[Edon Mesotes]

"Wahnsinn."
gab Edon trocken zurück.
"Dann fangen wir mal wirklich bei den Grundlagen an. Ein Schwert ist keine gute Waffe."
Edon drehte sich ein halbes Mal um seine eigene Achse und lief rückwärts weiter.
"Auf einem Schlachtfeld ist es fast komplett nutzlos. Wenn du Soldat werden willst, dann hol dir einen Speer. Der ist wesentlich länger, billiger und einfacher zu führen. Geniale Erfindung, du stehst hier, dein Gegner da hinten und du hast einen so langen Stock, dass du trotzdem rankommst und er am anderen Ende verhungert - außer er war clever und hat auch einen Speer mitgebracht. Was er meistens hat."
Edon bog in eine Seitengasse ab und ging an einem Kistenstapel vorbei, in dem diverser Schund und Unbrauchbares lagerte - davon hatte er sich mehrfach vergewissert.
"Dafür gibt es Schwerttechniken für jede artige und abartige Gelegenheit. Mehr Systeme als ein Mann alleine je meistern könnte. Und mehr Möglichkeiten, etwas so Dummes zu tun, dass kein Gegner je damit rechnen würde."
Er bog um noch eine Ecke und betrat den kleinen Hinterhof eines zweistöckigen Hauses. Eine Treppe zum oberen Stockwerk gab es nicht. Nur ein kleiner Balkon deutete darauf hin, wo mal eine gewesen sein müsste.
"Willkommen in meiner heimeligen kleinen Arena. Gibt es soweit Fragen?"

[Kiyan]

Schweigend lauschte Kiyan den Ausführungen des Mannes und folgte ihm durch die Gassen Stewarks, ehe ihr Weg in einem abgeschiedenen Hinterhof endete. Einen kurzen Moment befiel ihn die Furcht, der Kerl würde ihm jetzt einfach die Kehle aufschneiden und den bisschen Besitz, den er hatte, rauben.
„Nun, eine Frage, ja.“, Kiyan räusperte sich, „Wenn Schwerter so beschissen sind, wieso bringst du mir dann nicht bei, einen Speer zu führen? Du hast die Waffe ja schließlich gerade in den Himmel gelobt, natürlich aus verständlichen Gründen.“
Der Mann sah ihn nur mit hochgezogener Braue an. Kiyan seufzte und nahm die rostige Klinge in die Hand. Eher in beide. Das gab ihm das Gefühl von Sicherheit und Stabilität. Sein Blick ging zu seinen Füßen. Er korrigierte seinen Stand, so dass die Stiefel etwa schulterbreit standen.
„Womit fangen wir jetzt an? Angriff, Verteidigung?“, fragte er, „Ich habe ja nicht so wirklich Ahnung davon …“
Sonst hätte ich dich Rumtreiber auch nicht als Lehrmeister gewählt. Bei den Göttern, hoffentlich war das kein Fehler.
„Übrigens, ich bin Kiyan. Nur der Einfachheit halber …“

[Edon Mesotes]

"Nur eine Frage, wirklich? Nicht, wer ich bin, wie ich heiße, warum du auf mich hören solltest? Oder wem dieser Hof hier gehört? Nicht mal, welche Art von Gefallen ich im Gegenzug von dir erwarte."
Edon war ein bisschen enttäuscht. Was für eine Verschwendung einer wundervollen Silbertablett-Gelegenheit, dumme Fragen zu stellen. Welch Unsitte!
"Aber, um sie zu beantworten: ich glaube nicht daran, dass irgendetwas wert ist, gelehrt zu werden, wenn nicht die Möglichkeit, dumme Dinge zu tun. So einfach.
Und genau so ist auch die Lehre aufgebaut, die ich mir gerade ausgedacht habe: ich zeige dir etwas, du übst so lange, bis du es kannst, und dann sage ich dir, warum du das nicht machen solltest und zeige dir etwas anderes.
Lektion Eins: ein sicherer Stand."
Edon schob sein linkes Bein nach hinten, die Zehen zeigten nach außen. Der rechte Fuß lag vorne und die Zehen zeigten zu seinem imaginären Gegner, die Schultern lagen auf einer Linie mit seiner Schwerthand, der Rücken war durchgedrückt, die Linke griff hinter dem Rücken in den Gürtel.
"Das hier ist eine klassische Haltung khorinischer Seefahrer. Der komplette Körper wird so eingedreht, dass der Gegner eine minimale Angriffsfläche hat. Ideal führt man in dieser Haltung einen Säbel mit Parierbügel, der die Schwerthand schützt.

