Portal-Zone Gothic-Zone Gothic II-Zone Gothic 3-Zone Gothic 4-Zone Modifikationen-Zone Download-Zone Foren-Zone RPG-Zone Almanach-Zone Spirit of Gothic

 

Ergebnis 1 bis 2 von 2
  1. Beiträge anzeigen #1 Zitieren
    Deus Avatar von Sir Ewek Emelot
    Registriert seit
    Feb 2008
    Ort
    Peripatos
    Beiträge
    13.289
     
    Sir Ewek Emelot ist offline

    Post [Story]Sabatha II

    "Das Reich ist saturiert."




    Es war ein wunderschöner, sonniger Tag im Frühsommer des Jahres 1845, als Seine Majestät Grerog Granimor, König von Biblur, Herzog von Trafen, aus dem Leben geschieden waren. Nach 16 glücklichen Jahren Ehe mit der Monarchin, Sabatha II., nach der Zeugung dreier Kinder und einem erfolgreichen Leben an der Seite der Regentin, war der Tod ebenso jäh, wie tragisch über den König hereingebrochen: Begonnen hatte der Tag wie jeder andere, seit Sabatha mit den ihren die königliche Sommerresidenz an der bithanischen Küste bezogen hatte: Man war spät aufgestanden, hatte noch später gefrühstückt, den Vormittag in sehr familiärer und informeller Atmosphäre verbracht, um sich sodann, am Nachmittage, den Vergnügungen zu widmen, welche das Umland hergab. An diesem Tage hatte man sich zu einem Ausritt in den nahe gelegenen Forst entschieden, mit anschließendem Picknick auf einer wohlbekannten, friedlichen Lichtung.
    Die Vorbereitungen waren ebenso vergnüglich, wie reibungslos verlaufen, und bald schon machte man sich mit kleinem Hofstaat, auf den keckernden und hoppelnden Ziegen reitend, auf den Weg.
    So schön der Tag bis dahin aber auch verlaufen war, so schrecklich sollte er enden. Niemand hatte den schlimmen Reitunfall voraussehen können, der den armen Grerog ereilen sollte, als seine Ziege plötzlich - wer weiß wovon? - aufschreckte und durchging.
    Die Trauer über den Tod des Königs war groß gewesen, in der Familie ebenso wie im ganzen Volke von Biblur, und ein jeder Goblin nahm am Schmerz der Königsfamilie Anteil. Am meisten jedoch hatte die Königin selbst getrauert: War Grerog doch Spross aus altem, herzoglichem Adelshause, und somit eine von wenigen standesgemäßen Partien für die Thronerbin Sabatha gewesen, so war er doch zugleich auch einer ihrer ältesten Jugendfreunde, und ihr von Herzen und in innigster Liebe zugetan. Und so hatten diese beiden das ungeheure Glück erlebt, in Erfüllung aller politischen Pflicht zugleich auch dem eigenen Herzenswunsche nachzukommen.
    Umso größer war das Unglück, welches Sabatha nach dem Tod ihres Gemahls befiel.

    Die Herrscherin hatte ihren Schmerz in Arbeit zu ertränken versucht, und sich voll und ganz den Staatsgeschäften zu widmen begonnen, sowie der Erziehung ihrer drei Kinder, insbesondere des Thronerben. Weiterhin hatte sie sich vermehrt der Förderung gemeinnütziger Projekte und Institutionen verschrieben, auch Kunst und Wissenschaft nach Kräften gefördert, und überhaupt allerlei Betätigungsfelder gefunden, die ihr die Einsamkeit im Herzen vergessen machen sollten.
    Zwei Jahre waren dergestalt ins Land gegangen. Zwei Jahre, in denen Biblur wohl gedieh, die Königin jedoch zusehends dahinwelkte. Ihre einstmals füllige Gestalt nahm zunehmend ab, das glänzende, grüne Fell erstumpfte, und die einst lebensfrohe Monarchin war nunmehr traurig und ernst.
    Sabatha hätte diese schlimme, finstere Zeit womöglich nicht überstanden, hätte es da nicht doch einen Lichtblick gegeben, der ihr grames Herz mit Freude zu erfüllen vermocht hätte: Graf Anrig zu Westemünde, Cousin und Jugendfreund des verstorbenen Gatten, der die Trauer um den zu früh Verstorbenen mit Sabatha teilte, und viele Stunden mit ihr verbrachte. Hatten sich diese beiden doch immer schon geschätzt, so entwickelte sich in der gemeinsamen Trauer doch nun eine tiefe Freundschaft, und bald schon war Anrig das einzige, was Sabatha aus ihrer Schwermut erretten konnte: Seine ruhige und freundliche Art, sein einfühlsames und sensibles Wesen, seine vollendeten und doch herzlichen Umgangsformen waren Balsam für Sabathas Seele.
    Es wunderte in der Tat niemanden, als die Königin verkündete, dass sie erneut zu heiraten gedenke, und erst recht nicht, als es hieß, dass Anrig ihr neuer König werden solle: Eine Liaison, die allgemeine Zustimmung erweckte, sowie die Hoffnung auf Ihrer Majestät baldiger Genesung und der Rückkehr des Hofes zur Normalität.

