Zitat von
Tjordas
Die Zugeständnisse der Militärpolizistin nahm er mit einem etwas ungläubigen Nicken hin. Er wusste, dass wenig Hoffnung nach dieser Aktion bestand, dass er so bald die Freiheit sehen würde. Wenn es überhaupt stimmte, dass man ihn von dieser Anlage wegverlegte, dann nur, um ihn stattdessen in eine zivile Nervenheilanstalt zu bringen. Und wenn diese dann auch noch auf der überbevölkerten Erde liegen sollte, würde man mit einer Umverlegung dorthin nur die Pest gegen Cholera tauschen. Entsprechend nachdenklich wurde Iiyama, wie viel Sinn es überhaupt hatte, seinem Gegenüber irgendwelche Fragen zu beantworten. Doch als sie ihn dann fragte, seit welchem Zeitpunkt er die Stimmen hörte, hob sich sein Blick langsam wieder zu ihrem an. Tatsächlich hatte ihm bisher nie jemand diese Frage so direkt gestellt. Entweder war man davon ausgegangen, dass sich bei seiner langsam herausbildenden Psychose kein genauer Zeitpunkt festmachen ließ, und der Auslöser ohnehin eher in seiner posttraumatischen Belastungsstörung lag, oder man hatte sich auf den anschließenden Krankenbericht bezogen, in dem offiziell kein Zusammenhang zwischen den medizinischen Aktivitäten auf der Anlage und dem Kontrollverlust Iiyamas bewiesen werden konnte. Aber Akina fragte ihn dennoch, bot ihm somit tatsächlich die Gelegenheit, seinen Dämonen einen Namen zu geben. Das hatte man ihm bisher stets verwehrt, ihn stattdessen selbst für alles verantwortlich gemacht und keinerlei Umstände in Betracht gezogen. Erst jetzt wagte er tatsächlich zum ersten Mal, über die Auslöser nachzudenken, versuchte sich nach der anfänglichen Verwirrung also zu erinnern.
"Nun, jetzt wo sie fragen... So genau hatte ich darüber noch nicht nachgedacht... Wie Sie sicher aus dem Krankenbericht wissen, war ich am Morgen des Tages, als es anfing, bei Doktor Ward in Behandlung. Ein Routinetermin, die hatte ich täglich, aber an diesem Tag ausnahmsweise bei Doktor Ward und nicht wie sonst üblich bei Doktor Svensson. Er bereitete mich auf die Operation vor, in der man den Gelenkkopf der Prothese in meine Schulter implantieren und die Nervenfasern mit dem Implantatsockel verbinden sollte. Dazu untersuchte man täglich meine Blutwerte, Nervenflüssigkeit, Knochenmark, machte diverse Scans, solche Dinge. Anschließend gab es meistens ein Mittel zur Erhöhung der Knochendichte. Ich hatte darüber nie so recht nachgedacht, aber an diesem Tag lief das alles anders ab als sonst bei Doktor Svensson. Sonst gab es meist die besagten Scans und Untersuchungen und ein Abschlussgespräch und erst zum Schluss eine lokale Injektion. Aber diesmal gab es keine Scans, keine Gespräche. Außerdem gab mir Ward an diesem Tag zwei Injektionen - eine wie immer lokal in die Schulter, an der ich operiert werden sollte, aber dann noch eine zweite intravenös. Das kam mir komisch vor, aber Ward versicherte mir, dass so üblich sei. Er drängte außerdem darauf, dass ich meinen OP-Termin sehr bald wahrnehmen sollte, obwohl mir Sharidi, mein Psychologe hier, wegen meines mentalen Zustandes noch von einer OP abriet... Ich weiß nicht, aber jetzt, wo ich so darüber nachdenke... Vielleicht hat mich das alles an diesem Tag mehr unter Stress gesetzt, als ich dachte. Das Wissen, dass ich bald schon gesundheitlich und nervlich für eine OP bereitstehen musste. Und überhaupt, der Gedanke an eine Prothese statt eines eigenen Arms... Ich nehme an, es war die Angst und das Misstrauen, weshalb ich begann, alles zu hinterfragen. Zu diesem Zeitpunkt glaubte ich, die Stimmen seien eine Art Gedankenwelle, mit der man in mich einzudringen versuchte. Aber inzwischen kommt mir das selbst albern vor. Die Stimmen sind vielleicht nur ein Ausdruck meines unterdrückten Misstrauens. Ich wurde oft von Autoritäten belogen, benutzt oder enttäuscht, müssen Sie wissen. Ich glaube, diese... Diese sächliche, gar nicht persönliche Art, mit der Ward seine Patienten behandelt... Diese aufgesetzt freundliche, aber extrem kühle Atmosphäre an ihm... Und zu dem Misstrauen noch der Stress der bevorstehenden OP... ich glaube, das war der Tropfen, der es an diesem Tag bei mir zum Überlaufen brachte", schlussfolgerte der Lieutenant mit äußerst sachlicher Selbstreflexion, deren Neutralität und Analytik beachtlich waren.
"Aber nicht, dass Sie jetzt glauben, ich würde hiermit meine Theorien über die Anlage als Humbug abtun. Ich weiß, dass hier etwas faul ist. Vielleicht sind die Stimmen ein psychologisches Phänomen, vielleicht die Folge von irgendwelchen kranken Experimenten, die hier laufen. Aber in jedem Fall weiß ich, dass hier irgendwas vertuscht wird", hängte Iiyama mit einer Vehemenz und einem durchdringenden Blick an, die die vorige Objektivität beinahe wieder in Wahnsinn verkehrten.