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Storycube-Geschichten werden mit Hilfe zufällig ausgewürfelter Begriffe aus der Gothicwelt geschrieben. Die Herausforderung besteht darin, aus den unter Umständen schwer zu vereinbarenden Begriffen eine stimmige Geschichte zu verfassen. Hier können gerne auch andere Autoren ihre Storycubes verfassen.


Für die folgende Geschichte waren diese Schlüsselbegriffe vorgegeben:

Lares
Gomez‘ Rüstung
Flammendorn
Brief an die Feuermagier
Barthos von Laran
Raven


Päckchen für Corristo

„Du darfst keinen Schritt über diese Schwelle treten, es sei denn Meister Corristo gestattet es dir.“
Lares hielt mitten in der Bewegung inne und ließ seinen Fuß über der Stufe zum Tempel der Feuermagier verharren. Gleichzeitig bedachte er den Wächter der Schwelle mit einem prüfenden Blick. Der junge Novize des Feuers war noch nicht lange in der Barriere, das sah man direkt. Seiner Haltung fehlte es an Autorität, seiner weichen Stimme an Durchsetzungskraft. Und so war es kein Wunder, dass ein freier Bandit wie Lares sich von diesem Milchtrinker keine Vorschriften machen ließ und mit seinem Fuß provokativ auf die Schwelle trat.
„Lass mich vorbei, Kleiner. Ich bin Bote der Wassermagier aus dem Neuen Lager und habe eine Lieferung für euren Oberguru Corristo.“
Auf der Stirn seines jungen Gegenüber bildeten sich winzige Schweißperlen. Mutig breitete er seine Arme aus und stellte sich Lares in den Weg.
„Wenn du einen Brief an die Feuermagier bei dir trägst, dann gib ihn mir. Ich werde ihn an Meister Corristo weiterreichen, wenn er eine Pause von seinen Studien macht.“
Lares wägte seine Optionen ab, tippte ungeduldig mit dem Fuß auf der Stufe und entschied sich dann doch für den direkten Weg. Seine Botschaft war zu pikant, als dass er sie einem Novizen übergeben konnte.
„Inakzeptabel“, sagte der Bandit und drückte sich an dem mageren Männchen vorbei ins Innere. Doch so leicht wollte sich der pflichtbewusste Kerl nicht denunzieren lassen.
„Du betrittst heiligen Boden! Wenn du nicht sofort herauskommst, muss ich Magie anwenden.“
Ein Schmunzeln stahl sich auf Lares‘ Lippen. Der heilige Teppich zu seinen schmutzigen Füßen fühlte sich wirklich angenehm an. Er traute es diesem Jüngling nicht zu, dass er tatsächlich einen Boten der Wassermagier angriff. Lares hatte ein äußerst gutes Gespür für Menschen.
„Halloho!“, rief er laut und seine Stimme hallte an den hohen Wänden des steinernen Gebäudes wider, „Päckchen für Corristo!“
„Ich habe dich gewarnt! Flammendorn!“
Lares zuckte zusammen. Hatte er den Wächter der Schwelle falsch eingeschätzt? Er erwartete jede Sekunde einen Feuerball, der direkt über seinen Kopf sauste, doch es geschah nichts.
„Hmm“, brummte der junge Magier und war ähnlich überrascht wie Lares, „Das war wohl der falsche Zauber.“
Plötzlich waren Schritte auf den hohen Hallen zu vernehmen und aus dem Fackelschein manifestierten sich die Konturen des alten Hochmagiers Corristo.
„Flammendorn ist eine seltene Alchemiezutat, aber kein magischer Spruch, mein lieber Milten.“
Der junge Mann verneigte sich ehrfürchtig.
„Verzeiht Meister. Dieser Mann ist ein Bote der Wassermagier, aber er zeigt keinen Respekt gegenüber den Heiligtümern Innos‘.“
„Ist schon gut, ich kümmere mich darum.“
Corristo wies Milten mit einem Wink, sich wieder an die Arbeit zu machen.
