Sie nahm sie ihm. Diese Blondine vor ihm, die keinerlei Stellenwert für ihn hatte, symbolisierte Leif so plötzlich, mit einem regelrechten Faustschlag ins Gesicht, was er verlor. Was mit jedem Schritt den die Italienerin vor ihm tat, weniger wurde. Diese Sache hier, zwischen ihnen. Die Erinnerung an jeden einzelnen Moment, jetzt noch präsent, mit jeder Sekunde ohne einander mehr und mehr verschwimmend. Und irgendwann würde sich derselbe Weichzeichner über ihre Gefühle legen. Sie verschwinden und den Kopf darüber schütteln lassen, das sie sich hierauf eingelassen hatte. Auf ihn. Zeit mit diesem Verfahren verschwendete, in dem sie ganz zurecht das Opfer war. Denn in dieser Beziehung gestand man es ihm zu, der Klügere von beiden zu sein. Er war der verdammte Arzt. Der Idiot der bereits in seinem Studium darauf getrimmt worden war, sich nicht solchen emotionalen Spielereien hinzugeben. Leif hatte nie verstanden wie sich jemand gut
anfühlen konnte, den man auf diese Weise begleitet hatte. Den man in seiner gebrechlichsten, erbärmlichsten Form sah, denn das war der Teil eines Menschen, der den Weg zu einem Arzt wie ihm fand.
Und jetzt? Jetzt brachte ihn jeder seiner Schritte weiter von ihr weg. Obwohl er ihr folgte, jede seiner Spuren ihre aufgriff, waren sowohl Zora als auch Alicia darauf bedacht sie möglichst weit voneinander fernzuhalten. Seine Anwältin hatte ihren Arm wieder auf seinem Rücken, als wäre er dieser kleine schützenswerte Junge von fünf Jahren, der gerade den Weg in das vollständig geflieste Untersuchungszimmer ging. Nicht sicher wissend, aber ahnend was gerade passiert war. Wie kaputt diese einzige, kleine Welt gerade für ihn ging, weil er unmittelbar davor stand alles zu verlieren. Einfach und unwiederbringlich alles. Denn das war es, was Leif in diesem Moment ansah.
Und alles was ihn ansah. Ihre Augen taten sich auf. Tiefgrün, für jeden Idioten sichtbar gezeichnet von der Trauer die sie beide in ihren letzten Zügen wenigstens noch teilten und definitiv auf ihn gerichtet. Ebenso wie ihre Schritte und diese unbändige Entschlossenheit. In jenem Bruchteil einer Sekunde die es Leif erlaubt war nachzudenken, glaubte er fest daran sie würde es tun. Die Faust ballen, zuschlagen, tun wozu sie jedes verdammte Recht hatte. Und stattdessen geschah das. Seine Erinnerung erhielt diesen neuen Schub, weil er sich so unvermittelt daran erinnern durften wie sie sich anfühlte. Nicht wie die Patientin, eine Affäre, ein kurzer Hang zur Schwäche die er nie hätte haben dürfen, sondern wie diese Art der Liebe die er nie zuvor gekannt hatte. Diese alles verzehrende, bedeutende Dinge zur Trivialität degradierende Liebe die sie war. Die eigenartig neue Welt die sie bedeutet hatte, während seine Alte längst in Trümmern lag. Aber kannte sie diesen eigenen Wert? Der Schwede wollte es darauf anlegen. Wollte in ihren Nacken fassen, ihre Lippen härter auf seine pressen und sie erst wieder loslassen, wenn er sich sicher sein konnte, das sie mit ihm ging. Das sie ihre schmale Hand in seine legte und gemeinsam mit ihm aus diesem Gebäude stürmte. Diesen Fahrer von seinem Sitz zerrte, wonach sie London schneller für immer verlassen würden als wohl nötig war. Er wollte das. Mehr als alles andere wollte er diesen Moment hier mehren. Wäre da nicht Alicia. Zora, Vigilio, Max, alle Menschen die sie so plötzlich verwirrt in Augenschein genommen hatten und in deren Blicken entweder pure Überraschung oder gar Ekel lag. Es hätte ihn nicht gekümmert. Doch die Dunkelblonde in seinem Rücken fasste seinen Arm, während Vigilios Frau ein weiteres Mal dasselbe tat. Wie das jeweilige Spiegelbild der anderen zogen sie das ungleiche Paar auseinander. Entschieden sich dafür das doch nicht passte, was einige Zeit so hübsch beieinander ausgesehen hatte. Übernahmen eine Trennung die doch so falsch war. Die Leifs Herz in jenem Moment in Stücke riss als seine letzte Fingerspitze sich von ihrer Wange löste, die eben erst von ihr berührt wurde. Er formte ein atemloses
"Nein", ein Wimmern in Richtung der grünen Augen, die ihm schon wieder genommen wurden, während Zora etwas so leise in Luceijas Richtung flüsterte, das sie es vielleicht selbst nicht verstand. Vigilio einen mitleidigen Blick für ihn hatte, der ihm nichts schenkte, außer mehr Verzweiflung. Er wollte nicht durch diese Tor, das nur eine Kontrolle der Gäste des Gerichts war, aber so symbolisch und wie ein Mahnmal dort stand, prophezeiend das dahinter das Ende der Welt lag. Das Ende von allem. Nicht aber diesem Schmerz, den die Dunkelblonde neben ihm mit Füßen trat.
"Was denkst du dir dabei, Leif?", zischte Alicia außer sich
"Du kannst auf ausufernde Schecks verzichten, wenn du meine Verteidigung auf diese Art mit Füßen trittst!"
Was sie sagte war unerheblich. Geld war es auch, seine Zulassung-...Nichts davon würde er je wiedererkennen wollen wenn es in diesem bald neuen Leben nicht mehr gab was er als einziges so sehr brauchte, wie seine Lunge die Luft, die sie jetzt scharf einsog, während er den Tränen schon wieder nah war.
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Die Schuld traf Zora wie eine Ohrfeige, die sie schneller dazu anheizte nach Luceija zu greifen, als Vigilio dazu in der Lage gewesen wäre. Schuld darüber, nicht aufmerksam genug gewesen zu sein und-...Das schlechte Gewissen. Wenigstens einen Menschen in dieser Vorhalle brach sie vollständig. Ja, sie konnte den Ausdruck der grauen Augen deuten, obgleich sie Luceijas noch nicht sah, deren Oberarm sie gegriffen hatte. Die sie in den Arm nahm, als müsse sie sie vor einem Monster beschützen. Nun...Vielleicht musste sie? In jedem Fall musste sie das hier unterbinden. Egal wie viel sich in Zora gegen ihr Handeln auflehnte, während sie ihre Schwägerin in Richtung der Personenkontrolle steuerte.
"Denk daran wieso du hier bist...", erinnerte sie die Schwarzhaarige mit sanfter Strenge.
"Wenn das hier vor allem für ihn funktionieren soll, dann krieg das in den Griff."