Mach nach."

[Kiyan]

Den Stand, den der Mann vorführte, war die klassische Haltung khorinischer Seefahrer. Kiyan kannte sie, hatte sie oft genug im Hafen von Gorthar gesehen. Nun, selten an offen zugänglichen Orten, eher in Kellern und ablegen liegenden Arenen, die für Schau- und Faustkämpfe genutzt wurden. Natürlich war er keiner der Teilnehmer gewesen, sondern hatte nur das Gold seiner Familie dort verprasst. In den Arenen hatten mitunter auch Seefahrer gekämpft, oft aber auch irgendwelche Gecken der neureichen Gortharer Mittelschicht, die sich dort versuchte. Oft mit dem Degen oder Rapier, nicht mehr wie früher mit Axt, Streitkolben oder Breitschwert. Erstgenannte Waffen waren einfach edler, moderner und wesentlich angenehmer zu tragen.

Kiyans rostiges Schwert war da natürlich Welten von entfernt. Aber das kümmerte ihn im Moment nicht. Er setzte den linken Fuß nach hinten, nach außen gedreht. Rechter Fuß vor, durchgedrückter Rücken. Die Schultern bildeten eine Gerade mit der Schwerthand, die das rostige Schwert hielt, welches auf einmal doch viel schwerer war als gedacht. Die linke Hand lag hinten am Gürtel.

"Sieht nett aus", Kiyans Schwerthand zitterte etwas, "Aber ist auch anstrengend. Irgendwie hab ich die Befürchtung, dass ich so zwar ganz nett zustechen kann, aber wenn mir einer einen Schlag verpassen will ... irgendwie schwach dastehe." Die Hand zitterte noch mehr. "Glaube ich."

[Edon Mesotes]

Edon löste sich aus der Grundstellung und musterte Kiyans Haltung kritisch.
"Du musst den Rücken durchdrücken und den Schwertarm anwinkeln."
Mit der flachen Seite seiner Klinge korrigierte der Landstreicher die Fußstellung seines Schützlings und schob sein Kinn ein wenig in die Höhe.
"Augen geradeaus. Das ist die Haltung. Die richtigen Muskeln bauen sich mit dem Training auf. Dann schwing mal die Klinge."
Edon schob Sturmschneide wieder in die Scheide und musterte Kiyan noch einmal kritisch.
"Ach ja, da war was."
Ihm fiel gerade wieder ein Detail ein, das er bis eben verdrängt hätte.
"Mach schon mal, bin gleich zurück."
Edon ging gemächlich zur Hauswand, wo noch in einiger Höhe der Balkon baumelte. Er stieg auf die Fensterbank des Erdgeschosses und drückte sich davon kräftig ab, die Arme fuhren nach oben und er bekam einen Balken des Balkons zu fassen, an dem er sich in die Höhe zog. Einen Moment später stand er schon auf dem Balkon und hatte eine hervorragende Sicht über den Innenhof. Dann verschwand er durch die Tür ins Innere des Hauses, aus dem alsbald ein beschäftigtes Räumen klang.
Recht bald kam Edon mit einem Lederbündel in den Armen aus der Tür, hopste vom Balkon herunter und rollte isch im Dreck ab, ohne das Bündel loszulassen oder gar vom neuen Dreck auf seinen Klamotten Notiz zu nehmen.
Aus dem Bündel holte er Lappen, einen Schlauch und einen Stein hervor.

"Schon mal eine Klinge geschliffen? Wir können ja mal schauen, was da noch Schwert und was schon Rost ist ..."

[Kiyan]

Mit der Klinge korrigierte der Lehrmeister munter seinen Schüler, gleichwohl dieser einen Moment ein mulmiges Gefühl hatte, als das Schwert so nah am Hals fuhrwerkelte. Aber die Punkte, die angesprochen wurden, machten nur Sinn und so bemühte Kiyan sich, die Körperhaltung so zu haben wie es gewünscht war und letztendlich im Kampf nützlich.