    Die Hochzeit wurde denn auch mit allem Prunk und Brimborium gefeiert, Anrig feierlich gekrönt, und ganz Biblur beglückwünschte das herrschaftliche Paar. Mit großem “Vivat” prozessierte die Hochzeitsgesellschaft durch die Stadt, Parlament wie Kronrat machten den Brautleuten ihre Aufwartung, und endlich, nach langer und ausgelassener Feier, begaben sich König und Königin ins Brautgemach: Anrig von einer feurigen und sichtlich erregten Sabatha an der pelzigen Hand mitgerissen.

    “Oh, endlich sind wir die los!”, seufzte die Königin, als die Tür ins Schloss fiel. Sie drückte Anrig gegen die Tür, und küsste ihn inniglich. “Komm jetzt endlich, mein König!” Und weiter zerrte sie ihn, zum Bett.
    Bald schon tauschten Königin und König allerlei Zärtlichkeiten aus, und immer heftiger und inniger wurde Sabathas Erregung. Schnell entledigte sie sich ihres Brautkleids, Schleier und Unterrocks, und auch Anrig gingen Frack und Hemd, Stiefel und Hose verlustig. Und es war in diesem Augenblicke, da Sabathas Erregung einen allzu plötzlichen Dämpfer widerfuhr:
    “Was ist denn?”, fragte sie, als sie Anrigs Unpässlichkeit gewahr geworden war. Der indes druckste schüchtern, ob der Peinlichkeit seiner Lage, suchte nach Worten der Entschuldigung, dass es gewiss nicht an ihr liege, da sie ja doch eine famose und wunderschöne Frau sei. Sabatha, obzwar ein wenig enttäuscht, beschied ihm, dass es nichts ausmache, und sie durchaus darauf warten könne, dass er mehr Vertrauen fasse; er werde seine Lust an den ehelichen Pflichten schon noch finden, es gebe keinen Grund, sich unter irgendeinen Druck zu setzen.
    Doch auch an den folgenden Tagen und Nächten veränderte sich an der Situation des Paares nichts: Äußerer Zärtlichkeiten befleißigte sich Anrig noch in zufrieden stellender Weise, sollte es aber tiefer gehen, so versagte seine Anatomie, ganz plötzlich. Anrig wurde von mal zu mal von wachsender Nervosität ergriffen, Sabatha indes von stetig größerer Enttäuschung ob der unbefriedigten Erregung.
    Schließlich, eines Abends, stellte sie ihren Gemahl zur Rede.

    Mehrmals musste er neu ansetzen, eher er schließlich die rechten Worte fand, die sowohl seine tief empfundene Liebe zu Sabtha ausdrückten, wie auch die Einschränkung derselben: Adanos, so teilte er mit, habe ihn gewissermaßen am andern Ufer seines großen Ozeans zu platzieren beliebt.
    Sabathas Enttäuschung war groß. Nicht nur der erhofften Hochzeitsnacht, sondern überhaupt aller in Aussicht stehenden Liebesnächte beraubt, gekränkt und unbefriedigt, lag sie an jenem Abend noch lange wach, selbst, nachdem die immer verzagter gewordenen Entschuldigungen Anrigs verklungen waren.

    Am nächsten Morgen überraschte Sabatha ihre Umgebung mit einer außerordentlich schlechten Laune: Die sonst so sanftmütige Herrscherin war ganz entschieden unleidlich, schimpfte mit Zofen und Kammerdiener, brüskierte den Reichskanzler, schalt Bittsteller, sie sollten sich größerer Eigenverantwortung und Eigeninitiative befleißigen, und bis zum Nachmittage hatte sich allgemein herumgesprochen, dass Ihr Majestät “nicht vergnügt” sei.
    An jenem Nachmittag stand eine wichtige Sitzung des Parlaments an, an der, als Königin und Vorsitzende, auch Sabatha teilzunehmen hatte. Mit grimmer Miene und forschem Schritt, bei dem sich das ausladende, elegante Kleid bauschte, eilte sie in den altehrwürdigen Saal, und nahm auf ihrem Thron inmitten der Plätze des Kronrates, gleich gegenüber des Plenums der Abgeordneten, Platz. Adelige und klerikale Lords, Amtsadel und gewählte Vertreter des Bürgerstandes strömten nach und nach herein, warfen besorgte Blicke auf die sichtlich unzufriedene Königin, und nahmen ihre Plätze ein.
    “Was der wohl für eine Schabe ins Gesicht gespuckt haben mag?”, sinnierte Graf von Halbrig, an seinen Sitznachbarn, den alten Henselt, gewandt. “Es heißt, sie sei schon seit Wochen unleidlich”, antwortete der, “seit der Hochzeit. Und dabei schien Anrig ihr doch so gut zu tun!” “Ich kann mir schon denken, was unsrer Monarchin fehlt”, warf von hinten Herzog Kunigald Granimor ein, mit ebenso wissendem, wie süffisantem Lächeln: Wie der verstorbene Onkel Grerog war auch ihm Anrig von Kindesbeinen an vertraut, und so wusste er nur allzu gut von dessen amourösen Präferenzen. Doch heftigster Nachfragen zum Trotz schwieg sich Kunigald im weiteren aus, ließ nur sein Lächeln sehen, was die ihn umgebenden nur weiter dazu drängte, ihn in der Hoffnung auf Antwort zu bestürmen.

