
„Aber mater, ich…!“, wollte der Junge bereits aufgebracht protestieren, wodurch er dieselbe Leidenschaft bewies, die seinen Vater zum Champion in der Arena gemacht hatte.
„Wie verhält sich ein Römer?“, schnitt ihm seine Mutter das Wort ab, mit einer Autorität in der Stimme, die jeden Widerstand brechen konnte.
„Das ist doch jetzt unwichtig!“, wütete der Junge weiter und bewies damit die Sturheit, die seinen Vater in ein frühes Grab gebracht hatte, „Ich-“
„Wie – verhält – sich – ein Römer?“, wiederholte Selene, jedes Wort einzeln betonend, wobei ein unheilvoller Unterton beim Sprechen mitschwang.
Dies schien auch der Junge zu bemerken, denn sein Aufplustern endete so schnell wie es angefangen hatte. „Zivilisiert.“, antwortete er, immer noch laut atmend und versuchend seine Wut im Zaun zu halten.
„Ganz genau.“, pflichtete ihm seine Mutter bei, ohne den Blick von ihm zu lassen, „Das zivilisierte Verhalten unterscheidet einen Römer von einem Wilden Barbaren, der in seinem Wäldchen hockt. Also was bist du? Römer oder Barbar?“
Der Junge hielt den Blick seiner Mutter nicht stand und schaute runter auf das Gras. „Ein Römer.“, erklärte er, leicht verlegen klingend.
„Dann verhalte dich gefälligst auch so.“, antwortete Selene scharf und beobachte was ihr Sohn als nächstes tat.
Publius drehte sich zum Sklavenjungen um, der ihn um einen Kopf überragte. „Können wir es nochmal versuchen?“, fragte er, sich soweit beherrschend wie er konnte.
Der Sklavenjunge blickte verunsichert zu Selene, die ihm zunickte. „Natürlich, Dominuculus.“, antwortete er ohne jeglichen Spott in seiner Stimme und hob den Holzschild und das Holzschwert hoch, dass er für diesen Besuch hatte schnitzen müssen. Der blonde Junge tat es ihm nach und sie fingen eine erneute Runde an, die teils Spiel, teils Sparring glich. Immerhin gibt er nicht auf…entschied seine Mutter, dass das die einzige gute Eigenschaft gewesen ist, die er hier zur Schau gestellt hatte.
Sie wendete sich wieder ihrem Gegenüber zu, die genauso wie Selene auf der Gartenbank saß. „Du wolltest sagen, mater?“, fragte sie höflich.
Muriel Saemus sah trotz ihres hohen Alters immer noch umwerfend aus. Die Götter hatten sie scheinbar gesegnet, denn sie besaß nicht einmal Halb so viele Falten wie Frauen ihres Alters üblich hatten und selbst ihr ganzer Stolz, ihre rotblonde, lockige Mähne, wies nur hier und da graue Strähnen auf. Zum Verdruss ihrer Tochter trug sie leider eine Tracht, die römische Kleidung mit dem karierten Mustern verband, die die Britonen so liebten, auch wenn man trotzdem zugeben musste, dass es ihr stand.
„Ich wollte fragen, wann ihr aufbrecht?“, fragte die Großmutter mit ihrer tiefen, verführerischen Stimme, nur halbherzig zuhörend. Ihre Aufmerksamkeit war gerade auf das kleine Geschöpf in ihren Armen gelenkt: ein kleines Mädchen, dass dieses Jahr erst ihren ersten Geburtstag gefeiert hatte, weswegen die Haare noch spärlich und kurz waren. Trotzdem konnte Selene bereits die tiefroten Haare am Kopf ihrer jüngsten Tochter erkennen, die auch ihr Vater gehabt hatte. Ob er es gut in Rom?, sinnierte sie kurz nach.
Fabia wurde gerade von ihrer Großmutter mithilfe ihres Knies hoch und runter geschwungen und lachte voller Freude währenddessen. „Die Pristis, die Sagitta und die Luna sind erst vor wenigen Tagen angekommen.“, erklärte die pflichtschuldige Tochter ihrer Mutter mit Demut in der Stimme, „Tamon bereitet sie bereits für die nächste Reise vor und meint in zwei bis drei Tagen könnten wir lossegeln.“
Muriel verzog für einen Moment ihr Gesicht. „Du willst wirklich meine Enkelkinder diesem Piraten anvertrauen?“, fragte sie und hob ihren Kopf. Sie hatte dieselben bernsteinfarbenen Augen, die sie ihrer Tochter geschenkt hatte.
„Ich vertraue Tamon, mater.“, erklärte Selene, den Blick nicht erwidert, denn sie wusste, dass ihre Mutter das mochte, „Er hat mich bislang nicht im Stich gelassen.“
Das befriedete die Großmutter keineswegs, wie ihre Stimme verriet. „Ich kann immer noch nicht verstehen, warum du die Kleinen überhaupt mit dir nimmst.“, erklärte sie, „Du weißt ganz genau wie gefährlich die Welt da draußen ist. Hast du etwa vergessen, dass Krieg herrscht?“ Es herrscht immer irgendwo Krieg…wollte Selene am liebsten erwidern, dass konnte sie sich für ein anderes Mal aufheben. „Und je früher meine Kinder das auch lernen, desto mehr wird es ihnen in Zukunft nützen.“, erklärte sie, ihren Blick leicht hebend, „Nur Fabia ist noch zu jung für diese ganze Reise, deswegen vertraue ich sie dir ja an.“
„Sie sind alle zu jung.“, erklärte die Großmutter, die gerade dabei war Grimassen vor dem Gesicht ihrer Enkeltochter zu ziehen, „Und so süß….Wie lange werde ich die beiden nicht sehen können?“
„Wenn alles so verläuft wie ich es geplant habe, dann werde ich in drei Jahren wieder in Londinium sein.“, erklärte Selene, ohne zu Zögern.
Ihre Mutter blickte sie an und dieses Mal konnte man Sorge auf dem Gesicht erkennen. „Drei Jahre?“, sinnierte sie, „Drei Jahre ohne meine Kleinen…“, sie nahm einen Atemzug, „Und du hast auch wirklich an alles gedacht?“
„Vater war ein guter Lehrer.“, entgegnete Selene, sich dieses Mal nicht zurückhalten könnend. Sie wusste, ihre Mutter wollte nie über ihren Vater sprechen, denn sie hasste es an ihn erinnert zu werden. Normalerweise wäre jetzt das Gespräch beendet, aber Selene wusste, dass ein Thema noch zur Sprache kommen musste und selbst der Hass ihrer Mutter auf ihren verstorbenen Vater konnte sie nicht daran hindern es anzusprechen.
„Auch er hat nicht immer an alles gedacht, egal wie sehr er es dich glauben ließ.“, erklärte sie bissig, „Er war kein Gott, auch wenn er es wohl gerne gewesen wäre. Nur die Götter kontrollieren all unsere Geschicke und schicken uns von Zeit zu Zeit Prüfungen, um sich nicht zu langweilen.“, jetzt kommt es, „Hast du auch an die Seuche gedacht, die scheinbar in Rom wüten soll?“
Selene unterdrückte ein Lächeln. „Das ist doch nur ein Gerücht.“, entgegnete sie, obwohl ihr Blick ihre Verunsicherung bezeugte.
„Nein, kein Gerücht.“, erwiderte ihre Mutter mit einer gewissen Leidenschaft, „Ich habe gehört, dass die Menschen in Asien und Achaia wie die Fliegen umgefallen sein sollen, bevor die ersten Fälle auf der italienischen Halbinsel bekannt wurden.“ Du hast genau das gehört, was meine Spione dir sagen sollten, erinnerte sich Selene an den genauen Wortlaut, den sie ihnen eingebläut hatte. Auf ihrem Gesicht hingegen war nun deutlich Verunsicherung und auch leichte Angst zu sehen. „Was soll ich deiner Meinung nach tun?“, fragte sie entsprechend.
„Bleib hier.“, drängte Muriel, „Blass die Reise ab.“
„Das kann ich nicht tun.“, erwiderte Selene, leicht verzweifelt klingend, „Du weißt ich kann nicht. Zuviel hängt vom Erfolg dieser Reise ab. Vaters Geschäft hängt von dieser Reise ab.“
Die Großmutter ließ sich nicht beirren. „Vergiss deinen Vater und denk an deine-“
„Mater, bitte.“, unterbrach ihre Tochter sie und man konnte den Kloß in ihrem Hals heraushören, „Ich werde Vaters Vermächtnis nicht aufgeben.“, sie blickte in die Augen ihrer Mutter, mit flehenden Blick.
Am Ende seufzte die ältere Frau. „Nun gut, dann nimm zumindest Hippolyt mit.“, bot sie schlussendlich an, „Er wird schon mit seinen Fertigkeiten dafür sorgen, dass weder dir noch den Kindern etwas passiert. Und selbst du hast noch nie einen fähigeren Arzt im ganzen Imperium gesehen.“ Endlich…dachte sich Selene mit einer gewissen Zufriedenheit, während sie ihre Rolle weiterspielte: „Das würdest du tun?“, fragte sie mit hoffnungsvoller Stimme, „Ich weiß wie viel er dir bedeutet…“, weil du mit ihm Vater betrogen hast und jetzt immer noch sein Andenken besudelst …
„Papperlapapp.“, entgegnete die Großmutter und schien zufrieden, als hätte sie gerade das Spiel gewonnen, „Meine Enkelkinder sind mir wichtiger, vor allem wenn ich nicht da sein darf um sie zu beschützen.“
Selene ergriff die freie Hand ihrer Mutter mit beiden Händen. „Danke mater, danke.“, antwortete sie und war sogar in der Lage eine Träne der Freude herauszupressen.
„Nichts für ungut.“, erwiderte die Großmutter und lächelte zufrieden, als die beiden Frauen unterbrochen worden.
Selene blickte auf und bemerkte, dass Publius das Sparring unterbrochen hatte. Ein Sklave ihrer Mutter war im Atrium erschienen und verneigte sich nun. „Was gibt es?“, fragte Muriel.
„Domina.“, entgegnete der orientalisch aussehende Sklave, „Ein kleiner Mann und ein rüpelhafter Mann warten an der Eingangstür darauf hereingelassen zu werden.“
Auf den Gesichtern beider Frauen war zu sehen, dass sie wussten wer gemeint ist. „Dann lass sie…“, wollte Muriel bereits sagen, als ihre Tochter sie unterbrach.
„Das musst du nicht, mater.“, erklärte sie und erhob sich bereits, „Es ist bereits spät…“, sie blickte zum bewölkten Himmel auf, „…und es sieht nach Regen aus. Ich würde gerne mit Publius nach Hause zurückkehren um mich auf die Reise vorzubereiten.“
„Es sieht zwar eigentlich immer nach Regen aus, aber wenn du meinst.“, gab sich die Großmutter geschlagen, „Soll Hippolyt bei den Schiffen warten, oder zu deiner Villa kommen?“
„Er soll zu meiner Villa kommen.“, antwortete Selene, bevor sie sich herunterbeugte und ihrer kleinen Tochter zum Abschied auf die Stirn küsste. Hinterher befahl sie ihren Sohn sich ebenfalls zu verabschieden. „Er muss auch die Liste seiner Utensilien mitgeben, damit wir sie verstauen können.“, fügte sie hinzu, nachdem sie ihre Mutter zum Abschied umarmt hatte.
„Ich gebe es weiter.“, entgegnete die Großmutter aufstehend um ihrem Enkel auf Wiedersehen zu sagen, „Pass bloß auf dich auf da draußen.“
„Mit Hippolyt an meiner Seite, was sollte mir schon passieren?“, antwortete Selene zuversichtlich, ein Lächeln zeigend.
Draußen wartete Gaelus und Gisgo auf sie, genauso wie ihr Iberier, den die beiden mitgebracht haben – sie waren genau zu der Zeit gekommen, die Selene ihnen befohlen hatte.
Gisgo sah besser aus, als damals als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte: er trug nun auch eine blaue Tunika, die sauber war, und Sandalen, die bisher nicht einmal repariert werden mussten; die gefährlichste Veränderung war aber der Umstand, dass er sich rasiert hatte und auch seine Haare auf ein vernünftiges Maß heruntergestutzt hatte – mit seinen schwarzen Augen sah er jetzt fast schon wie ein Adonis aus. Darauf werde ich aufpassen müssen…dachte sich Selene und fragte: „Gibt es Neuigkeiten?“
Gisgo verschränkte seine muskulösen Arme und schnaubte verächtlich, während Gaelus den Sprecher mimte: „Gute, wenn nicht sogar bessere.“, erklärte der kleine Mann mit einem Grinsen im Gesicht.
Selene trat zu Gisgo. „Hilf mir auf.“, befahl sie und erwartete das er das tat.
Der Punier blickte sie leicht gereizt an, wissend, dass er in der Lage war ihr diesen Befehl zu verweigern. Er hatte keine Ketten mehr und andere Wachen waren auch nicht in der Nähe – diese Villa lag eigentlich soweit ab vom Schuss, dass er niemanden erkennen konnte. Für einen Moment war er versucht, aber nur für einen Moment.
„Natürlich, mea Astarte.“, erklärte er und half ihr auf das Pferd, bevor er den kleinen Jungen vor sie auf den Sattel setzte.
Die ersten Tropfen gingen darnieder, selbst wenn noch spärlich. Selene lenkte das Pferd in die Richtung, die sie nach Hause führen würde und die beiden Männer folgten ihr. „Ich hoffe es sind die Nachrichten, die ich hören möchte.“, erklärte sie, ihren Blick nicht vom Weg wegnehmend.
„Wie bereits gesagt, besser.“, erklärte Gaelus und schien seine Schadenfreude kaum verbergen zu können, „Die Zerstörung von Cornelius‘ Schiff…nun wir dachten, wir würden seinen Geschäften einen schweren Schlag versetzen, aber jetzt scheint es so zu sein, dass wir ihn sogar ruiniert haben.“
Selene blickte überrascht zur Seite. „Ruiniert?“, fragte sie ungläubig klingend, wobei auch ihr ein Lächeln über das Gesicht huschte, „Hat er etwa all sein Vermögen auf die Ladung gesetzt?“
„Es scheint so.“, erklärte der kleine Mann, „Ich hätte echt gewusst, was auf diesem Schiff war, dass es so wertvoll war, dass er gerade dabei ist, seine Villa zu verkaufen.“, sie blickte ihn fragend an, „Ja das genau tut er gerade.“, bestätigte er grinsend, bevor er seufzen musste, „Leider liegt die Ladung am Grund des Oceanus Britannicus.“
Selene konnte es immer noch nicht fassen. „Und ich dachte ich würde ihn nur für die nächsten drei Jahre aus dem Rennen schmeißen…“, sie blickte auf und sah, dass die Wolkendecke über der Stadt dunkler war. Während sie den Toren der Stadt näherkamen, fügte sie hinzu: „Aber wenn ich ihn für immer rausschmeiße, umso besser. Leider heißt das, dass ich neue Anweisungen an Nelius hinterlassen werden muss.“
Sie passierten das Tor, als ein junger Mann an sie herantrat – Gisgo reagierte instinktiv und hob den Arm so, dass er ihn am Näherkommen hinderte. „Wer bist du?“, fragte er, Hand am Griff seines Schwertes, aber Selene beantwortete es ihm auch schon, „Einer meiner Sklaven. Lass ihn gehen.“
Der Arm senkte sich und der Punier verschränkte beide Arme, den Sklaven missbilligend anstarrend. „Herrin, schreckliche Nachrichten.“, fing der Sklave an mit einer Stimme an zu sprechen, die darauf hindeutete, dass er hierher gerannt war, „Jemand…jemand…“, er keuchte.