Während der Lehrer also wild irgendwelche Balkone hinaufkletterte, übte Kiyan Stiche mit der rostigen Waffe und versuchte aus der Haltung des khorinischen Seefahrers auch Schläge zu machen. Immer mehr wurde ihm bewusst, dass er alsbald einen Säbel, Rapier oder Degen brauchte, wenn er nicht auf wundersame Weise in den nächsten Tagen stärker und muskulöser werden sollte. Eine leichte, treffsichere Waffe würde ihm mehr liegen. Und - was natürlich wichtig war - würde einfach schick aussehen.

"Äh", antwortete Kiyan eloquent auf die Frage des Lehrers, "Nein. Noch nicht. Ich habe vorher nichts mit Waffen zu tun gehabt."
Natürlich hatte er aber schon auf Reisen den einen oder anderen Leibwächter dabei beobachten können, wie man eine Klinge schärfte. Der Stein wurde als Oberfläche zum Schärfen oder zum Befreien von Rost oder dergleichen genutzt, im Schlauch war Öl, das mit dem Lappen dünn auf die Klinge aufgetragen wurde. Also benetzte Kiyan den Lappen mit Öl, rieb damit die Klinge ein und ließ es etwas einwirken. Dann bearbeitete er die rostigen Stellen mit dem Stein und bewegte die Klinge flach darüber. Rost blätterte ab. Zum Vorschein kam am Ende zwar kein Wunderschwert aus einer Götterschmiede, aber zumindest eine wenn auch grob gefertigte Klinge. Sicherlich Massenware aus irgendeiner großen Schmiede, Thorniara oder Setarrif.
"Sieht besser aus als gedacht.", kommentierte Kiyan und besah sich die Klinge. "Nicht mehr ganz so armselig."

[Edon Mesotes]

"Doch nur Flugrost. Manche Dachböden haben eben mehr Glück als Isolierung."
Edon schob Stein, Öl und Lappen zurück in den Beutel und widmete sich wieder den Klingen.
"Eine Grundhaltung kennst du jetzt also. Übe sie, so oft es geht."
Edon nahm Sturmschneide in die Hand und stellte sich selbst wieder in Haltung auf, die Klinge firm auf Kiyan gerichtet.
"Kommen wir also zu den Grundprinzipien des Kampfes. Prinzip Nummer Eins: Minimaler Einsatz.
Wenn ich dich jetzt angreifen würde, hättest du mehrere Optionen. Die erste wäre, dass du du ganzes Körpergewicht in eine Parade steckst. Du greifst das Schwert mit beiden Händen und verziehst deine Miene zu einer wütenden Grimasse und wuchtest deine Klinge gegen meine und rufst dabei wild entschlossen 'HHHHUUUAAAARRRGGGHHH!' und zugegeben, wenn hier ein Maler stehen würde, dann wäre er sicher tief beeindruckt von deinem Kämpferherz und würde eine tolle Ballade von dir schnitzen.
Oder - alternativ - parierst du nur mit der nötigen Kraft, die du brauchst, um mein Schwert zu stoppen. Mit angewinkeltem Schwertarm könntest du mein Schwert vielleicht einen Fingerbreit vr deiner Schulter abfangen und stündest ideal für einen Konter.

Minimaler Einsatz heißt, dass du nicht unnötig viele Ressourcen in eine einzige Bewegung legst. Du bleibst stabil, flexibel und bereit für einen Gegenangriff. Und das testen wir jetzt. Mach dich bereit ..."

[Kiyan]

Offensichtlich war es die Art seines Lehrmeisters, erst einmal etwas völlig Idiotisches von sich zu geben, nur um danach - quasi im Nebensatz - die eigentliche Kernaussage zu bringen, das Bisschen Wissen welches es dann in dem Redeschwall gab. Auf seinen Reisen hatte Kiyan schon Schau- aber auch echte Kämpfe in Arenen gesehen, betrieben von Menschen, denen die Zivilisation eines Herzogtums wie Gorthar nichts sagte. Man bekämpfte sich bis zum Tode für die Lust und Laune der Zuschauer. Auch dort waren große Gesten und heldenhafte Posen gefragt und bejubelt. Der scheinbar unterlegene, junge Krieger, der gegen den bärbeißigen Veteran antritt und von dessen Angriff, den er gerade noch abwehren konnte, langsam aber sicher in Richtung der Dornen gedrückt zu werden, die in seinem Rücken aus einer Wand sprießen und braun sind vom getrockneten Blut armer Teufel. Nur um dann, im letzten Moment, den Schlag zu parieren und den Gegner dann mit einem Streich zu erledigen.