    Da das Gemurmel sich nicht abzuebben anschickte, umwölkte Sabatha ihre Stirn mit weiteren, ärgerlichen Falten, und machte von dem Glöckchen gebrauch, welches ihr als Vorsitzender anheim gegeben war, um sich im Falle allzu schlimmer Eskalation Gehör und der Sitzung die angemessene, würdige Ordnung verschaffen zu können.
    Schließlich kehrte Ruhe ein, und die Sitzung begann.
    Es handelte sich um eine wichtige und überaus staatstragende Angelegenheit, bei welcher die Opposition der Regierungspartei üblen Wahlbetrug vorwarf. Zudem seien die getroffenen Maßnahmen das genaue Gegenteil dessen, was in Anbetracht der äußert schwierigen Lage (ging man nach den Diskussionen im Parlament, so war die Lage der Nation IMMER äußerst schwierig) erforderlich sei. Die Regierungspartei indes warf der Opposition destruktives und hohles Gerede vor, und zudem habe sie es in der vergangenen Legislaturperiode, als sie noch an der Regierung gewesen sei, gar nicht anders gemacht, vielmehr sogar noch wesentlich schlechter, und nun habe man eben mit den Folgen dieser garstigen Politik zu kämpfen. So einige Redner kamen zu Wort, darunter auch alte und ehrwürdige Abgeordnete, und es wurden viele wohlgeratene und kluge Dinge gesagt.
    Als aber nach einigen Stunden der Debatte sich kein Ergebnis einstellen wollte, und auch eine zweite und gar dritte Abstimmung nurmehr zu einem Unentschieden führte, beschloss Sabatha, die Sitzung für eine Stunde zu unterbrechen. Erleichtert zerstreuten sich die Staatsmänner in die Pause hinein, strebten den Ausgängen zu, in die angrenzen Zimmer, in welchen sich wahlweise an vorbereiteten Speisen gütlich getan oder geraucht werden konnte, oder beides.
    Sabatha eilte in Richtung ihres privaten Kabinetts, wo ihr Speis und Trank aufgetragen werden sollten.