„Nimm einen tiefen Atemzug und sprich.“, kommandierte Selene, ungeduldig klingend.
Das genau tat er. „Jemand ist in die Villa eingebrochen und hat euren hohen Gemahl in seiner Gewalt.“, brachte der Sklave hervor.
Ihre Augen rissen für einen Moment weit auf. „Habt ihr die Stadtwache alarmiert?“, fragte sie mit gehetzter Stimme. „Nein haben wir nicht.“, antwortete der Sklave, „Der Entführer hat gedroht den Herrn zu töten, wenn wir die Stadtwache alarmieren.“
Das verärgerte Selene sichtlich. „Du wirst jetzt auf der Stelle zum Fort rennen und meinen Bruder mit allen Männern holen, die er gerade zur Verfügung hast, hast du das verstanden?!“, schrie sie fast schon. „Aber der Herr…?!“, entwich es dem Sklaven.
„Wen interessiert der Herr!?“, erklärte sie wutentbrannt, „Was ist mit meiner Tochter?!“
Der Sklave fing an zu stammeln. „Ich…ich…weiß es nicht.“, gab er zu.
Nun wurde ihre Stimme eiskalt. „Wenn diese Leute meiner Tochter etwas zu Leide getan haben, nur weil du dich um diesen Idioten gesorgt hast, dann bete zu allen Göttern, dass sie dir gnädig gegenüber eingestellt sind – ich werde es jedenfalls nicht sein!“, und zusätzlich bellte sie noch, „Lauf!“
Mehr Motivation brauchte der Sklave nicht. „Gaelus, Gisgo, ihr kennt den Weg.“, erklärte sie und hob ihren Sohn vom Pferd und gab ihn in die Arme des Puniers, „Ich bin schneller.“ Kaum hatte sie das gesagt, gab sie ihrem Pferd die Sporen und galoppierte los.
Die Villa der Familie Avillius war eher bescheiden als protzig: zwei Stockwerke, ein Atrium und das Material war auch überall zu bekommen; keine besonderen Kunstwerke, keine Mosaike, keine Statuen – der einzige Grund, warum Selene diesen Bau trotzdem bevorzugte, war dessen Lage: nicht weit von hier lag das Fort, das Forum, das Amphitheater und auch der Hafen, womit man von hier überall zügig hinkommen konnte.
Die Dienerschaft stand vor der Eingangstür, die zu einem kleinen Vorhof führte. „Macht Platz!“, befahl Selene und verschaffte sich den nötigen Platz mithilfe ihres Pferdes. Dabei blickte sie in die verängstigten Gesichter der Sklaven und freien Diener. Sie sah sich diese an und entdeckte eines, was ihr am Herzen lag: ihre Tochter stand neben ihrer Amme. „Mamma!“, schrie das kleine Mädchen, das die Haare ihrer Mutter geerbt hatte, aber die helle Bräune ihres Vaters.
Schnell war Selene vom Pferd gestiegen, selbst ohne Hilfe und bei ihrer Tochter. „Lucia, geht es dir gut?“, fragte sie mit Sorge in der Stimme, sich zu ihrer Tochter hockend.
„Es geht mir gut, mamma.“, erklärte das kleine Mädchen, dessen Gesicht wie eine jüngere Variante ihrer Mutter aussah, „Arin hat mich weggebracht, als die bösen Männer kamen.“
Selene richtete sich auf der Stelle auf und blickte in die keltische Sklavin. „Wer sind diese Männer?“, fragte sie, sie verhörend, „Wie viele sind es?“
Die Amme schüttelte ihren Kopf. „Ich weiß es nicht, Domina.“, gab sie zu, „Aber sie tragen sonderbare Rüstungen. Schwarz und Silber – sowas hab ich noch nicht gesehen.“ Schwarz und Silber?, wunderte sich die junge Herrin und warf einen Blick auf die verschlossene Tür.
„Wo ist Nelius?“, fragte sie ohne den Blick von der Tür nehmend.
Die Sklavin schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht Herrin.“, erklärte sie, „Aber er war nicht im Haus, als sie kamen.“, Selene blickte sie an, „Aber eurer Gemahl war es.“
Die junge Frau wedelte mit ihrer Hand, als wenn sie eine lästige Fliege davon scheuchen wollte. Das Schicksal ihres Gatten interessierte Selene genauso viel wie das Schicksal eines zum Tode verurteilten in der Arena, aber…sie sind in mein Haus eingedrungen…dachte sie, während ein Inneres Feuer sich in ihr ausbreitete, Sie haben es gewagt, mein Eigen anzufassen und ich weiß nicht einmal wer sie sind?! Hab sie nicht kommen sehen?!! Wer sind diese Leute?!!!
Der Regen wurde stärker und zwang die Diener sich irgendwo unterzustellen, als die Tür sich plötzlich öffnete und ein Mann herauskam. Er sah aus wie römischer Legionär, nur trug er keine rote Kleidung sondern schwarze und selbst die Rüstung sah deutlich wertvoller aus, als Selene es von römischen Truppen gewohnt war. Sein Schild war auf dem Rücken und der Knauf des Gladius war mit einem Maskengesicht verziert, dass man von Theaterstücken kannte. Obendrein trug er selbst eine solche Maske über seinem Gesicht, aus einem silberglänzenden Material bestehend, so dass seine Stimme seltsam gedämpft klang: „Die Herrin des Hauses, wo seid ihr?“
Selene hatte eigentlich nicht vor sich zum Erkennen zu geben, aber die Dienerschaft tat das für sie: sie fingen alle auf der Stelle auf sie zu starren, so dass der Soldat nur ihren Blicken folgen musste. Loyalität UND Denkvermögen sind wohl zu viel verlangt…dachte sie sich und gab der Amme mit der Hand Anweisung zurückzutreten und Lucia mitzunehmen. Sie hingegen ging auf den Soldaten mit stolzer Körpersprache entgegen, während sie ihre wahren Gefühle wieder hinter einer Maske versteckte. „Wer will das wissen?“, fragte sie den Soldaten.
„Der Dux.“, entgegnete der Soldat und trat zur Seite, sodass sie die Tür passieren konnte, „Ihr müsst euch nicht sorgen, Herrin, er will euch nichts tun.“
„Sagt jeder der einem etwas antut.“, entgegnete sie kalt und fügte sich. Sich gegen solche Kraft zu wehren, wäre eh sinnlos gewesen. Sie durchschritt die Eingangstür und betrat den Vorhof, als der Regen noch stärker wurde – ein richtiger Wolkenbruch brach aus. Zwei weitere Soldaten in derselben Aufmachung standen neben der offenen Eingangstür zum Gebäude. Sie nickten nur und sie trat alleine hindurch.
Der Kamin brannte und schenkte dem Raum Wärme. Vor dem Feuer stand ein Mann, dessen Unterkleider aus einem weißen Stoff zu bestehen schienen, das Selene nicht auf Anhieb erkannte. Der Raum war eher spärlich möbliert, weil zu dieser Jahreszeit normalerweise die wichtigsten Dinge im Atrium besprochen wurden – zwei Sitze, ein Tisch und hier und da ein paar Teppiche. Auf einem von diesen lag ihr Ehemann: er lag auf dem Rücken sodass sein übergroßer Bauch, der kaum vom Gürtel gehalten werden konnte, nach oben ragte.
Sie trat zu ihm und stellte fest, dass er atmete. Wie schade…dachte sie sich und warf einen Blick auf den Mann am Kamin, der bislang kein Wort gesprochen hatte. Er spielt auch das Wartespiel…erkannte sie und trat zu dem Sitz, der ihr in diesem Raum gehörte, und setzte sich hin.
„Wenn sie Angst um ihr eigenes Wohlergehen haben…“, fing der Mann nun an zu sprechen und seine Stimme klang äußerst rauchig, „…keine Angst. Ich habe ihren Gatten nur zum Schweigen gebracht, weil mich seine Ahnungslosigkeit aufgeregt hat.“, nun drehte er seinen Kopf zu ihr um, „Wie kann ein Mann sieben Jahre lang mit seiner Frau verheiratet sein und gar nichts darüber wissen, was sie so treibt?“
Er hatte kurzes, ungepflegtes, weißes Haar und sein Gesicht war leicht schrumpelig. Eines seiner Augen war erblindet, aufgrund einer Narbe die sich von Wange zur Stirn zog, aber er behielt es trotzdem offen – vermutlich um sein Gegenüber mit der milchigen Farbe einzuschüchtern. Er trug einen Drei-Tage-Bart und sein Oberkörper wurde durch die silberne Rüstung eines Legaten geschützt – selbst wenn er offenkundig kein normaler Legionär war. Anstatt aber die schwarze Kleidung zu tragen, wie seine Männer, fand sich überall der weiße Stoff. Ist das Fell?, wunderte sich die Herrin des Hauses.
Daraufhin legte sie ihre Hände in ihrem Schoß zusammen. „Genauso wie ein Mann eine private Armee aufbauen kann, sie mit bester Ausrüstung versorgt und niemand weiß auch nur ein Sterbenswörtchen.“, beantwortete sie seine Frage.
Für einen Moment blickte er sie ungläubig an, dann grinste er. „Gute Antwort.“, erwiderte er und drehte sich nun vollends zu ihr um, „Ich muss gestehen, dass es mich überrascht hat, dass ihr diejenige seid, die Cornelius in den Ruin getrieben hat.“, er blickte auf die Fingernägel seiner rechten Hand, „Das widerspricht dem was mir…zugetragen worden ist.“
„Dann sind wir wohl beide überrascht worden.“, erklärte sie, nicht einen anderen Muskel des Gesichtes rührend, „Sie, dass eine Frau ihren Auftraggeber ruiniert hat und ich, weil ein Fremder mit seinen Männern in mein Haus gewaltsam eingedrungen ist.“, wobei sie den letzten Teil äußerst scharf formulierte.
Das schien den halbblinden Mann noch mehr zu amüsieren. „Mein Auftraggeber?“, fragte er den Blick senkend, „Nein, Cornelius arbeitet für mich…für den Orden.“, er blickte nun auf zu ihr, „Erlaubt mir mich vorzustellen: ich bin der Dux Septentrionis, auch wenn ich den Namen Albus Cervus bevorzuge. Ich diene dem Ordo biformis Dei.“
„Der weiße Hirsch?“, wunderte sie sich, „Das ist also die Erklärung für das Fell, aber nicht für das Eindringen hier.“, sie konnte hören, dass es draußen lauter wurde und so erhob sie sich, „Am besten wäre es, wenn ihr mit dieser Erklärung fortfahrt, bevor mein Bruder euch in Stücke reißt.“
Er blickte sie verwundert an, aber auch er hatte die erhöhte Lautstärke von draußen wahrgenommen. Einer seiner drei Soldaten kam herein und erklärte: „Dux, Soldaten der lokalen Kohorte marschieren gerade vor der Villa auf.“
Sein Blick verriet nicht was er dachte – zumindest bis er anfing zu kichern. „Dux?“, fragte der verwirrte Soldat, als sein Meister ihn bereits mit Handbewegungen wegscheuchte.
„Erklärt ihr mir den Witz, Hirschlein?“, fragte sie ihn, leicht herablassend klingend.
Er blickte sie amüsiert an. „Ich arbeite für den Ordo biformis Dei…“, wiederholte er sich, „…und ich hab ein Angebot, was sie nicht ablehnen können.“
Spoiler:(zum lesen bitte Text markieren)
Vokabelliste:
Mater = lat. für Mutter
Dominuculus = steht hier für die lateinische Version von ‚kleiner Herr, junger Herr‘
Asien = Provinz Asia, umfasst in etwa die Westküste der Türkei, einschließlich Pergamum und Ephesos
Achaia = Provinz Achaia, die das Kernland Griechenlands umfasst, einschließlich Athen und Korinth
Domina = lat. für Herrin
Oceanus Britannicus = lat. für Ärmelkanal
Dux Septenrionis = lat. für Führer/Meister des Nordens
Ordo biformis Dei = lat. für Orden des zweigesichtigen Gottes
Selene sprang in den Schnee. Glücklicherweise verspürte sie die Kälte nicht, da sie calcea und udones trug, während sie ihre Beine mit Fascia abgebunden hatte. Nur ihre Stola wurde bei dem knöcheltiefen Schnee feucht.
Sie atmete laut ein und aus, wodurch sie ihren weißen Atem sehen konnte. Sie zog ihre paenula aus Wolle und ihre sagum aus Wolfsfell enger, während sie langsam durch den Schnee stampfte. Die Pyrenäen ragten zu ihrer rechten auf, wie schon seit sie Tolosa verlassen haben. Trotz der Kälte war glücklicherweise ein größerer Schneefall noch ausgeblieben, obwohl die Gipfel mit jedem Tag, den sie auf dem Weg verbracht haben, weißer und weißer geworden sind.
Sie blieb stehen und atmete noch einmal mit ihrer Nase auf. Es waren vier Gestalten am Leben geblieben. Sie alle knieten nun im Schnee, Arme im Schoß und die Köpfe gesenkt, teilweise laut atmend. Selene blickte sich die Leichen ihrer Freunde an, die überall um sie herum den Schnee rotfärbten.
Ein Mann in einer Zenturionenkluft – nur ohne einen auffälligen Helm und mit entsprechender Anpassung an die Kälte – trat an sie heran. „Haben wir Verluste gehabt, Zenturio?“, fragte die junge Frau, ihren Blick wieder auf die drei Überlebenden werfend, in dessen Rücken jeweils ein Soldat bereitstand, mit gezogener Klinge.
Der Zenturio schüttelte seinen Kopf. „Nur zwei Leichtverletzte, Domina.“, erklärte der bärtige Mann, „Die Späher haben uns rechtzeitig gewarnt, ansonsten hätte der Hinterhalt hässlich werden können.“
Sie nickte zufrieden. „Wie viele haben sie verloren?“, und sie wies mit dem Kopf auf die vier Gestalten.
„Meine Männer haben ein halbes dutzend Leichen gezählt, Herrin.“, entgegnete der Zenturio, „Nicht mitgezählt diejenigen die geflohen sind. Vermutlich waren es drei Mal so viele.“
„Werden sie weiterhin eine Gefahr darstellen?“, ihr Blick ruhte nun auf dem bärtigen Mann.
„Vermutlich.“, entgegnete der Zenturio zurückhaltend, „Aber dieses Mal sind wir vorbereitet. Und sie haben Verwundete und fast ein Dutzend weniger Kämpfer. Wenn wir schnell genug aus diesem Schnee entkommen, sollten sie nicht mal dazu kommen uns anzugreifen.“
„Die Späher sollen trotzdem ihre Augen offenhalten. Bei Briganten kann man nie wissen.“, entgegnete Selene und der Mann nickte, bevor sie eine weitere Frage stellte, „Und wie hat er sich gemacht?“, und wies mit ihrem Kopf zu einem Reiter unweit ihrer Position.