Dahingehend war Kiyan die Methode mit dem minimalen Einsatz bei bestmöglicher Wirkung mehr als einverstanden und versuchte sich gar nicht erst an der bescheuerten Heldenabwehrpose. Der Lehrmeister trat vor und führt einen Schlag von oben, gleich einem Säbelkämpfer auf einer Galeere. Kiyan ließ den Schlag kommen, packte den Griff des Schwertes mit beiden Händen und lenkte die Attacke so ab, dass sie quasi an der Klinge entlang bis zur Parierstange hinab ging und dort dann lag. So war der Lehrmeister immer noch in der Schlagbewegung, Kiyan stand jedoch recht stabil aber einen Moment zu unschlüssig.
"Äh", machte er erneut und tat, was ihm am Sinnvollsten erschien: Er trat nach dem Lehrmeister. "War das unfair? Darf ich das? Oder muss ich den Gegner zurückstoßen und dann mit einer wilden Parade erstklassiger Schläge zum Gegenangriff übergehen?"

[Edon Mesotes]

Auf einmal fing Kiyan an, nach ihm zu treten und Edon war für den Moment unschlüssig, ob er ihm dafür nicht einfach eine aufs Maul hauen sollte - nur so zur Vorsicht. Mit einem Ausfallschritt - wenn auch keinem schönen - war Kiyan sogar nah genug rangekommen, dass er Edon in den Magen treten konnte. Aber davon merkte man nicht wirklich viel, wenn man Kette und Polster trug und der Trittwütige offenbar kein großes Training damit hatte.
"Was war das jetzt? Seh' ich für dich vielleicht aus wie eine Kokosnuss?"
Er musste sich offensichtlich zusammennehmen, nicht loszulachen. Dafür hatte die Aktion ein bisschen zu bescheuert ausgesehen.
"Pass mal auf.
Erstens: die linke Hand hat nichts am Schwertgriff zu suchen - prinzipiell nicht.
Zweitens: du kannst nicht einfach in deinen Gegner reinrennen, wenn er sein Schwert noch in der Hand hat. Solche Aktionen kosten Körperteile.
Drittens: wenn du schon zutrittst, dann tritt wenigstens in die Nüsse. Sonst macht das doch keinen Spaß.
Und Viertens: so was wie 'unfair' gibt es nicht. Es gibt nur effektiv und nicht effektiv."
Edon ging wieder in die Ausgangsstellung.
"Lass' den Konter mal außen vor. Jetzt gehts nur um eine saubere Parade. Versuch's nochmal."

[Kiyan]

Kiyans Augen wurden einen Moment groß. Wann hatte er einen, wenn nicht schönen, Ausfallschritt gemacht? Gut, der namenlose Lehrmeister hatte ihm erklärt, dass die Zeit für einen Konter noch nicht gekommen war und wenn, dieser in Form eines Trittes in die Weichteile stattfinden sollte. Die vorigen Punkte, die er angesprochen hatte, machten für Kiyans kleines Spatzenhirn hingegen nicht wirklich Sinn: Zum einen sorgte die zweite Hand am Griff für die Stabilität der Parade. Sicherlich, wenn Kiyan kräftiger und ausdauernder wäre, könnte er sicherlich mit einer Hand eine Parade führen. Oder würden sie statt mit Schwertern mit Degen oder Rapieren kämpfen. Aber Schwerter waren letzten Endes etwas schwerer. Es kam ihm reichlich gefährlich vor, Schläge lapidar mit einer Hand abzuwehren. Doch der Lehrmeister war letztlich der Lehrmeister, also würde Kiyan sich dem fügen.

Er gab dem Mann ein Zeichen und er schlug erneut zu. Dieses Mal von oben rechts, sodass Kiyan in diese Richtung abwehrte. Der rechte Oberarm lag dicht am Körper an, der Unterarm weggestreckt, sodass ein rechter Winkel entstand. Die Klinge hielt er mit einer Hand, auch wenn der Teil seines Geistes, der für die Sicherheit verantwortlich war, wieder in den Knebel schrie, den man ihm ins Maul gestopft hatte. Das Schwert lag damit parallel zum Oberarm. Er machte nur einen kleinen Schritt zurück und drehte sich leicht rechts ein und fing damit den Schlag des Lehrmeisters ab. Entsprechend spürte Kiyan dies im Arm. Ein ernsthafter Schlag, der das Ziel Tod dick und fett aufgetragen hatte, würde wahrscheinlich noch stärker zu spüren sein.

