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    Post [Story]Der Pfandleiher



    In den alten Räumlichkeiten des mittlerweile verstorbenen Händlers Matteo betreibt dessen ehemaliger Lehrling Rupert das einzige Pfandleihhaus auf ganz Khorinis. Innerhalb der letzten Jahre hat sich Rupert in der Hafenstadt einen soliden Kundenstamm erarbeitet und erwirtschaftet damit zwar kein übermäßiges, aber doch ausreichendes Einkommen. Rupert mag seine Arbeit, mag die vielen alten und neuen, alltäglichen und kuriosen Gegenstände mit denen er zu tun hat, mag die Geschichten seiner Kunden, die ihre Nöte, Sorgen, aber auch Hoffnungen zu ihm in den Laden bringen und das Leihhaus mal mit mehr, mal mit weniger Hoffnung als Sorgen wieder verlassen. Rupert verbringt gerne viel Zeit mit seinen Kunden. Noch viel lieber aber mag er es, nach Ladenschluss die Pfandsachen zu ordnen, manchmal sogar zu säubern oder auch kleine Reparaturen an ihnen durchzuführen. All dies tut Rupert auf seine ihm eigene Art, wobei vor allem sein Begriff von Ordnung einen ganz eigenen Charakter aufweist, der auf Außenstehende teils chaotisch wirken muss, dabei aber einer ganz bestimmten Systematik folgt, die freilich nur Rupert selbst kennt. Beim Durchforsten und Durchpflügen seines gerümpeligen Ladenlokals vergisst Rupert nur zu gerne mal die Zeit, und da er alleinstehend ist, hat er schon so manche halbe oder auch ganze Nacht in seinem Geschäft verbracht, bei Kerzenschein zwischen all den Pfannen, Möbeln und Teppichen, den Messern, Gabeln und Löffeln, den Tellern und Tassen, den Hämmern und Nägeln, den Töpfen und Skulpturen, den großen Bildnissen und kleinen Schmuckstücken, dem Krims und Krams und so manchem versteckten Kleinod. Rupert liebt seine Arbeit. Man muss aber dazusagen: Ein bisschen schrullig hat sie ihn mit der Zeit schon gemacht.
    Geändert von John Irenicus (11.03.2018 um 20:23 Uhr)