    “Euer Majestät”, sprach sie, mit angenehmer Stimme, ein geschmackvoll und nach neuester Mode gekleideter, junger Abgeordneter an, trat aus dem Schatten einer Säule ihr in den Weg, und verbeugte sich ebenso anmutig, wie respektvoll. “Oh, Kunigald”, sagte Sabatha, die Stirn zu ihrem missvergnügten Runzeln gefurcht, “es ist mir eine Freude, Sie zu sehen.” Sie sagte dies in einem Tone, der keinen Zweifel daran ließ, dass sie ganz und gar nicht darüber erfreut war: “Aber wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden…”, und damit wollte sie den jungen Herzog stehen lassen. Der aber wich geschickt einige Schritte zurück, und zwar in einer Weise, die durchaus keinen Eindruck von Unwürde erweckte, blieb somit freilich der Königin vor der Nase, und hob erneut an: “Euer Majestät wirken überaus besorgt, gewiss der äußerst schwierigen Lage wegen, in der das Reich sich ja allenthalben, und gerade jetzt, befindet. Ja, die Okkupation durch die hohe und wichtige Politik müssen Ihrer Majestät wahrlich alle Ruhe rauben. Ich nehme ja noch nicht so lange Anteil an der Politik, und bin darin sicherlich allzu unbedarft. Mein unerfahrenes Gemüt ist offensichtlich unfähig, sich in die Substanz des aktuellen Problems einzufühlen.”
    “Das aktuelle Problem”, erwiderte Sabatha, “hat keine Substanz.” Sie war notgedrungen stehen geblieben, da sie ansonsten mit dem Herzog zusammengestoßen wäre. Dieser tat, als dächte er über ihre Worte nach: “Tatsächlich, ohne Substanz. Umso schlimmer: Ich nehme an, folglich auch ohne Lösung?” “Wo kein Problem, da keine Lösung”, meinte Sabatha trocken. “Richtig. Das einzige Problem, vor das wir gestellt sind, scheint eher ein pädagogisches, denn ein politisches zu sein.” Sabatha ließ, zum ersten mal an diesem Tage, ein Lächeln blicken. Ein kleines, kaum merkliches, Kunigald jedoch bemerkte es sofort, und zwar mit ziemlichem Vergnügen. “Und natürlich der Umstand, dass diese misslichen Dinge Ihre Majestät von angenehmeren Dingen abhalten." Die Art, in der Kunigald 'angenehmeren Dingen' aussprach, hatte in Sabathas Ohren etwas Abgründiges. Er fuhr fort: "Vielleicht sollte man die Damen und Herren Abgeordneten mit einer entsprechend angemessenen Entschiedenheit behandeln?” “Entschiedenheit, mein lieber Herzog, würde bei solcherlei Kindern nur weiteren Trotz wecken und kaum zu einem wünschenswerten Ergebnis führen.” “Wenn dem so ist”, sinnierte Kunigald, “wäre eine völlige Missachtung die womöglich bessere Strafe?” “Oh, keine Lust mehr auf Politik?”, fragte Sabatha mit ironischem Tonfall. "Lust?", antwortete Kunigald, "ich kann mir wahrlich lustvolleres als Politik vorstellen." Das Lächeln, das er Sabatha schenkte, ließ es sie unwillkürlich erwidern, und eine angenehme Wärme ergriff von ihrem Körper Besitz, "Tatsächlich ist der Vergleich aber durchaus nicht schlecht: Die Staatskunst scheint tatsächlich erhebliche Ähnlichkeit mit der Pädagogik zu haben: In beiden Fällen geht es darum, Menschen, die zu dumm sind, zu begreifen, was für sie gut ist, ebendies so unterzujubeln, dass sie glauben, es von sich aus zu wollen.” Sabatha jedoch widersprach: "Oh, von der Politik weiß ich so viel gar nicht zu sagen. Ihre Beschreibung scheint mir ja eher die Verführungskunst zu charakterisieren", sie blickte Kunigald in die Augen, "Als Mutter jedoch weiß ich, dass es nicht die Kinder sind, welche die größten Sorgen bereiten: Lehrer, Pädagogen, Ammen, Kinderärzte… sie alle wollen ihren Teil beitragen, sie alle meinen, genau das richtige zu wollen, und dass ihr Wissen alleine unabdingbar und vor allem andern zu erwägen sei.”
    “Und was tut nun die gute Mutter, wenn sie von allen diesen wichtigen Experten bedrängt wird, die ein jeder für sich nur das Beste für das Kind im Sinne haben, aber doch alle gemeinsam das Gegenteil dessen wollen, was den anderen vorschwebt?” “Man lässt einen jeden von ihnen glauben, seinem Rat zu entsprechen. Oder aber...", sie hielt inne. "Oder?", Kunigalds Augen glänzten, als wisse er, was nun käme. "Oder aber man bringt sie dazu, das von einem zu wollen, was man eigentlich selbst tun wollte. Wie..." Kunigald vollendete den Satz für sie: "...in der Verführungskunst..."

    Die zuvor noch so frostige und auf ein möglichst rasches Ende des Gespräches bedachte Königin begann, daran zunehmend Gefallen zu finden. Statt den jungen Herzog stehen zu lassen, lud sie ihn zu sich ins Kabinett ein, mit ihr zu speisen. Kunigald bot ihr artig den Arm, dass sie sich unterhaken könne, und so legten sie den Weg gemeinsam, schwatzend zurück.

    Die Aufregung, als Ihre Majestät, Sabatha II., Königin von Biblur, nicht wie erwartet nach einer Stunde Frist die Sitzung wiedereröffnete, war überaus groß. Nachdem die Abgeordneten eine dreiviertel Stunde auf die Ankunft der Königin gewartet hatten, erschien ein livrierter Diener im Parlament, begab sich flugs zum Kanzler, und überreichte diesem ein Billet mit Siegel und Unterschrift Ihrer Majestät: Sabatha fühle sich plötzlich unwohl, sei unpässlich, und könne dem zweiten Teil der Sitzung nicht mehr vorstehen, das solle er, der Kanzler, an ihrer Statt tun.
    Die Abwesenheit des Herzogs Kunigald fiel bei all der Aufregung nicht weiter auf.

