Hanna wäre es lieber gewesen, wenn statt Van Zan und dem roten Turianer ein Team aus Profis die Wohnungsdurchsuchung begleitet hätte. Allerdings wäre es ihr auch lieber gewesen, wenn sie noch aktiver Teil der C-Sicherheit wäre. Und es wäre ihr auch lieber gewesen diesen Tag statt unter einer Basecap unter einer Decke mit einer blauen Schönheit zu verbringen. „Aber das Leben ist kein Ponyhof…“, murmelte sie und grinste schief über die Dämlichkeit dieses uralten Sprichworts. Während van Zan unnahbar wie immer war, schien Beyo aus der Übung eines Officers zu sein. Er starrte den Raum an, als sei es sein eigener den er nach langer Zeit wieder einmal betrat. Für Hanna hingegen war es Routine. Entfremdete Routine mit dem Beigeschmack eines Einbruchs zwar, aber Routine. Vor ihrem geistigen Auge unterteilte sie den ersten Raum in Raster, prüfte ihn mit den Blicken ab bevor sie überhaupt damit beginnen würde, etwas anzufassen. Und im Gegensatz zu ihren beiden Gefährten war sie klug genug Handschuhe anzuziehen. Auch das war Routine. Gerade begann sie damit, die Kaffeemaschine genauer unter die Lupe zu nehmen – merkwürdigerweise ein häufig übersehenes Utensil, das vor Fingerabdrücken nur so stand – als der erstickte Schrei Beyos aus dem Schlafzimmer kam. Sofort war Hanna im Türrahmen, die Waffe instinktiv gezogen. Sie spürte die Aufregung eines nahenden Kampfes warm in ihr schwappen. Als sie Beyo und sein Gegenüber sah, hätte sie fast beides beschossen. Allerdings vor Wut, denn anscheinend war diese Wohnung erneut eine vom Killer geplante Falle und sie waren wieder hineingetappt. Nervös sah sie sich um, doch nix geschah. Kein Lachen, keine Videobotschaft, nicht einmal ein Schuss. „Was soll diese Scheiße?“, murmelte sie, beide Hände am Pistolengriff. „Vhan!“, zischte sie und wollte gerade zu einer wüsten wenn auch geflüsterten Beschimpfung ansetzen, als ein Geräusch seitens der Eingangstür sie herumfahren ließ. Es zischte. Hanna hob die Waffe…
*
„Gehen Sie mir aus dem Weg“, rief Seeva fast gelangweilt, als ihr der dritte Kleinsthändler, dem sie in dem Aufgang begegnete, mechanische Updates für Omnitools oder sonstigen Tand anbieten wollte. Diesmal war es ein Batarianer, ungewöhnlich war diese Spezies auf der Citadel nicht willkommen. Allerdings achtete in diesem Teil der Welt niemand auf die Zahl der Augen. „Hübsche Dame, ich habe auch…“, setzte der aufdringliche Verkäufer an und eierte mit mehreren Applikationen in den Händen auf sie zu. „Ich bin ein Spectre und wenn Sie mich nicht in Ruhe lassen, werde ich Sie erschießen“, drohte Seeva. Das Blitzen in ihren Augen unterstrich die Wahrhaftigkeit der Drohung, was unnötig war. Denn der Batarianer hatte sich schon bei dem Wort „Spectre“ auf der Hacke gedreht und war mit einer ihm nicht zugetrauten Geschwindigkeit hinter der nächsten Ecke verschwunden. Alles, was das Gesetz darstellte, war eine automatische Gefahr. „Idioten“, grummelte Seeva. Sie waren Idioten aber solche, für sie die ihr Leben einsetzte. Zumindest in der Theorie.