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    Montag


    Rupert (murmelnd): So, dann kommt das Bleibesteck von Fenia hier hinten zu den anderen Geschirrstücken … wobei, nein, das ist doch Silber, das läuft doch nur an wenn ich … vielleicht mache ich das doch lieber nach Ablaufdatum … wenn ich nur wüsste wo ich die Pfandscheinkopie von Fenia jetzt habe … (zieht geräuschvoll eine alte Schublade auf) … ahja, das Silberbesteck, Inpfandnahme am … Moment … das kam ja gar nicht von Fenia, sondern von Jora … nein, von dessen Cousin gleichen Namens, Jora selbst ist ja damals kurz nach Matteo gestorben … aber was kam denn dann gleich noch von Fenia? (Das Besteck klappert, als es auf der Kommodenplatte abgelegt wird.) Nein, halt, ich meine ja gar nicht Fenia, sondern Gritta! Von ihr kam doch vor etwa zwei Wochen dieser Mantel aus Keilerpelz, dieser dunkle, übergroße mit Kapuze … (Schritte und Geraschel, als Rupert zwischen die dicht behangenen Kleiderständer im hinteren Teil seines Ladens schleicht.) Wo ist der denn jetzt nur abgeblieben? Das war ein teures Ding, einhundert Goldstücke als Darlehenssumme, Wert sicher zwischen zweihundert und zweihunderfünfzig … wenn der jetzt abhanden käme … nicht, dass Gritta ihn je wieder abholen wird, aber …
    (Ein kleines Glockenspiel, das als Türklingel fungiert, ertönt. Danach sind ein paar Schritte von etwas weiter weg zu hören.)
    Junger Mann: Hallo? Ist jemand da?
    Rupert (eilig): Ja, ich bin da! Nur herein, nur herein!
    (Rupert braucht ein wenig, um sich zwischen den Kleiderständern hervorzuschälen und über die knarrenden Dielen an die Theke zu treten.)
    Junger Mann: Die Tür war nur angelehnt, deshalb dachte ich, der Laden sei offen …
    Rupert: Oh, es ist offen, es ist offen! Es ist nur, ich rechne zu so früher Morgenstunde meist noch nicht mit Kundschaft. Ich war gerade dabei, ein bisschen zu sortieren, und die Nacht war wohl zu kurz dafür, deshalb hatte ich Sie gar nicht … wie auch immer. Was kann ich für Sie tun?
    Junger Mann: Du bist doch Pfandleiher, oder?
    Rupert (freundlich): Aber ja!
    Junger Mann: Das heißt, das hier ist ein Pfandleihhaus, richtig?
    Rupert: Ja, das ist richtig.
    Junger Mann: Dann nimmst du Sachen in Zahlung, und dafür bekommt man dann Geld?
    Rupert: Das kann man so sagen. Leute bringen aus verschiedensten Gründen ihr Hab und Gut in dieses Geschäft, ich schätze den Wert und zahle gegen Abgabe der Sache eine festgelegte Summe als Darlehen an den Kunden und stelle einen entsprechenden Pfandschein aus. Dann verwahre ich die Sache hier in diesem Geschäft. Kommt der Kunde dann irgendwann mit dem Pfandschein und der Pfandsumme zurück, dann kann er seine Pfandsache auslösen und sie wieder mitnehmen.
    Junger Mann: Und was ist, wenn der Kunde gar nicht mehr zurückkommt?
    Rupert: Dann steht die Sache nach einer gewissen Zeit für jedermann zum Kauf bereit, denn ich darf zur Befriedigung der fällig gewordenen Darlehensforderung die Pfandsache verwerten. Das kommt übrigens gar nicht so selten vor. Einmal im Jahr veranstalte ich außerdem eine Versteigerung, bei der ich alle abgelaufenen Pfandsachen öffentlich feilbiete. Nicht selten bieten dann sogar die ursprünglichen Besitzer auf die Sachen mit, oder schicken Verwandte vor, in der Hoffnung, ihre Sache für eine Summe unterhalb des Pfandwerts zurückzuerlangen. Aber den Pfandwert setze ich ohnehin meist als Startgebot fest.
    Junger Mann: Und wann ist so eine Pfandsache abgelaufen?
    Rupert: Nun, das lässt sich individuell vereinbaren. Aber im Zweifel ist die Zeitspanne des zugrundeliegenden Darlehens ein Jahr ab dem Tag der Inpfandnahme. Ist das Jahr um, dann ist die Darlehensforderung fällig, und wird sie nicht vom Kreditnehmer befriedigt, dann kann jeder die Pfandsache kaufen.
    Junger Mann: Verstehe. (Eine Pause entsteht.)
    Rupert (freundlich): Haben Sie sonst noch Fragen? (Eine weitere, diesmal kürzere Pause entsteht.)
    Junger Mann: Nein. Aber ich möchte etwas in Pfand geben.
    Rupert: Na, dann zeigen Sie mal her.
    Junger Mann: Es ist hier in diesem Beutel.
    (Leder schleift über Holz, als der junge Mann den Beutel von seinem Gürtel abmacht und dann über den Tresen schiebt. Es dauert ein wenig, bis Rupert die Schnüre des Beutels aufgenestelt hat.)
    Junger Mann: Es ist ein Aquamarinring. Schonmal einen gesehen?
    Rupert (versonnen): Ja … ja, das habe ich. Wenn ich nur wüsste, wo und wann … (Er sinniert eine Weile vor sich hin, fängt sich dann aber irgendwann peinlich berührt wieder.) Ach, Verzeihung! Das wollten Sie ja sicher gar nicht wissen. Nun, Sie haben da wirklich einen schönen Ring. Wenn ich ihn drehe und wende … Ring und Fassung scheinen aus einer eher einfachen Metalllegierung zu sein, aber der eingefasste Stein selbst … ja, doch, ein beinahe makelloser Aquamarin. Ich habe gerade meine Lupe nicht zur Hand, aber ich glaube, er ist vollkommen frei von Einschlüssen. So etwas habe ich nun schon lange nicht mehr gesehen. Ja, doch, ein wirklich schöner Ring.
    Junger Mann: Was kannst du mir dafür geben?