Zum Glück war das hier nur eine Ausbildung. Gleichwohl Kiyan das Gefühl hatte, dass die Linie zwischen ernsthafter Schulung und wahnsinnigem Irrsinn bei diesem Lehrmeister wohl recht verwaschen und unklar war.

[Edon Mesotes]

"Dicht am Heft parieren. Da liegt die Masse deiner Klinge.
Nochmal! Und nochmal ... nochmal und nochmal."
Kiyan war, das wurde dem Landstreicher schnell klar, keiner mit viel Schmalz im Oberarm - noch nicht. Er hetzte seinen schüler so lange weiter, bis dem ein Bächlein Schweiß über sein rot angelaufenes Gesicht floss und die Schwertspitze zitterte wie eine Hure im Tempel. Und dabei konnte er noch von Glück reden, dass das wenigstens etwas mit einem Schwert zu tun gehabt hatte. Edon erinnerte sich noch zu gut an die vielen Runden, die Marvin ihn und Rognor damals um die Akademie gescheucht hatte, bis sie sich die Lunge aus dem Leib kotzen wollten.

Edon schnallte den Waffengurt ab, lehnte ihn an die Häuserwand und bewarf Kiyan mit einem Lederschlauch, der im Flug verführerisch plätschernde Laute von sich gab.
Der Dieb streckte genüsslich die Arme über dem Kopf und drückte den Rücken durch, von dem ein komisches Knacken ausging.

"Hol mal tief Luft, dann geht es weiter."

[Kiyan]

Kiyan fing den Schlauch einigermaßen geschickt auf, mühte sich einen kurzen Moment mit dem Verschluss ab und trank einen ordentlichen Schluck. Zufrieden und mit gestilltem Durst warf er den verschlossenen Schlauch zurück, den der Lehrmeister wesentlich eleganter aus der Luft fischte. Etwas unschlüssig stand der Abenteurer da und besah seine Klinge, während er einige Male entspannt durchatmete. Er würde sie alsbald austauschen, sich irgendwo etwas Besseres besorgen müssen. Etwas Leichteres. Oder, um dem vermuteten Gedankengang des Ausbilders zu folgen, stärker werden und so die Kraft aufbringen zu können, mit dem groben Schwert problemlos auch kräftigere Hiebe zu blocken. Und natürlich auszuteilen. Das machte ja im Grunde den Kern des Ganzen aus. Zuschlagen. Verletzen. Töten. Da wurde Kiyan etwas mulmig zumute. Etwas, womit er sich in einem Kampf um Leben und Tod würde auseinandersetzen müssen. Dem Töten. Auf seinen Expeditionen hatte er viele Beispiele für das Verhalten nach dem Töten gesehen. Oft Angst, Panik, ein zermürmendes schlechtes Gewissen, verbunden mit maßlosem Trinken und noch maßloserem Kotzen. Das waren oft die jüngeren Leibwächter und Söldner gewesen, oft aus normalen Verhältnissen. Dann hatte er natürlich noch die andere Seite gesehen. Die kalten Mörder. Die erfahrenen Krieger. Für sie war das Nehmen von Leben so selbstverständlich wie für den Bauern das Schneiden des Getreides mit der Sense. Blutvergießen ohne darüber nachzudenken, wem sie was damit nahmen.
Was würde er sein?

"Bei den Göttern", knurrte Kiyan und sah den Lehrmeister an. "Ich hab Hunger. Und Durst. Wollen wir was trinken?" Sein Blick ging zu dem Schwert des Mannes, welches an der Hauswand lehnte. Eine beeindruckende Klinge, meisterhaft gefertigt. "Oder sollen wir weitermachen? Ich richte mich nach dir."