Es war Gisgo. Er trug über seiner Winterkleidung zusätzlich eine Lederweste und ebenfalls einen Wolfssagum. Auf seinem Rücken lag ein Parma-Schild und in seiner Hand hielt er eine blutige Lanze, während in der Scheide ein Spatha-Schwert bereitstand, anstatt eines Gladius. Er hatte sich seine Haare und Bart wieder wachsen lassen, auch wenn sie noch weit davon entfernt waren so lang zu sein, wie als sie ihn kennengelernt hatte.
Der Zenturio sah mürrisch zu ihm rüber. „Er hat sich besser geschlagen, als ich vermutet habe.“, gab er fast schon Zähneknirschend zu, „Er versteht sein Handwerk.“
Selene blickte den Soldaten mit einem Lächeln an. „Darum ist er hier.“, sagte sie und ging dann zu den drei Überlebenden, um sie sich einzeln anzuschauen.
Alle von ihnen trugen irgendwelche Fellmäntel und Kapuzen aus irgendwelchen Tieren. Als die junge Römerin an sie herantrat, griffen die Soldaten hinter ihnen ihre Köpfe und zogen sie zurück, so dass Selene einen guten Blick auf ihre Gesichter werfen konnte, einer nach dem anderen.
Der erste war ein älterer Mann, mit silbernen Haar und ein paar Wunden im Gesicht – er stank obendrein fürchterlich nach Schwein, weswegen Selene sich die Nase zuhielt. Die zweite Person war jünger, dafür stärker behaart und blickte sie wütend an. Zu hässlich…dachte sie sich, als sie seine Gesichtszüge versuchte zu erkennen.
Die dritte Person hatte ihren Kopf tief in einer Fellmütze versteckt, weswegen der Soldat sie runtereißen musste. Feuerrotes, langes Haar kam zum Vorschein. Eine Frau…dachte Selene als sie das Gesicht begutachtete, das wütend zum Soldaten blickte, Nein, zu unschuldig…ein Mädchen. Die Herrin nahm ihre Hand, in die paenula gewickelt und legte sie unter das Kinn der Rothaarigen. Jung und schön, dachte sich Selene, als sie den Kopf hob um ihr Gesicht genauer betrachten zu können, Und so ein einladender Mund…warum läuft solch eine Schönheit mit Briganten umher? Ich hätte eine viel bessere Verwendung für so einen hübschen Mund, wobei sie die letzten Gedanken mit einem Lächeln beschloss.
Der letzte der vier sah jünger aus, ebenfalls mit roten Haaren und sogar recht kurz – er sah sogar noch jünger aus als das Mädchen. Auch spross noch kein Bart auf seinem Gesicht. Er war auch der einzige, der ihr keinen trotzigen Blick zuwarf, sondern eher einen ängstlichen.
Selene bemerkte beiläufig, dass die rothaarige Frau ihm einen besorgten Blick zuwarf, auch wenn nur für einen Moment. Das weckte Selenes Neugier und sie hielt seinen Kopf genauso hoch wie ihren. Eine gewisse Ähnlichkeit ist unbestreitbar…dachte sie sich, als sie den Kopf losließ und zurücktrat.
Sie blickte die vier noch einmal für eine kurze Weile an, aber dann wehte ein kalter Wind und es fröstelte sie. „Zenturio.“, erregte sie die Aufmerksamkeit des Hauptmanns, „Lasst die zwei Verletzten verarzten und sie vorerst in einem Wagen mitfahren.“, der Hauptmann nickte, „Was diese Vier hier anbetrifft: Tötet die Zwei links, macht es schnell und schmerzlos, und lasst ihre Leichen den Wölfen, wie die anderen Toten. Das Mädchen und der Junge sollen angekettet werden und in den hinteren Wagen gesteckt werden.“, sie zitterte noch einmal, „Sie sollen nicht angefasst werden.“ Kaum hatte sie das gesagt, drehte sie sich auch schon um.
„Ja, Domina.“, antwortete der Zenturio und gab seinen Männern die entsprechenden Befehle. Die ersten beiden Männer flehten noch um Gnade, während sich die anderen beiden ängstlich anschauten. Dann wurden die ersten Beiden still und die beiden anderen schrieen auf, wobei die Rothaarige den Jungen ergriff und umarmte, versuchend ihm den Blick zu versperren. Sie wimmerten noch, als sie zu den Wagen geführt wurden um angekettet zu werden.
Die Karawane ihrer Gruppe bestand aus fünf raedas, die meisten von ihnen mit Gütern und Proviant bepackt. Zusätzlich dazu gab es noch 10 Reiter – von denen vier als Späher arbeiteten und deswegen aktuell nicht da waren – 10 Fahrer, zwei für jeden Wagen, 30 Soldaten angeführt von ihrem Zenturio – zehn vorne, zehn an den Seiten und zehn hinten - Gisgo auf seinem Pferd und Selenes weißer Iberier, der an die mittlere raeda gebunden war, zu der Selene nun stampfte.
Gaelus stand vor der Eingangstür, die sich auf der rechten Seite befand und half ihr hoch, bevor er ihr folgte. Der Innenraum war kuschelig: eine Bank zog sich um die ganze Wand und ließ nur die Tür unberührt; unter der Bank waren Sachen versteckt, wie auch die große eiserne Truhe, wo die Finanzen drin eingeschlossen waren; auf der Holzbank waren auch Felle ausgelegt und an einer Stelle fand sich sogar ein Kissen; ebenfalls dienten scheinbar zwei kleinere, gestapelte Kisten als eine Art Tisch, denn zwei Kodizes waren oben drauf gelegt worden.
Selene setzte sich in die Nähe des Kissens, während Gaelus die Tür schloss – da nun auch die Tür verschlossen war, wurde es deutlich wärmer, auch wenn nicht warm genug um auf die Mäntel zu verzichten, die auch der kleine Mann trug. Selene lehnte sich zurück, während er zu einer Stelle ging, von wo er sitzend an einem der Kodizes schreiben konnte.
„Diese Kälte ist einfach unerträglich.“, murrte die junge Frau verärgert, „Ich dachte im Süden wäre es wärmer.“
„In der Nähe von Bergen ist es immer kalt.“, entgegnete der kleine Mann, sich auf den Kodex konzentrierend, in den er gerade etwas schrieb, „Meistens im Winter. Vermutlich sollten wir morgen die Schneephase passiert haben, Lucia.“
„Bis morgen ist noch lange hin.“, schnaubte sie, aber seufzte hinterher sogar recht zufrieden, „Immerhin hab ich ein neues Spielzeug gefunden.“
„Die Kleine oder der Kleine?“, fragte Gaelus ohne aufzublicken.
„Der Kleine ist dazu da die Kleine unter Kontrolle zu halten.“, erklärte Selene, ihren Hals reckend, „Ich glaube sie sind verwandt. Schwester und Bruder oder Cousins…Irgendeine Verwandtschaft jedenfalls oder eine Bindung, die dafür sorgen wird, dass sie sein Leben nicht aufs Spiel setzen wird, indem sie sich rebellisch verhält.“
„Hast du vor sie irgendwann zu verkaufen?“, fragte er und blickte kurz auf.
Sie dachte darüber nach. „Wenn, dann nicht sofort.“, erklärte sie ihre Worte überlegend, „In Afrika sind Rothaarige wertvoller.“
„Verstehe.“, erwiderte Gaelus und stutzte beim Schreiben, „Wie viel Hektar waren das nochmal, die du in Burdigala erstanden hast?“
Sie brauchte einen Moment um sich zu erinnern. „Zwölf.“, antwortete sie schlussendlich, „Eine deutlich bessere Ausbeute als in Lutetia.“
„Wenn man vor einer Seuche davonläuft, hat man auch nicht groß Zeit um sich umzuschauen.“, erinnerte er sie, während er es niederschrieb, „Wer hätte gedacht, dass etwas an diesen Gerüchten wahr ist?“, wobei er leicht sarkastisch klang.
„Erinner mich bloß nicht daran.“, schnaubte die junge Frau, „Ich hoffe die Seuche nimmt sich vor allem die Handelspartner meiner Konkurrenz vor – ich hab sowas von keine Lust dort von Null anzufangen. Erinnerst du dich wie Vater über diese Leute da geschimpft hat?“
„Die größten Knauser, die er je gesehen hat, waren glaube ich seine exakten Worte.“, erklärte der kleine Mann und musste schmunzeln, „Immer am Horten, immer am Meckern und immer die Nase soweit oben, dass sie die Scheiße nicht sehen konnten, in die sie hineintreten.“
Darüber musste sie kichern. „Ja, ich hoff einige von denen werden von dieser verdammten Seuche erwischt.“, erklärte sie mit Ernsthaftigkeit in ihrer Stimme, „Wenn es jemand verdient hat die Strafe der Götter zu erhalten, dann sind es die Knauser, die sich als ‚zu vornehm‘ empfanden, um mit Vater Geschäfte zu machen.“
„Dann hoffen wir mal, dass die Götter deine Gebete erhören, Lucia.“, erwiderte Gaelus, schrieb den letzen Buchstaben nieder und schloss den Kodex hinterher, nur um ihn mit einem Verschluss zu versiegeln. Er warf ihr einen Blick zu, bevor er vorsichtig anfing: „Wir werden bald in Narbo sein.“
„Das zumindest verspricht die Landkarte.“, entgegnete sie giftig klingend, „Aber für meinen Geschmack dauert die Reise bereits zu lang.“
Er blickte sie weiterhin an. „Werden wir endlich darüber reden, was in deiner Villa passiert ist, oder bleibt dieses unangenehme Schweigen bestehen?“, fragte er sie schlussendlich direkt.
Sie warf ihm einen verärgerten Blick zu. „Du kennst die Fakten.“, entgegnete sie nur, wegschauend.
„Die Fakten reichen aber nicht aus um zu verstehen, warum du das getan hast.“, entgegnete Gaelus, „Warum hast du das Angebot angenommen? Wenn das stimmt, was du mir über diesen Cervus oder Dux oder wie auch immer er sich nennen mag, gesagt hast, kann man ihm nicht vertrauen.“
„Ich vertraue ihm nicht!“, entgegnete Selene eine Spur zu laut, „Er ist in mein Haus eingedrungen! Mit Soldaten und Waffengewalt! Er hat meine Familie bedroht, meinen Besitz, meine und Vaters Verdienste! Niemand tut das ungestraft! Niemand! …Niemand.“, wobei der letzte Teil so eisig kalt klang, dass selbst Gaelus der Schauer den Rücken runterlief.
Desto trotz blickte der kleine Mann sie zunächst eindringlich an, als würde er nach etwas im Gesicht suchen. Am Ende lächelte er. „Und ich dachte er hat dich eingelullt.“, entgegnete er erleichtert, „Du hast eine Schwäche für starke Männer. Also werden wir ihn beseitigen?“
„Irgendwann.“, entgegnete sie schnaubend, „Wenn die Zeit reif ist.“
„Wann wird das sein?“, fragte Gaelus und dieses Mal schwang Neugierde und nicht Verurteilung in der Stimme mit.
„Wir wissen zu wenig.“, begann die junge Frau, nachdenklich dreinblickend, „Über Cervus und den Orden. Und dieses Angebot…wenn mir jemand dieses Angebot unter meinen Bedingungen offeriert hätte, hätte ich es wohl auch akzeptiert.“
„Ist es so gut?“, fragte der Zwerg skeptisch klingend, „Eine Liste von Namen für 10% unserer Monatseinkünfte? Waren die Namen das wirklich wert?“
Sie blickte ihn ernst an. „Das wir in Lutetia überhaupt irgendetwas erreicht haben, liegt ausschließlich an diesen Namen.“, erklärte sie und überraschte den kleinen Mann, „Der Orden ist mächtig, wenn er in der Lage ist solche Angebote an einfache Mitglieder zu vergeben…Da wird einem richtig schwindelig, wenn man darüber nachdenkt, was wohl den höherrangigen Mitgliedern angeboten wird…“, sie schwieg einige Momente lang, gedankenversunken, „Mit dem Netzwerk des Ordens könnte diese Reise weitaus profitabler werden, als ich angenommen habe…“
Dies gefiel dem kleinen Mann offenkundig nicht. „Du musst aufpassen, dass du nicht abhängig von ihnen wirst…“, warnte er.
Sie blickte ihn an. „Der Orden mag denken, dass ich nur eine Sprosse auf ihrer Leiter zur Herrschaft bin, aber…“, fing sie an zu erklären, „…es ist das genaue Gegenteil. Der Orden wird meine Leiter sein nach ganz oben zu kommen.“
„Poetisch formuliert.“, entgegnete Gaelus, ohne Spott in der Stimme, „Wie willst du die Informationen über den Orden beschaffen, die für dieses Spiel von Nöten sind?“, fügte er, nachdenklich klingend, hinzu.
„Indem ich ihr Spiel mitspiele, natürlich.“, erklärte Selene, bevor sie einen tiefen Atemzug tat, „Wenn sie denken, dass ich ein gefügiges Mitglied ihrer Organisation bin, werden sie mir mehr zukommen lassen. Und je mehr sie das tun, desto mehr werden wir wissen.“
„Du willst also mal wieder die Unschuld vom Lande spielen?“, fragte der Zwerg, grinsend, „Hast du damals damit nicht sogar deinen Vater hinters Licht führen können?“
„Er hat nie die Wahrheit gemerkt.“, erwiderte Selene stolz, „Ihn zu täuschen war eine Kunst. Aber trotzdem wird das nicht reichen. Wenn wir in Narbo sind, treffen wir wieder auf Cervus – dies wird der Weg sein um die ersten Stichproben über den Orden zu sammeln. Wir werden weitere Angriffspunkte finden müssen.“
„Ich stehe zu deinen Diensten.“, erwiderte Gaelus entschlossen, „Ich werde jedes falsche Lächeln, jede Lüge, jedes Honig ums Maul schmieren, alles in meinem Repertoire nutzen um dir dabei zu helfen.“
Ein warmes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. „Ich weiß.“, erwiderte sie.
"Was soll das heißen, niemand will etwas gesehen haben?" herrschte Lati seinen Freund an. "Irgendjemand muss etwas wissen! Jeder hat doch irgendwo seine Augen und Ohren....."
"Vielleicht hast du mich nicht verstanden Lati." antwortete sein Freund Blaze. "Ich will dir sagen: Vergiss diese Sache."
Empört blickte Lati in das Gesicht des Diebes. "Du weißt genau dass ich das nicht tun kann. Ich bin es Shahin schuldig. Der Mord an ihm darf nicht ungesühnt bleiben."
"Du weißt nicht was du redest." sagte Blaze seufzend. "Um ehrlich zu sein weiß keiner es genau....nur dass niemand, der derlei Leuten nachstellt, ein gutes Ende nimmt. Der Schuss wurde präzise durch euer Fenster abgegeben. Von einem mindestens 4 Kasaba entferntem Dach. Und das Gift.....lass es mich so formulieren: Kein Alchemist in der Stadt kann sich einen Reim darauf machen."