Die Asari kam bei dem Apartment an, dass ihr die elektronischen Datenbanken als Boles‘ Appartment anzeigte. Ihr Omnitool überwand alle Beschränkungen sofort und schaltete den Komplex frei zum betreten. Plötzlich stockte Seeva mitten in der Bewegung. Sie hatten die letzten Logdaten nur überfliegen wollen, vermutlich war seit dem letztmaligen Betreten des Apartments durch C-Sicherheit einige Zeit ins Land gegangen. Daher verwunderte es sie, dass der als zuletzt gespeicherten Zeitpunkt der Öffnung keine zehn Minuten zurücklag. Ein ungutes Gefühl beschlich den Spectre. Sie griff nach hinten und zog ihre Schrotflinte. Leise zischend faltete sich diese aus und lag einen Wimperschlag später gefechtsbereit wie ihre Besitzerin in den Händen der Asari. Seeva wusste, dass ihre biotischen Barrieren oben waren, war sich aber auch bewusst, dass sie in engen Räumen rasch fallen konnten. Mit Chance würde aber niemand ihr Eintreffen erwarten… Sie lockerte eine Blitzgranate an ihrem Gürtel…
„Deckung!“ Als Hanna erkannte, was da gerade in den Raum kullerte, war es beinahe zu spät. Nur ein schier endloses Training ließ sie sich das Gesicht voran und die Hände über den Ohren in das Bett des getöteten Polizisten fallen. Dann knallte es gewaltig und die Heftigkeit der Lichtexplosion ließ selbst hinter geschlossenen Lidern noch hellweiße Blitze zucken. Reflexartig rollte sich Hanna zur Seite, spürte, wie sie vom Bett und auf den teppichbelegten Boden fiel. Die Blitze verschwanden und Hanna öffnete die Augen. Irgendjemand betrat den Raum, ein Wesen gehüllt in bläuliches Licht. Jemand schrie. Wer, das wusste sie nicht. Dann hörte sie das Fauchen von Mündungsfeuer. Die Person schoss einmal mit einem heftigen Knall – aber in die Decke. Nun erkannte Hanna, dass es eine Asari war. Der Nachhall der Explosion verzerrte aber den Ruf der Frau, die ihr Gesicht wohl zu van Zan gewandt hatte. Hanna sprang auf die Beine, hob die Waffe – eine Sekunde später wirbelte ihr Körper einen Meter rückwärts, donnerte gegen die Wand. Sie verlor die Pistole aus den Händen, die Asari stolzierte mit der tödlichen Eleganz einer Schwerttänzerin in den Raum. Und Hanna griff an.
Seeva hatte nicht damit gerechnet, dass die blonde Menschenfrau so schnell wieder auf den Beinen sein würde. Für gewöhnlich duckten sich solche, die sie mit einem biotischen Wurf erwischte für den Rest des Kampfes unter irgendetwas weg – wenn sie es überhaupt überlebten. Plötzlich aber war sie da, neben ihr, und verpasste ihr einen rechten Hacken, der sie selbst aus dem Gleichgewicht brachte und zu Boden schickte. Schon war die Frau auf ihr, drückte sie zu Boden und bearbeitete sie mit gezielten Faustschlägen von der Heftigkeit von Gummigeschossen. Selbst die flexible aber gehärtete Rüstung der Spectre milderte die Schläge in Niere, auf Solarplexus und Schulterblatt nur gering ab. Seeva konzentrierte sich, dann trat sie mit aller unter den Schmerzen aufbringenden Kraft hoch, traf den blonden Kopf mit dem Spann. Der Tritt fegte die Menschenfrau von der Asari, ließ sie keuchend zur Seite stürzen und sie heftig aufjaulen. „Dafür blutest du, Schlampe!“, keifte sie und rappelte sich mit wieder auf. Seeva war ebenfalls auf den Beinen, staunte über die fast kroganische Regenerationszeit der Frau. Seevas Fäuste glommen blau. Mit dem Handrücken wischte sie sich frisches Blut von der Lippe.