    Als König Anrig das königliche Gemacht betrat, tat er dies, wie immer, mit gemischten Gefühlen: Auf der einen Seite liebte er Sabatha aufrichtig und war ihr zugetan, wie niemandem sonst. Auf der andere Seite wusste er doch, dass er sie nicht so liebte, wie sie ihn, und dass er ihr das, was sie von ihm wünschte, nicht geben konnte, und darum fühlte er sich schuldig. Aus diesem Grunde versuchte Anrig, besonders zuvorkommend und liebevoll zu sein, wusste aber auch, dass er die enttäuschten Erwartungen Sabathas dadurch nicht ausgleichen könnte.
    Leise und etwas schüchtern klopfte er an die Schlafzimmertür und betrat das Zimmer, wobei er versuchte, möglichst wenige Geräusche zu machen, als betrete er das Zimmer einer Kranken. Sabatha saß, wie er wusste, bereits im ehelichen Bett. Auf große, weiche Kissen gestützt saß sie aufrecht unter der Bettdecke, ein Buch auf dem Schoß, ein Büchermesser in der einen Hand und ihre Augengläser auf der Nase. Als er hereinkam blickte sie auf, nahm sich die Gläser von den Augen, und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Anrig vermutete in diesem Lächeln einen weiteren Versuch, ihn zu ermutigen, und seine Körperkräfte zu erwecken, einen Versuch, ihm doch noch zu entlocken, was sie von ihm wünschte. Seine Verlegenheit wuchs. Er näherte sich dem Bette, gab ihr einen Kuss, und wollte schon, sich überwindend, zu weiteren Zärtlichkeiten übergehen, da drückte sie ihn sanft, aber bestimmt von sich.
    Anrig war überrascht: “Wünschst Du heute etwa nicht…?”, er stockte, unschlüssig, ob er die Sache explizit beim Namen nennen solle. Sabatha jedoch wandte sich wieder ihrer Lektüre zu. “Heute nicht, mein Lieber”, sagte sie gelassen. Anrig war verwirrt. "Wie das...?"
    Sabatha schaute zu ihm auf. "Ich will heute nicht", meinte sie lapidar.
    Anrig fühlte sich traurig und schlecht, sah er in Sabathas Verhalten doch nur ein weiteres Symptom ihrer Unzufriedenheit mit ihm. Als sie sein hängendes Haupt und sein betrübtes Gesicht sah, lächelte sie erneut, ebenso warm wie zuvor. So legte sie sanft ihre Hand auf sein Gesicht, worauf er den Blick hob, ihr in die Augen schaute. "Mach Dir keine Sorgen, es ist alles in Ordnung. Ich habe eine Lösung gefunden." Anrigs Augen quollen schier über, vor Verwunderung: "Was? Heißt das etwa, dass...", sie nickte, als er erneut vor Verlegenheit stockte. "Ja", sagte sie, "Das Reich ist saturiert."


    Weite Informationen zu Biblur und den Goblins finden sich "Die Jahrkendarverschwörung", dass ich - wer weiß? - vielleicht eines Tages fortsetzen mag.

  2. Beiträge anzeigen #2 Zitieren
    Deus Avatar von Sir Ewek Emelot
    Registriert seit
    Feb 2008
    Ort
    Peripatos
    Beiträge
    13.289
     