    Rupert (überlegend): Nun, hm … den Großteil des Wertes macht sicherlich der Stein aus, der Ring als solcher ist dabei eher zu vernachlässigen. Aber in den richtigen Kreisen ist das sicher ein gut verkäufliches Stück. Lassen Sie mich … ja, dafür würde ich eine Pfandsumme von einhundertachtzig Goldstücken festlegen.
    Junger Mann: Einhundertachtzig Goldstücke? Der Ring muss mehr wert sein. Es ist ein Erbstück meines Vaters, und er hat mal angedeutet, dass der Ring wahrscheinlich deutlich über zweihundert Goldstücke bringen würde, wenn er ihn verkaufen würde. Was er aber nie getan hat und auch nie wollte.
    Rupert (sachlich): Davon gehe ich ebenso aus. Ihr Vater – Innos habe ihn selig – wird da ganz recht gehabt haben.
    Junger Mann: Na also.
    Rupert: Sie müssen aber bedenken, dass ich natürlich nicht den ganzen Wert als Darlehenssumme auszahlen kann.
    Junger Mann: Wieso nicht?
    Rupert: Nun, für den Fall, dass Sie den Ring nicht wieder abholen – was wir natürlich nicht hoffen wollen und ich natürlich auch nicht erwarte – muss für mich ja auch noch ein kleiner Gewinn herausspringen. Sonst haben Sie die Pfandsumme, und ich kann versuchen, den Ring zum gleichen Preis weiterzuverkaufen, und gesetzt den Fall, das gelingt mir überhaupt, dann gehe ich doch nur plus-minus-null aus dem Geschäft heraus, Zinsgeschäfte sind auf Khorinis ja nur in Ausnahmefällen erlaubt. Aber ich habe auch meine Ausgaben und Kosten, die gedeckt werden müssen, und obendrauf muss ich doch auch von etwas leben. Es liegt mir ganz sicher sehr fern, mich an meinen Kunden ungebührlich bereichern zu wollen, aber ein Geschäft funktioniert nur, wenn auch Gewinn dabei herauskommt. Verstehen Sie?
    Junger Mann: Ja. Ich denke schon. (Er denkt eine Weile nach.) Aber ist es nicht möglich, die Pfandsumme trotzdem ein kleines bisschen höher anzusetzen? Ich hatte da an genau zweihundert Goldstücke gedacht. Mehr nicht. Das würde mir schon reichen.
    Rupert: Hm … nun … es ist wirklich ein schöner Aquamarin. Und wenn Ihr Vater schon sagte, im Verkauf hätte der Ring über zweihundert Goldstücke gebracht … war er Juwelier, Ihr Vater? Wenn ich fragen darf?
    Junger Mann: Nein. Aber er kannte sich in solchen Sachen aus. Er hat immer viele Wertgegenstände besessen und an allen möglichen Orten verkauft. Er kannte die Preise.
    Rupert: Dann war er also Kaufmann, Ihr Vater?
    Junger Mann: Könnte man vielleicht so sagen.
    Rupert (nach kurzer Denkpause): Gut. Ich bin bereit, die Pfandsumme auf zweihundert Goldstücke festzulegen. Aber keines mehr! Und bitte bedenken Sie, dass Sie dann natürlich auch diese zweihundert Goldstücke wieder aufbringen müssen, um den Ring auszulösen.
    Junger Mann: Das krieg‘ ich schon hin.
    Rupert: Gut. Dann stelle ich Ihnen jetzt einen Pfandschein aus …
    (Er zieht eine Schublade auf und holt etwas Papier hervor, das er auf dem Tresen glattstreicht. Dann beginnt er mit einer Feder zu schreiben. Es kratzt.)
    Rupert (beim Schreiben): Ich verwende Durchschlagpapier, dann habe ich direkt eine Kopie … so, Pfandsache … Pfandsumme … Laufzeit machen wir ein Jahr, wenn es Ihnen recht ist, das ist der Standard … so … dann brauche ich nur noch Ihren Namen.
    Junger Mann: Schreib „Tarnum“. Wie mein Vater.
    Rupert (unter einigem Gekritzel): Gern.
    (Es dauert noch ein wenig, dann hat Rupert den Pfandschein fertig ausgefüllt und reißt das obere Blatt ab. Er reicht es dem jungen Mann.)
    Rupert: So, bitte sehr – Ihr Pfandschein! Bewahren Sie ihn gut auf! Nur mit ihm können Sie den Ring wieder auslösen.
    (Der junge Mann nimmt den Pfandschein entgegen, rollt ihn zusammen und steckt ihn sich in den Gürtel. Eine Pause entsteht.)
    Junger Mann: Mein Gold … ?
    Rupert (aus seiner Denkstarre erwacht): Ach, ja! Richtig! Gut, dass Sie es sagen! Verzeihen Sie, ich bin … wie auch immer, einen Moment.
    (Eine weitere Schublade wird aufgezogen. Zwei Lederbeutel landen dumpf auf dem Tresen. Das Gold in den Beuteln klimpert dabei ein wenig.)
    Rupert: Das sind zweihundert, je einhundert in einem Beutel. Ich bewahre stets ein Paar davon fertig abgezählt auf. Sie dürfen gerne nachzählen, wenn Sie mögen.
    Junger Mann: Das wird nicht nötig sein. (Das Gold klimpert nochmal kurz auf, als der junge Mann die Beutel an seinem Gürtel befestigt.)
    Rupert: Gut! Dann hoffe ich, dass Sie gut auf das Gold aufpassen … und natürlich auf ein baldiges Wiedersehen. Einen schönen Tag noch!
    (Der junge Mann wendet sich ab und macht ein paar Schritte in Richtung Ausgang, bleibt dann aber noch einmal stehen.)
    Junger Mann: Willst du eigentlich gar nicht wissen, wofür ich das Gold brauche?
    Rupert: Oh, nein, nein. Das will ich gar nicht wissen und das frage ich meine Kunden auch nie. Das ist Teil des Geschäfts. Ich verbiete es mir sogar, irgendwelche Mutmaßungen anzustellen.
    Junger Mann: Gut. Auf Wiedersehen. (Schritte knarzen.)
    Rupert (hinterherrufend): Auf Wiedersehen!
    (Die Türklingel ertönt, die Tür fällt zu, dann ist es im Laden wieder still.)
    Rupert (nach einer Pause, murmelnd): So, dann wollen wir mal zurückkommen zu … wessen Mantel war das jetzt noch gleich? (Pause.) Ach, ich wollte doch noch das Besteck wegräumen! (Knarzende Schritte.)