"Darauf folgt?" knurrte Lati. "Das waren keine einfachen Ganoven. Es waren Meister im Leben nehmen. Und seien wir mal ehrlich." Spaßhaft schlug der Dunkelhäutige Lati gegen die Schulter. "Du warst nie der Kämpfertyp. Damals und heute nicht. Also begrabe deine Pläne. Betrauere Shahin...führe euer Handwerk in seinem Namen weiter....aber wirf nicht dein Leben für eine irrsinnige Sache weg."
Was sein Freund sagte ergab Sinn. Einige Momente kam er tatsächlich ins Grübeln. Doch dann schloss er mit bitterem Gesichtsausdruck die Augen und schüttelte den Kopf. "Nein Blaze....ich kann nicht."
"Nun, einen Versuch war es wenigstens wert." antwortete dieser mit einem gequälten Lächeln. "Also....sag schon......was wäre der nächste logische Schritt?"
Sein Freund sah sich einige Male nach rechts und links um. Dann begann er zu erzählen, in bedrohlich flüsterndem Tone. "Direkt gesehen hat den Meuchelmörder niemand....wie schon gesagt, es muss ein Meister gewesen sein, auch im verborgen bleiben. Allerdings gibt es eine Spur: Im Hafenverzeichniss war am selben Tag von Shahin's Ableben die Ankunft eines Schiffes aus Alexandria vermerkt."
"Aus Alexandria kommen täglich Handelsschiffe!" warf Lati ungeduldig ein.
"Lass mich doch zu Ende reden Freund. Es war kein Handelsschiff. Es war ein kleines Boot. Es ist keine Fracht vermerkt worden. Und was noch seltsamer ist: Es ist noch am selben Tag in die gleiche Richtung wieder aufgebrochen." Das war in der Tat ungewöhnlich. Sämtliche Schiffe die nach Baranis kamen blieben im Regelfall mindestens 2 Nächte. Die Anlege-Taxe war viel zu hoch um nur für einen kurzen Besuch sein Schiff im Hafen zu lassen. Lati legte seinem Freund beide Hände auf die Schultern. "Gesegnet sollst du sein Blaze!" Dieser schüttelte nur lächelnd den Kopf. "Danke mir nicht voreilig mein Freund. Wirst du die Stadt nun verlassen?"
Ein wenig reumütig ließ Lateef den Blick über das Treiben schweigen. "Ich muss. Wenn der Mörder meines Meisters wirklich in Alexandria ist, dann muss ich dorthin. Aber ich hoffe.....nein, ich weiß wir sehen uns wieder." "Mögen die Götter deine Wege leiten." Die beiden Männer umarmten sich kurz, dann machte Lati sich auf den Weg.
***
"As-salamu aleikum sadik! Führt euch euer Weg nach Alexandria?" Er hatte sich einige Zeit durchfragen müssen, ehe er fündig geworden war. Leider legte in Kürze kein weiteres Schiff in Richtung Alexandria ab. Also musste er die nächstbeste Alternative nehmen. "Wa aleikum as-Salam. Ja sayid, das ist mein Ziel. Hier werde ich nichts mehr von meinen Gewürzen verkaufen können. Meine Karawane ist bereits außerhalb der Stadt und wartet auf mich, dann reisen wir ab. In Alexandria werde ich ebenfalls nur einen kleinen Teil meiner Waren verkaufen, ich will dort ein Schiff entleihen um nach Ostia zu kommen. Wieso fragt ihr?" Der dunkelhaarige Händler beäugte ihn. "Ich möchte Euch begleiten, wenn es keinen Umstand macht. Ich habe Geld, aber vielleicht habt ihr auch Verwendung für einen Übersetzer auf eurer Reise? " Nachdenklich zwirbelte der Händler seinen Bart. "Das wäre in der Tat eine große Hilfe sayid."
"Oh bitte mein Herr, mein Name ist bloß Lateef."
"Ihr könnt mich Mutarrif nennen mein Junge. Darf ich fragen was euch nach Alexandria führt?" Lati machte einen unangenehm berührten Gesichtsausdruck. Der Händler lenkte sofort wieder ein. "Schon gut, ihr müsst es nicht sagen wenn es euch Unbehagen bereitet. Gerne dürft ihr uns begleiten. Aber es wird eine lange Reise. Wir sind sicherlich 3 Wochen unterwegs."
Das war wahrlich lange. Aber eine andere Wahl hatte er nicht. Es blieb wirklich zu hoffen dass die Spur bis dahin nicht erkaltete. "In Ordnung....ich packe noch schnell das wenige zusammen was ich mit mir nehmen möchte...."
Der Vollmond stand bereits hoch am Sternenhimmel. In der Ferne konnte man einige Gebäude der Stadt, vor allem aber die zahlreichen Felder erkennen, welche um sie herum angebaut waren. Vor über 400 Jahren war die griechische Kolonie Ptolemais hier gegründet worden und erfreute sich immer noch einer ordentlichen Bevölkerung und halbwegs florierendem Handel. Die Männer, welche in die Stadt geschickt worden waren um die Vorräte der Karawane aufzufrischen, waren mittlerweile wieder zurückgekehrt. Die Feuer waren bereits entfacht und die meisten Händler saßen um sie herum, brieten sich etwas darüber oder tranken, wobei sich ausgiebig unterhalten wurde. Lateef verstand immer noch nicht, wieso sie außerhalb lagerten anstatt in der Stadt selbst zu rasten, aber er stellte es nicht weiter in Frage. Sie waren nun schon etwas über 10 Tage unterwegs und hatten beinahe die Hälfte des Weges hinter sich. Die Reise war bislang äußerst ruhig verlaufen. Beinahe schon zu ruhig. Bislang hatte es für ihn und sein Sprachtalent noch keine Verwendung gebraucht. Andererseits hatte er so mehr Zeit gehabt zum Nachdenken. "Was ist los, keinen Hunger?" Er fuhr ein wenig zusammen, drehte sich um und sah dann wer ihn angesprochen hatte. "Abasi......richtig? Nein, habt Dank, gerade nicht." Vor 2 Tagen hatte der Getreidehändler ihn das erste Mal angesprochen. Er hatte sich sehr für seine Sprachfertigkeiten und den Grund für seine Reise interessiert. Allerdings war das Gespräch recht kurz ausgefallen. "Dann nehmt wenigstens einen Schluck." Mit einem aufmunterndem Blick hielt der braungebrannte Mann ihm eine Amphore hin, welche offensichtlich Wein enthielt. "Nun...also gut." Sie würden noch eine Weile unterwegs sein. Wieso also nicht neue Bekanntschaften schließen?
***
"Also habt ihr niemanden der in Alexandria, oder anderswo, auf euch wartet?" "Nein....ich hatte noch nie das Bedürfnis nach einer derartigen Bindung." "Äußerst ungewöhnlich, mein Freund. Andererseits, wer bin ich schon, das zu beurteilen?" Abasi nahm einen Schluck. "Ich hoffe wirklich dass meine Chione und ich bald Eltern werden. Zu irgendeinem Anlass muss dieses ganze Geld ja ausgegeben werden." Er hatte ihm von Marcus erzählt, dem Großhändler, für den er arbeitete. Diese Lieferung war offenbar besonders wichtig für ihn. "Aber nun erzählt doch einmal. Was verschlägt einen Jungen wie euch auf eine solch weite Reise? Gibt es für jemandem mit eurem Talent nicht genug Betätigung in Baranis?" "Doch....aber ich habe eine Aufgabe zu erfüllen. Jemand der mir sehr nahe stand ist kürzlich...aus dem Leben geschieden." "Das bedaure ich sehr. Hoffentlich sind ihm die Götter im nächsten Leben gnädig. Und ihr glaubt in Alexandria findet ihr was ihr sucht?" Lateef's Blick verfinsterte sich ein wenig. "Ich weiß noch nicht genau was ich dort finden werde.....und wie genau ich es finden soll.....aber ich werde in jedem Fall dafür sorgen....dass ihm Gerechtigkeit widerfahren wird." Der Händler sagte nichts mehr und beobachtete ihn umso interessierter.
Der Vollmond stand bereits hoch am Sternenhimmel. In der Ferne konnte man einige Gebäude der Stadt, vor allem aber die zahlreichen Felder erkennen, welche um sie herum angebaut waren. Vor über 400 Jahren war die griechische Kolonie Ptolemais hier gegründet worden und erfreute sich immer noch einer ordentlichen Bevölkerung und halbwegs florierendem Handel. Die Männer, welche in die Stadt geschickt worden waren um die Vorräte der Karawane aufzufrischen, waren mittlerweile wieder zurückgekehrt. Die Feuer waren bereits entfacht und die meisten Händler saßen um sie herum, brieten sich etwas darüber oder tranken, wobei sich ausgiebig unterhalten wurde. Lateef verstand immer noch nicht, wieso sie außerhalb lagerten anstatt in der Stadt selbst zu rasten, aber er stellte es nicht weiter in Frage. Sie waren nun schon etwas über 10 Tage unterwegs und hatten beinahe die Hälfte des Weges hinter sich. Die Reise war bislang äußerst ruhig verlaufen. Beinahe schon zu ruhig. Bislang hatte es für ihn und sein Sprachtalent noch keine Verwendung gebraucht. Andererseits hatte er so mehr Zeit gehabt zum Nachdenken. "Was ist los, keinen Hunger?" Er fuhr ein wenig zusammen, drehte sich um und sah dann wer ihn angesprochen hatte. "Abasi......richtig? Nein, habt Dank, gerade nicht." Vor 2 Tagen hatte der Getreidehändler ihn das erste Mal angesprochen. Er hatte sich sehr für seine Sprachfertigkeiten und den Grund für seine Reise interessiert. Allerdings war das Gespräch recht kurz ausgefallen. "Dann nehmt wenigstens einen Schluck." Mit einem aufmunterndem Blick hielt der braungebrannte Mann ihm eine Amphore hin, welche offensichtlich Wein enthielt. "Nun...also gut." Sie würden noch eine Weile unterwegs sein. Wieso also nicht neue Bekanntschaften schließen?
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"Also habt ihr niemanden der in Alexandria, oder anderswo, auf euch wartet?" "Nein....ich hatte noch nie das Bedürfnis nach einer derartigen Bindung." "Äußerst ungewöhnlich, mein Freund. Andererseits, wer bin ich schon, das zu beurteilen?" Abasi nahm einen Schluck. "Ich hoffe wirklich dass meine Chione und ich bald Eltern werden. Zu irgendeinem Anlass muss dieses ganze Geld ja ausgegeben werden." Er hatte ihm von Marcus erzählt, dem Großhändler, für den er arbeitete. Diese Lieferung war offenbar besonders wichtig für ihn. "Aber nun erzählt doch einmal. Was verschlägt einen Jungen wie euch auf eine solch weite Reise? Gibt es für jemandem mit eurem Talent nicht genug Betätigung in Baranis?" "Doch....aber ich habe eine Aufgabe zu erfüllen. Jemand der mir sehr nahe stand ist kürzlich...aus dem Leben geschieden." "Das bedaure ich sehr. Hoffentlich sind ihm die Götter im nächsten Leben gnädig. Und ihr glaubt in Alexandria findet ihr was ihr sucht?" Lateef's Blick verfinsterte sich ein wenig. "Ich weiß noch nicht genau was ich dort finden werde.....und wie genau ich es finden soll.....aber ich werde in jedem Fall dafür sorgen....dass ihm Gerechtigkeit widerfahren wird." Der Händler sagte nichts mehr und beobachtete ihn umso interessierter.
Direkt vor den Mauern der Stadt Alexandria, in der Nähe des Südtores um genau zu sein, befanden sich zahlreiche Stallungen und Unterstände. Mehrere Gebäude fanden sich dort, viele Schenken und Gaststätten. Hier konnten Reisende aus Unterägypten und dem Umland unterkommen, für den Fall das die Stadt für sie zu teuer war, oder sie einfach zu einer Tageszeit ankamen wo die Tore geschlossen waren. Gleichzeitig war es auch als Umschlagsplatz für die Karawanen gedacht, denn die zahlreichen Kamele hätten innerhalb der Stadt nur zu Chaos auf den ohnehin überfüllten Straßen geführt. Zahlreichere kleinere Packtiere, Karren und Träger standen bereit die zahlreichen Waren aus dem Süden abzutransportieren. Ob es nun Getreide aus dem Nildelta , oder Waren von jenseits des sinus arabicus waren, Alexandria war der Umschlagplatz für Handelswaren aus ganz Ägypten. Auch Neferu war an diesem Tage vor den Mauern der Stadt unterwegs, hatte ihr doch Silos zugetragen das die Karawane am gestrigen Abend Alexandria erreicht hatte. Der ehemalige Sklave wie auch Hent begleiteten ihre Herrin. Die Nubierin trug einen Wasserkrug für die Gruppe mit sich, auf den Sonnenschirm hatte Neferu verzichtet. Stattdessen trug sie ein schlichtes weißes Gewand, mit einem gelben Tuch verziert und hatte sich aus einem weißen Stoffstreifen noch eine Art Kapuze gemacht um sich vor der Sonne zu schützen.
Angekommen sahen sie kurz dem geschäftigen Treiben zu, Hent betrachtete neugierig die zahlreichen Waren welche man von Kamelen ablud. Neferu hatte eher einen Blick auf die Händler als deren Tiere. Dann ergriff Silos leise das Wort: "Dort domina, dass ist der Händler von dem ich gehört habe. Mutarrif war sein Name, ein Araber der mit Zimt aus Muziris und Gewürzen handelt. Meine Quellen berichten mir das er nach Ostia will." "Und er hat noch kein Schiff?"
"Nein, er hat noch keine Kontakte in der Stadt, auf jedenfall soweit mir bekannt ist.", erklärte Silos nachdenklich aber recht sicher wirkend. Die Ägypterin schaute sich Mutarrif an, ein kleiner dunkelhaariger Mann mit einem gepflegten Bart. Aufmerksam beaufsichtigte er die Träger wie sie seine kostbare Ware abluden und rief den Kameltreibern etwas auf arabisch zu.
"Und seht, ist das dort hinten nicht einer von Marcus Leuten? Ein Getreideeinkäufer, Abasi war sein Name ich habe ihn schon mal auf dem Kornmarkt mit ihm gesehen.", raunte Silos seiner Herrin zu und beide warfen den Blick zu dem Mann der etwas entfernt bei Kamelen voller Getreide stand. Neferu nickte Silos zu, das war er tatsächlich. Nun vielleicht konnte sie anschließend auch noch mit ihm ins Geschäft kommen, aber zuerst wollte sie mit dem Araber sprechen.
Entschlossen ging Neferun auf ihm zu und zog die Kapuze etwas zurück damit sie nicht ihr Gesicht verbarg. Wer handelte schon gerne mit jemand Vermummten?
"Isis zum Gruße mein Herr. Seid ihr der Händler Mutarrif von dessen Kommen schon ganz Unterägypten spricht?", sprach sie äußerst freundlich in ägyptisch, mit einem bezaubernden Lächeln auf ihren Lippen.
Als er seinen Namen hörte drehte sich der Kaufmann neugierig zu ihr um und musterte sie neugierig. Als er der jungen Frau gewahr wurde, schenkte er ihr ebenfalls ein Lächeln. Er trug Gewänder in ausgefallenen Farben, von denen Neferu vermutete das diese auch in Indien erworben hatte. Höflich verbeugte er sich kurz vor ihr.