    Sir Ewek Emelot ist offline
    Ein interessantes Gespräch



    Murietta schaut sich im Raum um: Flauschige Teppiche, eine Sitzgruppe mit kunstvoll gedrechselten und üppig gepolsterten Fauteuils und einem Tischchen, auf dem ein Teeservice bereitsteht. An den tapezierten Wänden hängen Gemälde und die Bordüren sind mit allerlei Stuckornamenten verziert. Die hohen und gardinenverhängten Fenster geben Ausblick auf den Garten.
    Murietta blickt in einen goldgerahmten Spiegel, vergewissert sich, dass ihr Auftreten dem Anlass entsprechen hinreichend adrett ist: Der elegante, aber nicht allzu feierlich-ausladende oder frivole Rock, Bluse und Strickjacke, die ordentlich zu einem Zopf geflochtene Haare und die dezente Schminke geben ein Bild von Geschäftmäßigkeit ab. Die beschriftete Brosche würde Murietta indes selbst dem unaufmerksamsten Betrachter als Angehörige der Ostmyrtanischen Zeitung auszeichnen.
    Murietta ist nervös, will sich gerade eine widerspenstige Sträne zurechtzupfen, als sich endlich eine der hohen Flügeltüren öffnet, und der Mann eintritt, dessetwegen Murietta hier ist: Seine königliche Hoheit Selindan, Kronprinz von Biblur und künftiger Herrscher des vereinigten Königreichs von Khorinis.
    Beim Anblick des königlichen Goblins muss Murietta an die Worte ihres Vaters denken: "Schlitzohren!", pflegte er zu den Goblins zu sagen, "allesamt Schlitzohren!", und er hat recht gehabt: Mit List und Schlitzohrigkeit haben die katzenhaften, kleinen Geschöpfe ihren Einflussbereich beständig erweitert und sind nun zum bestimmenden Akteur der Weltpolitik geworden. Murietta sieht den Prinzen heute zum ersten Mal, doch kennt sie dessen Aussehen von den vielen Büsten und Gemälden der königlichen Familie, welche Plätze, Amtsstuben und andere öffentliche Einrichtungen zieren, und den Untertanen einen Eindruck von denjenigen vermitteln sollen, welche die höchste Gewalt im Staate innehaben. Neben der würdevollen Sabatha und dem sanften Anrig hat der Kronprinz Selindan ihr immer schon am ehesten dasjenige dargestellt, was ihr Vater gemeint hat. Nun, da sie ihm von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht, ist dieser Eindruck noch weitaus stärker: Mit schwungvollen Schritten, blitzenden Augen und neckischem Lächeln nähert er sich ihr, dass die Schöße des weißen Rocks hinterherflattern. Der Prinz hat offenbar eine legerere Garderobe gewählt, auf Hut und Kravatte verzichtet. Der spielerischen Eleganz tut dies jedoch keinen Abbruch.
    "Fräulein Murietta, es ist mir eine Freude, Sie in unserem Palais begrüßen zu dürfen. Ich hoffe, Sie haben nicht zu lange warten müssen."
    Murietta nimmt freudig zur Kenntnis, dass der Prinz sie mit ihrem Namen anspricht. Alleine hier zu sein stellt bereits die Krönung ihrer bisherigen Karriere dar. Sie knickst artig und reicht dem Prinzen die Hand zum Kusse.
    "Aber natürlich nicht, Euer königliche Hoheit! Ich bin Ihnen vielmehr zu Dank verpflichtet, dass Sie mir diese Privataudienz gewähren."
    Der Prinz winkt ab: "Ach Unsinn: Das Vergnügen, die Gegenwart einer solch ebenso liebreizenden wie scharfsinnigen Dame genießen zu dürfen, ist ganz meinerseits!"
    Murietta errötet ein wenig.
    "Setzen wir uns doch!", sagt der Prinz und deutet auf die Sitzgruppe. Selindan erklimmt den eigenen Sessel, der aus Rücksicht auf die geringe Körpergröße des Goblins erhöht und mit einem Treppchen ausgestattet ist. Trotzdem überragt Murietta den Prinzen ein wenig, was diesen jedoch nicht zu stören scheint.
    Murietta zückt Block und Bleistift, bereitet sich innerlich auf das Gespräch vor.
    "Zunächst einmal", sagt sie, "möchte ich mich bei Ihnen für die Ehre, dieses Gespräch mit Ihnen führen zu dürfen, bedanken."
    Der Prinz winkt ab.
    "Ach iwo, dazu gibt es keinen Anlass... Immernoch nicht!"
    Der Schweiß bricht ihr aus. Das war ja schonmal kein guter Anfang!
    "Gegen die Aufregung können wir Abhilfe schaffen!"
    Selindan wendet sich dem Teeservice zu, füllt eine der beiden Tassen und reicht diese Murietta.
    "Oh, vielen Dank!"
    Murietta muss Block und Stift aus der Hand legen, um den Tee in Empfang zu nehmen. Derweil lüftet der Prinz eine Haube, unter der ein Früchtekuchen zum Vorschein kommt. Ein Stück findet seinen Weg auf einen bereitgestellten Porzellanteller und von dort aus zu Murietta.