[Edon Mesotes]

"Mir nach."
entgegnete Edon kurz angebunden, schnappte sich seinen Gürtel und hopste wieder aufs Fensterbrett und vom Fensterbrett auf den Balkon. Als er sich hoch gehangelt hatte, schaute er nochmal runter auf einen ausgelaugten Kiyan, der nur allzu wenige Anstalten machte, ihm hinterher zu klettern. Schulterzuckend verschwand Edon nochmal im Inneren des Hauses und holte eine Strickleiter, die er herunter warf.

Drinnen sah es immer noch aus, wie in einem geschlossenen Kuriositätenkabinett. Unzählige Truhen, Schränke und Kisten standen an den Wänden und machten den großen Raum eng und überfüllt. Statt Bildern, Teppichen oder Waffen hingen Karten der verschiedensten Ländern und Städte an der Wand, viele mit gekritzelten Notizen versehen. Am großen Tisch in der Mitte lehnte immer noch der Besen, den Edon mal mit Eimer und Schürhaken dekoriert hatte und auf dem besten Blick vom Tisch aus prangte noch die fiese Visage eines Lardo von Setarrif mit seinen diversen, teils durchgestrichenen Verbrechen.

Lardo von Setarrif
Gesucht wegen Hochverrat, Raubmord, Brandstiftung, Eidbruch und Ketzerei
Letzter bekannter Aufenthalt Stewark
Kopfgeld 800 Goldstücke, tot oder lebendig

Edon klaubte das alte Geschirr der letzten Zeit vom Tisch und stellte es zu einem weiteren Eimer, der mit sauberem Wasser gefüllt war. Anschließend holte er neues Geschirr und aus einer ungewöhnlich sauberen Truhe einen Brotlaib, Käse, Butter, eine Hartwurst, ein paar Äpfel und eine Flasche mit klarem, goldenen Inhalt.


"Ich kann wohl schlecht übers ausführliche Fressen seiern und dann nich' mal was anbieten. Hau rein."

Sich selbst schenkte Edon einen Zinnbecher voll mit der goldenen Flüssigkeit, die sofort einen süßen Honiggeruch verströmte. Er schnupperte an seinem Becher, setzte eine seelige Miene auf und nahm einen großzügigen Schluck, gefolgt von einem erlösten Seufzer. Es gab doch nichts Besseres auf der Welt ...

[Kiyan]

Kiyan war etwas erschöpft die Strickleiter hinauf geklettert und hatte sich bald in einem Wohnraum wiedergefunden, der dem Lehrmeister wohl als Unterschlupf, Versteck oder Höhle diente. Sauberkeit war hier ein relativer Begriff, Ordnung nur ein Fremdwort aus einer Sprache, die zu einem Volk gehörte, das schon längst zu Staub zerfallen war. Aber der Lehrer gab ihm etwas zu essen und das war freilich ein Grund, die Umgebung wohlwollender zu betrachten. So schlug Kiyan ordentlich zu und aß Hartwurst und Brot. Dabei fiel sein Blick irgendwann auf den Steckbrief.
Lardo von Setarrif.
Den kannte Kiyan natürlich nicht. Woher auch? Und nur die Götter wussten, wie alt der Steckbrief war. Einige Verbrechen schinenen auch durchgestrichen zu sein. Stammte der Schrieb noch aus der Zeit, da Setarrif nicht die Ruinenstadt war, die ein Drache geschaffen hatte?
Letzter bekannter Aufenthalt Stewark.
Hier. In der Stadt. Der Abenteurer besah sich das Gesicht näher. Hatte er den Kerl schon mal gesehen? In der Taverne oder sonstwo? Gesichter konnte er sich meist eher weniger gut merken.
800 Goldstücke, tot oder lebendig.
Achthundert. Goldmünzen. Oder Stücke. Auf jeden Fall eine Menge Gold mit der man eine Menge anfangen konnte. Eine gute Waffe kaufen. Oder den Grundstein für eine Expedition nach Setarrif legen. Oder ein Haus kaufen und hier ein Gewerbe eröffnen. Einen kurzen Moment stellte sich Kiyan vor, wie sein Bruder in Gorthar Galle spucken würde bei der Nachricht, dass ein gleichnamiges Kontor auf Argaan eröffnet hätte, nur um ihm Konkurrenz zu machen.
"Du bist also", begann Kiyan, nachdem er den Apfel verschlungen hatte, "Kopfgeldjäger? Schon immer oder erst ... neu in dem Gewerbe? Und, bei den Göttern, wie heißt du eigentlich? Irgendwie habe ich mich zwar vorgestellt, aber du hast das bisher ... ja, versäumt." Er hob die Schultern. "Außer du willst dich im mystischen Schein des geheimnisvollen Lehrmeisters sonnen. Der erscheint, den Lehrling zum Meister macht ... und dann im Sonnenuntergang verschwindet."