"Salam aleikum, meine Dame. Ihr sprecht wahr, mein Name ist Mutarrif. Wie kann ich einer Schönheit wie euch behilflich sein?", erkundigte er sich höflich.
Allerdings war sein Ägyptisch nicht besonders gut, neben einem Dialekt der in Unterägypten verbreitet war, hatte er auch einen starken arabischen Akzent. Die Ägypterin hatte Mühe ihn zu verstehen, bezweifelte jedoch das er hochgriechisch oder Latein konnte. Aramäisch würde wohl auch nicht helfen, dies wurde hautpsächlich von Juden und den Bewohnern Palästinas gesprochen. Sie beschloss weiter zu reden, vielleicht konnte er ihr ägyptisch ja besser verstehen als sie seines.
"Geschäfte führen mich zu euch, welche die uns beiden helfen könnten. Mein Name ist Neferu, ich bin eine Händlerin hier in Alexandria. Ich hörte ihr seid zum ersten Mal in Alexandria?", sprach sie bewusst langsam und unterstrich ihre Worte mit Gesten. Mutarrif lächelte sie weiter an, jedoch zeigte sein fragender Blick das er wohl nicht alles verstanden hatte. Seine Augen huschten kurz nach links und rechts, als würde er jemanden suchen. Auch Neferu schaute etwas hilfesuchend zu Silos und Hent, dann in die Karawane. Vielleicht hatte der Araber ja einen heimischen Assistenten oder einer der Reisenden hatte bessere Sprachkenntnisse als der Händler.
Selene legte den Löffel in den puls, bevor sie den Brei zum Mund führte und anfing zu kauen. Sie saß am Lagerfeuer, in ihre paenula gewickelt, während die Sonne im Osten bereits aufging. Die meisten Fahrer und Soldaten waren damit beschäftigt die Abreise vorzubereiten, indem sie das improvisierte – selbst für römische Verhältnisse – Lager abbauten. „Heute müssten wir Narbo erreichen…“, murmelte der kleine Mann neben ihr, zwischen dem Kauen seines eigenen Getreidebreis, „Mal sehen ob die Nachrichten der Bauern stimmen, dass die Seuche die Stadt bereits auch heimsucht.“ Er trug anstatt warmer Kleidung nur eine Schicht Tunika, weswegen er gelegentlich zitterte, wenn ein kalter Wind blies. „Falls ja…“, antwortete Selene, nachdem sie heruntergeschluckt hatte, „…dann wird unsere Zeit in Narbo kürzer sein, als gedacht…ich hoffe nur Tamon segelt meine Kinder nicht in eine verseuchte Stadt...“ „Mit einem Arzt wie Hippolyt, wie kann da etwas schiefgehen?“, fragte Gaelus mit einem Grinsen, bevor er ernster hinzufügte, „Keine Sorge, Herrin, Tamon ist nicht dumm und nicht blind. Er wird die Kleinen schon keiner Gefahr ausgesetzt haben.“
„Dein Wort in Minervas Ohren…“, antwortete Selene, als Gisgo sich den zweien näherte. Er trug dieselbe Kleidung wie zuvor, nur war sie bisschen abgetragener als beim letzten Mal. Auch sein Bart war voller geworden, auch wenn sein Grinsen diesen nun teilweise verbarg. „Herrin.“, fing er an und zeigte den Grund für seine Freude: er hatte ein paar Karnickel erwischt, auf der Jagd mit dem Bogen. „Heute Abend werdet ihr endlich wieder richtiges Fleisch essen können.“ Die junge Frau sah auf den ersten Blick eher unbeeindruckt von den mageren Kaninchen aus, aber das wandelte sich schlagartig in ein zuckersüßes Lächeln um. „Danke für deine Mühen, Gisgo.“, erklärte sie nicht nur höflich, sondern wahrlich erfreut klingend, „Ich werde das Fleisch genießen…“, und als sie den wartenden Blick des Puniers sah, fügte sie hinzu, „Ich wette dir werden sie auch schmecken.“ „Danke für diese Ehre, Herrin.“, erwiderte Gisgo glücklich klingend, „Es war nur meine Pflicht als eurer Diener.“ Kaum hatte er das gesagt, ging er mit seinen Kaninchen zum Proviantmeister, damit sie für die Reise vorbereitet werden konnten. Gaelus blickte dem Punier kauend nach. „Kommt es nur mir so vor…“, fing er, immer noch laut kauend, an, „…oder ist unser kalter Punier in letzter Zeit bisschen aufgetaut…mitten im Winter?“ Selene lächelte verschlagen. „Ich erzähl dir die Geschichte später.“, erklärte sie zum fragenden Gesichtsausdruck des kleinen Mannes und blickte dann auf die sich nähernden Personen, „Jetzt muss erst einmal ein Spiel gespielt werden.“
Der Zenturio kam mit dem rothaarigen Mädchen im Schlepptau, während einer seiner Soldaten den Jungen mit sich zog. Beide hatten Kettenringe um ihre Arme und Beine erhalten, so dass der Kopf frei bleiben konnte. Trotzdem hatten sie beide ihren Kopf gesenkt. Selene erhob sich, als der Zenturio das Mädchen in den Boden vor ihr warf, während der Junge im Hintergrund blieb. Die Römerin blickte ihre auf die Knie kommende Gefangene für eine Weile mit abschätzigen Blick von oben herab an, während die Rothaarige nur von Zeit zu Zeit einen Blick nach oben riskierte. Eine Zeitlang in Ketten lehren immer ein bisschen Bescheidenheit…dachte sich Selene zufrieden, bevor sie mit bestimmender Stimme anfing zu sprechen: „Ecquid intellegis me?“ Das Mädchen blickte kurz auf, musste scheinbar einen Moment lang überlegen, bevor sie mit schnellem und kurzem Nicken antwortete. „Loqueris ei etiam?“, folgte als nächste Frage. Erneut brauchte die Rothaarige einen Moment um zu antworten, aber am Ende schüttelte sie ihren Kopf. Selene unterdrückte ein Seufzen, denn sie wusste, einem Diener in diesem Alter die Sprache beizubringen – selbst wenn das Verständnis bereits da war – konnte dauern und hing meist vom sprachlichem Talent der besagten Person ab. „Und er?“, fragte sie daher als nächstes, den Kopf auf den Jungen im Hintergrund weisend. Das Mädchen blickte sich einmal um, die Augen recht lange auf dem Jungen habend, bevor sie sich zurückdrehte. Sie schüttelte erneut den Kopf.
„Wer ist er…für dich?“, fragte Selene, ganz spezifisch und langsamer als gewohnt. Das Mädchen überlegte wieder für einen Moment, bevor sie ihren Mund aufmachte. „Fffffrraa-a-a-a-terrr.“, sprach sie vorsichtig aus. Immerhin bemüht sie sich…dachte sich Selene, sich diese Eigenschaft merkend, bevor sie weiterfragte: „Wie heißt du?“ Nach dem obligatorischen Moment des Überlegens, der mit jeder Frage kürzer geworden war, antwortete das Mädchen: „Sedia.“, und als würde sie die nächste Frage bereits kennen, „Eburo.“, und wies mit dem Zeigefinger auf den Jungen. Das ist vielversprechend…dachte sich Selene, bevor sie mit ihrem Finger nun auf Gaelus wies. Der kleine Mann, immer noch nur seine Tunika tragend, sah nun aus, als würde er frieren. Obendrein machte er ein Gesicht, als hätte man ihn jahrelang gequält – dies hatte zwei Gründe. Einerseits wollte Selene sehen ob die Kleine dahinterkam, dass das nur gespielt war, denn wenn ja, würde es ihre Beobachtungsgabe und Intellekt unter Beweis stellen. Andererseits war dies die perfekte Ausgangslage um eine Bindung zu schaffen: der andere geknechtete Sklave, der freundlich zu einem war und versuchte nur zu helfen. Man war immer eher bereit Leuten etwas über sich zu erzählen, wenn man diesen Leuten vertraute. Gaelus konnte so eine Rolle gut spielen.
„Das ist Gaelus.“, setzte sie fort und versuchte weiterhin möglichst langsam zu sprechen, damit die Kleine alles verstand, „Er ist ein Sklave, so wie du und dein Bruder nun sind. Nur schon deutlich länger.“, sie trat an sie heran, wodurch das rothaarige Mädchen ihren Kopf noch weiter nach oben recken musste, um aufzublicken, „Er wird dir und deinem Bruder alles zeigen und sagen, was nun eure Pflichten sind, solange ihr in meinem Dienste seid. Hast du das verstanden?“ Das Mädchen brauchte dieses Mal nicht zu überlegen um zu nicken. „Sic est, domina.“, berichtigte Selene sie auf der Stelle, streng klingend, „Wenn du mir von nun antwortest, wirst du jeden Satz mit Herrin beenden. Hast du das verstanden?“ Die Kleine wollte wieder mit dem Kopf nicken, aber sie erinnerte sich rechtzeitig: „Ja, Her…Her-Herrrrin.“, antwortete sie, wobei die Worte noch nicht so sicher klangen, wie es sich Selene wünschte. „Gut.“, sie drehte sich weg und ging zu ihrem Pferd, dass nun gebracht wurde, „Dann folge ihm.“ „Kommt, paulo vulpes.“, entgegnete Gaelus und wies mit der Hand an ihm zu folgen, wobei sein Gesicht trotz aller Pein sympathisch aussah, „Ich zeige euch alles.“, und schon gingen sie zu den Wagen. Selene stieg auf ihr Pferd und sah dabei Gisgo, der unweit von ihrer Position auf sein Pferd stieg. Er ist wirklich zufriedener als zuvor…dachte sie sich und erinnerte sich an den Zeitpunkt als es anfing.
Burdigala (Bordeaux), Provinz Aquitania, Saturnalien 166 n.Chr.
Selene nippte an ihrem Wein. Die Opfer waren bereits dargebracht und der öffentliche Teil der Festivitäten hatte bereits seinen Höhepunkt überschritten – also war die Zeit für den eigentlichen Teil der Saturnalien gekommen: das fröhliche Feiern. Glücklicherweise war die Stadt bislang von irgendwelchen Seuchen verschont geblieben, weswegen die Menschen von Burdigala diese Zeit ausgelassen feiern konnten und Saturn dafür dankten, ungeschoren davongekommen zu sein. Die junge Herrin befand sich in einem größeren Raum, wo diverse Gäste Platz hatten. Da es draußen schon recht kühl geworden war, fanden die Feierlichkeiten drinnen statt, anstatt draußen im Atrium. Das Gebäude gehörte ihrem Vertreter vor Ort, der die vergebenen Kredite, die gekauften Ländereien und schuldpflichtige Geschäfte überwachte, die den Großteil des Einkommens stellten, den die Familie Audacius erhielt – auch wenn sie in Britannien finanziell erfolgreiche Nebengeschäfte am Laufen hatten. Lucia, ihre Tochter, gab dem größeren Gaelus gerade das Geschenk, dass Selene für diesen Anlass ausgesucht hatte: eine Miniatur-Statue des Hercules. Die beiden redeten kurz miteinander und lachten über das Gesagte. Publius wiederum verbrachte viel Zeit mit Tucinus, ihrem Vertreter in Burdigala – sie verstanden sich schon zu gut, für einen bald Sechsjährigen und einen erwachsenen Mann. Die meisten der hier Anwesenden tranken puren Wein, wie es üblich war für die Zeit der Feierlichkeiten, aber Selene hatte ihnen eingebläut sich solange zurückzuhalten, bis die Kinder im Bett waren – so schnell erwachsen werden mussten sie auch wieder nicht.
Selene verschlang gerade einen jungen, gutgebauten Diener, der gerade dabei war seinem Herrn Befehle zu erteilen, mit ihren Augen, als sie feststellen musste, dass ihr Weinkelch bereits leer war. Zu schnell…wurde ihr klar und warf einen Blick aus dem Fenster: die Sonne war bereits längst untergegangen. Sie schlenderte mit ihrem leeren Kelch zu dem kleinen Mann. „Gaelus.“, unterbrach sie das Spiel ihres Sklaven und ihrer Tochter, „Es ist spät, die Kinder gehen nun schlafen.“ „Aber Mutter…“, wollte die Kleine gerade protestieren, als sie mittendrin die Taktik änderte, „An den Saturnalien bestimmen nicht die Erwachsenen, sondern die Kinder. Und ich bestimme, dass ich bleibe.“ Freches Biest…dachte sich die Mutter und konnte ein Lächeln nicht vermeiden. „Wo sie Recht hat, hat sie Recht.“, mischte sich nun Gaelus in das Gespräch ein, „Und wenn ich mich recht erinnere, bestimmen Sklaven nun was ihre Herrn tun und nicht umgekehrt.“, das Mädchen verstand worauf er hinauswollte und wollte ihn bereits unterbrechen, erfolglos, „Und ich schließe mich der Meinung euer Mutter an: es ist Zeit fürs ins Bettgehen.“ „Menno…!“, entgegnete Lucia, verärgert darüber, übertölpelt worden zu sein. Sie ist genauso wie ich…dachte sich Selene mit einem gewissen Stolz. Hinterher sammelte Gaelus auch Publius ein und brachte die Kinder zu Bett.
Erst dann fingen die Feierlichkeiten so richtig an. Der Wein floss nur so in Strömen. Es dauerte nicht lange bis ein Rex Bibendi gewählt worden war – zu aller Überraschung war es Gaelus, der eigentlich nur halb so viel vertragen hätte müssen, wie alle anderen, und doch hatte er offenkundig mehr Erfahrung als seine Konkurrenz bewiesen. War dies erst geschehen, folgten die ersten halbnackten bis nackten herumlaufenden Personen auf dem Fuße. Selene hatte sich nach ihrem kurzen Ausrutscher erfolgreich zurückhalten können, obwohl der Wein ihre Sicht leicht vernebelte. Immerhin trug sie noch immer ihre Kleidung, selbst wenn sie sich nicht erinnern konnte, wann sie sich ihrer palla entledigt hatte und nur noch in ihrer roten Stola herumlief, ihre Schultern entblößt. Sie dachte gerade darüber nach mit dem Diener von vorher rumzumachen, als sie jemand besseren erblickte: Gisgo verließ gerade die Feierlichkeiten mit einer ganzen Amphore voll Wein. Sie entschied sich kurzerhand ihm zu folgen.