Lares musste ob dieser Zurechtweisung schmunzeln. Es war klar, wer hier die Robe anhatte.
„So und nun zu dir, Bote!“
Ehe sich Lares versehen konnte, hatte der alte Magier ihn gepackt und mit einer magischen Druckwelle gegen eine Wand gepresst. Da war dem Menschenkenner nicht mehr nach Schmunzeln zumute.
„Wenn ich noch einmal erlebe, wie du meinem Schüler gegenüber respektlos auftrittst, wird man dich nicht mal mehr von einem gebratenen Scavenger unterscheiden können.“
„‘tschuldigung“, keuchte Lares, „Aber darf ich mich erklären? Ich habe wirklich eine sehr heiße Botschaft. Sehr heiß.“
Corristo gab ihn aus seinem magischen Griff frei und Lares rieb sich verunsichert den Hals. Er war bislang noch nie persönlich mit Magie konfrontiert worden und hatte sie eher als Schabernack abgetan. Diese Ansicht musste er wohl überdenken. Er räusperte sich und griff in seiner Tasche nach einem Bündel, das persönlich an Corristo adressiert war. Darin befand sich in edles Leder gehüllt ein Buch, die Abschrift eines großen Werkes.
„Geheimnisse der Zauberei - von Barthos von Laran. Wir besitzen hier mehrere Abschriften davon. Warum schicken mir die Magier dieses Buch?“
„Öffne es doch mal.“
Der oberste Feuermagier zog die Stirn kraus und schien sich bereits jetzt um seine wertvolle Zeit betrogen zu fühlen, doch die Neugier überwog schließlich. Aus dem Buch löste sich ein Brief, der direkt an Corristo gerichtet war. Das Siegel war gebrochen.
„Was hat das zu bedeuten? Hast du den Brief etwa gelesen?“
„Ich habe ihn sogar von draußen mitgebracht, als sie mich in die Barriere geworfen haben. Es ist mein Mitbringsel an Euch.“
Corristo entfaltete das Schreiben und überflog es zunächst nur flüchtig, doch als er den Namen des Absenders las, schien seine alte Miene einzustürzen.
„D-das ist ein Brief von Elizabeth. Unmöglich! Woher hast du das?“
Lares verschränkte die Arme und langsam kehrte wieder ein Schmunzeln zurück auf seine Lippen.
„Lies‘ weiter, alter Mann.“
Es war ein wahrhaft phänomenaler Anblick, der sich dem Banditen hier bot. Der oberste Magier des Feuers, der vielleicht mächtigste Mann innerhalb der gesamten Kolonie, bekam vor ihm weiche Knie und zittrige Hände. Ein Augenblick der bedrückenden Stille verging, ehe sich der Magier langsam wieder fassen konnte.
„Sie ist tot. Das ist ein Testament. Ihr letzter Wille… Wann?“
Lares nickte: „Vor einem Jahr etwa.“
„Und du – du bist mein…?“
„Ja, Vater.“
„Das ist nicht möglich, das kann doch nicht sein. Innos steh mir bei!“
Corristo griff wieder mit seinen faltigen Händen nach dem Gesicht des jungen Mannes, doch diesmal zaghafter, als berührte er eine empfindliche Statue aus gespiegeltem Glas. Lares konnte die Genugtuung kaum unterdrücken, die ihn durchflutete, als er endlich seinen leiblichen Vater traf. Natürlich war die Beziehung zwischen ihm und Lares‘ Mutter Elizabeth eines der größten Geheimnisse innerhalb der Klostermauern gewesen. Corristo hatte sie und seinen Bastard von einem Sohn verstoßen, um sein Ansehen im Kreise der Kirche nicht zu beflecken. Wenn diese Schande aufflog, würde das seiner Stellung im hohen Rat massiv schaden. Es war auch einer der Gründe, warum Corristo nicht sonderlich scharf darauf war, die Barriere zu zerstören, wie die Wassermagier es planten. Hier in seiner heilen Blase lief für ihn doch alles, wie er es brauchte.