[Edon Mesotes]

Edon begann seelenruhig damit, sein Pfeifchen zu stopfen und dabei angelegentlich weiter seinen eigenen Met zu vernichten - eine seiner leichtesten Übungen. Die Füße hatte er wie immer überschlagen auf dem Tisch geparkt und musterte den Steckbrief.
"Das Kopfgeld interessiert mich nicht, ich habe was Wichtigeres mit diesem Vogel zu schaffen."
Er entzündete das gestopfte Pfeifchen an einer Kerze und fing fröhlich an, vor sich hin zu paffen wären Kiyan noch mit Essen beschäftigt war. Eine Unhöflichkeit, die er sich einfach leisten konnte, wenn man bedachte, dass das hier sein Haus, sein Tisch und sein Essen war, bei dessen Vertilgung sich Kiyan gestört fühlen könnte. Edon griff selbst noch nach einem Apfel und schlang das Obst in ein paar wenigen, knackigen Bissen herunter.
"Ich glaube, dass er den Laufburschen für ein paar große Fische der Unterwelt spielt. Fische, die mir ziemlich hart ans Bein gepisst haben. Und ich bin einer, der diese Art von Gefallen gerne erwidert."
Edon saugte den letzten Tropfen Met aus seinem Zinnbecher und trommelte nachdenklich mit dem Becher auf der Tischplatte herum.
"Nur gefunden habe ich ihn noch nicht. Vielleicht brauche ich da Hilfe von einem, der mir noch einen Gefallen schuldig ist."
Edon warf Kiyan einen sehr vielsagenden Blick zu und lächelte dabei dreckig.

​"Du kannst mich übrigens Charon nennen."

[Kiyan]

Hilfe von jemandem, der einem noch einen Gefallen schuldig war. Kiyan war vielleicht drei Monde auf Argaan und hatte es geschafft, drei Menschen Gefallen schuldig zu sein. Murielle und Esteban für die Heilung des Beines und nun wohl seinem Lehrmeister Charon, da dieser nun einmal dafür sorgte, dass er sich wehren konnte. Und das war letztlich eine Kunst, die in diesen Zeiten gut zu gebrauchen war. Der Abenteurer ignorierte das dreckige Grinsen des Mannes und pfiff auf den vielsagenden Blick, der fast so subtil wie ein Wink mit dem Zaunpfahl war.
"Erst einmal", begann Kiyan, "musst du wirklich neu im Gewerbe der Kopfgeldjäger sein, wenn du meine Hilfe brauchst. Ich dachte jemand wie du schlägt sich mit dem Schwert durch die Lakaien der Unterwelt, schlägt dem großen Fisch den Kopf ab und zeigt ihn irgendwo vor, wo man Gold dafür bekommt."
Erneut fiel sein Blick auf Lardos Fratze. Nein, nie gesehen den Kerl.
"Aber nun, im Herzen bin ich Händler: Daher, ja, ich schulde dir sicherlich einen Gefallen für die Ausbildung. Gleichzeitig will ich aber einen Teil von dem, was wir erhalten. Wie groß der Anteil ist, kann man später ausbaldowern. Immerhin besteht die Chance, dass ich quasi als Kanonenfutter mitgeschliffen werde, natürlich unter dem Deckmantel der Ausbildung."
Kiyan hob die Schultern. Ansonsten kann ich auch einfach meiner Wege gehen, du Held.

[Danika]

"Und du bist dir sicher?", fragte Cery.
"Mein Entschluss steht fest,", nickte sie und schulterte ihr Gepäck, "auch wenn es mir lieber wäre, du würdest mich begleiten. Ich kann dich wirklich nicht dazu überreden, wenigstens für ein kurzes Stück mitzukommen? Ich meine, was hast du hier schon groß zu tun, meistens sitzt du herum und schnitzt - das kannst du an jedem anderen Ort ebenso tun."
"Und meine Hütte?", fragte er.
Danika fiel ihm sofort ins Wort. "Ja, deine tolle heruntergekommene zugige Hütte mit Wasserschaden, die ist es natürlich wert, hier zu bleiben. Das sind doch faule Ausreden, nichtmal Freunde hast du hier außer mir."

