Er fühlte sich wie ausgewrungen und in die Ecke geworfen, aber immerhin war er wieder bei Bewusstsein. In der Finsternis der Ohnmacht war ihm ein Gedanke gekommen, eine Idee die wie eine Kerze in der absoluten Dunkelheit des Alls für den Bruchteil einer Sekunde gebrannt hat und dann erstickte. Der Mann in Schwarz lag auf dem Rücken und versuchte an der niedrigen Decke des Krankenreviers diese Idee wieder zu finden. Sie war wichtig gewesen. Das künstliche Licht malte wie mit bis zur Farblosigkeit verdünnten Pastelltönen ein stetiges Muster an den Stahl, das zu jeder Zeit gleich und unbeweglich blieb. Kein Kerzenflackern zu finden. Und kein Hinweis, wie spät es war. Es war schon schwer genug einzuschätzen, wie lange man abgemeldet war, wenn man richtig lange und tief schlief, aber nach einer Ohnmacht gab es dafür nicht einmal den Hauch einer Chance. Vincent glaubte, dass er nicht jahrelang im Koma gelegen hatte, aber ganz sicher konnte er nicht sein. Für seine Vermutung sprach, dass Vhan und Ilias auch noch da waren. Zweitere hatte sich grade verarzten lassen und war dabei, den Raum zu verlassen. Der Mann in Schwarz schaute sie an. Sie nickte ihm zu. Er nickte zurück. Sie ging. Aber nicht ohne Vhan noch einmal mit dem Tod zu drohen, vor dem Vincent ihn gerettet hatte. Gerettet hatte. Was war in ihn gefahren? Folgen der Schädelprellung. Er schloss kurz die Augen. Der Schmerz hinter ihnen war noch da, aber erträglich. Er spürte die großflächigen Medikamentenpflaster auf seinem Rücken und dem linken Unterarm. Vox hatte diesen Kreuzer gut ausgestattet. Was der Wähler dazu sagen würde, dass er eine geheime Truppe von ehemaligen Militärs in einer gut bestückten geheimen Basis mitten im Hafen der Citadel unterhielt, könnte interessant sein. Es könnte auch interessant sein, es den Wähler wissen zu lassen. Oder Vox wissen zu lassen, dass man es den Wähler wissen lassen könnte. Der Mann in Schwarz machte sich eine Notiz.
Zwei Betten weiter schickte Vhan sich an, Ilias zu folgen. Anstatt einfach in sein Verhängnis zu laufen, machte der Turianer noch an Vincents Krankenlager halt. "Nun....ich schätze einmal ich verdanke Ihnen dass ich gerade noch atme. Danke dafür. Wer weiß.....vielleicht habe ich ja noch die Gelegenheit mich zu revanchieren." Der Mann in Schwarz schaute zu ihm hoch. Das Deckenlicht hinter seinem Kopf machte den hässlichsten Engel aller Zeiten aus ihm. ,,Ich bin mir sicher, dass ich besser davonkomme, wenn Sie das nicht tun, Vhan.“ Wie viele Anteile Ernst, Zynismus und Hirnschaden in der Erwiderung lagen, ließ er die Echse nicht wissen und schaute wieder zur Decke hoch, um nach der Kerzenflamme zu suchen. Vhan ging. Die Idee war wichtig gewesen.
Trotz der Schmerzen, die seinen Kopf noch mit den letzten Rückzugsgefechten beharkten begann er, systematisch durch die Erlebnisse der letzten Tage zu gehen. Suchte die Einflüsse, den Input, dem sein Geist ausgesetzt gewesen war. Träume sind die Verarbeitung von Input. Wer schlecht isst, muss schlecht gedeihen, wer Scheiße sieht, wird Scheiße träumen. Wie bei der Arbeit verband er die Punkte, suchte nach unsichtbaren Linien und ergänzte das Netz aus Schatten, nur das diese nicht wie gewöhnlich die geheimen Informationen von Fremden sondern seine eigenen Gedanken waren. Was war ihm eingefallen? Es musste ein loses Ende sein, dass er bisher übersehen hatte. Einem Hinweis, dem er bisher nicht nachgegangen war oder dem er nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Der Mann in Schwarz setzte sich auf und ließ die Beine über die Bettkante hängen. Er massierte seine Schläfen und dachte nach. Wäre eine mentale Kathode vorbeigekommen hätte man einen Gedankenblitz überspringen sehen, denn in Vincents Kopf sammelte sich genug geistige Ladung, um in einem mittelgroßen Land eine intellektuelle Revolution auszulösen. Kerze. Flackern. Licht. Hell. Erlöschen. Dunkelheit. Ein Licht, das erlischt. Helligkeit, die verschwindet.
Der Blitz schlug ein.
Wie man einen Ertrinkenden mit Gewalt notfalls an den Haaren aus den Fluten reißt griff Vincent mit seinem OmniTool in den Äther von Kontaktmänner, Handlangern und anderen dienstbaren Kreaturen und zog sie zu sich. Seine Finger artikulierten den Auftrag eloquenter, aber der Gedanke, der Impuls der dahinter stand war so einfach wie klar.
,,Findet Decius Vhan.“
Er hatte die Spur von Vhan am Vormittag verloren. Das Treffen mit T’Seeva und der Besuch in Boles Apartment hatten ihn dann anderweitig vereinnahmt, aber der Fakt schien ihm auf einmal ins Gesicht zu schreien: Der Vater des Turianers, der von der gesamten Station gesucht wurde verschwand aus dem Blickfeld jeglicher unliebsamer Aufmerksamkeit, aber scheinbar nicht aus der seiner Familie, denn ansonsten hätte man längst C-Sec informiert und über die ganze Station wäre die Hölle hereingebrochen. Also entweder hat sich der Patriarch nur versteckt, um nicht von Vincents Augen auf der Straße gesehen zu werden oder man hatte ihn verschwinden lassen und die Familie ließ nichts verlauten, um keine Panik auszulösen. Variante 1 würde den alten Vhan verdächtig machen. Variante 2 würde bedeuten, dass der Killer wieder zugeschlagen hatte. Egal, was tatsächlich geschehen war:
,,Findet Decius Vhan.“