    [Ende der Szene.]
    Geändert von John Irenicus (06.03.2018 um 09:01 Uhr)

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    Rupert (zu sich selbst): Jetzt könnte ich diese Schatulle natürlich vorerst in der … (Schritte) alten Truhe von Elvrich aufbewahren, da ist die Frist doch schon sicher mindestens drei Monate … ich glaube, die macht sich hier so gut, die verkaufe ich gar nicht, die … (Türklingel) – einen Moment bitte!
    (Mit eiligen Schritten kommt Rupert aus seinem Hinterstübchen zur Ladentheke.)
    Rupert: Wie kann ich Ihnen … nanu! Ich kenne Sie doch! Jetzt sagen Sie bloß, Sie sind schon wieder hier, um Ihren … Ihren … Ihr Collier?
    Junger Mann: Aquamarinring. Nein, dafür bin ich noch nicht hier. Kommt aber noch.
    Rupert: Ahja … ja, ja. Hätte mich auch gewundert … nicht, dass ich es Ihnen nicht gegönnt hätte!
    Junger Mann: Ich versteh’ schon.
    (Sprechpause, das Holz knarzt unter Rupert, der sein Gewicht von einem Bein aufs andere verlagert.)
    Rupert: Ähm … was kann ich dann für Sie tun?
    Junger Mann (unmittelbar danach): Ich brauche eine Schaufel. Hast du Schaufeln?
    Rupert: Schaufeln … Schaufeln … ja doch … da war mal so ein reisender Trödelhändler, der brauchte für irgendein Geschäft eine Zwischenfinanzierung, und da hat er ein paar ausgesonderte Teile hiergelassen und nie wieder abgeholt … Moment …
    (Schritte, als Rupert wieder ins Ladenhintere verschwindet.)
    Rupert (halblaut rufend): Da hat bisher keiner was von gekauft … ich meine, da wäre eine alte Schaufel bei gewesen, ein bisschen verbogen vielleicht, aber sicherlich noch zu gebrauchen, schätze ich …
    Junger Mann: Solange sie noch gräbt. Ich brauche sie für Gartenarbeit.
    Rupert (in einer Kiste kramend und aus der Ferne): Gartenarbeit also. Sie haben einen Garten?
    Junger Mann: Nein. Aber ich habe mal Gärtner gelernt. Vielleicht kann ich mir so wieder etwas Gold verdienen.
    Rupert (ächzend): Gärtner … ja, also, das ist sicher keine schlechte Idee. Im Oberen Viertel werden die gerne mal benötigt.
    Junger Mann: Ich will vielleicht erst einmal etwas kleiner anfangen.
    Rupert: Das klingt vernünftig. (kramt noch ein wenig herum) Da ist sie ja. Tatsächlich, eine Schaufel. Sogar im besseren Zustand als erwartet. (kommt wieder an den Tresen) Da ist das Stück. Ich weiß nicht, ob die für Sie die richtige Größe hat. Sie haben Glück, das ich überhaupt eine hier habe. Da hatten Sie ja den richtigen Riecher.
    Junger Mann: Ich hatte mir gedacht, wenn ein Mann nichts mehr hat, dann kann er nur noch seine Schaufel in Zahlung geben. Hatte ich wohl recht mit.
    Rupert: Ja … ja, das hatten Sie wohl. Und jetzt wollen Sie diese Schaufel kaufen?
    Junger Mann: Wenn’s geht.
    Rupert: Tja, hm … jetzt weiß ich natürlich nicht mehr aus dem Kopf, auf was ich den Wert damals geschätzt habe, aber die Pfandsumme müsste sich herausfinden lassen. Dazu müsste ich nur eben den Pfandschein suchen, oder besser gesagt den Durchschlag davon …
    Junger Mann: Keine Umstände. Schätz’ doch einfach neu. So viel wirst du ja damals nicht bezahlt haben.
    Rupert (zögernd): Ja … das wird so gewesen sein. Ich glaube sogar, ich hatte die Sachen von diesem Mann, diesem Trödelhändler … wie hieß er denn noch gleich … das war so eine ganz kuriose Type, sehr alt, kantiges Gesicht … Erwin, Eryn? Errol? (denkt still nach)
    Junger Mann: Du wolltest mir den Preis für die Schaufel nennen.
    Rupert (aus der Denkstarre geholt): Ja, ja! Sicherlich! Worauf ich hinaus wollte, ich hatte die Schaufel ja ohnehin als Bestandteil eines ganzen, sagen wir mal, Konvoluts in Pfand genommen, und da hatte ich glaube ich eine Gesamtsumme festgesetzt, ja, doch, so wird es gewesen sein … die Schaufel alleine … der Zustand ist wie gesagt nicht mehr makellos, aber für eine Schaufel … groß ist sie … fünf Goldstücke? Wäre das ein annehmbarer Preis für Sie?
    Junger Mann: Die krieg’ ich gerad’ noch so zusammengekratzt.
    (Er holt ein paar Goldstücke aus der Hosentasche hervor und lässt sie alle zusammen auf den Tresen fallen.)
    Junger Mann: Da.
    (Rupert zieht jedes Goldstück einzeln zu sich herüber. Die Goldstücke schleifen dabei ein bisschen wie Steine auf dem Holz.)
    Rupert: Fünf Stück sind es, vielen Dank. Dann haben Sie hier Ihre Schaufel. Ich reiche Sie Ihnen direkt herüber, wenn Sie dann also … jawoll.
    Junger Mann: Ich habe zu danken. Du hast einen gut sortierten Laden.
    Rupert (erfreut): Oh, Danke! So ein Lob, das hört man selten.
    Junger Mann: Na dann. Mach’s gut.
    Rupert: Ebenso, ebenso! Und viel Erfolg bei der Gartenarbeit!
    (Der junge Mann wendet sich ab, die Dielen knarzen unter seinen Schritten. Die Klingel ertönt, die Tür fällt zu.)

