Ulpox Galba
„Nur noch wie ein Stier durch die Wand. Alle Ausbildung vergessen, alles Erreichte vergeudet. Sie sind nur noch ein Tier, Hall. Eines was sich selbst nicht im Zaun hat. Eines, das am Ende sogar Ihre Liebsten umbringen wird, nur weil Sie sich nicht kontrollieren können.“
Irgendwie schaffte Galba es, diese Provokation wie eine nüchterne Feststellung klingen zu lassen. Das Grinsen, das er zeigte, nahm Delia gar nicht mehr richtig wahr. Die Tatsache, dass er sich einbildete, sie nur durch diese paar Minuten Kampf analysieren und verstehen zu können, ließ Delia brodeln. Sie brauchte niemanden, der ihr sagte, sie sei unfähig und unkontrolliert. In schlechten Momenten wusste sie es selbst.
Und ihr stieg ein Bild im Kopf auf, eine Erinnerung aus den Tagen kurz bevor sie auf die Grissom Akademie gehen sollte. Dieser Abend an dem sie verzweifelt gewesen war, sich unfähig und zugleich ausgenutzt gefühlt hatte, die blanke Angst zu einem Soldaten ohne Seele gemacht zu werden. Und Matt, der sie getröstet und ihr gut zugeredet hatte. Bis sie sich entladen hatte. Völlig ohne Absicht, aber auch ohne jegliche Kontrolle. Und wie es ihn gegen die Wand geschleudert hatte.
Der Moment in dem sie sich bewusst gewesen war, dass diese 'Gabe', von der alle immer sprachen, im Grunde auch ein Fluch war. Als ihr klar geworden war, dass sie gefährlich war.
„Wie gefällt ihnen der Gedanke? Ihre Liebsten, tot in Ihren Armen liegend und Sie sind die Mörderin?“
Vielleicht hätte sie sich wieder eingekriegt, denn der folgende Gedanke wäre vermutlich gewesen, dass sie nach Grissom gegangen war, eben genau um diese Kontrolle zu erlernen, nicht mehr gefährlich zu sein.
Doch die Worte des Turianers trafen ungeschützt dort, wo es weh tat. Worte, die ihr weitere Bilder in den Kopf schossen: Matt, wie er an der Wand zusammensackte; Matt, wie er sich weigerte aus dem Weg zu gehen und in dem Pub zusammengeschlagen wurde; Avil, die sie mühelos gegen die Decke hob und dann fallen ließ; Avil ...
Wie konnte er es wagen, solche Dinge zu sagen! Wie konnte er sich herausnehmen zu glauben, sie zu kennen, sie zu verstehen. Wie konnte überhaupt jemand so etwas sagen!?
Atemübungen, Konzentration, Entspannung ... alles vergessen. Wie wild begann Delia auf den Turianer einzuschlagen und zu treten, wollte einfach nur, dass er aufhörte, diese giftigen Worte zu sagen.
Sie spürte dieses altbekannte Gefühl, dieses Kribbeln in ihrer Hand, dieses Stechen wie wenn man eine gewischt bekommt. Aber sie war nicht bereit, nicht in der Lage, dies zu kontrollieren. Vielmehr gefiel ihr plötzlich der Gedanke, dem Turianer einen ordentlichen biotischen Hieb zu verpassen. Doch Biotik ohne ein gewisses Maß an Selbstkontrolle war nun einmal nie folgsam. Noch bevor sie zu dem gewünschten Schlag ausholen konnte, entlud sie sich, die Biotik in ihrer Hand explodierte in einer kleinen, aber wuchtigen Implosion und schleuderte die Rothaarige rückwärts auf die Matte.
Auf den Aufprall war sie nicht vorbereitet, und so presste er ihr erneut die Luft aus den Lungen und ließ sie aufkeuchen. Sie biss sich auf die Lippe, riss die Augen auf und wollte direkt wieder loslegen, dem Turianer diesen Sieg nicht gönnen. Doch der stand bereits über ihr und sah auf sie herunter - der Ausdruck in seinen Augen unlesbar.
„Die erste Runde ist vorbei, Hall.“ Kein fieses Grinsen, keine Provokation.
„Die zweite Runde machen wir, wenn Sie sich wieder im Zaum halten. Ruhen Sie sich aus.“
Schwer atmend starrte Delia ihren Offizier an, und wusste nicht was sie denken sollte. Sie wusste nicht einmal was sie fühlen sollte. Sie war erschöpft, und schämte sich. Und gleichzeitig war sie verletzt und wütend. Sie spürte Tränen in ihren Augen brennen und war froh, dass Galba sich bereits Routh zugewandt hatte und sie nicht sah. Schwerfällig stand sie auf und verließ die Matte, suchte sich die nächste Wand und ließ sich daran hinunterrutschen, bis sie mit aufgestellten Füßen auf dem Boden saß und sich die Fäuste in die Augen presste. Um keinen Preis wollte sie diese Tränen zulassen. Nicht vor Galba.