Draußen war es frisch geworden, auch wenn es immer noch weitaus wärmer war, als in Londinium zur selben Jahreszeit. Wegen der Kälte trieben sich auch nur wenige Personen hier herum und die meisten von ihnen schienen deutlich mehr Wein intus zu haben, als diejenigen die noch drinnen saßen. Was einige von ihnen dabei zusammen anstellten, konnte sich Selene bestens vorstellen. Gisgo ging bis zum Ausgang des Atriums, von wo man auf die Stadt hinunterblicken konnte: überall waren Fackeln zu sehen, genauso wie die Menschenmaßen, die sich in den Straßen tummelten. Selene wusste, dass unter ihnen wohl noch ein größeres Fest stattfand als hier oben – obwohl kein Saturnalienfest es jemals mit dem in Rom aufnehmen konnte, so hieß es zumindest. „Genießt du den Mondschein?“, fragte die junge Frau, als sie an ihn herangetreten war – normalerweise hätte er sie wohl vorzeitig bemerkt, aber der Wein hatte auch bei ihm seine Spuren hinterlassen und er wirkte überrascht sie zu sehen. „Domina…“, war er in der Lage zu sagen, deutlich unsicherer, als sie erwartet hätte. „Keine Domina.“, erklärte Selene, obwohl sie diesen Satz nicht mochte, „Während der Festlichkeiten gibt es keine Herrn und Diener mehr – jeder ist gleich.“, sie legte eine Hand auf seine harte Brust, „Und jeder ist zu haben.“ Sie konnte seinen Blick nicht genau sehen, denn er war teils im Schatten versteckt. „Entschuldigt mich, meine Astarte.“, erklärte er, seine Worte überlegend sagend, „An jedem anderen Tag im Jahr würdet ihr mich nicht zögernd sehen, aber heute Nacht…ist es anders.“ Die junge Herrin funkelte ihn an. „Du weißt du wirst vermutlich keine zweite Chance wie diese bekommen, oder?“, fragte sie, mit einem scharfen Unterton. Man merkte, dass er sich zurückhalten musste. „Ich weiß.“, entgegnete er nur und drehte sich wieder zum Ausgang.
Normalerweise wäre das der Punkt gewesen, wo sie sich auch umgedreht hätte, zu den anderen zurückgekehrt wäre und sich den jungen Diener geschnappt hätte. Aber die Art wie er abgelehnt hatte, weckte ihre Neugierde. „Was ist am heutigen Abend anders?“, fragte sie und trat neben ihn, so dass ihre nackte Schulter seinen Arm berührte. Er blickte diesen ungewollten Körperkontakt zunächst nur an, bevor er sich so hinstellte, dass er aufhörte. „Es betrifft euch nicht.“, erklärte er ausweichend und nahm einen weiteren Schluck aus der Amphore. „Tut es nicht?“, fragte Selene und klang so unschuldig wie es ihr in ihrem Zustand möglich war, „Bist du in meinen Diensten oder bist du es nicht?“, während sie sich ihm langsam näherte. Der Punier blickte sie verwirrt an. „Was hat das…?“, fragte er entsprechend. „Wir werden in ein paar Monaten deine Heimat passieren…“, fing sie an, obwohl sie einige Worte nicht so deutlich aussprach wie sie es gewünscht hatte und hier und da kichern musste, „…hihi…wenn es etwas damit zu tun hat, wie ich glaube, dann wird es deine Herrin auch betreffen, nicht wahr…hihi?“ Gisgo blickte sie an und er sah nicht wirklich glücklich aus, auch wenn er aufgrund des Kicherns nicht ganz um ein Lächeln herum kam. „Ich habe mir vorgenommen, euch diese Sachen zu ersparen und ich habe vor mich daran zu halten.“, erklärte er, seinen Blick von ihr abwendend um dem Gesagten mehr Ernsthaftigkeit entgegen zu bringen, „Manche Dinge müssen Männer unter sich klären…“ Daraufhin nahm er einen weiteren Schluck. Obwohl Selene diesen Männerkram für billige Ausreden hielt, war sie äußerst erfreut über den Zustand ihres Gesprächspartners: je mehr er trank, desto leichter machte er es ihr ihn zum Reden zu bringen, denn bereits jetzt hat er mehr Silben gesprochen, als seit dem Tag an dem sie ihn getroffen hatte. „Und wird das meinen Zielen schaden, die bestmöglichen Geschäfte für mich zu schließen?“, setzte sie die Logikkette fort und berührte wieder seinen Oberarm mit ihrer Schulter.
Er wisch erneut zurück, dieses Mal augenblicklich, wodurch sein anderer Arm bereits die Türkante erreicht hatte. Er versucht ernst zu klingen, was ihm auch gelang, da er unmerklich mit den Zähnen knirschte. „Ich sagte bereits, dass ich versuchen werde, dass zu vermeiden.“, wiederholte er sich. „Wie willst du das anstellen, wenn wir in die Sache hineinlaufen, weil wir nicht wissen, was es ist?“, fragte Selene und drehte sich nun zu ihm um, ein großes Lächeln auf ihrem Gesicht, „Sag mir was mich da unten erwartet und ich kann dir helfen. Ich kann keine Probleme lösen, die ich nicht kenne.“ Er blickte sie nachdenklich an, während er sich auch so umdrehte, dass sein Rücken zur Türkante gerichtet war. Nach einem langen Zögern gestand er: „Es wird dort Leute geben…“, er konnte das Zögern nicht ganz ablegen, „…die mich tot sehen werden wollen.“ „Ist dies der Grund warum du in Londinium warst?“, fragte sie, obwohl sie die Antwort bereits kannte. Dabei gelang es ihr sogar ein halbwegs ernstes Gesicht zu zeigen, während sie langsam vortrat. Er nickte fast unmerklich. „Es ist zwar schon zehn Jahre her, aber ich glaube, dass ihr Groll nicht verraucht ist.“, erklärte er, „Wir können sie meiden, wenn wir nicht zulange in Afrika weilen…“ „Das bestimmst aber nicht du, sondern ich.“, widersprach Selene mit einem zuckersüßen Lächeln, „Wir werden uns also auf sie vorbereiten müssen. Aber nicht heute Abend. Bevor wir Narbo verlassen, sollten wir aber das wichtigste geklärt haben.“
Sie berührte für einen kurzen Moment seine muskulöse Brust und dieses Mal konnte er ihr nicht entkommen – der Weg nach hinten war versperrt. Sie grinste ihn an, als er sein Dilemma bemerkte. Die beiden schauten sich für einen langen Moment lang an, als sie anfing zu kichern und sich einfach umdrehte. Sie ging ein paar Schritte vor und schaute sich wieder die Stadt an. Der Lärm, den die Bewohner veranstalteten, war sogar bis hier oben zu hören, selbst wenn nur gedämpft. Sie hörte seine lauter gewordene Atmung mehr als deutlich und konnte ein Grinsen nicht vermeiden. Das war die Rache dafür, dass du mich abgelehnt hast...dachte sie sich zufrieden. „Du…“, fing Gisgo wieder nach einer Weile an, versuchend seine Atmung unter Kontrolle zu bringen, „…Ihr wollt nicht wissen,…warum sie mir grollen?“ Gute Idee um vom Eigentlichen abzulenken…dachte sich die junge Herrin, bevor sie anfing zu sprechen: „Ich würde lügen, wenn ich ‚Nein‘ sagen würde.“, sie erwiderte seinen Blick nicht, „Ich vermute es hat etwas mit der heutigen Nacht zu tun.“, nun wandte sie ihm ihren Kopf doch zu und lächelte kokett, was vor allem durch den Winkel unterstrichen wurde, wie der Mondschein auf sie fiel, „Willst du es mir sagen?“, und nach einem kurzen Moment des Zögerns, „Du musst nicht, wenn du nicht willst…“ Seine Augen waren groß und er war offenkundig sprachlos. Dann sah sein Blick aus, als würde er sich über etwas schämen und er wandte sich ab. „Heute starb meine Verlobte.“, erklärte er schlussendlich und nahm einen sehr tiefen Atemzug, „Genau vor 10 Jahren. Verbrannt in meinem eigenen Haus. Angezündet von diesen pathice.“, er blickte wieder zum Mond, immer noch den Atem mit dem Mund aufnehmend, „Ich…konnte entkommen. Aber nicht ohne mich an ein paar von ihnen zu rächen.“ Sie blickte ihn neugierig an und trat wieder näher. „Eine Blutfehde also, hm?“, fragte sie und er nickte, „Seltsam, dass die römischen Behörden da nicht eingegriffen haben…“, fügte sie hinzu, bereits eine Ahnung haben worauf das wohl hinaus laufen würde. Er blickte sie an. „Diese pathice waren Römer.“, erklärte er und überraschte sie auf diese Weise, denn sie war nur davon ausgegangen, dass jemand bestochen worden war, „Versteht ihr jetzt warum ich fliehen musste?“
Sie legte einen Zeigefinger auf ihre Wange, nachdenklich wirkend. Diese Sache könnte höhere Wellen schlagen, als ich vermutet habe…dachte sie sich, Es könnte schwierig werden dort überhaupt Geschäfte zu verrichten… Sie blickte ihn wieder an. „Besser als zuvor.“, antwortete sie nur, weiterhin in ihren Gedanken verharrend, jeder Gedanke an das bisherige Spiel vergessend. Gisgo schwieg für einen Moment. „Wenn ihr euch nun von mir trennen wollt, bitte sehr.“, erklärte er hinterher und nahm einen so großen Schluck, dass er die leere Amphore hinterher wegwerfen konnte, sich dabei abwendend, „Ich würde es verstehen. Nur lasst mir meine Freiheit, ansonsten werden sie mich finden.“ Er drehte sich um und ging wieder zurück zu den Feierlichkeiten, scheinbar nichts mehr zu sagen habend. „Gisgo.“, hielt sie ihn auf, ihre Worte weise wählend, „Du gehörst zu mir. Sie mögen zwar Römer sein, aber deine Probleme sind nun auch meine…“, er drehte seinen Kopf zu ihr um, „Und ich hab bislang noch kein Problem gefunden, was ich nicht lösen konnte.“, wobei der Mondschein sie wieder von ihrer besten Seite zeigte. Er blickte sie nur wieder sprachlos an, nickte schlussendlich und ging wieder hinein.
Nahe Narbo, Anfang Januar 167 n.Chr.
Sie folgten einem Weg, der zwischen Weinhügeln erbaut worden war. Narbo lag genau geradeaus, die ersten Umrisse bereits erkennbar, während hinter ihnen der Fluss Atax lag, den sie zuvor passiert haben. Selene ritt nicht an der Spitze, das taten ihre Reiter, aber sie war auch nicht weit davon entfernt. Deswegen gehörte sie zu den ersten, die den Reiter sahen, der vor ihnen auf dem Weg wartete: er trug die Kleidung eines römischen Legionsreiters, aber wieder waren Silber und Schwarz die dominante Färbung. Er brachte sein Pferd näher zu dem weißen Iberier der Römerin, als sie ihrer Eskorte gesagt hatte, ihn durchzulassen. „Was für Nachrichten bringt Cervus?“, fragte sie, neugierig klingend, auch wenn ihr Gesicht dies nicht verriet. „Der Dux warnt euch nach Narbo zu reiten.“, erklärte er, „Die Stadt ist nicht sicher. Die Seuche wütet dort. Mein Meister rät euch mir zu seiner Villa abseits der Stadt zu folgen.“ Sie lächelte, ihren Kopf leicht schüttelnd, wobei dies kein Zeichen der Ablehnung war – eher, dass sie das erwartet hat. „Dann führt uns hin.“, entgegnete sie nur und sie folgten ihm.
Spoiler:(zum lesen bitte Text markieren)
Puls = https://de.wikipedia.org/wiki/Puls_(Getreidebrei) Paenula = röm. Mantel mit Kapuze Ecquid intellegis me = lat. für „Verstehst du mich?“ Loqueris ei etiam? = lat. für „Sprichst du es auch?“ Frater = lat. Bruder Sic est, domina = lat. „So ist es, Herrin.“, aber hier im speziellen, „Ja, Herrin.“ Paulo vulpes = lat. für „kleine Füchse“ Rex Bibendi = lat. Trinkerkönig Palla = https://de.wikipedia.org/wiki/Palla_(Gewand) Stola = https://de.wikipedia.org/wiki/Stola_...mische_Tracht) Pathice = unschöne Art jemand zu bezeichnen – schlagt es selber nach Atax = heutiger Aude Fluss in Südfrankreich, bei Narbonne
Direkt vor den Mauern der Stadt Alexandria, in der Nähe des Südtores um genau zu sein, befanden sich zahlreiche Stallungen und Unterstände. Mehrere Gebäude fanden sich dort, viele Schenken und Gaststätten. Hier konnten Reisende aus Unterägypten und dem Umland unterkommen, für den Fall das die Stadt für sie zu teuer war, oder sie einfach zu einer Tageszeit ankamen wo die Tore geschlossen waren. Gleichzeitig war es auch als Umschlagsplatz für die Karawanen gedacht, denn die zahlreichen Kamele hätten innerhalb der Stadt nur zu Chaos auf den ohnehin überfüllten Straßen geführt. Zahlreichere kleinere Packtiere, Karren und Träger standen bereit die zahlreichen Waren aus dem Süden abzutransportieren. Ob es nun Getreide aus dem Nildelta , oder Waren von jenseits des sinus arabicus waren, Alexandria war der Umschlagplatz für Handelswaren aus ganz Ägypten. Auch Neferu war an diesem Tage vor den Mauern der Stadt unterwegs, hatte ihr doch Silos zugetragen das die Karawane am gestrigen Abend Alexandria erreicht hatte. Der ehemalige Sklavin wie auch Hent begleiteten ihre Herrin. Die Nubierin trug einen Wasserkrug für die Gruppe mit sich, auf den Sonnenschirm hatte Neferu verzichtet. Stattdessen trug sie ein schlichtes weißes Gewand, mit einem gelben Tuch verziert und hatte sich aus einem weißen Stoffstreifen noch eine Art Kapuze gemacht um sich vor der Sonne zu schützen.
Angekommen sahen sie kurz dem geschäftigen Treiben zu, Hent betrachtete neugierig die zahlreichen Waren welche man von Kamelen ablud. Neferu hatte eher einen Blick auf die Händler als deren Tiere. Dann ergriff Silos leise das Wort: "Dort domina, dass ist der Händler von dem ich gehört habe. Mutarrif war sein Name, ein Araber der mit Zimt aus Muziris und Gewürzen handelt. Meine Quellen berichten mir das er nach Ostia will." "Und er hat noch kein Schiff?"
"Nein, er hat noch keine Kontakte in der Stadt, auf jedenfall soweit mir bekannt ist.", erklärte Silos nachdenklich aber recht sicher wirkend. Die Ägypterin schaute sich Mutarrif an, ein kleiner dunkelhaariger Mann mit einem gepflegten Bart. Aufmerksam beaufsichtigte er die Träger wie sie seine kostbare Ware abluden und rief den Kameltreibern etwas auf arabisch zu.
"Und seht, ist das dort hinten nicht einer von Marcus Leuten? Ein Getreideeinkäufer, Abasi war sein Name ich habe ihn schon mal auf dem Kornmarkt mit ihm gesehen.", raunte Silos seiner Herrin zu und beide warfen den Blick zu dem Mann der etwas entfernt bei Kamelen voller Getreide stand. Neferu nickte Silos zu, das war er tatsächlich. Nun vielleicht konnte sie anschließend auch noch mit ihm ins Geschäft kommen, aber zuerst wollte sie mit dem Araber sprechen.
Entschlossen ging Neferun auf ihm zu und zog die Kapuze etwas zurück damit sie nicht ihr Gesicht verbarg. Wer handelte schon gerne mit jemand Vermummten?
"Isis zum Gruße mein Herr. Seid ihr der Händler Mutarrif von dessen Kommen schon ganz Unterägypten spricht?", sprach sie äußerst freundlich in ägyptisch, mit einem bezaubernden Lächeln auf ihren Lippen.