„Biotik“, schoss es Hanna durch den Kopf. Dass die Asari nach den Angriffen, die sie nachhaltig hätten treffen müssen noch stand verunsicherte die Blondine. War diese Frau etwa der Killer? Unmöglich wäre es nicht, vor allem angesichts der letzten physischen Auseinandersetzungen. Aber da fehlte die Dramatik, die einleitenden Worte, der Wow-Effekt. Wahrscheinlicher war, dass es sich bei der Asari um einen Killer handelte, angesetzt auf Beyo oder auf Hanna – völlig unabhängig der Ermittlungen. Dass sie die Zielscheibe der Justiz geworden war freute zweifelsohne den ein oder anderen Untergrundboss oder politischem Akteur. Hanna griff in ihren Rücken, zog das Kampfmesser, dass sie schon während ihrer Dienstzeit beim Militär erfolgreich geschwungen hatte. Chancengleichheit. Im selben Moment sprang die Asari auf sie zu. Die blaue Faust zischte nur wenige Zentimeter an Hannas Hals vorbei. Sie revanchierte sich mit einem Stich in den Oberschenkel – der verfehlte. Der nächste Schlag der Asari traf und er traf heftig. Hanna keuchte, merkte wie sich der Schmerz in ihrer Magengegend zentrierte. Ihre zerstörten Lungen flehten um Gnade, als sie trocken zu husten begann. Die Asari drehte sich, schickte einen biotischen Angriff auf Beyo, der noch immer im selben Raum war. Dann wandte sie sich Hanna zu. Doch diese war gleich einem Berserker in Wut und Schmerz aufgeblüht, würgte die Heftigkeit der Desolation in ihrem Körper herunter und verwandelte sie in gut gezielte Hiebe mit der Klinge. Ein Schnitt verfehlte, der zweite traf. Die mit Tarnmuster bedeckte Klinge fraß sich durch die blaue Wange und zertrennte das Fleisch über dem Wangenknochen. Die Asari kreischte und verpasste Hanna einen Fausthieb. Diese erwiderte den Hieb ohne zu zielen oder sich des Ziels überhaupt sicher zu sein. Nur das Gefühl von Fingerknochen auf Wangenknochen sprach von Erfolg. Tränen schossen ihr in die Augen, die sie sich heftig mit dem Ärmel fortwischte. Sie sammelte Blut und Spucke, achtete nicht auf die Dummheit der Tat und spie beides zur Seite. Ihre Fertigkeiten mit dem Messer unterstreichend, warf sie die Klinge von einer Hand in die nächste. Die grünen Augen der Asari folgten. Dann plötzlich trat sie mit einer Behändigkeit zu, die selbst Hanna überraschte. Das Messer segelte fort, spießte sich irgendwo in irgendwas. Die beiden Frauen fielen wieder übereinander her, rangen kurz und stießen sich in entgegengesetzte Richtungen. Es folgte ein kurzer Schlagabtausch bei denen jeder der beiden mal mehr schlug und der andere abwehrte – ohne nennenswerten Erfolg. Schließlich packte die Asari Hanna, versetzte ihr einen heftigen Kopfstoß. Hanna indes trieb der anderen ihr Knie in den Bauch. Beide taumelten in einem Reigen aus Schmerz, beide griffen zur Pistole, beide zogen synchron und beide richteten den Lauf der jeweils anderen nur eine Handbreit vors Gesicht. Schlagartig verschwand die Dynamik des Kampfes. Augen schraubten sich herausfordernd ineinander. Keine von beiden zitterte. „Das nenne ich mal einen Patt“, sagte Hanna, überrascht, dass sie überhaupt noch sprechen konnte. Ihr Gegenüber rang sich ein Lächeln ab an dessen Ende eine Blutblase auf der Lippe platze. „Ich schlage vor, dass Sie aufgeben.“
***
Zur gleichen Zeit:
Als Nate das Lokal betrat wusste er, dass er nicht willkommen war. Interne Ermittler waren hier nie gerne gesehen. Auf den ersten Schlag erkannte er drei Leute, gegen die er mal ermittelt hatte. Alles Turianer natürlich, alle unschuldig und alle nachtragend wie Mädchen, die man auf dem Abschlussball hatte sitzen lassen. Es kümmerte den Detective recht wenig. Gemächlich betrat er den Raum, trat an die Bar und bestellte sich einen Drink. „Hier werden keine Verräter bedient“, raunte eine ihm unangenehm bekannte Stimme. „Verpiss dich, Lloyd“, gab Nate zurück. „Mach dass du verschwindest. Hier werden nur Cops bedient.“ Nate wandte sich um, der in sein Gesicht gemeißelte Schmerz ließ selbst den turianischen Polizisten zurückschrecken. „Ich habe kein Bock mich mit dir zu befassen, Lloyd. Aber wenn du mir noch einmal dumm kommst, dann vergessen wir die Marken und Positionen und wo wir sind. Und dann werde ich dir die Fresse so dermaßen polieren, dass du danach nicht mehr zwischen links- und rechtsdrehenden Getränken unterscheiden kannst.“ Der Turianer hob entwaffnend die Arme. „Ganz ruhig, Hudson. Ich wollte doch nur…“ „Verpiss dich.“ Lloyd trat aus Nates Sichtfeld und gab den Blick auf eine Person frei, die nicht so recht in das Ambiente aus Revolverhelden und Staatsdienern passen wollte. „Sie?“ Nate wankte, ohne es zu merken, auf Saenia zu. Er ließ sich vor ihr auf den freien Platz fallen, schwenkte den Whiskey von dem er nicht wusste, woher er ihn hatte und fixierte sie mit unterlaufenen Augen. „Ich nehme an, es ist kein Zufall…“