    [Ende der Szene.]

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    Mittwoch


    (Gerüttel und Geklopfe, während Rupert versucht, die Schublade einer alten Kommode zu öffnen.)
    Rupert (angestrengt): Es ist wirklich ein schönes Stück, diese Kommode, aber so widerspenstig … ich hätte sie beizeiten wirklich verkaufen sollen, statt sie selber … oder wenn sie der alte Thorben zu Lebzeiten doch wenigstens wieder abgeholt hätte … die Lade … muss … doch … aufgehen, bei Innos, gestern ging es doch auch! (Das Gerüttel wird lauter.)
    Junger Mann (aus der Ferne und ein bisschen ungeduldig fragend, wie bei einem erneuten Rufen): Hallo?
    Rupert (überrascht, inmitten eines letzten Rüttlers): Oh! Verzeihen Sie, ich habe Sie gar nicht … ich komme!
    (Eilige Schritte, während Rupert zum Tresen wandert. Holz ächzt.)
    Rupert: Ach, Sie sind es! Sagen Sie bloß, Sie kommen mich jetzt jeden Tag in meinem Laden besuchen?
    Junger Mann: Wird schon nicht passieren.
    Rupert: Oh, aber es wäre ja doch kein Problem, ganz im Gegenteil. Haben Sie die Küchenwaage schon benutzt? Mich würde ja interessieren, ob sie wirklich noch bis zu dreißig Pfund Gesamtgewicht aushält, ich habe es ja nie recht getestet. Dieser alte Schmied damals … aus dem Hafenviertel … ach Gott … wie war denn noch gleich …
    Junger Mann: Ich war der mit der Schaufel.
    Rupert: Der mit der Schaufel? Achso, ja, richtig! Natürlich. Die Küchenwaage hatte ich ja an … an … naja, ist ja auch egal, das wollen Sie sicher gar nicht hören.
    Junger Mann: Jedenfalls nicht dringend.
    Rupert: Ja, das dachte ich mir doch gleich. Wie ist es Ihnen dann mit der Schaufel ergangen? Sie sind doch zufrieden mit ihr, oder … ?
    Junger Mann: Bin ich. Sie gräbt.
    Rupert: Das … freut mich zu hören!
    (Eine kleine Pause entsteht. Rupert räuspert sich.)
    Rupert: Wie kann ich Ihnen also helfen?
    Junger Mann: Ich habe mich gefragt, ob du auch einen Hammer für mich hast.
    Rupert: Einen Hammer? Hm … an was für eine Art Hammer hatten Sie da denn gedacht? Ein Vorschlaghammer, oder eher einen feinen zum Nägelklopfen oder … ?
    Junger Mann: Er muss jedenfalls gut in der Hand liegen und sollte nicht allzu leicht sein. Wenn das mit meiner Gärtnerei was werden soll, dann brauche ich auch einen ordentlichen Schuppen, für die Geräte. Den muss ich mir aber erst einmal zusammenzimmern. Es sei denn, du hast einen für wenig Geld hier.
    Rupert (mit angedeutetem Lachen): Nein, einen Schuppen habe ich ganz sicher nicht zum Verkauf, und ich bezweifle auch, dass jemand so etwas verpfänden will. Oder überhaupt kann. Beweglich muss die Sache immerhin sein. Ansonsten würde es sich ja schon um Grundpfandrechte handeln, und da wäre ich ganz sicher nicht der richtige Ansprechpartner. Da müsste man sich schon an die Händlergilde Araxos wenden, die haben neuerdings … verzeihen Sie, ich schweife ab. Sie wollen also …
    Rupert & Junger Mann (gleichzeitig): … einen Hammer.
    Rupert (zustimmend): Hm. (nach kurzer Pause) Also … ich bin mir ziemlich sicher, dass einmal irgendein Zimmermann hier einen verpfändet hat. Oder war es ein Schiffsbauer? Garrett oder so? Oder Garvey? Das muss jedenfalls schon lange her sein, sonst wüsste ich den Namen noch, sowas vergisst man doch nicht einfach so von jetzt auf gleich …
    (Er verschwindet im hinteren Bereich seines Ladens, kramt mal hier herum, kramt mal dort herum, es raschelt, knarzt und knallt und klirrt auch einmal kurz.)
    Rupert (halblaut rufend, um Fassung bemüht): Ich, äh … ich hätte Ihnen auch zwei … einen Blumentopf anzubieten. Aus Ton. Für Ihre Gärtnerei, meine ich. Das können Sie doch vielleicht gebrauchen?
    Junger Mann: Dafür ist es noch ein bisschen zu früh. Erstmal der Hammer.
    Rupert (eilig): Ja, sicherlich. Sie haben da ganz recht.
    (Das Kramen und Rascheln geht noch ein wenig weiter, es bollert einmal kurz, und dann meldet Rupert sich wieder.)
    Rupert (erfreut): Ah, ja doch! Na bitte! Ein Hammer! Also wenn Sie mich fragen, dann liegt der formidabel in der Hand. Ganz famos! (Er macht die paar Schritte zurück zum Tresen und legt den Hammer dort ab.) Nehmen Sie ihn ruhig einmal selbst in die Hand, ich denke, der könnte etwas für Sie sein!
    Junger Mann (prüfend): Scheint ganz so. Den kann ich gebrauchen.
    Rupert: Na sehen Sie! Sie haben Glück, dass der Besitzer das Stück nie wieder abgeholt hat. Das war ein Mann aus dem Hafenviertel, und es war beinahe schon traurig, dass er seinen Hammer abgeben musste. Er hätte ihn viel benutzt, sagte er. Dafür sieht er aber noch ganz gut aus. Der Hammer, meine ich. Oder was meinen Sie?
    Junger Mann: Kann sein. Ich bin jedenfalls zufrieden.
    Rupert: Und das ist doch das Wichtigste!
    Junger Mann: Der Preis ist auch noch wichtig.
    Rupert: Ja, doch, da haben Sie ganz recht. Also … ich kann mich daran erinnern, dass ich dem Vorbesitzer aus Mitleid eine recht hohe Pfandsumme ausgezahlt habe. Das müsste auch noch irgendwo auf der Pfandscheinkopie stehen, die hier irgendwo herumliegt, aber … das ist ja auch egal, und es soll nicht zu Ihrem Schaden sein. Wenn Sie mir zwanzig Goldstücke geben …
    Junger Mann (unmittelbar): Fünfzehn.
    Rupert (zögerlich): Hm … gut … unter Berücksichtigung des Alters des Hammers und, bei allem Respekt, Ihrer finanziellen Verhältnisse, soweit es sich für mich anschickt, darüber zu spekulieren … denke ich … (Pause)
    Junger Mann: Was?
    Rupert: … denke ich, dass fünfzehn Goldstücke durchaus angemessen sind. Wenn Sie die also bei sich hätten …
    Junger Mann: Hab’ ich.
    (Der junge Mann holt eine kleine Stoffbörse aus seiner Hosentasche und kippt den Inhalt auf dem Tresen aus. Es klappert und klappert. Er zählt stumm die Stücke und zieht zwei von ihnen wieder zu sich heran, um sie zurück in seine Geldbörse zu befördern.)
    Rupert (murmelnd): … dreizehn, vierzehn, fünfzehn. Jawohl! Besten Dank, der Herr!
    Junger Mann: Keine Ursache. Ich mache mich dann mal direkt ans Werk.
    Rupert: Ach, um diese Uhrzeit noch?
    Junger Mann: Die Konkurrenz schläft nicht.
    Rupert: Da sagen Sie was, da sagen Sie was … dann viel Erfolg bei Ihrem kleinen Unternehmen!
    Junger Mann: Danke. Wiedersehen.
    Rupert: Auf Wiedersehen!
    (Schritte. Dann die Türklingel und das Zufallen der Tür.)
    Rupert (nach einer kurzen Pause): Ein tüchtiger Kerl, zweifelsohne …

    [Ende der Szene.]
    Geändert von John Irenicus (08.03.2018 um 09:33 Uhr)