Als er seinen Namen hörte drehte sich der Kaufmann neugierig zu ihr um und musterte sie neugierig. Als er der jungen Frau gewahr wurde, schenkte er ihr ebenfalls ein Lächeln. Er trug Gewänder in ausgefallenen Farben, von denen Neferu vermutete das diese auch in Indien erworben hatte. Höflich verbeugte er sich kurz vor ihr.
"Salam aleikum, meine Dame. Ihr sprecht wahr, mein Name ist Mutarrif. Wie kann ich einer Schönheit wie euch behilflich sein?", erkundigte er sich höflich.
Allerdings war sein Ägyptisch nicht besonders gut, neben einem Dialekt der in Unterägypten verbreitet war, hatte er auch einen starken arabischen Akzent. Die Ägypterin hatte Mühe ihn zu verstehen, bezweifelte jedoch das er hochgriechisch oder Latein konnte. Aramäisch würde wohl auch nicht helfen, dies wurde hautpsächlich von Juden und den Bewohnern Palästinas gesprochen. Sie beschloss weiter zu reden, vielleicht konnte er ihr ägyptisch ja besser verstehen als sie seines.
"Geschäfte führen mich zu euch, welche die uns beiden helfen könnten. Mein Name ist Neferu, ich bin eine Händlerin hier in Alexandria. Ich hörte ihr seid zum ersten Mal in Alexandria?", sprach sie bewusst langsam und unterstrich ihre Worte mit Gesten. Mutarrif lächelte sie weiter an, jedoch zeigte sein fragender Blick das er wohl nicht alles verstanden hatte. Seine Augen huschten kurz nach links und rechts, als würde er jemanden suchen. Auch Neferu schaute etwas hilfesuchend zu Silos und Hent, dann in die Karawane. Vielleicht hatte der Araber ja einen heimischen Assistenten oder einer der Reisenden hatte bessere Sprachkenntnisse als der Händler.
Er hatte bereits viel über Alexandria gehört, doch sämtliche Berichte wurden dem, was er vor sich sah, nicht wirklich gerecht. Es war wirklich ein außergewöhnlicher, nahezu unglaublicher Anblick. Der weiße Stein der Gebäude harmonierte perfekt mit dem satten Blau des Himmels und des Wassers, sowie dem satten Grün um die Stadt herum. Wie eine große Oase inmitten all dem endlos wirkendem Sand.
An seinem Arm war wieder ein wenig gerötete, abblätternde Haut, aufgrund der vielen Sonne welcher er in den letzten Tagen ständig ausgesetzt worden war, doch das störte ihn nicht sonderlich. Die Reise war endlich zu Ende. Am Ende hatte es dank diverser Verspätungen dank eines Sandsturms sogar ein wenig mehr als 4 Wochen gedauert.
Lati war dabei mitzuhelfen ein paar der Waren von den Kamelen abzuladen. Auch wenn ihn die Geschäfte Mutarrif's nun eigentlich nichts mehr angingen, so tat er es doch aus einer Gefälligkeit heraus. Ohne die Hilfe des Mannes hätte es wohl noch eine ganze Weile gedauert, ehe er aus Baranis hätte abreisen können. Gerade verlud er einen vollen Zimtsack auf eine der bereitgestellten Karren, als jemand ihn von hinten antippte. Es war Abasi. "Ich glaube Mutarrif braucht deine Hilfe." Tatsächlich war der Großhändler gerade in einem Gespräch. Er freute sich, als er Lati ihm zur Hilfe kommen sah. "Salam Lateef! Gut dass du da bist, mein Junge. Sieht so aus als könnte ich doch noch einmal von deinem Talent profitieren. Würdest du bitte....?" "Salam Mutarrif. Natürlich." erwiderte er auf Arabisch. Zunächst besah er sich Mutarrif's Gesprächpartnerin. Eine Ägypterin, wohl noch einige Jahre jünger als er selbst, begleitet von einer anderen Dame und einem etwas in die Jahre gekommenen Mann. Besah man sich ihre Kleidung und generelle Haltung im Vergleich zu der der beiden anderen, so lag der Schluss nahe dass sie offenbar ihre Diener waren. Der Höflichkeit wegen machte er einen kurzen Knicks. "Seid gegrüßt werte Dame. Mein Name ist Lateef. Bitte verzeiht Mutarrif, er ist das erste Mal hier in Alexandria und spricht nur ein wenig Ägyptisch. Womit kann er euch helfen? Möchtet ihr etwas von seiner Ware erwerben?" Oder war es vielleicht sogar jemand der von ihm gehört hatte und ihm ein Schiff anbieten wollte?
Der Schnee hörte nicht auf zu schneien und doch störte er Sigurd keineswegs. Er war überall und tauchte die Welt in ein reines Weiß. Er lag auf den Bäumen, er lag auf den Dächern und er lag auf Sigurds Mütze, weswegen er sich schütteln musste. Wenn er gedurft hätte, würde er die ganze Nacht hier sitzen und den Schnee beobachten. „Sigurd!“, rief eine ihm vertraute Stimme von hinten. Er drehte sich um und sah das große Feuer, dass sein Vater und die Anderen aufgeschichtet hatten. Es brannte lichterloh und zwang selbst die Kälte des Winters davonzuziehen. Seine schwangere Mutter, sein Vater und seine kleine Schwester waren dort, genauso wie seine Großeltern, seine Tanten und Onkel, Cousins und die Bewohner der anderen Weiler in der Gegend – Jul wurde mit allen gefeiert. Sein Vater hatte ihn gerufen und er ging zu dem Tisch, der unter einem Zelt stand, bisschen abseits von den anderen. Sveinn war ein Bär von einem Mann, großgewachsen mit starken Armen, langen blonden Haaren und einem stolzen Bart. Er hatte ein herzhaftes Lachen auf dem Gesicht, wie immer, wenn er Met trank. Neben ihn saß der Freund der Familie: Antonius. Er kam aus dem tiefen Süden, Rom nannte er es, und er wirkte im Vergleich zu Vater wie ein Mickerling: er hatte kurzes braunes Haar, einen gerade nachwachsenden Bart, ein hageres Gesicht und generell wirkte er eher schmächtig unter der Lederweste, die er immer trug.
„Komm her, Sigurd.“, erklärte sein Vater und winkte ihn heran. In seiner Hand hatte er ein Krug voll Met und er reichte ihn seinem Sohn. „Trink.“, sagte er. Sigurd zögerte. „Wird Mutter nicht wütend sein?“, fragte der Junge, während er herantrat. „Papperlapapp.“, entgegnete Sveinn seinem Sohn, „Du bist schon 10 – fast ein Mann. Und ein Mann muss auch trinken können. Also nimm.“ Diese Logik leuchtete Sigurd zwar nicht ein, aber er nahm den Krug trotzdem. Ein bernsteinfarbendes Getränk war darin zu finden, der Krug bereits zu mehr als die Hälfte geleert. Der Junge wappnete sich und nahm einen Schluck – nur um ihn auf der Stelle auszuspucken. „Das brennt ja wie Feuer!“, rief der Junge heißer und hustend. Antonius lachte lauthals, während sein Vater nur den Kopf schüttelte. „Sigurd, du hast mich fünf Sesterzen gekostet!“, entgegnete Sveinn verärgert. „Was? Wie?“, war die einzige Antwort des entsetzen Jungen. „Ich und dein Vater haben gewettet.“, erklärte Antonius, immer noch kichernd, „Ob du es im Mund behältst oder ausspuckst – ich hab gewonnen.“ „Ja das hast du, leider.“, erklärte der Vater verdrossen, „Jetzt werde ich alles deiner Mutter erzählen müssen, Sigurd. Du weißt sie hat das Südländische Silber.“ „Was?“, erwiderte Sigurd, bereits den Kopf schüttelnd, „Nein, nein! Bitte lass mich es noch einmal probieren! Ich wurde nur überrascht…ich wusste nicht…“
Antonius blickte Sveinn grinsend an. „Was meinst du?“, fragte er mit seiner unheimlich stillen Stimme, „Soll er es nochmal versuchen?“ „Nur wenn er es dieses Mal im Mund behält und runterschluckt.“, erklärte Sveinn energisch, „Ein richtiger Mann könnte diesen Krug in einem Zug austrinken!“ „Das werde ich!“, kam aus Sigurds Mund, ohne Nachzudenken, „Ich werde es in einem Zug austrinken!“ Sveinn blickte Antonius grinsend an. „Also?“, fragte er ihn, „Doppelt oder nichts?“ „Gerne.“, antwortete Antonius, bereits zum Jungen schauend, „Das möchte ich um keinen Preis der Welt verpassen.“ „Also gut, Sigurd.“, erklärte sein Vater ihm zugewandt, „Mach mich stolz.“ Der Junge nickte eifrig. Er wappnete sich auf das was kommen würde und dann tat er es einfach: er schloss die Augen, drückte den Krug gegen seinen Mund und trank. Der Met brannte erneut, aber dieses Mal war der Junge entschlossen ihn nicht auszuspucken. Er trank und trank und es wurde ihm langsam übel, bis endlich nichts mehr da war um es zu trinken. Kaum hatte er das geschafft, schwang er den Krug zurück und öffnete seine Augen, stolz verkündend: „Ich habe es…“
Dann erstarrte er. Das Feuer…es hatte sich über den ganzen Weiler verteilt. Es war größer als jemals zuvor und selbst der Wald schien zu brennen. Nein…dachte der Junge entsetzt, als eine Gestalt aus dem Feuer kam: es warAntonius. Sein Gesicht war zu einer teuflisch grinsenden Fratze geworden, als er sich mit einem brennenden Schwert Sigurd näherte. „Die Schwachen…“, murmelte er vor sich hin, „Die Schwachen dienen den Starken.“, er hob sein Schwert und der Junge wollte davonlaufen, konnte es aber nicht, „Und der Schwache bist du!!“, und das Schwert schwang herunter.
Sigurd öffnete seine Augen, entsetzt dreinblickend. Er atmete laut und schaute sich verwirrt um. Wo bin ich…? Der Raum war dunkel, aber nicht so dunkel wie seine Zelle. Wo bin ich?! Schmerz setze ein, in seinem Kopf und in seiner Brust. ARGH!!! Und seine Augen schlossen sich erneut.
Als er sie wieder öffnete, war er ruhiger. Er atmete immer noch laut und der Schmerz gesellte sich auch schnell wieder zu ihm, aber dieses Mal blieb er wach. Er fing an Dinge zu erkennen: er war in einem Raum ähnlich seiner Zelle, aber größer. Es lagen einige Liegebetten hier, aus Holz und Stroh – ein Luxus, wenn Sigurd sich daran erinnerte, worauf er bisher schlafen musste. Er lag selbst auf so einem Bett und er konnte sogar ein Fenster zu seiner Linken sehen – selbst wenn es zu hoch war um es zu erreichen. Obendrein war es Nacht. Er hob seinen Kopf ganz leicht und stellte fest, dass ihm schwindelig wurde. Die Schwindelgefühle drohten ihn zu übermannen, aber er presste die Zähne zusammen und drückte das Gefühl wieder herunter – mehr oder weniger. Er blickte sich um und konnte Licht erkennen, dass sich jenseits eines Türrahmens befand, in dem keine Tür zu finden war. Eine Fackel…erkannte der Jüte und sah, dass dort jemand stand, ihm den Rücken zugekehrt. Es war einer von Babylas Knechten, die ihn zur Arena gebracht haben – Sigurd hatte keine Ahnung wie er hieß, aber das war ja nichts Neues.
Sigurd senkte seinen Kopf wieder und versuchte normal zu atmen. Der Schmerz machte das schwer. Er hob seine Arme, ganz langsam, denn schneller ging es nicht und fing an die Stellen zu betasten, wo der Schmerz herkam. Er trug überall Bandagen. Seine Brust war umschnürt und sein ganzer Kopf und ins Besondere seine Nase waren eingewickelt. Glücklicherweise hatte man seine Augen und den Mund halbwegs offen gelassen, auch wenn die Bandagen den Unterkiefer beeinträchtigen. Sigurd erinnerte sich an den Kampf, daran, dass er nur mit knapper Not überlebt hatte. Das waren nun die Folgen davon: Schmerz. Er wird mich das machen lassen, bis ich tatsächlich tot umfalle…dachte der Jüte mit Verbitterung.
Dann weiteten sich seine Augen. Es gibt keine Tür…kam ihn erst jetzt in den Sinn und er hob wieder seinen Kopf – er war nicht eingesperrt. Nur dieser Knecht stand zwischen ihm und der Freiheit. Er wollte auf der Stelle aufstehen, aber dann wurden der Schmerz und die Schwindelgefühle stärker, so dass er sich wieder hinlegen musste. Er atmete laut. Das ist die beste Gelegenheit um zu fliehen, die ich jemals hatte…dachte er leicht verzweifelt, Aber wie soll ich das schaffen, so geschunden wie ich bin? Er warf wieder einen Blick auf den Knecht: er konnte im schwachen Lichtschein eine Klinge sehen. Sie befand sich an dessen Gürtel, an der linken Seite. Ein Messer…überlegte Sigurd…So könnte es funktionieren…
Er versuchte erneut aufzustehen, langsam und unter Schmerz, aber am Ende gelang es ihm eine sitzende Position einzunehmen. Das Schwindelgefühl war deutlich stärker als zuvor und er brauchte ein bisschen um sich davon zu erholen. Der Knecht schien dies in keinster Weise wahrzunehmen, wie Sigurd verwundert feststellte, immerhin war er nicht gerade der Leiseste bei dieser Aktion. Ist er taub?, dachte sich der Jüte. Als nächstes zwang er seine Beine von der Liege, über die Bettkante auf den Boden – überraschenderweise bislang die leichteste Aktion des Abends. Vermutlich weil er seinen Kopf dabei minimal bewegen musste. Die Wache an der Tür wiederum ließ das alles kalt und jetzt erkannte Sigurd auch warum: er schlief. Er hatte sich an die Wand hinter sich gelehnt und von diesem Winkel konnte man seine geschlossenen Augen sehen. Unter normalen Umständen wäre ich bereits frei…dachte sich der Jüte frustriert und konzentrierte sich nun auf seine Füße. Auf die Füße zu kommen erwies sich als einfach – auf ihnen zu bleiben eher nicht. Gleich nachdem er oben war, wurde ihm so schwindelig, dass er sich wieder setzen musste. Also versuchte er es noch einmal und noch einmal, mit ähnlichem Ergebnis, bis es ihm gelang sich ein Mal zum Stehenbleiben zu zwingen – dafür wurde er mit Übelkeit belohnt. Hätte er etwas im Magen, hätte er jetzt wohl gekotzt.