    "Sie müssen wirklich nicht nervös sein", sagt der Prinz, und bedient sich nun selbst an Speis und Trank, "ich hoffe, dass Ihnen der Tee mundet?"
    Murietta ist keine Teetrinkerin. Trotzdem beruhigen die Gesten des Prinzen sie ein wenig.
    "Hervorragend!", antwortet sie.
    Der Prinz lächelt zufrieden.
    "Wie lange sind Sie eigentlich schon bei der OZ?"
    Murietta schluckt ein Stück Kuchen herunter.
    "Seit zweieinhalb Jahren."
    "Ich stelle mir das ja spannend vor, so als Journalistin überall hin zu reisen und mit den wichtigen Leuten in aller Welt zu sprechen. Wissen Sie, ich wollte ja auch Journalistik studieren. Aber es wurde dann doch irgendwie Myrtanistik und Politologie."
    "Ich hatte auch Myrtanistik. Als Nebenfach", antwortet Murietta und nippt am Tee.
    "Wo haben Sie denn studiert?"
    "In Vengard."
    "Oha, hat dort nicht der Professor Hüffner mittlerweile einen Lehrstuhl?"
    "Sie kennen Professor Hüffner?"
    "Aber ja! Bevor er nach Vengard wechselte, war er Privatdozent der Myrtanistik auf Khorinis. Ich kenne keinen anderen Menschen, der so häufig das Wort 'Behuf' gebraucht."
    Murietta kichert: "Ja, wirklich! War er damals schon so empfindlich, wenn jemand in den Vorlesungen auch nur geflüstert hat?"
    "Ohja", lacht der Prinz, "manchmal war es wirklich zum fürchten! Wie sind Sie dazu gekommen, Journalistin zu werden?"
    "Och, ich habe mich immer schon für die Dinge interessiert, die in der Welt geschehen. Ich habe stets gern Zeitung gelesen und fand die Vorstellung sehr spannend, selbst Dinge zu recherchieren. Außerdem habe ich schon bei der Schülerzeitung mitgewirkt und Artikel geschrieben."
    Selindan nickt.
    "Fräulein Murietta, ich bin da ja sehr unbedarft und kenne mich nur unzulänglich aus. Aber ich habe doch ein paar Beobachtungen über das Pressewesen gemacht. Würden Sie mir dazu ein paar Fragen beantworten?"
    Muriettas Nervosität hat sich verflüchtigt. Der Prinz hat sich als überraschend angenehmer Gesprächspartner entpuppt. Das Angebot zu einem vertraulicheren Gespräch schmeichelt ihr.
    "Natürlich!", entgegnet sie.
    "Vielen dank. Also, mir ist aufgefallen, dass viele Zeitungen und Zeitschriften es offenbar zunehmend an Sorgfalt mangeln lassen, und Dinge ungeprüft abdrucken."
    Murietta runzelt die Stirn. "Inwiefern?"
    "Nunja... Sie erinnern sich vielleicht an diesen Skandal, wo der Lady Mortenberg eine Liebschaft mit dem Austauschadeligen Ferdinand von Donnerbalken aus dem Königreich Afterflor angedichtet wurde? Der Skandal schlug hohe Wellen, und hätte die Ehe derer von Mortenberg beinahe zerstört, bevor sich alles als Irrtum herausstellte."
    "Ja, daran erinnere ich mich."
    "Soweit ich weiß", fuhr der Prinz fort, "gab es niemals ernsthaften Anlass zu den Berichten, die damals in der ganzen Presse kursierten. Es wurden aber trotzdem alle öffentlichen und zum Teil sogar nichtöffentlichen Worte und Gesten der Betroffenen bis ins kleiste Detail dahingegend missverstanden."
    Das Lächeln des Prinzen wirkt nicht weniger freundlich, als bislang, und trotzdem fühlt sich Murietta unter dem forschenden Blick der mandelförmigen Prinzenaugen etwas verunsichert.
    "Also... Sie haben sicherlich recht, dass da einiges schief gelaufen ist. Gerade wenn es um Klatsch geht, gehen manchem Journalisten die Pferde durch. Aber das sind wohl schwarze Schafe."
    Selindan nickt verständnisvoll, fasst Murietta dann aber schärfer ins Auge und beugt sich verschwörerisch nach vorn.
    "Wo sie gerade von Klatsch sprechen: Sie als findige Vertreterin Ihres Metiers werden sicherlich informiert sein, also mal so unter uns: Was ist eigentlich daran, dass die Verlobte des Statthalters ihren ehemaligen Liebhaber Don Valentino zum Trauzeugen bestimmt habe?"
    "Ähm... also, ich weiß nicht. Das ist nicht mein Themengebiet."
    Der Prinz lehnt sich zurück und zuckt mit den Achseln.
    "Schade. Ich würde ja gern zu der Hochzeit bleiben. Es handelt sich schließlich um ein bedeutendes, gesellschaftliches Ereignis. Aber leider muss ich meine hohe Mutter beim diesjährigen Fürstengipfel des myrtanischen Bundes vertreten. Übrigens bin ich Ihnen ausgesprochen dankbar."
    "Dankbar? Wofür denn?"
    "Na, dafür, dass Sie mir keine leidigen Fragen über die Gesundheit meiner Mutter stellen. Das wollen sie ja derzeit alle wissen: 'Wird Ihre Majestät abdanken?', 'werden Sie vorzeitig die Regentschaft übernehmen?', es ist einfach ein Graus. Aber bei Ihnen kann ich sicher sein, dass sie solche Fragen nicht stellen."