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    (Rupert steht in einer kleinen Nebenkammer und sortiert ein paar alte, schwerfällige Folianten in einem Bücherregal.)
    Rupert (zu sich selbst): Wenn er sie bis Ende der Woche nicht abholt, dann kann ich sie verwerten. Dabei haben wir sogar eine außerordentlich lange Darlehensfrist vereinbart. Ich frage mich, was aus ihm geworden ist, diesem Beppo … nein, Babo. So hieß er. Ich verstehe von diesen Büchern zwar nichts, aber … so ein Buchladen, das hatte ich mir ja auch mal erträumt … (Die Türklingel ertönt.) Ah! Jede Wette, dass …
    (Rupert verlässt die Kammer und schreitet zum Tresen.)
    Rupert (erfreut): Habe ich es mir doch fast schon gedacht! Ich grüße Sie!
    Junger Mann: Hallo. Wie sieht‘s aus?
    Rupert (etwas überfordert): Ähm, nun, nunja, also … wie sieht es aus … der Laden läuft und ich bin zufrieden, schätze ich! Was kommt, das kommt, sagt man ja auch manchmal. Nicht wahr?
    Junger Mann: Seh’ ich genauso.
    Rupert (nun gefasster): Schön! Was kann ich denn heute für Sie tun? Sie entwickeln sich ja langsam zum besten meiner Kunden, muss ich sagen!
    Junger Mann: Ich brauche einen Sack.
    Rupert (verwirrt): Einen Sack? Wie meinen? Was für einen Sack denn?
    Junger Mann: Einen Sack. Am besten einen großen.
    Rupert: Einen großen Sack also …
    Junger Mann: Er sollte schon ordentlich was tragen können. Und da muss was reinpassen. Die ganze Erde, weißt du?
    Rupert (immer noch verwirrt): Die ganze Erd … ach, ja, sicherlich! Na, Ihr Gärtnereibetrieb läuft ja offenbar ganz gut an, was?
    Junger Mann: Kann schon sein. Hast du nun einen Sack?
    Rupert (zögerlich): Es ehrt mich ja, dass Sie da zu mir kommen, aber … sollten Sie sich da nicht an einen Fachhandel wenden?
    Junger Mann: Ich bin immer noch knapp bei Kasse.
    Rupert (aufrichtig): Ja, doch, ich verstehe! Verzeihen Sie, das war unangebracht von mir. Ich will für Sie schauen, ob ich einen passenden Sack hier habe. Ich kann Ihnen aber nichts versprechen, das sage ich Ihnen gleich. (wendet sich zum Gehen)
    Junger Mann: Gut.
    Rupert (im Hinterraum, murmelnd): Ein Sack, ein Sack (kramt herum) … ich fürchte … hm, wobei …
    (Rupert zieht etwas aus einem Stapel Lumpen hervor, mehrere andere Textilien fallen mit einem dumpfen Geräusch zu Boden.)
    Rupert (zu sich selbst): Ich fürchte fast, die sind zu klein, aber …
    (Er geht wieder zurück an den Tresen.)
    Rupert: Der Herr, ich habe nur die drei Teile hier gefunden. Ich weiß nicht, wo ich sie herhabe, aber wenn sie nicht ohnehin in meinem Eigentum stehen, dann habe ich jedenfalls ein Pfandverwertungsrecht. Ich weiß natürlich nicht, ob das Ihren Größenvorstellungen entspricht. Sie sind aus Leinen, und in je einen von ihnen passt vielleicht ein mittelgroßes Schaf rein, wenn ich das mal so sagen darf …
    Junger Mann (nach kurzer Pause): Die sind zu klein.
    Rupert (unangenehm berührt): Oh, das ist schade … tja. Ich würde Ihnen gerne ein besseres Angebot machen, aber … das wird wohl alles sein, was ich für Sie habe. Ich kann natürlich noch einmal hinten suchen gehen, aber …
    Junger Mann (unterbricht): Wenn ich zwei davon nehme, sollte es gehen.
    Rupert: Ach, tatsächlich? Nun, dann …
    Junger Mann: Und was mir gerade noch so einfällt: Hast du auch eine Säge? Ich muss ein paar Stämme sägen. Baumstämme. Oder ein paar dicke Äste. Das müsste also schon ein starkes Teil sein.
    Rupert (mit neuer Selbstsicherheit): Na, eine Säge habe ich ganz bestimmt! Mehrere sogar! Bin gleich zurück! (eilt davon)
    Junger Mann (halblaut): Eine würd‘ schon reichen.
    (Es dauert nur eine kleine Weile, in der Rupert im Hinterraum ein bisschen Krach macht, bis er schließlich wieder zurückkehrt und eine große, grobe Säge auf dem Tresen ablegt.)
    Rupert (beinahe schon atemlos): So, bitte sehr, der Herr! Ist die Säge nach Ihrem Geschmack? Damit kann man ganze Wälder roden, will ich meinen! Wobei das natürlich verboten wäre. Aber Sie wissen ja, wie es gemeint ist.
    Junger Mann: Ja. Ich denke schon. Die Säge passt. Wie viel willst du dafür? Und für die Säcke?
    Rupert: Ich habe im Kopf schon ein wenig gerechnet. Die Säcke sind nicht der Rede wert. Die Säge habe ich vor längerer Zeit von einem Jäger namens … wie auch immer. Er muss sie wohl irgendwie für die Jagd benötigt haben. Schätze ich. So muss es ja gewesen sein. Vielleicht zum Zeltbau, wenn er im Freien kampierte? Jedenfalls brauchte er Geld, um sich irgendwelche neuen Jagdutensilien leisten zu können. Ich habe nicht allzuviel Ahnung davon und vom Jagdwesen generell, möglicherweise handelte es sich um einen neuen Bogen. Ich zahlte ihm ein ganz stattliches Sümmchen aus. Und dann habe ich ihn nie wieder gesehen. Innos bewahre, wenn er bei seiner Jagd nun doch umgekommen sein sollte! Vielleicht sollte die Säge wirklich in andere Hände als in die meinigen. Wenn ich es mir recht überlege, will ich gar nicht mehr daran erinnert werden … was da nur alles passiert sein könnte …
    Junger Mann: Wie viel?
    Rupert: Den Preis, meinen Sie? Ach, nun … ich glaube, ich sollte nicht versuchen, Ihnen mehr abzuknöpfen, als Sie erübrigen können. Haben Sie eine Summe im Kopf?
    Junger Mann: Ich habe noch zehn Goldstücke übrig. Dann bin ich wirklich blank. Ich habe alles in die Gärtnerei gesteckt.
    Rupert: Nun, dann will ich Ihrem hoffentlich baldigen Erfolg nicht im Wege stehen und überlasse Ihnen die Säge für zehn Goldstücke. Vielleicht erinnern Sie sich ja beizeiten daran und erstehen bei mir dann doch noch einen Blumentopf.
    Junger Mann: Versprechen kann ich nichts. Gras wächst nicht schneller, nur weil man daran zieht. Aber wenn es soweit sein sollte …
    Rupert: Sie sprechen ein wahres Wort gelassen aus. Ich wollte Sie auch zu nichts gedrängt haben.
    Junger Mann: Kein Problem. (Er nestelt kurz in seiner Tasche herum und lässt dann die Goldstücke auf die Theke prasseln.) Da. Es sind genau zehn.
    Rupert (erfreut): Das sehe ich mit einem Blick! Dann nehmen Sie Ihre Säge. Und bis zum nächsten Mal!
    Junger Mann: Alles klar.
    (Der junge Mann nimmt die Säge vom Tresen und stapft aus dem Laden heraus. Die Türklingel ertönt, die Tür fällt zu.)
    Rupert (nachrufend): Wiedersehen!