Sie verließ die Hütte und zog die Tür hinter sich zu, ohne noch eine weitere Antwort abzuwarten. Doch anstatt zu gehen, lehnte sie sich an die Bretterwand neben dem Eingang und zählte langsam in Gedanken. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs.. und schon wurde die Türe mit grobem Schwung aufgerissen.
"Warte auf mich!", rief Cery. Sie grinste ihn schweigend an und nickte ihm zu.

[Edon Mesotes]

Edon zeigte ein süffisantes Grinsen und pustete ein wenig Rauch durch die Nasenlöcher aus.
Nach Kiyans Theorie musste ein Angler auch wirklich neu in seinem Gewerbe sein, wenn er wirklich noch die Hilfe eines Würmchens brauchte.

"Gemacht. Ich kann Händler zwar nicht leiden, aber hier bei uns gibt es noch Ehre unter Dieben."

Edon stand auf und riss den Steckbrief unzeremoniell von der Wand und warf ihn vorKiyan auf dem Tisch. Nun starrte Largos Fratze furchterregend an die Decke.

"Ich hab' keinen Spaß daran, in der Stadt ein Massaker zu veranstalten. Also müssen wir mit dicken Socken arbeiten. Ich würd's auch begrüßen, wenn du es schaffst, nicht alles, was ich dir beibringe, sofort am lokalen Gesindel zu testen."

Edon setzte sich wieder auf seinen Platz und schlug die Füße wieder übereinander ...

[Kiyan]

Für Kiyans Geschmack hatte Charon zu schnell eingeschlagen und seine Forderung angenommen. Der Haken, der an der Sache dran war, war für ihn noch nicht zu ermessen, entweder war er riesig groß, dass er im Nebel verschwand, oder es gab schlicht keinen. Aber das war etwas, das fast schon legendären Seltenheitswert hatte. Alles hatte einen Haken, jede Abmachung, jeder Vertrag und jeder Handschlag. Kiyan nahm sich vor, in diesem Falle noch vorsichtiger im Umgang mit Charon zu sein.

"Du kannst Händler nicht leiden und ich bin kein großer Freund von Dieben. Ehrenvoll oder nicht.", antwortete der Abenteurer und lächelte schief. "Wie dem auch sei: Was weißt du über Lardo noch? Aufenthaltsort, seinen Umgang? Wen trifft er regelmäßig, wo können wir ihm auflauern? Haben wir einen Faden, dem wir folgen können, einen, der vielleicht schon so gut gelegt ist, dass wir diesen Faden nur noch um Lardos Hals legen und einmal kräftig zuziehen müssen ..."

Die abschließenden Worte Charons waren natürlich nicht spurlos an ihm vorbei gegangen. Er verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf.

"Ich werde töten, wenn es sein muss. Aber ich werde hier nicht einfach grundlos ... Menschen umbringen. Ich bin schließlich kein Psychopath."

[Edon Mesotes]

Das werden wir noch sehen.
​Dachte sich Edon still. In seiner Erfahrung konnte man nie wirklich vorhersehen, wie jemand reagieren würde, wenn er das erste mal eine scharfe Waffe nach Jemandem schwingen musste. Es gab diejenigen, die in eine Schockstarre verfielen und nicht mehr ansprechbar waren. Es gab diejenigen, die sich übergeben wollten, bis sich ihre Gedärme auf links drehten. Es gab diejenigen, die davonliefen und nicht mehr gesehen wurden. Es gab auch die, die sich zum ersten Mal richtig lebendig fühlten und nie wieder etwas Anderes tun wollten. Wozu einer gehörte, das entschied sich vielleicht sogar erst in dem Moment, wo es darauf ankam - davor waren sie alle Würfel im Becher.

"Tja, das ist ja gerade der Witz. Ich weiß von ihm auch nicht mehr als du. Ich weiß, dass er Lardo heißt. Ich weiß, dass die Myrtaner ihn suchen. Ich vermute, dass er sich irgendwo bei den Söldnern herumtreibt."

Was für eine Nuss. Wenn ich wüsste, wo er ist, dann bräuchte ich dich ja nicht, um ihn zu finden.