Er atmete langsam und gleichmäßig und je länger er das tat, desto mehr verschwand das Schwindelgefühl und seine Sicht klarte auf – auch wenn er weit davon entfernt war sich so gut zu fühlen, wie er es gewohnt war. Und jetzt zu dieser Schlafmütze und raus hier, dachte sich der Jüte und nahm einen Schritt nach dem anderen, ganz vorsichtig, Ja ich komme näher…näher…warum ist alles so undeutlich? …und warum wird alles plötzlich so schief? …falle ich? …Ja, ich falle! Der Jüte verlor das Gleichgewicht kurz vor dem Türrahmen und krachte gegen den Wachmann den er mit sich runterzog. Er verlor für wenige Momente das Bewusstsein und als er es wieder erlangt hatte, war der Schmerz ohrenbetäubend. Er brauchte ein paar Sekunden um zu kapieren, dass die Wache auch noch völlig überrumpelt dalag, vermutlich weil sie so abrupt aus ihrem Schlaf gerissen worden war. Zu seinem Glück bemerkte Sigurd, dass seine Hand direkt neben dem Messer lag. Die Wache wollte sich aufrappeln, dabei fluchend: „ΤιαπότονΆδη ...?!“, als Sigurd die Klinge das erste Mal in das Fleisch stach, mitten in den Rücken. Das zweite Mal folgte sogleich und dann ein drittes Mal, wobei sich der Jüte immer weiter nach oben getastet hatte, sodass der vierte und fünfte Treffer den Hals traf. Jegliche Worte, die die Wache noch hätte sprechen können, erstarben mit dem Lebenslicht als sein Körper erschlaffte.
Sigurd atmete laut ein und aus. Ein und aus. Dann blickte er sich vorsichtig um: der Korridor blieb leer. Er benutzte den Körper um sich selbst aufzurappeln, immer noch laut atmend und versuchend den Schmerz runterzuschlucken. Immerhin war das Schwindelgefühl nach der kurzen Besinnungslosigkeit bisschen zurückgefahren, auch wenn es nicht weg war. Als Sigurd wieder stand, blickte er sich erneut um: diverse Türen, geschlossen, waren zu sehen, aber auch Korridore. Dem Jüten wurde schlagartig klar, dass er keine Ahnung hatte wo er war, geschweige denn wo er in diesem Labyrinth einen Ausgang finden konnte. Er fluchte innerlich, blickte in die Korridore und entschied, dass stehenbleiben ihm nicht weiterhalf. Also ging er einfach geradeaus, den Korridor entlang. Er passierte einige geschlossene Türen, zwei Korridore, die links und rechts auch nur geradeaus führten und fing an zu verzweifeln. Ich hab nicht diese Gelegenheit bekommen, hab eine Wache getötet nur um nun an diesen verdammten Korridoren zu scheitern!, dachte er sich verärgert, So einen Spaß konnten sich nur diese verfluchten Götter ausdenken!
Er musste erneut stehenbleiben um zu Atem zu kommen, als er etwas sah: zu seiner rechten führte ein offener Türrahmen in einen Raum mit einem Kamin. Und direkt vor dem Kamin lag eine Sigurd nur allzu vertraute Gestalt: Chloe. Sie schlief offenkundig, direkt an der Wärme des ersterbenden Feuers. Der Jüte blickte sie für wenige Momente an, unschlüssig was er tun sollte. Soll ich…?, überlegte er und blickte wieder in den endlos erscheinenden Korridor, Es könnte jeden Moment jemand kommen…es ist ohnehin viel zu leer…Der Griff um das blutige Messer wurde fester und er betrat den Raum. Das Mädchen lag auf ihrem Rücken, die Hände ausgestreckt – jetzt würde man kaum erkennen, dass sie eine gefolterte Sklavin war, wenn der Eisenring um ihren Hals nicht wäre. Sigurd kniete neben ihr nieder, ganz vorsichtig um den Schmerz nicht zu vergrößern, und legte die Schneide des Messers ganz behutsam an ihre Kehle. Dann legte er die andere Hand auf ihren Mund und die Nase um die Atmung zu unterbrechen. Es dauerte nur wenige Momente und das Mädchen erwachte schreckhaft, ihn mit weit geöffneten Augen anblickend. „Shhh….“, erklärte er und drückte das Messer ganz leicht an ihre Kehle, damit sie verstand, „Ein falsches Wort und du weißt was dir blüht…“, erklärte der Jüte und nahm die zweite Hand von ihrem Mund, „Du weißt wo es hier rausgeht oder?“, und als sie nichts sagte, fügte er hinzu, „Das darfst du mir sagen.“
Ihre Atmung war unregelmäßig. „Chloe weiß…“, erklärte sie fast flüsternd, „Chloe kennt den Weg.“ „Dann wirst du ihn mir zeigen.“, entgegnete Sigurd und die Kleine wollte bereits den Kopf schütteln, „Du wirst ihn mir zeigen!“, fügte er energischer hinzu. „Nein, nein, nein…“, antwortete das Mädchen, voller Angst in der Stimme, „Wenn Chloe dir das zeigt, dann wird sie bestraft. Fürchterlich bestraft. Dann wird Chloe wie Kassandra enden, blutig hängend…nein, nein, nein…“, sie fing an zu weinen, „Chloe will nicht sterben, Chloe will nicht sterben, nein, Nein, NEIN.“ Sigurd drückte das Messer wieder stärker zu und erzwang so ihr Schweigen. „Chloe wird sterben, wenn sie mir nicht zeigt, was ich wissen will.“, erklärte er und versuchte so überzeugend zu klingen wie nur möglich, „Nicht erst wenn der Meister dich findet, sondern sofort, auf der Stelle. Und glaub mir es wird mehr wehtun als all der Schmerz, den du je erlitten hast.“ Dieses kleine Mädchen noch weiter in Angst und Schrecken zu versetzen, als es Babylas bereits getan hatte, behagte dem Jüten überhaupt nicht, aber er wusste – sie war sein Weg raus. Es gab niemanden sonst. „Also verstehen wir uns?“, fragte er erneut. Sie brauchte einen Moment, bevor sie antwortete: „Ja.“
Sigurd erhob sich langsam, das Messer weiter auf sie gerichtet, während sie langsam aufstand. Er behielt die kurze Distanz bei, damit sie nicht auf dumme Gedanken kam. „Führ mich.“, erklärte er, „Der schnellste Weg hier raus.“ „Der schnellste?“, fragte das Mädchen unsicher und drehte sich zum Ausgang. „Ja, ich weiß nicht wie lange wir noch allein bleiben werden.“, erklärte Sigurd, wobei er auf sie blickend hinzufügte, „Selbst wenn jemand kommt, dich zu töten dauert nicht lang.“ Sie nickte. „Der Meister ist fort.“, erklärte sie, „Er sagte nicht warum, aber dass es dauern würde. Das war gestern.“ Das machte Sigurd neugierig, während Chloe nun anfing loszugehen und er ihr folgte. „Und die anderen?“, fragte er, „Wo sind die?“ „Er nahm die meisten mit.“, erklärte sie, „Der Meister war wütend. Er schrie und schlug. Jemand hatte etwas gewagt, was er nicht hätte wagen sollen…“, sie schluchzte, während sie nun dem Korridor nach rechts folgten. „Heißt das der eigentliche Ausgang ist frei?“, fragte Sigurd hoffend. Sie schüttelte ihren Kopf. „Nein, Bion bewacht diesen.“, erklärte sie, „Er und zwei weitere. Sie haben mich beim Stehlen vom Essen erwischt und vertrieben. Immerhin bewarfen sie mich mit Brot – es war lecker.“
Sigurd warf ihr einen Blick zu. Sie hat es deutlich schlimmer gehabt als ich…und auch deutlich länger...wurde ihm bewusst, als sie in einen Raum bogen. „Was zum…?“, dachte er sich und blickte sie verärgert an, „Das ist die Latrine!“ Entlang der Wände war eine Kistenkonstruktion aus Stein aufgebaut, an dessen oberer Fläche von Zeit zu Zeit ein Loch auftrat, auf den sich die Leute setzen konnten. Es war nicht der sauberste Ort und die Löcher sahen häufig benutzt aus. „Ja, aber auch der schnellste Ausgang.“, erklärte Chloe und führte Sigurd zu einer Stelle der Latrine, wo Risse in der Wand der Kistenkonstruktion zu sehen waren. Chloe legte einige Finger herein und konnte dieses Teil lösen – der Abfluss offenbarte sich und der Gestank – bereits beim Eintreten nicht der angenehmste – war nun unerträglich, weswegen sich Sigurd auf der Stelle die Nase zu halten musste. Der Abfluss kam hier zusammen und führte direkt in ein dunkles Loch. „Du willst dass ich durch die Scheiße gehen muss?“, fragte er sie ungläubig, „Das ist dein Ausgang?“ „Der einzige der unbewacht ist.“, erklärte Chloe und blickte ihn an, „Das Loch führt zum See.“ „See?“, fragte Sigurd verwirrt, „Was für ein See?“ „Mareotis.“, erklärte Chloe als wäre es selbstverständlich, „Willst du fliehen oder nicht? Ich muss die Latrine wieder schnell zumachen, bevor jemand kommt.“
Sigurd blickte dem unliebsamen Ausgang entgegen. Solange habe ich darauf gehofft und am Ende kommt doch die dickste Scheiße…dachte er sich und blickte das Mädchen an: „Nein.“, sagte er ihr, „Du kommst mit mir.“ Chloe war bis hierhin wieder völlig ruhig gewesen, unnatürlich ruhig, aber als er das ausgesprochen hatte, blickte sie ihn entsetzt an. „Nein, nein, nein…“, erklärte sie leicht zurückweichend, weswegen Sigurd ihr folgte, „…Chloe kann sich herausreden. Herausreden! Nur wenn sie bleibt. Wenn sie auch flieht…nein, nein, nein…der Meister wird sie bestrafen. So wie Alexis. Erst ein Arm, dann der nächste…nein, nein, ich kann nicht, ich kann nicht…!“ Der Jüte hatte genug und griff ihren Arm. „Du wirst.“, antwortete er und warf das überraschte Mädchen in Richtung des Loches, wo es runterfiel, laut schreiend. „Dann mal ab in die Scheiße.“, ging er nun selbst hinein und sprang runter.
Spoiler:(zum lesen bitte Text markieren)
Vokabel: ΤιαπότονΆδη ...?! = griech. für „Was beim Hades…?!“
Er hatte bereits viel über Alexandria gehört, doch sämtliche Berichte wurden dem, was er vor sich sah, nicht wirklich gerecht. Es war wirklich ein außergewöhnlicher, nahezu unglaublicher Anblick. Der weiße Stein der Gebäude harmonierte perfekt mit dem satten Blau des Himmels und des Wassers, sowie dem satten Grün um die Stadt herum. Wie eine große Oase inmitten all dem endlos wirkendem Sand.
An seinem Arm war wieder ein wenig gerötete, abblätternde Haut, aufgrund der vielen Sonne welcher er in den letzten Tagen ständig ausgesetzt worden war, doch das störte ihn nicht sonderlich. Die Reise war endlich zu Ende. Am Ende hatte es dank diverser Verspätungen dank eines Sandsturms sogar ein wenig mehr als 4 Wochen gedauert.
Lati war dabei mitzuhelfen ein paar der Waren von den Kamelen abzuladen. Auch wenn ihn die Geschäfte Mutarrif's nun eigentlich nichts mehr angingen, so tat er es doch aus einer Gefälligkeit heraus. Ohne die Hilfe des Mannes hätte es wohl noch eine ganze Weile gedauert, ehe er aus Baranis hätte abreisen können. Gerade verlud er einen vollen Zimtsack auf eine der bereitgestellten Karren, als jemand ihn von hinten antippte. Es war Abasi. "Ich glaube Mutarrif braucht deine Hilfe." Tatsächlich war der Großhändler gerade in einem Gespräch. Er freute sich, als er Lati ihm zur Hilfe kommen sah. "Salam Lateef! Gut dass du da bist, mein Junge. Sieht so aus als könnte ich doch noch einmal von deinem Talent profitieren. Würdest du bitte....?" "Salam Mutarrif. Natürlich." erwiderte er auf Arabisch. Zunächst besah er sich Mutarrif's Gesprächpartnerin. Eine Ägypterin, wohl noch einige Jahre jünger als er selbst, begleitet von einer anderen Dame und einem etwas in die Jahre gekommenen Mann. Besah man sich ihre Kleidung und generelle Haltung im Vergleich zu der der beiden anderen, so lag der Schluss nahe dass sie offenbar ihre Diener waren. Der Höflichkeit wegen machte er einen kurzen Knicks. "Seid gegrüßt werte Dame. Mein Name ist Lateef. Bitte verzeiht Mutarrif, er ist das erste Mal hier in Alexandria und spricht nur ein wenig Ägyptisch. Womit kann er euch helfen? Möchtet ihr etwas von seiner Ware erwerben?" Oder war es vielleicht sogar jemand der von ihm gehört hatte und ihm ein Schiff anbieten wollte?
Tatsächlich hatten die Götter ein Einsehen und beschlossen dieses Schauspiel zu beenden, indem sie jemanden schickten der den beiden Händlern als Mittler dienen konnte. Dieser jemand war ein Mann, ein gutes Stück größer als Neferu und auch älter vom Aussehen her. Seine Haut war unüblich hell für jemanden aus Unterägypten, ein Umstand unter dem sie beim Marsch durch die Wüste scheinbar gelitten hatte. Sein Ägyptisch war hervorragend und da er auch arabisch konnte, vermutete sie das er in einem der Umschlagplätze für Waren aus Arabica aufgewachsen war.
Normalerweise versuchte sie Übersetzer zu vermeiden, gingen durch diese doch oft die sprachlichen Feinheiten des Geschäftes verloren und man musste auf ihre Übersetzungen vertrauen. Nicht umsonst hatte sie angfangen aramäisch zu lernen, im Gegensatz zur Seefahrt verstanden Juden nämlich sehr viel vom Handel.
Nun jedoch blieb ihr keine andere Wahl als den Fertigkeiten und der Ehrlichkeit der Sorgfalt des Übersetzers zu vertrauen.
"Seid gegrüßt Lateef. Mein Name ist Lucretia Antonius Pius Neferu, aber ihr dürft mich ruhig mit Neferu ansprechen. Ich bin eine örtliche Händlerin hier in Alexandria.", stellte sie sich höflich vor, wobei ihr Blick dabei zuerst auf Lateef ruhte, dann wieder zu Mutarrif wanderte. Geduldig wartete sie bis der Ägypter ihre Worte übersetzt hatte, dann fuhr sie fort: "Ich bin nicht hier um etwas von seinen Waren zu erwerben, auch wenn mich schon die Kunde von ihrer hervorragenden Qualität ereilte.", sprach sie freundlich und lächelte den Araber an.
"Ich hörte auch das er die Absicht hat seine Waren in Ostia zu verkaufen, ein Handelsort zu dem mich meine Geschäfte schon oft geführt haben. Momentan plane ich eine erneute Reise zu organisieren, ein Schiff habe ich dafür auch in Aussicht.", erklärte sie den Grund ihrer Anwesenheit.
Nachdem ihre Worte ins arabische gewechselt worden waren, erhob sie wieder ihre Stimme: "Es ist ein großes Schiff, mit viel Stauraum. Raum den ich nicht komplett benötigen werde. Wie er sich denken kann ist die Miete eines Schiffes ein kostspieliges Unterfangen und so suche ich einen Teilhaber. Für einen entsprechenden Anteil an den Kosten, biete ich ihm Platz für seine Waren an." Die Ägypterin machte mit ihrem rechten Arm eine einladende Geste und lächelte den arabischen Händler erwartungsvoll an. Sie beschloß erstmal eine Antwort abzuwarten, es war immer gut ein paar Argumente in der Hinterhand zu behalten.