    [Ende der Szene.]

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    Deus Avatar von John Irenicus
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    Rupert (stolz): Der frühe Vogel fängt den Wurm, es ist wohl wahr! Die Gässchen draußen haben gerade erst begonnen, wachzuwerden, und ich habe bereits alles und noch viel mehr für den heutigen Tag abgefertigt. Die Waren sind geordnet, die Kleiderständer entstaubt, die Pfandscheindurchschläge nach Ablaufdatum sortiert und die Inventarlisten auf den neuesten Stand gebracht. Naja, wenigstens halbwegs. Die Kraft strömt in einen herein wie die frische Luft von draußen, wenn man weiß, dass einem das Tagewerk nicht noch für Stunden im (er bricht ab, als die Türklingel ertönt) -
    (Schritte knarzen, als der junge Mann hereinkommt und bis zur Theke vortritt, um dort ein metallenes Etwas geräuschvoll abzustellen.)
    Junger Mann: Ich habe etwas mitgebracht.
    Rupert (staunend): Bei Innos, das sehe ich wohl! Jetzt sagen Sie bloß, das haben Sie in einem Garten ausgegraben!
    Junger Mann: Nein. Das habe ich direkt von meinem ersten Kunden bekommen. Für die Gartenarbeit. Als ich fertig war, hatte er kein Geld im Haus. Das war ungewöhnlich, aber als Ausgleich gab er mir diesen goldenen Kelch. Er hatte ohnehin keine Verwendung mehr dafür.
    Rupert (hebt den Kelch vom Tresen): Es ist tatsächlich echtes Gold, ohne Frage. Das entgeht dem geschulten Blick nicht.
    Junger Mann: Davon geh‘ ich aus.
    Rupert: Und jetzt sagen Sie bloß, Sie wollen dieses Schmuckstück … hier bei mir … ?
    Junger Mann: Ich habe mich eben sofort an dich erinnert. Wenn der Preis stimmt, kannst du ihn haben.
    Rupert (überrumpelt): Nun, nun, ich bin aber doch kein Händler, von Edelmetallen ganz zu schweigen! Auch wenn es vielleicht zuweilen den Anschein macht. Ankaufen werde ich den Kelch nicht, mag er auch schön sein. Das hier ist immer noch ein Pfandleihhaus, das muss ich Ihnen leider sagen. Leider, und des Anstands wegen!
    Junger Mann: Das heißt?
    Rupert: Den vollen Preis werde ich Ihnen nicht auszahlen können, nur einen Bruchteil davon. Das ist eine Inpfandnahme gegen ein Darlehen, kein Kauf. Wenn Sie es als Verkaufsgeschäft betrachten, dann sollen Sie nicht daran gehindert sein, aber da ich Sie als Kunden schätze, muss ich Ihnen mitteilen: Wenn Sie den Kelch an mich abgeben, dann stets unter Wert. Sie verstehen, mein Geschäftsprinzip zwingt mich dazu …
    Junger Mann: Das ist schon in Ordnung. Dann betrachten wir es als ganz normales Pfandgeschäft. Vielleicht hole ich den Kelch ja wieder zurück. Jetzt im Moment brauche ich aber erst einmal wieder Gold in Stücken, nicht in Kelchen. Und bis ich einen Händler gefunden habe, der mir dieses Ding abnimmt …
    Rupert: Ich verstehe, ich verstehe. Ihr eigenes Geschäft läuft jetzt so richtig an, aber Sie müssen zunächst flüssig sein, wie? Nein, sagen Sie nichts, ich will mich in Ihre Unternehmungen gar nicht einmischen. Aber Verständnis dafür habe ich. Und es ehrt mich, dass Sie damit zu mir gekommen sind.
    Junger Mann: Hört sich gut an.
    Rupert (nach längerem Überlegen): Dieser Kelch muss einen ganz außerordentlichen Wert aufweisen, darüber will ich Sie gar nicht täuschen. Und es ist ein wirklich schönes Stück. Ja, doch, ich bin bereit, dafür dreihundert Goldstücke als Pfandsumme festzulegen.
    Junger Mann (unmittelbar): Da gehe ich drauf ein.
    Rupert (beinahe eingeschüchtert): Gut … dann will ich Ihnen mal den Pfandschein ausstellen …
    (Rupert zieht eine Schublade auf und ein Blatt Papier hervor.)
    Junger Mann: Lass uns die Sache doch etwas beschleunigen.
    Rupert: Wie meinen?
    Junger Mann: Ich will den Ring zurück.
    Rupert: Den … Ring? (Eine Pause entsteht.) Achja, klar! Natürlich! Der Ring! Ihr Aquamarinring!
    Junger Mann: So sieht‘s aus.
    Rupert (freudig erregt): Das ist ja wirklich eine schöne Sache für Sie! Also, ich nehme an, das Gold müsste reichen? Worauf hatten wir die Pfandsumme noch gleich …
    (Der junge Mann greift nach einer Papierrolle an seinem Gürtel, zieht sie etwas auseinander und klatscht sie flach auf den Tresen.)
    Junger Mann: Zweihundert.
    Rupert: Ja, ich erinnere mich! Zweihundert Goldstücke, exakt! Warten Sie nur einen kleinen Moment, ich habe wirklich einen Ehrenplatz für diesen Ring ausgesucht. Wissen Sie, ganz im Vertrauen, mir war von Anfang an klar, dass Sie den nicht lange hierlassen würden. Dass Sie schon wieder an Gold kommen würden! Moment, ich hole ihn eben her, und dann erledigen wir die ganzen Formalitäten in einem Abwasch. Ein kleines bisschen Geduld, bitte!
    (Es vergeht eine ganze Weile, in der Rupert geräuschvoll eine Nebenkammer durchforstet, Schubladen auf und zu zieht, Papier knistern lässt und im Hinterraum des Ladens mal zum einem, mal zum anderen Schränkchen wandelt. Schließlich kommt er wieder zurück an den Tresen und legt den Aquamarinring samt einem Stoß Papier vor sich ab. Dann beginnt er unter größtenteils unverständlichem Gemurmel mit einer Schreibfeder auf den einzelnen Papieren herumzukritzeln, bis er irgendwann innehält und zum jungen Mann aufsieht.)
