Zitat von
Cichorium Intybus
Diese Aussage irritiert mich ehrlich gesagt jedes Mal.
Historisch gesehen hat kaum ein europäischer Staat echte religiöse Wurzeln, denn zu dem Zeitpunkt der allumfassenden Religiösität gab es gar keine Staaten. (sprich bestenfalls bis ins ausklingende Spätmittelalter irgendwo am Rande des 17. Jahrhunderts)
Die Idee eines gemeinsamen Nationalstaates ist aus einer mehr oder minder säkulären Bewegung entstanden, die sich viel eher einer Form der radikalen Aufklärung zuordnen lässt, als einer religiösen Grundierung.
Im Gegenteil, betrachtet man allein die Gründung des deutschen Nationalstaates und der bewegenden Geschichte bis dahin - Napoleon mit dem Rheinbund, das Fest von Wartburg und Hambach, Wiener Kongress und später die Karlsbader Beschlüsse, der Biedermeier und der Vormärz, die Paulskirchenversammlung, die Konflikte bis zu Bismarcks Reichsgründung - so finden sich in den stark religiösen (idR. monarchistischen) Bewegungen immer die größten Kritiker der Staatsidee.
Und selbst Bismarck, der als Protest die eigentliche Gründung 1871 mit zu verantworten hat, hat dies nicht aus Überzeugung in ein gemeinschaftliches deutsches Vaterland getan, sondern weil er neben dem Bruch mit den katholischen Einflüssen (für der der bayr. König seinerzeit Geld erhielt, um sich dem Reich anzuschließen) v.a die Position Preußens stärken wollte und zu einer festen Mitteltsmacht auszubauen gedachte.
Jedenfalls glaube ich, dass nicht notwendig eine Verbindung aus "Staatsdenken" und (früherer) "religiöser Identität" besteht.
Sicher mag das eine das andere hinreichend bedingen, aber ich sehe hier eher ein ambivalentes Verhältnis, als eine logische Folge oder gar einen zwingenden Zusammenhang.
Gut, fairerweise würd ich für diese knappe Analyse nur für 2-3 Länder in Europa meine Hand ins Feuer legen, da mir bei allen anderen dann doch zu wenig über die Landesgeschichte bekannt ist.
Trotzdem lässt sich recht eindeutig belegen, dass nationalstaatliche Bewegungen immer auch schon teils antireligiöse Bewegungen waren, sei es auch nur gegen eine bestimmte Form gerichtet und als Ausläufer oder Wiedergeburt der alten Konflikte aus Protestanten und Katholiken zu sehen, die sich an Deutschland vielleicht leichter zeigen mag, als an Ländern wie Spanien, Schweden oder Polen.