„Ich würde sagen, wir verhandeln jetzt mal ein bisschen über die Abgaben des Alten Lagers an das Neue Lager und einen kleinen nun… familiären Bonus. Für das Überbringen der Botschaft versteht sich.“
„Du willst mich erpressen? Deinen eigenen Vater?!“
Auch die nachfolgende Reaktion hatte Lares kommen sehen. Mit einem einzigen Fingerschnippen ließ der ertappte Hochmagier das Schreiben in Flammen aufgehen. Lares‘ Grinsen wurde breiter.
„Du glaubst nicht im Ernst, dass das das Original war oder? Nein, mein Freund Cronos hat mir freundlicherweise eine Abschrift angefertigt. Und zufälligerweise ist Cronos einer der…“
„… Wassermagier, das ist mir bekannt.“
Corristo kochte in einer Mischung aus Scham und Zorn. Gleichzeitig würde er wohl kaum die Hand gegenüber seinem Sohn erheben. Lares wusste von Anfang an, dass dies sein Freifahrtschein für ein angenehmes Leben innerhalb der Barriere werden würde.
„Aber Cronos ist ein knallharter Geschäftsmann. Für eine entsprechende Gegenleistung sind wir dazu bereit, das Original bis zum Fall der Barriere zu verstecken. Und es dir anschließend zu überlassen.“
„Na schön. Verhandeln wir. Was willst du von mir?!“
„Vielleicht erst einmal einen Schluck Schnaps? Und dann machen wir es uns gemütlich und reden über die Einzelheiten.“

Etwa eine Stunde später verließ Lares den heiligen Tempel der Feuermagier mit seinem schmierigsten Grinsen und einem riesigen Beutel voller Erz. Dabei stolzierte er so selbstgefällig durch die Burg des Feindes, dass selbst den Erzbaronen dieses Verhalten nicht unbemerkt blieb. Raven, die rechte Hand von Gomez persönlich, war es, der Lares auf dem Weg aus der Burg konfrontierte, den riesigen Sack mit Erz vor Augen.
„Was glaubst du, was du hier machst, Bandit?“, zischte er mit seiner kratzigen Krähenstimme, „Stolzierst hier mit einem riesigen Sack Erz durchs Lager und hoffst, nicht versehentlich in eine Grube voller Messer zu laufen, was?“
„Ich bin nur ein Bote der Wassermagier“, erwiderte Lares unschuldig.
„Und das ist wohl die Belohnung für deinen kleinen Botendienst, hm? Ein ganzer Sack voll Erz?“
„Genau.“
„Gib mir nur einen Grund, warum ich dir nicht auf der Stelle die Kehle aufschneiden sollte, du dreckiger Wurm.“
Lares zuckte mit den Schultern.
„Nun ja, weil Corristo gerade aus seinem Turmfenster ganz genau beobachtet, was hier vor sich geht und ich unter seinem persönlichen Schutz stehe, darum.“
Dann ging er sogar noch etwas weiter und zupfte dem Erzbaron am Schattenläuferfell, aus dem der Kragen seiner Rüstung gemacht war.
„Vielleicht kümmerst du dich besser um andere Dinge. Du könntest zum Beispiel Gomez‘ Rüstung polieren oder sowas in der Art.“
Doch Raven verstand keine Scherze und schlug ihm nur die Hand zur Seite.
„Deine Arroganz wird dir noch leidtun. Dir und den aufgeblasenen Feuermagiern. Merk dir eins: Irgendwann werden sie nicht da sein, um dich zu beschützen. Und dann ist die dunkelste Stunde für euch Mistkerle vom Neuen Lager gekommen. Verlass dich drauf!“