    Rupert: Verzeihen Sie, das ist mir jetzt ein wenig unangenehm, wo wir uns doch die letzte Zeit täglich gesehen haben, aber Ihr Name war noch gleich … ?
    Junger Mann: Schreib „Tarnum“. Wie mein Vater.
    Rupert: Ah, ja, richtig, ich erinnere mich. Moment bitte …
    (Rupert tunkt die Feder ins Tintenfass und beginnt erneut auf den verschiedenen Dokumenten zu schreiben. Diesmal ist er recht schnell damit fertig. Er trennt eines der Papiere vom anderen und schiebt es zum jungen Mann herüber.)
    Rupert: So, also … Erst einmal der Pfandschein über diesen wunderschönen goldenen Kelch hier. Die Pfandsumme legen wir auf dreihundert Goldstücke fest, die Laufzeit des Darlehens auf ein Jahr, wenn es Ihnen recht ist.
    Junger Mann: Ist mir recht.
    Rupert: Gut! Dann wollen Sie aber zugleich Ihren Aquamarinring auslösen. Hier habe ich meinen Durchschlag, Ihr Original haben Sie mir hier auch schon gegeben … da hatten Sie zweihundert Goldstücke ausgezahlt bekommen. Die zahlen Sie jetzt also sozusagen wieder zurück und befriedigen damit die Forderung aus dem Darlehen …
    Junger Mann: Genau.
    Rupert: … und wir verrechnen das aber direkt mit dem, was ich Ihnen jetzt für den Kelch auszahle. Das wir hier nur nicht durcheinanderkommen! Summa summarum bekommen Sie also Ihren Aquamarinring zurück und zusätzlich noch einhundert Goldstücke von mir, die vom Geschäft über den Kelch noch übrig bleiben. Korrekt?
    Junger Mann: Korrekt.
    Rupert: Fein! Dann greife ich hier noch einmal in die Schublade … (zieht einen Lederbeutel aus der offenen Schublade heraus und lässt ihn auf die Theke plumpsen) … und dann haben Sie Ihre einhundert Goldstücke. Trauen Sie sich ruhig, sie nachzuzählen.
    Junger Mann: Das ist nicht nötig.
    Rupert (enthusiastisch): Wie es Ihnen beliebt! Dann streiche ich nun noch den Pfandschein sowie meine Kopie bezüglich des Aquamarinrings ab (er zieht auf jedem Papier einen langen Federstrich quer über die Formulare), und schon ist das Geschäft erledigt!
    Junger Mann: Na das ging ja schnell.
    Rupert: Nicht wahr? In einem gut geführten Laden muss kein Kunde länger warten als nötig! (Kurze Pause.) Ohje … bitte verzeihen Sie, jetzt habe ich mich im Überschwang schon selbst gelobt …
    Junger Mann: Kein Problem.
    Rupert (nun etwas gedämpft): Ich danke vielmals. Dann ist die Darlehensforderung über zweihundert Goldstücke nun getilgt, mein Pfandrecht an Ihrem Aquamarinring nun offiziell wieder erloschen, und Sie können das gute Stück wieder mitnehmen. Ebenso wie die restlichen einhundert Goldstücke aus der Pfandsumme vom Kelch.
    (Der junge Mann nimmt den Goldbeutel auf und hängt ihn an seinen Gürtel, den Aquamarinring steckt er in seine Hosentasche.)
    Junger Mann: Na dann …
    Rupert: Ja, dann wünsche ich Ihnen weiterhin alles Gute für Sie persönlich und für Ihr Geschäft! Ich bin mir sicher, dass Ihnen, gerade jetzt, wo Sie Ihren teuren Ring wiederhaben, nur der größte Erfolg beschert sein wird. Auf Wiedersehen – spätestens, wenn Sie Ihren Kelch wieder auslösen!
    Junger Mann: Mach‘s gut.
    (Schritte, die Türklingel ertönt, die Ladentür fällt zu.)
    Rupert (in Gedanken versunken): Das ist ja wirklich ein fabelhaftes Stück, dieser Goldkelch … wenn man bedenkt, dass es für den jungen Mann sozusagen alles mit einem alten Hammer angefangen hat … aber nein, die Schaufel war es, und dann erst der Hammer … und dann die Säcke und die Säge. Und schon wird man reich. Hm … man wünscht sich fast, er würde den Kelch nie mehr wieder hier abholen, und noch mehr, ich müsse ihn nie zu Geld machen, doch das Geschäft, es bringt gewisse Zwänge mit sich … (er dreht den Kelch langsam in seinen Händen) Ah, das sehe ich ja erst jetzt, aber es ist im Licht hier auch nur schwer zu erkennen – da ist doch ein Name eingraviert! Aber … wenn man so ein kostbares Stück dann auch noch derart teuer an sich bindet … das gibt man doch nicht einfach so weg. Davon trennt man sich doch nicht so einfach … – Moment mal! (Er stockt.)
    Rupert (zitterig): Herrje, bei Innos, mir wird ganz heiß und kalt zugleich! Der junge Mann, ich … ich hätte es doch merken müssen! Viel früher noch!
    (Rupert eilt mit schnellen Schritten um die Theke herum und aus seinem Laden raus, sodass die Türklingel geradezu abgewürgt wird, und tritt auf die leicht belebte Kaufmannsgasse.)
    Rupert (rufend): Junger Mann? Bleiben Sie stehen! Junger Mann! (noch lauter) Haltet diesen Mann dort drüben beim Stadttor fest! Er … (ächzt) … er hat doch seinen Pfandschein gar nicht mitgenommen …

    [Ende der Szene.]

    [Ende der Geschichte.]

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