"Bist du okay?"
Sie sah auf. David stand vor ihr und sah sie aufmerksam an. Er hatte leise gesprochen, damit Galba ihn nicht hören konnte und lächelte sie jetzt aufmunternd an.
"Nimm's nicht persönlich. Er ist halt ein harter Hund, oder spielt ihn gerne. Er wollte dich nur testen, schauen wie viel du aushälst, Wo deine Schwächen sind. Jeder gute Offizier sollte das wissen, nur wählen nicht alle die Holzhammer-Methode."
"Rechtfertigt nicht was er gesagt hat", brummte Delia gedämpft. Sie war nicht bereit, das Ganze zu vergessen. Sie starrte auf ihre rechte Hand und fügte dann hinzu:
"Das ist mir eine Ewigkeit nicht mehr passiert. Ich hab mich sonst immer im Griff. Das hätte nicht passieren dürfen ..."
David legte den Kopf schief und streckte dann eine Hand aus. Sie ergriff sie und ließ sich von ihm wieder auf die Füße ziehen.
"Das war der erste Test. Er kennt dein Potenzial, darauf wette ich. Er will nur wissen, wo er dir noch etwas beibringen kann."
Die Rothaarige warf ihm einen bösen Blick zu, doch der Pilot zuckte nur mit den Schultern.
"Ich kenn' solche Typen. Er ist knallhart. Aber die Lehrer, die am strengsten sind, sind meistens die besten."
Er tätschelte freundschaftlich ihre Wange, so wie man ein Pferd lobt, und zwinkerte ihr dann zu.
"Dafür legst du ihn gleich mit deiner Biotik auf die Matte. Er hat vielleicht von deiner Kraft gelesen, aber er hat sie noch nicht gespürt. Es wird ihn umhauen."
„Bleiben nur noch sie – ich hoffe sie kämpfen so gut wie sie Massen von Nahrung vertilgen können, Cruz“, bellte es von der Matte her und David zwinkerte ihr erneut zu.
"Wünsch mir Glück!", grinste er dann und sprach nun wieder laut genug, dass ihn jeder hören konnte. Routh rappelte sich gerade hoch und verließ die Matte, blieb jedoch direkt danach mit verschränkten Armen stehen. Sie wirkte nicht ganz so gleichgültig wie sonst und Delia vermutete, dass auch die Salarianerin ihr Fett wegbekommen hatte. In gewisser Weise war das ein befriedigendes Gefühl und Delia näherte sich wieder der Matte, um nun David zuzusehen. Seine Worte hatten sie etwas beruhigt, doch innerlich war sie immer noch aufgewühlt. Sie nahm sich vor, Galba bei der nächstmöglichen Gelegenheit auf seine Worte anzusprechen.
Der Pilot hob gerade die Hände wie ein Boxer und fixierte den Turianer, der ihm lässig gegenüberstand. Während sich die beiden Männer umkreisten, atmete Delia einige Male tief durch und rief sich ihre Übungen ins Gedächtnis. Körper entspannen, Atmung beruhigen und kontrollieren, konzentrieren. Den Kampf selbst nahm sie nur halb wahr, hörte die Schläge und das Grunzen bei der Verteidigung. Für einen Moment musste die schmunzeln, denn David schien selbst im Kampf noch viel zu reden. Diverse Flüche und Ausrufe wie "Ha!", "Ja!", "Yiah!" verbanden sich zu einer Art Kriegsgesang, der auch Galba auffiel.
"Wenn Sie weiter so viel Luft verschwenden, sind Sie k.o. noch bevor ich Sie überhaupt auf die Matte gelegt habe!", knurrte er, doch der Pilot blieb unbeeindruckt.
Zwischen den beiden Männern entwickelte sich ein waschechter Faustkampf und eine ganze Weile ging es einigermaßen ausgeglichen hin und her. Bis David so langsam die Kraft verließ und damit auch seine Reaktionsgeschwindigkeit. Galba landete einige gut platzierte Hiebe, nach denen sich der Mensch zwei Schritte zurückzog um zu Atem zu kommen. Galba ließ ihn gewähren und wartete, bis David erneut in die Offensive überging und sie sich erneut einen Schlagabtausch lieferten; bis Galba die Geschichte beendete, indem er dem Philippino die Beine unter dem Körper wegzog. Mit einem Ächzen landete der unvorbereitete Mensch auf der Matte.
"Hey! Das ist kein fairer Boxkampf!"
Der Turianer schnaubte.
"Wer hat von einem Boxkampf gesprochen? Auf dem Schlachtfeld heißt die einzige Regel: Überleben. Und wer fair spielt, wird früher oder später besiegt." David rappelte sich hoch und betastete seinen Wangenknochen, der offensichtlich eine Prellung abbekommen hatte.
"Erste Runde vorbei, Cruz. Die zweite muss besser werden."