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Isao Takahata - Ein Nachruf

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    Irregular  Avatar von Zetubal
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    Vor 2 Tagen, am 5. April, ist mit Isao Takahata einer der wichtigsten Animeschöpfer seiner Zeit von uns gegangen. Im stolzen Alter von 82 Jahren starb der Mitbegründer von Studio Ghibli nach längerer Krankheit an Lungenkrebs.


    Seine 50jährige Karriere nahm ihren Anfang in den 60ern, wo er nach einigen Achtungserfolgen innerhalb Japans mit seinem ersten Spielfilm "Taiyou no Ouji" auch zaghafte Vorstöße nach Europa und Nordamerika wagte.
    Einem breiten internationalen Publikum bekannt wurde Takahata wohl vor allem für die Serien "Heidi" oder "Anne mit den roten Haaren", die in den 70ern und 80ern dazu beitrugen, Anime bis ins ferne Deutschland vorstoßen zu lassen.
    Takahata galt als früher Förderer von Hayao Miyazaki und von ihrem Kennenlernen in den späten 70ern an verband die beiden auch über die Industrie hinaus zeitlebens eine innige Freundschaft. Gemeinsam produzierten die beiden 1984 "Nausicaä aus dem Tal der Winde". Der Film, der heute oftmals als "der erste Ghibli-Film bevor es Ghibli gab" gilt, legte durch seinen großen kommerziellen Erfolg den Grundstein, auf dessen Basis die beiden Regisseure im Folgejahr ihr eigenes Studio gründen konnten.
    In den darauffolgenden Jahren, die gemeinhin als kreative Blütezeit Takahatas gelten, produzierte er in Kooperation mit Miyazaki und anderen kreativen Köpfen wie Joe Hisaishi einige Meilensteine des Animefilms. Der von ihm produzierte und von Miyazaki regierte "Das Schloss im Himmel" zementierte für Jahrzehnte den Anspruch von Ghibli, die treibende Kraft hinter Animeblockbustern für Kinder und Erwachsene zu sein.
    1988 führte er Regie an "Die letzten Glühwürmchen". Oftmals als sein Magnum Opus bezeichnet, erzählt das Kriegsdrama die Geschichte zweier Kinder, die in der Schreckenszeit des zweiten Weltkriegs um das Überleben kämpfen. Spätestens mit diesem Film ging Takahatas Name für immer die Annalen der Animegeschichte ein. International gilt der Film noch heute als Augenöffner dafür, wie universell berührend Anime sein können. Die Beispiele, die sich für den tadellosen Ruf des Films finden lassen, sind zahllos. Roger Ebert, der bis heute einzige Filmkritiker, der einen Pulitzerpreis erhielt und als ausgesprochener Kritiker von Zeichentrickfilmen galt, platzierte ihn unter den 10 besten Filme aller Zeiten. IMDB listet ihn unter den Top 3 der besten Animationsfilme aller Zeiten.
    Sinnbildlich steht "Die letzten Glühwürmchen" auch für Takahatas persönliche Anschauungen. Im Alter von 10 Jahren überlebte er nur knapp einen Bombenangriff der US-Airforce auf seine Heimatstadt. Die prägenden Erlebnisse der Kriegs- und Nachkriegszeit machten ihn zu einem überzeugten Pazifisten, Aktivisten und Humanisten. In seinen Filmen mahnte er immer wieder den Schrecken an, den Gewalt über Menschen bringt - vor allem über jene, die am hilf- und wehrlosesten sind. Außerhalb der Animeindustrie engagierte er sich gegen eine (Re-)Militarisierung Japans und suchte sogar öffentlich den Dialog mit Japans Premierminister Abe.
    Auch wenn mit fortschreitendem Alter Filme von Takahata seltener wurden, feierte er in den 90ern mit "Pom Poko" und "Omohide Poro Poro" weitere große kommerzielle und kritische Erfolge in Japan, die es aber leider lange Zeit nicht schafften, an ein internationales Publikum zu gelangen.
    In den 2000ern und 2010ern wurde es noch ruhiger um Takahata. Nachdem er 2003 einem Beitrag zum Episodenfilm Fuyu no Hi lieferte, galt er zeitweise als faktisch im Ruhestand, bevor er 2013 mit Kaguya-hime no Monogatari ein letztes Ausrufezeichen setzte. Neben kommerziellem Erfolg und Kritikerlob brachte ihm der Film auch eine Oscar-Nominierung für den besten fremdsprachigen Film im Jahr 2015 ein.

    Isao Takahata hinterlässt ein beeindruckend facettenreiches Œuvre mit Ausflügen in japanische Folklore, erwachsenen Charakterdramen, Abenteuergeschichten, Fantasy-Epen, Komödien, Kriegsdramen und mehr. Dabei schien jedoch immer die Person dahinter und ihre Überzeugungen durch. Takahata zeigte der Welt durch Anime wie wichtig Humanismus in Zeiten der Entmenschlichung ist. Seine Filme sprechen von lauernden Gefahren und schlimmen Erfahrungen, aber anstatt angesichts dieser Schrecken zu verzagen, scheint in den Werken ein aufrichtiger Glaube an das Positive hindurch. Menschen tragen das Potenzial gutes zu tun in sich - entgegen allen Widrigkeiten. Das ist der feste Glaube, der sich immer wieder in seinen Filmen manifestierte.

    Mit seinem Ableben verliert die Welt einen beeindruckenden Menschen, einen großartigen Animeschöpfer, einen Optimisten, Humanisten, ein kreatives Genie, einen umsichtigen, bedachten und weisen Mann.
    Insofern und mit aufrichtigem Beileid nehmen wir Abschied von Isao Takahata.

    Zetubal ist offline Geändert von Zetubal (16.04.2018 um 19:23 Uhr)

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    Frau General Avatar von Millhi
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    Sehr schön geschriebener Post. Es ist echt schade, dass er von uns gehen musste.
    Millhi ist offline

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