    Das Lächeln des Prinzen wirkt schlitzohrig, wie noch nie.
    "Aber um auf meine Fragen von vorhin zurückzukommen: Kritiker sagen, dass das moderne Zeitungswesen zu sensationslustig geworden sei, und dass es nur noch darum gehe, möglichst viele Leser zu bekommen. Glauben Sie, dass die Informations- und Bildungspflicht dabei auf der Strecke bleibt?"
    In der Stimme des Prinzen ist keinerlei Arg zu vernehmen, derselbe, freundliche Plauderton wie jeher. Doch Murietta beschleicht das Gefühl, dass mehr hinter diesen Fragen steckt. Ist dies eine Prüfung?
    "Ich bin nicht... also, ich glaube nicht. Wir versuchen natürlich, so gut wie möglich zu recherchieren."
    "Darum sind sie ja auch hier und führen ein Interview mit mir. Trotzdem: Belanglose Klatschpresse scheint um sich zu greifen, seriöse Berichterstattung dagegen immer seltener zu werden. Als etwa der gelderner Fürst letzten Oktober einräumen musste, dass sein Nachrichtendienst ein- und ausgehende Post abgefangen und sogar gelesen hat, da hat es kaum nennenswerte Ressonanz gegeben. Die Affaire um den ehemaligen Thronregenten von Vengard dagegen war monatelang auf allen Titelseiten, bis es schließlich zum Rücktritt kam. Mittlerweile haben sich alle Vorwürfe als haltlos herausgestellt: Er ist ganz sicher kein Vampir, hat lediglich etwas lichtempfindliche Haut, und seine Vorliebe für Maskenbälle ist ein allenfalls lässliches Laster. Seine politische Karriere ist dennoch zerstört. Wäre es nicht Aufgabe der Presse, hier sorgsamer zu sein und die Dinge besser zu prüfen?"
    "Also...", Murietta stockt. Wieso nur stellt der Prinz diese Fragen? Sie will endlich mit dem eigentlichen Interview beginnen, doch die Höflichkeit gebietet, dem Prinzen zu antworten: "Es ist sicherlich nicht an uns, die gesammelten Informationen auf ihre juristische Verwertbarkeit zu prüfen. Es gab eben schon gewisse Hinweise. Der Thronregent hatte sich auch nicht klar äußern wollen. Ich denke, dass wir als Journalisten nur die Informationen weitergeben können, die wir finden."
    "Sie meinen also nicht, dass da schon eine Vorverurteilung stattfindet?"
    "Bestimmt nicht!"
    "Der Tonfall war aber doch sehr tendenziös."
    "Da kommt es wohl auf die Art der Artikel an. Kommentare können natürlich tendenzös sein."
    Der Prinz mustert Murietta eine Weile schweigend. Sie will endlich ihren Block zur Hand nehmen und die Befragung des Prinzen beginnen, als der erneut anhebt.
    "Mal ganz klar und geradezu gefragt: Geht es den großen Zeitungen nur noch um Profit?"
    Muriettas Stirn legt sich verwirrt in Falten. Diese lächerlichen Fragen gehen ihr auf den Geist.
    "Die Aufgabe einer Zeitung... wir... also wir sind natürlich stets bemüht, so aufrichtig wie möglich zu informieren... dabei aber auch, ähm, also die Bedürfnisse des Publikums zu bedienen, um eine möglichst hohe Auflage zu erzielen. Also ich denke, wir müssen den Leser da abholen, wo er steht."
    "Das klingt ja seltsam, als Antwort auf meine Frage. Nochmal: Geht es den Zeitungen nur um Profit?"
    "Wenn wir möglichst viele Menschen informieren..."
    "Das ist eine ja-nein-Frage!"
    "Ich... also... wir wollen einfach möglichst viele Leute erreichen."
    Der Gesprächsverlauf ist ganz und gar nicht in Muriettas Sinn. Die Fragen des Prinzen sind unangenehm und tragen schon lange nicht mehr zu ihrer Entspannung bei. Sie beschließt, endlich zur Sache zu kommen.
    "Ich denke", hebt sie mit höflichem aber bestimmtem Ton an, "dass wir es dabei bewenden lassen sollten, und endlich..."
    Murietta stockt, als Selindan sich erhebt und ihr die Hand ausstreckt.
    "Sie haben haben natürlich Recht, ich habe Ihre Zeit mit meinen Fragen wohl schon zu lange in Beschlag genommen."
    Verwirrt legt Murietta ihre Hand in die des Prinzen. Sie spürt die feinen Härchen auf den zartgliedrigen, kleinen Fingerchen, derweil sich der Prinz zu einem erneuten Handkuss herabbeugt.
    "Fräulein Murietta, vielen dank für dieses Gespräch!"

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
Impressum | Link Us | intern
World of Gothic © by World of Gothic Team
Gothic, Gothic 2 & Gothic 3 are © by Piranha Bytes & Egmont Interactive & JoWooD Productions AG, all rights reserved worldwide